WelWwFrau THEMENSCHWERPUNKT Aufbruch in ein neues Der Zukunfts- und Freizeitforscher Peter Zellmann über die DIY-Bewegung als Ausdruck einer neuen Realität, mehr Zeit zum Leben und das Selbermachen als Wertschöpfung. INTERVIEW: JuliaKospach Internet-Handelsplattformen für Selbstgemachtes boomen, Urbane Strick- und Näh-Cafes schießen wie Pilze aus dem Boden, Handwerkskurse haben regen Zulauf. Woher kommt diese Zuwendung zur Arbeit mit den eigenen Händen? Peter Zellmann: Darin drückt sich eine allgemeine Freizeitorientierung aus. Die Freizeit wird viel ernster genommen als früher, und zwar nicht als hedonistische, leistungsverweigernde Gaudi-Gesellschaft. Nein: Dieser Lebensbereich hat Selbstzweck erlangt -wir sind darin aktiv und kreativ. Viele suchen dort ihren Lebenssinn. Ist das ein kurzfristiger Trend? Nein, es ist ein Paradigmenwechsel. Die Menschen arbeiten durchaus gerne, aber sie leben nicht mehr in erster Linie, um zu arbeiten. Die Leistung verlagert sich zusehends in das, was man früher Freizeit nannte. Beruf, Familie und Freizeit gehen immer mehr ineinander über. Es findet eine Harmonisierung der Lebensstile statt. Für welche Art von Sehnsucht steht das Selbermachen? Die Leute konsumieren nicht passiv, sondern schaffen etwas - für andere und für sich selbst. Da entstehen viele Produkte, die man brauchen kann, und ein ungeheuer großes, neues Leistungspotenzial. Wir können es nur noch nicht ins Bruttoinlandsprodukt einrechnen. Statt „Zeit ist Geld" sieht Peter Zellmann die neue Maxime „Zeit zum Leben". Ist es ein Rückzug aus der Realität? Es ist eben kein Rückzug, es ist eine neue Realität. Die Menschen zeigen durch ihren neuen Lebensstil das Ende der Industriegesellschaft auf. Burnout, Überforderung, Selbstausbeutung, Stress - der/die Einzelne kapiert endlich: Ich habe die Möglichkeit, mich zu wehren. Das drückt sich auch in der DIY-Bewegung aus, wo man selber etwas macht. Klassische Ökonominnen haben Angst davor, weil die Leute dadurch eventuell weniger konsumieren. Es handelt sich um einen Aufbruch in ein neues Morgen. Die Politik muss erst nachlernen, was die Menschen - vor allem die, die unter 40 sind - heute schon leben. Welche Werte stehen im Vordergrund? „Zeit ist Geld" war lange die Maxime. Jetzt geht es um Zeit zum Leben. Das drückt sich wie gesagt auch im Selber- machen aus. Es geht dabei um Werte wie Nachhaltigkeit, Lebensglück, Emotionalität und Ökologie. Diese Werte haben eindeutig aufgeholt. Wir wollen uns vom Materiellen zunehmend unabhängig machen. Die dadurch gewonnene Lebenszeit verwenden wir für uns. Es ist eine Art Widerstand gegen die Arbeit als einzig sinnstiftendes Zentrum des Lebens. Können Do-it-yourself, Selberkochen, die Sehnsucht nach Landleben, der Gartenboom etc. als Phänomene einer einzigen Umwälzung gelesen werden? Man kommt auf einen gemeinsamen Antwortkatalog. Es ist der Aufbruch in die personenbezogene Dienstleistungsgesellschaft. Zu entdecken, wie gut der Dienst an uns selbst und an anderen tut, wird zwangsläufig auch die Arbeitswelt verändern. Die Dienstleistungen, die derzeit noch zu wenig geschätzt werden - wie Altenpflege, Krankenpflege, Sozialdienste, Kindergartenpädagogik - werden viel höher geschätzt werden. Da wird viel gesellschaftlicher (Mehr-)Wert entstehen. Ist diese Entwicklung unaufhaltbar? Wir sind nahe dran, aber eines ist noch nicht klar: Ob uns die rahmengestaltende Politik die Möglichkeiten dazu eröffnen wird? Denn die Politik muss erst lernen, zu sagen: Die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. * 52 0112013