Ewald Christian von Kleist * 1715 Zeblin/Pommern, | 1759 Frankfurt/O. Aus seiner Herkunft aus altem, allmählich verarmendem märkischen und pommerischen Adel ergab sich fast zwangsläufig die Offizierslaufbahn in der preußischen Armee in den Spuren seiner Vorfahren Kleist und Manteuffel. Die Aufsicht über die Güter sollte in die Hände des älteren (einzigen) Bruders gelegt werden. Obwohl Kleist 1731 er die Universität Königsberg bezog, um Jura zu studieren, und man plante, ihn auf eine höhere Verwaltungslaufbahn möglichst gut vorzubereiten, ließ die Mittellosigkeit der Familie offenbar alle Hoffnungen auf eine Zivillaufbahn zerrinnen. An der Mittellosigkiet scheiterte auch seine Verlobung: Es war aber unabsehbar, wann der mittellose Leutnant (die Erbteilung brachte ihm eben 2200 Taler) angesichts der erbärmlich schlechten Besoldung der preußischen Offiziere je seine Braut standesgemäß hätte ernähren können. Was K. sonst von der Welt gesehen hat, brachte sein Beruf mit: Dänemark als Fähnrich[1], Sachsen, Schlesien u. Böhmen als Offizier in den Kriegen Friedrichs II., als Werbeoffizier dann die Pfalz (Speyer) u. die Schweiz 1752/53 mit ihren Dichtern uund vor allem ihren Naturschönheiten. Auch fast alle seine Freunde lernte Kleist durch den Dienst kennen: nach Berlin abkommandiert, den Verleger Nicolai, den Dichter und Maitre an der Kadettenschule Ramler und den Ästhetiker Sulzer[2], im Krieg dann 1757 in Leipzig den gerade stellungslosen Lessing. Sein literarisches Werk geht auf solche Begegnungen und vor allem auf die Bekanntschaft mit Gleim zurück. Vielleicht wäre der zu Depressionen neigende, auch oft hypochondrische Kleist wie seine stumpfsinnigen Offizierskameraden in der Potsdamer Garnison moralisch und intellektuell verkümmert, hätte er nicht Gleims Bekanntschaft gemacht Der anakreontischen Tändelei Gleims hat er gleichwohl nicht allzu lange angehangen. Seine Poesie ist zudem oft schwermütig -- ein frühes Beispiel einer Weltschmerz-Dichtung. Berühmt wurde er durch sein langes Gedicht Der Frühling. Dieser Spaziergang durch die Natur entstand 1746-1749 (erschienen: Bln. 1749 u. ö.); 1756 dann eine letzte, nicht zu ihrem Nachteil um rund 20 Prozent gekürzte Fassung. Sie ist auftaktigen Hexameter geschrieben und steht unter dem literar. Einfluß von Hallers Alpen (1732), Brockes' Irdischem Vergnügen in Gott (1721-48) u. besonders Thomsons Seasons (1726-30). Empfang mich, schattiger Hain voll hoher grüner Gewölbe! Empfang mich! Fülle mit Ruh und holder Wehmut die Seele! Führ mich in Gängen voll Nacht zum glänzenden Throne der Tugend, Der um sich die Schatten erhellt! Die Natur löst bei kleist vor allem empfindungen aus. Die Lehrode beginnt mit der emphatischen Bitte an die Natur, sie möge die die Seele des Dichters empfindsam machen und lehren, selbst Empfindungen zu wecken. Reizt und begeistert die Sinnen, Das meine Töne die Gegen wie Zephirs Lispeln erfüllen Dynamische Verben geben im nächsten abschnitt die lebendige Energie wieder, mit der der Frühling den Winter besiegt. Der Perspektibvenwechsel von amoener Landschaft zum stürmischen Vorfrühling sollen Gemüte mit einer süßen Unruhe erfüllen, wie es bei Johann Jakob Breitinger (Critische Dichtkunst), dem Gegner Gottscheds heißt. Schnell rollte von Hügel und Bergen Der Schnee in Haufen herab, und Felder wurden zu Seen. -- -- -- Allmählich versiegte die Flut. Von eilenden Dünsten und Wolken Flohn junge Schatten umher. Es schien der Himmel erweitert Und war voll Schimmer und Strahlen. Zwat streute der weichende Winter Noch oft bei nächtlicher Umkehr von den geschüttelten Flügeln Reif, Eis und Schauer von Schnee; Ähnlich wie Haller preist Ewald von Kleist das tugendhafte, natürliche, mit Arbeit sinnvoll