Heutiges Deutsch Reihe III: Linguistisch-didaktische Untersuchungen des Goethe-Instituts Herausgegeben von Günter Bär, Gerhard Kaufmann und Hans-Peter Krüger in Zusammenarbeit mit Ulrich Engel, Hugo Moser und Hugo Steger Band 2 Sigbert Latzel Die deutschen Tempora Perfekt und Präteritum Eine Darstellung mit Bezug auf Erfordernisse des Faches "Deutsch als Fremdsprache" München: MAX HUEBERVERLAG, 1977 Das Phänomen der Kontamination begegnet auch im Tempusbereich, jedenfalls neigt man dazu, Sätze der folgenden Art als Kontaminationen zu deuten: S. 43 (94) Kellner: Der Herr dort bekam das Gulasch. (95) Sprecher: Herrgott, wer eröffnete doch gleich morgen den Ärztekongreß? Man löst Sätze dieser Art auf in: (94a) Der Herr dort sagte vorhin: Ich bekomme ein Gulasch. (95a) Jemand sagte mir doch, wer am morgigen Tag den Ärztekongreß eröffnet. Statt sagen kann man auch andere Paraphrasen wählen, z.B. 94b Der Herr dort sollte (schon) das Gulasch bekommen. 95b Ich wußte doch, wer den Kongreß eröffnet. Etc. Kontamination liegt wohl auch bei der erlebten Rede vor. Verdeutlichte, direkte (innere) Rede: vs. 96a Pitt lag auf der Couch und dachte: Morgen geht also ihr Flugzeug. Dann sehe ich sie nicht mehr. Aus. Alles vorbei. Erlebte Rede: (96b) Pitt lag auf der Couch. Morgen ging also ihr Flugzeug. Dann sah er sie nicht mehr. Aus. Alles vorbei. 1.2.5. Tempussynonymie, Tempusheteronymie; Bedeutungsgleichheit und Gebrauchsverschiedenheit Die Tempora Präteritum und Perfekt aus geschichtlichem Blickwinkel. 1. Das Präteritum ist das einzige Vergangenheitstempus. 2. Das Perfekt entwickelt sich aus dem attributiven Partizip II, hauptsächlich als Form für Verben, die sich auf eine Veränderung beziehen. Im Hinblick auf diesen Bereich baut sich eine Opposition von Perfekt und Präteritum auf, in dem Sinne, daß man sich beim Perfekt auf Folgen der Veränderung bezieht, beim Präteritum auf den Ablauf der Veränderung, d.h. daß gilt: Außerhalb dieser Opposition steht (grob gesprochen) der Bereich des sich nicht Verändernden. Auf diesen Bereich bezieht sich, sofern von Vergangenem die Rede ist, zunächst ausschließlich das Präteritum. – Durch Angleichung wird es allmählich möglich, auch das Perfekt von Verben zu bilden, die sich auf Sich-Nicht-Veränderndes beziehen. Eine bedeutungsmäßige Opposition von Präteritum und Perfekt für den Bereich des Sich-Nicht-Verändernden hat sich offenbar nie aufgebaut. Es haben sich hier offenbar z.T. nur Gebrauchsunterschiede entwickelt. Dem Unterschied zwischen Bedeutungsgleichheit und Gebrauchsverschiedenheit kann man an den beiden Ausdrücken Haupt und Birne[1] demonstrieren. Sie können sich auf dieselbe Sache beziehen, aber man kann nur sagen: (97) Hoch erhobenen Hauptes betrat er den Saal, nicht aber: (98) Hoch erhobener Birne betrat er den Saal. In ähnlichem Sinne sind wohl synonym aber z. T. gebrauchsverschieden lag und hat/ist gelegen in bestimmten Sätzen. Denn während man wohl (zur Benachrichtigung) einem Nachbarn wahlweise | auf einen Zettel schreiben kann: ( 99) Diese Rechnung lag auf meinem Balkon. (100) Diese Rechnung hat auf meinem Balkon gelegen. kann man in einer schriftlichen Erzählung nicht ohne weiteres — was Ausländer nicht selten tun – vom Präteritum ins Perfekt übergehen. Es