Epische Texte interpretieren Wiedergeben des Inhalts / 45 'üZ^^m - Hinblick auf eine folgende Beschreibung des Aufbaus, ob sich die von Ihnen erkannten Inhaltselemente formal benennen lassen. ■ Übungsbeispiel Heinrich von Kleist, Das Bettclweib von Locarno (Text 1,S. 197) Arbeitsanweisung: Fassen Sie den Inhalt zusammen. Lösungsvorschlag: Schritt 1 und Schritt 2 Sinneinheiten erkennen Der Text besteht aus vier unterschiedlich langen Absätzen. Sie bilden bis auf eine Ausnahme weitgehend geschlossene Inhaltssegmente. Dies wird durch inhaltliche Schwerpunkte, Handlungs- und Perspektivenwechsel sowie Schluss-und Anfangsformulierungen bestätigt: • Z. 1-12: „niedersank und verschied" (Z. 12) zeigt ein Ereignisende an, während der folgende Satzbeginn „Mehrere Jahre nachher" (Z. 13) einen zeitlichen Abstand signalisiert. • Z. 13-28: Mit den Worten „niedergesunken sei" (Z. 23) beendet der Gast seinen Bericht. Die Perspektive wechselt zwar kurz zum Schlossherrn („Der Marchese, erschrocken, [...]", Z. 24), doch dessen Überredungsversuch scheitert. Mit der Abreise des Ritters ist diese kurze Episode beendet („reiste ab", Z. 28). Insofern lassen sich trotz des neuen Absatzes beide Teile zu einer Sinneinheit verbinden. • Ein neuer Textabschnitt beginnt („Dieser Vorfall [...]", Z. 29) und führt die Geschichte absatzlos bis zum Ende. Diese längere Texteinheit (Z. 29-76) lässt sich inhaltlich aufteilen in - Z. 29-64: die drei Initiativen des Schlossherrn, - Z. 65-68: seinen folgenden Wahnsinnsausbruch sowie - Z. 68-76: seinen Tod in den Flammen. Der Text Das Bettelweib von Locarno lässt sich also in insgesamt fünf Sinneinheiten einteilen. Schritt 3 Sinneinheiten formulieren 1 Der brüske Befehl des Schlossherrn führt zum Tod einer Bettlerin. (Z. 1-12) 1 Spukerlebnisse verhindern den erhofften Verkauf des Schlosses. (Z. 13-28) 1 Trotz mehrfacher Versuche gelingt es dem Besitzer nicht, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Die Ereignisse eskalieren. (Z. 29-64) Sie treiben ihn in den Wahnsinn und machen ihn zum Brandstifter. Seine Frau flieht aus dem Schloss. (Z. 65-68) Für den Marchese gibt es keine Rettung. Er kommt in den Flammen um. (Z. 68-76) Schritt 4 Ausformulierung Die mitleidvolle Hausherrin eines oberitalienischen Schlosses gewährt einer alten Bettlerin Obdach. Ihr verärgerter Ehemann vertreibt diese jedoch von ihrem Lager. Dabei stürzt die Alle unglücklich und zieht sich tödliche Verletzungen zu. (Z. 1-12) In den folgenden Jahren gerät der Schlossbesitzer in wirtschaftliche Schwierigkeiten und möchte sein Anwesen veräußern. Ein erster potenzieller Käufer verliert jedoch sein Interesse an diesem Objekt. Ursache ist ein nächtlicher Spuk in eben dem Raum, in dem vormals die alte Bettlerin den Tod fand. Das Gerücht verbreitet sich umgehend und schreckt weitere Käufer ab. (Z. 13-28) Der Marchese versucht nun, solche Spukgeschichten aus der Welt zu schaffen. Doch in der Nacht, die er in dem besagten Zimmer verbringt, hört auch er furchterregende Geräusche. (Z. 29-39) Dies ändert sich weder in der folgenden Nacht, in der er von Frau und Diener begleitet wird (Z. 39 -49), noch in der dritten, in der sogar der Haushund knurrend auf den Spuk reagiert (Z. 49-64). In Panik stürzt die Marquise aus dem Raum, während ihr Mann wie von Sinnen mit seinem Degen einen unsichtbaren Gegner zu treffen versucht. Völlig außer sich steckt er das Gebäude in Brand. (Z. 65 -68) Seine Frau, gerade im Begriffe das Schloss fluchtartig zu verlassen, entdeckt das Feuer. Ihr Hilferuf bleibt erfolglos und der Marchese kommt in den Flammen um. (Z. 68-76) Tod einer Bettlerin, verschuldet durch einen Marchese Beginn des Spuks und erste Auswirkungen vergebliche Versuche des Marchese, die Situation inden Griff zu bekommen Wahnsinn des Marchese Tod des Marchese Beschreiben des inneren Aufbaus / 49 ipische Texte interpretieren Arbeitsschritte - 1 Orientieren Sie sich an den äußeren Absätzen und der bereits erarbeiteten inhaltlichen Struktur (Sinneinheiten): Beim Erfassen des Inhalts haben Sie sich von den Schwerpunkten des Geschehens-/Handlungsablaufs leiten lassen. Auf diese greifen Sie nun zurück. 