Albrecht Weber: Georg Trakl: Verfall Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten, Folg ich der Vögel wundervollen Flügen, Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen, Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten. Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten Träum ich nach ihren helleren Geschicken Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken. So folg ich über Wolken ihren Fahrten. Da macht ein Hauch mich vom Verfall erzittern. Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen. Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern, Indes wie blasser Kinder Todesreigen Um dunkle Brunnenränder, die verwittern, Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen. „Am Abend“ — ein voller vokalischer Akkord setzt ein. Etwas Beruhigendes und Bergendes geht von ihm aus. Des Tages Hast verklingt, des Tages Ziele sind erreicht oder unerreichbar geworden. Der Mensch fühlt Frieden. Glocken verkünden und stimmen läutend an die begnadete Ruhe des Alls, die gesegnete Stille der Nacht. „Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten …“ Der Mensch sieht nun von den Vordergründen des Tages und des Ichs als von vorläufigen Helligkeiten ab, kommt zu sich, indem er den Abend schaut und sinnt. Mit Einstimmung und Einklang in das kosmische Geschehen wird er fähig, das „Wundervolle“ zu erfahren, das sich jenseits des „Dämmervollen“ begibt, welches nun „am Abend“ auf Garten und Erde, auf Wege und Wandlungen sinkt. Der gepflegte Garten, dieses dem Menschen gewonnene Stück Diesseits, in dem der späte Schauende „dahinwandelt“, hüllt sich in Dämmer. Das Irdische will sich mehr und mehr entziehen. Am Horizont aber leuchtet noch Licht, in das hinein Scharen von Vögeln ziehen. Der Schauende folgt ihrem Flug. Sie streben in die Weite, die der Herbst klärt und wohl auch verklärt: Klarheit und Verklärung der Reife. Nach ihrem Gesetz geschieht im Herbstabend die Scheidung: Stoffliches, Vitales, Schweres fällt ins Irdische, in die Farbe der Nacht und „verfällt“, Geistiges und Leichtes, vom Wesen des Überirdischen, ordnet sich dem Licht zu, das entweicht. Der Zurückbleibende „folgt“ den „wundervollen Flügen“. Er schaut den Vogelscharen nach, sein Herz geht mit, er „folgt“ ihnen, die in die „herbstlich klaren Weiten entschwinden“. Sie dürfen „ihren helleren Geschicken“ zueilen; denn sie sind des Fluges fähig, der Enthebung über Erdenschwere, hinauf über das Begrenzende, „über Wolken“, hinein in das grenzenlos Gültige. Sehnsüchtig und gebannt „folgt“ der Mensch. Es ist ein geistiges Folgen. Er „träumt“ dem Obergang in das Gültige nach, „ihrem“ besseren Schicksal. Er vergißt die Zeit und den eigenen Fort-Schritt in den Dämmer. „Und fühl' der Stunden Weiser kaum mehr rücken.“ Der Schauende ist der Erde und ihrem Wesen, der Zeit, entrückt. Im Anschauen rührt er an gültige Klarheit. Die Flüge der Vögel werden ihm „wundervoll“, der Wunder voll. Sie werden Zeichen, wie in uralten Auspizien. Sie weisen aus der Ebene des Logos und Chronos in das Reich des Mythos. Der Sinn ruht im Bild. Der in die kosmischen Mythen Einstimmende analysiert nicht, zerlegt und zerdenkt nicht, er schaut und weiß. Sein Wissen ist ursprünglich, erlebtes Wissen. Er schaut die Zeichen und weiß das Gleichnis: „gleich frommen Pilgerzügen“. Das ist die Frömmigkeit rechten Hinüberschwindens in das hellere Dasein, das Wesen des Frommseins, das der Pilger hat. Es bleibt ein Gleichnis; denn kosmische Mythen sind kein Weg mehr in einer Welt, deren Abende von christlichen Glocken angestimmt werden. Eine innere Grenze ist berührt. Da wird der Schauende seiner Entrückung bewußt, erkennt, daß er hier im begrenzten, „dämmervollen Garten wandelt“ und den Vögeln nur mit den Augen „folgt“. So nimmt er denn den Auftakt mit „So folg ich ...