bestehen also Gebrauchsunterschiede, 3. Die eindeutige Opposition und damit auch Heteronymie von Präteritum und Perfekt, die (wohl) in bezug auf den Bereich des Sich-Verändernden bestand, wurde durch den oberdeutschen Präteritumschwund wieder abgebaut, und zwar in dem Sinne, daß in Anlehnung an oberdeutsche Verhältnisse vor allem im mündlichen Bereich das Perfekt auch dort verwendet wurde (und noch wird), wo die eigentliche "Präteritum"-Konstellation gegeben ist. S. 44 Da im schriftlichen Bereich der "Einbruch" nicht in der Stärke wie im mündlichen erfolgt ist, kann man davon sprechen, daß Präteritum und Perfekt auch hier wieder als synonym, aber als gebrauchsverschieden zu bezeichnen sind. 4. Vermutlich durch das Aufkommen des Journalismus und den damit verbundenen Einfluß des Englischen (Amerikanischen) und wohl auch dadurch, dass das Präteritum z.T. als "feiner" als das Perfekt angesehen wird, ist es in den letzten hundert Jahren dahin gekommen, dass das Präteritum in der Schriftsprache (geschriebenen Sprache) immer stärker auch bei der Wiedergabe des "eigentlichen" Perfekt-Verhältnisses verwendet wird. Diese Verwendung ist aber nicht grundsätzlich möglich, oder zumindest nicht üblich. Sie ist auf bestimmte "Erscheinungs-Orte" beschränkt, wie z.B.: • Zeitungsüberschriften (101) Grüß Gott, nach München kamen: ... /ZAZ, feste Spalte/ [gemeint ist: In München sind als prominente Gäste]. • Urheberschaftshinweise (102) Das Titelbild [= ein Photo!!] schuf Laszlo Vamos. /ZME Nr. 10, XX1/ • Klein gedruckte Sportmeldungen (103) In einem Eishockey-Privatspiel besiegte der EV Landshut die finnische Mannschaft TSP Turku mit 7 : 6. /ZDW 29.VII.71/ • Todesanzeigen (104) Im Herrn verschied heute Frau Therese Straubinger /ZSZ 15.V.76/ • Texte der Werbesprache oder des kommerziellen Bereichs (105) Ich entnahm diese Karte dem Buch:.....und möchte dazu sagen:................. /WERBE-ANTWORT, HANSER VERLAG/ 5. Zur weitesten "Expansion" des Präteritums in "eigentliche" Perfektbereiche ist es beim Präteritum von sein, haben, den Modalverben und dem Passiv gekommen. 45 Diese Formen tauchen heute auch z. T. an der Stelle von zukunftsreferentiellem oder "überzeitlichem" Perfekt auf; das gilt vor allem für das Präteritum von sein. 1.2.5.1. Präteritum und Perfekt und damit konkurrierende (austauschbare) Formen (Ein Überblick) Was den Austausch von Perfekt und Präteritum angeht, so ist er entweder nur zum Teil möglich oder aber total blockiert; einen generell möglichen Austausch beider Formen in dem Sinne, daß an jeder nur denkbaren Stelle zwischen beiden Formen frei gewählt werden kann, gibt es nicht (A) Die totale Blockierung kann (a) formal oder (b) inhaltlich bedingt sein, (a) Die formal bedingte Blockierung geht darauf zurück, daß im Formenpotential bestimmter Verben oder verbaler Ausdrücke die Präteritumform fehlt und in demjenigen anderer Verben die Perfektform; d.h. es gibt, was das Formenpotential bestimmter Verben angeht, Defizienzerscheinungen. Vgl. (106) Wie aus Bonn verlautete, plant die Bundesbahn eine Erhöhung der Fahrpreise, (*verlautet hat/ist) (107) Es ist nicht leicht gewesen, aber schließlich hat er's doch gefressen. (Es war nicht leicht, *aber schließlich fraß er's doch.) Wo das Perfekt fehlt, kann