Prof. Dr. Peter Zahn http://www.ib.hu-berlin.de/~pz/zahnpage/librdisc.htm#Libri Die Scholaren (Studenten - < studere, etwas eifrig betreiben - die weibliche Form gab es nicht bis zu den ersten Studentinnen kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert). Das Studium begann schon mit 13-14 Jahren: der päpstliche Legat Robert von Courçon wendet sich i. J. 1215 an die Lehrer und Studenten von Paris: ...und verfügt: niemand darf in der Fakultät der Artes Vorlesungen halten, der nicht 21 Jahre als ist und mindestens sechs Jahre lang selbst Vorlesungen gehört hat ... (Cardini S. 23). - Auch Melanchthon bezog die Universität mit zwölf Jahren und machte mit 17 das Magisterexamen. (Prahl S. 36) Die soziale Herkunft war innerhalb der Universität gleichgültig: es gab keine Vorrechte der Geburt. Jeder konnte zum Rektor oder Dekan gewählt werden. Vergleichbar ist dies nur mit den neuen religiösen Orden seit dem 13. Jahrhundert, den sog. Bettelorden, der Franziskaner und Dominikaner .. in die von Anfang an Adelige, Kaufmanns-, Handwerker- und Bauernsöhne ohne Unterschied eintraten. (Grundmann S. 19). - Die weitaus größere Zahl der Studenten war bürgerlicher oder bäuerlicher Herkunft, selten aus dem Adel. Enea Silvio Piccolomini stammte aus verarmtem Sieneser Stadtadel - er gelangte durch das Studium über die kaiserliche Kanzlei bis zum päpstlichen Stuhl als Papst Pius II. In den Stiftungsbrief für die Baseler Universität (1459) schreibt er hinein, daß das Studium der Wissenschaften den niedrig Geborenen emporzubringen und zu adeln vermöge. Auch Nikolaus von Kues, Sohn eines Moselschiffers und -fischers aus Bernkastel, studierte in Heidelberg die Rechte, in Köln Theologie, nahm als Sekretär eines Kardinals am Baseler Konzil teil, brachte es selbst bis zum Kardinal und Bischof von Brixen, damit zum Reichsfürsten. (Grundmann S. 23). Von bedeutenden mittelalterlichen Gelehrten weiß man nichts über ihre Herkunft: Roger Bacon oder Wilhelm von Ockham waren nicht-adeliger Herjunft. (Grundmann S. 24). Für mittellose Studenten (sie zahlten für die Immatrikulation keine Gebühren, in Köln waren es bis um 1470 etwa 20%, Grundmann S. 22) gab es ein System von Stipendien für Wohnung und Verpflegung, Freitische, Bursen und Kollegien. In Bologna hatten vier ausgewählte Kauflete oder Bankiers die Lizenz, Sonderkredite für Scholaren zu vergeben. In Paris lag die Kreditvergabe bei angesehenen Bürgern, den Großen Boten (nuntii maiores); die Kleinen Boten (nuntii minores) hatten den Postdienst zu besorgen und die Reisekostengelder (für die Heim- und Rückreisen der Studenten) zu verwalten. (Rückbrod S. 20). Die Studenten waren - wie heute - ständig ohne Geld, des Lernens überdrüssig und voll ... Vergnügungssucht (Cardini S. 25). Sie unterstanden nicht der kommunalen Gesetzgebung, hatten weitreichende steuerliche Vorteile, zogen von einer Universität zur anderen, schrieben Gedichte, konsumierten viel und produzierten wenig, hatten keine Vorurteile, demonstrierten ... ihre Verachtung für die Institution der Ehe. Die Freizügigkeit im Reisen, die Mobilität der Studenten, zeigt sich am Beispiel des Thomas von Aquin: er studierte als Italiener zuerst an der Staatsuniversität Friedrichs II. in Neapel, dann in Köln; noch nicht 30-jährig ist er Professor in Paris ... und beschließt seine Laufbahn als Rektor wieder in Neapel. (Cardini S. 25) Die Magister der Artisten waren auf die Hörgelder angewiesen. Nur die wenigsten von ihnen hatten Pfründen inne. - (Pfründe, Benefizium: Rechtsinstitut aus Kirchenamt und Vermögensmasse zum Unterhalt eines Klerikers = Benefiziat). - Der Kanzler der Kathedralschule in Paris, Philippe de Thoiry warf 1283 den Artisten vor, sie würden nur aus Geldgier unterrichten .