Kompetenzbereich Leseverstehen Noch vor wenigen Jahren konzentrierte sich Leseverstehen auf das Erfassen kohärenter, handschriftlich verfasster oder gedruckter Texte. Durch den zunehmenden Gebrauch elektronischer Medien (insbesondere Internet, E-Mail, SMS, Kommunikationsplattformen, soziale Netzwerke) und die damit einhergehende Ausdifferenzierung von Textsorten (z. B. diskontinuierliche Texte, Hypertexte) sowie Schreibstilen (z. B. Gebrauch von Formen des Mündlichen in schriftlichen Texten wie Chats oder Blogs) ist eine deutlich größere Vielfalt entstanden. Das zentrale Ziel der Förderung schulischen Leseverstehens besteht in der Befähigung der SuS zur gezielten Auswahl und flexiblen Anwendung eines der Textsorte, des Leseinteresses bzw. Leseziels und der Umstände angemessenen Lesestils sowie entsprechender Strategien. Lesen ist eine hoch komplexe, interaktive und kreative Tätigkeit, bei der aus dem Zusammenspiel von Textinformationen und Lesererwartungen Bedeutung entsteht. Sie besteht aus mehreren, parallel verlaufenden Phasen, bei denen Bottom-Up-Prozesse (Analyseprozesse der sprachlichen Zeichen und ihrer graphischen Anordnung) und Top-Down-Prozesse (Einbringen von Wissen und Erwartungen) zusammenspielen. Gute Leser sind in der Lage, ein der Textsorte und dem Lesestil angepasstes Maß an Erwartung/Voraussage und Überprüfung einzusetzen. Dazu ist es u. U. notwendig, dass sie bereits dekodierte Passagen erneut lesen und ihre Vorstellung von der Bedeutung korrigieren. Fremdsprachliches Lesen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von muttersprachlichem. Typisch ist jedoch eine verminderte Leseflüssigkeit, die insbesondere durch eingeschränkte Wortschatzkenntnisse und geringeres Hintergrundwissen verursacht wird. Außerdem werden die muttersprachlichen Lesefertigkeiten nicht automatisch auf die Fremdsprache übertragen. Für die Schulung fremdsprachlichen Lesens sind daher intensive Wortschatzarbeit, das Einüben von Lesestrategien und das Automatisieren von Grundfertigkeiten wichtig. Lesestile Die Tabelle „Terminologie der didaktischen Kommentare“ stellt die in VERA-8 verwendeten Formen und Bezeichnungen für das Lese- und Hörverstehen zusammen. Terminologie der didaktischen Kommentare Hör-/ Lesestil Fokus des Hör/ Leseverstehens Art der Information Aufgabenbeispiel global Thema Kernaussage explizit/ implizit Worum geht es im Text? Welche Überschrift passt am besten? selektiv spezifische Informationen explizit Wann beginnt die Vorstellung? detailliert/ inferierend Hauptaussagen explizit/ implizit Welche Zwischenüberschriften passen? Nebenaussagen Welches Bsp. belegt das Argument? Handlungsverlauf Was ist die richtige Reihenfolge? Ursachen/ Folgen Wie ist es zu dem Unfall gekommen? Eigenschaften von Personen/ Objekten Welche Adjektive beschreiben …? Handlungsziele Warum hat …?   Emotionen/ Stimmungen Was empfindet …? Meinungen/ Haltungen Welche Meinung vertritt der Verfasser? inferierend eigen-/ fremdkulturelle Aspekte implizit Worin zeigt sich der Einfluss …? Textintentionen Was will der Verfasser erreichen? Textmerkmale Was bewirkt …? Dabei ist zu beachten, dass die Kategorien nicht trennscharf sein können, sondern je nach konkretem Text und konkreter Aufgabe variieren. So kann für das Erkennen der Eigenschaften von Personen detailliertes Lesen ausreichen, wenn lediglich explizit gegebene Informationen aufgenommen werden müssen. Es kann jedoch auch inferierendes Lesen erfordern, wenn Schlussfolgerungen z. B. aus der Beschreibung der Personen selbst bzw. der Art ihrer Beschreibung oder aus spezifischen Reaktionen der Personen gezogen werden müssen. Globales Leseverstehen Globales Leseverstehen wird immer dann angewendet, wenn man sich einen Eindruck von einem Text in Bezug auf Thema, Inhalt