“ wieder auf, die Quartette auch inhaltlich rundend. Volle Vokale tragen diese Klänge, alliterierend in F, V und W. Da spricht nichts von Erregtheit, von Morbidität, da ist nichts von Verfall; auch nicht in den klingenden Reimen, die jedes der Quartette umfassen (abba cddc). Unirdisch wirken die Farben: „dämmervoll … klar … heller“ — eigentlich keine Farben, sondern Stärken des Lichts; denn der Schauend-Träumende beobachtet nicht. „Da macht ein Hauch …“ Und siehe, welche Erschütterung! Das Reimgefüge ordnet sich um, die weiterhin klingenden Reime der Terzette finden sich kreuzend zu Terzinen. Die Farben werden wieder wirklich, werden rot und rostig, blaß und dunkel, sie entmischen sich, Grün, der Ausgleich, fehlt, der letzte Blick verliert sich ins Blau, der himmlischen Farbe, die enthebt, der Herzfarbe Trakls. Die Wirklichkeit kehrt ins Bewußtsein. Die Entrückung schlägt um in Empfinden gegenständlicher Diesseitigkeit, in Zittern, Klagen, Schwanken, Rosten, Verwittern, Frösteln und endet im Neigen vor dem Unausweichlichen. Ernüchtert wird der Garten gesehen, das Einzelne beobachtet und festgestellt. Die Erdendinge bekommen Gewicht, ja Übergewicht. Die Amsel, nun die genaue Bestimmung im Gegensatz zu den „Vögeln“ vorher, der schwarze Vogel „klagt“ von „entlaubten Zweigen“. Die Bäume haben, herbstlich, das Laub, ihr Organ zu atmen und zu leben, verloren. Sie stehen nackt. Dies Entlaubtsein wird jäh und schrecklich wahrgenommen. Eisengitter verfallen; sie rosten und bieten dem auch schon verfärbten, „roten Wein“ kaum noch Halt. Selbst die Brunnen, edle Gefäße des ewig Quellenden, vergehen im Wechsel der Wetter: sie „verwittern“. Sogar Stein zerfällt in die Elemente. Das Bild von Kindern taucht auf; allein es ist kein Bild des Lebens und einer blühenden Zukunft; sie sind blaß und tanzen dem Tod einen Reigen, ein schauerliches Bild wie aus einem Totentanz des Mittelalters. Nicht die Pflanze dient hier als Gleichnis des Menschen, umgekehrt, der Mensch gibt wieder, wie bei den „Pilgerzügen“, das Beispiel nur für den kosmischen Vorgang, der mehr ist. Der Mensch scheint nur Element, aufgehend im Kosmos, dessen Fatum unterworfen. Mit dem kalten Hauch, am Eingang der Terzette, verschwindet die Aussage in der ersten Person. Das Ich, das träumend zu seinem besseren Teil fand, wird Objekt. Ein ursprüngliches Es dringt vor, der Mensch hat weder Stand noch Eigenwert, die Welt um ihn her ist jeder Dauer ledig, verfällt ungehemmt, und er vermag nichts, als diesem Verfall menschliches Gleichnis zu geben, mit menschlichen Augen zu sehen. Unter dem Klageruf des schwarzen Vogels tanzen die Astern, todkranken Kindern gleich, deren Blüte gebrochen ist, einen Reigen, frierend im kalten Wind, dem letzten und äußersten Element in der Welt Trakls, stofflos, Bote aus eisigem Weltraum. Aus dem Traum, aus beflügelter Sehnsucht stürzt der