Joseph Vogl: Blow Out Das wäre also die mehrfach problematisierte Sichtbarkeit, die in der Mediendifferenz zwischen Foto und Film erscheint, hier, in "Blow up": ein Fragmentarisches, das sich durch das fotografische Material selbst ergibt; eine traumatische Struktur, in der die Sichtbarkeit der Zeit einen notwendigen Zeitspalt vorführt, die Zeit in Reinform; und schließlich eine Dämonie des Verschwindens, in der sich das notwendige Dunkel, das Unbewusste und der unsichtbare Intervall artikuliert, durch den der Film selbst hervorgebracht wird. Mit diesen Überlegungen sind wir bereits beim Gegenstand der heutigen Sitzung angelangt (und damit würde ich nun gern fortfahren): nämlich bei Brian de Palmas "Blow out" von 1981. Sie haben es sicher bemerkt: es bereitet keine Probleme, "Blow out" als Wiederholung und verschobene Variation von "Blow up" zu begreifen, es gibt hier einige Anleihen und Bezüge, auch wenn sich vielleicht eine andere Problemstellung bei Brian de Palma herausstellt. Lassen sich mich einige dieser Anleihen erwähnen: - zunächst deutliche Anspielungen: Toningenieur, der hier eine ähnliche Rolle wie der Photograph bei Antonioni besitzt; Rolle des Winds (ein schlechter Wind wird zu Beginn moniert, löst nächtliche Aufzeichnung aus); Rolle des Parks ist hier durch das nächtlich Flussufer übernommen: eine reine optische und akustische Situation, mit Akzent auf dem Akustischen; - aber auch hier ein Mediensystem, ein Medienverbund: Tonband, Kamera, Telephon, Fernsehen; auch hier: Kommunikationen, die von Störungen, Interzeptionen, Unterbrechungen bestimmt sind (die gelöschten Bänder, die gestörte Übertragung beim verkabelten Detektiv; das abgehörte Telephongespräch, also die Herstellung falscher Anschlüsse); - dazu gehört auch: die geringe, fast nachlässige Motivation der Erzählung: der eigentliche Fall und seine Hintergründe bleiben unaufgeklärt; und bis zum Schluss bleibt eigentlich unklar, was der Toningenieur Jack Terri (John Travolta) von Sally Bedina (Nancy Allen; de Palmas Frau) eigentlich will; nachlässiger Zusammenhang der Narration; Auflösungstendenzen im erzählerischen Zusammenhalt; - vor allem aber auch hier: Ereignis, nächtliches Ereignis, das zunächst und vor allem in Fragmenten vorliegt, "lose Enden" einer unbekannten Geschichte; in der Mitte des Films, seiner Problemstellung, seiner Intrige liegen Ereignisfragmente herum, die an die Frage nach dem Zusammenhang appellieren: das ist eine Frage der Erzählung, eine Frage der Medien, eine Frage des Films selbst und seiner Theorie. Man könnte auch sagen: auch hier haben wir es mit einem Drama des Intervalls, des Zwischenraums zu tun, mit einem Drama, in dem sich die Problemlage des Films systematisiert. Lassen Sie mich einige dieser Intervalle benennen, die von de Palmas Film geradezu plakativ vorgeführt werden und systematische Bedeutung gewinnen: - natürlich: Intervall zwischen Bild und Ton: das ist der Beginn, Schrei, der nicht zum Bild passt; das setzt sich fort im nächtlichen Vorfall: Tonmaterial und Bildmaterial liegen getrennt vor; Rolle der akusmatischen Geräusche; - aber auch: Intervall zwischen Ton (Sound) und Sprache bzw. Wörtern: denken Sie an das Tonlabor, wo der Toningenieur minutiös bestimmte Tonbänder bestimmten Wörtern bzw. Begriffen bzw. Überschriften zuordnet: "Gewitter", "Schuss", "Fußtritte", "Wasserfall" etc.; Sonothek oder Audiothek, Katalog von Geräuschen; Zuordnung von Lautmaterial und Signifikanten; - Intervall aber auch zwischen Bild und Bild: denken Sie an die Montage der Fotogramme zum Film: Hin- und Herspringen zwischen den Bildern; einmal ist der Lichtpunkt des Schusses da, dann weg; im Sprung, im Intervall zwischen den Bildern passiert das Entscheidende; - Schließlich auch und nicht zuletzt: das simple Intervall zwischen Orten, ein Problem, das hier medientechnische kodiert wird, etwa im Splitscreen, typische Szene: Mann und Frau telephonieren, sind hier und dort und zugleich beide hier; verkompliziert dadurch, dass sie gerade abgehört werden, dass also in dem doppelten Hier ein unsichtbares Dort interveniert; oder denken Sie an das Fernsehen: im Tonstudio steht ein Fernseher; der berichtet vom Unfall des Gouverneurs; im Hintergrund arbeitet der Toningenieur; dann werden Fernsehbild und Studioarbeit im Splitscreen gezeigt und geschnitten: These, dass Fernsehen immer einen Splitscreen einführt; Splitscreen und Fernsehen im Film sind stets dasselbe: im geteilten Bildschirm konnte das Kino immer schon fernsehen, d.h. ein Dort darstellen, das zugleich hier ist. - All das aber (Verhältnis von Bild und Ton, hier und dort usw.) wird am Ende des Films zum Drama des Films selbst, zum Actiondrama: denn genau genommen ist der Weg, auf dem der Toningenieur Sally und den Mörder verfolgt, der Weg, den er zu Fuß, mit dem Auto, gegen Widerstände, schließlich rennend und atemlos (und doch nicht schnell genug) zurücklegt -- dieser Weg ist es, der nicht nur die Intervalle zwischen hier und dort, Mann und Frau, sondern den Zwischenraum zwischen Bild und Ton überbrücken soll. Der Toningenieur auf der verzweifelten Jagd nach dem Bild zum Ton. Man könnte auch sagen: das systematische Problem des Films (das Intervall zwischen Bild und Ton) wird hier in Handlung, in Aktion, also in Erzählung übersetzt. Sie werden mir sicher zustimmen, wenn ich diese Intervalle (und die damit zusammenhängen Medienprobleme) als das zentrale Problem des Films, als seinen Fall begreife; das ist ja evident; damit sind aber eine Reihe weiterer Problemlagen und Aspekte verbunden, auf die ich nun eingehen möchte. Erstens wohnen wir hier -- bei der Überbrückung der Intervalle -- einer Art filmischen, tonfilmischen Weltentstehung bei: der Genese oder der Erzeugung eines Ereignisses mit den Mitteln des Films. Denn DAS Ereignis (der Unfall oder Anschlag oder Mord) liegt ja zunächst in unterschiedlichen Materialien vor, die in verschiedenen Wiederholungen des Ereignisses präsentiert werden: - akustisches Material, die nächtlichen Bandaufzeichnungen; - dann als sprachliches Zeichen-Material, als Erzählung, als der Toningenieur im Krankenhaus verhört wird: ein Protokoll; - dann als optisches Material: die Filmstreifen in der Illustrierten, dann der Film, den Sallys Kompagnon Burke gedreht hat; - Und all das: Sichtbares, Hörbares, Erzählung; all das wird nun in die Kinomaschine gebacht, in die Studioräume mit der Aufschrift "Effects" und "Animation" und dort zusammenmontiert, im doppelten Sinn moniert: zusammengeschnitten und zum Aufbau einer Welt, einer Anschauungswelt verwendet. - Im Grunde werden damit zwei Dinge parallelgeführt: einerseits die Erzeugung einer Welt aus heterogenen Teilen, die am Schluss zu Dingen und Ereignissen führt, die man gleichzeitig sehen, hören, verstehen kann; der Schein einer glaubhaften empirischen Welt; und andererseits wird hier eine sinnliche Primärsozialisation vorgeführt: das Einlernen der Zuordnung von Bildern, Tönen und Begriffen. Dabei will ich hier nur kurz daran erinnern, dass dies seit dem 18. Jh. Zum abendländischen Erziehungsprogramm gehört und die Aufgabe der Mütter war: dem Kind diese Primärorientierung in der Welt der Sinne und des Sinns zu verschaffen, d.h. die Unterordnung des Klangs unter das Bild und des Bilds unter den Begriff. Lassen Sie mich einen der berühmtesten Pädagogen um 1800 zitieren, einen der gründer der deutschen Pädagogik, Johann Heinrich Pestalozzi, der 1804 schrieb [in: Über den Sinn des Gehörs in Hinsicht auf Menschenbildung durch Ton und Sprache]: "O Mutter! mit der ich rede [schreibt Pestalozzi] -- sowie dein Kind deine Stimme als die deinige erkennt, dehnt sich dann der Kreis seiner diesfälligen Erkenntnisse immer weiter aus, es erkennt allmählich den Zusammenhang des Vogelgesangs mit dem Vogel, des Bellens mit dem Hunde" usw. Die mütterliche Stimme also als Leitbild aller Zuordnungen von Bild und Ton, und bewirkt, dass von nun an der Hund bellt, die Katze miaut, der Vogel zwitschert. -- Sie erinnern sich an die Szene, wo diese Primärsozialisation in de Palmas Film vorgeführt wird: Sally schläft noch, der Toningenieur hört das Band ab, imitiert mit dem Bleistift das Richtmikrophon, und der Film selbst liefert nun die Bilder zum Ton, gibt den Bildern Halt: er liefert zum Quaken den Frosch, zum "Uhu" den Uhu, zum sprechenden Paar das sprechende Paar...; eine gute, mütterliche Kamera also; - Was hier also vorgeführt wird: das Kino, der Tonfilm als Welterzeugungsmaschine. Eine zweite Problemlage hängt unmittelbar damit zusammen und führt zu einigen weiteren Aspekten des Films. Das ist ein Problem der Datierung, ein technisches, symbolisches, narratives Problem. Dieses Datierungsproblem steht im Zentrum der Ermittlung, im Zentrum des Wahrheitsspiels: - Zunächst auf dem Schneide- und Montagetisch: Film und Tonband laufen auf unterschiedlichen Spuren, und die Arbeit, die dabei gezeigt wird, das Auftragen von Markierungen, Kreuzen und Kreisen, betrifft nicht nur die Verknüpfung von Ereignisfragmenten, nicht nur die Zuordnung von Bild und Ton, sondern die wechselseitige Zuordnung von Orten im Raum und Plätzen in der Zeit; es geht darum, einen Lichtpunkt im Raum mit einen Knall, mit einem zeitlichen Ereignis zu verknüpfen. Wenn die diskreten Schnitte des Filmstreifen mit den analogischen Modulationen auf dem Magnetband korreliert sind, wird ein Zeit-Raum hergestellt, in dem nicht nur Bild und Ton, sondern auch räumliche Lagen und zeitliche Vorkommen koordiniert sind. Das Ereignis wird datiert: ein Ereignisblitz, ein schallendes Ereignis, das hier und jetzt oder dort und damals stattfindet bzw. stattgefunden hat. - Wichtig scheint mir diese Datierung nun deshalb zu sein (als wechselseitige Zuordnung von Stellen im Raum und in der Zeit), weil sie auf zwei weitere Dimensionen des Films verweist, auf eine große und eine kleine, die ich wenigstens andeuten möchte: - Die große Dimension wird durch den Rahmen des Films gegeben; wir haben nämlich hier einen der seltenen Fälle eines