Arbeitstechniken der Literaturwissenschaft nach Burkhard Moeninghoff/ Eckhardt Meyer-Krentler: Arbeitstechniken der Literaturwissenschaft. München: Fink, 2001. Referat vs. Hausarbeit, Unterschied zwischen einem gesprochenen und geschriebenen Text Heuristik [zu grch. heurískein <>] die, Lehre von der method. Gewinnung neuer Erkenntnisse mithilfe von Denkmodellen, Analogien, Gedankenexperimenten; im Unterschied zur Logik, welche lehrt, diese zu begründen. Die Phase von Sammeln, Nachlesen, Aufarbeiten wissenschaftlicher Äußerungen sollte Sie nicht so erschöpfen, dass Ihr selbständiges Denken zu kurz kommt. Jede Hausarbeit sollte nicht nur kompilatorisch angelegt sein, sondern nach der Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse eine eigene Lesart bzw. eine Korrektur anderer Lesarten vorlegen und eigene Schlussfolgerungen ziehen. Die Arbeit sollte im Handbuchwissen nicht stecken bleiben. Deshalb ist es wichtig, bei der Skizzierung des Forschungsstandes eine eigene Forschungsnische zu entdecken. Am Anfang steht die Themenformulierung und erstes Konzept, um überhaupt eine zielgerrichtete Recherche durchführen zu können. Gleich im Untertitel kann der methodische Ansatz anklingen, dessen Wahl noch in einleitenden Passagen begründet werden sollte. Vgl. Sie "Eine Verklärung der Monarchie? Zur Erzähltechnik in Joseph Roths "Radetzkymarsch" und deren Rolle für die Entstehung der melancholischen Grundhaltung des Romans." "Durchbruch des Wahnsinns als bevorzugtes Thema bei Döblin und Heym. Zur Umsetzung der Psychopathologie der Figuren und zur Auflösung der traditionellen Novellenform im Expressionismus" 20 Die Anweisung des Seminarleiters, sich auf ein zunächst marginal erscheinendes Problem zu konzentrieren (z. B. Die Funktion der Erzählperspektive bei der Darstellung einer Figur) hat meistens gute Gründe: Im Detail ist zumeist ein großer Problemhorizont schon enthalten (Ausgrenzung gewisser Themenbereiche, Verharmlosung eines Problems durch einen wenig kompetenten Beobachter usw.). Bei der Eingrenzung eines Themas muss man entscheiden, was man einbezieht und was man ausschließen will, und beides einleitend begründen. Wenn man im Laufe der Arbeit feststellt, das die ursprüngliche Fragestellung uferlos ist und zur oberflächlichen Behandlung führen sollte, ist es nicht ehrenrührig, das Thema auf einen spezielleren Aspekt einzugrenzen (z. B. Die Funktion der Erzählperspektive bei der Darstellung der Spracharmut Tonkas). 23 Textanalyse und Einarbeitung von Forschungsliteratur Um zu vermeiden, dass man etwas irrigerweise für seine eigene Erkenntnis hält, obwohl es in einem Standardwerk nachzulesen ist, sollte man wohl stets in wenigen Stichworten festhalten, was man gerade liest. Notizen in Form einer Datei erleichtern dann eine schnelle Suche, Eintragung von späteren Einfällen und Übernahme des Textes als Bei der Lektüre und Einarbeitung von Forschungsliteratur sollte man aus der Perspektive des Konzepts verfahren, also gezielt Informationen zu Ihrem Thema sammeln und sich eventuelle eigene (kritische) Ideen notieren. Die Benutzung von Quellen und Sekundärliteratur sollte man auf Schritt und Tritt in Anmerkungen nachweisen. Später wäre es umständlich sie zu rekonstruieren. 