Mähren und Mährer bei Franz Schamann (1876 - 1909) Zdenìk Mareèek Am Anfang meines Beitrages stehen die Fragen, in welchem Maße beide nationalen Lager in Mähren um die Jahrhundertwende - die Tschechen und die Deutschen - einander fremd gegenüberstanden, in welchem Maße ihre Vorstellungen voneinander von Stereotypen geprägt waren und ob die hier analysierten Werke versucht haben, den Schaden wettzumachen, den deutsch- bzw. tschechischfeindliche Blätter in den Köpfen ihrer Leser oder vielleicht noch mehr Organisatoren deutsch- bzw. tschechischfeindlicher Kundgebungen in den Köpfen der Massen angerichtet hatten. Wenn man von den Straßenkämpfen oder anderen weniger blutigen Äußerungen der Gehässigkeit in Prag liest, tröstet man sich in Brno mit dem häufig zitierten Satz: "Ja, in Mähren ist's ganz anders gewesen". Der Führer der mährischen Tschechen, Minister in der Taafschen Regierung und geistiger Urheber der Stremayrschen Sprachverordnungen Alois Pra¾ák hatte z. B. eine deutsche Frau, und zwar eine nahe Verwandte des deutschen Abgeordneten Freiherrn d'Elvert (Deutsches Blatt, Nr. 39 vom 16.2. 1901), so daß er über gute Kontakte zu deutschen Kreisen in Mähren verfügte. Die schnelle Tschechisierung vieler mährischer Städte in den 90er Jahren machte die Deutschmährer eher zu Kompromissen bereit. "Die national gemischte Siedlungsweise führte zu einem relativ hohen Anteil zweisprachiger Landesbewohner"(Luft 1987, S.236). Eine starke katholische Tradition und die Existenz der Mittelpartei des mährischen Groß- grundbesitzes - während in Böhmen auch die Stände national gespalten waren - ermöglichten doch eine bessere Verständigung als in Böhmen. So kam es im November 1905 zur Verabschiedung von vier Landesgesetzen, die man als mährischen Ausgleich bezeichnet. Trotzdem glauben wir, daß es auch in Mähren seit den 80er Jahren zu einer Desintegration beider Nationen gekommen ist, daß sie einander immer fremder geworden sind. Josef Merhaut, Redakteur der Brünner Tageszeitung Moravská orlice, den sein Beruf aus Mittelböhmen nach Brno gebracht hat, veröffentlicht im Jahre 1892 die Erzählung Had/Die Schlange. Der schon ältere, abstoßende Verführer der jungen Heldin, die aus einem tschechischsprachigen Dorf nach Brno in Dienst kommt, spricht bezeichnenderweise meistens deutsch. Als sie in Brno ankommt und sich zuerst vergeblich nach der Frau umsieht, die sie abholen sollte, wird die Situation aus der Perspektive des Mädchens folgendermaßen geschildert: Tito lidé bavili se vespolek tím, ¾e dívku zvìdavì oèumovali a vtipkovali nìco v jakési tvrdé, èvaòhavé a surové øeèi, které Karolína nerozumìla. Ale z jejich pohledù a køiklavého smíchu vycítila, ¾e je to øeè o¹klivá. (Merhaut 1964, S.40). (Diese Leute unterhielten sich in irgendeiner harten, klatschhaften und brutalen Sprache, die sie nicht verstand. Aber aus ihren Blicken und ihrem grellen Lachen erspürte sie, daß es eine abscheuliche Sprache ist). Eigentlich erwarten wir eher "da es abscheuliche Reden sind", aber für den tschechischen Leser liegt -- infolge der Tatsache, daß es eine fremde, unverständliche Sprache ist und daß hier øeè genau wie in dem vorhergehenden Satz im Singular steht -- die viel allgemeinere Bedeutung von øeè, nämlich Sprache nahe. Diese Stelle belegt unserer Meinung nach deutlich, wie Abneigungen treffend beschrieben, aber auch weiter vermittelt werden. Es erübrigt sich wohl, Stellen aus deutschen Quellen zu zitieren, in welchen von dem barbarischen tschechischen Idiom die Rede ist. Konkrete negative Erlebnisse und Eindrücke werden auf