oder Kernaussage verschaffen möchte. Je nach Text und konkreter Aufgabenstellung müssen für diesen Lesestil sowohl die zentralen expliziten Textinformationen identifiziert und verstanden als auch die wichtigsten Zusammenhänge erkannt werden. Der Fokus der Aufmerksamkeit kann dabei variieren. Selektives Leseverstehen Einen selektiven Lesestil wählt man, wenn man einem Text lediglich einzelne, spezifische Informationen entnehmen möchte (z. B. Zeit- oder Mengenangaben, Personen- oder Ortsnamen). Dafür ist es nicht notwendig, den Text global verstanden zu haben. Je nach Umfang der zu suchenden Informationen und ihrer Platzierung im Text kann das selektive Leseverstehen in detailliertes Leseverstehen übergehen. Dabei sollten alle Informationen ignoriert werden, die für die Aufgabe irrelevant sind, und die für den Leser in dieser Situation wichtigen spezifischen Informationen bestimmen (z. B. Daten, Preise, Orte). Detailliertes Leseverstehen Den Lesestil „detailliertes Leseverstehen“ wendet man an, wenn man etwas ganz genau wissen möchte. Das dafür notwendige Erkennen und Verstehen relevanter Textdetails kann die Hauptpunkte bzw. Hauptaussagen einzelner Textpassagen betreffen, den detaillierten Handlungsverlauf einschließlich Ursachen und Folgen oder die im Text vorkommenden Personen und Objekte. Darüber hinaus können auch Handlungsziele dieser Personen, ihre Emotionen/Stimmungen sowie ihre zum Ausdruck kommenden Meinungen und Haltungen Ziel des detaillierten Lesens sein. Dabei müssen teilweise implizit im Text gegebene Hinweise erkannt und Schlussfolgerungen gezogen werden, was inferierendes Lesen erfordert. Folgende Strategien können bei der Bewältigung verschiedener Leseaufgaben hilfreich sein: Strategien zum Leseverstehen  textexterne/paratextuelle Hinweise nutzen  visuelle Elemente des Textes/ der Aufgabenstellung als Verstehenshilfe nutzen  Überschriften, Textstruktur zur Bestimmung der Textsorte nutzen  Textsortenkenntnisse aus der Muttersprache und anderen Sprachen anwenden  inhaltsbezogene Informationen, die vor dem Beginn des Lesens bekannt sind, nutzen  Wissen über die Textsorte zum Aufbau einer Leseerwartung nutzen  Vorwissen über das Thema/ die Situation zum Aufbau einer Leseerwartung nutzen Strategien während des Lesens – allgemein  Skimming-/ Scanning-Techniken anwenden  Schlüsselbegriffe/ Kernsätze finden  Schlüsselwörter/ Nebeninformationen identifizieren/ markieren bzw. Wichtiges von Unwichtigem trennen  Konzentration auf Schlüsselwörter  Überschriften/ Textstruktur zur Texterschließung nutzen  komplizierte Satzstrukturen auf den Kerngehalt reduzieren  Funktionen von Sätzen erkennen  visuelle Elemente des Textes als Verstehenshilfe nutzen (u. a. Anordnung, Großbuchstaben, Illustrationen)  Analogieschlüsse und Vergleiche zur Muttersprache und zu anderen Fremdsprachen ziehen Strategien während des Lesens – Wörter erkennen  Fokus auf Wortfelder (Oberbegriffe, Synonyme) zu Begriffen aus der Überschrift/ Aufgabenstellung  Bedeutung unbekannter Wörter aus dem Kontext erschließen  Bedeutung unbekannter Wörter durch Ableiten erschließen/ Wortbildungskenntnisse anwenden Strategien nach dem Lesen des Textes  Kombination relevanter Einzelinformationen, um einzelne Distraktoren auszuschließen  gezieltes Wieder-Aufsuchen von für die Lösung relevanten Textstellen Materialien zur Entwicklung des Leseverstehens Entwicklung eines Lesezeichens mit Tipps zum Leseverstehen Aufgabe: Beschrifte das Lesezeichen mit Tipps, die dir helfen, Aufgaben zum Leseverstehen zu bearbeiten. Überlege, was vor, beim und nach dem Lesen wichtig ist. Vergleiche und ergänze deine Notizen mit einem Partner.   