Johann Gottfried Herder (1744-1803) Mohrungen/Ostpreußen, heute Morang in Polen. 1761 Herder lebt als Schreiber bei dem Diakon[1], dem Hilfsgeistlichen der Mohrunger Stadtkirche, dessen Bibliothek er frei benutzen kann 1762 Der Arzt eines in Mohrungen stationierten Regiments erkennt Herders Begabung und nimmt ihn mit nach Königsberg. Hier studiert er an der Universität und schließt Freundschaft mit Johann Georg Hamann (1730-1788), der ihn mit Shakespeare bekannt macht. Hamann veröffentlicht 1762 Kreuzzüge eines Philologen 1764 - Ab November Kollaborator an der städtischen Domschule in Riga (unter russischer Oberhoheit) 1765 feste Lehrerstelle daselbst Thomas Percy veröffentlicht Reste altenglischer Poesie 1766 Herders Fragmente Über die neuere deutsche Literatur (Sammlung 1 und 2) erscheinen anonym. Ein Professor in Halle deckt die Anonymität auf und greift Herder an Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737-1823) Briefe über die Merkwürdigkeiten der Literatur (Forderungen: Originilatität, Genie, Leidenschaft, Shakespeare gefeiert) 1767 - Herder Prediger an zwei Rigaer Schulen, Eintritt in die Freimauererloge 1769 - Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend erscheinen anonym. Paris-Reise, Bekanntschaft mit d´Alembert. Herder soll den Erbprinzen von Holstein-Gottorp drei Jahre auf Reisen begleiten (Eutin[2] die Residenz). In Hamburg Bekanntschaft mit Lessing und Matthias Claudius. Gerstenbergs Ugolino in Bln uraufgeführt. 1770 - Reise nach Darmstadt (Johann Heinrich Merck, 1741-1791) und Straßburg. Hier Bekanntschaft mit Goethe, den er an Homer, Pindar, Ossian, Shakespeare, Hamann und die Volksdichtung orientiert. Er bleibt hier bis zum Frühhjahr 1771 hier, um sich einer Augenoperation zu unterziehen. Gemeinsam lesen sie Klopstock, Rousseau, Voltaire, Holbach (sein System der Natur - Hauptwerk des franz. Materialismus). Als Hauptprediger und Konsitorialrat nach Bückeburg[3] berufen. Bückeburg: Haupt- und Residenzstadt des Fürstentums Schaumburg-Lippe. (zwischen Braunschweig-Lüneburg und er Grafschaft Lippe, deren Hauptstadt Detmold war. 1771 - Abhandlung über den Ursprung der Sprache, von der Berliner Akademie preisgekrönt. 1772 - Goethe, Herder und Merck edieren die Frankfurter Gelehrten Anzeigen 1773 -Von deutscher Art und Kunst - eine programmatische Aufsatzsammlung des SuD. Hier auch beide unsere Texte. Insgesamt 5 Abhandlungen, darunter auch Goethes Von deutscher Baukunst und Deutsche Geschichte von Justus Möser. Poesie kann immer wieder neu entspringen von der Randzonen der Kultur aus. popular ballads als Volkslied übersetzt: im vollen Kreise des Volkes entsprungen, unter ihnen lebend und würkend. Jeder Kunst liegt die allgemeine Naturgesetzlichekeit ihrer räumlich-zeitlichen Bedingtheit. Die rationalistische Kunstauffasung übersieht diese Naturgebundenheit der Kunst. Shakespeare ist des Sophokles Bruder, beide stellen Menschen in Übereinstimmung mit ihrem Volkscharakter dar. Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand erschienen, 2. Fassung 1774 anonym auch eine Philosophie zur Geschichte der Menschheit 1775 Konflikte mit dem Grafen; Berufung nach Göttingen von der Orthodoxie vereitelt 1776 Goethe erreicht Herders Berufung als Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat nach Weimar, 6000 Einwohner; Enger konkat zu Wieland, für dessen Deutschen Merkur er Aufsätze schreibt, u. a. über Lessing. 1783 Wiederannäherung an Goethe nach der Abkühlung der Verhältnisse. Beginn der Freundschaft mit Friedrich Heinrich Jacobi, dessen Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn den Spinoza-Streit eröffnet. 