es nicht für den Austausch verwendet werden, und dasselbe gilt für das Präteritum. (b) Was die inhaltlich (z.T. inhaltlich-formal) bedingte Blockierung angeht, so ist der Austausch des Präteritums durch Perfekt nicht möglich a α) dort, wo das Präteritum kontaminativ verwendet wird: (108) Lehrerin (bestellte Karten verteilend): Mh-, Meier, du bekamst eine Karte fürs Freie Theater, und Exner du bekamst eine fürs TaMS; etc. (*du hast eine ... bekommen). ß) wo es als assimilierte Form auftritt: (109) Ich wußte natürlich, daß ein gleichschenkeliges Dreieck auch gleichwinkelig war. (*gewesen ist) γ) wo Bezug auf das Verhältnis des Sprechers zum von seiner Pisition zukünftigem Handlungsmoment genommen wird, der allerdings – gegenüber des Jetzt der Aussage – schon zurückliegt. (110) Ich fürchtete, daß Claudia jeden Moment kam.(*gekommen ist) Es liegt hier vermutlich auch Formenassimilation vor. (c) Der Austausch des Perfekts wird blockiert α) bei Bezug auf das Verhältnis (111) In diesem Augenblick, in dem ich spreche, hat Hunter das Haus verlassen. (* verließ ...) ß) bei Bezug auf das Verhältnis: (112) Morgen um diese Zeit habe ich alles geschafft (* schaffte ich alles) γ) bei Bezug auf das Verhältnis: (113) Jeder Elektro-Meister hat eine Meisterprüfung abgelegt, (*legte ab) (B) Der partielle Austausch ist – wie schon gezeigt – am ehesten dort möglich, wo statisches "Abstands"-Vergangenes wiedergegeben wird; es besteht hier – hauptsächlich bei sein, haben, den Modalverben und dem Passiv – die Tendenz, das Präteritum zu verwenden. Sofern kein schriftsprachlicher Erzähltext vorliegt, in dem ein jäher, unmotivierter Tempuswechsel störend wirkt, ist auch Perfekt möglich: (114) Ich mußte gestern fast eine Stunde beim Zahnarzt warten. (115) Ich habe gestern fast eine Stunde beim Zahnarzt warten müssen. Hauser und Hoppe sprechen dort, wo Präteritum nicht durch Perfekt ersetzt werden kann, von obligatorischem Präteritumgebrauch und im umgekehrten Falle von obligatorischem Perfektgebrauch. Welche "finiten" Ersatzmöglichkeiten in diesen Fällen bestehen, sei durch zwei Überblicke festgehalten: S. 48 I. "Obligatorischer" Präteritumgebrauch Mustersatz Perfekt nicht mögliche Substituenda substituierbar Präs Konjl KonjII Kondit. 1. - - - - (116) Helmers mußte schon aufgelegt[2] haben. (117) Vater pflegte täglich spazierenzugehen. (118) Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter, etc. 2. (+) +(s) +(s) + (119) Katt stand am Fenster. Morgen war also alles vorbei. (120) Ich befürchtete, daß Nadja im nächsten Augenblick umkippte. (121) Ich hob einen Graben aus, damit das Wasser abfloß. (+) + (+) – 3. (122) Ich erfuhr von Nina, daß Benn gerade in der Aula las. (^+} +(s) +(s) – (123) Ich sah nach, ob es wieder Licht gab. (124) Fischer sagte mir, daß Trakl Kokain nahm, [habituell; Trakl (+) +(s) +(s) – lebt noch] (+) +(s) +(s) – 4. (125) Ich wußte natürlich, daß 2^3 acht war. + – – – (126) In diesem Augenblick war Graf klar, daß Grabbe trank. (127) Wir kamen nach Florenz, das in einem Tale lag. + – – – + – – – 5. (128) Wer bekam den Rinderbraten? (129) Was gab es doch gleich + – – – morgen im Theater? + – – – (130) So, das war 's. + – +(s) – 6. - (131) Wenn da ein Auto kam, war ich mausetot. - - +(k) (132) Sie