fiktionalen Films, der seine Handlung ganz klar datiert hat: der Film spielt in Philadelphia; und er spielt an einem 4. Juli; der Hintergrund des Films, der in das Feuerwerk am Schluss mündet, ist nämlich das sogenannte "Liberation Day Jubilee", das heißt: der Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die am 4.7.1776 in Philadelphia öffentlich verkündet wurde. Sie sehen: die Frage der Datierung hat hier die größtmögliche Dimension eingenommen: die Trennung der Neuen Welt von der Alten, die Gründung der Vereinigten Staaten, ein Gründungereignis schlechthin (Bestimmung eines Orts und eines Zeitpunkts, an denen eine ganz neue Geschichte beginnt). Nicht von ungefähr ist der gesamte Film (wie Sie vielleicht bemerkt haben) in die amerikanischen Nationalfarben eingewickelt, immer wieder sind die Bilder und Einstellungen mit blauen, roten, weißen Farbflecken übersät; der Film de Palmas ist gewissermaßen ein durch den Projektor laufendes "star-sprangeld banner", eine durch den Projektor wehende Nationalflagge, die sich vom 4.7.1776 her datiert. Das Datierungproblem und die Erzählung des Films inserieren sich also in die Datierung und in die Mega-Erzählung, die die amerikanische Geschichte, die amerikanische Unabhängigkeits- und Freiheitsgeschichte selbst ist. Sie inserieren sich in ein ebenso historisches wie mythisches Datum, in den amerikanischen Mythos selbst; das Datierungsproblem führt hier zur Frage nach dem Glauben an den amerikanischen Mythos. - [Mit dem Datierungsproblem im Film wird also die Datierung des amerikanischen Patriotismus verknüpft. Und damit mit dem Glauben, der an dieses Datum, an dieses Gründungsdatum und an die Nationalflagge geheftet ist. In einer patriotischen Broschüre, in den siebziger Jahren (glaube ich) verfasst, lässt man die Nationalflagge selbst zu Wort kommen; das Sternenbanner (auch "Old Glory" genannt) spricht hier unter dem Titel "How to respect und display our flag": "Ich bin Old Glory; seit nahezu zwei Jahrhunderten bin ich das Banner der Hoffnung und der Freiheit für Generationen von Amerikanern. [...] Fest auf dem Gipfel des amerikanischen Glaubens aufgepflanzt, beseelt mein sanft wehendes Tuch ungezählte Millionen. [...] So lange wie Menschen die Freiheit mehr als selbst das Leben lieben, so lange wie sie die kostbaren Privilegien hüten, die mit dem Blut unserer Vorfahren erkauft wurden, so lange die Grundsätze der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der allgemeinen Mildtätigkeit tief in den Herzen der Menschen verwurzelt bleiben, so lange werde auch ich [sagt die Flagge] das ausdauernde Banner von Amerika sein. Ich bin Old Glory!" -- Sie sehen: de Palmas Film hat ein Datierungsproblem, ein Ereignis-Problem, und er zieht die Datierung der USA, das Ereignis und die ganze Geschichte der USA, schließlich das Fundament ihres Glaubens in dieses Problem hinein.] Aber es gibt auch eine zweite, kleinere Dimension dieses Datierungsproblems: hier geht es ganz einfach um die Frage der Zeugenschaft. Es geht um die Augen- und Ohrenzeugenschaft des Toningenieurs, es geht um die Beglaubigung des Ereignisses, es geht um die Glaubwürdigkeit des Ereignisses; es geht um die Glaubwürdigkeit des Satzes: "Ich habe damals und dort dieses und jenes gesehen und gehört." Vielleicht bemerken Sie. Worauf ich hier hinaus will: das technische Problem der Datierung (die Zuordnung von Orten im Raum und in der Zeit) führt einerseits auf den Symbolismus und die Mega-Erzählung der amerikanischen Geschichte, sie führt auf das symbolische Datum 4.7.1776, an dessen Jahrestag der Film spielt; am deutlichsten zeigt sich das mit dem Feuerwerk am Schluss des Films: hier und jetzt, an diesem Ort und unter diesem Himmel vor soundsoviel Jahren passierte Amerika, passierten die Vereinigten Staaten. Zugleich aber führt ebendiese Frage -- mit der Frage der Zeugenschaft -- auf ein Glaubwürdigkeitsproblem, auf ein Wahrheitsproblem, auf den Ursprung einer Situation, in der man nachweisen muß, dass "ich jetzt und hier dies gesehen und gehört habe". Dieses Glaubwürdigkeitsproblem verweist nun, so denke ich, auf ein weiteres Element des Films, das in verschiedenen Variationen auftaucht und das ich gern das Problem der Deixis, der deiktischen Szenen nennen würde. Lassen Sie mich das kurz erklären. Ich habe schon angedeutet: die Zeugensituation besteht im Grunde in der Rechtfertigung eines Satzes wie: "ich habe damals dort dieses gesehen, gehört"; sie bezieht sich also auf eine Situation, in der man sagen konnte: "ich sehe, höre jetzt und hier dieses oder jenes, mit eigenen Augen und Ohren", sie bezieht sich auf eine Situation, in der man seine Anwesenheit bei diesem oder jenem Ereignis dokumentieren kann. Die ganze Bastelarbeit des Ingenieurs gilt der Rechtfertigung dieses Satzes: Wenn er Markierungen auf den Filmstreifen und auf das Magnetband setzt, so bedeutet das im Grunde: hier, an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt war ich da. Und hierin scheinen mir einige Besonderheiten zu liegen. Woraus besteht ein Satz wie "Ich sehe, höre jetzt und hier dieses da"? Die Antwort ist ganz einfach: er besteht im Wesentlichen eben aus deiktischen Verweisen, er ist im Grunde eine vollendete Deixis. Was ist das, ein deiktischer Verweis, eine Deixis? Die Lingistik gibt hier eine klare Auskunft und sagt: Deixis ist eine Art sprachlicher Zeige-Gestus, der auf bestimmte Situationselemente verweist; die deiktischen Elemente der Sprache sind sogenannte Shifters, die diesen Zeigegestus vollführen. Dazu gehören etwa: ich und du; jetzt, heute, damals, gestern; hier, da, dort; dieses, jenes; das heißt: Ausdrücke, die nur in Abhängigkeit von konkreten Situationen einen Sinn erhalten. Ihre Bedeutung ist abhängig von einer konkreten Situation, abhängig von der Anwesenheit in einer konkreten Situation. Die Sprache kann also Zeigen, und sie tut dies mit diesen Shiftern, die gewissermaßen sprachliche Zeigefinger sind: "ich" verweist auch mich hier; "hier" verweist auf diesen Ort; "jetzt" auf diesen Zeitpunkt; "dieses" auf diese Sache hier und jetzt. Usw. Im Zentrum der Zeugenschaft steht also ein Zeigegestus, eine Deixis. Und ich denke, dass es darum kein Zufall ist, wenn De Palmas Film in unterschiedlichen Variationen deiktische Szenen konstruiert. - Ich habe es schon angedeutet: das passiert im Schnittraum, mit dem Setzen der Markierungen auf den Filmstreifen und auf das Magnetband: ein deiktischer Gestus, eine deiktische Markierung, die besagt: hier und jetzt, da ist es passiert; - Oder denken Sie an die zentrale Szene am Flussufer, in der Nacht: In der Nacht des Unfalls, Anschlags, Mords zeigt der Toningenieur mit seinem Richt-Mikrophon (!) wie mit einem Zeigestab auf die verschiedenen Dinge und Ereignisse und bringt sie damit zur Erscheinung; er zeigt auf den Frosch, die Eule, das Paar, das stürzende Auto; diesda ist ein Frosch, diesda ist eine Eule, dieses passiert gerade hier oder dort; - Oder wenn der Ingenieur im Motel die Szene mit einem Bleistift nachspielt, wiederum auf die Dinge und Ereignisse verweist, in einer Art Trockenübung, und damit das Ich, hier und jetzt, mit dem Ich gestern und dort verknüpft; - oder denken Sie an die Zeigefinger, die sich durch den ganzen Film hindurch erigieren: der Produzent, der zu Beginn auf die Leinwand zeigt und sagt: "das soll ein Schrei sein?"; oder derselbe Produzent, der nacheinander auf drei junge Frauen zeigt und sie mit diesem Zeigen wie auf Befehl schreien lässt; oder der Mörder, der sich in die Polizeigarage schleicht und seine beiden Zeigefinger in die Löcher des Reifen steckt, also zeigt: so also ist der Schusskanal verlaufen; - man kann aber noch weiter gehen. Denn genau genommen ist das auch das Messer zu Beginn des Films (in jenem Film im Film) eine Art Zeigegerät, ein tödliches Zeigegerät: es zeigt auf diese oder jene Frau, irrt durch die Gänge des Mädchenpensionats und zeigt schließlich auf die junge Frau hinter dem Duschvorhang, um an ihr den missglückten Schrei hervorzulocken; oder, ganz analog, der Eispickel, den der Mörder in der Markthalle ergreift, ein mörderischer Zeigestab, der auf eine Frau weist, die jetzt, hier, gleich tot sein wird. - Vielleicht bemerken Sie, worauf ich hinauswill: in verschiedenen Variationen geht es in diesem Film, in seinem Ermittlungsprozess um die Markierung von Ereignisspitzen, um die Markierung von Zeitpunkten und Orten, um Brennpunkte von Ereignissen, an denen nicht nur Bild und Ton, Ort im Raum und Platz in der Zeit koinzidieren, an denen sich vielmehr das Ereignis, das mörderische Ereignis selbst zeigt, aufzeichnet und sich damit beweist. Die verschiedenen Zeigegeräte im Film (Richtmikrophon, der Bleistift, Zeigefinger, Messer usw.), die verschiedenen deiktischen Szenen haben eines gemeinsam: sie verweisen auf Dinge, Wesen und Ereignisse, die sich mit ihrem Erscheinen selbst dokumentieren sollen; im Fluchtpunkt dieser Arrangements steht ein Ereignis, das mit seinem Erscheinen zugleich auf sich selbst verweist, eine Art absoluter Deixis. Nicht von Ungefähr -- glaube ich -- ist darum das Richtmikrophon einmal durch einen Bleistift ersetzt: er zitiert damit jenen "pencil of nature", mit dem man seit dem 19. Jahrhundert die Selbstaufzeichnung der Natur durch technische Medien erhoffte. Lassen Sie mich kurz rekapitulieren. Wir haben erstens gesehen, dass das Problem des Films im Intervall, im Zwischenraum besteht: zwischen Bild und Ton und Erzählung usw., Intervalle also, die die Fragen nach Übergängen und Wegen dazwischen auslösen. Und wir zweitens haben gesehen, dass dieses Problem in zwei Richtungen entwickelt wird (Lösung des Falls): einerseits durch das Anwerfen einer Art Welterzeugungsmaschine, die das Kino selbst ist, durch die technische Koordinierung, Synchronisierung von Ton, Bild, Sinn; andererseits und durch die Operation der Datierung, d.h. durch die exakte Zuordnung von Orten im Raum und in der Zeit. Diese Datierung wird schließlich auf mehreren Ebenen verhandelt: auf