Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 1 von 8 Das Experiment in der Archäologie Matthias Kucera ,,Jede Nachprüfung einer Theorie, gleichgültig, ob sie als deren Bewährung oder als Falsifikation ausfällt, muss bei irgendwelchen Basissätzen haltmachen, die anerkannt werden. Kommt es nicht zu einer Anerkennung von Basissätzen, so hat die Überprüfung überhaupt kein Ergebnis." (Karl Popper, Logik der Forschung) Einleitung und Motivation Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass die experimentelle Archäologie Möglichkeiten bietet, archäologische Fragestellungen zu beantworten. Was aber ist ein Experiment im Sinne der Archäologie? Um diese Frage zu beantworten ist es interessant, einige grundlegende wissenschaftstheoretische aber auch philosophische Aspekte zu diskutieren. In der Tat ist die Formulierung einer Frage der wesentlichste Schritt zur Erkenntnisfindung. Um eine Motivation zu geben, erlaube ich mir einen Vergleich, der natürlich subjektiv gefärbt ist. Um über einen See zu schwimmen ist es nicht unbedingt nötig zu wissen, wie tief der See ist und wie sein Untergrund beschaffen ist. Allerdings kann diese Unwissenheit sehr beunruhigend sein, ist aber oft leicht durch einen kurzen Blick unter die Wasseroberfläche zu beseitigen. Je genauer man über diesen nicht direkt schaubaren Bereich Bescheid weiß, desto selbstverständlicher schwimmt man über den See, ja man kann anderen auch erklären, warum man das Erlebnis letztendlich als schön empfunden hat. Die folgenden Zeilen können nur einen ausschnitthaften Überblick über die Grundgedanken und Grundregeln einer wissenschaftlichen Arbeitsweise geben. Die Möglichkeiten der Forschung Bevor überhaupt Fragen formuliert werden können, sollte einem bewusst sein, über welche Bereiche man Aussagen machen kann, bzw. für welche Bereiche diese Aussagen Gültigkeit haben. Es ist nötig, sich klar vor Augen zu halten, welche Bereiche mit welcher Methode beschreibbar sind. Im Rahmen der Wissenschaft bedient man sich im Allgemeinen der aristotelischen Logik, d.h. widersprüchliche Aussagen stehen in Kontradiktion und schließen einander aus. Man spricht von logischen Begriffspaaren, die in einem Entweder-Oder-Verhältnis stehen. Der aristotelischen Logik liegen 3 Axiome (Grundregeln) zugrunde, der Satz der Identität (Eindeutigkeit von Begriffen, A=A), der Satz vom (zu vermeidenden) Widerspruch (Widerspruchsfreiheit von allen Behauptungen) und der Satz vom ausgeschlossenen Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 2 von 8 Dritten (stehen zwei Behauptungen im Widerspruch, so ist eine von beiden richtig und nicht eine dritte). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Begriffe Realität, Wirklichkeit und Wahrheit zu klären (Pietschmann, 1996). Die Wahrheit ist jener Bereich, den man mit (natur)wissenschaftlicher Methodik nicht schauen kann, sie entzieht sich unserer oberflächlichen Wahrnehmung. Es ist Aufgabe der Religionswissenschaften oder des Glaubens allgemein, zu entscheiden, was ,,wahr" ist. Eine Wahrheit ist etwas Unumstößliches, das jederzeit und allerorts Gültigkeit hat. Da es nur eine Wahrheit geben kann, führte dies oft zu Verfolgungen von Anhängern anderer Wahrheiten. Um dem dogmatischen Wahrheitsanspruch gerecht zu werden, ist es schließlich am einfachsten, Andersdenkende aus dem Weg zu räumen. Man sollte jetzt aber nicht annehmen, dass dies ein Prinzip der Wahrheit ist, sondern eher ein Prinzip der menschlichen Kurzsichtigkeit, denn schließlich ist jeder Glaube nur eine mögliche Auslegung der Wahrheit. Die übrigen Wissenschaften, im Besonderen die Naturwissenschaften, versuchen nun die Realität zu beschreiben, die oft im Widerspruch zur alltäglichen Erfahrung stehen kann. So ist zum Beispiel die Aussage, dass alle Körper gleich schnell fallen in unserer Alltagswelt nicht direkt nachvollziehbar, und erst durch geeignete Rahmenbedingungen erkennbar. Aussagen in diesem Bereich können auf der Logik basierend formal richtig, aber niemals wahr sein, weil sie letztendlich auf Hypothesen beruhen. Diese Argumentation gestattete es unter anderem Galileo