ausgefüllte Leben auf em Lande und setzt dagegen das künstliche, lasterhafte Treiben am Hof, die güldnen Kerker der Städte, die Ehrgeiz, Rachsucht und Habgier gebären. Er fordert -- im Unterschied zu Haller -- sogar die Menschen auf, in die heitere Natur zu fliehen: Ihr seid zur Freude geschaffen, der Schmerz schimpft Tugend und Unschuld. Saugt Lust und anmut in euch! Ach wär auch mir vergönnt , in euch, ihr holden Gefilde, Gestreckt in wankende Schatten am Ufer schwatzhafter Bäche, Hinfort mir selber zu leben und Leid und niedrige Sorgen Vorüberrauschender Luft einst zuzustreuen! Die Naturbetrachtung und --erfahrung führt bei Kleist nicht, wie in einem klassischen Lehrgedicht zu einem gedankliche Schluss, sondern zu einem Wunsch: nach Ruhe und dem unschuldigen Leben, das allein die Natur geben könne. Der Tod erscheint als das ziel des Lebens und der Schöpfer weiß den richtigen Augenblick, uns zu erlösen: Grünt nun, ihr holden Gefilde! Ihr Wiesen und schattige Wälder ... Mir wehe der Zephir aus euch durch Blumen und Hecken noch öfter Ruh und Erquickung ins Herz! Lasst mich den Vater des Weltbaus (Der Segen über euch breitet im Strahlenkreise der Sonne, Im Tau und Regen) noch ferner in eurer Schönheit verehren Und melden voll heiliger Regung sein Lob antwortenden Sternen: Und wenn nach seinem Geheiß mein ziel des Lebens herannaht, Dann sei mir endlich in euch die letzte Ruhe verstattet! Der ethisch-erzieherischen Lehrdichtung stand eine leichte, heitere, von gewagte französischen erotischen Anspielungen gereinigteen Poesie des deutschen Rokoko und Anakreontik, die die Freude am Irdischen rechtfertigt: man soll das Leben genießen, solange es währt. Das barocke memento mori! wird nicht mehr als bedrohlich empfunden: Gerade in der Flüchtigkeit erblickte amn den Reiz des Daseins. Dominante Stilzüge der vorklassischen Literatur in Deutschland (zwischen etwa 1740 und 1780): -- ein witziger, scherzhafter oder graziöser[3] Ton, -- das (auch amouröse) Sinnenspiel -- der gesellige Umgang mit Freunden oder Geliebten beschrieben, -- die Natur meistens zum>locus amoenus< stilisiert. Genres: -- das volkstümliche (häufig vertonte) >Lied<, -- das Epigramm, -- die Idylle oder das Epyllion[4] Neuübersetzungen Anakreons (vor allem von Johann Peter Uz u. Johann Nikolaus Götz) - Johann Wilhelm Ludwig Gleim Geboren am 2.4.1719 in Ermsleben/Ostharz; gestorben am 18.2.1803 in Halberstadt. Gleim war das vierte Kind eines Obereinnehmers. Zunächst erhielt er Unterricht durch einen protestantischen Geistlichen, ab 1730 besuchte er die Stadtschule zu Wernigerode. 1735 starben beide Eltern; wohlhabende Gönner ermöglichten aber das Studium (Philosophie und Rechtswissenschaft) in Halle. Ab 1743 arbeitete er in Berlin als Hauslehrer, dann als Stabssekretär des Prinzen Wilhelm von Brandenburg-Schwedt. 1747 wurde er zum Sekretär des Domkapitels in Halberstadt ernannt; 1756 erhielt er ein Kanonikat des Stifts Walbeck bei Helmstedt. Die dadurch erreichte, finanziell wohlabgesicherte Position ermöglichte es dem Junggesellen, in Halberstadt seinen Traum von einer anakreontischen Existenz zu verwirklichen. Er stand in freundschaftlichem Kontakt mit Klopstock, Herder, Voß und Seume und scharte den Halberstädter Dichterkreis um sich, einen Bund junger Literaten, die er selbstlos förderte. Bis ins hohe Alter genoß er als "Vater Gleim" hohes Ansehen. Einladung zum Tanz 1. Kein tödtliches Sorgen Beklemmt mir die Brust! Mit jeglichem Morgen Erwach' ich zur Lust. Hier, unter den Reben, Die Bacchus gepflanzt, Uns Schatten zu geben, Sey heute getanzt! 