- Jean de Malignes antwortete ihm im Namen aller: daß sie sich bezahlen ließen, sei notwendig, wenn sie am leben und damit in der Lage bleiben wollten, Vorlesungen zu halten (Cardini S. 23) Die Artisten waren wegen ihrer Armut auch allgemein weniger geschätzt: weil sie weniger als Ärzte und Advokaten verdienten, hielt der Pöbel von Paris die Philosophen für schäbige Professoren, die zu ideologischen Streitereien neigten und deren Schüler zweifellos die undiszipliniertesten von allen seien, ein Volk von Schreiern mit wenig Geld, das die Wirtshäuser bevölkert und an den Straßenkreuzungen mit Würfeln spiele (Cardini S. 21). Jurisprudenz und Medizin galten als scientiae lucrativae, weil sie spätere Einkünfte versprachen, die artes liberales wurden dagegen als brotlose Künste angesehen (Rückbrod S. 17) Auch der Streit zwischen den Fakultäten ist alt: so in Paris zwischen den Philosophen der Artistenfakultät und den Theologen über die Auslegung der Schriften des Aristoteles. (Cardini S. 16). Das Wohnen war auch im Mittelalter in den Städten nicht billig, auch wenn die Universitates gegen den Mietwucher vorgingen und Kontrollen einführten. Klöster und wohlhabende Bürger richteten Hospize, Bursen und Kollegien ein. Als 1176 ein päpstlicher Legat nach Bologna kam, wurde er von Klagen bestürmt über Unordnungen und Gewaltthaten, welche durch das Bedürfnis nach geeigneten Wohnungen unter den ... Scholaren entstanden. Die Reichen unter ihnen boten den Hauswirten höhere Preise ... und so wurden arme Scholaren oft wieder aus ihren Wohnungen verdrängt, und zwar mitten im Jahr, vor Ablauf des Termines ... Der Legat bedrohte solche Gewalthtat und Verletzung mit Exkommunikation. (Prahl S. 31 nach Kaufmann Bd. 1 S. 167). Gegen den Mietwucher bestimmte die Universitas eigene Vermittler, Das Hospiz(ium) - eine pensionsähnliche Herberge, von Studenten gemeinschaftlich gemietet und verwaltet - entspricht etwa der modernen Wohngemeinschaft. Die Burse - eine Art Internat mit Unterkunft und Verpflegung für 20-30 Studenten, gegen Zahlung eines wöchentlichen Beitrags (bursa= das wöchentlich zu zahlende Mietgeld), mit strengen Hausregeln. Die Insassen wählten aus ihren Reihen einen Prior, der nach dem Mittagessen mit den Scholaren disputieren mußte. Latein war vorgeschrieben, der Gebrauch des Deutschen (auch an deutschen Universitäten) als teutonisare verpönt In Paris bestanden um 1500 etwa 50 Bursen mit rund 1000 Plätzen. - (Prahl S. 30ff.) Das Kollegium war ein klosterähnliches Internat, in der Regel eine Stiftung für Scholaren gleicher Landsmannschaft, die zu halbklösterlichem Leben und u.a. zur Teilnahme an Seelenmessen zum Wohle des Stifters verpflichtet waren. Die ersten Kollegien entstanden seit 1180 in Paris. Ein Kollegien-Rektor, von den Kollegiaten für begrenzte Zeit gewählt leitete das Kollegium zusammen mit Prokuratoren, sie bildeten die Exekutive, der die Vollversammlung gegenüberstand. Hausmeister, Koch und Hausburschen bildeten das bedienstete Personal, Kollegium und Universitas sind strukturell ähnlich, beide demokratisch aufgebaut. (Rückbrod S. 38ff., bes. S. 43f.). Die Regeln waren dennoch strikt: Waffentragen, Lärmen und das Mitbringen weiblicher Personen war in den Bursen und Kollegien durch die Satzungen verboten. In den Kollegien war es besonders den Magistern untersagt, bei Tage oder Nacht zu lärmen und zu singen, mit den Scholaren Gelage zu halten, nach Torschluß ein- und auszugehen und mit dem weiblichen Küchenpersonal unziemlichen Verkehr zu pflegen, Karten und Würfel zu spielen, mit einem Stein oder Becher nach den Scholaren zu werfen ... (Prahl S. 31). Nur vier Wochen durften die Kollegiaten jährlich außer Haus sein, einen längeren Urlaub mußten sie erbitten. Die