einer technischen Ebene, im Schneideraum; auf einer symbolischen Ebene, die das Datum des 4. Juli 1776 betrifft; schließlich auf eines systematischen Ebene, auf der Ebene der Zeugenschaft, wo deiktische Szenen in ein technisches Dispositiv überführt werden, in die Selbstaufzeichnung, Selbstdokumentation von Ereignissen, Dingen und Wesen. Mikrophon und Kamera sind in dieser Hinsicht Zeige-Instrumente. Nimmt man all das zusammen, so können wir in diesem Film von De Palma zwei grundlegende und gegenläufige Bewegungen feststellen. Denn einerseits wird mit der gesamten Kino-Maschine, die hier in Gang gesetzt wird, mit einer Kinogeschichte, die hier im Zeitraffer präsentiert wird (vom Daumenkino über den Stummfilm bis zum synchronisierten Tonfilm) ein Glaubwürdigkeitproblem gelöst: am Ende steht eine sichtbare und zugleich hörbare Welt und überdies ein Ereignis, das mit seinem Ort in Raum und in der Zeit dokumentiert ist. Am Ende steht ein Ereignisursprung, der den Film und seine Erzählung bestimmt: so ist es gewesen; am Ende steht ein Ereignisursprung, der die verschiedenen -- kleinen und großen -- Ereignisse in Resonanz zueinander bringt: das kleine Ereignis des Kriminalfalls, das große Ereignis, von dem her sich Amerika definiert. Andererseits aber -- und das ist die andere Bewegung oder Linie -- wird all das von einer fundamentalen Illusion oder Lüge begleitet, von der Illusion nämlich, dass das Gehörte durch das Gesehene, dass der Sound durch das Bild produziert würde, während doch beides (Sichtbares und Hörbares) völlig unabhängig voneinander bleibt, in unterschiedlichen Materialien und Technologien gespeichert und nur durch technische Tricks zusammenmontiert werden kann; im Zentrum steht der Betrug, der der Film selbst ist und der ausdrücklich benannt wird, wenn die eigentliche Arbeit in Räumen mit den Titeln "Effekts" und "Animation" passiert. Mit dem Zuwachs an Glaubwürdigkeit ist ein Zuwachs an Illusion verbunden; und von hier aus ergeben sich -- nebenbei bemerkt -- einige zentrale Themen des Films: die Themen von Betrug, Täuschung, Lüge, Fälschung. Während der Toningeniuer darauf beharrt: "Ich weiß genau, was ich gesehen und gehört habe, und ich will, dass jeder in diesem Staat dasselbe sieht und hört"; während er also auf der Glaubwürdigkeit des Mediensystems beharrt, ist er von Betrug und Täuschung umgeben: der Gouverneur soll durch Betrug eines Betrugs überführt werden, mit medientechnischen Mitteln; Sally wird von Burke betrogen, der wiederum vom Auftraggeber betrogen wird; Protokolle werden gefälscht, Zeugenaussagen unterschlagen; und schließlich steht im Rekonstruktionsprozess selbst der Zweifel: "Ich könnte es im Aufnahmestudio angefertigt haben", sagt der Toningenieur einmal beiläufig dazu. Lüge und Betrug einerseits, Wahrheit und Ermittlung andererseits sind gleichmäßig verteilt und führen dazu, dass inmitten des Films, seiner Arbeit am Wirklichen ein fundamentaler Zweifel eingeschrieben bleibt. Alles in diesem Film strebt auf eine glaubwürdige Wirklichkeit zu, in deren Mitte doch ein betrügerischer Dämon, ein Fälschergott sitzt. Der Film und sein Wahrheitsspiel streben gewissermaßen auf eine Spitze zu, auf der sich Betrug und Ermittlung, Wahrheit und Lüge, Zeugnis und Fälschung in einer letzten und höchsten Konfrontation entscheiden sollen. Und hier muß ich zum Schluss auf etwas zu sprechen kommen, was bisher nur angedeutet wurde und was eigentlich im Mittelpunkt des Films steht. Das ist -- Sie ahnen es -- die Rolle des Schreis; das ist jenes akustische Ereignis, mit dem der Film beginnt und mit dem er endet. Sie erinnern sich: - Der Film, seine Erzählung beginnt mit dem Schrei einer Schauspielerin, der nicht zum Bild passt und die ganze Suche auslöst; und alles im Film -- die Ermittlung, die Suche, die politische Intrige, die scheinbaren Sexualmorde, der Film selbst streben auf den Schrei von Sally am Schluss zu; - Man könnte auch sagen: der ganze Film scheint hier eine Maschine zu sein, die versucht, einen Schrei zu produzieren, einen Schrei zu gebären, der den Film dann zufrieden stellt. Sie erinnern sich an den Schluss: der Schrei Sallys wird in die Anfangssequenz montiert: "DAS ist ein Schrei", sagt der Produzent; "ein guter Schrei", sagt der Toningenieur dazu. - Es scheint also einiges an diesem Schrei zu hängen, einige Dinge, die das Kino unmittelbar betreffen. Lassen Sie mich also zum Schluss ein paar Bemerkungen, Beobachtungen über den Schrei anstellen. Was ist eigentlich ein Schrei? Ein Schrei, wie er am Schluss hörbar wird, dieser Angst- und Todesschrei? Ein Schrei, ein Schrei dieser Art, wie von Sally ausgestoßen wird: - zunächst eine Artikulation, die die Artikulation übersteigt; im Schrei wird etwas ausgedrückt, was die -- sprachliche, stimmliche, gestische -- Ausdruckskraft des Schreienden übersteigt; - ein weiteres kommt hinzu: im Schrei artikuliert sich eine Stimme, die ihr Stimmhaftes verliert; eine Stimme schreit nur, wenn der gesamte Körper mitschreit, nicht von ungefähr sagt man: 'aus Leibeskräften' schreien; es ist also nicht eine Stimme, eine individuelle, wiedererkennbare Stimme, die schreit; vielmehr wird die Stimme im Schrei unpersönlich und körperlich, zusammen mit der Artikulation wird im Schrei auch das Individuelle und Persönliche verlassen; ein Schrei ist ein Schrei nur, wenn er ans Unmenschliche, Nicht-Menschliche rührt (in dieser Hinsicht können auch Tiere schreien); - aber der Schrei ist darum -- und das wäre ein dritter Aspekt -- nicht einfach ein unpersönliches, dingliches Geräusch, irgendein Klang; der Schrei geht wohl ins Geräusch über (denken Sie an das, was man 'erstickten Schrei' nennt), er tut dies aber nur, weil er eine Grenze, einen Endpunkt, ein Verlöschen markiert. Im Schrei, in jenem Schrei, der zu Beginn des Films gesucht und am Ende gefunden wird, erstirbt, verlöscht etwas, der Schrei ist ein Extrempunkt, eine Spitze des Verlöschens; in ihm verstummt etwas; - Was erstirbt im Schrei: es ist natürlich das Subjekt, das Leben des Subjekts; der Schrei artikuliert jenen äußersten Punkt, an dem das Subjekt vergeht, auch wenn es -- noch -- am Leben ist. Der Schrei markiert das nicht-subjektive Leben, markiert die nicht-subjektiven Kräfte mitten im Subjekt. - Also: Überschreiten der Artikulation, Überschreiten der Stimme, Überschreiten des Menschlichen, Erlöschen des Subjekts. Denken Sie an den missglückten Schrei zu Beginn (und an die verschiedenen missglückten Schreie der missratenen Schauspielerinnen): in diesem Schrei passen Bild und Ton gerade deshalb nicht zusammen, weil sie zusammenpassen; nimmt man alle Geräusche weg (wie das am Mischpult gemacht wird), so bleibt nur der klägliche Schrei der Schauspielerin übrig, der eben deshalb kein wirklicher Schrei ist, weil er als die kleine, misslungene stimmliche Artistik einer schlechten Schauspielerin wiedererkennbar ist. Der Schrei ist also kein Schrei, weil man diese spezielle, individuelle Person und Stimme in ihm wiedererkennt. Umgekehrt ist Sallys Schrei am Ende eine ein guter Schrei, weil er das Gefäß der Person und ihrer Stimme übersteigt. Eine neuere Psychoanalyse hat darum behauptet, der Schrei sei eine Art Fleck, ein Verwischung, in der das Subjekt vergeht, in der das Subjekt aus seiner Artikulation herausfällt. Der Schrei -- so laut er sein mag -- ist darum in gewisser Hinsicht auch stumm, in ihm ertönt ein Schweigen oder ein Verstummen; Slavoij Zizek hat das -- mit dem Psychoanalytiker Jacques Lacan -- am Beispiel von Edvard Munchs "Der Schrei" von 1893 erklärt (Folie): - Dieses Bild, sagt Zizek, zeigt den Schrei, sofern er eben nicht zu hören ist; es zeigt den Schrei, weil in ihm das Unhörbare, Nicht-Stimmliche, Nicht-Artikulierte zu sehen ist: in einem Kopf ohne Ohren, in einem Gesicht mit nicht-menschlichen Öffnungen und in einer Landschaft, die gleichsam durch graphische Klangwellen verzerrt erscheint. Hier, in diesem Bild, treffen sich das Nicht-Menschliche des Menschen, das Nicht-Subjektive des Subjekts mit der tiefsten Stummheit, mit dem Ersticken, die in der Mitte des Schreis stecken. Nur nebenbei: auch der Stummfilm kannte darum Schreie: etwa den Schrei einer Mutter in Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin", die ohnmächtig zusehen muß, wie ihr Sohn von Soldaten niedergeschossen wird. Lassen Sie mich damit zum Schluss kommen, besser: einen Schluss ziehen. Wenn man den ganzen Film, seine Ermittlungsarbeit und seine Recherche, auch als Suche nach einem Schrei, nach DEM Schrei begreifen kann (eine Suche, die ja irgendwie gelingt), so bleibt am Schluss ein paradoxes Resultat. Denn einerseits markiert der Schrei am Schluss den Zusammenfall all dessen, was getrennt war, in ihm sind alle Intervalle gelöscht: Bild und Ton, Sichtbares und Hörbares, Gesicht und Stimme, Visuelles, Akustisches und Sinn fallen in ihm zusammen. Der Schrei ist eine absolute Deixis: ich, hier, jetzt. Er ist gewissermaßen der Ereignisursprung, das Gründungsereignis des Films, das Datum, das einzige Datum, an dem kein Zweifel besteht. In ihm gründet und vollendet sich die glaubwürdige Welt des Films. Er ist die gesuchte Ereignisspitze schlechthin, die alle Intervalle und Abstände kurzschließt. -- Zugleich aber ist gerade dieser Schrei der Augenblick, an dem ebendiese Welt zerfällt und auseinander bricht. Der gute Schrei, der gelungene Schrei am Ende ist nur deshalb gut und gelungen, weil er eben nicht zu dieser sichtbaren Person, nicht zu diesem Gesicht, nicht zu diesem Subjekt, nicht zu dieser Stimme gehört. Was im Schrei zusammenfällt und zusammengefunden hat, Bild und Ton, fällt mit ebendiesem Schrei auseinander. Man könnte auch sagen: ein Schrei ist, auch wenn man den Schreienden sieht, stets akusmatisch -- er kommt von einem Nicht-Ort, von einer Nicht-Person, sogar von einem Nicht-Menschen her. Der Auseinanderfall von Gesicht und Stimme, von Sichtbarem und Hörbarem im Schrei markiert das Ende des Films in jeder Hinsicht: die anschauliche, glaubhafte Welt des Tonfilms