Texte 4 199 i, fragte ihn, wie die ssen Blicken, umsah, puk seine Richtigkeit in, bevor er die Sache tblütigen Prüfung zu e mitgenommen hat-gespensterartige Ge-; es wolle, los zu wer-rart ihres Dieners zu lüge Ursache, die sich n Tages, da beide, um ;r die Treppe zu dem ;n man von der Kette .e, ohne sich bestimmt :ich selbst noch etwas ; Zimmer nahmen. Das n, der Marchese Degen zen sich gegen eilf Uhr, i gut sie vermögen, zu immengekauert, in der jnblick der Mitternacht, kein Mensch mit Augen man hört das Stroh, das seht der Hund, hebt sich nd und bellend, grad als den Ofen weicht er aus. n, aus dem Zimmer; und t, und da ihm niemand Luft durchhaut, lässt sie ahren. Aber ehe sie noch asselt, sieht sie schon das Entsetzen überreizt, hatte t wie es war, an allen vier ;ie Leute hinein, den Un-ereits umgekommen, und seine weißen Gebeine in >n Locarno hatte aufstehen icarno. Der Findling. Erzählungen. Text 2 Eugen Rüge (geb. 1954), In Zeiten des abnehmenden Lichts. Roman einer Familie (erschienen 2012, Ausschnitt) Alexander Umnitzer hat vor Kurzem von seiner unheilbaren Krebserkrankung erfahren. Aus dem Krankenhaus zurückgekehrt, macht er sich zu seinem schwer dementen Vater auf, den er vier Wochen nicht mehr gesehen hat. Der Ausschnitt ist der Beginn des ersten Kapitels. i 2001 Zwei Tage lang hatte er wie tot auf seinem Büffelledersofa gelegen. Dann stand er auf, duschte ausgiebig, um auch den letzten Partikel Krankenhausluft von sich abzuwaschen, und fuhr nach Neuendorf. 5 Er fuhr die A115, wie immer. Schaute hinaus in die Welt. Prüfte, ob sie sich verändert hatte. Und - hatte sie? Die Autos kamen ihm sauberer vor. Sauberer? Irgendwie bunter. Idiotischer. Der Himmel war blau, was sonst. Der Herbst hatte sich eingeschlichen, hinterrücks. Tupfte kleine gelbe Markierungen io in die Bäume. Es war inzwischen September geworden. Und wenn er am Samstag entlassen worden war, musste heut Dienstag sein. Das Datum hatte er während der letzten Tage verloren. Neuendorf besaß neuerdings eine eigene Autobahnabfahrt - „neuerdings" hieß für Alexander immer noch: nach der Wende. Man kam direkt auf die Thälmannstraße (hieß 15 immer noch so). Die Straße war glatt asphaltiert, rote Fahrradstreifen zu beiden Seiten. Frisch renovierte Häuser, wärmegedämmt nach irgendeiner EU-Norm. Neubauten, die aussahen wie Schwimmhallen: Stadtvillen nannte man das. Aber man brauchte nur einmal links abzubiegen und ein paar hundert Meter dem krummen Steinweg zu folgen, dann noch einmal links - hier schien die Zeit stillzuste-20 hen: eine schmale Straße mit Linden. Kopfsteingepflasterte Bürgersteige, von Wurzeln verbeult. Morsche Zäune und Feuerwanzen. Tief in den Gärten, hinter hohem Gras, die toten Fenster von Villen, über deren RückÜbertragung in fernen Anwaltskanzleien gestritten wurde. Eins der wenigen Häuser hier, die noch bewohnt waren: Am Fuchsbau sieben. Moos 25 auf dem Dach. Risse in der Fassade. Die Holunderbüsche berührten schon die Veranda. Und der Apfelbaum, den Kurt immer eigenhändig beschnitten hatte, wuchs kreuz und quer in den Himmel, ein einziges Gewirr. Das „Essen auf Rädern" stand schon in der ISO-Verpackung auf dem Zaunpfeiler. Dienstag, fand er auf der Packung bestätigt. Alexander nahm die Packung und ging 30 hinein. Obwohl er einen Schlüssel hatte, klingelte er. Testen, ob Kurt aufmachte - sinnlos. Ohnehin wusste er, dass Kurt nicht aufmachen würde. Aber dann hörte er das vertraute Quietschen der Flurtür, und als er durch das Fensterchen schaute, erschien Kurt - wie ein Geist - im Halbdunkel des Vorraums. 