Mensch in entlaubte Wirklichkeit, deren Wahrheit Tod heißt. „Ein Hauch“, ein leises Rühren der Luft, genügt: eine Sekunde lang... plötzlich... „da“. Erschütterung quert das Herz. Der „hellere Geschicke“ Schauende „erzittert“ betroffen. Abend und Herbst oder genauer: Abend im Herbst — es sind die Gezeiten Georg Trakls. In diesem Zeichen sieht er die Welt. Kaum ein Gedicht ohne den bitteren Grundton, ohne die Grundfarbe Schwarz. Die Welt ist immer Übergang, für Trakl aber nur vom Tag in die Nacht, von der Blüte in den Frost, vom Leben in den Tod. Tages- und Jahreszeiten decken sich im Zeichen des Vergehens, keinesfalls zufällig. Beide, Abend und Herbst, reichen vor und zurück, haben Teil an beiden Bereichen, an Helle und Dunkelheit. An der Grenze des Doppelbereichs, zugewandt dem Nächtigen, siedelt Trakls Dichtung. Am Verfall der Welt erfährt der Mensch die Vergänglichkeit. Wohl versucht er, in Sehnsucht und Traum dieser Wirklichkeit zu entrücken. Es gelingt nicht, weil der Glaube nicht hält. Der Rückfall auf das Vergehende ist darum endgültig. Ausweglos scheint der Mensch ins Zeitliche geworfen. Sein Schicksal ist unausweichlich. So leistet hier der Mensch nichts? Verzweifelt er einfach? Resigniert? Er spürt das Dunkel Einbrechende als das Letzte, vor dem er nicht Stellung bezieht — und doch hält er das verfallende Dasein noch zusammen. Noch sagt er den Verfall gemessen aus, in betonter Form, die noch das Zerstörende bannt: im Sonett in Moll. Albrecht Weber Hirschenauer, Rupert Weber, Albrecht (Hg.) . Wege zum Gedicht. München Zürich: Schnell und Steiner, 1965. S 349–358. Hermann Korte: Georg Trakt: »Verfall« Georg Trakl — er stammte aus bürgerlichem Hause und war Sohn eines reichen Eisenhändlers in Salzburg - ist einer der Dichter des Expressionismus, die unangefochten seit Jahrzehnten zum Kernkanon deutschsprachiger Lyrik des 20. Jahrhunderts gehören. 1887 geboren, wurde er bei Kriegsbeginn Militärapotheker in Galizien, das damals ein Teil der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie war, und starb am 4. November 1914 im Garnisonsspital Krakau an einer Überdosis Gift. Der Pharmazie-Student in Wien und spätere >k.u.k. Medikamentenbeamte< Trakl, der eine Zeit lang auch in Innsbruck lebte, arbeitete an Zeitschriften mit, die sich, wie der Brenner, auch jungen Lyrikern aus dem Umfeld des Expressionismus öffneten. 1913 erschien in Kurt Wolffs Reihe Der jüngste Tag sein erster Gedichtband mit dem schlichten Titel Gedichte, der 1917 nachgedruckt wurde. 1915 erschien Trakls zweiter und letzter von ihm selbst zusammengestellter Gedichtband unter dem Titel Sebastian im Traum. Trakl hatte seine Gedichte im März 1914 an den Verleger gesandt und sein Gedichtbuch sowie seine Texte wie eine musikalische Partitur geschrieben, bis hin zu Assonanzen und Alliterationen, die über die einzelnen Gedichte hinausgreifen und diese durch eine kompositionelle Struktur miteinander verbinden. Die >Töne< korrespondieren mit dem Zentralmotiv des Schweigens; die Stille ist nicht nur ein Thema, sondern wird auch ein immer wieder variiertes Basiselement vieler Gedichte. Schon 1917 kam bei Wolff die erste Gesamtausgabe TRAKL'scher Dichtungen heraus: ein Zeichen für die große Resonanz und den frühen Ruhm des Dichters, dessen Rezeption nach der Wende zum lyrischen Traditionalismus 1930 und 