LiLa – methodisches Portal für Didaktisierung von authentischen Texten im DaF-Unterricht PETR PYTLÍK ZUSAMMEN MIT JANA VELIČKOVÁ UND VOJTĚCH ŠTILEC (PÄDAGOGISCHE FAKULTÄT DER MASARYK-UNIVERSITÄT BRNO) Struktur • A) Fachdidaktische Einleitung, kurz über linguistic landcapes, Wahrnehmung von öffentlichen Texten B) Vorstellung des Portals – teoretischer und praktischer Teil C) Reflexion/Pilotage – 3 Perspektiven Ein Bild, das Baum, draußen, Himmel, Text enthält. Automatisch generierte Beschreibung - Linguistic Landscapes sind ein Konzept, ein Prisma, durch das man „Städte lesen“ kann - das Konzept der LL geht von einem grundlegend erweiterten Textbegriff heraus (Altmayer, 2002) - Zuerst verwendet im Kontext der Mehrsprachigkeitsforschung in den 1990er Jahren - In den letzten Jahren wurde das Konzept auch erweitert, konzentriert sich immer noch primär auf die Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum - im erweiterten Sinne umfasst das Konzept Texte im öffentlichen Raum, ihre sprachliche sowie interkulturelle Dimension und – für uns spezifisch - ihr Potential für den DaF-Unterricht A) kurz über Linguistic Landscapes Weitere Funktionen der „linguistic landscapes“ - öffentliche Texte auch in scheinbar homogenen Landschaften zeichnen sich ebenfalls durch komplexe Mehrsprachigkeit aus (vgl. Griasheva 2015) oder im Gegensatz dazu - öffentliche Sprachlandschaften, „linguistic landscapes“ neutralisieren die Multikulturalität der Gesellschaft sprachlich (Mulayawan 2017, Hult 2013). Jedenfalls sind die Zusammenhänge zwischen kultureller Realität in der Gesellschaft und deren Ausdruck in öffentlichen Sprachlandschaften häufig asymmetrisch und in der Literatur wird deshalb oft über Konstruieren des öffentlichen Sprachraumes gesprochen (Jaworski & Yeung, 2010; Stroud & Mpendukana, 2009; Hult 2013, Gaiser & Matras 2016). Methodische Überlegungen zur Verwendung des LL-Konzeptes im FSU - Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (übliche Interpretation): Voraussetzung des das Lernen einer Fremdsprache den Schülern die Möglichkeit geben, sich mit anderen in Verbindung zu setzen, andere Sprachen und Kulturen und das Anderssein zu erleben (Verhelst/van Avermaet/Takala/Figueras/North 2009) - die Anforderung an den FSU, den Schülern einen möglichst unvermittelten Kontakt mit der Zielsprache zu ermöglichen. Das sei besonders wichtig, wenn das Lernen in nicht-immersiven Kontexten stattfindet, in denen die Zielsprache nicht vorhanden ist (Aladjem/Bibiana 2016). - Symbolische Kompetenz entwickeln: awareness of the symbolic values of words, ability to find the most appropriate subject position, ability to grasp the larger social and historical significance of events and to understand the cultural memories evoked by symbolic systems, ability to perform and create alternative realities by reframing the issues. (Kramsch 2009, S. 113). LL im FSU • LL = außerschulischer Lernort für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht • kulturwissenschaftliche Basis (Kulturwissenschaften/Kulturdidaktik) • Vielfältige Anwendung von LL im FSU: • Erarbeitung lexikalischer und grammatischer Phänomene auf Schildern und Plakaten • Erschließung tieferliegender historischer und symbolischer Bedeutungsschichten im öffentlichen Raum • Diskussion notwendiger Wahrnehmungs- und Verstehenskompetenzen • Umgang mit sprachlicher Kreativität •… ◦ (Badstübner-Kizik & Janíková, 2018) SITUATION: Wahrnehmung von fremden Zeichen Rezeption der öffentlichen Texte (Badstübner-Kizik: 2018) - Öffentliche Texte werden in aller Regel unverbindlich durchstreift (Skimming) oder mit einem gezielten Interesse durchsucht (Scanning) - Öffentliche Texte werden oft in ungeeigneten Bedingungen rezipiert (eingeschänkte Sichtbarkeit, Lärm, Stress…) - Individualisierte Wahrnehmung - die Wirkung individuell unterschiedlich wirksamer visueller (z.B. Licht, Farbe) oder verbaler Reize (z.B. ein bekannter Name) - Komplexe Wahrnehmung - alle Wahrnehmungskanäle sind wichtig - Neben und Miteinander