Galilei, seine Forschungen weitestgehend unbehelligt von der Inquisition zu betreiben. Die Gründe, warum es schließlich doch zu einem Prozess kam, wurden oft diskutiert. Auch die Realität muss natürlich einem universellen Anspruch genügen. Die entwickelten Theorien messen sich nun an ihr. Die Wirklichkeit schließlich kann man eigentlich als Stolperstein der Wissenschaft bezeichnen. Erst wenn man sich bewusst macht, dass Beobachtungen subjektiv sind und man die Realität, die man beschreiben will, erst unter der Oberfläche selbstgeschaffener Wirklichkeiten findet, gelingt es, reproduzierbare und quantifizierbare Aussagen zu machen. In diesem Bewusstsein sollte es dem Einzelnen klar sein, dass jeder dogmatische Anspruch in der Wissenschaft a priori vollkommen am falschen Platz steht. Das Experiment Das Experiment gilt als Prüfstein von Theorien und Hypothesen, aber auch als Quelle neuer Fragestellungen. Seit dem frühen 17. Jahrhundert ist es aus der naturwissenschaftlichen Methodik nicht mehr wegzudenken. Letztendlich ist ein Experiment die Erprobung einer vorläufig angenommenen Theorie an den Tatsachen. Das heißt, dass einem Experiment eine Theorie vorausgeht. Je klarer sich ein Experiment von anderen Bereichen abgrenzt, desto aussagekräftiger ist es in Hinblick auf die Theorie. Erkenntnistheoretisch ist zu unterstreichen, dass ein Experiment nie eine Theorie verifizieren kann, sondern nur falsifizieren. Eine Theorie Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 3 von 8 ist somit nur so lange gültig, wie es keinen experimentellen Befund gibt, der ihr widerspricht. Entsprechend den Axiomen der Logik kann man auch Axiome des Experiments (in der Naturwissenschaft) einführen, das sind die Reproduzierbarkeit, die Quantifikation und die Analyse (Pietschmann, 1996, S.83-93). Schon der Begriff der Reproduzierbarkeit ist sehr problematisch und das nicht nur in der experimentellen Archäologie. Im Prinzip verlangt die Wissenschaft von einem Experiment, dass es von jedem jederzeit wiederholbar ist und die gleichen Resultate liefert. Diese Forderung impliziert aber stets die gleichen Rahmenbedingungen, die ihrerseits wiederum gemessen werden müssen. Von gleichen Resultaten kann man nur sprechen, wenn die Aussagen nicht nur qualitativ, sondern auch quantifizierbar sind und innerhalb des Messfehlers liegen, der aus diesem Grund bei jedem Resultat anzugeben ist. Quantifizierbar bedeutet, dass die Messergebnisse zum Beispiel einer mathematischen Formel oder einem Diagramm genügen. Diese Forderung führt zwingend zum Axiom der Quantifikation. Quantifikation ist nur bei einfachen Systemen möglich, d.h. bei einfachen Experimenten, bei denen möglichst viele Rahmeneffekte unterdrückt werden. Konkret heißt das, dass wir unser Kilogramm Federn in einen Sack stopfen und fest zubinden, nur dann werden die Federn so schnell fallen wie ein Kilogramm Eisen, da ich den Rahmeneffekt Luftwiderstand ausgeschaltet habe. Somit bin ich in der Lage, das einfache Fallgesetz, seinerseits eine Quantifikation, zu bestätigen. Dieses Zerlegen in verschiedene Effekte, in unserem Fall Luftwiderstand und Erdanziehung, ist dem dritten Axiom, der Analyse, gleichzusetzen. Von besonderer Wichtigkeit ist daher eine penibelste Dokumentation des Experiments, sowie eine vollständige Angabe der Rahmenbedingungen und der zu erwartenden Messfehler. Man unterscheidet generell zwischen systematischen und statistischen Fehlern. Erstere resultieren aus der Messgenauigkeit der verwendeten Instrumente, zweitere aus den mathematischen Gesetzmäßigkeiten der Statistik. An dieser Stelle ist es angebracht, René Descartes selbst zu Wort kommen zu lassen, der seine Methode des Zweifels in vier Vorschriften zusammenfasst: ,,Die erste besagte, niemals eine Sache als wahr anzuerkennen, von der ich evidentermaßen erkenne, dass sie wahr ist, d.h. Übereilung und Vorurteile sorgfältig zu vermeiden und über nichts zu urteilen, was sich meinem Denken nicht so klar und deutlich darstellte, dass ich keinen Anlass hätte, daran zu zweifeln. Die zweite, jedes Problem, das ich untersuchen würde, in so viele Teile zu teilen, wie es angeht und wie es nötig ist, um es leichter zu lösen. Die dritte in der gehörigen Ordnung zu denken, d.h. mit den einfachsten und am leichtesten zu durchschauenden Dingen zu beginnen, um so nach und nach, gleichsam über Stufen, bis zur Erkenntnis der zusammengesetztesten aufzusteigen, ja selbst in Dinge Ordnung zu bringen, die natürlicherweise nicht aufeinander folgen. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 4 von 8 Die letzte, überall so vollständige Aufzählungen und so allgemeine Übersichten aufzustellen, dass ich versichert wäre, nichts zu vergessen."(Descartes, Discours de la méthode) Ein archäologisches Experiment sollte demnach auch diesen Anforderungen genügen. Es gilt nun zu klären, inwieweit das möglich ist, bzw. worin die Schwierigkeiten bestehen. Das archäologische Experiment Es soll im Rahmen dieser Abhandlung jetzt nicht auf einzelne Experimenttypen eingegangen werden, sondern die allgemeine Problematik behandelt werden. Generell gilt es, die Frage zu stellen, ob sich ein archäologisches Experiment von Experimenten im Rahmen der Naturwissenschaften unterscheidet. Prinzipiell sollte sich an der Methodik nichts ändern und die Axiome sollten weiterhin erfüllt bleiben. Es gibt aber doch einige Unterschiede, auf die im Folgenden hingewiesen werden soll. Die Gesetzmäßigkeiten, die vor allem innerhalb der Physik untersucht werden, obliegen vier elementaren Grundkräften, der Gravitation, der elektromagnetischen Kraft, der starken und der schwachen Kernkraft. Diese Kräfte sind letztendlich Ursache aller Vorgänge, die in den Naturwissenschaften untersucht werden. Jedes Verhalten von Materie wird durch diese Kräfte bestimmt. In der experimentellen Archäologie versuchen wir aber, das Wesen von Dingen zu ergründen, die auf den Einfluss des Menschen zurückgehen. Ein kleines Gedankenexperiment soll die Problematik veranschaulichen. Stellen wir eine Teekanne auf einen Tisch, so wird diese dort so lange stehen bleiben, bis eine äußere Kraft auf sie wirkt. Denken wir nun an Naturgesetze, können wir uns am ehesten vorstellen, dass sie irgendwann, sei es durch eine Erschütterung oder eine Unachtsamkeit, der Erdgravitation folgend, vom Tisch auf den Boden fällt, wo sich in den meisten Fällen die kinetische Energie des Sturzes in Deformationsenergie umwandelt, also die Kanne zerbricht. Allerdings fällt es nicht schwer sich vorzustellen, dass die Teekanne wohl früher oder später entweder abgewaschen wird oder auf eine Anrichte gestellt wird. Jede dieser Verschiebungen im Raum kostet Energie, die in diesem Fall von uns aufgebracht wird, weil wir die Kanne lieber an einem anderen Ort haben wollen. Würde man jetzt untersuchen wollen nach welcher Gesetzmäßigkeit sich die Kanne im Raum aufhält, findet man leicht, dass sie sich nur ganz selten den Naturgesetzen entsprechend verhält. Der Faktor, der unsere Teekanne veranlasst, sich so gänzlich anders zu verhalten als jegliche andere Materie ist der Faktor Mensch. Dieser Mensch ist beeinflusst von Gewohnheiten, persönlichen Erfahrungen, Vorlieben, Fähigkeiten, gesellschaftlichen Verhaltensregeln und vielem mehr. Die experimentelle Archäologie untersucht intentionell hergestellte Objekte. Es herrscht nun folgende Situation: Wie wir gehört haben, kämpft der Experimentator stets mit seiner eigenen Wirklichkeit, die er zugunsten der Realität identifizieren muss, um sie möglichst Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 5 von 8 herauszufiltern. Jetzt sieht er sich aber mit einem Objekt konfrontiert, dessen Schöpfer ebenfalls eine eigene Wirklichkeit hatte. Es erscheint demnach auf den ersten Blick so, als wäre dies ein Dilemma, das nicht auflösbar ist. Ein weiteres Problem scheint das der Reproduzierbarkeit zu sein, da es ja vor allem bei technologisch orientierten Experimenten nötig ist, sich die handwerklichen Fähigkeiten anzueignen. Allerdings ist es auch in den Naturwissenschaften so, dass man zuerst Fähigkeiten erwerben muss um ein Experiment zu wiederholen. Hier scheint also kein Unterschied zu bestehen. Tatsächlich leitet uns dieser Gedanke wieder