1785-1791 Ideen zur Geschichte der Menschheit 1787 Gott. Einige Gespräche (Verteidigung Spinozas) 1778 Italienreise als Begleiter des Domherrn zu Trier und Worms Johann Friedrich Hugo vopn Dalberg 1796 Entfremdumng von Goethe.(Briefe zur Beförderung der Humanität), wirtschaftliche Not Herders 1799 Verstand und Erfahrung (Auseinandersetzung mit Kants Gnoselologie) 1800 Kalligone (Auseinandersetzung mit Kants Ästhetik) Ein Versuch, Gerstenbergs Schleswigsche Literaturbriefe fortzusetzen. Shakespeare: 1. Worüber stellt sich Herder den Dichter Shakespeare erhaben vor, als er seine Vorstellung des Dichters skizziert? 2. Wie versucht er den Vorwurf der Regellosigkeit bei Shakespeare zu entkräften? * In Griechenland entstand das Drama, wie es in Norden nicht entstehen konnte. In Griechenland war's, was es in Norden nicht sein kann. In Norden ist's also nicht und darf nicht sein, was es in Griechenland gewesen. Also Sophokles' Drama und Shakespeares Drama sind zwei Dinge, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben. Ich glaube diese Sätze aus Griechenland selbst beweisen zu können, 3. Wie spricht Herder über Aristoteles, auf den sich die Regelpoetiken des Klassiszismsus stützen? Alle das zeigt, daß der große Mann auch im großen Sinn seiner Zeit philosophierte, und nichts weniger, als an den verengernden kindischen Läppereien schuld ist, die man aus ihm später zum Papiergerüste der Bühne machen wollen. Er hat offenbar, in seinem vortrefflichen Kapitel vom Wesen der Fabel <> und sagt ausdrücklich, daß sich sonst die Schranken ihrer Länge, mithin noch weniger Art oder Zeit und Raum des Baues durch keine Regeln bestimmen lassen. O wenn Aristoteles wieder auflebte, und den falschen, widersinnigen Gebrauch seiner Regeln bei Dramas ganz andrer Art sähe. - Doch wir bleiben noch lieber bei der stillen, ruhigen Untersuchung. 4. Wer sind die Athenienser Europas? Puppe, Nachbild, Affe, Statüe, in der nur noch der andächtigste Kopf den Dämon finden konnte, der die Statüe belebte. Lasset uns gleich (denn die Römer waren zu dumm, oder zu klug, oder zu wild und unmäßig, um ein völlig gräzisierendes Theater zu errichten) zu den neuen Atheniensern Europens übergehen, und die Sache wird, dünkt mich, offenbar. 5. In welchem Zusammenhang wird von Herder Lessing erwähnt? Ich will's gar nicht einmal untersuchen <>, wo Lessing gegen die lautesten Anmaßungen neulich schreckliche Zweifel erregt hat. Das alles aber auch zugegeben, Drama ist nicht dasselbe, warum? weil im Innern nichts von ihm dasselbe mit jenem ist, nicht Handlung, Sitten, Sprache, Zweck, nichts - und was hülfe also alles äußere so genau erhaltne Einerlei? Glaubt denn wohl jemand, daß ein Held des großen Corneille ein römischer oder französischer Held sei? .... geht mit Ort und Zeit und Schöpfung durch alle Stücke. Lessing hat einige Umstände <> in Vergleichung der Theaterkönigin <> entwickelt - wie voll ist das ganze Drama dieses Lokalgeistes von Anfang, zu Ende. Schloßplatz und bittre Kälte, ablösende Wache und Nachterzählungen, Unglaube und Glaube - der Stern - und nun ercheint's! - Kann jemand sein, der nicht in jedem Wort und Umstande Bereitung und Natur ahnde! So weiter. Alles Kostüm der Geister erschöpft! der Menschen zur Erscheinung erschöpft! Hahnkräh und Paukenschall, stummer Wink und der nahe Hügel, Wort und Unwort - welches Lokal! welches tiefe Eingraben der Wahrheit! Und wie der erschreckte König kniet, und Hamlet vorbeiirrt in seiner Mutter Kammer vor dem Bilde seines Vaters! und nun die andre Erscheinung! Er am Grabe seiner Ophelia! der rührende good fellow in allen den Verbindungen mit Horaz, Ophelia, Laertes, Fortinbras! 