RUDOLF HALLER: AUGUST STRAMM Über den Standort August Stramms in der deutschen Literatur scheint sich ein allgemeiner Konsens zu bilden. Er gilt mit seiner Lyrik als konsequentester Verfechter der von seinem Freund Herwarth Waiden propagierten Wortkunsttheorie des «Sturm» und damit als Avantgardist einer extremen Richtung innerhalb des literarischen Expressionismus, die mit ihren form- und sinnauflösenden Tendenzen geradewegs zum Dada hinführt. Andererseits wird gern die geistige Herkunft dieser Wortkunstlehre aus der Theorie und Praxis bei Arno Holz unterstrichen und dann mit einiger Folgerichtigkeit auch der Stilwille bei August Stramm als verspäteter Naturalismus ausgelegt. Im Vordergrund des Interesses an dieser Dichtung steht überwiegend das sprachliche und rhythmische Formexperiment, doch bedeutet dieses für Stramm kein bloßes Stilproblem, sondern schließt ein Ringen um neue Aussageinhalte ein. Das Urteil über den Wert seines Schaffens schwankt zwischen zwei Extremen. Während Lohner (1956) bei August Stramm die Annäherung an das absolute Gedicht sich vollziehen sieht und in seiner Lyrik, neben der von Trakl und Heym, Goll und Beim, «das Bleibende und Gültige expressionistischer Lyrik» vermutet, ist der gleiche Dichter für Muschg (1961) ein «Sprachfolterer» ohne Schöpferkraft «und auch rhythmisch erstaunlich phantasielos». «Die vermeintliche Kühnheit seiner Sprache ist reine Mache mittels sprachlicher Destruktion, ein negatives Beispiel für den Triumph der Technik über die Konvention.» Diese Charakteristik ist nur wegen der abschätzigen Beurteilung anfechtbar, welche die angegebenen Merkmale erfahren. Muschg läßt sich dabei von einem Mißbehagen an der Person des Dichters leiten, in der er wildgewordenes Spießertum unter «harmlos schizophrener Physiognomie verkleidet» zu entdecken meint. Die Schaffensperiode, die durch das erhalten gebliebene Werk bei Stramm überschaubar ist, erstreckt sich auf die kurze Zeitspanne der letzten Jahre vor seinem Tod und läßt insofern auf eine besondere Homogenität schließen. Dennoch ist seine Dichtung auch in ihren formalen Ausdrucksmitteln von einer beachtlichen Variabilität, um nicht zu sagen Uneinheitlichkeit, so daß die Festlegung auf einen bestimmten Stil sich nicht ohne Zwang durchführen läßt. Sie gelingt nur, wenn man einen als vorläufig oder geringwertig beurteilten Teil seines Gesamtwerks ausschaltet. Diese Vielfalt im Formexperiment und den darin enthaltenen wechselnden Stilwillen möchte die folgende Durchmusterung seines Werks verdeutlichen, das außer der Lyrik auch Prosa und Dramen verschiedener Stilrichtungen umfaßt. Aus dem Nachlaß ist das sozialhistorische Drama in 5 Akten Die Bauern bekannt geworden, das der Verfasser im Januar 1905 einem Preisgericht einsandte. In diesem literarischen Erstling macht Stramm unbekümmert Anleihen bei klassischen Dichtungen wie Goethes Götz und Immermanns Münchhausen-Roman. Der Stoff ist Kleists Novelle «Michael Kohlhaas» entnommen, unter Verzicht auf alle romantisch wunderbaren Züge, die einer realistischen Auffassung der Vorgänge entgegenständen. Dem modernen Dichter ist bei seiner Dramatisierung die soziale Tendenz entscheidend: die Notlage des Bauernstandes wird in breiten Erörterungen fast lehrstückhaft dargelegt, die Gegenseite der Bedrücker und Ausbeuter ist schwarz gezeichnet. Der formale Aufbau, der die Akte als Großszenen nimmt, die ausgebreitete Milieuschilderung und die sozialkritische Idee zeigen Stramms Drama vom frühen Gerhart Hauptmann abhängig. Im Gegensatz zur Darstellung der Masse in Hauptmanns Webern ist bei Stramm die Handlung traditionell um einen dramatischen Helden zentriert. Auch die übergroße Personenzahl und das historische Kolorit aus der Zeit des Bauernkrieges zeigen den Rückfall in den ausladenden Stil des historischen Schauspiels, zu dem auch Hauptmann mit Florian Geyer zurückgekehrt war. Konsequenter in den Bahnen des Naturalismus hält sich Stramm mit den beiden nächsten Dramen. Es sind Einakter mit einem Handlungsgeschehen aus der Gegenwart. Der Gatte (1909 verfaßt) zeigt einen punktuellen Lebensausschnitt in der Darstellungsart der Familie Selicke von Holz und Schlaf. Regieanweisungen überwuchern den gesprochenen Text und legen Mimik und Sprechausdruck bis in kleinste Einzelheiten fest. Der Dialog enthält abgebrochene Gesprächsfetzen in banaler Alltagsrede. Die mit