zu dem ambivalenten Verhältnis zwischen Erschaffendem und Experimentator. Weiches und hartes Experiment Betrachten wir zunächst den in Abbildung 1 dargestellten Werdegang eines Artefaktes beziehungsweise eines archäologischen Befundes. Ein Gegenstand wird in der Regel hergestellt und ist dann einige Zeit in Verwendung bis er schließlich abgelagert wird. In der Phase der Ablagerung wirken auf den Gegenstand nur mehr physikalische Gesetzmäßigkeiten ein. Wir nehmen vereinfachend an, dass die Lagerung des Gegenstandes in dieser Zeit nicht durch den Menschen abermals gestört wird, was durchaus realen Gegebenheiten entsprechen kann. Schließlich wird das Artefakt im Zuge einer Grabung freigelegt und die genaue Fundsituation dokumentiert. Dieser Vorgang wird gemäß der vorherrschenden Grabungsmethodik, standardisierten Verfahren aber auch basierend auf persönlichen Erfahrungen und vorherrschenden Möglichkeiten durchgeführt. Phase 1 Phase 3Phase 2 Production and use Deposition Interpretation and Reconstruction Human Influence Yes No Yes YesYes Begin of Deposition Excavation Object Abb. 1 Werdegang eines Artefaktes oder archäologischen Befundes (Graphik: M.Kucera). Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 6 von 8 Phase 1 Phase 3Phase 2 Subjective and objective Reality (Wirklichkeit) Knowlege of use and production Loss of primary information Information thanks to deposition Objektive Reality Stratigraphical Information Loss of stratigraphical Information Comparsions Analysis of Materials sets borders to possible Information Borders defined by soft experiment Knowlege of use and production from hard and soft experiment Abb. 2 Darstellung des Wandels der Information über ein Artefakt oder einen archäologischen Befund (Graphik: M.Kucera). Abbildung 2 stellt die gleiche Situation dar, verknüpft sie allerdings bereits mit der archäologischen Fragestellung an das Gefundene. In Phase 1 erkennen wir nunmehr die Wirklichkeit des Menschen, der den Gegenstand hergestellt, verwendet und schließlich am Übergang zu Phase 2 deponiert hat. Dieser Mensch folgte natürlich gewissen physikalischen Gesetzmäßigkeiten, wie zum Beispiel den Bruchflächen eines Feuersteins bei der Herstellung eines Steinwerkzeuges. Allerdings war er auch seiner persönlichen Erfahrung im Umgang mit den einzelnen Materialien sowie gesellschaftlich bedingten Vorlieben unterworfen. Diese und sicherlich noch andere Umstände bilden die Rahmenbedingungen für den Entstehungsprozess und die Verwendung des Objektes. Sie sind in Abbildung 2 als schwarze Linie um die Kreisfläche symbolisiert, die ihrerseits die Kenntnis des Menschen über das von ihm Erschaffene darstellt. Deshalb ist die Kreisfläche einheitlich, das heißt, die Beziehung zwischen Rahmenbedingungen und Objekt ist konsistent und dessen Herstellung und Verwendung reproduzierbar. In Phase 2 wird nun das Objekt zeitlich immer mehr von dem Menschen, der es erschaffen hat, getrennt. Immer mehr Information geht verloren. Diese verlorene Information soll nun in Phase 3 nach der Ausgrabung rekonstruiert werden. Es gilt also die Wirklichkeit einer vergangenen Zeit zu beschreiben. Die Information, die sich aus der Art und Weise der Ablagerung ergibt, wird in erster Linie durch die Ausgrabung, wenn auch nicht vollständig, so doch den Möglichkeiten einer effizienten Grabungsmethode entsprechend, wiedergegeben. Zunächst besteht, wenn überhaupt, nur sehr wenig Information über das Objekt. Über Vergleiche, Stratigraphie, Materialanalysen, usw., ist es möglich das Objekt zeitlich und kulturell einzuordnen, also bereits erste Rahmenbedingungen zu definieren. Ein beachtlicher Teil dieser Rekonstruktion kann unter bestimmten Umständen von der experimentellen Archäologie übernommen werden. Ein Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 7 von 8 Experimentator versucht nun, die näheren Umstände von Herstellung und Verwendung des Objektes zu beleuchten zusehends gefangen von seiner eigenen Wirklichkeit. Hier prägt sich nun das bereits erwähnte ambivalente Verhältnis zwischen Erschaffendem und Experimentator aus. Gehen wir nun näher