1938 nach der Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich anhielt (noch 1939 bzw. 1941, mitten im Kriege, erschienen die 4. und 5. Auflage der Gesamtausgabe). Nach seinem frühen Tod 1914 wurde der Dichter wie Heym für die expressionistische Dichtergeneration eine Kultfigur, eine schon im Leben vom Tode gezeichneten Dichterexistenz, ein Frühvollendeter, wie Novalis und Büchner. Trakls Lyrik charakterisiert ein dichtes Netz von intertextuellen Werkverweisen, von Motiven, Bildern, Farbattributen und -metaphern, sprachlichen Wendungen, mythologischen und christlichen Anspielungen, syntaktischen Analogien und metrischen Vers- und Strophenmustern, die immer wieder aufgegriffen werden, einmal als Wiederholungs-, ein andermal als Kontraststruktur. Am Gedicht »Verfall«^101 einem 1913 in den Gedichten veröffentlichten Text, soll der intertextuelle Dialog der Gedichte innerhalb des TRAKL'schen Werkes näher untersucht werden. Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten, Folg ich der Vögel wundervollen Flügen, Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen, Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten. Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten Träum ich nach ihren helleren Geschicken Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken. So folg ich über Wolken ihren Fahrten. Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern. Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen, Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern, Indes wie blasser Kinder Todesreigen Um dunkle Brunnenränder, die verwittern, Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen. Das Gedicht, das sein Thema so plakativ umreißt und es doch in den Quartetten des Sonetts verschweigt, ist das Eingangsgedicht des Gedichtbandes und gehört zum Abschnitt Schöne Stadt. Als Herbstgedicht, das zunächst unmerklich, dann nach dem ersten Vers des ersten Terzetts mit deutlichem Akkord von Verfall spricht (Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern), lässt es sich dem Genre des Jahreszeitengedichts zuordnen und erinnert an Georges Park-Gedicht. Anklänge an die Dichtung der Jahrhundertwende sind recht deutlich, etwa im Traum- und Brunnenmotiv, in Anspielungen auf Reigen, Garten und die herbstlichen Astern. Anders als bei anderen Expressionisten steht die Konvention der Form noch kaum in einem Spannungsverhältnis zum Gedichtgegenstand; das Sonett mit seinen fünfhebigen Jamben zeigt noch keine Ansätze zur Verfremdung der Strophen und Reimform. Zur Sorgfalt der Sonettproduktion gehören auch die bis ins Detail ausgearbeiteten Enjambements, Zäsuren, Alliterationen, Assonanzen, Wiederholungen (folg ich) sowie die vom 11. Vers komplexer werdende Gestaltung der Strophe (mit zwei Zäsuren und einem Enjambement) und Komplizierung der syntaktischen Struktur, die das Hyperbaton (die Trennung grammatisch eng zusammengehöriger Satzteile) im vorherigen Vers einleitet: Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern. Das in der ersten Strophe präludierte Abend- und Friedensidyll verkehrt sich in der Schlussstrophe zu einem verschachtelten Vergleich, der eine schlichte Beobachtung, die sich im Winde neigenden Astern, in eine komplexe Bildlichkeit transformiert (wie blasser Kinder Todesreigen / Um dunkle Brunnenränder, die verwittern). Es