24 Die Belege dürfen nicht willkürlich aus ihrem Kontext gerissen werden, nur weil sie unsere Hypothese stützen. Wenn Musil in einem Brief zu seinem Romanerstling Die Verwirrungen des Zöglings Törless schreibt: Ich will nicht die Päderastie begreiflich machen. Sie liegt mir von allen Abnormitäten vielleicht am fernsten. Zumindest in ihrer heutigen Form. Dab ich gerade sie wählte, liegt an der Handlung, die ich gerade im Gedächtnis hatte. [1] sollte man die Einbettung im Kontext berücksichtigen. In Musils Brief folgt nämlich eine Behauptung, die den biographischen Zusammenhang als irrelevant hinstellt: Statt Basini könnte ein Weib stehen und statt der Bisexualität Sadismus, Masochismus, Fetischismus. Wenn man den folgenden Satz über Basini weglässt und die Erinnerung an das Internatsmilieu in Mährisch Weißkirchen zum Ausgangpunkt einer biographischen Interpretation des Textes macht, handelt es sich um eine gezielte Heranziehung eines herausgerissenen Details, vor der Moeninghoff und Meyer-Krentler warnen. 24 Werturteile bleiben auf dem Gebiet der Ästhetik immer z. T. subjektiv, aber man muss sie begründen.. Ungefähre Eindruckbeschreibungen sollte man in der Hausarbeit vermeiden: Sätze wie das Stück sei poetisch, pathetisch, exzellent geschrieben und tief nachempfunden sind zu vermeiden. Nicht Eindrücke, sondern Wirkungen sollen beschrieben und auf objektiv greifbare Fakten zurückgeführt werden: auf grammatische Strukturen, stilistische Auffälligkeiten, rhetorische Figuren. Umgekehrt darf man bei der Bezeichnung eines Formalen Aspekts nicht stehen bleiben (auktorial erzählt), sondern man sollte nach der Funktion des auktorilen Erzählens fragen. Auch bei der Feststellung, der Roman weist die sog. ´interne Fokalisierung´ mit einem heterodiegetischen Erzähler, d. h. der Erzähler ist in der Geschichte, die er erzählt, als Figur nicht anwesend, ist die Auswirkung auf die Textwahrnehmung durch den Leser wichtig. Ein Beispiel. In der Terminologie von Franz K. Stanzl ist "er" in Musil Tonka eine Reflektorfigur. "Er" spiegelt die äußere Welt in seinem Bewusstsein, nimmt alles wahr, empfindet, registriert. In dieser Novelle wird durch die Reflektorfigur die Mittelbarkeit verdrängt und die Illusion der Unmittelbarkeit erweckt, aber trotzdem büßen die Informationen durch die Vermittlung -- sei sie noch so unauffällig -- an Verlässlichkeit ein. Manchmal wird diese 'Irreführung' des Lesers sogar explizit erwähnt. Es wird deutlich, dass "er" mit Hypothesen spielt und nur mit rational kaum fassbaren Bildern über die unerträglichen Spannungen (infolge der Schuldgefühle?) hinwegkommt, dass er Reales und Eingebildetes nicht immer gleich unterscheiden kann: Und weil er an Tonkas Spitalbett oft wenig sprach, schrieb er ihr Briefe, in denen er vieles sagte, was er sonst verschwieg, er schrieb ihr so ernst wie einer großen Geliebten; [...] Tonka antwortete nicht, er war ganz verdutzt. Da erst fiel ihm ein, dass er die Briefe nie abgeschickt hatte; sie waren ja nicht mit Sicherheit seine Meinung, sondern eben ein Zustand, der sich nicht anders helfen kann als mit Schreiben. Da merkte er, wie gut er es immer noch hatte, der sich ausdrücken konnte, und Tonka konnte es nicht. (Musil, Drei Frauen. Reinbek bei Hamburg 1990, S. 83/84) Bei Shlomith Rimmon-Kennan gilt die daraus resultiernde Unbestimmtheit, die den Leser motiviert, eigene Stellungnahmen