Zündstoff geladene Situation, Aufdeckung eines Ehebruchs, ist allerdings heftiger als bei Holz und Schlaf dramatisch bewegt. Der Gatte, der mit zwei Schutzleuten in das möblierte Zimmer eindringt, ist der eigentliche Störenfried. Durch diese Perspektive erhält das Thema unausgesprochen einen Affront gegen die herkömmliche Moral und gelangt an ein tragisches Ende. Der ein bis zwei Jahre später entstandene Einakter Die Unfruchtbaren wird vom Verfasser als Tragikomödie bezeichnet. Die Szene spielt in «Berlin W Gegenwart» unter verbummelten Studenten. Sie erhalten Besuch von ihrem ehemaligen Kommilitonen Rohrbruch, der seine Frau mitbringt. Die entscheidende Szene, ein mißglückter Annäherungsversuch, der im vorgespiegelten Anstand der Studenten sexuelle Heuchelei bloßlegt, ist hinter die Bühne verlegt. Nach dem überstürzten Aufbruch der schockierten Frau Rohrbruch und ihres Gatten bleiben die Gastgeber konsterniert zurück; einer unter ihnen entwickelt den Plan, aus diesem unfruchtbaren Großstadtmilieu auszubrechen, zu heiraten und Bauer zu werden. Zum Schluß fällt das Wort Bodenreform -die Idee des Stückes entpuppt sich als die des Sozialreformers Adolf Damaschke. Der junge Ehemann Rohrbruch hatte seine Kommilitonen zurechtgewiesen: «Ihr seid eine Gefahr für das Ganze ... Heiratet, Kinder, das ist das einzig Richtige. » - Gemäß dem Sekundenstil ist außer dem genau fixierten Bühnenbild auch die Geräuschkulisse, jede Bewegungsnuance und jede Modulation der Stimmen streng festgelegt. Die derbe, um den Studentenjargon bereicherte Alltagssprache kontrastiert mit der angenommenen Feinheit und Geziertheit. Das Milieu ist in seiner inneren Brüchigkeit zwar dramatisch vergegenwärtigt, doch ist die Darstellung, wie bei Hauptmann und Halbe, nur Mittel, um Gesellschaftskritik zu üben und < gesunde Ideale > zu predigen. Für die drei nächsten Dramen läßt sich eine Reihenfolge ihres Entstehens nicht exakt nachweisen. Als Sturm-Bücher erschienen sie möglicherweise in umgekehrter Reihenfolge, da das neueste das wichtigste schien: Sancta Susanna (I, Juni 1914), Rudimentär (II, Juli 1914), Die Haidebraut (IV, September 1914). Die ästhetische Unsicherheit und der künstlerische Eklektizismus Stramms vor seiner Begegnung mit dem Sturmkreis und den neuen Theorien Marinettis sprechen sich gerade darin aus, daß er gleichzeitig an diesen stilistisch so unterschiedlichen Werken gearbeitet hat. Wie bei Gerhart Hauptmann, der von der Neuromantik seiner Versunkenen Glocke zum Fuhrmann Henschel zurückkehrte und in seinem weiteren Werk zwischen heterogenen Einflüssen schwankte, muß man auch bei Stramm nach der gleichbleibenden Konstante suchen, die sich hinter der Stilvielfalt verbirgt. Rudimentär führt den Naturalismus der früheren Stücke weiter. In ärmlicher Dachkammer liegen Mann und Frau im Bett, ihr kleines Kind quer am Fußende, und warten auf den Tod durch das ausströmende Gas. Doch erwacht in beiden wieder der Trieb zum Leben, der Gashahn wird abgestellt, beide ziehen sich schließlich an. Da kommt ein Freund, der Chauffeur, zu ihnen. Während der Mann einkaufen geht, verabredet jener mit der Frau ein Stelldichein. Bei der Rückkehr des Mannes kommt es aus Eifersucht zu einem Streit, der bald wieder beigelegt ist. Der Freund entdeckt dann das tote Kind, und man erklärt ihm nun, aus Lebensüberdruß und Geldmangel den Gashahn aufgedreht zu haben. Als der Chauffeur festgestellt hat, daß kein Gas ausgeströmt ist, fällt der Frau ein, daß es ihnen wegen eines Zahlungsrückstandes gesperrt wurde. Nun herrscht große Freude, ihr Kind ist demnach eines natürlichen Todes gestorben. Erleichtert brechen alle drei auf, um für die letzten Groschen zu feiern. Die wiederum bis in die geringste Einzelheit festgelegten Bühnenmittel, Mimik und Sprechfall im Berliner Jargon schaffen ein dichtes, intensives Zustandsbild. Die Bewegungen und Beschäftigungen der Personen, der rasche, oft unvermittelt hervorbrechende Wechsel zwischen Niedergeschlagenheit, Streit und Jubel geben der spärlichen Handlung Dynamik und Spannung. Die assoziativen Vorstellungsreihen, denen die Personen unkontrolliert nachgeben, sind vom Zufall diktiert. Ihr Interesse springt von einem Gegenstand zum andern, gibt primitiv jedem sinnlichen Eindruck nach. Überzeugend werden damit die Ausweglosigkeit der Situation und die innere Hilflosigkeit dieser Charaktere vergegenwärtigt. Die