scheint, als sei die friedliche Atmosphäre des Anfangs, in die sich das lyrische Ich mit seinen Empfindungen noch harmonisch einfügt, in den Quartetten nur deshalb aufgerufen, damit sie in den Terzetten umso konsequenter wieder zurückgenommen werden kann. Die Quartette bauen eine Einheit visueller, akustischer und emotionaler Wahrnehmung auf, die in den Versen 7 und 8 fast bis zur Empfindung stillgestellter Zeit (fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken) und räumlicher Entgrenzung (folg über Wolken ihre Fahrten) reicht. Erst dann setzt eine schrittweise Negativierung ein, die von der ersten, kaum spürbaren und doch irritierenden Wahrnehmung - Hauch [... ] von Verfall - rasch zum Motiv der Klage und des Klagelieds führt und nun auch das Jahreszeitenthema ungleich kräftiger entfaltet (in den entlaubten Zweigen; der rote Wein an rostigen Gittern; fröstelnd blaue Astern). Bleibt das erste Terzett noch weitgehend in Korrespondenz zu den Quartetten auf der Ebene visueller und akustischer Wahrnehmung, erweitert die letzte Strophe den Gedichtgegenstand und verbindet ihn mit dem Motiv des Todesreigens und der Todesassoziation, das die im zweiten Quartett entworfene positive Traumperspektive (Träum ich nach ihren helleren Geschicken) zunichte macht. Der im Gedicht »Verfall« anschauliche pejorative Prozess, der eine Idylle in Verfall, die Sicht auf herbstlich klar[e] Weiten in düstere Melancholie und eine Traumsphäre in Todesahnung umformt, strukturiert die prozessuale Entwicklung des gesamten TRAKL'schen Werkes. Im direkten Bezug zum Gedicht »Verfall« lässt sich dies an einer Reihe späterer Texte demonstrieren. Schon die Wendung des ersten Verses, der Satzbeginn mit Am Abend, kehrt bei Trakl wieder, nun freilich nicht mehr in der Koppelung mit dem Motiv der Abendidylle. Am Abend: Schritte gehn durch schwarzes Land, heißt es im Gedicht »Verwandlung«. Im Gedicht »Trübsinn«, das die Melancholie der letzten Strophe von »Verfall« motivisch konsequent entfaltet, wird der Abend mit dem traditionsreichen melancholischen Gestirn des Saturns verbunden: Am Abend wieder über meinem Haupt / Saturn lenkt stumm ein elendes Geschick. Trakls »Abendlied« hebt mit dem dunklen Stimmungsbild an: Am Abend, wenn wir auf dunklen Pfaden gehen, / Erscheinen unsere bleichen Gestalten vor uns. Und im Gedicht »Die Verfluchten« schließlich verknüpft der Dichter den Abend mit der expressiven allegorischen Gestalt der Pest: Am Abend säumt die Pest ihr blau Gewand / Und leise schließt die Tür ein finstrer Gast.^102 Eine analoge Beobachtung lässt sich auch für das Motiv des Windes (Im Wind) darstellen. In einem Vers wie Durchs Fenster klirrt der rote Abendwind^103 wird die Expressivität des Motivs verstärkt, während es im Schlussbild des Gedichts »Elis« mit der Erkenntnis der Gottesferne verbunden wird: Immer tönt / An schwarzen Mauern Gottes einsamer Wind.^104 Die pejorative Zuspitzung erfasst schließlich auch das Verfallsthema selbst. Ein Beispiel gibt das Gedicht »Am Moor«, das ellipsenartig das Thema zu einem Bild der Bedrohung und der Finsternis verformt: Aufruhr. In verfallener Hütte / Aufflackert mit schwarzen Flügeln die Fäulnis; / Verkrüppelte Birken seufzen im Wind.