PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 16. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 1 Flexionsklassen beim Adjektiv Aus morphologischer Sicht werden „Adjektive“ als Wörter definiert, die deklinierbar und komparierbar sind (zu Problemen mit dieser Definition, s. Thieroff/Vogel 2008: 52–54; zur Komparation s. nächste Vorlesung). 1. Nicht-Flexion von Adjektiven In bestimmten syntaktischen Positionen werden Adjektive jedoch (entgegen der Definition) nicht flektiert: Sie erscheinen in der Stammform (Helbig/Buscha1998: 299; Thieroff/Vogel 2008: 59 f.): in prädikativer Position, Die Kollegin ist nett. / Der Kollege ist nett. / Das Kind ist nett. in adverbialer Position, Sie denkt schnell und präzise. bei Nachstellung in der Nominalgruppe, Hänschen klein, ging allein, in die weite Welt hinein (Kinderlied) Henkell trocken, Forelle blau, Sonne pur, Camel light Memoiren, gefunden in der Badewanne (Stansislaw Lem) bei geographischen Bezeichnungen, die einen Artikeldefekt haben, Ganz Paris träumt von der Liebe (Songtitel); Halb Dänemark ist gegen den Plan.1 als Relikte aus älteren Sprachperioden. In der älteren Belletristik (z. B. bei den deutschen Klassikern) verbreitet; heute vorwiegend in festen Redewendungen: auf gut Glück; sich bei jemandem lieb Kind machen; Gut Ding will Weile haben. Daneben gibt es auch Fälle von Nicht-Flexion, die nicht mit der syntaktischen Position des Adjektivs, sondern mit seiner Wortstruktur zu tun haben: von Städtenamen abgeleitet Adjektive: die Prager Burg; auf der Prager Burg; der Berliner Bürgermeister; mit dem Berliner Bürgermeister; (die) Nürnberger Bratwürste; Vorsicht! Das -er ist hier kein Flexiv, sondern ein Ableitungssuffix: Es bleibt unabhängig von Kasus, Numerus und Genus immer erhalten. phonologische Gründe: Adjektive auf Vollvokale die lila Bluse; der rosa Rock; das pinke Hemd; Bei diesen Adjektiven werden umgangssprachlich häufig flektierbare Formen abgeleitet: das rosane Haus, die lilane Bluse, ein pinkes Hemd (Bsp. Thieroff/Vogel 2008: 59); auch die anderen Kasusformen müssten sich bilden lassen: in einem pinken Hemd (Bedarf an empirischen Studien!) Adjektive mit ungeklärtem Wortart-Status Thieroff/Vogel (2008: 53) führen weitere Beispiele für unflektierbare Adjektive an: ein klasse Auto, ein super Angebot; ein prima Vorschlag; 1 Dies betrifft im Grunde genommen nur Syntagmen mit ganz und halb; in bestimmten Kontexten, in denen der Artikeldefekt behoben wird, tritt auch das Adjektiv in der flektierten Form auf: ganz Europa × das vereinigte Europa. PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 16. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 2 2. Pronominale Flexion beim Adjektiv Wie wir in der letzten Vorlesung gesehen haben, können auch Adjektive die pronominalen Flexive annehmen. Tabelle 1: Pronominale Flexive am Adjektiv Singular Plural Nom.m Nom.n Nom.f Akk.m Dat.m Nom./Akk Dat. Pl Gen. Pl. mährischer mährisches mährische mährischen mährischem mährische mährischen mährischer dieser dieses diese diesen diesem diese diesen dieser der das die den dem die den der er es sie ihn ihm sie ihnen seiner ihrer Das pronominale Flexiv erscheint am Adjektiv immer dann, wenn es nicht bereits vorher in der Artikel-Position der Nominalphrase vorkommt, vgl. (1) – (3) unten. 3. Nominale Flexion beim Adjektiv 3.1. Nominale Flexion und Synkretismen Wenn in der Artikel-Position der Nominalphrase bereits ein pronominales Flexiv enthalten ist, erscheinen am Adjektiv die Flexive -e (für Nominativ Singular, bei Neutra und Feminina auch für Akkusativ Singular) und -en (überall sonst). Man könnte hier (mit Blick auf die Flexion von Substantiven wie Junge) auch von (schwacher) nominaler Flexion2 sprechen. Tabelle 2: Vollständiges System nach Hering/Matussek/Perlmann-Balme (2002: 30) Singular Plural Maskulina Neutra Feminina en Nominativ e e e en Akkusativ en e e en Dativ en en en en Genitiv en en en en Die nominalen Flexive beim Adjektiv enthalten (im Unterschied zu den pronominalen Flexiven) praktisch keine Information zu Genus, Kasus und Numerus. -en kann z. B. Singular oder Plural, Akkusativ oder Dativ, Maskulin oder Feminin sein; -e ist im Nominativ Singular mit allen drei Genera kompatibel. Dementsprechend enthält Tabelle 2 eine große Menge an Synkretismen: -e und -en werden in vielen Feldern wiederholt, obwohl sie die zugehörigen Kategorien nicht eindeutig kennzeichnen. 3.2. Synkretismenfreie Darstellung und Ikonizität Neuere morphologische Darstellungen sind darum bemüht, die (aus morphologischer Sicht) überflüssigen Synkretismen aus der Darstellung zu entfernen. Gleichzeit erhofft man sich, durch die Berücksichtigung der tatsächlich existierenden Formen neue Erkenntnisse über das Funktionieren des Kasus-Systems zu gewinnen. 