beiden Seiten verallgemeinert und auf die Anderssprachigen fixiert. Gängigste Klischees sind ein deutscher Spießer mit einer Nachtmütze, ein deutscher Michel mit einer Pickelahaube oder mit einem Zylinder, einer Kopfbedeckung, die seinen Herrschaftsanspruch lächerlich machen sollte (vgl. Køen 1991, S.262). Den Tschechen wird stereotyp ihr Panslavismus, Klerikalismus und die Bereitschaft vorgeworfen, sich auch mit den reaktionärsten Kräften zu verbinden, um dem nationalen Gegner einen Hieb zu versetzen. Auf keiner Seite werden Verzerrungen gescheut, um den "anderen" zu diffamieren. Auch das Werk Franz Schamanns, mit dem ich mich dank der Anregung von Dr. Jitka Sedláøová beschäftigt habe und dem neulich Zdenka Obrová in unserem Institut ihre Diplomarbeit gewidmet hat, ist nicht frei von solchen Feindbildern. Seine literarischen Anfänge sind ja auch eng mit der deutschnationalen Presse wie Kyffhäuser oder Neue Bahnen verbunden. Er lässt sich häufig auf die Angriffe gegen die katholischen Geistlichen im Sinne der Los-von-Rom-Bewegung ein, wobei vor allem tschechische Priester bevorzugte Zielscheibe seiner Angriffe in Prosastücke und Dramen sind. Den Schönererschen Antisemitismus übernimmt er allerdings nicht. Mit ihrem derben Humor bildet die postum veröffentlichte Erzählung Der Sakermentsjud eine Ausnahme. Gewissermaßen in den Spuren des um eine Generation älteren Engelbert Pernerstorfer, des Feuilletonredakteurs der Wiener Arbeiterzeitung, der auch ursprünglich ein Deutschnationaler war, gelangt Schamann, seit 1906 auch Mitarbeiter der Arbeiterzeitung, zu einer fast sozialdemokratischen Position. So ärgert er 1907 die Alldeutschen mit seinem leider verlorengegangenen Stück Die Bismarckeiche. Die stärksten antitschechischen Töne enthält das von Reinhild Kaufmann, der Verfasserin der einzigen Monographie über Schamann, für unauffindbar erklärte Stück Liebesleut. Wegen langer Schwierigkeiten mit der Zensur, die z. B. den Gebrauch der böhmakelnden Sprechweise des Pfarrers Snevajs beanstandete, wurde das Stück erst nach Schamanns Tod uraufgeführt. Jezt befindet sich das Typoskript mit zahlreichen Zensurstrichen und -notizen im Nachlass von Josef Jarno in der Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien. Kurz zu Schamanns Biographie. Er lebt in den ärmsten Verhältnissen. Erfahrungen seiner Jugend lassen ihn authentisch kennenlernen, was für andere Naturalisten nur Literatur ist. Schon im Jahre 1899 verlässt Schamann Brünn, nachdem er hier seine Stelle in einer Textilfabrik verloren hat, bleibt aber seiner Vaterstadt und seiner mährischen Heimat thematisch im großen Teil seiner Werke treu. In Mähren spielen nicht nur Mährische Geschichten (1902), sondern auch viele Erzählungen des Bandes Aida (1909), der Roman Die Nachwehen (1910) und die Dramen Liebe (1901) und Liebesleut (1904-1905 entstanden). Aus Simmersdorf /Smrèná bei Iglau stammt Schamanns Lebensgefährtin Elisabeth Hoyer, welche die Gestaltung der ebenfalls aus einem Glashüttendorf der deutschen Sprachinsel bei Iglau stammenden Ella im schon erwähnten Stück Liebesleut angeregt hat. Schamanns reale spätere Frau Ella geht 1902 nach Brün in ein Wäschegeschäft arbeiten, und in Brünn findet auch die Trauung 1903 statt. In demselben Jahr 1903 erhält Schamann, wie Karel Krejèí anführt (Krejèí 1976,S.89), eine Unterstützung von 300,- fl von der Gemeinde Brünn. Wie sieht Schamanns Brünn in seinem einzigen Roman aus? Die Handlung spielt im Jahre 1888 und zeigt die Nachwehen Europas, nachdem das deutsche Reich geboren wurde. Die Perspektive im Roman