6. In wie weit ist nach Herder die Kunst zeitgebunden? Nimm dieser Pflanze ihren Boden, Saft und Kraft, und pflanze sie in die Luft: nimm diesem Menschen Ort, Zeit, individuelle Bestandheit - du hast ihm Otem und Seele genommen, und ist ein Bild vom Geschöpf. 7. Was ist für Herder wichtiger als die Einhaltung der Einheit der Zeit und des Ortes? Sollte es denn jemand in der Welt brauchen demonstriert zu werden, daß Raum und Zeit eigentlich an sich nichts, daß sie die relativeste Sache auf Dasein, Handlung, Leidenschaft, Gedankenfolge und Maß der Aufmerksamkeit in oder außerhalb der Seele sind? Hast du denn, gutherziger Uhrsteller des Drama, nie Zeiten in deinem Leben gehabt, wo dir Stunden zu Augenblicken und Tage zu Stunden; gegenteils aber auch Stunden zu Tagen, und Nachtwachen zu Jahren geworden sind? Hast du keine Situationen in deinem Leben gehabt, wo deine Seele einmal ganz außer dir wohnte, hier in diesem romantischen Zimmer deiner Geliebten, dort auf jener starren Leiche, hier in diesem Drückenden äußerer, beschämender Not - jetzt wieder über Welt und Zeit hinausflog, Räume und Weltgegenden überspringet, alles um sich vergaß, und im Himmel, in der Seele, im Herzen dessen bist, dessen Exsistenz du nun empfindest? Und wenn das in deinem trägen, schläfrigen Wurm- und Baumleben möglich ist, wo dich ja Wurzeln gnug am toten Boden deiner Stelle festhalten, und jeder Kreis, den du schleppest, dir langsames Moment gnug ist, deinen Wurmgang auszumessen - nun denke dich einen Augenblick in eine andre, eine Dichterwelt nur in einen Traum? Hast du nie gefühlt, wie im Traum dir Ort und Zeit schwinden? was das also für unwesentliche Dinge, für Schatten gegen das was Handlung, Würkung der Seele ist, sein müssen? wie es bloß an dieser Seele liege, sich Raum, Welt und Zeitmaß zu schaffen, wie und wo sie will? Im Gange seiner Begebenheit, im ordine successivorum und simultaneorum seiner Welt, da liegt sein Raum und Zeit. Wie, und wo er dich hinreiße? wenn er dich nur dahin reißt, da ist seine Welt. Wie schnell und langsam er die Zeiten folgen lasse; er läßt sie folgen; er drückt dir diese Folge ein: das ist sein Zeitmaß - und wie ist hier wieder Shakespeare Meister! 8. Was hält Herder von der Grenzen einzelner dramatischer Genres? Tragedy, Comedy, History, Pastoral, Tragical-Historical, und Historical-Pastoral, und Pastoral-Comical und Comical-Historial-Pastoral, und wenn wir die Cals noch hundertmal mischen, was hätten wir endlich? kein Stück wäre doch griechische Tragedy, Comedy und Pastoral, und sollte es nicht sein. Jedes Stück ist History im weitsten Verstande, die sich nun freilich bald in Tragedy, Comedy, usw. mehr oder weniger nuanciert. - 9. Ist Shakespeare zeitlos? Trauriger und wichtiger wird der Gedanke, daß auch dieser große Schöpfer von Geschichte und Weltseele immer mehr veralte! daß da Worte und Sitten und Gattungen der Zeitalter, wie ein Herbst von Blättern welken und absinken, wir schon jetzt aus diesen großen Trümmern der Ritternatur so weit heraus sind, daß selbst Garrick, der Wiedererwecker und Schutzengel auf seinem Grabe, so viel ändern, auslassen, verstümmeln muß, und bald vielleicht, da sich alles so sehr verwischt und anders wohin neiget, auch sein Drama der lebendigen Vorstellung ganz unfähig werden, und eine Trümmer von Kolossus, von Pyramide sein wird, die jeder anstaunet und keiner begreift. Glücklich, daß ich noch im Ablaufe der Zeit lebte, wo ich ihn begreifen