35 - Mach auf, rief Alexander. Kurt kam näher, glotzte. - Mach auf! Aber Kurt rührte sich nicht. 200 / Texte Alexander schloss auf, umarmte seinen Vater, obwohl ihm die Umarmung seit lan-40 gern unangenehm war. Kurt roch. Es war der Geruch des Alters. Er saß tief in den Zellen. Kurt roch auch gewaschen und zähnegeputzt. - Erkennst du mich, fragte Alexander. - Ja, sagte Kurt. 45 Sein Mund war mit Pflaumenmus verschmiert, der Morgendienst hatte es wieder mal eilig gehabt. Seine Strickjacke war schief geknöpft, er trug nur einen Hausschuh. Alexander machte Kurts Essen warm. Mikrowelle, Sicherung einschalten. Kurt stand interessiert daneben. - Hast du Hunger, fragte Alexander, so - Ja, sagte Kurt. - Du hast immer Hunger. - Ja, sagte Kurt. Es gab Gulasch mit Rotkohl (seit Kurt sich an einem Stück Rindfleisch einmal fast tödlich verschluckt hatte, wurde nur noch Kleinteiliges bestellt). Alexander brühte sich 55 einen Kaffee. Dann nahm er Kurts Gulasch aus der Mikrowelle, stellte es auf die Igelit1 -Decke. - Guten Appetit, sagte er. - Ja, sagte Kurt. Begann zu essen. Eine Weile war nur Kurts konzentriertes Schniefen zu hören. 60 Alexander nippte an seinem noch viel zu heißen Kaffee. Sah zu, wie Kurt aß. - Du hast die Gabel falsch herum, sagte er nach einer Weile. Kurt hielt einen Augenblick inne, schien nachzudenken. Aß dann aber weiter: Versuchte, das Stück Gulasch mit dem Gabelstiel auf die Messerspitze zu schieben. - Du hast die Gabel falsch herum, wiederholte Alexander. es Er sprach ohne Betonung, ohne mahnenden Unterton, um die Wirkung der reinen Begriffe auf Kurt zu testen. Keine Wirkung. Null. Was ging in diesem Kopf vor? In diesem immer noch durch einen Schädel von der Welt abgegrenzten Raum, der immer noch irgendeine Art Ich enthielt. Was fühlte, was dachte Kurt, wenn er im Zimmer umhertapste? Wenn er vormittags an seinem Schreibtisch saß und, wie die Pflegerin- 70 nen berichteten, stundenlang in die Zeitung starrte. Was dachte er? Dachte er überhaupt? Wie dachte man ohne Worte? Kurt hatte endlich das Gulaschstück auf die Messerspitze geladen, balancierte es jetzt, schon zitternd vor Gier, zum Mund. Absturz. Zweiter Versuch. Eigendich ein Witz, dachte Alexander, dass Kurts Verfall ausgerechnet mit der Sprache 75 begonnen hatte. Kurt, der Redner. Der große Erzähler. Wie er dagesessen hatte in seinem berühmten Sessel - Kurts Sessel! Wie alle an seinen Lippen hingen, wenn er seine Geschichtchen erzählte, der Herr Professor. Seine Anekdoten. Komisch aber auch: In Kurts Mund verwandelte sich alles in eine Anekdote. Egal, was Kurt erzählte - selbst wenn er davon erzählte, wie er im Lager beinahe krepiert wäre -, immer hatte es eine so Pointe, immer hatte es Witz. Hatte gehabt. Fernste Vergangenheit. Der letzte Satz, den Kurt zusammenhängend hatte sagen können, war: Ich habe die Sprache verloren. Auch nicht schlecht. Verglichen mit seinem heutigen Repertoire eine Glanznummer. Doch das war zwei Jahre her: Ich habe die Sprache verloren. Und die Leute hatten wirklich gedacht, sieh mal an, er hat die Sprache verloren, aber sonst... 85 Sonst schien eil massen, die irgend« Sonderbares: dass ■ einem Korken das.