wird durch die Gestalt Stengls bestimmt. Er hat am Mexiko-Abenteuer des liberalen Kaisers Maximilian in den Jahren (1865-67) teilgenommen und ist nach seiner Rückkehr von den Verhältnissen in der Monarchie tief enttäuscht. In dem ungesunden Milieu Brünns sterben an Tuberkulose seine Frau und später seine Tochter, er selbst scheidet dann freiwillig aus dem Leben. Das Exotische, die Jahre in Mexiko als Major des Mexikanischen Corps österreichischer Freiwilliger, empfindet Stengl als das Eigene, womit er sich identifiziert, die Brünner Verhältnisse sind ihm fremd geworden. Sein einziger Freund ist der Verwalter Jehla, der zwar tschechischer Abstammung ist, aber während seines Militärdienstes (wo er Stengl unterstellt war) und als Staatsbeamter völlig übernational, ganz schwarzgelb geworden ist. Jehlas Sohn Felix ist ein Schwächling und Bewunderer Bismarcks, er fühlt sich grunddeutsch. Die Untermieter in Stengls Haus, die tschechische Arbeiterfamilie Watzula, deren Sohn als Anarchist hingerichtet wird, werden im Roman ohne Haß, aber auch ohne überschwengliche Sympathie geschildert. Als der junge Watzula bei Zusammenstößen der Streikenden mit der Polizei verletzt wird, holt Felix seinen Freund aus einer deutschen Studentenverbindung, einen Arzt, der Watzula geheim behandelt. Sonst sind die Tschechen hier durch etwas verdächtige Typen vertreten wie durch die Geliebte des Stadtrates Kulp Holoubkin oder den Friseur Nawratil, den Sohn eines katholischen Priesters und einer Putzwäscherin, durch einen Mann, der nach oben buckelt und nach unten tritt, oder durch einen entlassenen Amtsdiener im Magistrat, der den Stadtrat Kulp durch eine Hetzkampagne im Skandalblatt Wau-Wau unmöglich machen will. Natürlich für eine reiche Belohnung von den Tschechen. Aber auch Deutsche erscheinen in schiefem Licht oder werden ironisiert. Ein reichsdeutscher technischer Leiter einer Tuchfabrik, der in Österreich einen energischen Staatsmann vermißt, damit den Arbeiterunruhen ein schnelles Ende bereitet wird, bekommt vom Erzähler folgende Einschätzung: Unter Energie verstand er allerdings bloß Gewissenslosigkeit. (Schamann 1910, S.110) Kulp zeigt ein teutonisches Herz, weil es ihm gerade im Kampf gegen die überwiegend tschechische Arbeiterschaft in den Kram paßt. Er zeigt seine Borniertheit, indem er mit dem Säbel das Schild Bibliotheca in lateinischer Schrift niederreißt, weil er meint, es sei tschechisch. Als Ideal von Toleranz und Objektivität erscheint im Roman eine Randfigur, ein Bibliothekar des Franzens-Museums und Komenius-Kenner, der im Museum einen neutralen Boden im überall herrschenden Sprachkampf erhalten will. Zusammenfassend kann man den Roman als eine etwas unübersichtliche Kollektion von Brünner Figuren bezeichnen. Die nationale Verständigung scheint Schamann nur auf einer nationalitätslosen Ebene möglich zu sein. Schamanns Einstellung zu dem nationalen Konflikt ist auch daraus ersichtlich, welche Motive er aus der Zeitschrift Wau-Wau übernimmt. Ein etwas berüchtigtes Blatt dieses Namens wurde in Brno von einem Mann mit dem tschechischen Namen Chrpa (deutsch Kornblume, also vielleicht ein Pseudonym) tatsächlich herausgegeben. Nur erschien die Zeitschrift nicht in den 80er, sondern nur in den 60er und nach einer Pause in den 70er Jahren. Die bei Schamann erwähnte protschechische Einstellung von Wau-Wau ergab sich aus der Opposition gegen den deutschliberalen Stadtrat. Die historische Zeitschrift Neuer Freier Wau-Wau strebte einen tschechisch-deutschen Konsens auf der Grundlage des Antisemitismus an. Die in