Worte in den Auseinandersetzungen treffen das Gegenüber wie harte Steine. Püffe und Schläge liefern oft die verständlicheren Argumente. Der auf das Sterben wartende Mann ist dem isolierten Wort, das er auf dem Zeitungsblatt hinter der zerfetzten Tapete mühsam entziffert und falsch betont, nicht gewachsen. Er schlägt mit der Faust auf den Tisch. Später sucht es ihm der Chauffeur zu erklären:«(stellt sich in Positur) Also (gewichtig) rudimentär ... so heest dät... is ... rudimentär ... dät is n Blinddarm ...» Das Wort ist vom Autor zum Symbol für die geschilderten Zustände erhoben, und wie die weiteren Erklärungen des Chauffeurs noch verdeutlichen, enthält der symbolische Titel zugleich eine Kritik an den Verhältnissen des proletarischen Großstadtlebens. In ihrer ans Tierische grenzenden Triebgebundenheit bleibt jede Person für sich; sie vermag der anderen nicht innerlich nahe zu kommen. Zwischen dem Ich und dem Du bleibt eine Kluft, die bloß sexuelle Annäherung nicht überbrücken kann. Das Rudimentäre im Menschen fühlt sich zum Tode reif, ist aber nicht einmal imstande, das gewollte Ende herbeizuführen. So mitleidlos dieses Urteil des Autors auch ausfällt - die Idee ist nicht mehr akzessorisch, sondern ohne Rest in der Gestaltung aufgegangen. Man wird Radrizzani beipflichten, der in dem Stück einen der besten Einakter des Naturalismus erkennt. Die Haidebraut zeigt eine Abkehr vom Sekundenstil; ein Symbolismus Strindbergscher Prägung bekommt die Oberhand. Es handelt sich keineswegs um ein realistisches Heimatstück wie Sudermanns Johannisfeuer (1900) oder Halbes Drama Der Strom (1903). In durchgängiger Symbolik wird der Liebhaber Laszlo dem Dunkel, der Vater des Mädchens Lichterscheinungen zugeordnet. Der wilden, schönen Heide und der Hütte ist eine gesittete Welt mit Garten und Turm als Verheißung des Vaters entgegengestellt. Die Zigeuner handeln und reagieren nach ihrem Instinkt; unbeeinflußt von Reflexionen unterstehen sie der Gewalt der Heide. Erst der Konflikt bringt für das Mädchen Maruschka seelische Unsicherheit; sie vermag im Zwiespalt zwischen den Banden des Bluts und ihrer Bindung an die Heide nicht mehr ihrem triebhaften Eigenwillen zu folgen. - Christoph Hering deutet den ganzen Vorgang als Mysterium. Vater und Mutter, die ihr Kind heimholen, sind für ihn Boten aus einer jenseitigen Welt. Auch Radrizzani glaubt in jenem einen «Jenseitsvater aus Überselbst» zu erkennen. Damit ist jedoch der gleichwertige Rang der elementaren Natur verkannt. Wenn Wind, Sonnenstrahlen und Lerchen als mitspielende Personen genannt werden, bedeutet dies, daß auch der Mensch einen Teil der kosmischen Ganzheit darstellt und seine «Entscheidungen» einer übergeordneten Gesetzlichkeit unterworfen sind. Hering wird durch seine Deutung gezwungen, von der Zwitterhaftigkeit einer Gleichnishandlung zu sprechen, die halb realistische Züge trägt, halb im Symbolischen aufgehen möchte. Tatsächlich ist das Werk ein Spiel mit durchgängig symbolischem Geschehen. Ein Vorgang von unheimlicher Intensität ist trotz der fünf Akte auf die vagen Umrisse einer balladenartigen Handlung reduziert. Von psychologischer Motivation wird kein Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit von Fehldeutungen weist bei diesem Drama jedoch auf ein unvollständiges Gelingen. Lyrisches Drama im Sinne des Symbolismus ist auch Sancta Susanna, Ein Gesang der Mainacht. Der Einakter handelt vom Sinneswandel einer strengen, für heilig geltenden Nonne durch fleischliche Anfechtungen, die in die Klosterkirche von draußen durch das Beispiel eines dörflichen Liebespaares und die Schwüle der Nachtatmosphäre einbrechen. Die Natur ist durch die Geräusche des Windes, die Stimme der Nachtigall und betäubende Düfte entscheidend an dem Geschehen beteiligt. Obwohl Stramm seine eigentümliche Sprachbehandlung - die Isolierung des Einzelworts durch mit Punkten markierte Pausen - beibehält, wird der Dialog stärker noch als in der Haidebraut lyrisch getönt. Verzweiflung entlädt sich ekstatisch in Stammeln oder Schrei, Trancezustände der fassungslosen Seele äußern sich in geistesabwesendem Repetieren: Klementia: Der Nachtwind sang ... Susanna: Der ... Nachtwind ... sang ...? Klementia: Die ... Blüten ... schlugen ... Susanna: Die ... Blüten ... schlugen ...? Klementia: Und ich war jung ... Susanna: Jung ...? Klementia: Dem Herrn geweiht ... Susanna: (läßt den Kopf auf die Brust sinken). Die Worte werden wie Einflüsterungen eines Souffleurs nachgesprochen, doch sickern sie einzeln tief in Susanna ein und setzen einen Erkenntnisvorgang in Bewegung. Susanna verarbeitet den Sinn der Worte und macht ihn sich zu eigen, indem sie sie vom Bezug zur vergangenen Begebenheit löst und statt dessen mit ihrer gegenwärtigen Konfliktsituation verbindet. Dadurch wird der Sprachausdruck seelisch transparent. - Susanna wendet sich an das Bild des Gekreuzigten, doch ihr wahrer Gegenspieler ist die riesige Spinne, die hinter dem Altar hervorkriecht und dadurch, daß sie Susanna auf das Haar fällt, von ihrem Körper Besitz ergreift. Das Geschehen steigert sich von dem geflüsterten Zwiegespräch mit Klementia zu den aufwühlenden Begegnungen mit der sündigen Magd und dem Knecht bis zu dem von Sturmwind und hallendem Echo umtosten Finale des Chors der Nonnen. Susanna folgt dem Schicksal jener lebendig eingemauerten unkeuschen Nonne Beata, deren Rufe sie zu vernehmen glaubt. Während die anderen Nonnen sie als vom Satan Besessene verfluchen, bekennt sie sich in unberührter Hoheit zu ihrer irdischen Natur und verlangt, daß auch für sie die Mauer errichtet wird. An der Figur dieser < Heiligen > interessiert nur ihre Weiblichkeit. Nicht eine Individualität gelangt zum Durchbruch, sondern ein Wesen der Gattung Mensch wird Einflüssen unterworfen, deren sich die Natur bedient, um das unnatürliche Keuschheitsgelübde zu überwinden. So wird Susanna Blutzeuge und Opfer. - Die Vorgänge enthalten kein irreales, wunderbares Element. Das bäurische Liebespaar spricht Dialekt, die Nonnen psalmodieren lateinisch. Die eklige Spinne ist durchaus ein reales Insekt - man darf nicht an Gotthelfs mythische Personifizierung der Schwarzen Spinne denken. Doch transzendiert das Geschehen durch die Symbolik, die den Handlungen und Dingen durch das Zusammentreffen der Umstände beigelegt wird. So wird die Spinne durch den Moment ihres Erscheinens zum bösen Omen, zu einer leibhaftigen Erinnerung an die der unseligen Beata auferlegte Kirchenstrafe. Symbolbedeutung erhalten Vorstellungen wie Entkleiden und Ummauern, Handlungen wie das Verlöschen und Wiederanzünden des Altarlichts. Sie sind wie in der Haidebraut einander kontrapunktisch zugeordnet, je nachdem sie der Welt oder Gegenwelt angehören. Nur ist diesmal die Bewertung von positiv und negativ eindeutig. So wechselt der Begriff der Heiligkeit seinen Stellenwert und erhält dadurch einen neuen Sinn. Wenn Susanna am Hochaltar ein neues Licht entzündet, wird sie zur Trägerin eines schönen, sinnlichen Lebens und zur Märtyrerin für eine Anti-Religion. Der Symbolismus Maurice Maeterlincks liefert nur äußere Anregungen. Susanne trägt Züge des expressionistischen Neuen Menschen, doch erfolgt ihr «Durchbruch» im Hinblick auf ein festumrissenes Ziel. Mehr als in seinem Drama Die Haidebraut demonstriert Stramm hier eine Idee. In Lothar Schreyers Studio-Aufführung auf der Berliner Sturmbühne spielte die Darstellerin der Titelrolle nackt. Die von Herwarth Waiden komponierte Musik mochte das Pantomimische an diesem ekstatischen Spiel noch unterstreichen. Schreyer hat 1948 seine Inszenierung vom Ende des Jahres 1918 als das Signal zum «expressionistischen Theater» gewertet. Auch später hat das Stück, das Paul Hindemith 1922 zur Bearbeitung als Oper gereizt hat, Anlaß zu Theaterskandalen gegeben. Wie sich zeigen ließ, sind Elemente der eigentümlichen Sprachbehandlung Stramms schon vor der Begegnung mit Waiden und Marinetti in seinen symbolistischen und sogar naturalistischen Dramen vorhanden. Im Sturmkreis fand Stramm jedoch die theoretische Sicherheit, anerkennende Bestätigung und den Mut, auf seinem Wege bis ins Extreme fortzuschreiten. Zwei Prosaskizzen sind erhalten, welche die zentralen Themen der beiden Gedichtbände vorwegnehmen. «Warten» gibt den inneren Monolog eines jungen Mannes, der seine Geliebte zum ersten Besuch erwartet. Seine Vorstellungen schätzen sie abwechselnd als Jungfrau und als Dirne ein, sein Vorhaben schüttelt ihn zwischen Lustempfinden und selbstquälerischem Skrupel. Er macht der unerträglichen Spannung mit einem Pistolenschuß ein Ende, als es an seiner Zimmertür klopft. Stärker als Schnitzlers Leutnant Gustl (1900) ist dieses Porträt auf einen kurzen Moment konzentriert und bis zur Katastrophe gesteigert. Zunächst spiegelt