Mögliche Lösung: Zur Unterstützung kann die Tabelle unten kopiert werden. Die Leitfragen darunter können genutzt werden, um im UG die Schülerprodukte zu ergänzen. Das folgende Beispiel illustriert das mögliche Ergebnis: Meine Tipps zum Leseverstehen Vor dem Lesen: ________________________________ ________________________________ ________________________________ ________________________________ ________________________________ ________________________________ ________________________________ ________________________________ ________________________________ Beim Lesen: ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ Wenn ich etwas nicht verstehe: ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ ___________________________________ Nach dem Lesen: ___________________________________ ___________________________________ ________________________________ Meine Tipps zum Leseverstehen Vor dem Lesen: Ich lese die Überschrift und Aufgabe und markiere die wichtigen Wörter. Ich überprüfe, ob mir durch das Layout und/oder Illustrationen zusätzliche Informationen gegeben werden. Ich überlege,  - was es für eine Textsorte ist, - was ich von solch einem Text erwarte, - ob ich den Text vollständig verstehen muss oder ich mich nur auf einzelne Textteile konzentrieren kann. Beim Lesen: Ich verschaffe mir einen ersten Überblick über den Text.   Ich konzentriere mich auf die für die Antwort wesentlichen Textstellen. Ich konzentriere mich auf Wörter der Aufgabe und Sätze mit Wörtern des gleichen Wortfeldes, Ober- / Unterbegriffen oder Synonymen. Ich markiere wichtige Wörter und Textstellen. Wenn ich etwas nicht verstehe: Ich überlege, - was ein mir unbekanntes Wort in dem Zusammenhang bedeuten könnte, - welches Wort meiner Muttersprache dem Wort ähnelt, - wovon es abgeleitet sein könnte. Ich lese weiter, bis ich wieder auf eine Stelle stoße, die ich  verstehe.  Nach dem Lesen: Ich prüfe meine Antwort, indem ich sie nochmals mit dem Text abgleiche. Eventuell kombiniere ich einzelne Informationen, um die richtige Lösung zu finden.   Ergänzende Kopiervorlage zur Unterstützung der Gruppenarbeit Wie bearbeite ich Aufgaben zu Lesetexten? In der Tabelle findest du einige Stichpunkte, die du nutzen kannst, um deine Lesetipps zu formulieren. Worauf muss ich achten? Was kann ich tun? Aufgabenstellung Textsorte Überschrift(en) Thema Textaufbau wichtige Wörter/ Textstellen Synonyme Unter-/ Oberbegriffe Wortfelder Zusammenhänge Hintergrundinformationen unterstreichen erwarten suchen überfliegen genau lesen konzentrieren überlegen ableiten kombinieren prüfen vergleichen Leitfragen zur Ergänzung der Schülerprodukte im Unterrichtsgespräch Fragen zum Vorgehen vor dem Lesen:  Wie löst ihr die Aufgabe?  Was lest ihr zuerst? Warum?  Wo findet ihr Hinweise darauf, worum es in einem Text gehen könnte?  Wie erkennt ihr, um was für einen Text es sich handeln könnte? Fragen zum Vorgehen beim Lesen:  Auf welche Textstellen/ Wörter achtet ihr besonders?  Wie markiert ihr diese?  Wie findet ihr die für die Aufgaben wichtigen Textstellen?  Welche Beziehungen zwischen ähnlichen Wörtern kennt ihr?  Wie erkennt ihr, wer/was mit dem Text erreicht werden soll? Fragen zum Umgang mit Verständnisproblemen:  Was macht ihr, wenn ihr etwas nicht versteht?  Wie könnt ihr die Bedeutung eines Wortes herausbekommen (z. B. reaction oder to encourage? Fragen zum Vorgehen nach dem Lesen:  Wie könnt ihr eure Antwort überprüfen? Alternatives Vorgehen Die Tipps zum Leseverstehen können auch in Arbeitsgruppen auf Lernplakaten festgehalten werden. Diese können dann im Klassenraum aufgehängt werden. Außerdem könnten Checklisten entwickelt werden, bei denen die SuS dann abhaken können, welche Strategien sie berücksichtigt haben. Aus: IQB (Hg.), Vergleichsarbeiten 2014, 8. Jahrgangsstufe (VERA-8), Englisch – Didaktische Handreichung, Modul B, S. 26-28 und S. 41-43 (leicht verändert)