ist hier zerfallen; das tote, puppenhafte Gesicht Sallys am Schluss und ihr irrer, entsetzlicher Schrei bleiben für immer getrennt, auseinander sortiert in unterschiedliche Materialitäten des Mediensystems. Der Titel des Films, "Blow out", ist damit nicht nur eine Erinnerung an Antonionis "Blow up", er zieht vielmehr die verschiedenen Ereignisfragmente in eine einzige metonymische Kette zusammen: blow out, das bedeutet: ein Platzen (wie das Platzen des Reifens), durchbrennen (wie der tödliche Lichtbogen am Körper des Detektivs), ausströmen (wie die Luft aus einem Mund, wie im Schrei), ausblasen (wie das Lebenslicht ausblasen). Wir könnten also sagen: dieser Schrei am Schluss bringt Ton, Bild, Sinn und Erzählung zusammen, um sie schließlich endgültig auseinander zu sprengen; als wäre nichts geschehen. Schließlich -- und das ist die kleine Bösartigkeit dieses Films -- vergeht hier noch die große Erzählung und die Welt, die man Amerika nennt. Anders gesagt (und das wäre ein Fazit): man muß sehr viel Glaubenkraft aufbringen, um an die Welt des Films wie an die Welt Amerikas zu glauben. Joseph Vogl: Conversation [In den letzten Sitzungen: einige Fragen, die vielleicht einen roten Faden durch die einzelnen Analysen gelegt haben (von Buster Keaton über Fritz Lang, Antonioni bis zu Brian de Palma): 1. Technische Medien seit dem 19. Jahrhundert: Trennung und Separierung der verschiedenen Datenströme; Bild, Ton, Schrift bzw. Sprache: wir haben es angesichts der technischen Medien nicht mit einer Wiedergabe von Welt, von Sichtbarkeiten, Hörbarkeiten, Lesbarkeiten (und Bedeutungen) zu tun, sondern zunächst mit einer Anatomie von unterschiedlichen Datenformaten, Datenträgern, Datenströmen. Also mit einer Zerlegung des Sinnesapparats, mit dia-ästhetischen Prozeduren. 2. Zweitens hatten wir es in all diesen Fällen -- das hat meine Filmsauswahl bisher bestimmt, mit Akzent auf dem kriminalistische Faktor -- mit besonderen Wahrheitsspielen zu tun, mit Wahrheitsspielen, die um die Frage kreisten: was passiert, was ist passiert? Es ging also um den Status und die Bedeutung von Ereignissen im Film; dabei wenigstens um vier Dimensionen, vier Probleme, vier Fragen, die die Nicht-Eindeutigkeit von Ereignissen betrafen: zunächst Sinnesereignisse, optische und akustische Ereignisse: es ging zunächst um jene Spuren, die Licht und Schall auf den Datenträgern hinterlassen; es ging zweitens um die Korrespondenz dieser Spuren: um die Koordinierung und Verschränkung von optischem und akustischem Material, also um die Herstellung von Ereignissen und Objekten, die hörbar und sichtbar zugleich sind; drittens ging es dabei um die Herstellung von Information, genauer: es ging darum, die übertragenen und gespeicherten Ereignissen von den Ereignissen der Speicherung und Übertragung zu sondern; es ging um jene Grenze, Grauzone, Ununterscheidbarkeitszone, in denen Ereignisse und Medienereignisse gemeinsam vorliegen; und schließlich -- ein letzter Aspekt -- ging es dabei um Sinn-Effekte: d.h. um die Frage, wie sich all das -- optische und akustische Ereignisse, der Zusammenhang von optischen und akustischen Ereignissen in Erzählungen übersetzt, in Erzählstrukturen, also in symbolische Ordnungen: in etwas also, das aus bloßen Sinnesapparaten, aus sinnesphysiologischen Agenturen eben Subjekte macht, wahrnehmende und handelnde Subjekte. -- Kurz: es ging hier, mit der Frage nach Ereignissen, um die Montage, um den Aufbau und die Produktion einer möglichen Welt. 3. Dabei haben wir vor allem ein zentrales Element verfolgt, ein Strukturelement, das ich das Intervall genannt habe. Denken Sie an Buster Keaton: immer wieder hat sich dort das Intervall zwischen sichtbaren Ereignissen (Ereignissen der Sichtbarkeit) und Kamera-Ereignissen (Aufzeichnungsereignissen) dramatisiert und zu (komischen) Verwicklungen geführt; denken Sie an das Intervall zwischen Bild und Ton, das durch den Akusmeter, durch akusmatische Klänge markiert ist (in Fritz Langs, "Das Testaent des Dr. Mabuse"); oder in "Blow up": die Unterbrechungen und Störungen; überdies Intervalle, die nicht nur zwischen Bild und Ton, sondern zwischen den Bildern liegen, Abgründe an Dunkelheit; oder schließlich "Blow out": der Film steuerte auf die Datierung eines Ereignisses zu, auf eine technische, narrative und symbolische Datierung, in der ebendiese Einheit des Datums zerfällt, in der die Welt zerbricht: das schien mir die Bedeutung des Schreis zu sein. In der Einheit des Schreis, in diesem akustischen, visuellen und symbolischen Ereignis, bricht ebendiese Einheit auseinander. Dieser Schrei ist zuletzt an einen Zuschauer gerichtet, dem Hören und Sehen vergeht; es wurde hier gewissermaßen ein kopfloser Zuschauer produziert.] Ich will hier, in dieser Vorlesung, keine kohärente Kino-Theorie versuchen; würde aber gern behaupten, dass diese Elemente: die Frage nach der Differenzierung und Trennung von Datenströmen, nach dem Ereignis und seiner Datierung, schließlich die Frage nach dem Intervall Elemente einer Kinotheorie sein könnten, sein müssten, wenn man im Kino ein ästhetisches Experiment, ein Wahrnehmungsexperiment begreift, dass um den Aufbau von Welten kreist. Vor diesem Hintergrund müsste ich heute kein Wort über Francis Ford Coppolas "The Conversation" (1973) verlieren: vor diesem Hintergrund kommentiert sich dieser Film nahezu selbst; vor diesem Hintergrund erscheint Coppolas Film selbst wie ein Kommentar zu unseren bisherigen Überlegungen und Analyseversuchen. Alle zentralen Themen erscheinen auch hier: die Trennung der Datenströme, die Frage nach dem Ereignis, das Problem und das Drama der Intervalle. Auch hier haben wir ein Ereignisfragment, die Verstreuung von Ereignis-Fragmenten, das Problem ihrer Zusammensetzung. Lassen Sie mich dennoch -- bei Gefahr der Wiederholung -- einige Beobachtungen zu diesem Film sortieren -- um dann zu einem Resultat zu kommen, das vielleicht von den bisherigen Resulatslogiken ein wenig abweichen wird. Gilles Deleuze: Geschichte des Kinos ist immer wieder Geschichte von Märtyrern, die von den Produktionsfirmen niedergemetzelt wurden (vgl. Buster Keaton); bei Coppola ist das sicher nicht der Fall. Vor allem "The Conversation" hatte die günstigsten Ausgangsbedingungen: Coppola hatte 1971 "Der Pate" gedreht, einen Welterfolg, der alle Kassenrekorde brach; und der Hauptdarsteller, Gene Hackman, ist ebenfalls 1971, mit "The French Connection" zum Star geworden. Beste Voraussetzungen für einen Erfolg von "The Conversation", der allerdings ausblieb; mit Ausnahme einer Goldenen Palme in Cannes. Ich will über die Gründe des Misserfolgs nicht spekulieren; vielleicht hier nur anmerken, dass er nicht nur ein ästhetisches Experiment, sondern auch ein produktionstechnisches Experiment war: Zusammen mit Peter Bogdanovich und William Friedkin gründete Coppola die Director's Company; vorübergehenden Versuch, eine Art Hollywood-Autoren-Film zu begründen, außer "The Conversation" hat Coppola aber dann keinen weiteren Film unter diesen Produktionsbedingungen gemacht. Lassen Sie mich nun zunächst ein paar ganz oberflächlichen Bemerkungen zu Coppolas Film machen, zur Geschichte, die dieser Film erzählt. Das sind eigentlich drei verschiedene Geschichten, die aber -- natürlich -- miteinander zusammenhängen. Erstens die Geschichte eines Paars, eines Liebespaars, das mit seinem "Dialog" ja im Zentrum steht: und damit verbunden natürlich die Frage nach den unklaren Beziehungen, die mit diesem Paar verbunden sind. Die zweite Geschichte, die hier erzählt wird, ist natürlich die Geschichte von Harry Caul, dem Abhörspezialisten, der eine Art Mann ohne Eigenschaften ist, außer seinem Katholizismus keine besonderen Merkmale hat; soziophob und technokratisch, Außenseiter in jeder Hinsicht: einer, der eben an der Außenseite von Beziehungen und Geschichten steht; nichts sein will als ein Zwischenträger oder Medium (wenn man so will): mit aller Anstrengung damit beschäftigt, keine Adresse zu haben. Eine Anstrengung, die -- wie Sie gesehen haben -- misslingt; das macht das Drama dieser Figur aus. Er bekommt eben im Laufe des Films eine Adresse verpasst. Dabei wären einige Besonderheiten zu bemerken: - zunächst der Name dieser Figur: Harry Call: in einem Interview hat Coppola den Vornamen Harry auf den Harry Haller aus Hesses "Steppenwolf" bezogen, für den man damals in den Vereinigten Staaten eine besondere Vorliebe hatte: das Klischee einer vereinsamten, wölfischen männlichen Existenz, die in einen psychotischen Prozess gerät; und Call, C-A-L-L-, sollte ganz einfach "Ruf", "Rufen" oder "Anrufen" bedeuten, ist durch den Hörfehler einer Sekretärin zu "Caul", C-A-U-L, geworden, was schließlich noch besser passte: caul, das hat mit Kaulquappe zu tun, ist der physiologische Ausdruck für die innere Embryonalhaube, für das, was man im Deutschen auch Glückshaube nennt. Der Verweis also auf eine halbgeborene oder ungeborene Existenz; - Das geht auch mit einigen anderen Merkmalen dieses Harry Caul zusammen, etwa mit seinem halbdurchsichtigen Regenmantel, den er nur ein einziges Mal ablegt; und man muß wohl sagen, dass das Halbdurchlässige, das Semi-Permeable wohl ein Element ist, das ganz besonders die Räume, die Architekturen und die Choreographie der Personen bestimmt. Denken Sie an den Überwachungswagen zu Beginn: halbdurchlässige Spiegel; an eine Telephonzelle: spiegelnde Glasscheiben und ein ungeduldiges Klopfen von Außen; oder Fenster mit Jalousien, halb geschlossen, halb licht-durchlässig; oder der Maschendraht im Studio; oder durchscheinende Folien, Milchglasscheiben und Stellwände; oder das Trübe überhaupt, wie der Nebel in der Traumsequenz. All das sind Trennelemente, die Innenräume abschließen, aber eben nicht ganz, auf ein Unbestimmtes Außen weisen, das sich auf die eine oder andere Weise bemerkbar macht. Man könnte auch sagen: mit all diesen Raum-, Stell- und Trennelementen entwirft der Film eine soziale Architektur: eine Abgeschiedenheit und eine Eingeschlossenheit, die