PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 1 Verbklassen III Klassifizierung nach semantischen Kriterien 1. Einleitung: Was bedeutet „semantisch klassifizieren“? Die Klassifizierung nach semantischen Kriterien ist nach Helbig/Buscha (1999, 68) die dritte grundlegende Möglichkeit, Verben zu klassifizieren. Die Semantik ist die Lehrer von der Bedeutung. Für eine morphosyntaktisch relevante Klassifizierung kommen allerdings nur bestimmte Bedeutungskomponenten in Frage. Dies müssen solche Komponenten sein, die - sich bei möglichst allen Verben finden, - morphosyntaktische Auswirkungen haben. Anmerkung: Eine semantische Klassifizierung nach semantischen Feldern wie z. B. „Landwirtschaft und Gartenbau“ (graben, pflügen, kompostieren, keimen) würde zu Klassen führen, die (a) nur einen kleinen Teil des deutschen Wortschatzes erfassen, (b) Verben enthalten, die keine morphosyntaktischen Eigenschaften gemeinsam haben. Die morphosyntaktische1 Auswirkung, um die es bei der semantischen Klassifizierung der Verben geht, ist die Wahl des Hilfsverbs bei der Bildung der periphrastischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt, Doppelperfekt. Semantische Kriterien müssen deshalb herangezogen werden, weil die syntaktische Klassifizierung (vgl. Verbklassen II) bei den intransitiven Verben kein eindeutiges Ergebnis liefert: Intransitive Verben können sowohl haben also auch sein wählen. Um hier die Wahl des Hilfsverbs zu erklären, braucht man also weitere Kriterien (→ Semantik heranziehen). Thieroff/Vogel (2008, 17) fassen die semantischen Eigenschaften der Verben, die bei der Wahl des Hilfsverbs wichtig sind, kurz wie folgt zusammen: Verben der Zustandsveränderung (einschlafen, umfallen, rot werden) und Bewegungsverben (gehen, fahren, fliegen, bummeln etc.) wählen das Hilfsverb sein aus. Außerdem auch die Verben sein(Das ist schön gewesen) und bleiben (Sie ist zu Hause geblieben), obwohl es sich nicht um Verben der Zustandsveränderung handelt. Für eine wissenschaftlich fundierte Klassifizierung ist es notwendig, von genaueren Kriterien auszugehen. Ausgangspunkt für eine solche Klassifizierung ist in der modernen linguistischen Literatur die inhärente zeitliche Gliederung der von den Verben benannten Sachverhalte (Dauer, Begrenztheit, Dynamik). Vendler (1967) definiert auf dieser Grundlage vier „Aspektklassen“.2 Die in der deutschen Grammatiktradition (Brinkmann 1972) verbreitete 1 Ich benutze hier den Begriff „Morphosyntax“, um das Problem der Zuordnung der Perfekt-Bildung zur Syntax oder Morphologie zu umgehen. Hinsichtlich dieser Zuordnung gibt es nämlich verschiedene Ansichten. Betrachtet man Perfekt-Konstruktionen als Kombination von zwei morphologischen Wortformen (finites Hilfsverb und Partizip II), dann handelt es sich bei der Wahl des Hilfsverbs um eine syntaktische Erscheinung (so z. B. Helbig/Buscha 1999, 75). Wenn man die Perfekt-Konstruktion dagegen als spezifische Realisierung der grammatischen Kategorie Tempus betrachtet und Morphologie gleichzeitig als die Wissenschaft von den grammatischen Kategorien definiert (z. B. Káňa 2006, 23), dann fällt die Beschreibung der Wahl des Hilfsverbs in die Kompetenz der Morphologie. 2 Die Klassifizierung von Sachverhalten in states, activities, accomplishments und achievements von Vendler (1967) ist die heute im weltweiten Maßstab vermutlich einflussreichste Klassifizierung. Welke (2002) vergleicht diese Klassifizierung mit der im deutschen Sprachraum verbreiteten Klassifizierung von Brinkmann (1972) und versucht, eine Synthese herzustellen. PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 2 Klassifizierung bezieht sich dagegen auf das Vorhandensein oder Fehlen eines (gewöhnlich menschlichen) Akteurs. Welke (2002) und Padučeva (2009) stellen