Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit Bände 1 - 3 der Autobiographie. Plan 1807, Beginn Oktober 1809, Ausführung Januar 1811. September 1811 Beendigung des 1., Oktober 1812 des 2., Januar 1814 des 3. Band. Schon 1813 Arbeit am 4. Band, große Arbeitspausen, mit Rücksicht auf noch Lebende zurückgehalten, nicht abgeschlossen. Veröffentlicht in einer redaktionellen Bearbeitung von Eckermann, Riemer und v. Müller 1833. Ausgabe nach dem Urtext 1970-1974. Goethe schildert sein Leben bis zur Abreise nach Weimar (1775). Er benutzte eigene Aufzeichnungen, Briefe, wissenschaftliche Werke und Auskünfte der Freunde; für das 1. Buch z. B. verwandt Goethe Aufzeichnungen Bettina von Arnims über Erzählungen der Mutter Goethes von seiner Jugend. Der objektive Sachverhalt ist gelegentlich verschoben und gewisse Erlebnisse, wie z. B. die Wetzlarer, sind bewußt undeutlich gelassen. Berühmt ist das 7. Buch mit dem Überblick über die Dichtung der Zeit. Es wird oft als Ausgangspunkt der modernen deutschen Literaturgeschichte betrachtet. Goethe an Eckermann 1831: "Ich dächte, es steckten darin einige Symbole des Menschenlebens. Ich nannte das Buch Wahrheit und Dichtung, weil es sich durch höhere Tendenzen aus der Region einer niederen Realität erhebt." Der Jugendfreund Fritz Jacobi empfand das Buch "wahrer wie die Wahrheit selbst". Der Plan für die Autobiographie führte ursprünglich bis 1809. An die Stelle der nicht zustande gekommenen Teile traten kleinere autobiographische Schriften: 1816 -1817 "Aus meinem Leben. Zweiter Abteilung erster und zweiter Teil (ItalienischeReise)". 1822 "Aus meinem Leben. Zweiter Abteilung fünfter Teil (Die Campagne in Frankreich)". Weitere Ergänzungen bieten die Reiseschilderungen "Briefe aus der Schweiz" (1796), "Fragmente eines Reisejournals" (1788-1789), "Die Schweizer Reise im Jahre 1797" (1833), "Kunstschätze am Rhein, Main und Neckar" (1816), "Der 2. römische Aufenthalt" (1829). Die Darstellung seines späteren Lebens gab Goethe in schematischen Jahresberichten "Tages- und Jahreshefte" (1830). aus: H.A. und E. Frenzel: Daten deutscher Dichtung Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte. 2 Bde.. Band 1: Von den Anfängen bis zum Jungen Deutschland. o.O. dtv. o.J. S. 288f. (gekürzt) Methodologisches Vorwort Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt. Hiezu wird aber ein kaum Erreichbares gefordert, daß nämlich das Individuum sich und sein Jahrhundert kenne, sich, inwiefern es unter allen Umständen dasselbe geblieben, das Jahrhundert, als welches sowohl den Willigen als Unwilligen mit sich fortreißt, bestimmt und bildet, dergestalt, daß man wohl sagen kann, ein jeder, nur zehn Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein. [Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Goethe-Hamburger Ausgabe, Bd. 9, S. 9] Goethe: Ilmenau (1783) Ein Junge, der später fern den andern sitzt: Wie nennt ihr ihn? Wer ist's, der dort gebückt Nachlässig stark die breiten Schultern drückt? Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme, Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme. Er saugt begierig am geliebten Rohr, Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor. Gutmütig trocken weiß er Freud und Lachen Im ganzen Zirkel laut zu machen, Wenn er mit ernstlichem Gesicht Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht. Goethe-BA Bd. 1, S. 373 Ich bin dir nicht imstande, selbst zu sagen, Woher ich sei, wer mich hierher gesandt; Von fremden Zonen bin ich her verschlagen Und durch die Freundschaft festgebannt. Wer kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag? Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen? Und was du tust, sagt erst der andre Tag, War es zum Schaden oder Frommen. Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsglut Auf frischen Ton vergötternd niederfließen? Und konnt er mehr als irdisch Blut Durch die belebten Adern gießen? Ich brachte reines Feuer vom Altar; Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme. Der Sturm vermehrt die Glut und die Gefahr, Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme. Und wenn ich unklug Mut und Freiheit sang Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang, Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen, Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst: Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst, Goethe-BA Bd. 1, S. 374 /…/ Doch rede sacht! denn unter diesem Dach Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach: Ein edles Herz, vom Wege der Natur Durch enges Schicksal abgeleitet, Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet Und, was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt, Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt. Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen Und kein Gesang die hohen Wogen stillen. Goethe-BA Bd. 1, S. 374-375 Im 12. Buch von DuW im zusammenhang mit dem Darmstädter Kreis um Merck behauptet Goethe: Denn schon damals hatte sich bei mir eine Grundmeinung festgesetzt, ohne daß ich zu sagen wüßte, ob sie mir eingeflößt, ob sie bei mir angeregt worden, oder ob sie aus eignem Nachdenken entsprungen sei. Es war nämlich die: bei allem, was uns überliefert, besonders aber schriftlich überliefert werde, komme es auf den Grund, auf das Innere, den Sinn, die Richtung des Werks an; hier liege das Ursprüngliche, Göttliche, Wirksame, Unantastbare, Unverwüstliche, und keine Zeit, keine äußere Einwirkung noch Bedingung könne diesem innern Urwesen etwas anhaben, wenigstens nicht mehr als die Krankheit des Körpers einer wohlgebildeten Seele. So sei nun Sprache, Dialekt, Eigentümlichkeit, Stil und zuletzt die Schrift als Körper eines jeden geistigen Werks anzusehn; dieser, zwar nah genug mit dem Innern verwandt, sei jedoch der Verschlimmerung, dem Verderbnis ausgesetzt: wie denn überhaupt keine Überlieferung ihrer Natur nach ganz rein gegeben und, wenn sie auch rein gegeben würde, in der Folge jederzeit vollkommen verständlich sein könnte, jenes wegen Unzulänglichkeit der Organe, durch welche überliefert wird, dieses wegen des Unterschieds der Zeiten, der Orte, besonders aber wegen der Verschiedenheit menschlicher Fähigkeiten und Denkweisen; weshalb denn ja auch die Ausleger sich niemals vergleichen werden. Das Innere, Eigentliche einer Schrift, die uns besonders zusagt, zu erforschen, sei daher eines jeden Sache, und dabei vor allen Dingen zu erwägen, wie sie sich zu unserm eignen Innern verhalte, und inwiefern durch jene Lebenskraft die unsrige erregt und befruchtet werde; alles Äußere hingegen, was auf uns unwirksam, oder einem Zweifel unterworfen sei, habe man der Kritik zu überlassen, welche, wenn sie auch imstande sein sollte, das Ganze zu zerstückeln und zu zersplittern, dennoch niemals dahin gelangen würde, uns den eigentlichen Grund, an dem wir festhalten, zu rauben, ja uns nicht einen Augenblick an der einmal gefaßten Zuversicht irre zu machen. Goethe-HA Bd. 10, S. 509-510