konnte, und wo du, mein Freund, der du dich bei diesem Lesen erkennest und fühlst, und den ich vor seinem heiligen Bilde mehr als einmal umarmet, wo du noch den süßen und deiner würdigen Traum haben kannst, sein Denkmal aus unsern Ritterzeiten in unsrer Sprache, unserm so weit abgearteten Vaterlande herzustellen. Ich beneide dir den Traum, und dein edles deutsches Würken laß nicht nach, bis der Kranz dort oben hange. Und solltest du als denn auch später sehen, wie unter deinem Gebäude der Boden wankt, und der Pöbel umher stillsteht und gafft, oder höhnt, und die daurende Pyramide nicht alten ägyptischen Geist wiederaufzuwecken verag - dein Werk wird bleiben, und ein treuer Nachkomme dein Grab suchen, und mit andächtiger Hand dir schreiben, was das Leben fast aller Würdigen der Welt gewesen: voluit! quiescit! Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker Wer war der deutsche Übersetzer von Macphersons Fragments of ancient Poetry, d. h. von den angeblichen Gedichten des sagenhaften Barden Ossian, und was wirft ihm Herder vor? Meine Gründe gegen den deutschen Ossian sind nicht bloß, wie Sie gütigst wähnen, Eigensinn gegen den deutschen Hexameter überhaupt: denn was trauen Sie mir für Empfindung, für Ton und Harmonie der Seele zu, wenn ich z.E. den Kleistischen, den Klopstockischen Hexameter nicht fühlen sollte? aber freilich, weil Sie doch einmal selbst darauf gekommen sind, der Klopstock'sche Hexameter bei Ossian? Hätte der Herr D. die eigentliche Manier Ossians nur etwas auch mit dem innern Ohre überlegt - Ossian so kurz, stark, männlich, abgebrochen in Bildern und Empfindungen - Klopstocks Manier, so ausmalend, so vortrefflich, Empfindungen ganz ausströmen, und wie sie Wellen schlagen, sich legen und wiederkommen, auch die Worte, die Sprachfügungen ergießen zu lassen welch ein Unterschied! und was ist nun ein Ossian in Klopstocks Hexameter? in Klopstocks Manier? Fast kenne ich keine zwo verschiednere, auch Ossian schon würklich wie Epopöist betrachtet. DENIS, (Johann Nepomuk Cosmas) Michael, Geistlicher, Bibliothekar, Rhetoriklehrer und Poet (Pseudonym: Sined, der Barde), * 27.9. 1729, Schärding, | 29.9. 1800, Wien Nach dem Besuch des Jesuitengymnasiums in Passau wurde D. 1747 in Wien Mitglied der Societas Jesu und 1757 zum Priester geweiht. Nach Studium und propädeutischer Lehrtätigkeit in Wien, Graz, Klagenfurt und Preßburg erhielt er 1759 eine Professur für Rhetorik an der Theresianischen Akademie in Wien; an dieser Eliteschule des Adels unterrichtete D. auch nach der Aufhebung des Jesuitenordens (1773), ehe er 1784 zum Kustos der Hofbibliothek und 1791 als deren Direktor zum Hofrat ernannt wurde. Denis gilt als Hauptvertreter der Empfindsamkeit in Österreich und zu einem Vorläufer der Wiener Romantik. Als einziger unter der Generation ehemaliger Jesuiten, welche die literarische Kultur der josephinischen Ära in Österreich literarisch geprägt hat, erlangte er als Poeta minor eine enorme überregionale Bedeutung. Seine Vorliebe galt den Dichtern der Empfindsamkeit wie Gellert, Gleim, Hagedorn, Haller und Uz. Mit Gleim als dem Verfasser von preußischen Kriegsliedern nahm D. 1760, ausgelöst durch den Siebenjährigen Krieg, einen patriotisch-poetischen Wettstreit auf (`Poetische Bilder der meisten kriegerischen Vorgänge in Europa seit 1756'). Im Gegensatz zu anderen Lokalgrößen und Ex-Jesuiten(zöglingen) wie Blumauer, Haschka und Ratschky blieb D., der nach eigenem Zeugnis nie Freimaurer war, nicht der anakreontischen oder satirischen Literatur der Aufklärung verhaftet, sondern wirkte tendentiell an