auf diese Ambivalenz ein, so ist die Notwendigkeit einer Abstufung von Experimenten ersichtlich. Ich tendiere dazu, sie in weiche und harte Experimente zu unterteilen. Im Rahmen eines weichen Experiments hat der Experimentator die Gelegenheit, sich mit Werkstoff und Werkzeug vertraut zu machen und Technologien so weit zu verfeinern, dass sie reproduzierbar werden. Der Erkenntnisweg kann und soll genau dokumentiert werden. Das weiche Experiment liefert vor allem qualitative Aussagen und soll bei der Formulierung einer bzw. im Regelfall mehrerer exakter Fragen hilfreich sein. Rahmenbedingungen können erkannt und festgelegt werden. Sie sind in Abbildung 2 als gestückelte Linie dargestellt. Diese verdeutlicht die Unmöglichkeit den Zustand der Phase 1 entsprechend wiederherzustellen. Übertragen gesprochen kann das weiche Experiment dem Experimentator auch helfen, die ,,Welt" mit den Augen des Erschaffenden zu sehen. Es testet die Qualität denkbarer Rahmenbedingungen und filtert im Idealfall diejenigen heraus, die Reproduzierbarkeit gewährleisten. Wir erkennen nun, dass eben die Ambivalenz uns helfen kann, Verhaltensweisen, Denkprozesse, kurzum die Wirklichkeit des Erschaffenden zu skizzieren. Ist eine Frage genau ausformuliert und sind die Ergebnisse reproduzierbar geworden, ist man in der Lage ein hartes Experiment zu machen, im Zuge dessen man den Versuchsablauf genau erfasst und dokumentiert. Es gelten die Rahmenbedingungen die durch das weiche Experiment festgelegt wurden. Der Experimentator ist nun in der Lage, Theorien über das vormalige Wissen um Erzeugung und Verwendung eines Artefakts zu prüfen. Die prinzipielle Unsicherheit einer Theorie, ist in Abbildung 2 durch den Helligkeitsverlauf der Kreisflächen dargestellt. Ein in dieser Weise durchgeführtes Experiment basiert dann tatsächlich auf den drei oben behandelten Axiomen und somit gelten auch alle damit zusammenhängenden Regeln. Conclusio Das Experiment ist auch in der Archäologie eine probate und notwendige Möglichkeit, Fragestellungen zu beantworten. Es erfüllt die gleichen Voraussetzungen, beziehungsweise Axiome wie ein naturwissenschaftliches Experiment, bei klarer Festlegung der Rahmenbedingungen durch ein weiches Experiment. Theorien können nun innerhalb dieser Rahmenbedingungen durch ein hartes Experiment getestet werden. Die Summe aus hartem und weichen Experiment und deren vollständige Beschreibung und Dokumentation gewährleistet Reproduzierbarkeit und somit die Effizienz eines Experiments. Unter Beachtung gewisser erkenntnistheoretischer und wissenschaftstheoretischer Aspekte, offenbart es zudem noch interessante Betrachtungsweisen menschlicher Wirklichkeiten. Diese kurze Abhandlung soll dahingehend Denkanstöße geben. Lehrveranstaltung Experimentelle Archäologie 2006 Seite 8 von 8 Die Freiheit der Forschungsarbeit soll allerdings durch diese Überlegungen nicht allzusehr eingeschränkt werden. Schließlich soll auch die Freude an der Entdeckung ungeahnter Zusammenhänge bestehen bleiben. Aus diesem Grund möchte ich mit den Worten des Physikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli schließen. ,,Ich hoffe, dass niemand mehr der Meinung ist, dass Theorien durch zwingende logische Schlüsse aus Protokollbüchern abgeleitet werden, eine Ansicht, die in meinen Studientagen noch sehr in Mode war." (W. Pauli, Physik und Erkenntnistheorie, Vieweg Verl., Braunschweig, 1984, p.95) Literatur Descartes, R. 1990: Discours de la méthode, Französisch-Deutsch, Felix Meiner Verlag, Hamburg (1990), p.31f. Gloy, K. 1995: Das Verständnis der Natur; I; Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens; Verlag C.H. Beck München 1995. Pietschmann, H. 1996: Phänomenologie der Naturwissenschaft; Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1996. Popper, K. 1973: Objektive Erkenntnis, ein revolutionärer Entwurf; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 1973. Vollmer, G. 1988: Was können wir wissen? Band 2, Die Erkenntnis der Natur; S.Hirzel Verlag Stuttgart 1988. Autor Matthias Kucera VIAS Franz-Kleingasse 1 A-1190 Wien e-mail: matthias.kucera@univie.ac.at