Brünn herrschenden Deutschliberalen waren nämlich eine Partei des Kapitals, zum beträchtlichen Teil des jüdischen Kapitals. In der Zeitschrift wurden außerdem Mißstände in dem Brünner Bürgerkorps angeprangert. Am 1. Jänner 1878 wird sogar vom mexikanischen Hauptmann und Besitzer des Hauses Nr. 13 der Dornychgasse, Herrn Karl Findeis, berichtet. Solche Nachrichten können Schamanns weitere Nachforschungen, aber auch seine Fabulierlust angeregt haben. Der Mexikaner in der historischen Zeitschrift Wau-Wau unterscheidet sich jedoch völlig von der Idealfigur in Schamanns Roman. Bei Chrpa beklagt sich der Verfasser des an Wau-Wau adressierten Briefes über die Prozeßsucht von K. Findeis und über dessen Tyrannisierung der Mieter. Im Unterschied zu der Zeitschrift Chrpas läßt sich Schamann auf den ordinären Antisemitismus der Wau-Wau jedoch nie ein. Diese billige, damals wohl aber populäre Tendenz, die z. B. auch der oben erwähnten Erzählung Merhauts Had/Die Schlange nicht völlig fremd ist, liegt dem Roman Schamanns fern. Kulps Abstammung z.B. wird gar nicht erwähnt. Der vom Übermaß an Stofflichem überwucherte Roman stellt Schamanns Versuch dar, einen bedeutenden Zeitroman zu schreiben. Man spürt, wie krampfhaft der sich verkannt fühlende Schamann die auseinanderstrebenden Handlungsstränge zurechtbiegt. Aus der Perspektive eines Außenseiters wie Stengl stehen die nationalen Spannungen nicht im Vordergrund. Die Zusammenarbeit der Nachbarn oder der Arbeitskollegen wird dadurch nicht wesentlich gestört, denn die Gestalten Schamanns verhalten sich in nationalen Fragen zurückhaltend, manche stehen diesen Problemen sogar recht gleichgültig gegenüberstehen. Vielleicht war es vor der Radikalisierung der nationalen Kämpfe in den 90er Jahren in gewissen Brünner Schichten tatsächlich der Fall. Im Folgenden befassen wir uns mit der Darstellung des Fremden an einem anderen Beispiel. Als Schamann über die pogromartigen Ausschreitungen der Tschechen gegen die deutschsprachigen Juden nach der Aufhebung der badenischen Sprachverordnungen von 1899 schreibt, behandelt er dieses Thema bewußt nicht so, wie es bei den deutschliberalen Lesern am besten ankommen würde - daß nämlich nur der tschechische Fanatismus daran schuld sei. Nichtsdestoweniger fällt dabei auf einige Gruppen der tschechischen Bevölkerung ein recht zweifelhaftes Licht. Damals -- 1899, nach dem Prozeß von Polná -- zeigte sich eine leider allzu markante Verknüpfung der Politik von Baxa und seiner radikal staatsrechtlichen Partei mit dem Judenhaß. Die Folge dieser Hetze war u. a. eine Serie von Gewalttätigkeiten gegen die jüdischen Gemeinden von Holleschau, Wsetin und anderen ostmährischen Städten. In Holleschau gab es damals Tote, allerdings nur an der Seite der tschechischen Exzedenten, die die Warnung von fünf Gendarmen, es werde scharf geschossen, nicht beachtet hatten (Svátek 1980). Schamann läßt die Binnengeschichte seiner Erzählung Holleschauer Reminiszenz auch im Jahre 1899 spielen. Das handlungauslösende Moment in der Erzählung ist ein Betrug, der nur in einer Stimmung der Massenhysterie, wie z. B. nach dem Mord an Ane¾ka Hrùzová in Polná, Erfolg haben konnte. Die Magd Katscha Surovec verletzt sich ziemlich harmlos an der Handwurzel und klagt ihre jüdischen Herren an, sie hätten sie ermorden wollen. Vater und Sohn werden infolgedessen vier Wochen in Untersuchungshaft gehalten, ein Umstand, welcher den Tod des Vaters beschleunigt. Vom Gefängnis aus beobachten sie die nach einem Pogrom brennende jüdische Stadt. Den Anla zu dieser Hetze gaben aufrührerische