der Überwindung der regelpoetischen Kasualdichtung zugunsten einer gehobenen lyrischen Ausdrucksästhetik mit. In diesem Sinne genießt Denis in der Literaturgeschichte den Ruf, der <> gewesen zu sein. Insbesondere seine `Ossian'-Übersetzungen (1768/69), die ersten in deutscher Sprache überhaupt, inspirierten die Rezeption der europäischen Bardenbegeisterung im gesamten deutschen Sprachraum. Namentlich Herder zählte den <> im `Briefwechsel über Oßian und die Lieder alter Völker' (1773) zu seinen Lieblingsbüchern, kritisierte jedoch die Wahl des Hexameters, die dem vermeintlich original volksliedhaften Empfindungsgehalt des Ossian nicht gerecht würde und hinter Klopstocks freierer Rhythmik zurückbliebe. Gleichwohl verfolgte D. damit nach dem Vorbild von Klopstocks `Meßias' (1748ff.) eine prosodische Erneuerung deutscher Versdichtung und die Etablierung eines in Religiosität und Naturgefühl an Milton orientierten hymnischen Stils. Ebenso gehören die von D. selbst verfaßten und unter einem von Karl Friedrich Kretschmann stammenden Anagramm herausgegebenen `Lieder Sineds des Barden' (1772 u.ö.) zu den am meisten beachteten Beiträgen deutscher Bardenlyrik. Verstanden als vaterländische Gesänge dokumentieren diese reimlosen Gedichte die Nachwirkung von Klopstocks `Hermanns Schlacht' (1769). Daß D., der mit Klopstock und Mitgliedern des `Göttinger Hainbundes' in brieflicher Verbindung stand und am `Wiener Musenalmanach' (1777-1796) mitwirkte, bescheidenen Anteil an der Subjektivierung lyrischer Sprache im 18. Jh. hatte, bezeugen nicht zuletzt seine Psalmenübertragungen und die für das Diözesangesangbuch Josephs II. gedichteten `Geistlichen Lieder'. Wer soll der Poesie ihre ursprüngliche Kraft -- trotz der schlechten Reime --wiedergeben? - unverbildete, einfache Mensch soll Ihnen wollte ich nur in Erinnerung bringen, daß Ossians Gedichte Lieder, Lieder des Volks, Lieder eines ungebildeten sinnlichen Volks sind, die sich so lange im Munde der väterlichen Tradition haben fortsingen können - sind sie das in unsrer schönen epischen Gestalt gewesen? haben sie's sein können? - mein Freund, wenn ich mich zuerst gegen Ihre zweifelnde Halsstarrigkeit gegen die Ursprünglichkeit Ossians auf nichts so sehr, als auf inneres Zeugnis, auf den Geist des Werks selbst berief, der uns mit weissagender Stimme zusagte: <> mit ebendem innern Zeugnis rufe ich jetzt ebenso laut: <> Was sagen Sie zu meinem innern Beweise? aber bei alten ungekünstelten Liedern, wilder, ungesitteter Völker - wilder ungesitteter Völker? ich kann Ihre Stelle kaum ausschreiben. So gehörte Ihr Ossian und sein edler, großer Fingal so schlechthin zu einem wilden ungesitteten Volk? und wenn jener auch alles idealisiert hätte, wer so idealisieren konnte, und wem so idealisiert, dergleichen Bilder, dergleichen Geschichte, der Traum des Nachts und das Vorbild des Tags, Gemütserholung und beste Herzenslust sein konnte; der war wildes Volk? Wohin man doch abgeraten kann, um nur seine Lieblingsmeinung zu retten. Wissen Sie also, daß je wilder, d.i. je lebendiger, je freiwirkender ein Volk ist (denn mehr heißt dies Wort doch nicht!), desto wilder, d.i. desto lebendiger, freier, sinnlicher, lyrisch handelnder müssen auch, wenn es Lieder hat, seine Lieder sein! Je entfernter von künstlicher, wissenschaftlicher Denkart, Sprache und Letternart das Volk ist: desto weniger müssen auch seine Lieder fürs Papier gemacht, und tote Lettern Verse sein: vom Lyrischen, vom Lebendigen und gleichsam Tanzmäßigen des Gesanges, von lebendiger Gegenwart der Bilder, vom Zusammenhange und gleichsam