unterschiedlicher Sprachen, sprachlicher Varietäten und Register - neben sprachlichen und wahrnehmungsbezogenen Kompetenzen wird auch symbolische Kompetenz akzentuiert - die öffentlichen Texte bringen uns aus der „comfort zone“ des üblichen Sprachunterrichts und der Lehrbücher – erschwerte Wahrnehmungsbedingungen INPUTS - die Lehrenden fotografieren selbst – mit einem (im Voraus) bestimmten Ziel, oder „zufälligerweise“ – die Auswahl erfolgt erst später beim Didaktisieren (Vorteile x Nachteile) - Schüler fotografieren lassen – mit einer konkreten Aufgabe: Fotografieren Sie, was Sie gut verstehen, was Sie nicht verstehen,was ein Thema betrifft u.a. Textfragmente/Abkürz. Texte-Gewirr Eingeschränkte Sichtbarkeit - Piktogramm Moderne Technologien, Online-Suche (Google smog) Kontext verstehen Zusammenfassung von LL und Ausgangssituation für LiLa - eingeschränkte Wahrnehmungsbedingungen (unvollständige Texte) - Stress, Lärm, Bewegung, Notsituation… - bekannte und unbekannte Zeichen nebeneinander (A1-C2) - kontextbezogenes Verständnis - Verwendung von modernen Technologien (Online-Suche, Wörterbuch-Suche…) - induktives Denken - Abkürzungen, Textfragmente, beschädigte Texte usw. B) LiLa – methodisches Portal für Didaktisierung von authentischen Texten im DaF-Unterricht „Multimodal turn“ Multimodalität ist überall! jeden Tag sehen und interpretieren wir multimodale Inhalte (Fernsehen, soziale Netzwerke, Werbungen usw.) Kinder kommen mit multimodalen Inhalten schon sehr früh in Kontakt Multimodalität fördert Sprachenlernen (Kress 2010, Wiesner 2017) die Kompetenz multimodale Inhalte zu verstehen und zu entschlüsseln, gehört zu unentberhlichen Kompetenzen des modernen Menschen (auch im Sinne von Erkennung von fake news) unterschieden werden (i) semiotische, (ii) perzeptuelle, (iii) referentielle und (iv) partizipative Multimodalität (Sachs-Hombach 2021) „Multimodal turn“ (Staiger 2020) und Fremdsprachendidaktik ‚hochemergenter Handlungskontext‘ und ‚Zukunftskompetenz‘ (Ehlers 2020) Multimodalität bietet „joint interactions“ (Biancarosa & Griffiths, 2012) – es können Formen von Anschlusskommunikation gezielt genutzt werden ‚Multimodal Literacy‘ – mit dem Ziel einer Professionalisierung von Lehrpersonen im Umgang mit multimodalen Medien (Hans Krah 2023) Multimodale Produktions- und Rezeptionsbedingungen erfordern einen Perspektivwechsel auch in unterrichtlichen Prozessen, weg von der dort nach wie vor dominierenden Schrifttextkultur hin zu umfassenden medienintegrativen Vermittlungsansätzen. Insbesondere in der Deutschdidaktik kann daher eine semiotisch fundierte Betrachtungsweise multimodaler medialer Gegenstände die notwendige Erweiterung des fachlichen Vokabulars bereitstellen. (Krah 2023) LiLa – Zur Struktur des Portals - methodisch-didaktischer Teil – Entstehungsgeschichte des Portals und Tagebuch, Pilotagen, wissenschaftliche Texte zu Linguistic Landcapes, zu Text-Bild-Didaktisierungen - praktischer Teil – kurze (ice brakers) und längere Didaktisierungen, die Lehrenden können die Didaktisierungen selbst anpassen (abkürzen, umgestalten…) Hauptziel des Portals: Unterrichtende inspirieren Ziele des methodisch-didaktischen Teiles – tiefere Einischt in Theorie gewinnen, die Lehrenden erfahren über mögliche Verwendung von öffentlichen Texten im Unterricht (samt Anweisung zu unseren Didaktisierungen) und erhalten Tipps für eigene Didaktisierungen Ziele des praktischen Teiles – praktische Verwendung im Unterricht – Feedback erwünscht Zielgruppe: in der ersten Phase die Studierenden der Masaryk-Universität, die das Portal in Kursen mitgestalten werden, zweite Phase: Deutschlehrer Methodisches Verfahren: 3-Phasen - das traditionelle 3-Phasen-Modell besteht aus: 1. Phase – vor der Rezeption 2. Phase – während der Rezeption 3. Phase – nach der Rezeption Weitere Modelle, die den 3-Phasen-Modell näher liegen: Möller-Frorath stellt beispielsweise das fünfstufige Modell vor: Wortschatz einführen, anwenden, erschließen, einüben und wiederholen (Möller-Frorath 2013:62), Bayerlein (Bayerlein 1997: 59) übernimmt ein drei-phasen Modell (Orientierung, Vermittlung und Kontrolle), Tinnefeld (Tinnefeld 2016: 111) definiert ein ähnliches dreistufiges Modell (Einführen – Einüben – Kontrolle). •Methodisches Verfahren: 3-Phasen §„vor der Textrezeption“ (Einstieg/Hinführung zum Thema) ◦Vorbereitungsphase (Vorentlastung, Vermutungen an Text anstellen) – Ziel: Voraussetzungen dafür geschaffen, einen authentischen Text in der FS verstehen zu können ◦Motivationsphase – Ziel: die Lernenden für den Text motivieren, ihr Interesse und Neugier wecken und Erwartungen … §„während der Textrezeption“ (Präsentationsphase) – Ziel: Verstehen der ausgewählten Mitteilungen des Textes §„nach der Textrezeption“ ◦„offene Phase“ / „Sammelphase“ – Ziel: Äußerung der Lernenden zum Text sammeln, Vermutungen aufgreifen („Haben sich unsere Vermutungen an den Text aus der Vorbereitungsphase bestätigt?“ ◦Erarbeitungsphase – Ziel: Schlüsselstellen erarbeiten ◦produktiv-schöpferische Phase – Ziel: den Text kreativ bearbeiten U1 – Didaktisierung eines Photos aus der U-Bahn in Wien C) Reflexion der Pilotierung/Erprobung -Drei Perspektiven: - Forscher/Lehrkraft - Lernende - Lehrer aus der Praxis Reflexion der Pilotierung/Erprobung Lehrkraft/Forscher : §POSITIV: Anbindung an die realitätsnahe Inhalte, zeitlich nicht so aufwendig (bzw. nach der Wahl der Lehrkraft), trotzdem inhaltsreich. § § §ZU VERBESSERN: Handreichung für die Lehrer übersichtlich und einfacher zugestalten § § §KOMMENTAR: muss gut und sinnvoll in die Unterrichtsplanung (nach den Zielen) eingebettet werden, mit fließenden Übergängen zu anderen Unterrichtsphasen ◦ Reflexion der Pilotierung/Erprobung Lernende: § POSITIV: Aha-Effekt – sprachliche Zusammenhänge verstehen (Komposita, Namen von öffentlichen Institutionen usw.), kulturbedingte Inhalte besser verstehen. Praktisch und dank der realitätsnahen Inhalten im realen Leben z. B. beim Reisen anwendbar. § § ZU VERBESSERN: Aufgabenstellung präzisieren – bessere Anweisung seitens des Lehrers notwendig - besonders bei Anbindung an Grammatik, einfacher formulieren § § KOMMENTARE: Lerndende sind dieses Formates nicht gewohnt. Reflexion der Pilotierung/Erprobung Lehrer aus der Praxis: §POSITIV: flexibel, authentisch, offene Fragen sind gut, Arbeit mit Internet ist gut – soziale Interaktion, bereits bei niedrigeren Niveaus einsetzbar. §ZU VERBESSERN: konkretere Anbindung an die behandelten Themen in Lehrwerken, Zeitplanung bei niedrigeren Niveaus realistischer machen, in der Vorbereitungsphase mehr Gruppenarbeit bzw. Paararbeit miteinbeziehen, gemeinsamen Abschluss/Austausch mit den Schülern machen, tschechische Übersetzungen nicht nötig, Sozialformen expliziter machen, methodische Anleitung notwendig – besonders bei Anbindung an Grammatik, nicht „siezen“, einfacher formulieren. §KOMMENTARE: geeignet als Ergänzungsmaterialien, Lösungsschlüssel wäre gut, ich bevorzuge kürzere Didaktisierungen, der Lehrer muss es gut in die Stunde integrieren – sonst sind die Lernenden wenig motiviert, Vorschlag: die Schüler Mind-Maps zu den jeweilligen Themen erstellen lassen. Vorteile der Arbeit mit öffentlichen Texten im Fremdspracheunterricht (Badstübner-Kizik: 2018) Die Vorteile der Arbeit in und mit öffentlichen Texten – in einer großen thematischen Vielseitigkeit und den vielfachen Vernetzungsmöglichkeiten, realitäts- und lebensnaher Inhalte, – in der Kürze und relativen Überschaubarkeit der einzelnen involvierten Textsorten und ihrer Kombinationen, – in den medial und modal abwechslungsreichen kreativen Formen sowie insbesondere in einem hohen Anteil an Bildern und Symbolen, der sprachliche Arbeit auf unterschiedlichen Niveaustufen ermöglicht, – in einer grundsätzlichen Offenheit für Interventionen und Reaktionen, – in der relativ guten Möglichkeit, einzelne Elemente für didaktische Zwecke zu isolieren, zu konservieren, in unterschiedliche Zusammenhänge zu transferieren und ggf. neu zusammenzusetzen sowie Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.