zugleich durchlöchert und durchlässig geworden ist; Gesichter, Hände, Gesten, Worte, unspezifische Zeichen drängen sich an eine rissige Monade heran. - Nicht von Ungefähr -- das wäre ein weiterer Aspekt -- muß sich Gene Hackman darum immer wieder in gleichsam embryonale Haltungen begeben: zusammengekauert unter ein Waschbecken, oder eingerollt unter der Bettdecke im Hotelzimmer, während die mörderische Welt draußen rumort. In diesem Hotelzimmer ist übrigens die Monaden-Welt Harry Cauls mit großer Konsequenz durch die Requisite möbliert worden: zugezogene Vorhänge; nur das Pseudo-Fenster des Fernsehens mit einer Episode Fred Feuersteins, zudem das Bild einer südlichen Landschaft an der Wand, ungeschickt gemalt: Öffnungen auf eine Außenwelt, die sich eben nicht nach Außen öffnen und nichts als Schemen reproduzieren. - Nimmt man all das zusammen, so muß man sagen: die Geschichte Harry Cauls wird nicht von diesem oder jenem Auftrag bestimmt, nicht von einem möglichen Kriminalfall; seine Geschichte oder sein Drama ist vielmehr das einer Geburt, einer sozialen Geburt. Das Embryonale, das Adressenlose, das Beziehungslose wird an einen Punkt gedrängt, an dem ihn -- Harry Caul -- ein soziales Gewimmel erwartet: eine Welt, die aus Zeichen, Kommunikationen, Bedeutungen, Beziehungen besteht; eine Welt, in der Relationen auch gerade dann noch Relationen sind, wenn sie fehlen (denken Sie an die verschwundene Freundin Amy). Schließlich aber geht es hier nicht zuletzt um die Geschichte von Maschinen und Apparaten; der Film ist eine Versammlung von Kameras, Mikrophonen, Telephonen, Fernsehern, Tonbandgeräten, Wanzen, Videorekordern, kleinen und großen Gadgets, technischen Spielzeugen und Erfindungen -- regelrechte Hauptpersonen, die sich in künstlichen Paradiesen (wie in der Messe) versammeln und dort ihr rätselhaftes Leben führen. Wie in Buster Keatons "Cameraman" scheint es hier um die Frage zu gehen: was können all diese Dinge und Apparate, welche Kräfte stecken in ihnen, wozu sind sie fähig, welche Gesellschaft ist es, die sich hier mitten in der Menschenwelt ausgebreitet hat? Mindestens so wichtig wie die Taten und Leiden der Menschen sind hier die Taten und Leiden der Dinge, die in allen Beziehungen stecken und sich -- so oder so -- bemerkbar machen. Es geht hier -- auf dieser dritten Ebene -- um eine Geschichte der Medien, um ein Medien-Drama; es geht um das Handeln, die Interventionen, Sprachen und Kodes, die diese verschiedenen Dinge, Apparate, Maschinen und Medien im Film entwickeln. Natürlich hängen diese drei Narrationen -- vom Liebespaar und seinen Verhältnissen, von Harry Caul und seinem Geburtsproblem, von den Aktionen der intriganten Mediendinge und technischen Wesen -- miteinander zusammen; und das Problem, um das es bei dieser Geschichte und bei ihrer Umsetzung geht, ist so klar und einfach, geradezu simpel wie in den letzten Filmen, die wir gesehen haben: es geht um ein Ereignis, das nur in Fragmenten vorliegt; und es geht um die schrittweise Zusammensetzung dieser Fragmente zu einem Ganzen, zu einem kohärenten Ganzen. Dass bei dieser Zusammensetzung neue Probleme entstehen, steht auf einem anderen Blatt, darüber will ich zum Schluss der heutigen Sitzung sprechen. Lassen Sie mich aber das Problem zunächst etwas abstrakter formulieren: es geht in diesem Film um eine diabolische Ereignisform, die durch eine symbolische Operation beherrscht werden soll; es geht um diabolische Strukturen und ihre symbolische Formatierung -- lassen Sie mich das kurz erklären. Sie wissen vielleicht, was Symbol, symbolon im Griechischen, in der griechischen Antike bedeutete: symbola, das waren zunächst nichts anderes als Bruchstücke oder Fragmente, etwa auseinandergebrochene Münzen oder Tonscherben -, die man als sichtbares Pfand oder als sichtbare Zeugen tauschte: die Tatsache, dass sie an den Bruchstellen zusammenpaßten, bezeugte etwa eine Übereinkunft von Vertragsparteien. Symbola -- das sind also Fragmente, die zusammenpassen und damit ein bestimmtes Ereignis, etwa einen Vertragsabschluss, ein Geschäft bestätigen. Symballein bedeutet "zusammenfügen", "zusammenbringen"; und umgekehrt deutet das "Dia-bolische" auf ein Trennendes hin, auf ein Auseinanderreißen. In einer langen antiken und christlichen Tradition ist das Diabolische, der Teufel das Trennende und der Auseinanderreißer; und zwischen diesen beiden Polen: zwischen dem Diabol eines fragmentierten Ereignisses und dem Symbol seiner Wiederherstellung scheint sich das Problem und das Drama dieses Films zu entwickeln. Einerseits also: symbolische Operationen und Anstrengungen (Prozeduren des Zusammenfügens); andererseits diabolische, d.h. trennende Kräfte und Intrigen -- das macht die Spannung dieses Films aus. In dieser Hinsicht ist Coppolas Film ganz und gar schematisch aufgebaut und spielt im Grunde nur an zwei verschiedenen Plätzen, Schauplätzen: der erste ist der Ort der Aufzeichnung und Sammlung, der Union Square in San Francisco, wo die Ereignisfragmente eingeholt werden, ein diabolischer Ort. Und der zweite Ort ist das Tonstudio, Ort der Zusammenfügung, Ort der symbolischen Operation. Das Ereignis und seine Fragmente werden von einem Ort zum anderen transportiert, haben also zudem zwei verschiedene Daten: das Datum ihrer Einsammlung und das Datum ihrer Zusammenfügung. Das Ereignis zeichnet sich also durch eine interne Wiederholung aus, durch eine Wiederholungsstruktur -- nicht von ungefähr wird dieses Ereignis -- die conversation, der Dialog zwischen Mann und Frau -- acht Mal (nach meiner Zählung) im Verlauf des Films durchgespielt. Das also ist die Struktur, das Bauprinzip dieses Films: erstens zwei wesentliche Schauplätze, ein diabolischer und ein symbolischer; zweitens eine Ausganglage (die Ereignisfragmente) und ein Endprodukt (die Zusammenfügung); drittens schließlich die Operationen und Prozeduren: endlose Wiederholungen, die das Problem dieses Ereignisses vorführen, nämlich seinen repetitiven Charakter: einmal passiert es bloß, ein zweites Mal bekommt es eine Bedeutung. Lassen Sie mich nun diese verschiedenen Schauplätze und Operationen (Union Square und Studioarbeit) etwas genauer ansehen. Zunächst also der erste Schauplatz, Union Square, Vorspann des Films. Coppola hatte einigen Aufwand beim Drehen dieser Sequenz betrieben: 4 Kamerateams, eine Reihe von Soundleuten, simultane Arbeit an sechs Kameras. Dabei mußten die Schauspieler so spielen, dass sie nicht wussten, wie und ob sie aufgenommen wurden; technischer Aufwand also, um gerade die Verstreuung des Ereignisses festzuhalten. Dabei möchte ich sie nur auf folgende Elemente, Aspekte hinweisen, die Ihnen sicher aufgefallen sind: - reine akustische Ereignisse werden hier registriert, Umweltgeräusche, Musik, Stimmen, die noch keine Stimmen sind, bestenfalls aus akustischen Wolken hervorgehen; - Verteilung der akustischen Ereignisse: zwei Richtmikrophone, zwei allseitig empfindliche Mikrophone auf dem Platz; also unterschiedliche Tonspuren; - Ähnliches passiert auch mit den Sichtbarkeiten auf diesem Platz: Wechsel von Totale zu Nahaufnahmen, vor allem immer wieder Unschärfen, aus denen dann Figuren hervortreten. Dabei möchte ich vor einige Besonderheiten hervorheben: - Zunächst natürlich die Trennung von Bild und Ton; das ist ganz deutlich thematisiert von den Fernsehkameraleuten, die keine Kameras, sondern nur Mikrophone bedienen: sie zielen auf Gesichter, zeichnen nur Stimmen auf; - Dann der Ort des Tonmaterials: an bestimmten Stellen dieser Sequenz ist es unklar, wo der systematische, der narrative Ort des Tons, der Stimmen, der Gesprächsfragmente ist: hören wir, was die Figuren im Film hören (die Beschatter und Aufzeichner); oder hören wir, was uns der Film selbst liefert. Gehört also das Gehörte zur Welt der Figuren im Film oder nur zur filmischen Welt, die wir sehen und hören; - Ähnliches betrifft auch die Bilder: wir wissen, dass Harry Caul keine Filmaufnahmen liefert (nur Photos); aber es bleibt unklar, ob die Bilder, die wir sehen, mit den Blicken und Perspektiven der Figuren im Film koinzidieren (subjektive Kamera, point of view); oder ob Coppolas Film von diesen Perspektiven noch einmal abweicht: ob also die Bilder und Sichtbarkeiten extradiegetisch produziert werden; - Sowohl bei den Tönen wie beiden Bildern haben wir also ein Zuordnungsproblem: auf welcher Ebene des Films kommen sie zu Gesicht oder zu Gehör (ein Problem, das uns noch beschäftigen wird); - Schließlich: diese erste Sequenz zeichnet sich durch eine entscheidende Aussparung aus: der zentrale Satz ("Er würde uns umbringen, wenn er könnte") wird nicht gehört, bleibt im akustischen Gewölk oder Gebüsch der Musik verborgen. Am anderen Ort nun, im Tonstudio, findet eine konsequente Aufbereitung und Zusammenfügung der Fragmente statt. Das dia-bolische Material wird symbolisch präpariert; ich brauche das kaum näher zu beschreiben: - die verschiedenen Tonspuren (ABC) werden in Serie geschaltet und auf eine reduziert; - aus den Geräuschen werden hörbare Stimmen und verständliche Sätze gefiltert; - diese Töne werden mit Bildern, die Stimmen mit Gesichtern synchronisiert: es wird hier gewissermaßen -- wie in "Blow out" -- eine Arbeit am Tonfilm, an der sichtbaren und hörbaren Welt des Tonfilms vorgeführt; ein Entwicklungsprozess. Es passiert aber noch Einiges mehr -- und das wird schließlich das entscheidende Moment dieser symbolischen Operation sein, Sie erinnern sich sicher: Harry Caul hatte seine Arbeit bereits abgeschlossen, Tonbänder und Photos dem Auftraggeber übergeben wollen; es wurde ihm --warnend -- deutlich gemacht (vom Sekretär, Harrison Ford), dass es sich um gefährliches Material handelt; zu den akustischen und optischen Wolken des Beginns ist also eine Art semantischer Wolke getreten -- irgendeine unheilvolle und unklare und anschwellende Bedeutung, die hinter all dem steht; und nun geht Harry Caul in einer weiteren Wiederholung das Ganze noch einmal durch, stößt auf ein bisher unhörbares