Magister hatten Disziplinargewalt über die Scholaren und auch das körperliche Züchtigungsrecht. Berühmtestes Kollegium: die Sorbonne in Paris, das von Robert de Sorbon 1257 für 16 arme Theologiestudenten gegründet, die als Magister das Artes-Studium abgeschlossen hatten (Graduiertenkollegium und -stipendium). Durch weitere Schenkungen auf 36 Stipendiatenstellen erhöht, 1271 ein Kollegium für Artes- Studenten angeschlossen, für die die Magister Vorlesungen hielten. Die Sorbonne wurde bald Zentrum der theologischen Fakultät, seit Anfang des 16. Jhs. Zentrales Lehrsaalgebäude der Universität Paris. (Rückbrod S. 44ff.) IV. Wie wurde die Universität verwaltet? Die Organisation der Universität / Die Organisation der Buchversorgung Universität ist ursprünglich die universitas magistrorum et scholarium oder studentium, d.h. die Gesamtheit, Gemeinschaft, Genossenschaft der Lehrer und Schüler, der Professoren und Studenten, ... zusammengeschlossen und organisiert zur Wahrung gemeinsamer Interessen am Studium. (Grundmann, 2. Aufl. 1976 S. 16). Die Universitates gaben sich von Beginn an die Selbstverwaltung; die Namen daraus sind heute noch lebendig: Bedellus, Bidellus = Pedell, Universitäts-Hausmeister, - Polizist, Karzer-Verwalter; cancellarius = Kanzler; cathedra = Katheder, Lehrstuhl (Lehrkanzel in Österreich); collegium = Kolleg (>engl. college, franz. collège); decanus = Dekan; examen; Facultas = Fakultät; lectio = Lektion, Vorlesung, Kurs; librarius (>engl. librarian, frz. libraire); licentia = Lizenz, Grad, Diplom; magister; matricula = Matrikel; practicare = den Arztberuf ausüben; rector = Rektor Der Rektor war, vergleichbar dem Bürgermeister einer freien Reichsstadt, wie dieser in fürstlichem Rang. Ihm zur Seite stand als Rechtsberater der Notarius (Syndikus), dem auch mit dem Petiarius (meist waren es mehrere petiarii < petia, pecia = Stück > ital. pezzo, frz. pièce, engl. piece), der (in Bologna) die Korrektheit der abgeschriebenen und vom Stationarius vorgelegten Text-Kopien (petiae = Textstücke von festgelegter Länge nach Anzahl der Seiten, Spalten, Zeilen und Worte innerhalb der Zeile) zu überprüfen hatte (in Paris war auch der stationarius für die Richtigkeit der Texte verantwortlich). Der Pedell (Bidellus) vertrat die Exekutive, hatte innerhalb der universitas Polizeigewalt, besorgte die Umläufe, Aufrufe, führte die Matrikellisten, die Verkaufslisten der Lehrbücher, stellte Studienbescheinigungen aus und Exeamensurkunden. Der Generalpedell entsprach also dem Verwaltungsdirektor oder Kanzler einer heutigen Universität. Ihn unterstand der Stationarius (meist waren es mehrere stationarii) der für den materiellen Teil der Buchversorgung zuständig war: er kaufte und besorgte die Texte, beschäftigte für deren Herstellung Schreiber (Kopisten), Buchmaler, Buchbinder. Auch die Pergamenthersteller und später die Papiermacher unterstanden der Aufsicht der Universität. Der Librarius, ebenfalls über den Stationarius mittelbar dem Pedell unterstellt, war Buchhändler und Makler, der zwischen Anbietern und Käufern von Büchern vermittelte (im frz. wurde daraus der heutige libraire = Buchhändler). Kosten für Bücher Bücher waren eine kostbare Ware: um die Summa theologica des Thomas von Aquin zu kopieren, brauchte man Pergament aus 75 Schafhäuten (Cardini 10); ein Gesetzbuch kostete in der Lombardei im 15. Jahrhundert ebensoviel wie der Lebensunterhalt einer Person für ein Jahr und vier Monate. (Über Handschriftenhandel, Taxationen und Preise mit umfangreichen Listen vgl. Albrecht Kirchhoff: Die Handschriftenhändler des Mittelalters, 1853, Beilage S. 145ff.; ders., Weitere Beiträge zur Geschichte des Handschriftenhandels im Mittelalter, 1855.-. Beides Neudr. Osnabrück 1966.).