mußten gewinnen, sonst waren sie raus. (133) Dieser Marathonlauf durfte einfach nicht stattfinden. +(k) +(k) (s = Simplexform, k = Komplexform, { ; = selten anzutreffen Konj = Konjunktiv, Kondit. = Konditionalis ("würde" + Infmitiv) S. 49 II. "Obligatorischer" Perfektgebrauch Mustersatz Präteritum nicht substituierbar mögl. Substituenda Fut II Präs Plp 1. (134) Na endlich hat er's gefressen*. - - - (135) Dieser schöne Brilliant hat mir's angetan. - - - (136) Mit Peter spreche ich nicht mehr. Der ist für mich gestorben. Etc. - - - 2. (137) Morgen um diese Zeit haben wir Barnes eingeholt. (138) "Um zehn Uhr hat sich's ausgeknabbert. Wir sind ein anständiges Hotel." (139) Wenn Sie das alles bis morgen nicht weggeräumt haben, zeige ich Sie an! (140) " [du] sagst kein Wort, sonst hast du die längste Zeit Rohre gestrichen ". 111 3. — - (141) Wählbar ist, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat. (142) Weiterrücken darf, wer eine Sechs gewürfelt hat. (143) Makao hat man in zwei Stunden besichtigt. 4. - - (144) In diesem Augenblick, in dem ich spreche, hat der letzte Läufer das Ziel erreicht. (145) "Mit dem Kauf dieses Versandbeutels haben Sie die Entwicklung Ihres Umkehr-Farbfilmes im voraus bezahlt." (146) Ich hab' mich noch gar nicht angeschnallt, und da fährst du schon los. 5. - - - (147) Man sieht, daß du gearbeitet hast. (148) (Die letzte Neuigkeit:) Casals ist gestorben. (149) Es hat geklingelt, jemand will zu dir. 6. - - (150) Vulpius ist fleißig. Er hat zu jener Zeit bereits viel für die Buchhändler geschrieben. (151) Der borghesische Fechter stellt einen Menschen vor, welcher das männliche Alter erreicht hat. (152) Henry hat eben Mara verabschiedet und lernt jetzt Christine kennen.(= Inhaltsangabe) S. 58 1.2.9. Tempus und Textaufbau Es ist nicht selten in der Tempusliteratur beobachtet worden, daß Sätze im Perfekt und Präteritum oft in einer ziemlich festen texttopologischen Ordnung stehen, dass z.B. häufig ein Schema der Art anzutreffen ist: Einleitungssatz im Perfekt, dann Fortsetzungssätze im Präteritum, Abschlußsatz im Perfekt. S. 59 In letzter Zeit ist Harweg in einer sehr interessanten Arbeit — vgl. Harweg 1975 — mit dem Blick auf Perfekt und Präteritum unter anderem auch textstrukturellen Fragen nachgegangen. Es kann hier nicht alles referiert werden, aber einiges sei herausgegriffen und mit eigenen Zusätzen dargestellt. Die Text-Bauform "Einleitungssatz im Perfekt, Fortsetzungssätze im Präteritum, Abschlußsatz im Perfekt" ist auf einen häufig anzutreffenden Kommunikationsablauf zurückzuführen, der folgende Form hat: Sprecher 1: Was gibt es Neues / Interessantes / Wichtiges? Sprecher 2: XY ist passiert. Sprecher 1: Nein! Wie denn? Erzählen / berichten Sie doch! Sprecher 2: Ja, das kam so: ... Sprecher 1: (in Pausen evtl. dazwischen) Ja und dann? ... Sprecher 2: Und dann ... etc. [Abschließend:] Ja, so ist das gekommen. Der Perfektsatz XY ist passiert stellt einen Zusammenfassungssatz dar und steht daher im Perfekt. Er besagt eigentlich: 'Das und das ist jetzt als Faktum von Interesse da'. Passieren ist, das sei noch erwähnt, ähnlich wie ein Pro-Nomen ein Pro-Verb: es steht "abstrakt" für individuelle Inhalte. Ist Sprecher 2 Augenzeuge des Geschehenen gewesen, dann erfolgt