Notdrange des Inhalts, der Empfindungen, von Symmetrie der Worte, der Silben, bei manchen sogar der Buchstaben, vom Gange der Melodie, und von hun dert andern Sachen, die zur lebendigen Welt, zum Spruch- und Nationalliede gehören, und mit diesem verschwinden - davon, und davon allein hängt das Wesen, der Zweck, die ganze wundertätige Kraft ab, die diese Lieder haben, die Entzückung, die Triebfe der, der ewige Erb- und Lustgesang des Volks zu sein! Das sind die Pfeile dieses wilden Apollo, womit er Herzen durchbohrt, und woran er Seelen und Gedächtnisse heftet! Je länger ein Lied dauern soll, desto stärker, desto sinnlicher müssen diese Seelenerwecker sein, daß sie der Macht der Zeit und den Veränderungen der Jahrhunderte trotzen - Welche formale Merkmale der Volkspoesie nennt Herder? Wie begründet er die von anderen Textsorten abweichende "mangelhafte" Textkohärenz? Zuerst, sollten also wohl für den sinnlichen Verstand, und die Einbildung, also für die Seele des Volks, die doch nur fast sinnlicher Verstand und Einbildung ist, dergleichen lebhafte Sprünge, Würfe, Wendungen, wie Sie's nennen wollen, so eine fremde böhmische Sache sein, als uns die Gelehrten und Kunstrichter beibringen wollen? Sie wissen die Einwürfe, die man hier aus Klopstocks Kirchenliedern, wie es immer gelautet hat, für die gute Sache des christlichen Volks gemacht hat, lassen Sie uns sehen, was daran sei? Zuerst muß ich Ihnen also, wenn es auf Erfahrung und Autorität ankommt, sagen, daß nichts in der Welt mehr Sprünge und kühne Würfe hat, als Lieder des Volks, und eben die Lieder des Volks haben deren am meisten, die selbst in ihrem Mittel gedacht, ersonnen, entsprungen und geboren sind, und die sie daher mit so viel Aufwallung und Feuer singen, und zu singen nicht ablassen können. ... Alle Gesänge solcher wilden Völker weben um daseyende Gegenstände, Handlungen, Begebenheiten, um eine lebendige Welt! Wie reich und vielfach sind da nun Umstände, gegenwärtige Züge, Theilvorfälle! Und alle hat das Auge gesehen! Die Seele stellet sie sich vor! Das setzt Sprünge und Würfe! Es ist kein anderer Zusammenhang unter den Theilen des Gesanges, als unter den Bäumen und Gebüschen im Walde, unter den Felsen und Grotten in der Einöde, als unter den Scenen der Begebenheit selbst. Wenn der Grönländer von seinem Seehundfange erzählt: so redet er nicht, sondern mahlet mit Worten und Bewegungen, jeden Umstand, jede Bewegung: denn alle sind Theile vom Bilde in seiner Seele. Wenn er also auch seinem Verstorbnen das Leichenlob und die Todtenklage hält, er lobt, er klagt nicht: er mahlt, und das Leben des Verstorbnen selbst, mit allen Würfen der Einbildung herbeygerissen, muß reden und bejammern. Ich entbreche mich nicht ein Fragment der Art hieher zu setzen; denn da es gewöhnlich ist, Sprünge und Würfe solcher Stücke für Tollheiten der Morgenländischen Hitze, für Enthusiasmus des Prophetengeistes, oder für schöne Kunstsprünge der Ode auszugeben, und man aus diesen eine so herrliche Webertheorie vom Plan und den Sprüngen der Ode recht regelmäßig ausgesponnen hat: so möge hier ein kalter Grönländer fast unterm Pol hervor, ohne Hitze und Prophetengeist und Odentheorie, aus dem vollen Bilde seiner Phantasie reden Wer war Macpherson? Der schottische Autor James Macpherson wurde am 27.10.1736 in Ruthven (Inverness) geboren. Im Alter von neun Jahren war er Zeuge des letzten Aufstands der Schotten gegen die englische Krone geworden. Die schottischen Clans hatten sich bis dahin in den öden, unzugänglichen Highlands weitgehend behaupten können. Aufgrund ihrer archaischen