Zeitungsartikel, die die Juden der Mi ernte und der enormen Preissteigerung des Mehles beschuldigten. (Schamann 1902, S.63) Schamann verzichtet auf die Schilderung der gewalttätigen Tschechen. Die Schuld der tschechischen katholischen Redakteure bzw. der heimtückischen tschechischen Dienstleute, die das Unglück der jüdischen Familie verursachen, wirken überzeugender als Massenszenen und ausführliche Beschreibungen der Greueltaten. Zum Schüren des Grolles der Bevölkerung gegen die Juden in Holleschau kann schon der Abdruck der als Ritualmord präsentierten Geschichte aus dem Jahre 1774 über Josefa Truneèková in der antisemitischen Zeitschrift ®ihadlo/ Der Bienenstachel im Jahre 1893 beigetragen haben. 1774 wurden die jüdischen Herren der Ermordeten in Untersuchungshaft gehalten, wegen mangelnder Beweise aber wieder freigelassen. Schamann fabuliert eine den Ereignissen von 1774 auffallend ähnliche Geschichte, seine Sympathien sind jedoch auf der Seite der widerrechtlich in Untersuchungshaft gehaltenen Juden. Außerdem läßt er seine Geschichte weniger grausam enden. 125 Jahre früher wurde nämlich einem flüchtigen Juden das Geständnis durch Folter erpreßt, damit er geköpft werden konnte. Schamanns Erzählung halte ich für das Gelungenste, was sein Erzählband Mährische Geschichten bietet, weil der resignative Rahmen einen wirksamen Kontrast zu der dynamischen Binnengeschichte bildet. Die Rahmengeschichte berichtet über die Konversion oder wenigstens über die unaufhaltsame Assimilation von Kellermanns Kindern. Sie entfremden sich dem jüdischen Glauben, auch wenn sie -- im Unterschied zu dem zum Katholizismus konvertierten Sohn, der als österreichischer Offizier auf diese Weise seine Beförderung erreichen wollte -- formell noch in der jüdischen Gemeinde bleiben. Voraussetzung für einen ernsthaften Versuch einer Wertung des Schamannschen Werkes müßte ein eingehender Vergleich mit den Werken seiner literarischen Zeitgenossen sein. Dafür bleibt in diesem kurzen Beitrag kein Raum mehr. Deshalb nur einige Randbemerkungen zu diesem Thema, die zur Abrundung des hier skizzierten Bildes dienen sollen und z. T. auch den Umgang mit dem Fremden bei einigen weiteren Autoren berühren. Schamanns Orientierung auf Mähren war von dem Programmaufsatz für eine österreichische Provinzliteratur beeinflußt, den 1899 Hugo Greinz in der literarischen Zeitschrift Der Kyffhäuser veröffentlichte. In diesem Organ der Deutschvölkischen fand auch der junge Schamann die Gelegenheit, seine Werke zu drucken. Zuerst zur Frage, inwieweit Schamann der traditionellen Darstellung Mährens verpflichtet ist. Im Gegensatz zu Saar oder David wählt der viel jüngere Schamann die bevorzugten Themen des Naturalismus; weniger schon hält er sich an dessen typische Schreibweise. Vielmehr greift er mehrmals auf bereits bewährte Erzählmuster mit einer Rahmengeschichte zurück. So handelt es sich z. B. in Schamanns Erzählung Der Reisegefährte ähnlich wie in Ebner-Eschenbachs Erzählung Die Reisegefährten um ein Bekenntnis eines enttäuschten, resignierenden Helden. Schamanns Binnengeschichte hat allerdings mehr Quälendes, ist voll von Selbstvorwürfen, der Held hat sich mit seinem Schicksal noch nicht abgefunden. Das Überpersönliche und das Kämpferische bei Schamann -- die Ablehnung der Praktiken der katholischen Kirche -- steht dem intimeren Thema der Unterhaltung bei Ebner-Eschenbach gegenüber. In der Manier, wie slawische Frauen dargestellt werden, knüpft er an Saar an: sie sind Träger einer etwas fremdartigen, sinnlichen und primitiven Weiblichkeit. Meistens