den Bezug zwischen beiden Klassifikationssystemen her. 2. Semantische Verbklassen nach Zeitstruktur und Agentivität Im Folgenden gehe ich von der Klassifizierung von Helbig/Buscha (1999, 69) aus und ergänze sie um den Aspekt der Zielgerichtetheit („Telizität“), vgl. Krifka (1989). Terminologisch folge ich der von Welke (2002, 208 f.) vorgeschlagenen Adaption der Brinkmann’schen Verbklassen an das Vendler-System. Zunächst lassen sich dynamische und statische Verben unterscheiden: [±dynamisch] Dynamische Verben bezeichnen Sachverhalte, bei denen etwas geschieht: Die verschiedenen zeitlichen Phasen des Sachverhalts sind nicht völlig identisch. Man kann sich den Unterschied durch den Vergleich mit einem Film klarmachen. Um zu entscheiden, ob ein dynamischer Sachverhalt vorliegt, braucht man zumindest zwei Bilder aus dem Film. Nur anhand eines einzelnen Bildes kann man z. B. nicht erkennen, ob ein Arbeiter mit der Schaufel in der Hand wirklich arbeitet oder ob er bewegungslos mit der Schaufel in der Hand dasteht. Zur Identifizierung eines statischen Sachverhalts wie „liegen“ genügt dagegen ein einziges Bild aus einem Film (vgl. Arkaďev 2008). Nicht-dynamische oder statische Verben werden als Zustandsverben bezeichnet. Dynamische Verben kann man weiter danach unterscheiden, ob ein Agens an dem bezeichneten Sachverhalt beteiligt ist oder nicht: [±agentiv] Ein Agens ist ein handelnder Teilnehmer an dem bezeichneten Sachverhalt, im typischen Fall ein bewusst agierender Mensch. Nach Helbig/Buscha lässt sich ein Agens durch die Frage „Was tut X?“ erfragen: Petra liest → Was tut Petra? × Das Haus brennt → *Was tut das Haus? Verben, die ein Agens implizieren (agentive Verben) werden nach Welke (2002) Handlungsverben (im weiteren Sinne), nach Helbig/Buscha (1999) Tätigkeitsverben genannt; Verben ohne Agens nennt man Vorgangsverben. Beide Untergruppen der dynamischen Verben lassen sich schließlich noch danach unterscheiden, ob der bezeichnete Vorgang oder die bezeichnete Handlung ein inneres, logisches Ziel haben oder nicht: [±telisch]3 Ein logisches Ziel haben z. B. Sachverhalte wie das Schmelzen von Schnee: Wenn der gesamte vorhandene Schnee geschmolzen ist kommt der Vorgang zu seinem logischen Ende. Andere Verben bezeichnen Vorgänge ohne logisches Ziel: Das Tropfen eines Wasserhahns kann z. B. (zumindest theoretisch) unendlich weitergehen. Es gibt keinen Endpunkt, der durch den Vorgang des Tropfens erreicht würde. 3 Sioupi (2007, zit. nach der Internet-Quelle, S. 2; vgl. auch die dort genannte Literatur) gibt für „telisch“ folgende Definition: „Der Terminus telisch referiert auf Verbalausdrücke, die einen natürlichen Endpunkt implizieren, eine Zustandsveränderung und damit das Erreichen eines Ziels ausdrücken (einschlafen, ein Bier trinken, ein Buch schreiben); atelisch dagegen auf Verbalausdrücke, die keinen natürlichen Endpunkt implizieren, auch keine Zustandsveränderung und kein Erreichen des Ziels (schlafen, Bier trinken, Bücher schreiben).“ PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 3 Welke (2002) unterscheidet bei den Handlungsverben im weiteren Sinne Tätigkeitsverben und Handlungsverben (im engeren Sinne); Grundlage ist für ihn das Merkmal [± kausativ], die Unterscheidung dürfte sich aber größtenteils mit [±telisch] decken, da [+kausativ] als ‚Einwirkung auf ein Patiens, das sich durch die Einwirkung verändert‘ definiert ist, und eine Veränderung im Patiens dann das logische Ziel des Sachverhalts darstellt. Tätigkeitsverben sind also atelische agentive Verben, Handlungsverben telische agentive Verben. Für telische und atelische Vorgangsverben gibt es keine speziellen Termini. Manchmal wird der Begriff „Verben der Zustandsveränderung“ so verwendet, dass er Telizität einschließt (z. B. bei Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, vgl. den Exkurs unten). Bei Helbig/Buscha (1999, 73) wird [±telisch] als ein Merkmal der „Aktionsart“ betrachtet und von der Klassifizierung nach der allgemeinen Bedeutungsstruktur der Verben ausgenommen. Verben mit dem Merkmal [–telisch] werden als „durativ“ bezeichnet, Verben mit dem Merkmal [+telisch] als „perfektiv“. Nach den Merkmalen [±dynamisch], [±agentiv] und [±telisch] erhalten wir also folgende Verbklassen: Verben [–dynamisch] [+dynamisch] [–agentiv] [+agentiv] [–telisch] [+telisch] [–telisch] [+telisch] Zustands- verben Vorgangs- verben (atelisch) Vorgangsverben (telisch) „Verben der Zustandsveränderung“ Tätigkeits- verben Handlungs- verben ähneln wohnen liegen umgeben schlafen brennen blühen fließen tropfen schwitzen verbrennen einschlafen hinfallen verblühen schmelzen arbeiten lesen singen spielen träumen (ein Haus) bauen (ein Buch) lesen (einen Pudding) essen Die Handlungsverben müssen nicht weiter betrachtet werden, da sie transitiv sind und bereits durch die übergeordnete syntaktische Regel (vgl. Verbklassifizierung II) das Hilfsverb haben zugewiesen bekommen. Bei den anderen Verben zeigt sich, dass das Merkmal „Telizität“ ausschlaggebend ist: Das Hilfsverb sein erhalten telische Vorgangsverben. Zustands- verben Vorgangs- verben (atelisch) Vorgangsverben (telisch) „Verben der Zustandsveränderung“ Tätigkeits- verben Handlungs- verben haben haben sein haben haben PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 4 Zu dieser allgemeinen Regel sind zwei Anmerkungen nötig, die die Bewegungsverben (Punkt°3) und den Übergang von Zustandsverben und atelischen Vorgangsverben zu telischen Vorgangsverben (Punkt 4) betreffen. Exkurs: Nach Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1869) ist Transformativität (Zustandsveränderung), nicht Telizität (Endpunkt-Bezug) für die Wahl von sein entscheidend. Als Beispiel für nicht-transformative Verben, die entsprechend das Hilfsverb haben auswählen, führen die Autoren Beispiele (1) – (3) an (die anderen Beispiele sind von mir ergänzt): (1) Die Suppe hat zwei Stunden gekocht. (2) Der Kessel hat jahrelang vor sich hingerostet. (3) Der Most hat mehrere Tage gegoren. (4) Das Bier hat zwei Stunden gekühlt. (5) Die Wäsche hat zwei Stunden getrocknet. Wenn man unter „Zustandsveränderung“ ganz allgemein versteht, dass sich der Zustand des bezeichneten Gegenstandes ändert, dann ist die Behauptung von Zifonun/Hoffmann/Strecker, die angeführten Verben seien nicht transformativ, zumindest bei Beispiel (2) – (5) nicht besonders plausibel: Kessel, Most, Bier und Wäsche ändern sich bei den bezeichneten Vorgängen, auch wenn die Veränderung noch keinen Endpunkt erreicht hat, was durch die Kombinierbarkeit mit Adverbien der Zeitdauer wie z. B. zwei Stunden sichtbar gemacht werden kann. Wenn der Endpunkt durch geeignete Adverbien (in zwei Stunden, fertig) oder Präfixe (ver-, ab-, durch- u. a.,vgl. unten) betont wird, erscheint sein: (1‘) Die Suppe ist in zwei Stunden fertig gekocht. (2‘) Der Kessel ist innerhalb eines Jahres gerostet/völlig verrostet. (3‘) Der Most ist fertig gegoren/durchgegoren/vergoren. (4‘) Das Bier ist fertig gekühlt. (5‘) Die Wäsche ist in zwei Stunden getrocknet. Identifiziert man Telizität durch die Kombinierbarkeit mit den genannten Adverbien, wie dies in der Literatur üblich ist, so scheint doch Telizität, nicht Zustandsveränderung allein für die Wahl von sein entscheidend zu sein. Allerdings besteht bei den meisten Verben, die eine Zustandsveränderung ausdrücken, keine Wahlmöglichkeit zwischen sein (telisch) und haben (atelisch): (6) a. Die Temperatur ist gesunken. b. *Die Temperatur hat gesunken. (7) a. Das Gras ist gewachsen. b. * Das Gras hat gewachsen. (8) a. Das