Stammesverfassung und katholischen Religion waren sie Anhänger der Stuartsund versuchten den Stuarts den englischen Thron und sich selbst die nationale Eigenständigkeit zurückzuholen. Die Highlander gelangten bis nach Derby, nur 130 Meilen von London entfernt, wurden dann aber von englischen Truppen zurückgedrängt und in der Schlacht von Culloden (1746) erbarmungslos niedergemetzelt. Den vorläufig wichtigsten Anstoß erhielt Macpherson im Herbst 1759, als er sich mit der Familie Graham in der Stadt Moffat aufhielt und dort dem Dichter John Home begegnete. Der arrivierte Literat befragte ihn über die Sitten und Nationalpoesie der Hochländer. Es muß für Macpherson sehr schmeichelhaft gewesen sein, vom "schottischen Shakespeare" derartige Aufmerksamkeit gewidmet zu bekommen. Jedenfalls gab er vor, über einige Verse der schottischen Nationalpoesie im gälischen Urtext zu verfügen. Da Home kein Gälisch konnte, mußte ihm Macpherson diese angeblichen Texte ins Englische übersetzen. Er tat dies anscheinend nur sehr widerstrebend. Home blieb jedoch hartnäckig und drängte auf die Übersetzung weiterer Texte. Macpherson zog sich darauf zurück und brachte nach zwei oder drei Tagen tatsächlich weitere Verse herbei. Das Hauptstück hieß Oskars Tod und besang einen keltischen Helden aus dem irisch-schottischen Sagenkreis, in dessen Mittelpunkt die legendäre Gestalt des kriegerischen Finn oder Fingal steht. Home war von Macphersons "Übersetzungen" fasziniert. Nicht anders erging es seinen gebildeten Freunden, denen er die Verse nach der Rückkehr in Edingburgh zeigte. Vor allem fesselten sie den Dr. Hugh Blair, einen Prediger und Professor für Rhetorik und Literatur, der als der Literaturpapst des Nordens galt. Nun war es dieser Blair, der Macpherson zu weiteren Übersetzungen drängte. Macpherson sträubte sich zuerst wieder gegen das Ansinnen. Schließlich war es eine sehr anstrengende Tätigkeit, aus den nur grob strukturierten Legenden, die ihm und vielen anderen aus der mündlichen Überlieferung bekannt waren, kunstvolle Verse zu schmieden. Hinzu kam, daß dabei für ihn als bloßen "Übersetzer" kein sonderlicher Ruhm abfiel. Da er aber die anfängliche Schwindelei nicht eingestehen wollte, mußte er wohl oder übel auf dem eingeschlagenen Wege weitergehen, um sich die Geneigtheit der Edinburgher Gesellschaft zu erhalten. Der Untertitel - collected in the Highlands of Scotland and translated from the galic or erse language - wies die angeblich in den schottischen Highlands gesammelten Gedichtfragmente als Übersetzungen aus dem Gälischen bzw. "Ersischen" aus. Die spätere Prüfung hat ergeben, daß von den 16 Stücken dieser "Fragments" nur zwei auf tatsächlich überlieferten Balladen beruhten. Die übrigen waren mehr oder weniger frei erfunden. Auf Anraten seiner Gönner goß Macpherson die "Übersetzungen" nicht in Reime, sondern in eine rhythmische Prosa. Diese stilistische Innovation dürfte einer der Gründe gewesen sein, weshalb die "Fragments" solchen Erfolg hatten. Macpherson wollte sich dem Ansinnen, nach weiteren Teilen des Epos zu forschen, auch jetzt wieder entziehen. Immerhin gab es schon erste kritische Stimmen, die an der Echtheit der "Fragments" zweifelten. Hinter dem Rücken Blairs soll sich Macpherson sogar selbst über dessen romantic ideas lustig gemacht haben. Zwei Monate lang widerstand er dem Drängen seines Mentors. Vergeblich redeten ihm auch andere zu. Schließlich setzte ihn Blair massiv unter Druck: Er veranstaltete ein Festessen, zu dem er die ganze literarische Gesellschaft Edinburghs einschließlich Macphersons