die Detailwiedergabe des Geschehenen aus der Augenzeugenposition, d.h.: im Präteritum. Der der Detailwiedergabe vorausgehende Satz Das kam so: ... (wieder mit einem Pro-Verb) stellt eine Art Vorausblick-Zusammenfassung dar, während der letzte Satz Ja, so ist das gekommen Ausdruck einer Rückblick-Zusammenlassung ist. Bei der Vorausblick-Zusammenfassung muß man (im Geiste oder real) vor dem Zusammengefaßten, Überblickten, stehen daher das Präteritum. Bei der Rückblick-Zusammenfassung liegt das Zusammengefaßte hinter einem; daher das Perfekt. Das oben skizzierte Schema eines bestimmten Kommunikationsablaufs ist nicht nur in der mündlichen Kommunikation anzunehmen, sondern auch gedruckten Texten, z.B. denjenigen von Zeitungen, unterzulegen. Untersuchungen von Zeitungsmeldungen haben ergeben, daß sie oft folgendes Strukturschema aufweisen: 59 Überschrift : Präteritum Einleitungssatz: Perfekt (Für Einleitungssätze von Zeitungsmeldungen im Perfekt Aktiv und Präteritum Aktiv gilt: Perf 71%, Prät 29%; 100% = 1682 Sätze) Mittelteilsätze: überwiegend im Präteritum. Abschlußsatz: (seltener) im Perfekt (nur 5,19% in den analysierten Meldungen). Der im Präteritum formulierte Überschriftensatz wird nicht selten an der Einleitungsstelle im Perfekt wiederholt: (157) Guerilleros überfielen Stadt Die nordkolumbische Stadt San Pablo ist von 200 Guerilleros überfallen worden. + Präteritumsätze ... /ZFR 10.1.72/ Die Zeitungsmeldungen kann man im wesentlichen auf drei Typen von Kommunikationsabläufen zurückführen: Typ I: Leser (unausgesprochen): Was gibt's Neues? Zeitung: Vier Ungarn sind nach Italien geflüchtet. Lesen A ja. Wie denn? Zeitung: So: Sie schwammen ... (158) Vier Ungarn sind nach Italien geflüchtet. Sie schwammen von Jugoslawien aus etwa zwei Kilometer und gingen bei Triest an Land. Bei den italienischen Behörden baten sie um politisches Asyl. Sie wollen zu Freunden nach Canada Weiterreisen. /ZWS 22.VIH.71/ Typ II: Leser (unausgesprochen): Was gibt's Neues? Zeitung: Die Hamburger Schauspielerin Charlotte Kramm ist gestorben. Leser: (unausgesprochen): Wer ist denn das? Teilen Sie mir doch kurz Daten aus ihrem Leben mit. Zeitung: Charlotte Kramm war... (159) DIE HAMBURGER SCHAUSPIELERIN CHARLOTTE KRAMM ist im Alter von 71 Jahren plötzlich an einem Herzversagen gestorben. Charlotte Kramm war die Witwe von Willy Maertens, der von 1945 bis 1964 Intendant des Hamburger Thalia-Theaters war und 1967 starb. Sie gehörte dem Ensemble der Hamburger Bühne seit fast drei Jahrzehnten an. /ZMM 24.XI.71/ Typ III Leser (unausgesprochen): Was gibt's Neues? Zeitung: Die NVP hat auf eine Beteiligung an den Bürgerschaftswahlen verzichtet. Leser (unausgesprochen): So? Woher wissen Sie das? Zeitung: Das teilte X mit. (160) DIE NATIONALE VOLKSPARTEI (NVP) hat auf eine Beteiligung an der Bürgerschaftswahl am 10. Oktober im Land Bremen verzichtet. Das teilte der Kaufmann Friedrich Thielen mit, der sowohl Bundesvorsitzender als auch bremischer Landesvorsitzender der NVP ist. /ZDZ 3.IX.71/ Die Quellenangaben stehen in der Zeitung fast durchwegs im Präteritum. In Dialogen der gesprochenen Sprache würde man das Perfekt verwenden: Sprecher 1: Was gibt's Neues? Sprecher 2: Kämmler ist verhaftet worden. Sprecher 1: Woher weißt du denn