Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 1 LEDERHERSTELLUNG: Rohhaut + Gerbstoff = Leder Was ist Leder? Als Leder wird von den Haaren befreite und gegerbte tierische Haut bezeichnet. Für die Pelzherstellung werden die Haare nicht entfernt. Bei der Gerbung erfolgt eine Umwandlung in das nicht mehr faulende Leder mit Hilfe eines Gerbstoffes. Was sind Gerbstoffe? Gerbstoffe sind Stoffe, die bei der Lederherstellung mit dem Kollagen der Tierhaut chemische Reaktionen eingehen und damit zu einer Erhöhung der Form- und Temperaturbeständigkeit des Eiweißgerüstes führen. Seit wann wird gegerbt? Das Bedürfnis die Haut zur Erhöhung ihrer Gebrauchsfähigkeit zu präparieren, zu gerben, dürfte sich sehr früh herausgestellt haben, da sie in ihren natürlichen Zustand in Berührung mit Wasser leicht zu schimmeln beginnt oder beim Trocknen hornartig fest wird. Wann und wo erste Gerbversuche unternommen wurden, ist nicht bekannt. Fell oder Leder? Umgangssprachlich wird mit Fell das behaarte Leder bezeichnet und mit Leder die enthaarte, gegerbte Haut. in der Fachsprache versteht man unter Leder zwar dasselbe, unter Fell aber die Haut unter Ziegenfell abwärts, egal ob mit, oder ohne Haar. Von einer Haut hingegen ist nur von größeren Tieren die Rede, wobei nicht zu erkennen ist, ob sie behaart oder nackt ist. Verwendete Tierhäute Zum Gerben kann man die Häute der Landsäugetiere der Seesäugetiere, Vögel, Fische und Reptilien heranziehen. Die wichtigste Rolle unter den Häuten haben von je her die der Rinder, Schafe und Ziegen. Bei den Reitervölkern spielte die Pferde- und Eselshaut eine wichtige Rolle. Verwendung von Leder Bekleidung und Schuhe (Schutz gegen Kälte und vor Verletzungen) Schmuck Zelt und Schiffsbau Herrichtung von Lagerstätten Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 2 Aufbewahren von Flüssigkeiten Riemen: zum Verbinden von verschiedenen Teilen von Werkzeugen, Wagen, Hausrat, Waffen, zur Fesselung und zum Anschirren von Haustieren Herstellung von Sattelzeug Erhaltungsbedingungen Wegen der selten vorherrschenden Bedingungen unter denen organisches Material konserviert wird (Trockenheit, Wasser, Salz, Metalle, Eis, usw.), sind zwangsläufig wenige prähistorische Leder- und Fellreste erhalten geblieben. Vorkommen Archäologische Lederfunde kommen deshalb im sehr trockenen Klima (z. B. Wüste), Feuchtboden (z.B. Hafen, Moore), in Umgebung von Salz (z. B. Bergwerke), bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt (z. B. Permafrostboden, Gletscher) oder bei direkten Kontakt mit Metall vor. Fundbeispiele Abb. 1: Assyrische Sandalen Abb. 2: Schuhfund aus dem Damendorfer Moor Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 3 Abb. 3: Tragesack aus dem Salzbergwerk Abb. 4: "Ötzi" mit Lederbekleidung von Hallstatt Gerben Ausgangsmaterial für die Lederherstellung ist die rohe Haut eines Tieres. Um aus der Haut Leder herzustellen, wird die Haut gegerbt. Unter Gerben versteht man das Haltbarmachen einer Tierhaut/ Tierfelles mit Hilfe eines Gerbstoffes. Der Gerbstoff geht mit den Eiweißstoffen der Haut eine irreversible Bindung ein (echte Gerbung). Das Leder hat gegenüber der rohen Haut eine Reihe von positiven Eigenschaften: - verbesserte Resistenz gegen enzymatische und chemische Angriffe - höhere Temperaturbeständigkeit - verringerte Deformierbarkeit - verringerte Wasseraufnahme - Faserisolierung (wichtig für Geschmeidigkeit) und Porosität Es gibt aber Stoffe, die zum Lederherstellen benützt werden, obwohl diese keine irreversible Bindung mit der Haut eingehen, sondern sich nur an den Eiweißketten anlegen und dadurch der Haut fast alle Eigenschaften, die die normalgegerbte Haut besitzt gibt, aber diese Stoffe sind auswaschbar. Die Haut ist in diesem Zustand wieder gegen Fäulnis empfindlich und wird beim Trocknen hornartig steif (Fettgerbung, Alaungerbung). Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 4 Gerbmethoden Man unterscheidet zwischen: Pflanzlicher Gebung: Fettgerbung, Gerbung mit Gerbmittel (Vegetabilgerbung, d. h. mit Pfanzenteilen) Animalischer Gerbung: Fettgerbung mit eigenem Fett (auch Hirn, Knochenmark), mit Tran, Eigelb Mineralischer Gerbung: Alaungerbung (modern: Gerben mit synthetischen Stoffen; Kombinationsgerbungen; Chromgerbung, usw.) Neben gegerbtem Leder wurden die Tierhäute auch im ungegerbten Zustand verwendet. Dafür wurden die Häute gereinigt und getrocknet. Ein Beispiel dafür ist das Pergament1 . Zu Fettgerbung Die Fettgerbung ist wahrscheinlich die älteste Art der Gerbung. Man unterscheidet zwischen "echter" und "unechter" Fettgerbung. Bei der unechten Gerbung werden die einzelnen Hautfasern vom Fett umhüllt; sie sind geschmeidig gegeneinander verschiebbar, so daß sie nicht verkleben und die Haut ist vor Fäulnis und Wasser geschützt, die Hautfaser erfährt dabei keine chemische Veränderung. Dieser Zustand ist aber reversibel, im Gegensatz zur "echten Fettgerbung", wo das Fett mit der Faser eine chemische Bindung eingeht. Hierzu eignet sich aber nicht jede Fettart, sondern nur das von Meeressäugetieren und Fischen sowie einige Pflanzenöle. Die Fettgerbung eignet sich sehr gut zur Mischgerbung, wobei sie hinten angeschlossen werden muß, ansonsten können die wasserlöslichen Gerbstoffe nicht mehr ins Hautinnere gelangen und dann findet keine Gerbung statt. Die Vorzüge der Fettgerbung liegen in der Weichheit und in der wasserabstoßenden Wirkung des Leders. Vegetabilische Gerbung Dieses ist eine Gerbung mit pflanzlichen Stoffen. Sie ergibt ein braunes Leder. Der Gerbstoff einer Pflanze diffundiert in die Haut und geht dort eine irreversible Bindung ein. Jede Pflanze enthält Gerbstoffe in unterschiedlichen Mengen. Es kommen nur Pflanzen mit hohen Gerbstoffgehalt und hier auch nur die Pflanzenteile, wo sich diese konzentrieren, zum Einsatz. Diese Pflanzenteile sind dann die sog. vegetabilen Gerbmittel, während die in ihm 1 mehr zu Pergament siehe: G. Popa, Leder- und Pergamentherstellung in: Archäologie Österreichs, Sonderausgabe 12/2001, Experimentelle Archäologie, S. 42 ff. Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 5 enthaltenen gerbende Substanz als Gerbstoff bezeichnet wird. Der bekannteste Gerbstoff ist das Tannin (in Eiche, Fichte,...). Sehr vereinfacht dargestellt, wird tanninhältige Rinde (od. andere gerbstoffhältige Pflanzenteile) zusammen mit der rohen Haut ins Wasser geschichtet. Das wasserlösliche Tannin wird dabei aus der Rinde extrahiert und dringt in die Haut ein, wo es chemisch gebunden wird. Meist wird Rindhaut mit dieser Methode gegerbt, das erhaltene feste Leder eignet sich am besten zum Schuh- und Taschenleder. Alaungerbung Alaun ( Kalialaun) ein Doppelsalz, ist im Vulkangestein enthalten. Man benützt es seit den Anfängen der Gerberei, vor allem für die Pelzzurichtung (Herstellung). Wegen der frischen, weißen Farbe, die das Leder erhält, wird sie auch Weißgerberei genannt. Alaungerbung ist aber keine echte Gerbung, denn Alaun verbindet sich nicht unlösbar mit den Hautfasern. Das Alaun kann, wenn die Haut nass wird, wieder herausgelöst werden. Die Gelatine, die beim "Gerben" nicht gefällt wird, macht dann beim Trocknen die Haut hart und steif. Dann muss sie wieder weich gemacht werden. Deswegen kann man Alaunleder/Felle nur dort einsetzen, wo sie nicht nass werden (wie z. B. als Betteinlage oder Wandschmuck,..). Um die Wasserempfindlichkeit herabzusetzen kann man nach dem "Gerben" ein Fetten nachschalten. Abb. 