Gras ist gewachsen. b. * Das Gras hat gewachsen. (9) a. Mein kleiner Bruder ist gefallen. b. * Mein kleiner Bruder hat gefallen. Hier müsste man also sagen, dass diese Verben inhärent (immer, lexikalisch festgelegt) telisch sind: Verben wie wachsen würden also im Perfekt automatisch die Bedeutung ‚bis zu einer bestimmten Grenze wachsen‘ haben. Bei fallen ist diese Grenze normalerweise tatsächlich durch Adverbien (auf den Boden) oder Präfixe (hin-) gekennzeichnet: Mein Bruder ist hingefallen × ? Mein Bruder ist gefallen. Eventuell handelt es sich hier lediglich um ein terminologisches Problem, was man genau unter „telisch“ und „transformativ“ verstehen will. 3. Bewegungsverben Die Bewegungsverben scheinen nicht besonders gut in das Schema zu passen, weil sie typischerweise agentiv, d. h. Tätigkeitsverben sind, aber trotzdem das Hilfsverb sein fordern: PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 5 (10) Was habt ihr dann gemacht? Dann sind wir nach Hause gegangen. / *Dann haben wir nach Hause gegangen. Hier wären zwei Dinge zu sagen: a) Bewegungsverben sind häufig unbestimmt, was die Agentivität betrifft (vgl. Welke 2002, 193; 209): Das Subjekt von Handlungsverben muss nicht unbedingt einen bewusst agierenden Täter bezeichnen. (11) Der Vogel flog auf das Dach. (agentiv) Der Stein flog auf das Dach. (nicht-agentiv) Die Deutung als Vorgangsverben liegt also häufig nahe und scheint – gegenüber der Deutung als Tätigkeitsverben – im Deutschen verallgemeinert worden zu sein. b) Bewegungen mit Ortsveränderungen lassen sich als Zustandsveränderung deuten: Der Ort, an dem sich ein Mensch oder ein Gegenstand befindet, ist Teil des Zustandes, in dem sich dieser Mensch oder dieser Gegenstand befindet. In diesem Sinne sind Bewegungsverben (mit Ortsveränderung) immer auch Verben der Zustandsveränderung. Im Deutschen scheint dieser Aspekt der Verbbedeutung ausschlaggebend für die Wahl des Hilfsverbs zu sein (vgl. Zifonun/Hoffmann/ Strecker 1997, 1872). Darauf, dass Bewegungsverben im Deutschen als Verben der Zustandsveränderung betrachtet werden, weist auch ein weiterer Umstand hin: In bestimmten Sonderfällen (z. B. bei tanzen, hinken, schwimmen) kann sich die Auswahl des Hilfsverbs danach richten, ob ein Zielpunkt für die Bewegung angegeben wird (sein) oder nicht (haben), vgl. Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1873) und die dort angeführten Beispiele: (12) … in einem Wasser […], in dem man oft gebadet und geschwommen hat. (13) … oder sind Sie vielleicht an Land geschwommen? Wie bei den Vorgangsverben wird bei diesen speziellen Bewegungsverben also die Telizität wichtig. Anmerkung: Im süddeutschen Sprachraum ist daneben auch bei den Zustandsverben sitzen, stehen, liegen die Perfekt-Bildung mit dem Hilfsverb sein üblich (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 1874). Vgl. auch Helbig/Buscha (1999, 141): Er war an seinem Schreibtisch gesessen. 4. Überführung von atelischen Verben in die Gruppe der telischen Verben In vielen Fällen kann ein atelisches Verb (ein Zustandsverb oder ein atelisches Vorgangsverb) durch das Anfügen eines Präfixes telisch gemacht werden. Das Verb brennen bezeichnet z.B. einen Vorgang (oder Zustand),4 ohne dabei ein Ziel (= das Verschwinden der brennenden Substanz) mit einzuschließen. Durch das Anfügen eines Präfixes (ab-, ver-) entsteht ein Verb, das auf dieses Ziel Bezug nimmt und damit als telisch bezeichnet werden muss (→ Hilfsverb sein): 4 Die Unterscheidung von Zuständen und nicht-telischen Vorgängen ist in manchen Fällen nicht eindeutig zu treffen. PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 6 (14) Die Kerze hat drei Stunden gebrannt. (15) Die Kerze ist in drei Stunden abgebrannt. In der Literatur (Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997, 