das? Sprecher 2: Das hab ich von Erich gehört / Das hab ich gelesen / Das hat mir Otto gesagt / Das hat mir Fritz geschrieben / Das hab ich selber gesehen ... etc. Wie oben angedeutet, können auch Einleitungssätze (von Zeitungsmeldungen) im Präteritum stehen. Sie treten häufig im Passiv auf oder in Sätzen mit den Verben sein, haben, müssen etc.; bei "Normalverben" enthält der Einleitungssatz im Präteritum in der Regel eine Zeitangabe: (161) Neue Gewalttaten in Reggio Calahria Neue schwere Gewalttaten ereigneten sich am späten Mittwochabend in der süditalienischen Stadt Reggio Calabria. Junge Leute drangen in das Parteihauptquartier der Sozialisten ein, verwüsteten es und setzten es schließlich in Brand. /ZMÜ 16.VII.71/ Es zeigt sich übrigens als textologische Gesetzmäßigkeit, daß mit Ausnahme von Romanen (und ähnlichen fiktionalen Texten) Sätze im Präteritum ohne Angaben mit einwertigen Verben nicht als Einleitungssätze auftreten können und mit Ausnahme von Überschriften (Schlagzeilen) auch nicht als isolierte Sätze. Das heißt: man kann die folgende Meldung (162) GLADYS COOPER STARB Die bekannte englische Schauspielerin Gladys Cooper ist gestorben. Sie wurde am 14.5.1889 in London geboren ... /nach ZHA 18.XI.71/ nicht in der Weise umformen, daß man schreibt: (163) GLADYS COOPER STARB Die bekannte englische Schauspielerin Gladys Cooper starb. Sie wurde am 14.5.1889 in London geboren ... wohl aber ginge evtl.: (164) GLADYS COOPER STARB Vorgestern starb in London unerwartet die bekannte englische Schauspielerin Gladys Cooper. Sie wurde ... etc. Es wäre auch nicht denkbar, einen Raum zu betreten und zu sagen: Anwesende (in unausgesprochener Erwartung, Neues zu erfahren) Ankommender: *Der Deich brach. sondern: Der Deich ist gebrochen. 61 Wohl aber könnte ein Roman, der mitten ins Geschehen springt, mit dem Satz beginnen: Der Deich brach. ... Dies ist wohl deshalb möglich, da dem Roman das kommunikative Schema zugrundeliegt: Leser: Was gibt es Interessantes? Buch: Eine Geschichte mit dem Titel "....." Leser: Aha, na dann leg mal los! Buch: Also-. ... D.h. der Einleitungssatz des Romans antwortet nicht (wie in den anderen besprochenen Einleitungs-Fällen) auf die Frage: Was gibt es Neues? 1.2.10. Zusammenfassendes zu Teil 1 und Ausblick auf den Hauptteil Nach der Auffassung, die wir in den zurückliegenden Abschnitten vertreten haben, gibt es im Deutschen kein einheitliches System der Tempora. Man könnte evtl. von einem Systemoid (Glinz) sprechen, das sich aus den folgenden drei Einzelsystemen zusammensetzt: (Das Futur klammere ich aus.) A) Altes, ursprüngliches System Präteritum : Präsens B) "Eigentliches", neuhochdeutsches System (Plusquamperfekt : ^Präteritum) : (Perfekt; : Präsens) C) "Oberdeutsches" System Perfekt : Präsens Das System A ist in all den Fällen noch gültig, in denen von Eigenschaften (in einem weiten Sinne verstanden) die Rede ist: (165) Goebbels hinkte. (Habitualität) (166) Goethe sprach (= konnte) Französisch. (Kapazität) (167) Ein schlesischer Maltersack faßte ca. 100 kg Getreide. (168) Das römische Bacchusfest dauerte mehrere Tage. (in beiden Fällen Größeneigenschaft) (169) Die Fenster unserer Küche gingen zur Straße. (Lageeigenschaft) Das Perfekt ist in den zitierten Beispielen mit Ausnahme von (169) möglich, stellt aber bei Einzelfeststellungen nicht die frequentere Form dar. Zum einfachen System A tendieren generell – gleichsam in einer Art Rückbildungsprozeß – die Zeitungs- und die Werbesprache. 