Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 1 von 7 Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Glas ­ Glasperlenherstellung Klaus Löcker ­ klaus.loecker@univie.ac.at Das Experiment als Methode zur Erkenntnisgewinnung Hannes Herdits, Daniel Kumpa, Wolfgang Lobisser, Klaus Löcker, Mathias Mehofer und Hans Reschreiter Die Vorstellung, durch praktische Experimente Einzelheiten über das Leben der Vergangenheit zu erfahren, ist beinahe so alt wie die Archäologie selbst, wenn auch die Anfänge sehr sporadisch verliefen. Die Pioniere dieser Forschungsmethode experimentierten bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, um Aussagen über die technischen Möglichkeiten von vergangenen Kulturen untermauern zu können. In unseren Tagen, da die wissenschaftlichen Möglichkeiten der typologischen und auch der chronologischen Methoden nahezu ausgeschöpft sind, da man sich bei Datierungsfragen bereits unter dem Generationenbereich bewegt, beziehen sich die Fragen der Archäologen in zunehmendem Maße auf die Alltagskultur der Menschen, ihre Aktivitäten, Überlebensstrategien und Siedlungsgewohnheiten. Neben den naturwissenschaftlichen Methoden (z. B. Pollenprofile, Dendrochronologie, Geomagnetik) stützt sich die moderne Forschung bei der Beantwortung dieser Fragen vor allem auf Ergebnisse der Experimentellen Archäologie. Keine andere Methode ist in dem Maße geeignet, unsere Vorstellungen von den technischen Möglichkeiten unserer Vorfahren auf eine lebensnahe Basis zu stellen, unsere Erklärungen und Interpretationen von Grabungsbefunden zu überprüfen. Wenn die Ergebnisse unserer Versuche letztlich auch keinen endgültigen Beweischarakter haben, geben sie uns doch eine gute Vorstellung vom Alltagsleben der Vergangenheit, mit der wir uns wohl bei vielen Fragen weitgehend an die historische Realität annähern können1 . Das Experiment setzt dort an, wo die herkömmlichen Methoden der Archäologie nicht mehr greifen und versucht Handwerkspraktiken, technische Einrichtungen, und Arbeitsvorgänge zu überprüfen, zu erklären und so letztlich zu rekonstruieren. Viele Experimente führen zu einer Rekonstruktion, doch beruht nicht jede Rekonstruktion auf einem Experiment. Die Vorgangsweise bei archäologischen Experimenten orientiert sich vor allem an den Naturwissenschaften, wobei für jedes Experiment eine ausformulierte Forschungsfrage als Ausgangspunkt dienen sollte, die sich meist aus der Interpretation einer aktuellen Ausgrabung, aus einem historischen Text oder einer bildlichen Darstellung ergibt. Jedes Experiment hat einen klassischen Ablauf, der mit einem ausführlichen Studium der Forschungsgeschichte seinen Anfang nimmt. Bei der Vorbereitung werden auch Vergleiche aus Ethnologie und Ethno - Archäologie eingearbeitet. 1 Fansa, Mamoun, Experimentelle Archäologie in Deutschland In: Fansa, Mamoun (Hg.) Experimentelle Archäologie in Deutschland, Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland . Oldenburg 1996. Beiheft 13,S. 11. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 2 von 7 Sind alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen ausgeschöpft, erfolgt die minutiöse Planung des Versuchs, der streng wissenschaftlich angelegt und genauestens dokumentiert wird, um theoretische Annahmen durch praktische Arbeiten auf ihre Richtigkeit zu testen. Bei der Dokumentation setzt man auf moderne Technik, Meßinstrumente und Videoaufnahmen, genauso wie auf Photographien und schriftliche Aufzeichnungen. Es empfiehlt sich, jedes Experiment mindestens zwei mal vorzunehmen, damit eine gewisse Regelhaftigkeit bei den Ergebnissen nachvollziehbar ist. Die so gewonnenen Ergebnisse werden analysiert und mit dem