anstatt des Protagonisten zu formulieren, für ein wichtiges Merkmal der modernen Prosa. U nìkterých textù (zejména moderních) se zdá, ¾e jsou vytvoøeny tak, aby zabránily ètenáøi ve zformování "koneèné hypotézy" èi jakéhokoli celkového smyslu tím, ¾e jednotlivé prvky textu si odporují nebo se navzájem ru¹í, ani¾ by vytvoøily jasnì protikladné mo¾nosti. Tento jev, vysoce cenìný poststrukturalisty (èi dekonstruktivisty), bývá nazýván "nerozhodnutelnost" (undecidability) èi "neèitelnost" (unreadability) a pova¾ován za charakteristiku literatury obecnì. Die konsequente Fokalisierung aus der Sicht des einzigen Protagonisten führt sogar dazu, dass er wachend auch Tonkas Träume spinnt (S. 84f.). Im Text werden nicht nur unterschiedliche Hypothesen angedeutet, die der Leser weiterdenkt bzw. ausdenkt. Er kann sich durch eine extreme Position des Protagonisten oder des Erzählers herausgefordert fühlen, den Text gegen den Strich zu lesen. Aus einer Verunsicherung über die Gültigkeit der Aussagen über fiktionale Welt (was geschieht außerhalb des Kopfs und was nur im Kopf des Protagonisten? inwieweit ist eine provokante Aussage schon auf ihre Ablehnung durch den Leser hin kalkuliert?) ergeben sich auch Probleme mit traditionellen "Inhaltsangaben". Weil Sie sich mit Ihrem Fachtext an ein belesenes Publikum wenden, darf der Inhalt nur bei schwer zugänglichen Büchern referiert werden, dann aber knapp, deutlich, ausgerichtet auf die beabsichtigte Auswertung. Man beschränkt sich auf die wesentlichen Angaben zur Handlung und zu den beteiligten Personen und vermeidet alles Nebensächliche. Um nicht in eine Nacherzählung zu verfallen, muss zu dem Text Abstand gewahrt werden (z. B. die Ich-Form sollte man in die Er-Form umsetzen, direkte Rede des Originals als Indirekte Rede wiedergeben). Vergleichen Sie folgende Inhaltsangaben: Werther geht zu Bett, schläft lange, schreibt weiter an seinem Abschiedsbrief, schickt einen Diener zu Albert um sich unter dem Vorwand einer bevorstehenden Reise dessen Pistolen zu leihen, regelt seine letzten Angelegenheiten und beendet den Brief. Glücklich, das Lotte dem Diener die Pistolen überreichte, zieht er sich mit einer Flasche Wein in sein Zimmer zurück. Nachts um 12 schießt er sich eine Kugel in den Kopf. Am nächsten Morgen findet ein Diener den Sterbenden. Er stirbt erst um 12 Uhr Mittag. Cornelia Steinmann: Die Leiden des jungen Werthers Johgann Wolfgang von Goethe http://cornelia.siteware.ch/literatur/litzusammenfassungen/Werther.html, überprüft am 19.3. 2005 Wenn Albert Lotte anweist, die angeblich wegen einer Reise erbetenen Pistolen von der Wand zu nehmen, ist darin die ganze Fühllosigkeit Alberts zum Ausdruck gebracht. Er, nicht Lotte hat ja mit Werther das Gespräch über den Selbstmord geführt, als Werther leichtsinnig mit einer Pistole spielte; nun aber ist er ahnungslos und gleichgültig. Von Lotte hingegen, die von dieser Vorgeschichte nichts weiß, heißt es: "Das fiel auf sie wie ein Donnerschlag." Sie begreift intuitiv, aber ist zur Ohnmacht verdammt. Ihr Entsetzen gilt nicht Werthers Verlangen, sondern Alberts Kaltsinnigkeit. Burkhard Moeninghoff/ Eckhardt Meyer-Krentler, S. 24 Das zweite Beispiel versucht, die Inhaltsangabe in die Argumentation einzuarbeiten. 