Geräusch, auf einen ungehörten Satz, der nach einer weiteren Filterung plötzlich hörbar wird, der entscheiden Satz: "er würde uns umbringen, wenn er könnte". An dieser Operation erscheinen mir drei Dinge bemerkenswert: - Erstens: Dieser Satz kommt eigentlich aus dem Unhörbaren; er wäre unhörbar geblieben, er wäre verloren geblieben, wenn Harry Caul nur nach akustischem Material gesucht hätte; dieser Satz hatte keinen besonderen Ort im Realen, auf der Tonspur und wurde erst mit einer Frage, mit einem Verdacht aufgespürt: was hat all das zu bedeuten? - Zweitens taucht mit diesem Satz ein neues Objekt auf (also etwas, das nicht mehr in der klaren Tonaufzeichnung und nicht mehr in klaren Zuordnung von Bild und Ton aufgeht): Coppolas Film macht das ganz und gar deutlich: als der Satz erklingt, im Raum steht, richtet sich die Kamera auf die Potentiometer des Mischpults, auf denen steht: ABC -- ein deutlicher Hinweis darauf, dass nun eine Signifikantenkette zur Welt gekommen ist, ein symbolisches Objekt. Nicht mehr bloß das Reale der Tonaufzeichnung; nicht mehr bloß das Imaginäre der Bilder; nicht mehr bloß die Zuordnung von beidem, die Synchronisierung, sondern ein Sinneffekt, eine Aussage, ein verständlicher Satz, etwas, das etwas zu verstehen gibt und eine Deutung herausfordert; - Drittens schließlich wird damit auch Harry Caul verwandelt, er erleidet eine Metamorphose: als der Satz aus dem Lautsprecher erklingt ("Er würde uns umbringen, wenn er könnte"), quittiert er diese Botschaft mit einem kurzen Nicken; er quittiert also, dass eine Botschaft angekommen ist; er ist also von einem bloßen Zwischenträger, Operateur und Medium zu einem Adressaten geworden; man könnte auch sagen: zu einem Subjekt. Das Ereignis, der Dialog, ist also damit nicht nur zu einem hörbaren und sichtbaren Ereignis geworden, sondern zu einem symbolischen Ereignis, einem Bedeutungsvorfall, zu einer Botschaft; und diese Botschaft ist nun angekommen. Mit Harry Caul hat sich eine Art körperloser Verwandlung vollzogen, er ist von einem Ungeborenen, von einem Embryo, von jemandem, den all das nichts angeht (wie er sagte) zu einem Subjekt geworden: von der symbolischen Ordnung ergriffen und in die Kette der Signifikanten integriert. - Damit hat sich -- von diesem Punkt an -- auch die ganze Recherche verändert: Harry Caul sucht nun nach Bedeutungen, nach Geschichten, die ihn selbst einholen. Das betrifft zunächst das abgehörte Paar selbst: was ist geschehen, was wird geschehen? Wird es einen Toten, wird es eine Tote geben? Wo sind die Drahtzieher? Die Verfolgung (oder wenn Sie so wollen: der paranoische Prozess) beginnt. Aber das betrifft auch Harry Caul selbst: er ist nun nicht mehr anonym und adresselos, sondern hat Namen und Adresse erhalten, eine Vorgeschichte, er wird selbst zu einer Person in der Geschichte, zu einer erzählten Person: vom Außenrand der Geschichte und der Verwicklungen wird er in deren Mitte geholt; das Aufschreibesystem, das er in Gang gesetzt hatte, macht ihn selbst zum Objekt. Bis zum Ende des Films wird dies sein Schicksal bleiben. Harry Caul, der sich zunächst nur für die "technische Seite der Arbeit" interessierte, der an den Botschaften vorbei und nur auf die Übertragung selbst hörte, ist zum Empfänger der Botschaften und des Übertragenen geworden, Sie erinnern sich: das Telephon, dessen Nummer niemand kennt, klingelt und meint ihn selbst. Mit dem Ereignis und seiner ominösen Bedeutung jedenfalls wird auch Harry Caul selbst datiert: nicht von ungefähr beginnt das ganze Spiel an seinem Geburtstag. Von hier aus lassen sich, glaube ich, einige Konsequenzen für den Film ableiten, besser: es lassen sich einige Konsequenzen erklären, die der Film selbst zieht. Und diese Konsequenzen liegen -- sehr allgemein -- in der Art und Weise, wie sich nun Maschinen, Medien und symbolische Ordnungen verschränken; sie liegen in der Art und Weise, wie nun materielle technische Ereignisse und symbolische Ereignisse (Bedeutungsereignisse) ein eigenartiges Gemisch ergeben, eine Art Emulsion, die das Mediensystem dieses Films bestimmt und die Gadgets, Apparate und Maschinen zu den eigentlichen Akteuren werden lässt, unter freundlicher Mitwirkungen der Subjekte, könnte man sagen. Eine erste Konsequenz wäre eine Art Dissemination, die vom Ereignis, vom Dialog, von seiner Aufzeichnung provoziert wird, eine Verstreuung von Bedeutungseffekten: - Das betrifft nicht nur einen Interpretationszwang, mit dem Harry Caul das Band wieder und wieder hört: Sie, die Frau, sagt er etwa, hat Angst, man hört das an ihrer Stimme; - Das betrifft vor allem die Art und Weise, wie sich das Ereignis, der "Dialog" in andere Ereignisse einschreibt: etwa wenn Amy dasselbe Kinderlied singt wie die Frau auf dem Platz: was will sie damit sagen, fragt sich Harr Caul (obwohl sie nichts damit sagen will); oder wenn das Band im Büro des Direktors läuft und einen Bedeutungsfilm über das Ganze legt: was wird er tun? Was wird nun folgen? Oder wenn dasselbe Band im Hotelzimmer nebenan läuft und einem weiteren Ereignis, dem Mord seinen Sinn gibt (der dann ja schließlich ein ganz anderer Sinn und ein ganz anderer Mord war, als Harry Caul glaubte); - Am deutlichsten wird das im Tonstudio, in der Szene mit der blonden Hostess Meredith: der Dialog zwischen Mann und Frau auf dem Band (das im Hintergrund läuft) schiebt sich nun in den Dialog zwischen Harry Caul und Meredith, beide Dialoge beginnen sich wechselseitig zu interpretieren, erzeugen Interferenzen und Torsionen, unerwartete Bedeutungseffekte, setzen sich wechselseitig fort oder unterbrechen einander; - Eine Erzeugung und Verstreuung von Bedeutungseffekten also bis zu dem Punkt, wo Harry Caul und seine Geschichte selbst von diesen Bedeutungen, vom Text des Dialogs besetzt, eingewickelt und gedeutet werden. Eine zweite Konsequenz kommt hinzu und verläuft parallel dazu, eine Konsequenz, die ich bereits angedeutet habe. Und diese Konsequenz betrifft eine zentrale Angelegenheit des Films, nämlich den Sound; genauer gesagt: sie betrifft den systematischen Ort des Sounds, noch genauer gesagt: sie betrifft die konsequente Entortung des Sounds. Dazu muß ich vorausschicken, dass nicht Coppola selbst, sondern einer der besten Soundtechniker für die Tonregie dieses Films verantwortlich war, Walter Murch, der den Film (vor allem den Ton) im wesentlichen geschnitten hatte (Coppola war bereits mit den Vorbereitungen zum "Paten II" beschäftigt und absorbiert, und Walter Murch hat in eigener Regie den Ton einiger Passagen neu aufgenommen und gemischt). - Lassen Sie mich das wiederum an der Szene im Tonstudio erklären, wo Harry Caul mit Meredith allein ist: Während Harry Caul im Bett liegt und Meredith sich auszieht, läuft im Hintergrund, außerhalb des Blickfelds das Tonband mit der Aufzeichnung des Dialogs; die Entfernung ist im Raumklang hörbar, eine Tonquelle also, die in der filmischen Welt steht, im Hörraum der Figuren, nur außerhalb des Bilds, 'hors champ' müsste man sagen. Je näher aber die Kamera an Harry Caul heranzoomt, desto undeutlicher wird, woher oder wohin die Stimmen von Band gerichtet sind: ist es die Erinnerung Harry Cauls, die hier laut geworden ist? Oder sind die Stimmen vom Band nun gänzlich im Off, d.h. an uns, die Zuschauer direkt gerichtet, an Zuschauer, die nun aufgefordert sind, mit diesen Stimmen wiederum Harry Caul zu interpretieren: etwa wenn die Frau vom Band einen Penner auf der Parkbank bedauert und wenn wir nicht anders können, als diesen Satz auf den ebenso daliegenden Harry Caul zu beziehen. Mit einem Mal gibt es hier eine unmerkliche Veränderung im Ort und in der Adresse dieser Tonspur, ihre Quelle ist nicht mehr im Bild, nicht mehr im Raum, nicht mehr in der erzählten Welt, sondern extradiegetisch geworden, von der erzählten Welt in auf die Ebene der Erzählung selbst übergesprungen. Der Sound des Tonbands im Film ist zum Soundtrack des Films selbst übergewechselt, er ist auf eine andere Ebene gesprungen: von einer intradiegetischen Ebene in eine extradiegerische, von der dargestellten Welt in die Darstellung selbst. Wir hören nun nicht mehr, was Harry Caul (und Meredith) hören, sondern wir hören selbst den Dialog, der uns nun diese Szene interpretiert: der arme verlassene Harry, der in seinem Bett wie ein Penner auf der Parkbank liegt. - Darin scheint mir ein kleines Programm dieses Films und seiner Tonbearbeitung zu liegen; lassen Sie mich darum hier kurz eine Systematik einführen, die ich von Michel Chion übernehme (Le son au Cinéma). Demnach lässt sich der Sound im Film drei Segmenten zuordnen, drei verschiedenen Ebenen oder Zonen, je nach Ort der Tonquelle, je nach dem Ort, den die Tonquelle in der Filmerzählung einnimmt (Folie): zunächst der Fall, in dem die Tonquelle innerhalb des Blick- oder Bildfelds liegt (ein Gesicht im Bild, ein redender Mund); zweitens die Zone außerhalb des Bild- oder Blickfelds (hors-champ), d.h. die Lage der Tonquelle in einem Raum, der von der Kamera nur ausgeschnitten wird (man hört etwa Straßenlärm, eine ferne Schiffsirene, während die Kamera nur einen geschlossenen Raum zeigt); drittens schließlich eine Tonquelle im Off (d.h. sie liegt an einem Ort, der nicht in der Kontinuität des gezeigten Raums steht: etwa eine Erzählerstimme, die nicht zur Erzählgegenwart gehört, vor allem Musik, mit der ein Film begleitet wird). - Wir hätten hier also einerseits eine Zone, in der Sichtbares und Hörbares im Bildfeld zusammentreffen, und zwei akusmatische Zonen, die man aber systematisch voneinander trennen muß. Dabei sind in dieser Einteilung zwei Probleme oder Fragestellungen bemerkenswert: Die erste betrifft die Überschreitung der Grenzen zwischen der Zonen, die Überschreitung der Grenzen 1, 2 und 3: etwa wenn man ein fernes Motorengeräusch hört, später ein Auto mit großer Geschwindigkeit durch das Bild fährt: die Überschreitung der Grenze 1; oder man hört Filmmusik, aber irgendwann wird eine Kneipe betreten, in der genau diese Musik gespielt wird: Überschreitung der Grenze 2. Usw. Die Überschreitung dieser Grenzen ergibt also nicht nur akustische, sondern auch erzählerische Ereignisse, die eine gewisser Aufmerksamkeit verdienen. -- Darüber hinaus kann man aber natürlich problematische Fälle vermerken: Was ist mit dem inneren Monolog einer Person: ist die Stimme dieses inneren Monologs off oder bloß außerhalb des Bildfelds? Was ist mit dem Geflüster von Personen in der Ferne, das man aber ganz nahe hört? Was ist mit Windgeräuschen, wenn man keine Windbewegung sieht? Oder in unserem Film: Was ist mit Stimmen, die man vom Tonband hört, etwa im Studio, zu denen man aber -- wie in einer Rückblende -- zugleich die Gesichter sieht: sind diese Stimmen im Bildfeld oder im Off oder beides? - Bezieht man nun diese -- noch etwas provisorische --Einteilung auf Coppolas Film (bzw. auf die Experimente von Walter Murch), so muß man wohl folgendes festhalten. Einerseits ist, so glaube ich, die Tonregie hier so organisiert, dass alle drei Grenzen in allen Richtungen immer wieder überschritten werden, ein Prozess, der im Verlauf eine deutliche Unsicherheit oder Unentschiedenheit über den Ort oder die Lage der Tonquelle hervorruft. Der Dialog vom Unionsquare, der vom Vorspann an immer von neuem wiederholt wird, spielt im Laufe seiner Wiederholungen alle Möglichkeiten und Überschreitungen durch und wird gewissermaßen ortlos. Schon in der vorher genannten Szene scheint mir das gegeben zu sein: Während Meredith mit Harry Caul im Gange ist, kommen die Stimmen vom Tonband, das sichtbar ist, sie kommen vom Tonband außerhalb des Bildfelds, sie kommen schließlich aus einem Off, von dem unklar ist, ob es sich im Kopf Harrys oder auf einer extradiegetischen Ebene befindet. - Zugleich wird diese Überschreitung oder diese Unentschiedenheit dann besonders interessant, wenn eben damit ein Durchbrechen von Erzählebenen verbunden ist: wenn etwa in einem bruchlosen Übergang von der Gegenwart im Film zur Gegenwart des Films gewechselt wird. Die Einheit beider Prozesse, ihre systematische Verschränkung scheint mir das Besondere der Tonregie in diesem Film zu sein: eine kontinuierliche Modulation des Sounds über die drei Zonen hinweg; und ein beständiges Überschreiten der Brüche, die zwischen den verschieden Erzählebenen liegen: zwischen Gegenwart und Vergangenheit im Film, zwischen Gegenwart IM Film und Gegenwart DES Films. Eine Ausnahme scheint dabei nur die karge Klaviermusik von David Shire zu sein, die -- wie es scheint -- stets aus dem Off erklingt; aber auch das wird am Ende des Films verunklärt: Während Harry Caul bisher sein Saxophon von einem Orchester auf Schallplatte begleiten lies (zu einer Tonquelle außerhalb des Bildfelds), spielt er in der letzten Szene das Saxophon zum Klavier: zunächst unpassend und atonal, dann plötzlich in melodischer Übereinstimmung; die Klaviermusik wurde vom Off gewissermaßen in die Gegenwart Harry Cauls holt, in ein bloßes Außerhalb des Bildfelds; oder zumindest in eine Ununterscheidbarkeitszone zwischen beiden. - Nimmt man all das zusammen, so müsste man sagen: der Sound dieses Films zeichnet sich durch eine konsequente Entortung aus, oder anders: er wird immer wieder ganz konsequent akusmatisiert; er stellt ein Problem der Zuordnung (was die Tonquelle betrifft) und ein Problem der Adresse (was den oder die Hörer betrifft). Die Hörobjekte (insbesondere der "Dialog" zwischen Mann und Frau) spalten und vervielfältigen sich, beziehen sich gleichzeitig auf verschiedene Gegenwarten im Film, beziehen sich auf verschiedene Erzählebenen im Film, beziehen sich gleichzeitig auf intradiegetische Sachverhalte und extradiegetische Prozesse. Wir sehen, wie Harry Caul hört; wir hören, was Harry Caul hört; wir -- als Zuschauer -- hören aber zugleich über Harry Cauls Ohren und Kopf hinweg und machen mit unserem eigenen Hören das Hören Harry Cauls zum Gegenstand: eine Verdoppelung, eine Vervielfältigung des Hörobjekts. Anders und einfacher gesagt: wir haben es bei den endlosen Wiederholungen des "Dialogs" stets mit einem gehörten Hören, stets mit einer Spaltung des Hörobjekts, mit einem Hören zweiter oder n-ter Ordnung zu tun: mit einem Hören, das -- im selben Augenblick und am selben Objekt -- stets ein anderes Hören hört und interpretiert. Eine dritte Konsequenz kommt hinzu und betrifft nun -- ganz analog -- das Sehen, d.h. die Rolle der Kamera. Wahrscheinlich haben Sie bereits die folgenden Sachverhalte bemerkt. Auf der einen Seite ist nämlich die Kamera von Coppolas Film stets an den Schauplätzen gegenwärtig, an denen sich Harry Caul befindet -- es gibt keine Szene oder Sequenz, an der sie die Gegenwart dieser Figur verlässt (außer in den Rückblenden zum "Dialog"). Die Kamera ist also ständiger Begleiter Harry Cauls wie der Clown auf dem Platz zu Beginn, der plötzlich neben ihm steht, ihn nachäfft und vor dem er schließlich flieht. Die Kamera steht also -- fast ausschließlich -- in der Nähe dessen, was man 'subjektive Kamera' oder 'point of view' nennen könnte: zeigt, was Harry Caul sieht, bewegt sich mit ihm, bleibt in seiner Nähe und Gegenwart. Andererseits wird die Kamera dabei zu einem schwierigen, offenbar gefürchtetem Ding; an einer Stelle zeigt sich das ganz deutlich: Harry Caul hat gerade, am Abend seines Geburtstags, das Haus seiner Freundin Amy betreten, zögert im Treppenhaus, blickt nach unten zur Wohnung im Tiefparterre. Dort wartet bereits die Kamera an der Tür, blickt Harry entgegen, der zurückzuckt, sich an den Bildrand drängt, fast außerhalb des Blickfelds; dann die Kräfte zusammennimmt, auf die Kamera zugeht und schließlich die Tür öffnet -- die Kamera ist wieder in seinem Rücken und nimmt seinen Blick auf. An diesem Spiel mit der Kamera (das ein Spiel mit dem Feuer ist) erscheinen mir wiederum zwei Dinge wesentlich zu sein. Das eine liegt auf der Hand und hat mit dem Thema der Überwachung in diesem Film zu tun. Sie haben es sicher bemerkt: sehr häufig nimmt die Kamera die Stellung und die Bewegung von Überwachungskameras ein: bleibt starr und stillgestellt wie etwa in Harry Cauls Wohnung, wo man ihn immer wieder das Bildfeld kreuzen sieht; oder sie vollzieht langsame, mechanische und horizontale Bewegungen, neunzig Grad nach links, neunzig Grad nach rechts, wie man das von automatischen Überwachungskameras kennt. Die Urszene dafür findet man auf der Messe für die Anzapfer: Harry Caul steht am Schaltpult und vor den Bildschirmen einer solchen Kamera, verfolgt den Sekretär damit, gerät selbst in ihren Blick, steuert also die Regie seiner Selbstaufzeichnung; ist also Subjekt und Objekt dieser Aufzeichnung zugleich. Der zweite Aspekt aber hat systematischen Charakter; und das würde ich gern an einer entscheidenden Szene erläutern. Nach der Nacht im Hotel, nach dem Mord, betritt Harry Caul das Zimmer 773 im Jack Tar Hotel, und dabei geschieht folgendes: Harry Caul öffnet die Tür, die Kamera empfängt ihn, gewissermaßen vis-`a-vis. Dann dreht sich die Kamera, macht einen Schwenk, übernimmt Harry Cauls Blick in das Zimmer, mustert den Raum, dreht sich weiter, bis schließlich die 360° vollendet sind und Harry Caul wieder gegenübersteht. Wir haben es hier mit einer Modulation des Sehens zu tun, in der Harry Caul in einer Bewegung vom Objekt zum Subjekt zum Objekt des Blicks geworden ist. Subjekt und Objekt des Sehens schieben sich hier ineinanander, das Sehen und der Blick spalten sich, liefern also in einer Bewegung zwei verschiedene Subjekte zugleich. Mit einer Anleihe an moderne Erzähltheorie hat Gilles Deleuze eine Kameraführung dieser Art "freie indirekte Rede" genannt. Was wäre das, eine freie indirekte Rede? Gilles Deleuze gibt ein literarisches Beispiel dafür, etwa den Satz: "Sie nimmt ihre Kraft zusammen: eher wird sie die Folter erdulden als ihre Jungfräulichkeit verlieren." Was ist das Besondere daran? Einerseits wird hier die Erlebnisperspektive einer Figur übernommen, der Satz führt gewissermaßen in die Ich-Perspektive dieser Figur ein. Andererseits aber kommt hier keine Ich-Form, keine erste Person vor, sondern nur eine dritte Person, es wird nur ÜBER 'sie' geredet. Einerseits scheint hier ein Subjekt über sich zu berichten; andererseits wird über das Subjekt berichtet. Zwei Subjekt, eines, das 'ich' sagen könnte, und eines, das in der dritten Person spricht, schieben sich ineinander (im deutschen nennt man eine solche Form auch erlebte Rede). Deleuze schreibt dazu (Kino 1): "Es handelt sich [dabei] um eine Anordnung von Äußerungen, die gleichzeitig zwei nicht voneinander zu trennende Subjektivierungsakte ausführt: der eine konstituiert eine Person in der ersten Person, während der andere ihrer Entstehung beiwohnt und sie in Szene setzt. Was hier vorliegt, ist nicht etwa eine Mischung oder ein Mittleres zwischen den beiden Subjekten, von denen jedes einem [anderen] System angehörte, sondern eine Differenzierung von zwei korrelativen Subjekten in einem seinerseits heterogenen System" (105). In diesem Sinne könnte man bei Coppola von einer "freien indirekten Kamera" oder einem "freien indirekten Bild" sprechen: ein sehenden Subjekt konstituiert sich dadurch, dass es im selben Zug ebenfalls gesehen wird. Die Kamera liefert ein Ich und ein Er, eine erste und dritte Person gleichzeitig, genauer: sie liefert sie gleichzeitig, indem sie die Differenz und den Spalt zwischen ihnen zeigt. Es gibt nicht einerseits eine subjektive Perspektive, über die andererseits -- und auf einer zweiten Ebene -- berichtet würde; vielmehr werden beide zugleich gegeben und vorgeführt, ein Ich, das zum Er wird und sich nur in dieser Verdoppelung erfährt. Das Ich Harry Cauls ist hier also stets ein anderer; es wird zu diesem Ich nur, wenn es zugleich ein anderer wird. Diese Verdoppelung des Ich ist nicht nur Thema des Films (wo der Überwachungsspezialist selbst zum Überwachten wird), es ist auch das Prinzip seiner Erzählweise: die permanente Spaltung, Verdoppelung eines Ich, das zu seinem eigenen Er geworden ist. Wir können hier also