bisherigen Forschungsstand verglichen, der so entweder bestätigt wird oder bei neuen Erkenntnissen entsprechend korrigiert werden muß. Neue Erkenntnisse führen zu neuen kulturhistorischen Ansätzen und in der Folge meist zu neuen Fragestellungen. Mittelpunkt der Experimentellen Archäologie ist immer der Mensch mit seinen Problemen, seinen Fähigkeiten und seinen Lösungsstrategien. Glas ­ was ist das? Glas ist ein fester, in seiner überwiegenden Masse nichtkristalliner, spröder anorganischer Werkstoff ohne definierte Schmelztemperatur, sondern mit breitem Schmelzintervall. Die Dichte des Glases schwankt zw. 2,2 und 6 g/cm3 und es wird durch Gießen, Blasen, Pressen und Walzen verformt. Glas kommt in der Natur als vulkanisches Gestein (Obsidian) vor, kann aber auch als Nebenprodukt von Industrieprozessen auftreten, bei denen bei hoher Temperatur eigentlich etwas anderes produziert wird (etwa Eisenproduktion u. ä.). Bestandteile: Die Hauptbestandteile des Glases sind die eigentlichen Glasbildner, Flussmittel und Stabilisatoren. Der Glasbildner kristallisiert aus der Schmelze nicht aus, sondern verbleibt im amorphen Zustand einer unterkühlten, sich aber verfestigenden Flüssigkeit. Die wesentlichsten Glasbildner sind Siliciumdioxid, Boroxid und Phosphorpentoxid. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 3 von 7 Struktur eines Quarzkristalls (links) und von Glas (rechts) Flussmittel bewirken, dass die Glasschmelze bereits bei Temperaturen unterhalb 1 500 °C durchgeführt werden kann; v. a. Carbonate, Nitrate und Sulfate von Alkalimetallen. Stabilisatoren sollen das Glas chemisch beständig machen; v. a. Erdalkalimetalle sowie Blei und Zink, meist in Form ihrer Carbonate oder Oxide. Für die Verarbeitung und Formgebung des Glases sind Zähigkeit, Oberflächenspannung und Neigung zur Kristallisation von besonderer Bedeutung; diese Eigenschaften werden u. a. durch Art und Menge der erschmolzenen Rohstoffe bestimmt: Quarzsand, Soda, Natriumsulfat, Kalkstein, Dolomit, Feldspat, Pottasche, Borax, Salpeter, alkalihaltige Gesteine, Mennige, Baryt, Zinkoxid, Arsenik und Natriumchlorid. Die Zugabe bestimmter Oxide und Kolloide zum Glas bewirkt eine Färbung des Glases. Modernes Herstellungsverfahren: Kleinere Mengen werden in Tiegeln erschmolzen, größere in Hafen- oder in kontinuierlich arbeitenden Wannenöfen. In modernen Glashütten werden die Rohstoffe automatisch gewogen, gemischt und zum Ofen befördert. Die sich im Ofen bei um 1 400 °C abspielenden Vorgänge laufen über mehrere Reaktionsstufen ab. Am Ende dieser Rauschmelze liegt eine inhomogene, stark schlierige und blasenreiche Schmelze vor. Im Verlauf der Blankschmelze wird die Schmelze insbes. von den Gasblasen befreit. Durch Abkühlen auf etwa 1 200 °C erhöht sich die Zähigkeit so weit, dass eine Verarbeitung bzw. Formgebung möglich ist (moderne Methoden : Ziehen aus der Schmelze - Tafelglas/Flachglas; Gießen und Walzen sowie anschließendes Planschleifen und Polieren ­ Spiegelglas; Hohl- und Pressglas - Mundblasverfahren, maschinelles Blasverfahren oder Pressen). Antike Rohstoffe und Herstellungsverfahren: Bis ins Mittelalter wurden ausschließlich Silikatgläser mit eisenarmem Quarz (SiO2) als Rohstoff hergestellt. Quarz kann aus Sandsteinen, Kieseln oder Flint gewonnen werden, die geeignetste Erscheinungsform für die Glasproduktion stellt aber einfach Sand dar. Da der Schmelzpunkt von reinem Quarz (1710°C) aber in vorindustriellem Zeitalter nicht erreicht werden konnte wurden damals Alkalis als Flussmittel zugesetzt, meist in Form von Pottasche (K2O) und natürlicher Soda (Trona, Na2CO3.NaHCO32H2O) sowie auch Kalk (CaO) und Bleioxid (PbO). In Ägypten und Mesopotamien ist