5: Aufbau der Haut Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 6 Ablauf der Lederherstellung 1. Konservieren: Um die Haut nach dem Abziehen bis zum Gerben haltbar zu machen, wird sie konserviert. Dabei wird der Haut einfach Wasser entzogen, so ist sie gegen Fäulnis geschützt. Dafür kommen folgende Verfahren in Betracht: Das Trocknen: Die Haut wird an einem luftigen Ort zum Trocknen aufgehängt. Das Salzen: Die Haut wird reichlich mit Salz (NaCl) eingerieben, das bewirkt ebenfalls ein Trocknen der Haut. 2. Weiche: Bei diesem Arbeitsschritt wird die getrocknete Haut in den ursprünglichen Quellzustand zurückgeführt, indem sie in Wasser eingeweicht wird. Außerdem wird die Haut von Schmutz und Blutresten gesäubert. 3. Entfleischen: Entfleischt wird auf der Unterhautseite (Abb.1 ). Dabei werden mit einem Messer, Entfleischmesser genannt, die Unterhautbindegewebs- und Fettreste abgeschabt. 4. Haarlockerung: Diese erfolgt durch Einbringen der Haut in einen sog. "Äscher" oder "Kalkäscher". Es handelt sich dabei um eine Lösung die aus Wasser und Asche bzw. aus Wasser und gelöschter Kalk besteht. Hierbei werden die Haarwurzeln chemisch gelockert. Es gibt noch die Möglichkeit die Haare durch Bakterien und Enzyme zu lockern. Diesen Zersetzungsprozess erreicht man, indem man die eingerollte Haut (Haare nach innen) an einem warmen feuchten Ort zum Schwitzen bringt, oder die Haut in Wasser legt, eben so lange bis sich die Haare lockern. Bei der chemischen Haarlockerung erfährt die Haut auch einen Aufschluss, der die Gerbstoffaufnahme begünstigt. 5. Enthaaren: Nach der Lockerung werden die Haare mechanisch, z. B. durch Abschaben mit dem Entfleischmesser, entfernt. 6. Aufbereitung der Haut (diese werdennach Haarentfernung Blöße genannt) zur Gerbung: Wurde die Haut mit Kalk behandelt, muss dieser wieder herausgewaschen werden, ohne dabei die Schwellung der Haut zu verringern. Ohne vorangegangenen Kalkäscher wird die Haut gebeizt (Faserlockerung durch Enzyme, für weiche, zügige Leder). Die Beize wurde bis Anfang des 20. Jhts. aus Kot hergestellt (deshalb die große Geruchsbelästigung durch Gerbereien!). Als man erkannte, dass es sich bei dem Wirkstoff der Beize um das Enzym Trypsin, welches viele Eiweißstoffe abbaut, handelt, wurde es aus der Rinder- Bauchspeicheldrüse gewonnen. Werden bei der Gerbung Säuren eingesetzt bzw. freigesetzt, wie z. B. bei der Vegetabilgerbung, muss die zu gerbende Haut noch in ein Pickel gelegt werden. Der Pickel besteht aus Wasser und Salz (NaCl), das Salz verhindert eine schädliche Säurequellung der Haut. Besonders fette Häute, wie z. B. Hausschwein, Wildschwein, Bär müssen vor der Gerbung durch Ausstreichen von Fett zusätzlich befreit werden. Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 7 Abbildung 6: Leitermodell der Gerbung 7. Gerbung: (Abb. 6) Zur Gerbung gelangt nur die Lederhaut (Abb.5).Grundsätzlich unterscheidet man zwei Arten der Gerbung. Eine Möglichkeit ist das Einstreichen des Gerbmittels in die Haut (Fettgerbungen) und die andere ist die Flottengerbung. Als Flotte wird die Flüssigkeit bezeichnet in der die Haut gegerbt wird. Sie besteht aus Wasser und Gerbmittel bzw. Gerbstoff. Die Haut verbleibt solange in der Flotte, bis sie durchgegerbt ist. Eine Abart der Flottengerbung ist die Grubengerbung. Sie wird bei Vegetabilgerbungen angewendet. Dafür werden meist Rinderhäute in flache Gruben gelegt, die mit Gerbmittel und Wasser versetzt sind. Die erste Grube, in der die Haut liegt, hat eine geringe Gerbmittelkonzentration. Die folgenden Gruben weisen eine immer höhere Konzentration an Gerbmittel auf. Damit wird eine sog. Totgerbung verhindert, bei der sich die Gerbsäure in hoher Konzentration an der Oberfläche der Haut anlegt und so keine Gerbsäure in die Hautinnere gelangen lässt. Tritt dieser Fall ein, ist eine Fertiggerbung der Haut nicht möglich. Diese Methode wurde bei dicken Häuten angewendet und dauerte dementsprechend bis zu einem Jahr oder noch länger. 