™ Ein Stückchen GulaJ 90 Schaute schräg von i_ Eltern prüft. StopftedJ Und während er L - Wenn du wüssteL Kurt reagierte nichl 95 problems. Stopfte, kail Aus: Eugen Rüge, In Zeiten I 20J1.S. 7-11 Anmerkung 1 Igelit: eine Kunststofhn Text 3 Elisabeth Langgässer (1899i 1 Das Grab lag zwischen im weiterte sich an dieser Stell Das Holzkreuz fing schona_ verwaschen, der StaMnelmL 5 der Tod noch immer Wache':) das Mädchen Carola stellte _ ringsherum einsetzen wollte,! weilt zusah und unter der n Camel2 im Mundwinkel anzud io Kein Lüftchen. Der FrühlinL ßung des Sommers, der Fliel begannen, sich aus Purpur und! Rotdorn schäumte gewalttätig! Form ihrer Urne nur noch diel 15 Eine hässliche alte Vase und zw| aufzunehmen - jetzt waren ... chen Eindruck machten, und Vi erwecken suchte, die zu dem urj in seltsamem Gegensatz stand. 20 „Wenn der Rot- und Weißd Carola, bückte sich und leerte dl wieder mit frischem Wasser und „Rosen", sagte der junge Bun zwischen kommt gar nichts. Ein 25 Zweige müsste man abreißen, sie rasch. Texte / 85 Sonst schien er noch einigermaßen beisammen zu sein. Lächelte, nickte. Zog Grimassen, die irgendwie passten. Verstellte sich schlau. Nur hin und wieder unterlief ihm Sonderbares: dass er den Rotwein in seine Kaffeetasse goss. Oder auf einmal ratlos mit einem Korken dastand - und ihn schließlich ins Bücherregal steckte. Miserable Quote: Ein Stückchen Gulasch hatte Kurt bisher geschafft. Jetzt griff er zu: mit den Fingern. 90 Schaute schräg von unten zu Alexander herauf, wie ein Kind, das die Reaktion seiner Eltern prüft Stopfte das Stück in den Mund. Und noch eins. Und kaute. Und während er kaute, hielt er seine beschmierten Finger hoch wie zum Schwur. - Wenn du wüsstest, sagte Alexander. Kurt reagierte nicht. Hatte endlich eine Methode gefunden: die Lösung des Gulasch-95 problems. Stopfte, kaute. Die Soße rann in einer schmalen Spur über sein Kinn. Aus: Eugen Rüge, In Zeiten des abnehmenden Lichts. Roman einer Familie. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2011, S. 7-11 Anmerkung 1 Igelit: eine Kunststoffart Text 3 Elisabeth Langgässer (1899-1950), Die getreue Antigone (erschienen 1947) 1 Das Grab lag zwischen den Schrebergärten, ein schmaler Weg lief daran vorbei und erweiterte sich an dieser Stelle wie ein versandetes Flussbett, das eine Insel umschließt. Das Holzkreuz fing schon an zu verwittern; seine Buchstaben R.I.P.1 waren vom Regen verwaschen, der Stahlhelm saß schief darüber und war wie ein Grinsen, mit welchem 5 der Tod noch immer Wache hielt. Gießkanne, Harke und Rechen lagen an seiner Seite, das Mädchen Carola stellte den Spankorb mit den Stiefmütterchenpflanzen, die es ringsherum einsetzen wollte, ab und wandte sich zu seinem Begleiter, der ihr gelangweilt zusah und unter der vorgehaltenen Hand das Streichholz anrätschte, um seine Camel2 im Mundwinkel anzuzünden. io Kein Lüftchen. Der Frühling, an Frische verlierend, ging schon über in die Verheißung des Sommers, der Flieder verblühte, die einzelnen Nägelchen bräunten und begannen, sich aus Purpur und Lila in die Farbe des Fruchtstandes zu verwandeln, der Rotdorn schäumte gewalttätig auf, die Tulpenstängel, lang ausgewachsen, trugen die Form ihrer Urne nur noch diesen Tag und den nächsten - dann war auch das vorbei. 15 Eine hässliche alte Vase und zwei kleine Tonschalen dienten dazu, den Blumenschmuck aufzunehmen - jetzt waren Maiglöckchen an der Reihe, Narzissen, die einen kränklichen Eindruck machten, und Weißdorn, der das Gefühl einer Fülle und Üppigkeit zu erwecken suchte, die zu dem unangenehmen Geruch seiner kleinen, kurzlebigen Blüten in seltsamem Gegensatz stand. 