Bleioxid als Zusatz seit der 18. Dynastie (1550-1307 v. Chr.) nachweisbar. Bis HaC/HaD wurde meist ein Quarz-Aschensoda-Gemisch verwendet. Danach setzte sich auch in Mitteleuropa die Verwendung von mineralischer Soda aus ägyptischen Salzseen durch, die jedoch einen höheren Kalkzusatz erforderte. Der Produktionsprozess hat sich in seiner Grundform seit der Urgeschichte bis heute nicht wesentlich verändert. Zunächst wurde das Sand-Soda-Gemisch bis zu maximal 750 °C erhitzt. Die Teilchen backten hierbei aneinander (>fritteten<). Diese Masse wurde pulverisiert und bei etwa 1 100 °C geschmolzen. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 4 von 7 Die Färbung des Glases erfolgte durch die Beigabe verschiedener färbender Substanzen. Die wichtigsten sind dabei Kobalt, das eine Blaufärbung des Glases ergibt, Bronze zur Grünfärbung, Eisen, häufig auch ,,flaschengrün", braun bis dunkelbraun, sowie Mangan, das eine lila Färbung hervorruft. Daneben wurde Mangan auch zur Entfärbung des Glases eingesetzt, wobei grüne Eisenionen durch Mangan oxidieren. Ein weiteres Mittel zu Entfärbung war noch Antimon, besonders bis ins 7.Jh. vor Chr., während ab dem 2.Jh. v. Chr. eher Mangan vorherrscht. Ein weiterer gewünschter Effekt, der durch die Zugabe von Antimon und Zinn, manchmal in Verbindung mit Blei, erzielt wurde, war die Herstellung einer lichtundurchlässigen, opaken Glaspaste. Das fertige Glas konnte danach durch verschiedene Techniken unter anderem zu Hohlgläsern, Armreifen und besonders Glasperlen weiterverarbeitet werden, auf deren Rekonstruktion im weiteren noch eingegangen wird. Bisherige Experimente zur eisenzeitlichen Glasperlenherstellung Mit den Experimenten wurde vor sieben Jahren in Asparn/Zaya begonnen. Ausgegangen wurde von den Befunden von Ribe (Dänemark) und den von Tine Glam durchgeführten Experimenten zur Glasperlenherstellung. Glasperlenherstellung (T. Glam 1991): A ­ Klopfstein. B ­ Rohglas. C ­ Gefäß mit Schlicker. D ­ Perlenstäbe mit Schlickerung, die beim Feuer trocknen. E ­ Stäbe mit Perlen zum Aufheizen. F ­ Stein zum Perlenabrollen. G ­ Pinzette. H ­ zum Gebrauch fertige Stäbe. I ­ Zange. J ­ Messer für Melonenperlen. K ­ Eisenschale mit Glas zum Aufheizen. L ­ Schale mit Perlen zum Auskühlen. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 5 von 7 Die von T. Glam durchgeführten Experimente wurden in unseren ersten Versuchen 1998 so genau als möglich nachgemacht. Hauptproblem war das verwendete Rohglas ­ ein mittelalterliches Waldglas aus dem Waldviertel. Weiters war es unmöglich, das in offenen Tiegeln in der Glut geschmolzene Glas frei von Verunreinigungen durch Kohle und Asche zu halten, wie auch T. Glam 1995 zugeben musste (T. Glam 1995, S. 126.). 1999 wurde mit blauem Glas aus der Jahrhundertwende experimentiert. Zum Unterschied zum Experimentaufbau von T. Glam und vom Jahr 1998 wurde die Eisenplatte, auf dem die Perlen geformt werden in die Glut gestellt, um die Perlen länger auf Formtemperatur zu halten. Seit 2000 verwenden wir für unsere Experimente gekaufte, industriell gefertigte Rohgläser aus dem Fachhandel. Da die Herstellungstechnik der Glasperlenerzeugung im Vordergrund unserer Experimente stand ­ weniger die Rohglaserzeugung ­ sind diese Gläser hervorragend für unsere Zwecke geeignet, weil sie einerseits ,,langgängig" sind, d.h. sie haben eine vergleichsweise niedrige Schmelztemperatur und sind nach der Schmelze relativ lange verarbeitbar (zw. 5 und 10 Sekunden) und andererseits einen gleichen Ausdehnungskoeffizienten, der es erlaubt, verschiedenfärbige Gläser mit einander gut zu verarbeiten. Der Ausdehnungskoeffizient (COE) des Glases gibt direkte Auskunft über die