25 Ihre Hausarbeit sollte nie den roten Faden verlieren. Obwohl Sie den analysierten Text nach verschiedenen Gesichtspunkten aufschlüsseln, ausdifferenzieren, sollten Sie die Textkohärenz beachten und den Text unter klaren Leitfragen strukturieren. Jeder Absatz enthält (am besten zu Beginn) einen Grundgedanken, der sich auf ihre zentrale Fragestellung bezieht. Es ist schon deshalb wichtig, weil beim kursorischen Lesen sich der Blick des Lesers an dem ersten Wort wie an einem Stichwort orientiert. Die weiteren Sätze führen diesen aus, belegen, einschränken, illustrieren. Es können auch mehrere Absätze auf diesen Grundgedanken rekurrieren, nur sollten sie ihrerseits wieder Kernsätze enthalten. Der Schluss soll an die Einleitung anknüpfen, die wichtigsten Teilergebnisse resümieren bzw. relativieren und weiterführende Fragen aufwerfen. Deshalb wird dieser Abschnitt auch häufig "Zusammenfassung und Ausblick" überschrieben. Ein pointierter oder provozierender Schlusssatz verleiht ihrem Text etwas Glanz, damit er vom Leser nicht gleich vergessen wird. So beendet z. B. Mathias Mayer seine Analyse von Hofmannsthals Reitergeschichte: [...] Demgegenüber zeigt die Reitergeschichte die katastrophale Auswirkung der internalisierten Gewalt an eine männliche Figur der sozial niedrigeren Stufe. -- Eine spätere Verlagerung dieses Konfliktes, ironisch gespiegelt, findet sich im Libretto des Rosenkavaliers: Dort stehen einander der lautstark erfahrene Frauenheld Baron Ochs von Lerchenau und der junge, leisere Liebhaber Octavian Rofrano gegenüber. Zwischen beiden ist aber die Einsicht der reifen Marschallin, die dem männlichen Eroberungsdrang entgegenhält: Wer allzuviel umarmt, der hält nichts fest. -- eine späte Antwort Hofmannsthals aus dem Mund einer Frau, auch auf die Reitergeschichte. 26 Ironisch sein ist in einem Fachtext gefährlich, weil Ironie eine pragmatische Kategorie ist, deren Signale vom Rezipienten nicht klar identifiziert werden müssen. Schreiben Sie lieber präzise und eindeutig, ohne unterschwelligen Nebenbedeutungen. Metaphorische, nicht terminologisierte Ausdrücke gebrauchen mit Vorsicht. Aussagekräftige Metaphern können den Text auflockern, gehen jedoch häufig auf Kosten der Eindeutigkeit. 26 Vermutungen sind Vorstufen der Erkenntnisse, gehören aber nicht in die Darstellung des Ergebnisses. Sie sollten möglichst objektiv formuliert werden (vermutlich ...sei es ...sei es). Die Hypothese muss so formuliert werden, dass sie in sich stimmig und überprüfbar ist. Vage Vermutungen gehören nur in Anmerkungen, nicht in den Text. Sie sollten versuchen sie zu überprüfen und letztendlich durch die Arbeiten zu bestätigen oder zu widerlegen. Offene Fragen müssen Sie als solche markiert werden. 30 Stilistische Ratschläge Bei aller Tendenz zu Dichtigkeit und Abstraktion, sollte der Text der Hausarbeit dank Präzision und Prägnanz gut lesbar bleiben. Sie sind auf sachorientierte Darstellung von Fakten und Forschungspositionen verpflichtet und sollen den Autoren, über die Sie schreiben nicht konkurrieren. Der Abstand von der möglichst objektiven, wertneutralen und modernen Sprache der literaturwissenschaftlichen Reflexion und emotionell gefärbten Sprache des analysierten Werkes aus dem vorigen bzw. noch weiter zurückliegenden Jahrhundert muss bewahrt bleiben. Zitatwörter, deren Gebrauch von dem heutigen Usus abweicht bzw. die