20 „Wenn der Rot- und Weißdorn vorüber ist, kommt eine Zeitlang gar nichts", sagte Carola, bückte sich und leerte das schmutzige Wasser aus beiden Schalen aus, füllte sie wieder mit frischem Wasser und seufzte vor sich hin. „Rosen", sagte der junge Bursche. „Aber die sind noch nicht da. Du hast recht: Dazwischen kommt gar nichts. Ein paar Ziersträucher höchstens, rosa und gelbe, aber die 25 Zweige müsste man abreißen, wo man sie findet -", er blinzelte zu ihr hin. „Nein", sagte sie rasch. 202 / Texte „Nicht abreißen? Nein? Dann muss der da unten warten, bis wieder Rosen blühen." Er lachte roh und verlegen auf; das Mädchen begann das Grab zu säubern, die herabgefallenen Blütchen sorgfältig aufzulesen und die Seitenwände des schmalen Hügels mit 3o Harke und Händen gegen den Wegrand genauer abzugrenzen. (So hat sie wohl schon als kleines Mädchen auf dem Puppenherd für ihre Ella und Edeltraut Reisbrei gekocht, Pudding und solches Zeug, schoss es ihm durch den Sinn.) Wieder musste er lachen; sie blickte misstrauisch auf und unterbrach ihr Hantieren; wirklich war es, als ob auf dem Grab, das die Weißdornblüten bedeckten, Zucker verschüttet wäre, oder spielende 35 Kinder hätten vergessen, ihr Puppengeschirr, als die Mutter sie rief, mit in das Haus zu nehmen. „Gib den Korb mit den Pflanzen her", sagte Carola. „Ich will sie jetzt einsetzen. Auch den Stock, um die Löcher in die Erde zu machen, immer in gleichem Abstand -", sie war vor Eifer ganz rot. „Hol ihn dir selber", sagte der Bursche und drückte an einem mor-40 sehen Pfahl die Zigarette aus. „Ein Blödsinn, was du da treibst." „Was ich treibe?" „Na - dieses Getue um das Soldatengrab. Immer bist du hierhergelaufen. September, Oktober: mit Vogelbeeren; November, Dezember: mit Stechpalmen, Tannen, hernach mit Schneeglöckchen, Krokus und Zilla. Und das alles für einen Fremden, von dem du 45 nicht einmal weißt -." „Was weiß ich nicht?" „Was er für einer war." „Jetzt ist er tot." „Vielleicht ein SS-Kerl." 50 „Vielleicht." „Ja, schämst du dich eigentlich nicht?" brauste der Bursche auf. „Deinen ältesten Bruder haben die Schufte in Mauthausen3 umgebracht Wahrscheinlich hat man ihn -." „Sei doch still!" Sie hielt sich mit verzweifeltem Ausdruck die Hände an die Ohren; er packte sie an den Handgelenken und riss sie ihr herunter, sie wehrte sich, keuchte, ihre 55 Gesichter waren einander ganz nahe, plötzlich ließ er sie los. „Tu, was du willst. Es ist mir egal. Aber ich bin es satt. Adjö4 -." „Du gehst nicht!" „Warum nicht? Du hast ja Gesellschaft. Ich suche mir andere." „Die kenne ich", sagte das Mädchen erbittert. „Die von dem Schwarzen Markt." 60 „Und wenn schon? Der Schwarze Markt ist nicht schlimmer als deine Geisterparade. Gespenster wie dieser da ... Würmer und Maden." Er deutete mit dem Kopf nach dem Grab, das nun, vielleicht weil Harke und Rechen, während sie beide rangen quer darüber gefallen waren, einen verstörten Eindruck machte und ein Bild der Verlassenheit bot. „Komm", sagte der Bursche besänftigt. „Ich habe Schokolade." 65 „Die kannst du behalten." „Und Strümpfe." Schweigen. „Und eine Flasche Likör." „Warum lügst du?" fragte das Mädchen kalt. „Nun, wenn du weißt, dass ich lüge", sagte der Bursche gelassen, „kann ich ja aufhören. Oder meinst du, das Lügen macht mir Spaß?" 70 „Dann lügst du also aus Traurigkeit", sagte Carola kurz. Sie schwiegen, die Nachmittagssonne brannte, in der Luft war ein Flimmern wie sonst nur im Sommer, ein flüchtiges Blitzen, der leise Schrei und das geängstigte Seuf- zen der mütterlicbl rand, sie setzten sioj 75 sich und legte wie ei Sie saß sehr geid „Glaubst du wiio bruch oder..." „Ich weiß es nici so Clemens ist es vorbei „Ja", sagte sie me| dem Kopf und fing „Was - wissen?" „Ob er jetzt Friede! 