einlud. Unter massivem Drängen und Zureden von allen Seiten erklärte sich Macpherson schließlich bereit, eine Expedition in die Highlands zu unternehmen, um dort nach weiteren Fragmenten zu suchen. Um die Kosten der Expedition zu decken, hatte die noble Gesellschaft Edinburghs bereits eine Suskription veranstaltet, die hundert Pfund erbrachte. Die Haupt- und Rahmenfigur im Fingal bildet Ossian, der bereits in den Fragments auftaucht. Dieser Ossian ist ein alt und blind gewordener Barde, der als einziger den Heldentod seines Vaters Fingal und dessen legendärer Schar überlebt hat. Geführt von Malvina, der jungen Witwe des gefallenen Oskar, besingt er die Kämpfe und Taten vergangener Zeiten. Zur melodramatischen Figur Ossians passen die nebelverhangene, heroische Landschaft und der wehmütige Ton seiner Lieder, die Macpherson natürlich nicht der keltischen Vorzeit, sondern dem Zeitgeist der Gegenwart abgelauscht hatte. Aber gerade deshalb wirkten sie auf die Zeitgenossen überzeugend: Genau so großartig, tugendhaft und erhaben hatten sie sich die Vergangenheit vorgestellt. Die angeblichen Original-Übersetzungen, die nun folgten, hatte Macpherson mit zahlreichen Fußnoten versehen. Darin wurden, mit der scheinbaren Akribie des Historikers und Philologen, weitere gelehrsame Erläuterungen gegeben und einzelne Textstellen thematisch verwandten Passagen bei Homer, Milton und anderen Dichtern gegenübergestellt. So war es scheinbar dem kritischen Blick des Übersetzers nicht entgangen, daß an einer Stelle der Ausdruck strong spirit of heaven auftaucht. Dies sei, teilte er dem Leser mit, aber auch die einzige Stelle, wo ein religiöses Moment anklinge. Im übrigen müsse es offen bleiben, ob damit tatsächlich ein höheres Wesen oder die Geister der verstorbenen Krieger gemeint seien. Da der Ruf nach den Originalen nicht verstummen wollte, versprach die Londoner Hochlandgesellschaft Macpherson 1784 ihre großzügige finanzielle Unterstützung für den Druck der gälischen Urtexte. Macpherson antwortete ihr darauf, daß er sich an die Arbeit machen werde, sobald er die nötige Muße finde. Anscheinend hat er in den folgenden Jahren tatsächlich den ganzen Ossian aus dem Englischen ins Gälische "rückübersetzt". Vor der Drucklegung scheute er jedoch zeitlebens zurück. Erst 1807, ein Jahrzehnt nach Macphersons Tod, wurden die "Originale" von der Londoner Hochlandgesellschaft in drei monumentalen Bänden veröffentlicht, denen 1870 nochmals eine Prachtausgabe folgte. Sie umfaßten neben dem eigentlichen Ossian, bestehend aus Fingal und Temora, zwei weitere Epen aus dem Nachlaß. Macpherson hatte gute Gründe, die Veröffentlichung so lange hinauszuzögern. Die angeblichen Originale wurden von dem Historiker Malcolm Laing (gest. 1818 und anderen Sachverständigen sofort als gälische Übersetzung der englischen Ausgabe von 1773 erkannt. Macpherson hatte also die gälischen "Originale", die nie existierten, nachträglich aus dem englischen Text seiner Fälschungen herbeigezaubert. Die große Schar der Gläubigen ließ sich durch diese Enthüllung freilich sowenig beeindrucken wie durch die zuvor schon erhobenen Einwände. Der Fälscher James Macpherson starb wohlhabend am 17.2.1796 auf Gut Belville, Inverness. ------------------------------- [1] In den evang. Kirchen urspr. ein kirchl. Angestellter, der als Erzieher in Anstalten, als Gemeindehelfer, als Krankenpfleger in kirchl. Krankenhäusern bestellt war; [2] Krst. des Landkreises Ostholstein, Schlesw.-Holst., in der Holstein. Schweiz zw. dem Großen und Kleinen Eutiner See, [3] Stadt im Landkreis Schaumburg, Ndsachs