sich ruhige Erwartung in vollständigen Satzperioden, doch beschleunigt sich bald der Ablauf zu einem Stakkato zerstückelter Sätze. Die grüblerische Reflexion ist einem durch hastig hervorgestoßene Worte markierten inneren Aufruhr gewichen. Die letzten Worte wirken, als risse ein Strudel in den Abgrund - dann folgt ein phonetisch den Schuß wiedergebender Laut. - Michelsen bezeichnet diese Stilform als «literarischen Pointillismus» und deutet damit ihre Herkunft aus dem Impressionismus an. Ob der innere Monolog seine Grenzen einhält, bleibt auch in der Skizze «Der Letzte» fraglich, da in Stramms Prosa ein Unterschied zwischen nur gedachten und ausgesprochenen Worten nicht erkennbar ist. Der Bewußtseinsstrom des Anführers bei einem Grabenkampf mit dem eindringenden Feind mischt äußere Wahrnehmungen und blitzartig auftauchende Erinnerungen an Vater und Mutter. Hinzu kommen anfeuernde Rufe an die Mitkämpfer, die das Ende jedoch nicht abwenden. Stramm hat auch diese zweite Skizze noch vor Kriegsausbruch verfaßt; ihr Sujet erklärt sich aus der Anregung durch einen Sturm-Beitrag Marinettis. Doch wirkt die Darstellung wie eine Vorahnung des eigenen Schicksals, da Stramm als letzter der von ihm geführten Kompanie den Tod finden sollte. Das einzige Gedicht Stramms, das noch keine Merkmale der neuen Wortkunst zeigt, und darum wohl sein ältestes, ist «Der Marsch». Es handelt sich um die Reproduktion eines Vorgangs im Sinne des Holzschen Kunstgesetzes. Die Begleitmusik wird lautmalerisch wiedergegeben, so daß die Instrumente sich unterscheiden lassen. Hinzu treten die Äußerungen und Gefühle der marschierenden Truppe, untermischt mit Kommandorufen. Ausgesprochenes und stumme Gedanken werden durch Zeichensetzung voneinander geschieden. Es sind charakteristische Reaktionen eines Kollektivs auf die schweißtreibende Mühe des Manövermarsches und die beobachteten Vorfälle und Örtlichkeiten, wobei am Ende der dritten Strophe auch eine obszöne Wendung nicht fehlt. Ein strenges metrisches Schema sorgt für konstant monotone Vergegenwärtigung des Marschtaktes; der stark akzentuierte Wechsel von Hebung und Senkung entspricht dem Zweivierteltakt der Marschmusik und der Tritte. Es wird zwanghaft nur im Marschrhythmus gedacht und gesprochen. Das Ganze untersteht bis in den Einzelvers hinein strengster Symmetrie. Aus Stramms lyrischem Schaffen sind sonst nur Gedichte bekannt, die der Wortkunsttheorie des Sturm entsprechen. Die älteren Gedichte, die ihm 1914 nicht mehr genügten, muß Stramm vernichtet haben. Auf den lyrischen Neubeginn nimmt er Bezug in einem Brief an Her warth Waiden, eine Woche nach seinem ersten Besuch in dessen Wohnung; am 8. April 1914 schreibt er: «Der gehört wie der zusammenfassen wollte. Ohne Anfang und ohne Ende! Der Zyklus ist aber noch sehr unfertig und vieles erscheint mir erst recht jetzt sehr unwertig.» Die beiden erwähnten Gedichte wurden mit «Urwanderung» und «Der Ritt» im zweiten Aprilheft 1914 des «Sturm» gedruckt. Dazu kamen im ersten Juniheft «Mairegen» und «Gewitter», im ersten Augustheft «Der Morgen». Nachträglich nahm die Septembernummer 1917 noch «Kirchgang» und «Unentschlossen» auf. Das Gedicht «Unerwidert» wurde erst durch Radrizzani (1963) nebst Faksimile der Handschrift veröffentlicht. Alle diese Gedichte sind nicht in den ersten Zyklus Du aufgenommen und bilden demnach eine Gruppe von Frühdichtungen, die zum Nachlaß des Dichters gehört. Das Gedicht «Schwermut» hat Waiden offenbar im Druck von 1915 eigenmächtig ausgelassen; daher fügt es Radrizzani dem Zyklus wieder ein. Jedenfalls war im Brief Stramms vom 14. Januar 1915 von einunddreißig Gedichten die Rede. Während dieses Urlaubstages in Berlin wurde der Band vom Dichter zusammengestellt, so daß die Komposition der Sammlung nicht auf Waiden allein zurückgeht. Anders steht es um die Reihenfolge in Tropfblut (1919), der keine Authentizität zukommt, da Stramm daran unbeteiligt war und den Druck nicht mehr zu sehen bekam. Aus dieser Anordnung dürfen weder Rückschlüsse auf Folge und Sinnbezug der einzelnen Gedichte gezogen, noch kann sie einem Nachlassen der Schöpferkraft des Dichters angelastet werden. Waiden füllte als Herausgeber den postumen Zyklus sogar mit einigen der genannten Frühgedichte aus dem Nachlaß auf, die keineswegs in eine Sammlung von Kriegsgedichten passen. Radrizzani verfährt konsequent, wenn er in seinem