herablassende Art des Protagonisten wiedergibt, sollten als solche markiert werden. So heißt es bei Musil über Tonka: Sie war Natur, die sich zum Geist ordnet; nicht Geist werden will, aber ihn liebt und unergründlich sich ihm anschloss wie eins der vielen dem Menschen zugelaufenen Wesen. Es muss dahingestellt bleiben, inwieweit die herablassende Art über Tonka bzw. die Tschechinnen zu sprechen nur auf den Protagonisten oder auch auf den (von Otto Weininger beeinflussten) Autor selber zurückzuführen ist. Sie sollten auf diesen Vergleich vielleicht aufmerksam machen, indem Sie z. B. schreiben: Tonka, wie eins [der] dem Menschen zugelaufener Wesen, wird nicht nur durch ihr Geschlecht und soziale Herkunft, sondern auch durch ihr Sprachdefizit in eine passive Rolle gedrängt. Bei Ihrer literaturwissenschaftlichen Arbeit geht es nicht um die Bedeutung der Literatur 'für Sie', sondern um die Analyse und Situierung eines Textes in dessen historischem Zusammenhang. Von sich selbst sollte der Verfasser möglichst absehen. Besser ist deshalb unpersönlich zu formulieren. Vergleichen Sie drei Varianten des Anfangs von Antje Vollmers Rede anlässlich Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf[2] und schätzen sie, welcher tatsächlich im Januar 2000 vorgetragen wurde: 1. Drei literarische Zeitgenossen hatten wir uns ausgesucht, um von ihnen mehr über die inneren Zerfallsprozesse des auseinanderfallenden Reiches Österreich-Ungarn zu erfahren, als die herkömmlichen Geschichtsschreiber uns erklären können. Wir folgen damit der Vermutung, daß Literaten etwas mehr erspüren von den gefährlichen Unterströmungen ihrer Zeit. Wir hatten von Karl Kraus in seiner brillanten und hellsichtigen Intellektualität die Ursachen der Krankheit seziert bekommen: die Geburt des Krieges aus dem Geist der Lüge und der Amoralität. Franz Kafka hatte über den Bau der chinesischen Mauer berichtet und dabei eine genaue, fast politische Analyse geliefert, warum das europäische Reich der Mitte seinen inneren Zusammenhalt verloren hatte und warum die Prager Juden vielleicht die letzten Verteidiger der Idee eines guten Kaisers waren. ... 2. Drei literarische Zeitgenossen beschreiben die inneren Zerfallsprozesse der letzten Jahre der Monarchie Österreich-Ungarn in mancher Hinsicht präziser als die herkömmlichen Geschichtsschreiber. Man braucht nicht gleich Marx zitieren, um der Überzeugung Ausdruck zu verleihen, daß Literaten etwas mehr erspüren von den gefährlichen Unterströmungen ihrer Zeit. Karl Kraus sezierte in seiner brillanten und hellsichtigen Intellektualität die Ursachen der Krankheit: die Geburt des Krieges aus dem Geist der Lüge und der Amoralität. Franz Kafka hatte über den Bau der chinesischen Mauer berichtet und dabei eine genaue, fast politische Analyse geliefert, warum das europäische Reich der Mitte seinen inneren Zusammenhalt verloren hatte und warum die Prager Juden vielleicht die letzten Verteidiger der Idee eines guten Kaisers waren. ... 