85 „Da kannst du ganl „Ich weiß es. Abel Spielzeug im Hof gekl gibt! Wenn er allein 0 denn nicht?" Er i. 90 richtete ihre Fragen anl „Ist das Sterben seit losreißt von allem, wal Nun bewegte sich dl dornzweige empor; c_ 95 und entzündeten auf de) „Liegst du gut?" Der junge Mann vi verfinstertes junges Gel unter den streichelnde« ioo zu glätten versuchten» gen gingen ... die Lippe zuhalten versuchten... blieben, wo mit gleichm „Ich liege gut". u 105 immer so liegen. Immeil Mund auf ihre Hände pj Nach einer Weile sL kommt bald nach Haus.1 nach dir gefragt. 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Sie saß sehr gerade und starrte mit aufgerissenen Augen nach dem Soldatengrab... „Glaubst du wirklich, dass Clemens so qualvoll -?" fragte Carola leise. „In dem Steinbruch oder..." „Ich weiß es nicht. Lass doch. Quäle dich nicht", murmelte er wie im Schlaf. „Für so Clemens ist es vorbei." „Ja", sagte sie mechanisch, „für Clemens ist es vorbei." Sie nickte ein paarmal mit dem Kopf und fing dann von neuem an. „Aber man möchte doch wissen." „Was - wissen?" „Ob er jetzt Frieden hat", sagte sie, halb erstickt. 85 „Da kannst du ganz ruhig sein. Du weißt doch, wofür er gestorben ist" „Ich weiß es. Aber siehst du, als Kind konnte ich schon nicht schlafen, wenn mein Spielzeug im Hof geblieben war; das Holzpferd oder der Puppenjunge. Wenn es Regen gibt! Wenn er allein ist und hat Angst vor der Dunkelheit, dachte ich. Verstehst du mich denn nicht?" Er gab keine Antwort, Carola schien sie auch nicht zu erwarten, sondern 90 richtete ihre Fragen an einen ganz anderen. „Ist das Sterben schwer? Du kannst es mir sagen. Der Augenblick, wo sich die Seele losreißt von allem, was sie hat?" Nun bewegte sich doch noch ein leiser Wind und hob die äußersten Enden der Weißdornzweige empor; die schräge fallenden Sonnenstrahlen wanderten über den Stahlhelm 95 und entzündeten auf der erblindeten Fläche einen winzigen Funken von Licht. „Liegst du gut?" Der junge Mann warf den Kopf wie im Traum auf ihrem Schoß hin und her; sein verfinstertes junges Gesicht mit den Linien der unbarmherzigen Jahre entspannte sich unter den streichelnden Händen, die seine widerspenstigen Strähnen langsam und zart ioo zu glätten versuchten und über die Stirn zu den Schläfen und von da aus über die Wangen gingen ... die Lippen, die ihre kühlen Finger mit einem leise saugenden Kuss festzuhalten versuchten ... bis die Finger endlich, selber beruhigt, in der Halsgrube liegenblieben, wo mit gleichmäßig starken Schlägen die lebendige Schlagader pochte. „Ich liege gut", gab der junge Mann mit entfernter Stimme zurück. „Ich möchte 105 immer so liegen. Immer..." Er seufzte und flüsterte etwas, das Carola, weil er dabei den Mund auf ihre Hände presste, nicht verstand; doch sie fragte auch nicht darnach. Nach einer Weile sagte das Mädchen: „Ich muss jetzt weiter machen. Die Mutter kommt bald nach Haus. Übrigens, dass ich es nicht vergesse: der Kuratus5 hat gestern nach dir gefragt. Es ist jetzt großer Mangel an älteren Ministranten6, besonders bei iio Hochämtern, weißt du, an hohen Festen, und so. Ob du nicht-?" „Nein. Ich will nicht." Der Bursche verzog seinen Mund. „... die Kleinen können den Text nicht behalten, sie lernen schlecht und sind unzuverlässig", fuhr sie unbeirrt und beharrlich fort. „Bei dem Requiem7 neulich -." Sie stockte. Dicht vor beiden flog ein Zitronenfalter mit probenden Flügelschlägen vorbei und Iis ließ sich vertrauensvoll und erschöpft auf dem Korb mit den Pflänzchen nieder. „Meinetwegen", sagte der Bursche. „Nein: deinetwegen", verbesserte er. „Damit du Ruhe hast", fügte er noch hinzu. „Damit er... Ruhe hat", sagte sie und griff nach dem Pflanzenkorb. 