2. Kommt, freundliche Schönen, Gesellet euch hier, Erfüllet die Scenen Der Freude mit mir! Den alten Betrübten Laßt Laster und Pein, Und folgt der Geliebten In tanzende Reih'n! 3. Unschuldige Jugend Dir sey es bewußt: Nur Feinde der Tugend Sind Feinde der Lust. Die Wolken der Grillen Verrathen genug Unfreundlichen Willen Und bösen Betrug. 4. Ja, Tugend und Freude Sind ewig verwandt; Es knüpfet sie beide Ein himmlisches Band! Ein reines Gewissen, Ein ehrliches Herz Macht munter zu Küssen, Zu Tänzen und Scherz. 5. Ihr Faunen, ihr Nymphen, Es gab euch ein Gott Die Gabe zu schimpfen, Und Launen und Spott: Des Tanzes Verächter Verachten auch euch: Ein höhnisch Gelächter Verjage sie gleich! Friedrich von Hagedorn (1708-1754) Hamburger, Sekretär des dän. Gesandten in London, später Angestelleter einer englischen Handelsgesellschagft in Hamburg. Anfälle von Podagra; erst 46 Jahre alt, starb der Dichter an Wassersucht, von Freunden u. Verehrern in ganz Europa betrauert. Versuch in poetischen Fabeln und Erzählungen, 1738 La Fontaine: Contes et nouvelles en vers, 1664-74 Nutz- und Lehranwendung. Die Kriterien der Vernunft, unbedingte Klarheit u. Allgemeingültigkeit, wurden nun auch auf die Poesie angewandt. Hagedorn verbannte die im Barock so beliebten Wortspielereien ebenso wie veraltete Worte, Fremdwörter uund jede Annäherung an die "niedere" Umgangssprache. Daneben forderte er unbedingte grammatische u. metrische Korrektheit, betonte Einfachheit syntakt. Fügungen u. die Rückkehr zu alternierenden Vers- u. leicht singbaren Strophenformen. Dieses neue Stilideal, mag, gemessen am barocken Formenreichtum, zunächst als Verengung erscheinen. Ein erstaunlicher Eudämonismus[5] bemächtigte sich des Bürgertums, des sozialen Trägers der europ. Aufklärung. Die Lust am Irdischen, bei Brockes noch als "irdisches Vergnügen in Gott", bei den Gottschedianern noch als "Belustigungen des Verstandes und Witzes" kaschiert, bedurfte keiner Rechtfertigung mehr, sondern floß als Lebensfreude unmittelbar aus der Empfindung des Menschen. Nicht die Furcht vor dem Tod, sondern der weise Gedanke an das Nachlassen der Genußfähigkeit fordert auf, die Jugend zu nutzen u. die Welt zu genießen. Wie viele Dichter des Rokoko, dessen Begründer er in Deutschland wurde, zeigt Hagedorn eine ausschließende Vorliebe für Kleingattungen. Dieser Zug zum Kleinen zeigt sich auch am Gehalt seiner Dichtung, die überall das Scherzhafte dem Erhabenen, das Intimere dem Repräsentativen vorzieht. - Nur vier Gattungen hat der Dichter gepflegt: Fabel, Lied, Lehrgedicht u. Epigramm. Auch die Horazsche Ode mischt sich bei ihm mit herkömmlichen Liedformen. Friedrich von Hagedorn (1744): An die Freude Freude, Göttin edler Herzen! Höre mich. Laß die Lieder, die hier schallen, dich vergrößern, dir gefallen; Was hier tönet, tönt durch dich. Muntre Schwester süßer Liebe! Himmelskind! Kraft der Seelen! Halbes Leben! Ach, was kann das Glück uns geben, Wenn man dich nicht auch gewinnt? Stumme Hüter toter Schätze Sind nur reich. Dem, der keinen Schatz bewachet, Sinnreich scherzt und singt und lachet, Ist kein karger König gleich. Gib den Kennern, die dich ehren, Neuen Mut, Neuen Scherz den regen Zungen, Neue Fertigkeit den Jungen Und den Alten neues Blut. Du erheiterst, holde Freude, Die Vernunft! Flieh auf ewig die Gesichter Aller finstern Splitterrichter Und die ganze Heuchlerzunft! ------------------------------- [1] podporuèík: jüngster Offizier einer Einheit [2] die Wolffsche Philosophie mit der frnaz. und engl. Ästhetik kompiliert. [3] anmutig [4] ein kleines Epos, in Hexametern geschrieben, meistens über ein mythologisches Thema, Theocritus, Euphorion, Ovids Metamorfosen, die Geschichte von Erpheus und Euridica aus dem 4. Buch Georgica von Vergil. [5] philosophische Lehre, die im Glück des Einzelnen od. der Gemeinschaft die Sinnerfüllung menschlichen Daseins sieht.