2 Der Vergleich ist nicht ganz exakt, da im Bereich der Substantive kein Suffix -en für Feminina im Singular existiert. PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 16. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 3 Ein Beispiel ist Eisenberg (2006). Eisenberg führt folgende reduzierte, synkretismenfreie Tabelle an, die gleichzeitig die Informationsarmut der Suffixe -e / -en zeigt: Tabelle 3: Reduziertes System nach Eisenberg (2006: 180): Nach dieser Tabelle markiert -en alle merkmalhaften („ungewöhnlichen“) Formen, d. h. die obliquen (indirekten) Kasus Dativ und Genitiv und alle Pluralformen; -e zeigt den „Normalfall“ (die unmarkierte bzw. merkmallose Form) an, d. h. Nominativ und Akkusativ im Singular (vgl. auch Bierwisch 1975). → Ikonizitätsprinzip: phonologisch unmarkierte Formen sind unmarkierten Kategorien zugeordnet Das -en im Akkusativ der Maskulina verletzt allerdings diese allgemeine Regel. 3.3. Alternative Funktion der nominalen Flexion Eisenberg (2006: 180) beobachtet, dass -e immer dann erscheint, wenn am Artikelwort das Genus erkennbar ist. Das ist besonders dann wichtig, wenn es sonst zu Homonymien kommen würde.-e könnte also die Funktion ‚Vorsicht! Artikel = Genusmarker‘ haben. der neue Leiter → der zeigt das Genus an: Maskulinum, tsch. ‚vedoucí‘; der neuen Leiter → der zeigt das Genus nicht an: es kann sich daher nicht um Nom. Sg. handeln;3 Thieroff/Vogel (2008: 59) zeigen auf dieser Grundlage, wie der Kontrast e × en auch weitere Fälle unterscheidet, die sonst homonym wären, z. B.: dieser Alte (Maskulin, Nom.) × dieser Alten (Femininum, Dat./Gen.; Plural Gen.) dieses Alte (Neutrum, Nom./Akk.) × dieses Alten (Maskulinum/Neutrum, Gen.) 4. Haben Adjektive Flexionsklassen? Die Auswahl von pronominalen oder nominalen Flexiv richtet sich danach, ob in der ArtikelPosition ein pronominales Flexiv vorkommt oder nicht: (1) mährischer Wein – mährischen Wein – mährischem Wein … (2) kein mährischer Wein – keinen mährischen Wein – keinem mährischen Wein … (3) der mährische Wein – den mährischen Wein – dem mährischen Wein … 4.1. Traditionelle Analyse Die traditionelle Morphologie betrachtet das Adjektiv isoliert und stellt daher aus (1) – (3) drei verschiedene Paradigmen zusammen. 3 Die weiteren Möglichkeiten (Gen. Pl. ‚vedoucí‘; Dat./Gen. Sg. žebřík‘) können allerdings nur aus dem Kontext erschlossen werden. – Plural – e en Oblique Kasus en en PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 16. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 4 starke Flexion gemischte Flexion schwache Flexion mährischer mährischer mährische mährischen mährischen mährischen mährischem mährischen mährischen mährischen mährischen mährischen mährische mährischen mährischen mährische mährischen mährischen mährischen mährischen mährischen mährischer mährischen mährischen Wein Weines Hemd Hemdes Junge Jungen Weine Hemden Jungen Die Paradigmen weisen nun scheinbar große Ähnlichkeit mit den Paradigmen der Substantive auf und lassen sich daher ebenfalls in eine starke, schwache und gemischte Deklination einteilen. 4.2. Kritik an der traditionellen Analyse (a) Substantiv gehören gewöhnlich nur einer Flexionsklasse an (z. B. Wein „stark“, Hemd „gemischt“, Junge „schwach“); jedes Adjektiv kann dagegen (je nach Position) „stark“, „schwach“ und „gemischt“ dekliniert werden. → „Flexionsklassen“ beim Adjektiv sind etwas Anderes als Flexionsklassen beim Substantiv (b) Die traditionelle Analyse vernachlässigt, dass die Wahl des Flexivs von der syntaktischen Umgebung abhängt, in der das Adjektiv vorkommt. → gehört in die Syntax 4.3. Alternative Analyse: Syntaktische Transformation Die pronominalen Flexive werden aus der Artikel-Position auf die Adjektive übertragen → „Kasus-Signale“ (Hering/Matussek/Perlmann-Balme 2002: 30).4 [der [bunte [Ball]]] [ein-er [bunt- [Ball]]] → [ein …. [bunter [Ball]]] [Ø er [mährisch- [Wein]]] → [Ø [mährischer [Wein]]] Zitierte Literatur: Bierwisch, Manfred (1975): Syntaktische Merkmale in der Morphologie: generelle Probleme der sogenannten pronominalen Flexion im Deutschen, in: Kiefer, Ferenc (Hrsg.): Morphologie und generative Grammatik. Frankfurt am Main: Athenaion, 1–55. Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort. 3. Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (1998): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 18. Aufl. Leipzig, Berlin etc.: Langenscheidt/Verlag Enzyklopädie. Hering, Axel / Matussek, Magdalena / Perlmann-Balme, Michaela (2002): em-Übungsgrammatik. Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber. Thieroff, Rolf / Vogel, Petra M. (2008): Flexion. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. 4 Eine wissenschaftlich exakte Formulierung der Regel findet sich z. B. bei Bierwisch (1975: 29): W [NP – X – [+Adj] – Y] Z → W [NP – X – [+Det, +Adj] – Y] Z / X ≠ [+Det, –Adj]. Die Regel überträgt die grammatischen Merkmale der Determinantien auf die Adjektiv-Position.