3. Bei drei Autoren fand ich die inneren Zerfallsprozesse der letzten Jahre der Monarchie Österreich-Ungarn in mancher Hinsicht präziser beschrieben als bei herkömmlichen Geschichtsschreibern und bin überzeugt, daß gute Schriftsteller etwas mehr erspüren von den gefährlichen Unterströmungen ihrer Zeit. Karl Kraus sezierte in seiner brillanten und hellsichtigen Intellektualität die Ursachen der Krankheit: die Geburt des Krieges aus dem Geist der Lüge und der Amoralität. Franz Kafka hatte über den Bau der chinesischen Mauer berichtet und dabei eine genaue, fast politische Analyse geliefert, warum das europäische Reich der Mitte seinen inneren Zusammenhalt verloren hatte und warum die Prager Juden vielleicht die letzten Verteidiger der Idee eines guten Kaisers waren. ... Die Wirform, durch die der Sprecher, der eigentlich nur sich selbst meint, Leser oder Zuhörer miteinbezieht, wurde jahrzehntelang als Pluralis modestiae[3] bzw. Pluralis Auctoris in der Fachsprache empfohlen. Bei Moeninghoff/Meyer-Krentler wird sie als dreiste Vereinnahmung des Lesers abgelehnt. Das "Ich" sollte den Ausnahmefällen vorbehalten bleiben, wenn es um Wertungen oder Vermutungen geht. Sonst soll das eigene Subjekt im Hintergrund bleiben und vor allem sog. Regieanweisungen, in denen die Strukturierung der Hausarbeit beschrieben wird ist eine Unart und kann durch ein vorangestelltes ausführliches Inhaltsverzeichnis ersetzt werden. 32 Die Syntax der Hausarbeit sollte durch Partizipialkonstruktionen und Schachtelsätze nicht überfrachtet werden. Manche Satzmonstren lassen sich umstandslos in mehrere, besser lesbare Sätze auflösen. Ein Beispiel von Moeninghoff/ Meyer-Krentler (32/33): Zur Abschreckung: Und die sich im Anschluss daran ergebende Frage, ob und wie die Zeitgenossen auf diesen Text, der schockieren musste, reagierten, zu lösen, stellt der Verfasser im Folgenden die Rezensionen zu diesem Roman, soweit er sie auffinden konnte, vor. Als Vorbild: Daraus ergibt sich die Frage, wie darauf die Zeitgenossen reagierten bzw. ob sie sich schockiert zeigten. Auskunft darüber geben die Rezensionen. Der Nominalstil gehört zum wissenschaftlichen Stil, weil die Präzisierung durch Relativsätze auch die Lesbarkeit des Textes nicht erhöht. Genitiv-Reihungen sind allerdings zu vermeiden. Vergleichen Sie: Tonka ist die Verdinglichung des sexuellen Begehrens eines Vertreters der höheren Mittelschicht Besser, obwohl länger: Die aus der Unterschicht stammende Tonka findet anfangs einen ritterlichen Beschützer. Seine Opposition gegen die Familie erschöpft sich jedoch darin, sich eine Geliebte zugelegt zu haben, die nicht aus der höheren Mittelschicht stammt und ihm, einem jungen Wissenschaftler, nicht durch ihre Mitgift seinen Karrierestart erleichtern kann. Ein tieferes Verständnis kann er für sie auf die Dauer nicht aufbringen, immer deutlicher wird sie auf ein Sexualobjekt reduziert, obwohl er es in seinen Rechtfertigungsversuchen verdrängt. Schmückende Beiwörter, wie z. B. ein großer/ vielfach ausgezeichneter Dichter oder eine äußerst treffende Beschreibung des Ausgangs der Episode, soweit sie nicht über die Urteile anderer berichten, sollten vermieden werden. 