neuen Abdruck von Tropfblut die Frühdichtungen wieder ausscheidet und dafür die von Waiden nicht berücksichtigten Kriegsgedichte «Feuertaufe», «Kampfflur» und «Angststurm» einbezieht. Die Reihenfolge bei Radrizzani entspricht nun dem Erstdruck der Gedichte im «Sturm» und damit auch ihrer ungefähren Entstehungszeit. Allerdings trifft der Untertitel «Gedichte aus dem Krieg» sicherlich die Intentionen des Verfassers; die Kongruenz zum Untertitel«Liebesgedichte» der ersten Sammlung ist offensichtlich. In den ersten Gedichten vom Typus der neuen Wortkunst hat der Dichter noch Mühe, sich vom «geheimen Leierkasten» eines unterschwelligen jambischen Versganges zu befreien («Urwanderung», «Tanz», «Der Ritt»). Auf der Endstufe des konkreten Gedichts stellt Stramm die Zeile aus Wörtern als Lautmaterial ohne das geringste metrische Schema zusammen; nur die natürliche Betonungsschwere der Wörter ist maßgebend. Der Rhythmus ist für jede Zeile eigengesetzlich. Damit führt Stramm die von Holz in der Revolution der Lyrik (1899) entwickelten Vorstellungen vom Rhythmus konsequent weiter. Holz definierte die neue Dichtung als eine «Lyrik, die auf jede Musik durch Worte als Selbstzweck verzichtet und die, rein formal, lediglich durch einen Rhythmus getragen wird, der nur noch durch das lebt, was durch ihn zum Ausdruck ringt». Reim, Strophe, Alliteration und Assonanz verwirft Holz als Zubehör eines abgewirtschafteten Systems. Der notwendige Rhythmus entsteht für ihn aus dem natürlichen Sprechton und aus der Erkenntnis, daß Wortstellung und Pause gleichfalls wesentliche Elemente sind. Wie die Phantasus-Fassung von 1898 ist auch Stramms Gedicht künftig aus der Einzelzeile als rhythmischer Einheit aufgebaut; es enthält in den meisten Fällen keine vom Wort unabhängige rhythmische Eigenbewegung des Verses. Das ergibt etwas ganz anderes als die rhythmisch-melodischen Wellen in Zeilenkompositionen, wie bei Ernst Stadler. Am ehesten sind manche Zeilengedichte der Lasker-Schüler vergleichbar. Ebenso fern hält sich Stramms Gedichtkonzentrat aber auch vom lässigen Parlando-Stil früher Lyrik Benns. Stramm entnahm der Holzschen Theorie, die er womöglich erst auf Waldens Hinweis studierte, nur die Gedanken über den Rhythmus. Sonst löst er sich in seiner Lyrik mehr und mehr von der Umweltbeobachtung und erstrebt statt Reproduktion eine selbständige Art des Gestaltens. Das entsprach Waldens Wort zum Ersten deutschen Herbstsalon (1913), die Kunst sei Gabe und nicht Wiedergabe. Einerseits kann dies zu einem konkreten Vorgang im Gedicht hinführen, andererseits zur Abstraktion. Kandinsky sprach von der großen Realistik und der großen Abstraktion als zwei Polen, die zum gleichen Ziel führen. Stramm ist beide Wege, den der Konzentration und der Dezentration, gleichzeitig gegangen. Merkwürdig ist, daß auch Arno Holz bei dem Versuch, in den späteren Phantasus-Fassungen von 1916 und 1925 die Natur zu verworten, durch ein übermäßiges Aufschwellen des Konkreten auf seine Weise zum Abstrakten gelangte, so daß die Sätze ihre sachliche Aussagesubstanz einbüßten. Für die Befreiung Stramms vom Naturalismus scheint Wassilij Kandinsky mitverantwortlich zu sein. Mit ihm wurde der Dichter auch persönlich bekannt. Waldens Kunstausstellungen zeigten seine Gemälde, der «Sturm» nahm 1913 literarische Beiträge von ihm auf. In Kandinskys Theorie wurde die Kunst als geistige Schöpfung von jeder Naturnachahmung getrennt. Die neue «Kunst verkörpert das zur Offenbarung gereifte Geistige» («Über die Formfrage», 1912). Selbst die abstrakte Kunst folgt «kosmischen Gesetzen». Kandinsky hat das Verhältnis Kunst-Natur neu durchdacht. «Wer weiß, vielleicht sind unsere , aber keine , wodurch sie eine klare Stimme besitzen.» Für tendenziöse Ideen war in solcher Kunst kein Raum mehr. Kandinsky hatte auf Maeterlincks Dichtung hingewiesen. Seine Interpretation liest sich wie eine Erläuterung zu der von uns angeführten Dialogstelle aus Stramms Sancta Susanna: «Geschickte Anwendung ... eines Wortes, eine innerlich nötige Wiederholung desselben, zweimal, dreimal, mehrere Male nacheinander, kann nicht nur zum Wachsen des inneren Klanges führen, sondern noch andere nicht geahnte geistige Eigenschaften des Wortes zutage bringen. Schließlich bei öfterer Wiederholung des Wortes verliert es den äußeren Sinn der Benennung. Ebenso wird sogar der abstrakt gewordene Sinn des bezeichneten Gegenstandes vergessen und nur der reine Klang des Wortes entblößt. Diesen am 11. Juni 1914. Danach gilt für Stramm als letzte Instanz das Gefühl. Intuition bildet die Grundlage für seine Dichtung, aber an der Herstellung des Textes wird das Bewußtsein entscheidend beteiligt. Die erhaltenen Gedichtvorstufen gewähren Einblick in einen mühsamen Schaffensprozeß, der über zahlreiche Textvarianten verläuft. Die stilistische und kompositionelle Eigenart läßt sich an jedem Gedicht zeigen: Begegnung Dein Gehen lächelt in mich über 1 Und 2 Reißt das Herz. 3 Das Nicken hakt und spannt. 