^105 Vor solchem Horizont erweist sich Trakls Dichtung als ein im Werk selbst aufzuspürendes intertextuelles Netz; es ist so geknüpft, dass es keineswegs Verstehen erleichtert, sondern die Bildung von Bedeutungen offen hält und gleichzeitig wie in einer musikalischen Partitur den werkinternen Bezug der einzelnen Elemente verdichtet. Zur TRAKL'schen Werkkonstitution gehört allerdings auch der intertextuelle Rekurs auf Traditionen. Ein Paradigma dafür liefert das Gedicht »Verfall«. So verweist das Hyperbaton des 10. Verses auf eine bei Hölderlin vielfach belegte Technik der Vers- und Satzfügung. Intertextualität bei Trakl hat daher sowohl eine innerwerkliche wie eine historische Dimension. Vor allem Hölderlin, Novalis, aber auch Rimbaud und Dostojewski waren für Trakl wichtige Portalfiguren seiner Lyrik: Identifikationsfiguren, aus deren Verständnis er seine eigene literarische Autorschaft begründete. Es sei daran erinnert, dass Hölderlin vor 1914 keineswegs ein bekannter Klassiker war. Erst der George-Kreis hatte Hölderlin regelrecht wiederentdeckt; die erste kritische Ausgabe stammt von Norbert von Hellingrath, einem Jünger Georges, der vom Meister regelrecht den Auftrag erhalten hatte, eine neue Ausgabe zu erstellen. Hölderlin setzte sich dann zunächst bei Avantgardisten und Dichtern mit ausgeprägtem Elitebewusstsein durch, bevor er dann im Siegeszug ohnegleichen in Schule, Hochschule und Öffentlichkeit zum Kanonautor avancierte. Eines der Gedichte Hölderlins, die bei Trakl tiefe Spuren im Werk hinterließ, war das Gedicht »Hälfte des Lebens«, das im Strophenaufbau eine strikt kontrastive Polarität entfaltet.^106 In der Gegenüberstellung der Quartette und Terzette des Sonetts »Verfall« kehrt die Technik wieder und auch bei Trakl führt sie zum Bild der Verfinsterung, der Todesassoziation und der Kälte. Korte, Hermann: Lyrik des 20. Jahrhunderts (1900-1945): Interpretation / von Hermann Korte. (Oldenbourg-Interpretationen; Bd. 97). München: Oldenbourg, 2000^1. ISBN 3-486-88699-1. S. 60-63, 192-193. Strophenform – Horst Joachim Frank: Zwei weiblich reimende jambische Vierheber umfassen ein ebenfalls vier-hebiges, aber männlich schließendes Verspaar. So entsteht eine gleichsam >konkave< Form: die metrische Umkehrung zu der Strophe 4.65. Zwischen beiden Formen sowie mit der in den Kadenzen alternierenden Strophe 4.67 wird zuweilen auch im selben Gedicht gewechselt: Goethe »Vorklage«, Fouqué »In Adalbert v. Chamissos Stammbuch«, Eich »Die Pfarrersköchin«. Weckherlin brachte die Vorrede zu seiner ersten Odensammlung (1618) »An mein Buch« (»Wohlan, Büchlein, du mußt es wagen«) und das anakreontische Trinklied »Wer ist doch immer so geschlossen« in diese Form. Mit seinen »Scherzhaften Liedern« (1758) griff C.F. Weiße die Strophe wieder auf für sein Lied »Thyrsis und Chloe«. In seiner Fabelsammlung (1738) benutzte sie schon Fr. v. Hagedorn: »Das Schäfchen und der Dornstrauch«, »Der Affe und der Delphin 2«, für die moralische Erzählung »Der Marionettenspieler« dann auch Löwen. Überblickt man die weitere und nicht sehr häufige Verwendung des Vierzeilers im 19. Jahrhundert, so zeigt sie wenig Charakteristisches. Man findet ihn in Gelegenheits- und Widmungsgedichten, in epigrammatischen und zeitkritischen Gedichten: Goethe »Vorklage«, Lenau »An einen Dichter« (»Dir gab ein Gott die Dichtergabe«) und »Trinksprüche«, Grün »Glockenruf«, Holz »An neunundneunzig von hundert«, in Bekenntnis- und Liebesgedichten: Heine »Es kommt der Tod«, Dehmel »Vorspiel«, Hesse »Und dennoch hofft mein Herz«. Im 20. Jahrhundert fand die Strophe einigen Anklang insbesondere für Stimmungsbilder: Trakl »Verfall«, Kraus »Alle Vögel sind schon da«, H. Claudius »Holsteinisches Dorf«, M. Barthel »Erwachen in der Nacht«, Loerke »Birken«, Piontek »Indian Summer«. Bevorzugt wurde sie von E. Kästner: »An ein Scheusal im Abendkleid«, »Schicksal eines stilisierten Negers«, »Spruch für die Silvesternacht«. Rang: 89 Frank, Horst Joachim: Handbuch der deutschen Strophenformen. Tübingen—Basel: Francke, 1993^2. ISBN 3-8252-1732-9 (UTB). S 321–327. Bohuslav Reynek: UPADÁNÍ Navečer, když zvony znějí k pokoji, překrásnému letu ptačímu se dívám s touhou, již jak poutníkové zbožní shlukli v řadu dlouhou, do podzimních jasných dálav mizejí. Zahradou se procházeje plnou soumraku, rozjímám sně osudy jich světlé, libé, cítím, hodin rafije že sotva se již hýbe. V drahách jich je sleduji až do mraků. V tom se rozechvívám dechem upadání. Na haluzce holé lkaje kos se ozývá. Rudé víno kymácí se na rezavé mříži, a, jak v bledých dětí tanečku, se sklání na roubení studnic, tmavá, práchnivá, kolo modrých, zimomřivých aster, větru tíží. Trakl, Georg. Básně. Přeložil Bohuslav Reynek. Náchod: Pavel Maur, 1995 ISBN 80-901 254-3 -3. Str. 56. Ludvík Kundera: Rozpadání Když zvony večer vyzvánějí mírem, let ptáků vidím nad vodou a lesy, jsou roztaženi jako na procesí, ve vzduchu mizí podzimkově čirém. Zahradou chodím s temnotnými zraky, jasnější osudy jim tiše snuji, rafije už se sotva posunují. Za letem ptáků táhnu nad oblaky. Vtom roztřásl mne závan rozpadání. Kos zalkal na bezlisté snětí. Psí víno na rzi mříže v rozevlání. Jak tanec smrti tančily by děti, tak ve větru se modré astry sklání kol roubení, jež rozpadá se v smetí. Georg Trakl. Šebestián ve snu. Přel. Ludvík Kundera. Třebíč: Arca JimFa, 1995. ISBN 80-85766-33-7. Str. 41 (Die Lautung stimmt mit der Erstausgabe der Übersetzung überein: G.T.: Básně. Übers. v. L. Kundera. Praha: Státní nakladatelství krásné literatury a umění, 1965. S. 39). Radek Malý: ROZPAD Večer, když zvony vyzvánějí smírem, sleduji lety ptáků, krásné, ryzí. Semknuti v šicích jak procesí mizí v podzimně jasných dálkách, v světě širém. Zahradou bloudím; v jejím šedém koutě sním o jasnějších osudech těch tvorů; cítím, že čas se poddal mému vzdoru. Nad mraky hlídám jejich bludné poutě. Vtom závan rozpadu mne rozechvívá. Z rezivých mříží rudá réva letí. Kos v holých větvích naříkavě zpívá. Zatím jak v tanci smrti bledých dětí kol tmavé studny, z níž jen jáma zbývá, ve větru kloní modré astry květy. Trakl, Georg. Podzimní duše. Přel. Radek Malý Praha: Jiří Buchal - BB/art, 2005. ISBN 80-7341468-6. Str. 60. Július Lenko: Zmar Večerný zvon keď pokoj ľuďom hlása, Let vtákov obdivuje zrak môj nemy, Čo ako mnísi v zbožnom zanietení V jeseni čistej k dial´kam vychytia sa. V súmračnom sade krížom-krážom chodím A o jasnejšom osude ich snívam. Až nad mraky sa za ich stopou dívam; Badám, že zastali už rúčky hodín. Vtom kýsi dych ma zmarom rozechvieva. Drozd v holých vetvách žiaľ svoj žaluje ti. Z hrdzavých mreží visí zlatá réva, Kým ako smrtné tance bledých detí pri studniach, ktorým práchnivejú drevá, sa v chladnom vetre klonia modré kvety. Lenko, Július. Preklady. Bratislava: Slovenský spisovatel, 1988. str. 288-299.