2 Überprüfen Sie dahei am Text die einzelnen Inhaltsabschnitte auf formale Aufgaben und markieren Sie auf dem Textblatt die von Ihnen festgestellten Strukturelemente: Kompositionsschemata (z.B. Rahmen, pyramidale oder dialektische Struktur, Verknüpfung durch Leitmotive), Unterbrechungen, handlungsauflösende und -verzögernde Elemente im Handlungsverlauf (beschreibende Einschübe, Rückblenden, Zukunftsentwürfe) 3 Halten Sie die erkannten Kompositionseinheiten stichwortartig fest. 4 Beschreiben Sie den Aufbau. ■ Übungsbeispiel Heinrich von Kleist, Das Bettelweib von Locarno (Text 1, S. 197) Arbeitsanweisung: Beschreiben Sie den inneren Aufbau des Textes. Lösungsvorschlag: Schritt 1 und Schritt 2 Inhalt auf Strukturelemente überprüfen Unschwer erkennen Sie einen kurzen einleitenden Abschnitt, einen Teil, in dem die Spannung zunehmend ansteigt, einen Wende- und Höhepunkt und eine anschließende unabwendbare Katastrophe. Der Schlusssatz weist durch eine Wortwiederholung auf den Beginn zurück. Schritt 3 Formale Struktureinheiten benennen • Rahmen mit Exposition und erregendem Moment (Z. 1-12) • Steigerung (Z. 13-64; Abschnitte: Z. 13-15, 15-28, 29-64) • Höhe- und Wendepunkt (Z. 65-68) • Katastrophe (Z. 68-73) • Schluss mit Rahmen (Z. 73-76) Die Komposition verweist auf eine dramatische Grundstruktur, wie sie sich auch in Novellen findet. Schritt 4 Ausformulierung Eine kurze Exposition führt in Situation und Grundstimmung ein, nennt die beteiligten Figuren und den Handlungsort. Außerdem enthält sie das entscheidende Ereignis, das als erregendes Moment das folgende Geschehen auslöst. (Z. 1-12) Der Tempuswechsel in der zweiten und dritten Zeile verweist auf einen Erzählrahmen, der sich am Ende schließt. Es folgt eine schrittweise Steigerung zum Höhepunkt hin. Dem Protagonisten entgleitet dabei zunehmend die Handlungsinitiative. (Z. 13-64) Dies zeigt der Hinweis auf ein schicksalhaftes Geschehen: Krieg und Missernte haben bereits die Handlungsmächtigkeit des Marchese auf den notwendigen Verkauf des Schlosses eingeschränkt. Der Leser erkennt bei ihm ein Gefühl des Bedrängt- und Ausgeliefertseins. (Z. 13-15) Dem Schlossherrn gelingt es nicht, seine Absicht zu verwirklichen, denn der Ritter, der seine finanzielle Lage entschärfen und damit seinen Handlungsspielraum vergrößern könnte, nimmt Abstand vom Kauf. Er schlägt auch das Angebot des Marchese, mit ihm die Nacht im Spukzimmer zu verbringen, aus. Das ist der zweite Schicksalsschlag. Die Spannung wächst. (Z. 15-28) Noch immer ist der Schlossherr verblendet und will seine Ohnmacht nicht wahrhaben. In drei weiteren Phasen wird nun sein Ende schnell vorbereitet. Der einstige Jäger wird selbst zum Gejagten. Vorgeführt wird dies in seinen drei Aufenthalten im Spukzimmer. Bereits der erste Besuch, den er allein unternimmt, verunsichert ihn (Z. 29-39), der zweite, zusammen mit seiner Frau und einem Diener, löst „Entsetzen" aus (Z. 39-49). Der dritte Aufenthalt bringt die letzte Steigerung. Sie zeigt die Macht des Bedrohlichen über jegliche Kreatur, sei es Mensch oder Tier. (Z. 49-64) Der folgende Abschnitt enthält den Höhe- und Wendepunkt der Erzählung in der einzigen wörtlichen Rede des Textes, den Worten des Marchese „wer da?" (Z. 66). Sein vergebliches Herumschlagen mit dem Degen führt endgültig die Sinnlosigkeit seines Handelns vor Augen. (Z. 65-68) Die Katastrophe ist nicht mehr abwendbar. Außer sich steht der Marchese unter der Macht des Rätselhaften, und wie unter dessen Zwang richtet sich sein Handeln gegen das eigene Leben. (Z. 68-73) Das Anstecken des Schlosses und der Tod des Marchese werden vom Erzähler nachgetragen. (Z. 70-73) Mit dem erneuten Tempuswechsel ins Präsens und dem Temporaladverb „jetzt" (Z. 74) schlägt der Erzähler am Schluss (Z. 73-76) den Bogen zum einleitenden Satz. Einleitung und Schluss bilden so den Rahmen der Geschichte. Rahmen mit kurzer Exposition und erregendem Moment Steigerung: fortschrei tender Verlust der Handlungsautonomie 1. Abschnitt 2. Abschnitt 3. Abschnitt Höhe- und Wendepunkt: Wahnsinn Katastrophe: Jod des Marchese Schlussrahmen