4 Im Schatten deines Rocks 5 Verhaspelt 6 Schlingern 7 Schleudert 8 Klatscht! 9 Du wiegst und wiegst. 10 Mein Greifen haschet blind. 11 Die Sonne lacht! 12 Und 13 Blödes Zagen lahmet fort 14 Beraubt beraubt! 15 Die erste Zeile leitet richtungweisend vom Du zum Ich. Dein und Mein (Zeile 1 und 11) stehen einander getrennt gegenüber; zwischen den Gegensätzen Mann und Weib kommt es nur zu einer flüchtigen, folgenlosen Begegnung. Die Situation erinnert noch entfernt an Ich-Lyrik aus der Perspektive einer Manneserfahrung. Doch soll nicht ein einmaliges Erlebnis, sondern das Allgemeingültige solchen Begegnens gestaltet werden. Das weibliche Wesen besteht aus Gehen, grüßendem Zunicken, das zu Nicken verkürzt ist, und einem Sichwiegen in den Hüften. Es sind den Mann provozierende Handlungen, doch wirkt nicht etwa die Frau mit ihnen, sondern das Tun wird durch die Substantivierung der Verben absolut gesetzt und entledigt sich so des personalen Handlungsträgers. Dazwischen schieben sich, in gleicher Art verformt, Handlungen des Mannes: zunächst mehr erleidend, betroffen, dann aktiver, aber zu seinem Schaden irgendwie ziellos und gehemmt. Eine Zeile über die Natur (12) ist eingeblendet. Heller Tag beleuchtet die Situation - aber auch die Sonne scheint den Blöden zu verhöhnen. Am Ende steht, pathetisch durch Wortwiederholung hervorgehoben, wie ein Urteilsspruch das Erkennen einer ungenutzten Möglichkeit. Die Komposition nutzt Sprachelemente zu tektonischem Aufbau. «Dein Gehen», «Das Nicken» bildet als Verdoppelung polar die genaue Entsprechung zu «Mein Greifen», «Blödes Zagen». Zweimal ist ein Vers einsilbig mit der bloßen Konjunktion «und» ausgefüllt (2 und 14); das bewirkt Retardieren und nachdrücklichen Hinweis auf den nächsten Vers. Zweimal erscheint auch Wortwiederholung, doch dient sie im Schlußvers dem Ausdruck einer endgültigen Zeitdauer, während sie im Vers 10 bei syndetischer Verwendung iterativ zu verstehen ist. Verbformen überwiegen so sehr, daß sie zu allen anderen Wortklassen zahlenmäßig fast im gleichen Verhältnis (19:21) stehen. Die eigenartige Kombination der Verba ist geradezu stilbestimmend: «Gehen lächelt», «Nicken hakt», «Schlingern schleudert», «Greifen haschet», «Zagen lahmet». Man wird deshalb etwa den dritten Vers «Das Nicken hakt und spannt» nicht als Metapher im üblichen Sinn nehmen dürfen. Es soll nicht bildlich, sondern als unmittelbar wirksame Folge des Nickens im Gegenüber das Festhaften und die gespannte Erregung ausgedrückt werden. Die Verben sind jedoch meist ihrer gewohnten Bedeutungssphäre entfremdet, etwa «klatscht» im Vers 9. Um so aggressiver wirkt ihr konkreter Sinn bis ins Lautliche. Man mag das pantomimisch nennen, da alles stumm bleibt. Es bilden sich Lautreihen aus Konsonanten und Vokalen - «Schlingern / Schleudert / Klatscht» -, deren männliche Schwerfälligkeit mit der leichten Wiegebewegung der Frau in der nächsten Zeile kontrastiert. Die kühne Wendung der Zeile 5 ist gleichfalls nicht metaphorisch, sondern konkreter Ausdruck dafür, daß das Sichverhaspeln nicht durch die direkte Berührung, sondern nur durch den Blick geschieht. Herz, Rock, Schatten, Sonne sind die einzigen Dingwörter. «Blind» steht in Zeile 11 für blindlings. Die Wahl der zweisilbigen Verbform in 11 und 14 («haschet», «lahmet») ist rhythmisch bedingt. Der Satzbau strebt Konzentration an. Die Schlußzeile ist ein verkürzter Satz, aber auch Sätze wie «Dein Gehen lächelt in mich über» umfassen zwei Tätigkeiten in grammatisch fehlerhafter verkürzter Form. Doch ist der Sinn vom Leser ohne Schwierigkeit aufzunehmen. Mehrdeutig ist die Satzkonstruktion höchstens in der Passage Zeile 5 bis 9. «Schlingern» ist das Subjekt, und die Zeilen 8 und 9 geben zwei asyndetisch gekoppelte Tätigkeiten dazu, während die Zeilen 