haben sie kein schönes Gesicht, in dem sich die Seele widerspiegeln sollte, aber eine um so mehr anziehende Gestalt. Es sei hier z. B. an die schöne Schusterfrau in der Rahmengeschichte der Saarschen Novelle Der Brauer von Habrovan erinnert: Zwar ihr Gesicht verdiente diese Bezeichnung nicht eigentlich [er wäre schön]. Denn es war breit, stumpfnasig und überdies stark mit Sommersprossen behaftet. Aber lebhafte schwarze Augen, leicht gekraustes rotbraunes Haar und ein eigentümlich lachender Zug um den frischen Mund verliehen diesem Gesicht um so mehr Reiz, als auch die ganze Gestalt in ihrer biegsamen Schlankheit höchst anziehend war. Zumal in der heißen Jahreszeit, wo sie sich immer möglichst leicht bekleidet sehen ließ.(Saar 1958, S. 598/99). Schamann geht noch einen Schritt weiter und ist weniger zurückhaltend, wenn er z. B. das Gesicht der "Spekulantin" Dorothea mit einer Kröte vergleicht. Auf dieses Klischee stößt man auch bei der Beschreibung der sonst mit so viel Liebe dargestellten Hanna, der Frau des Malers Petersilka bei David. Seine Novellen Die Hanna, Cyril Valenta, Rù¾ena Èapek finden Schamanns höchstes Lob: man kann die letztgenannten drei Werke mit ruhigem Gewissen mit des Tschechen Merhaut Schaffen gleich bewerten, sie halten seinem Schaffen die Wage." (Schamann 1908). Wir halten die Aussage für eine bei einem Deutschen überraschend positive Würdigung des tschechischen Autors Merhaut. Mit ähnlicher Liebe zu seinen Frauengestalten wie der späte David scheint Schamann an seiner Erzählung Veruna gearbeitet zu haben, nur wählt er zu grelle Farben, fabuliert ihre Taten und Entscheidungen allzu willkürlich, als daß die Gestalt Sympathien des Lesers gewinnen könnte. Keine Parallele finden wir bei Schamann zu Davids Meister Petersilka. Diese positive Männergestalt eines Tschechen hat wohl überhaupt kein Pendant in der deutschsprachigen Literatur aus Mähren. (Eisner 1933, S. 342). Mit Langmann und anderen Naturalisten teilt Schamann die Überzeugung von dem Verfall der menschlichen Beziehungen auf dem Lande infolge der Besitzgier. Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus dem Vergleich der Mährischen Geschichten mit der Darstellung des Dorfmilieus in Philipp Langmanns Drama Gertrud Antleß. Langmanns Interesse für die Welt der Arbeiter und ihr tragisches Schicksal ist jedoch echter als bei Schamann, welchen eher die Brisanz des Themas anzieht, ohne daß dabei Mitleid erweckt oder das Milieu präzise festgehalten werden sollte. In Gabriela Preissovás Králu¹a, einer Erzählung über das Leben einer alleinstehenden Mutter, die vor ihren Eltern nach Wien flieht, als Dienstmädchen arbeitet und an der durch ihren Beruf erzwungenen Trennung von ihrem sterbenden Kind zugrunde geht, hat die Heldin ein reicheres inneres Leben als die meist ziemlich eindimensionalen Frauenfiguren bei Schamann. Die Geschichte von Preissová fesselt den Leser durch eine stärker emotional gefärbte Darbietung wohl mehr als die Prosatexte Schamanns, der bewußt möglichst objektiv berichtet und wenig Anteilnahme an dem Leben seiner Gestalten zeigt. Der Roman Jan Herbens Do tøetího a ètvrtého pokolení/ In das dritte und vierte Glied überrascht mit der einseitig negativen Darstellung der Juden - um so mehr, als Herben zu politischen Realisten und Parteifreunden Masaryks zählt. Schamann, ein Bewunderer des assimilierten, als Autor aber wenig erfolgreichen Juden David, erscheint in dieser Hinsicht gerechter, obwohl es bei ihm manchmal in der Wertung der Juden auch Schwankungen gibt. Schamanns Sympathien für Juden