1871 f.; Helbig/Buscha 1999, 73 f.) werden u. a. die Beispiele in Tabelle 1 unten genannt. Tabelle 1: Beispiele für Verben, die durch Präfigierung telisch werden atelisches Verb → Hilfsverb haben telisches Verb → Hilfsverb sein blühen verblühen brennen abbrennen, verbrennen bröckeln zerbröckeln faulen verfaulen frieren erfrieren glühen erglühen, verglühen hallen verhallen hungern verhungern klingen verklingen kochen überkochen rosten verrosten schäumen überschäumen schlafen einschlafen wachen aufwachen, erwachen wehen verwehen Zifonun/Hoffmann/Strecker (1997, 1872) weisen außerdem darauf hin, dass die Präfixe auf-, ein- und er- einen positiven Nachzustand kennzeichnen, die Präfixe ver-, ent- und zerdagegen einen negativen Nachzustand: (16) a. Das Eisen hat geglüht. ‚Železo žhavěl‘ b. Er ist in Liebe erglüht. ‚Vzplanul láskou‘ c. Der Asteroid ist in der Atmosphäre verglüht. ‚Asteroid shořel v atmosféře‘ (17) a. Sie hat geschlafen. b. Sie ist eingeschlafen. c. Sie ist entschlafen. (knižně: ‚zesnula, zemřela‘) Sätze in (a): Zustand oder atelischer (unbegrenzter) Vorgang; Sätze in (b): positiver Nachzustand – die Person ist im (Nach)Zustand des Glühens bzw. Schlafens; Sätze in (c): negativer Nachzustand – durch das Glühen ist der Asteroid verschwunden bzw. die Person ist tot. Das Präfix über- zeigt das Erreichen eines zu intensiven oder das erwünschte Maß übersteigenden Nachzustandes an: PdF MU PS 2014 Handout zur Vorlesung 27. října 2014 NJP_Mor2: Morfologie 2 7 (18) a. Das Bier hat geschäumt. b. Das Bier ist übergeschäumt. Einige Verben (z. B. kühlen, reifen, rosten, trocknen, tropfen) lassen sich auch ohne Markierung durch ein Präfix telisch und atelisch verwenden. Zur Rechtfertigung der telischen Lesart ist u. U. das Anfügen geeigneter Adverbien erforderlich, die die innere Grenze bzw. das Ziel des Vorgangs anzeigen (z. B. das Fensterbrett in Beispiel 19b). (19) a. Der Wasserhahn hat getropft. b. Das Wasser ist auf das Fensterbrett getropft. [Helbig/Buscha 1999, 75] Vgl. auch die Beispiele (1) – (5) im Exkurs, S. 3 f. Zitierte Literatur: Arkad’ev, P. M. (2008): Структура события и семантико-синтаксический интерфейс. Обзор новейших работ, in: Вопросы языкознания, 57, 2008 (2), 107–136. Brinkmann, Hennig (1972): Die deutsche Sprache - Gestalt und Leistung. Düsseldorf: Schwann. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (1999): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Leipzig, Berlin etc.: Langenscheidt/Enzyklopädie. Káňa, Tomáš (2006): Úvod do studia německého jazyka. Struktura předmětu na PdF MU. Brno: Pedagogická fakulta MU. Krifka, Manfred (1989): Nominalreferenz, Zeitkonstitution, Aspekt, Aktion: Eine semantische Erklärung ihrer Interaktion, in: Abraham,, Werner / Janssen, Th. (Hrsg.): Tempus-Aspekt-Modus. Die lexikalischen und grammatischen Formen in den germanischen Sprachen. Tübingen, S. 227–258. Padučeva, Elena Viktorovna (2009): Лексическая аспектуальность и классификация предикатов по Маслову – Вендлеру, in: Вопросы языкознания, 58, 2009 (6), 3–20. Sioupi, Athina (2007): (A)telizität und Progressivität im Deutschen, in: Fries, Chr. / Fries, N. (Hrsg.): Deutsche Grammatik im europäischen Dialog. Krakau/Berlin 2007. http://www2.rz.hu- berlin.de/linguistik/institut/syntax/krakau2006/beitraege/sioupi.pdf Thieroff, Rolf/Vogel, Petra (2008): Flexion. Heidelberg: Winter. Vendler, Zeno (1967): Linguistics in philosophy. Ithaca, New York: Cornell University Press, zit. nach der 2. Aufl. 1968. Welke, Klaus (2002): Deutsche Syntax funktional. Perspektiviertheit syntaktischer Strukturen. Tübingen: Stauffenburg. Zifonun, Gisela/Hoffmann, Ludger/Strecker, Bruno (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Band 3. Berlin, New York: Walter de Gruyter.