5 und 6 eine adverbiale Bestimmung darstellen. «Verhaspelt» ist dann Partizip in präsentischer Bedeutung wie sich verhaspelnd. Doch ist analog den Verbformen der Zeilen 8 und 9 auch die dritte Person Singular als Verkürzung für das Reflexivum < verhaspelt sich> nicht auszuschließen; dann bilden die Verben Zeile 8 und 9 einen Nachtrag. Für den Sinn der Satzperiode macht beides kaum einen Unterschied. Nur wäre im ersteren Fall die im Deutschen geforderte Wortstellung adverbiale Bestimmung - Prädikat - Subjekt zugunsten einer Reihenfolge Subjekt - Prädikat aufgegeben. Die Sammlung Du zeigt den Eros eingespannt zwischen Erde und Himmel, zwischen natürlichem Trieb und einem Eintauchen in Gott. Es fehlt in diesen Liebesgedichten jede Innerlichkeit einer seelischen Vereinigung. Stramm bewegt sich am Rande des Extremen; doch bleibt fraglich, ob man mit Michelsen bei ihm von einem pseudomystischen All-Erlebnis sprechen darf. Allmacht Forschen Fragen 1 Du trägst Antwort 2 Fliehen Fürchten 3 Du stehst Mut! 4 Stank und Unrat 5 Du breitst Reine 6 Falsch und Tücke 7 Du lachst Recht! 8 Wahn Verzweiflung 9 Du schmiegst Selig 10 Tod und Elend 11 Du wärmst Reich! 12 Hoch und Abgrund 13 Du bogst Wege 14 Hölle Teufel 15 Du siegst Gott! 16 Auffallend ist die streng symmetrische Komposition, die auch ohne Stropheneinteilung oder Reim Doppelverse bildet. Die nachfolgende Zeile gerader Zählung antwortet jeweils positiv auf den abgewerteten Bereich unruhiger Bewegungen und negativer Bestimmungen und Begriffe. Nur das mit Gott identifizierte Du ist genannt; das Ich ist impersonal, in den Tätigkeiten und Wort, das Form und Sein im Absoluten gleichsetzt. In den geglückten Fällen bestehen auch seine Gedichte aus (faszinierend montierten) Worten, die in ihrer rhythmischen Klanggebärde Form und Geist vereinen. Geboren am 29.Juli 1874 in Münster i.W., Sohn eines Feldwebels und späteren Obertelegraphenrevisors. Von der Mutter her katholisch. Besuchte Gymnasien in Düren, Eupen und Aachen. Trat 1893 als Eleve bei der Reichspost ein. Nach Militärdienstzeit 1897 im Seepostdienst Bremen-Newyork. 1902 Heirat. 1905 im höheren Postdienst nach Berlin versetzt, dort Gasthörer an der Universität bis 1908. Promotion zum Dr. phil. 1909 in Halle. Dissertation über Fragen des Weltpostvereins, gedruckt als Das Welteinheitsporto."Wohnung in Berlin, dort Ende 1913 Verbindung zu Herwarth Waiden und Bekanntschaft mit den Ideen Marinettis. Schaffen im Geiste des Sturm-Kreises. Bei Kriegsausbruch als Reservehauptmann eingezogen. Anfangs an der Westfront, seit Ende April 1915 an der Ostfront. Gefallen in den Rokitno-Sümpfen (Rußland) am 1. September 1915. Werke: Sancta Susanna, Drama, 1914; Rudimentär, Drama, 1914; DieHaidebraut, Drama, I9r4; Erwachen, Drama, 1915; Kräfte, Drama, 1915; Du, Liebesgedichte, 1915; Geschehen, Drama, 1916; Die Unfruchtbaren, Drama, 1916; Die Menschheit, Dichtung, 1917; Tropfblut, Gedichte aus dem Krieg, 1919; Dichtungen, 2 Bde., 1920-21; Weltwehe, Dichtung, 1922. Vollständige Ausgabe: Das Werk, hrsg. von Rene Radrizzani, 1963. Briefe in: Der Sturm. Ein Erinnerungsbuch an Herwarth Waiden und die Künstler aus dem Sturmkreis, hrsg. von Neil Waiden und Lothar Schreyer, 1954. Autographen: Universitätsbibliothek Münster i.W. Sekundärliteratur: Werner Rittich, Kunsttheorie, Wortkunsttheorie und lyrische Wortkunst im «Sturm», Diss. Greifswald 1933; Christoph Hering, Gestaltungsprinzipien im lyrischdramatischen Werk August Stramms, Diss. Bonn 1950; Thea Pokowietz, «August Stramm», in: Expressionismus, hrsg. von Hermann Friedmann und Otto Mann, 1956; Chr. Hering, «Die Überwindung des gegenständlichen Symbolismus in den Gedichten August Stramms», in: Monatshefte (Madison), Bd. 51, 1959; Clemens Heselhaus, Deutsche Lyrik der Moderne, i960; Richard Brinkmann, «Zur Wortkunst des Sturm-Kreises», in: Unterscheidung und Bewahrung, Festschrift für Kunisch, 1961; Walter Muschg, Von Trakl zu Brecht, 1961; Peter Michelsen, «Zur Sprachform des Frühexpressionismus bei August Stramm», in: Euphorion, Bd. 58, 1964; R. Brinkmann: «(Abstrakte) Lyrik im Expressionismus und die Möglichkeit symbolischer Aussage», in: Der deutsche Expressionismus, hrsg. von Hans Steffen, 1965; Armin Arnold, Die Literatur des Expressionismus, 1966. In: Rothe, Wolfgang. Expressionismus als Literatur. Gesammelte Studien. Bern—München: Francke, 1969. S. 232-250.