37 Die Tempuswahl soll den Unterscheid zum Nacherzählen hervorheben. Textbeschreibungen und eventuelle Inhaltsangaben sollen im Präsens stehen. Der Tempuswechsel, wie er im Tschechischen häufig vorkommt, ist im Deutschen meistens unzulässig. Lange konjunktivische Passagen wirken zwar angestrengt distanziert, sind nichtsdestoweniger durch ist der Ansicht, dass ... behautet, dass ... kaum zu ersetzen, weil sie allzu unverbindlich wirken. Empfehlenswert ist folgende Lösung, die mit Indikativ arbeitet: Eine abweichende Position vertritt XY. Danach ist der Text ... Beliebt ist die Teilung in Haupt- und Nebentitel. Der Haupttitel sollte kurz und prägnant sein, kann auch ein Zitat sein und fast wie eine Schlagzeile beim Leser Interesse und Neugier wecken. Der erklärende und sachliche Nebentitel sorgt dann für die Information über den Inhalt, wie im Fall vom Buch von Markus Ciupke aus dem Jahre 1994: 39 Des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch. Die metrische Gestaltung in Goethes Faust Wiederholung von Floskeln freilich, Problem, Frage, ein Problem verhandeln[4] bzw. im Diskurs (der Moderne) verorten[5] kann man mit in einer Datei durch einen Suchbefehl schnell finden und beseitigen. Der Computer und die leichte Änderung des Textes bergen die Gefahr, dass grammatische Fehlbezüge, Anakoluthe, entstehen oder logische Anschlüsse nicht mehr stimmen. Gliederung der Arbeit Das Inhaltsverzeichnis (die Dezimal-Klassifikation können Sie im Word wählen) lässt den Leser die Proportionierung der Arbeit und ihre Schwerpunkte ablesen. Als Aufhänger der Einleitung kann eine kontroverse oder allzu pauschale Äußerungen in der Sekundärliteratur dienen. Die Fragestellung wird dann als offene Frage präsentiert (falls es sich nicht um eine kompendienhafte Darstellung handelt). Um die Kritik zu vermeiden, man habe etwas wesentliches versäumt, sollte man gleich in der Einleitung auf nicht leistbare Untersuchungen hinweisen. Wie eindeutig man sich zu einem methodologischen Ansatz bekennt, ist vom dem Charakter des Textes abhängig. Wenigstens sollte man angeben, ob man textanalytisch argumentieren oder literatursoziologische Aspekte heranziehen will. Die Biographie des Autors bzw. die Textgeschichte muss man zwar zur Kenntnis nehmen, thematisiert werden sie allerdings nur, wenn sie für die Textdeutung wichtig sind oder wenn man einen völlig unbekannten Autor präsentiert. Auch dann sollte man Biographisches eher in den entsprechenden Argumentationszusammenhang einbinden und im Hauptteil unterbringen. Ein biographisches Stichwort kann auch in den Anhang verstecken, damit die eigentliche Arbeit der Analyse, Deutung bzw. Wertung vorbehalten bleibt. Hauptteil und Schluss sollten sich auch das Wesentliche der Fragestellung konzentrieren. Ein Exkurs ist in einer umfassenderen Arbeit ausnahmsweise möglich, sollte aber als Unterbrechung des zentralen Gedankenganges auch markiert werden. Der Schluss sollte nicht nur das schon Gesagte wiederholen, sondern auch die Frage der Generalisierbarkeit von singulären Beobachtungen erörtern und das Ergebnis der Arbeit auf größere Zusammenhänge beziehen. Im Ausblick können noch Forschungsdesiderata erwähnt werden. ------------------------------- [1] Brief (Entwurf) an P. W. v. 21.12.1906. In Musil, R. Briefe 1901-1942, 12. [2] Robert Musil - oder: Der Krieg beginnt früher. Vortrag von Dr. Antje Vollmer anlässlich der Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf 2000/2001. Es gilt das Gesprochene Wort, 31. Januar 2000. [3] Plural der Bescheidenheit' [4] Wir sind glücklich darüber, dieses Problem verhandeln zu dürfen. [5] Vgl. auch Im dritten Abschnitt werden die im Werk thematisierten Veränderungen der Gesellschaft durch das Mobiltelefon im gesellschaftlichen Diskurs verortet