8. Trocknen: Dafür wird das Leder meist an einem luftigen Ort aufgespannt. 9. Fetten: Das Leder wird beidseitig, das Fell nur auf der Unterseite eingefettet. Dafür eignet sich jedes Fett. 10. Stollen: ist das mechanische Weichmachen des Leders (Abb.7). Dafür wird es über eine Kante hin- und hergezogen, bzw. es kann auch händisch oder mit Hilfsmitteln gewalkt werden. Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 8 Abbildung 7: Stollen Abbildungsnachweis: Abb. 1: Th. Körner, Handbuch der Gerbereichemie I/1, Geschichte der Gerberei, Springer Verlag, 1935. Abb. 2: W. van der Sanden, Mumien aus dem Moor, Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa, Batavian Lion International, Amsterdam 1996. Abb. 3: G. Popa, Leder- und Pergamentherstellung in: Archäologie Österreichs, Sonderausgabe 12/2001, Experimentelle Archäologie, S. 42 ff. Abb. 4: A. Fleckinger u. H. Steiner, Faszination Jungsteinzeit, Der Mann aus dem Eis, Folio Verlag, Bozen- Wien, 2003. Abb. 5: R. Hagen und K. Pauligk, Lederherstellung, Fachbuchverlag Leipzig, 1987. Abb. 6: R. Hagen und K. Pauligk, Lederherstellung, Fachbuchverlag Leipzig, 1987. Abb. 7: G. Popa, Leder- und Pergamentherstellung in: Archäologie Österreichs, Sonderausgabe 12/2001, Experimentelle Archäologie, S. 42 ff. Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 9 Literatur: F. E. Barth, Prähistorisches Schuhwerk aus den Salzbergwerken Hallstatt und Dürrnberg/Hallein, in: Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Leopold-Franzens- Universität Innsbruck, Band 8, 1992, S. 29 ff. A. Bock und M. Macek, Prähistorisches Schuhwerk aus den Salzbergwerken, Das weiße Gold ­ Bergbau auf Steinsalz, in: Auf Schuster's Rappen, Historica-Austria, 1998, S. 109 ff. G. A. Bravo, J. Trupke, 100 000 Jahre Leder, Eine Monographie, Birkhäuser Verlag Basel u. Stuttgart, 1970. A. Fleckinger u. H. Steiner, Faszination Jungsteinzeit, Der Mann aus dem Eis, Folio Verlag, Bozen- Wien, 2003. W. Groenmann-van Wateringe, Die Stellung der Lübecker Lederfunde im Rahmen der Entwicklung der mittelalterlichen Schuhmode, in: Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte, Bd. 4, Bonn 1980, S. 169-174. R. Hagen und K. Pauligk, Lederherstellung, Fachbuchverlag Leipzig, 1987. Th. Körner, Handbuch der Gerbereichemie I/1, Geschichte der Gerberei, Springer Verlag, 1935. K. von Kurzynski, ,,...und ihre Hosen nannten sie bracas" Textilfunde und Textiltechnologie der Hallstatt- und Latnezeit und ihr Kontext, IA 22, Verlag Marie Leidorf, Espelkamp, 1996. H. Ottinger und U. Reeb, Gerben, Ulmer Verlag, Stuttgart, 1991. G. Popa, Leder- und Pergamentherstellung in: Archäologie Österreichs, Sonderausgabe 12/2001, Experimentelle Archäologie, S. 42 ff. G. Popa, Lederherstellung und ­verarbeitung in: Keltenlexikon, Akademie der Wissenschaften, Wien, in Vorbereitung.2 W. van der Sanden, Mumien aus dem Moor, Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa, Batavian Lion International, Amsterdam 1996. 2 Artikel liegt im Sekretariat auf. Experimentelle Archäologie: Lederherstellung Gabriela Popa SS06 Seite 10 Th. Stöllner, Der prähistorische Salzbergbau am Dürrnberg bei Hallein I, Forschungsgeschichte- Forschungsstand- Forschungsanliegen, Verlag Marie Leidorf, Rahden/Westfallen, 1999. Th. Stöllner, Der prähistorische Salzbergbau am Dürrnberg bei Hallein II, Die Funde und Befunde der Bergwerksausgrabungen zwischen 1990 und 2000, Band 3, Verlag Marie Leidorf, Rahden/Westfallen, 2002.