durchaus eine gewisser Parallelität erkennen. Wie sich die Hörobjakte in Coppolas Film entorten, wie sie akusmatisch werden, wie sie sich verdoppeln und zu einem gehörtem Hören werden, wie sie sich zugleich auf den verschiedenen Erzählebenen des Films ansiedel, so wird auch das Sehen verdoppelt, wird es zu einem gesehenen Sehen, zu einem gespaltenen Sehen, in dem Ich auch Er ist. Erzählung und Meta-Erzählung schieben sich hier ineinander; und diese Spaltung bzw. Spannung macht das ganze Drama des Films aus. Spätestens von dem Zeitpunkt an, an dem Harry Caul die Botschaft des symbolischen Objekts empfangen hat ("Er würde uns umbringen, wenn er könnte"), wird er nicht nur zum Objekt der Überwachung, sondern gleichzeitig zum Subjekt und zum Objekt seiner Geschichte: Aufspaltung und Vervielfältigung des Hörens; Aufspaltung und Vervielfältigung des Sehens. Lassen Sie mich noch einmal rekapitulieren und dann zum Schluss kommen. Wir haben gesehen, wie man in Coppolas Film einer diabolischen Ereignisstruktur mit symbolischen Operationen begegnet und damit eine Datierung des Ereignisses vollzieht. Dies ist nicht nur ein technischer Prozess, der in der Filterung von Geräuschen und in der Synchronisierung von Bild und Ton besteht, sondern ebenso ein symbolischer Entwicklungsprozess: am Ende der symbolischen Operation steht eben ein symbolisches Objekt; nicht nur eine gute Aufnahme, sondern eine Signifikantenkette, ein Satz, der ominöse Satz "Er würde uns umbringen usw.". Mit diesem Satz erliegt nicht nur die Hauptfigur einer Veränderung, einer körperlosen Transformation: einer Verwandlung vom Medium zum Subjekt; vielmehr greift dieses symbolische Objekt tief in die Struktur des Films ein, in das Verhältnis von technischen und symbolischen Operationen. Und hier begegnen wir einer bekannten Wendung: In dem Augenblick, wo das Ereignis aus Fragmenten zusammengesetzt, rekonstruiert, geklärt und datiert ist (der Dialog auf dem Platz), entwickelt ebendieses Ereignis diabolische Kräfte, verstreut sich über den Film hinweg und wird in Spaltungen wirksam. Das zeigte sich erstens in einer Dissemination, mit der der Dialog, seine Aufzeichnung, Bedeutungseffekte in allen möglichen Sequenzen und Szenen erzeugt. Das zeigt sich zweitens in einer Spaltung und Entortung von Sound und Soundquellen, in denen sich Außen und Innen der Erzählung überlappen und verschränken. Und diese zeigte sich in einer "freien indirekten Kamera", durch die jede Subjektivierung durch eine Objektivierung, jedes Ich durch ein Er, jede Identität durch eine VerAnderung ebendieser Indentität verdoppelt wird. All das weist darauf hin, dass die symbolische Einheit des Ereignisses nicht von einem neuen Schisma, von einem schismatischen Prozess zu trennen ist. Das zeigt sich nun -- und das wäre eine letzte Konsequenz -- in der Schlussszene, in der Szene, in der Harry Caul im Furor der Suche seine Wohnung zerlegt, sein eigenes Saxophonspiel übers Telephon zu hören bekommt; wo er selbst von irgendwoher adressierbar, anrufbar geworden ist; schließlich vom Blick einer Kamera erfasst, deren Ort für ihn unauffindbar ist. Was man von ihm sieht und hört, was er selbst von sich sieht und hört, ist gewissermaßen ins Außen der Erzählung gerutscht, ins Off, und bestimmt dennoch, was und wie er hier existiert. Vor allem aber geht die Spaltung (die ich zeigen wollte: des Hörobjekts, des Sehens) mit einer Aufspaltung der Suche selbst zusammen. Denn genau genommen sucht Harry Caul bis zum Schluss zwei verschiedene Dinge in einem: einerseits ein Objekt, das er nicht findet, andererseits ein Objekt, das er nicht finden kann. Was er nicht findet, ist ein Objekt im Realen: d.h. eine Wanze, eine Kamera, eine versteckte Abhörapparatur. Er verwandelt die gesamte Wohnung in Müll, zerlegt noch das Heiligste, die Marienstatue, und nun kann man sicher sein: es gibt dieses Ding, es gibt dieses Mikrophon oder diese Wanze nicht; es ist hier, in der Wohnung, an Ort und Stelle nicht zu finden. Das andere Objekt der Suche aber kann er nicht finden, weil es -- wie Jacques Lacan gesagt hätte -- nie an seinem Ort ist. Und das ist eben ein symbolisches Objekt: ein Objekt, das -- wie der Signifikant -- stets durch ein anderes vertreten wird und darum nie dort ist, wo es sich befindet. Und überdies ist dieses Objekt ja schon dort, wo es hingehört und wo es Harry Caul nicht sucht: angekommen bei ihm als Botschaft, als der Satz, dessen Ankommen er mit einem Nicken quittierte: "Er würde uns umbringen, wenn er könnte." Dieser Satz ist Resultat der technischen und symbolischen Operationen, und er ist die intrikate Mitte des Films. Coppola, vor allem aber Walter Murch haben darum einige Anstalten, einige technische Anstalten mit diesem Satz unternommen. Denn genau genommen (wenn man genau hinhört; das wird allerdings in der Originalfassung deutlicher als in der deutschen), wird der Satz zu einem Bedeutungsobjekt nur dadurch, dass er verschiedene Bedeutungen gewinnt (dadurch zeichnet sich ein Bedeutungsobjekt, ein symbolisches Ding ja aus). Was Harry Caul zunächst hört, was seine Recherche (und sogar sein Mitgefühl) auslöst, lautet: "Er würde uns TÖTEN, wenn er könnte" (mit dem Akzent auf "töten"); ein Satz also, der den Auftraggeber zum Verdächtigen und das Paar zu den Bedrohten macht. Bei genauem Hinhören aber bleibt die Betonung dieses Satzes in allen Wiederholungen und bis zum Schluss unklar und wird schließlich (von Walter Murch) sogar ein wenig verschoben und lautet schließlich: "Er würde UNS töten, wenn er könnte" (mit dem Akzent auf "uns"): ein Satz der nun umgekehrt das Paar zu den Tätern und den Auftraggeber zum Bedrohten macht. Einen Satz verstehen, heißt zwangsläufig, einen Satz möglicherweise missverstehen, das ist das Schicksal im Umgang mit symbolischen Objekten, und das eben ist Harry Caul passiert. Bedeutung: das ist die minimale Differenz zwischen Signifikanten, und sei es die Differenz zwischen "uns TÖTEN" und "UNS töten"; und in eben diese Differenz hat sich Harry Caul ganz zwangläufig verirrt: sich einen Fall imaginiert, der den Fall dann verfehlt. Harry Caul, der als Abhörspezialist am Rand des Geschehens, außerhalb aller Beziehungen, ohne Adresse und Persönlichkeit stehen wollte, ist mit diesem Satz in die Mitte der Geschichte, mitten in die Verhältnisse, mitten in die Signifikantenkette und in den Bedeutungsprozess geraten und dadurch zu etwas geworden, das als Subjekt der Recherche zugleich als Objekt der Zuschreibungen funktioniert. Hier decken sich einerseits der technische Prozess, der mit der Abhöraktion beginnt und über die Gewinnung einer guten Aufnahme zum Überwachtwerden führt; und andererseits der symbolische Prozess, der mit dem Ankommen der Botschaft den Adressaten sogleich in die Mitte der Beziehungen rückt. Harry Caul ist nun in die Kette eingerückt: in die Kette der Hörenden, die gehört werden, in die Kette der Sehenden, die gesehen werden, in die Kette der Botschaften, die man empfängt und die man zwangläufig weitergibt. Hier ist also eine Art symbolische Beschlagnahme, eine symbolische Gefangenschaft passiert. Man könnte das, diesen Irrgarten natürlich eine soziale Geburt nennen. Einige unter ihnen erinnern sich in diesem Zusammenhang sicher an Edgar Allen Poes Erzählung "Der entwendete Brief": dort hat am Ende eine geduldige Polizei eine gesamte Wohnung zerlegt und nichts gefunden, jedenfalls nicht den gesuchten Brief; sie hat diesen Brief aber vor allem deswegen nicht gefunden, weil das Briefliche am Brief eben nicht an Ort und Stelle, d.h. im Realen gefunden werden kann. Wie der Satz aus Coppolas Film ist der Brief in Poes Erzählung ein symbolisches Objekt, ein Beziehungsobjekt: er existiert nur in der Beziehung zwischen den Adressen, er existiert nur, sofern er zirkuliert (Jacques Lacan hat dieser Erzählung eine ausführliche Analyse gewidmet, auf die ich hier nur verweisen will). Es läßt sich jedenfalls folgendes festhalten: Mit dem Auftauchen des ominösen Satzes in Coppolas Film wurde ein Objekt hergestellt, das seinen Ort nicht mehr auf der Tonspur, nicht auf einem Photo, nicht auf dem Speichermaterial findet, sondern nun zwischen den Personen, Adressen, Verhältnissen zirkuliert und aus jeder Person eben ein Datum, eine Adresse, ein Objekt in dieser Zirkulation macht. Lassen Sie mich damit zum Schluss kommen. Wir haben gesehen, wie die technischen Medien in diesem Film eine symbolische Operation, ein Zusammenfügen vollziehen, das ein doppeltes Objekt fabriziert: ein Ereignis, das sich ins Reale einschreibt, dort seinen Ort und sein Datum findet; und zugleich ein Ereignis, das nur im Symbolischen existiert, man könnte auch sagen: ein Ereignis, das virtuell bleibt und verschiedene Möglichkeiten, d.h. Optionen, d.h. Bedeutungen umfasst. Dieses Ereignis führt allerdings einen diabolischen Riß in den Film, in seine Erzählung, in die Organisation seines optischen und akustischen Materials ein: eine Entortung, in der sich die Adressen und Subjekte vervielfältigen. Zuletzt ist es stets ein Anderer, ein anderer Ort, von dem aus ES spricht, von dem aus ES sieht, von dem aus man Botschaften empfängt. Zuletzt würde ich folgende Überlegung vorschlagen: Aus der Spaltung des Hörobjekts, aus der Spaltung des Sehens und aus der Spaltung des Subjekts in Ich und Er heraus macht sich eine anonyme, unpersönliche Kraft bemerkbar; das charakterisiert die Melancholie des Endes: eine verlorene Saxophonstimme, die sich mit einem Klavierklang von irgendwoher vermischt und einen Niemand vorführt: ein immer schon in der stillen Arbeit der Kamera verlorenes Ich. Das scheint mir die List dieses Films zu sein: er aktiviert das Thema der Überwachung (die Watergate-Affäre war 1973 gerade aktuell geworden; und einer der wichtigen Ermittler, der Soundingenieur Hal Lipset war Berater für diesen Film) -- der Film aktiviert also das Thema der Überwachung, um die besondere Struktur des filmischen Hörens, des filmischen Sehens und des filmischen Erzählens zu dokumentieren.