Meike Josef K. Upalla, was war denn mit dem? Na, das konnte ja heikel werden, aber obendrein auch verdammt interessant! Sie grinste in sich hinein und kam nicht umhin, sich in alte Zeiten hineinversetzt zu fühlen. Zu oft hatte sie derartige Ausbrüche erlebt, deren Geschichten und Folgen beobachtet oder recherchiert. Wer so aus dem Nichts, aus dem eigentlich Unverfänglichen heraus, in solchem Maße davonbrauste, wollte noch den letzten Rest des schon andeutungsweise Verratenen verbergen oder zumindest den Schein, der defacto keiner mehr war, in der Not aufrechterhalten. Aber das war Herrn K. hier mächtig missglückt. Bei der Erwähnung seines vermeintlichen Vaters hatte er sie unverhofft, aber sehr gekonnt in Verwunderung versetzt, sie aufhorchen lassen und ihren wieder einmal kitzelnde Kolben in ihrem Gesicht, der schon immer als guter Riecher in prekären Situationen fungiert hatte, Recht gegeben. Hier war was im Busch. Schlagabtausche innerhalb der anderen Kreativgruppe, die ihrer Äußerung vorangegangen waren, hatte sie leider nur am Rande wahrnehmen können, da die Kreditkartenlady sie doch aufdringlicher abgelenkt hatte, als es ihr recht gewesen war. Wie gern hätte sie ihr noch ein paar Federn gezogen. Diese Schickse sah in ihrer dekorierten Pompösität eh schon aus wie ein halbgerupftes Huhn. Ein bisschen weniger Haarspray und dafür ein Spritzer mehr Ehrlichkeit hätten ihr ausgesprochen gut gestanden. Aber nun gut, für diese Art von Aufklärung war jetzt keine Zeit. Es galt Spannenderes, noch Präsenteres zu lösen. Herr K. hatte also mindestens ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Vater und auch mit dem Bruder schien es nicht sehr prächtig zu laufen, dass wenigstens hatte sie noch mitbekommen. Der Doppelzüngigkeit Milenas und Petrs schien sich Herr K. in seinem zufälligen Dilemma nur schwer entziehen zu können, aber eigentlich sah er nicht so aus, als wäre ihm die Trennung von Fiktion und Realität fremd. Oder war vielleicht das das Problem? Konnte er vielleicht nicht mehr unterscheiden und war hin und her gerissen zwischen Wahrem und Falschen? Ja, wirklich, wem sollte man in einer solchen Lage noch trauen können? Neben all diesen Fragwürdigkeiten tat sich noch ein weiteres Rätsel in ihrem Kopf auf. In seiner Entrüstung hatte Herr K. nämlich sein astreines Hochdeutsch zu Tage gefördert, wahrscheinlich konnte er noch nicht einmal bröckelhaft Tschechisch. Was also machte er, erstens, in Brünn und zweitens, warum ging er in einer dermaßen verzwickten Misere wie dieser in ein Seminar für kreatives Schreiben? Aha, jetzt war es klar: Herr K. war verrückt, hirnverbrannt, meschugge, ja, ihm fehlten definitiv haufenweise Tassen im Schrank. Und sie, sie alle waren ja auch nicht besser, sind sie doch einem Geisteskranken auf den Leim gegangen. Plötzlich fiel ihr Blick auf den Doktoranden. Irgendwie wirkte er vergleichsweise entspannt. Sie schielte durch den Kurs und entdeckte mehr oder weniger anstrengend dreinschauende Mienen, die ebenfalls, aber auf ihre Weise über das gerade Ereignete grübelten. Nur der Doktorand wurde für sie in seiner Lässigkeit immer auffälliger. Dieser Schlauberger hatte doch wohl nicht Herrn K. mit ins Boot geholt, um dem Einfallsreichtum der Schreiblinge auf die Sprünge zu helfen? Das würde zumindest seine schnelle, rigorose Wahl für den Angeblichen erklären. Mit stechendem Blick versuchte sie irgendeine verräterische Bewegung oder Regung an ihm auszumachen. Aber nichts da. Er blieb nahezu bewegungslos, fast schon lethargisch, oder war es doch eher einfach nur bettreif? Was war hier los? Oder vielmehr, was war eigentlich mit ihr los? Wurde sie jetzt schon von ihrem eigenen Zinken an der Nase herumgeführt? Lauter Fragen, keine Antworten und der Krater juckte immer fürchterlicher. Wo blieb bloß dieser vermaledeite K.?