PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 2. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 1 Substantiv (II): Kasus und Flexionsklassen 1. Kasus-Morphologie beim Substantiv Der Kasus wird im heutigen Deutschen nur noch in Relikten am Substantiv markiert; die Markierung übernimmt heute in den meisten Fällen ein Begleitwort (Determinans), das vor dem Substantiv steht (z. B. Artikel, Possessivum oder Demonstrativum). Am Substantiv wird markiert (vgl. z. B. Thieroff/Vogel 2008, 42 f.): - Genitiv Singular bei Maskuklina und Neutra: -(e)s: der Henkel des Eimers, der Höhepunkt des Abends, der Rahmen des Bild(e)s, die Pointe des Witzes; - Alle Kasus außer Nominativ Singular bei vielen belebten Maskulina (bei allen belebten Maskulina auf -e) und Maskulina mit lateinisch-griechischen Suffixen wie z. B. -ent (Student), -ant (Hydrant), -at (Automat), -et (Planet), -ist (Polizist); -(e)n: die Spielsachen des Jungen, die die Haut des Bären, für den Menschen (Singular!), am Automaten; - Dativ Plural, wenn die Wortform nicht bereits auf -n oder auf -s oder Vollvokal auslautet; -n: bei den Schülern, mit den Plänen, mit den Kindern; × vor den Autos, in den Paradigmata, mit den Zeichen; Bei Eigennamen oder als Eigennamen verwendeten Verwandtschaftsbezeichnungen in der Position des Determinans (vor dem Substantiv) erscheint der Marker –s, ohne Rücksicht auf das Genus: Peters Heft, Annas Schreibtisch, Mutters Verwandtschaft Die Kasus-Markierung ist in manchen Fällen aber nicht mehr stabil: - Bei belebten Maskulina, die nicht auf -e ausgehen, fehlt häufig das -en (Thieroff/Vogel 2008: 46): Siehst du den Bär dort? - Bei Eigennamen fehlt häufig der Genitiv-Singular-Marker: die Leiden des jungen Werther, die Verfassung des wiedervereinigten Deutschland 2. Was sind „Flexionsklassen“? Flexionsklassen sind Gruppen von Wörtern, die dieselbe Flexion (hier: Deklination) aufweisen. Flexionsklassen entstehen immer dann, wenn für ein und dasselbe morphologische Merkmal mehrere unterschiedliche Marker vorhanden sind („Allomorphie“), wobei die Auswahl des Markers keine erkennbaren Gründe haben darf, die nichts mit Morphologie zu tun haben (keine außermorphologische Motivation), vgl. Nübling (2008). Beispiel: Die Auswahl von -en oder -n für die Pluralmarkierung richtet sich nach phonologischen Kriterien (die Insel → die Inseln × die Last → die Lasten). Der Pluralmarker enthält keinen Schwa-Vokal, wenn der Wortstamm auf eine Schwa-Silbe (z. B. -el, -er oder andere wie Abend) ausgeht. Die Auswahl zwischen -e oder -en ist also als außermorphologisch (nämlich phonologisch) motiviert und man ordnet Insel und Last nicht zwei verschiedenen Flexionsklassen zu. PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 2. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 2 3. Traditionelle Flexionsklassen für die deutsche Substantivdeklination 3.1. „Starke“ und „schwache“ Substantive Die Unterscheidung von „starker“ und „schwacher“ Deklination geht auf Jacob Grimm (1819) zurück. Bei Grimm (zit. nach 1822: 597) heißt es: Noch bleibt einer durch die gesammte deutsche zunge waltenden unterscheidung zwischen starker und schwacher flexion zu erwähnen. Erstere ist die ältere und (innerlich) einfachere; die schwache scheint durch einschaltung eines zur declination anfangs unwesentlichen bildungs-n entstanden, zeigt sich dem zufolge niemahls an reinen wurzeln. Die trad. Klassifizierung für das heutige Deutsche richtet sich nach Genitiv Singular und Nominativ Plural (vgl. z. B. Hentschel/Weydt 1990: 139): stark = -(e)s / nicht -(e)n (Tages / Tage) schwach = -(e)n / -(e)n (Hasen / Hasen) → gemischt = -(e)s (stark) / -(e)n (schwach) (Staates / Staaten) Diese beiden Formen werden auch Kennformen genannt und sind in den gängigen Wörterbüchern angegeben, z. B. im Rechtschreib-Duden (Drosdowski et al. 1996: 728): Tag, der; -(e)s, -e. Alle anderen Formen ergeben sich automatisch aus diesen beiden Kennformen. Starke Klasse Gemischte Klasse Schwache Klasse Nominativ der Tag der Fleck der Mensch Akkusativ den Tag den Fleck den Menschen Dativ dem Tag(e) dem Fleck(e) dem Menschen Genitiv des Tag(e)s des Flecks des Menschen Nominativ die Tage die Flecken die Menschen Akkusativ die Tage die Flecken die Menschen Dativ den Tagen den Flecken den Menschen Genitiv der Tage der Flecken der Menschen Genauso: das Jahr das Ende – 3.2. Kritik a) Feminina (Frau / Frauen) lassen sich