Eldorado im Armenhaus Der Boom der Biotreibstoffe kommt den Agrarländern zugute – vielleicht. Von Fritz Vorholz Das Unglück kommt aus der Tiefe, und es hat einen unverschämten Preis: Fast 40 US-Cent. So viel kostet derzeit ein Liter Erdöl, doppelt so viel wie vor drei Jahren. Den Autofahrern tut das weh, aber auch jenen, die sich ein Auto gar nicht leisten können: Millionen Menschen in den Entwicklungsländern, die täglich mit dem Gegenwert von ein paar Dollar auskommen müssen. Für sie macht das teure Öl das Kochen mit Kerosin teurer und das Licht, die Busfahrt zur Arbeit und den Transport von Vieh zum nächsten Markt. Teures Öl könne »die Armen noch ärmer« werden lassen, schreibt die Afrikanische Entwicklungsbank. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch, und darum sind nicht alle Experten so pessimistisch. Steckt in dieser Ölkrise womöglich eine Chance – und zwar besonders für die Länder des Südens? Manchem Öl exportierenden Entwicklungsland hat der hohe Ölpreis schon heute ungeahnte Einnahmen beschert, Angola zum Beispiel. Die allgemein steigenden Rohstoffpreise haben armen Ländern erstmals zu ansehnlichem Wachstum verholfen. Doch auch für Agrarländer ohne solche Bodenschätze gibt es Hoffnung: Biosprit, also Diesel und Benzin aus Pflanzen. Er regt die Fantasie vieler Entwicklungspolitiker an. Technisch ist dieser Treibstoff längst etabliert – viele Autos in Brasilien fahren bereits mit Alkohol aus Zuckerrohr, Biodiesel aus Raps hat vielen deutschen Bauern neue Einkünfte verschafft. . Nicht nur die Afrikaner wittern ihre Chance. Malaysia und Indonesien, Weltmarktführer in der Palmölproduktion, planen neue Plantagen, in denen ausschließlich Rohstoff für die Biodieselherstellung gedeihen soll. Thailand will in 15 Jahren ein Viertel seines eigenen Erdölbedarfs durch Pflanzenöl ersetzen. Brasilien, bereits größter Exporteur von aus Zuckerrohr gewonnenem Sprit für Benzinfahrzeuge, will mit Kraftstoff auf Sojabasis auch den Dieselmarkt erobern. Der Boom hat viele Gründe. Teures Erdöl hat die Alternative vom Acker konkurrenzfähiger werden lassen. Sprit aus Pflanzen verringert die Abhängigkeit von Potentaten im Nahen Osten. Grüner Kraftstoff verbrennt sauberer als die schwarze Substanz aus der Tiefe. Und weil die Pflanzen bei ihrem Wachstum klimaschädliches Kohlendioxid absorbierten, so ihre Fans, seien sie sogar eine Waffe gegen die Erderwärmung. All dies veranlasst heute die Regierungen von rund 30 Ländern, vor allem Industrienationen, durch Gesetze oder mit finanziellen Anreizen die Produktion und die Verwendung von Biokraftstoff anzukurbeln. Zuckerrohr, Mais, Sorghum, Kassawa, Erdnüsse, Ölpalmen und ein Gewächs namens Jatropha, zu Deutsch: Brechnuss – aus diesen Pflanzen lässt sich der neue Treibstoff gewinnen, und sie alle wachsen in jenen Regionen bestens, denen Handel und Wandel bisher wenig nutzten: Südamerika, Ostasien und Afrika. Die Länder südlich der Sahara, im Armenhaus der Erde, sind für die Herstellung von Biosprit ein Eldorado. Die armutsgeschüttelte Demokratische Republik Kongo gilt als eine Supermacht für den Treibstoff der Zukunft. Allerdings könnte es auch passieren, dass sich die vermeintliche Allzweckwaffe am Ende gegen ihre Nutzer richtet. Manche Biokraftstoffe sind ökologisch längst nicht so vorteilhaft, wie es das grüne Etikett vermuten lässt. So fällt der energetische Gewinn mitunter spärlich aus, wenn man richtig kalkuliert und die Düngung und Biomasseverarbeitung miteinrechnet. Beide beanspruchen viel Energie. Schäden in Form großflächiger Wasserverseuchung sind nicht ausgeschlossen. Von den Getreidefeldern des amerikanischen Mittleren Westens schwemmt schon heute Stickstoff in den Mississippi und lässt im Golf von Mexiko jeden Sommer eine so genannte Todeszone entstehen. Sauerstoffarmes Wasser, in dem kaum ein Meerestier überlebt, weil Tausende Meilen nördlich die Felder überdüngt wurden. Energiepflanzen konkurrieren auch um Flächen, die bisher dem Anbau von Nahrungspflanzen oder dem Naturschutz vorbehalten waren. Umweltschützer fürchten, dass das vermeintliche Ökobenzin für den Norden den Niedergang des Urwalds im Süden beschleunigen könnte. Vom »Frankenstein-Sprit« und »Abholzungsdiesel« ist die Rede. Große Vorbehalte hegen jene, denen es nicht um Tiere und Pflanzen geht, sondern um Menschen. Schließlich hungern weltweit mehr als 800 Millionen, sechs Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben jährlich an den Folgen von Unterernährung. Könnte die wachsende Nachfrage nach Biosprit diesen Skandal noch größer machen? Die Getreidemenge für die Tankfüllung eines Mittelklassewagens mit Bioethanol könnte auch einen Menschen ein Jahr lang ernähren. Lester Brown, Präsident des Earth Policy Institute in Washington, prophezeit für die nahe Zukunft eine gefährliche Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine: um Flächen, Wasser und Getreide. Zerplatzt da wieder eine Hoffnung? Nicht unbedingt. Höhere Preise für Lebensmittel helfen den Bauern, auch denen in der Dritten Welt. Weil viele Arme von der Landwirtschaft leben, linderten steigende Preise sogar ihre Not, sagt IFPRI-Chef von Braun. Nachteile müssten allerdings die hinnehmen, die keine Überschüsse verkaufen könnten – es sei denn, die landwirtschaftliche Produktivität stiege drastisch an. Dies, und nur dies, könnte dafür sorgen, dass die nutzbare Landfläche der Erde ausreicht, um für beides zu sorgen: für Nahrung und Sprit. Heute werden weltweit fünf Milliarden Hektar als Acker oder Weide genutzt, oft nur mit einfachsten Mitteln bewirtschaftet. Mehr Bewässerung und besseres Saatgut, womöglich auch gentechnisch manipuliertes, mehr Dünger, mehr Pflanzenschutzmittel und mehr Maschinen könnten den Flächenbedarf für die Nahrungsproduktion deutlich sinken lassen. Laut Copernicus-Institut ließe sich die im Jahr 2050 benötigte Kalorienmenge so auf nur noch einem Drittel der heutigen Fläche erzeugen – trotz wachsender Bevölkerung, trotz steigendem Pro-Kopf-Verbrauch und ohne den Schutz der Wälder und die biologische Vielfalt zu beeinträchtigen. Rund zwei Drittel des fruchtbaren Bodens stünden dann der Spritproduktion zur Verfügung. Genug, um die Energienachfrage zu decken. Sollte das gelingen, könnten die Afrikaner hoffen. Denn nirgendwo sind die Potenziale zur Produktivitätssteigerung größer, weil Ackerbau und Viehzucht gegenwärtig auf bescheidenstem technischem Niveau stattfinden. Eine grüne Revolution könnte Afrika zu den Gewinnern der Biosprit-Ära werden lassen. Auf diese Revolution warten die Afrikaner allerdings schon lange.