beschränken sich auf die aus der Gesellschaft Ausgestoßenen, schließen nicht diejenigen ein, die als Nutznießer der Verhältnisse leben können. Und gerade auf diese Weise werden die jüdischen Kneipenbesitzer bei Herben reich. Weder Herben noch Schamann sind rassistisch antisemitisch. Dieser Teilaspekt sagt freilich wenig über die literarische Qualität der Werke beider Autoren aus, er zeigt nur Schamanns größere Vorliebe für das Fremde. Herbens Chronik des mährischen Dorfes wirkt dagegen viel kohärenter und überzeugender als Schamanns Einzelaufnahmen. Die Darstellung der tschechisch-deutschen Beziehungen in Böhmen bzw. Mähren hat für uns immer einen besonders heiklen Reiz, weil wir sie durch die späteren tragischen Ereignisse zu betrachten gewohnt sind. Es kann sein, daß Schamann für uns dadurch interessanter ist als z. B. für Innsbrucker; sein Werk hat nämlich einen mehr dokumentarischen als künstlerischen Wert. In der Zeit, als die beiden Nationen einander fremd geworden sind, versucht er -- soweit es die Rücksichten auf seine Leser gestatten -- Brücken zwischen beiden Lagern zu schlagen. Wenn man sich nicht durch eigene Überheblichkeit über seinem rückständigen Nachbarn verblenden läßt, kann ein Fremdes -- wie ein zottiges, einen betäubenden Geruch ausströmendes Tier -- etwas Lockendes haben und dem Leser als Spiegel oder Herausforderung dienen. Der letzte Vergleich des Fremden mit einem zottigen Tier stammt allerdings von Musil (Musil 1981, 178) und ist natürlich mehr als Schamanns Werke dazu geeignet, die Niederungen der vorgeprägten Vorstellungen zu verlassen und das literarische Zeichen in dessen Vielschichtigkeit wahrzunehmen. Vertiefen wir uns also in Musils Sätze von dem Fremden, damit uns das Unvergleichbare von Musil und Schamann, deren Gemeinsames der Brünner Literaturhistoriker Karel Krejèí einst gesucht hat, deutlich vor Augen steht. Ein Fremdes, mit dem ihr Leben nichts gemeinsam hatte, richtete sich nach und überhängend groß vor ihr auf, wie ein zottiges, einen betäubenden Geruch ausströmendes Tier [...] ein Spiel vertrauter Abstufungen in einem irgendwie dem ihrem ähnlichen Gesicht." Vielleicht wurzelt diese Erfahrung des Fremden bei Musil, obwohl sie hier in den Vereinigungen in keinem Zusammenhang zu den Tschechen steht, doch irgendwie in dem Erlebnis der spannungsreichen Koexistenz beider Kulturkreise in Brünn um 1900, nur wird sie von ihm intellektuell überhöht und dem Alltäglichen entrückt, während Schamann seine Irritation durch das Zusammenleben der Deutschen mit dem ihnen fremden slawischen Element roh und literarisch kaum verwandelt präsentiert. Literaturverzeichnis: Eisner, Pavel 1933: Nìmecká literatura na pùdì ÈSR. Od r. 1848 do na¹ich dnù. In: Èeskoslovenská vlastivìda, Bd. 7 - Písemnictví. S. 325-377. Krejèí, Karel 1976: Franz Schamann und Robert Musil. In: Musil-Forum, Jg. 2, H. 1. Køen, Jan 1991: Konfliktní spoleèenství. Praha. Luft, Robert 1987: Die Mittelpartei des mährischen Gro grundbesitzes. In: Die Chance der Verständigung. Hg. von Ferdinand Seibt. München. Merhaut, Josef 1964: Èerná Pole. Hg. von Du¹an Jeøábek. Brno. Musil, Robert 1981: Gesammelte Werke, Bd. 6. Reinbek bei Hamburg. Saar, Ferdinand 1958: Requiem der Liebe und andere Novellen. Hg. von Hans-Heinrich Reuter. Leipzig. Schamann, Franz 1902: Mährische Geschichten. Linz-Wien-Leipzig. ders. 1908: Ein mährischer Dichter. In: Wiener Arbeiterzeitung vom 29.12.1908, Nr. 359. ders. 1910: Die Nachwehen. München. Svátek, Josef 1980: Pogromy v Hole¹ovì v letech 1774-1918. In: ®idovská roèenka na rok 5740.