204 / Texte Aus: Elisabeth Langgässer, Saisonbeginn. Erzählungen. Stuttgart: Philipp Rec/amjun. Verlag 1981, S. 36-41 (Erstausgabe: Ciaassen & Coverts 1947) Anmerkungen 1 R.I.P.: Abkürzung für lat. Requiescat in pace., „Er/Sie ruhe in Frieden." 2 Camel: eine Zigarettenmarke 3 Mauthausen: Standort eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers in Osterreich, südöstlich von Linz; viele der Häftlinge wurden im zum Lager gehörenden Steinbruch zu Tode geschunden. 4 Adjö: gemeint ist „Adieu." 5 Kuratus: Pfarrverweser, Titel eines katholischen Seelsorgers, von lat. cura „Sorge" 6 Ministrant: Messdiener 7 Requiem: „Totenmesse", benannt nach dem Anfangswort des lat. Gebetes Requiem aeternam dona eis, Domine.: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe." Text 4 Franz Kafka (1883-1924), Der Aufbruch (1922) 1 Ich befahl mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeute. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: „Wohin reitest du, Herr?" „Ich weiß es s nicht", sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen." „Du kennst also dein Ziel?" fragte er. „Ja", antwortete ich, „ich sagte es doch: ,Weg-von-hier', das ist mein Ziel." „Du hast keinen Essvorrat mit", sagte er. „Ich brauche keinen", sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist io ja zum Glück eine wahrhaft ungeheuere Reise." Aus: Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen. Hrsg. v. Paul Raabe. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 1973, S.321 Friedrich Hebbel (1813-1863), Maria Magdalena. Ein bürgerliches Trauerspiel in drei Akten (1844). 1. Akt, 7. Szene Friedrich Hebbels bürgerliches Trauerspiel entstand 1843 und wurde im folgenden Jahr veröffentlicht. Die Uraufführung fand 1846 in Königsberg statt. Die Szene spielt im Hause des Tischlermeisters Anton. Dessen Familie besteht aus seiner eben von schwerer Krankheit genesenen Frau Therese und den Kindern Klara und Karl. Der Kassierer Leonhard hat Klara nach einem Tanzabend dazu gebracht, sich ihm hinzugeben, und sie geschwängert. Er will damit einen Rivalen ausschalten, dem Klaras eigentliche Liebe gehört, um so das Mädchen endgültig an sich zu binden. Die Eltern wissen von Klaras Fehltritt nichts. In der vorausgehenden Szene hält Leonhard mit Erfolg bei Meister Anton um die Hand der Tochter an, muss allerdings erfahren, dass keine Mitgift zu erwarten ist. Zwei Gerichtsdienerl Karl wird uerrfacliöj| später herausstellen^ Bis zum 18. Jahrfam lands als unehrlich! ckern (Beseitiger von hat den Gerichtsdim sein Glas mit ihm ans 1 GerichtsdienerAh Adam (zu Meisten roten Rod ins Haus komma 5 behält Er Seinen seinesgleichen ist' Meister Anton. Bd adam. Er hat recht, unsersgleichen! (! io davon! Dass Er nie Meister Anton, m Klara (tritt mit Ted adam (zeigt ein Pap» Meister Anton. Sol i5 adam. So hör Er!! wollen wir Haussd Mutter. Jesus! (Fm Klara. Mutter! Munf Leonhard. Ichi 2o Meister Anton. Nij Therese! Du starbs Leonhard. Es ist i (Ah.) Meister Anton (zie\ 25 Kasten nach Kaa Schelmen und Diel ZWEITER GERICHTSdJ lichste Mann indd Meister Anton. Sol 30 braucht! Der arme| war auch viel zu s meinst du, meint Klara. Vater! ZWEITER GERICHTSDi 35 adam. Kein Mitleid?! Strümpfe auszuziei ich hasse ihn, wieif