nicht unterbringen, da -Ø im Singular nicht berücksichtigt wird. Thieroff/Vogel (2008) setzen daher für Feminina eine eigene Deklinationsklasse an. Auch für -s setzen sie eine eigene Flexionsklasse an und erhalten dadurch 5 Klasse, vgl. nächste Seite. Auch andere Lösungen sind möglich. Nübling (2008, 283) und die Duden-Grammatik (2009, § 343) benutzen z. B. folgende abgeänderte Definition der trad. Klassen: stark = nicht auf -(e)n / nicht -(e)n (Tages / Tage) schwach = -(e)n / -(e)n (Hasen / Hasen) gemischt = nicht -(e)n / -(e)n (schwach) (Staates / Staaten; Frau / Frauen) Frau wäre dann „gemischt; das ist eine sehr „untraditionelle“ Folge der Neudefinition. PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 2. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 3 Substantiv-Flexionsklassen nach Thieroff/Vogel (2008, 44 f.): Klasse 1 nicht-fem., stark Klasse 2 nicht-fem., gemischt Klasse 3 mask. schwach Klasse 4 nicht-fem., -s Klasse 5 fem. Nom. Sg. die Tage der Staat der Mensch der Uhu die Frau Akk. Sg. die Tag den Staat den Menschen den Uhu die Frau Gen. Sg. den Tagen des Staats des Menschen des Uhus der Frau Nam.Pl. der Tage die Staaten die Menschen die Uhus die Frauen Selbe Klasse: der Mann der Doktor der Junge das Auto die Hand das Kind das Bett der Affe b) Zu grobmaschig: Die Information „Substantiv X gehört in die starke Klasse“ erlaubt nicht, die Formen richtig abzuleiten, da „starke“ Substantive im Plural verschiedene Marker (±Umlaut, -e, -er, -Ø, -s) haben können. (Grimm selbst unterscheidet innerhalb der Makroparadigmen1 „stark“ und „schwach“ weitere Unterklassen.) Für den Fremdsprachenunterricht ist die Einteilung stark – schwach – gemischt daher nicht geeignet! 4. Detaillierte Klassifizierung nach Oberflächenmarkern Nübling (2008) diskutiert eine oberflächennahe Klassifizierung, die die wesentlichen Prinzipien der Flexionsklassenzuweisung erkennen lässt. Flexionsklassen des Neuhochdeutschen nach Nübling (2008: 298), Klassen 12/13 nach Wurzel (1984: 210) Nr. Marker / Genus Feminina Maskulina Neutra 1 -(e)n / -(e)n Kunde, Mensch 2 -s / -en Staat, Fleck Auge, Hemd 3 -Ø / -(e)n Blume, Frau 4 -Ø / +UL -e Stadt, Kunst 5 -(e)s / +UL -e Gast, Hahn (Floß) 6 -(e)s / –UL -e Tag, Hund Jahr, Boot 7 -(e)s / +UL -er Mann, Wald Kalb, Haus 8 -s / +UL -Ø Mutter, Tochter Schaden, Boden (Kloster) 9 -s / –UL -Ø Brunnen, Lehrer Kissen, Ufer 10 -s / -s Opa, Zoo Klo, Konto 11 -Ø / -s Oma, Pizza 12 -s / +Trunkation -en Globus Museum 13 -Ø / +Trunkation -en Firma Die Tabelle zeigt die Verteilung der Genera auf die Klassen und einige weitere Besonderheiten, die die Klassenzugehörigkeit von Substantiven teilweise prognostizierbar machen (z. B. den Umlaut). 1 Der Begriff „Makroparadigma“ stammt von Carstairs (1987). PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 2. 3. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 4 Außerdem sind in der Tabelle offene Klassen (hell) und geschlossene Klassen (dunkel) erkennbar: Nur die offenen Klassen sind im heutigen System des Deutschen noch aktiv. Geschlossene Klassen sind Relikte, die keine Neubildungen mehr aufnehmen und auch kleiner sind als die offenen Klassen. Zitierte Literatur: Carstairs, Andrew (1987): Allomorphy in inflexion. London, New York, Sydney: Croom Helm. Drosdowski, Günther et al. (1996): Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache. 21. Aufl. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag. Duden-Grammatik (2009): Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Hrsg. von Kunkel-Razum, Kathrin/Münzberg, Franziska. 8. Aufl. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag. Grimm, Jacob (1819): Deutsche Grammatik. Göttingen: Dieterich. 2. Aufl. 1822. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (1998): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 18. Aufl. Leipzig, Berlin etc.: Langenscheidt/Verlag Enzyklopädie. Hentschel, Elke/Weydt, Harald (1990): Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin, New York: Walter de Gruyter. Nübling, Damaris (2008): Was tun mit Flexionsklassen? Deklinationsklassen und ihr Wandel im Deutschen und seinen Dialekten, in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, 75, 2008 (3), 282-330. Thieroff, Rolf / Vogel, Petra M. (2008): Flexion. Heidelberg: Universitätsverlag Winter. Wurzel, Wolfgang Ullrich (1984): Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Berlin: Akademie- Verlag.