Temperaturwechselbeständigkeit des Glases. D.h., dass sinnvoll nur Gläser mit gleichem COE mit einander verarbeitet werden können. Da die Experimente der vorangegangenen Jahre zeigten, dass die Glasschmelze in einem im Ofen frei stehenden Tiegel rasch verschmutzt, wurde ab 2000 der Schmelztiegel seitlich in die Ofenwand eingesetzt, sodass der Tiegel mit seiner Unterseite in die Glut ragt. Dadurch konnte die Schmelze weitgehend von Verunreinigungen frei gehalten werden. Die Experimente der letzten Jahre haben weiters gezeigt, dass das Perlenformen über einen Eisenstab nur dann sinnvoll gelingen kann, wenn der Formstab an seiner Spitze mit Ton geschlickert wird. Der Ton bildet eine Trennschicht zwischen dem heißen Glas und dem Eisen, auf welcher die fertige Perle nach dem Formen leicht vom Stab gleiten kann. So wird verhindert, dass sich die fertige Perle beim Abziehen vom Stab verformt oder gar am Eisen kleben bleibt. In den letzten Jahren verwenden wir vermehrt Glasstäbe von 5 mm Durchmesser zur Perlenherstellung. Diese Stäbe eignen sich hervorragend sowohl zum Formen des Perlenkörpers als auch zum Verzieren. Es erscheint uns daher naheliegend, dass die prähistorischen Perlenmacher solche Glasstäbe selbst aus Rohgläsern gezogen haben dürften. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 6 von 7 Rekonstruierte mittellatnezeitliche Glasperlen. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2005 Seite 7 von 7 Literatur (nach Erscheinungsdatum): Thea Elisabeth HAEVERNICK, Die Glasarmringe und Ringperlen der Mittel- und Spätlatnezeit auf dem europäischen Festland. Bonn 1960. (6.334) Michail A. BEZBORODOV, Chemie und Technologie der antiken und mittelalterlichen Gläser. Mainz 1975. (8.709) R. J. CHARLESTON, Glass Frunaces through the Ages. Journal of Glass Studies 20, 1978, S. 9 ­ 33. Ulf NÄSMAN, Die Herstellung von Glasperlen. In: M. Bencard et al., Wikingerzeitliches Handwerk in Ribe. Acta Archaeoloica 49, 1978, 124 ­ 133. (Z 3.370 DK) Thea Elisabeth HAEVERNICK, Beiträge zur Glasforschung. Die wichtigsten Aufsätze von 1938 bis 1981. Mainz 1981. Christian BRAUN, Analysen von Gläsern aus der Hallstattzeit mit einem Exkurs über römische Fenstergläser. In: Otto-Herman Frey (Hg.), Glasperlen der vorrömischen Eisenzeit I. Nach Unterlagen von Thea Elisabeth Haevernick (). Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte 5, 1983, S. 129 ­ 178. Julian HENDERSON, The Raw Materials of Early Glass Production. Oxford Journal of Archaeology 4, 3, 1985, S. 267 ­ 291. (Z 10.655 UK) Sabine BLOCHER, Methodische Grundlagen zur Bearbeitung ur- und frühgeschichtlicher Glasfunde. In: Frank M. Andraschko und Wolf-Rüdiger Teegen (Hg.), Festschrift für Jürgen Driehaus. Mainz 1990. S. 57 ­ 67. (13.568) T. Glam 1991 = Tine GAM, Glasperlefremstilling i yngre jernalder og vikingetid. En analyse af teknologi og hndvrk. (The manufacture of glass beads in the late Iron Age and Viking period). Eksperimentel Arkologi 1991, S. 153 ­ 176. (R 15.645 DK) Marianne RASMUSSEN, Ulla LUND HANSEN und Ulf NÄSMAN (Hg.), Glass Beads. Cultural History, Technology, Experiment and Analogy. Proceedings of the Nordic glass bead seminar 16. ­ 18. October 1992 at the Historical-Archaeological Experimental Centre in Lejre, Denmark. Studies in Technology and Culture 2, 1995. besonders: Önder KÜCÜKERMAN, Anatolian Glass Beads. The Final Traces of Three Millenia of Glassmaking in the Mediterranean Region. S. 97 ­ 102. und: T. GLAM 1995 = Tine GLAM ASCHENBRENNER, Should we Believe in Experiments? S. 123 ­ 127. K. H. WEDEPOHL, Glas. §2. Rohstoffe. Herstellung, stoffliche Typen. In: Hoops Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 12, 1998, S. 142 ­ 143.