62 3. HAUPTTEIL: PERFEKT UND PRÄTERITUM. EINE DARSTELLUNG MIT BEZUG AUF ERFORDERNISSE DES FACHES "DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE" Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Stoff "Perfekt und Präteritum" darzustellen. Im Falle der Fremdsprachendidaktik ist es wohl angebracht, sich an den beiden Hauptfertigkeiten zu orientieren, die sich der Schüler durch den Lernprozeß aneignen soll: • an der Fertigkeit, Inhalte sach- und intentionsadäquat auszudrücken, und • an der Fertigkeit, Äußerungen schriftlicher oder mündlicher Art richtig zu verstehen. Das bedeutet, daß der Blick einmal von den "Sachen" und "Intentionen" zur Sprache gehen sollte und dann in umgekehrter Richtung von der Sprache zu den Inhalten. Wir wollen diese beiden Seiten berücksichtigen, indem wir den Gebrauch von Perfekt und Präteritum zunächst aus dem Blickwinkel dessen darstellen, der bestimmte Inhalte ausdrücken will, und indem wir dann die Perspektive wechseln und in einem Überblick auf Probleme eingehen, die dort auftreten können, wo jemand Sätze mit Perfekt oder Präteritum verstehen will. 3.1. Allgemeines zur Wiedergabe von bestimmten Inhalten durch Perfekt oder Präteritum Das, was weitgehend unabhängig vom Inhalt auftritt, sind a) Ausdrucksblockierungen und b) Ausdruckspräferenzen. Im ersteren Falle geht es darum, daß bei bestimmten Verben der Gebrauch eines der beiden Tempora Perfekt und Präteritum grundsätzlich blockiert ist. Von Ausdruckspräferenzen spreche ich, wenn beide Tempora Perfekt und Präteritum möglich wären, aber einem von beiden der Vorzug gegeben wird. 72 3. l. 1. Ausdrucksblockierungen • Verben und verbale Ausdrücke, die nicht im Perfekt stehen Die Anzahl der perfektdefizienten Verben ist relativ groß. Erich Mater führt .in: (Mater 1969, S. 80) altertümeln al|ter|tü|meln : Stil u. Wesen des Altertums übertrieben nachahmen; archaisieren: eine altertümelnde Ausdrucksweise. © Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2003 [CD-ROM]. Diese Industrie altertümelte, ward grau und schlaff. Es fehlte einer, der ihr neue Ideen und Windstösse in die Segel blies. andampfen an|damp|fen : dampfend, zischend näher kommen: die Lokomotive dampfte an; die Lok kam angedampft; Ü die Inspektorin kam angedampft. © Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2003 [CD-ROM]. angedeihen anjagen ankeuchen anstapfen ansurren antappen anwackeln anwalzen bauchreden bausparen hohnlächeln ehebrechen falschmünzen fernbedienen fürbitten geringachten gutachten handarbeiten haushalten hochachten hochpreisen hohnlächeln innewerden katzbalgen kettenrauchen kopfrechnen kuhhandeln kurzarbeiten liebedienern lobpreisen lustwandeln meuchelmorden missen missgestalten misstönen moorbaden nachtwandeln nasführen oktroyieren passgeben probelaufen rundfunken scharrfüßeln schaustellen schlafwandeln schwarzarbeiten schweifwedeln Segelfliegen seilspringen situieren stichhalten wallfahren wegelagern wertschätzen wettrennen willfahren witzen worthalten wundernehmen zähnefletschen (Wohl auch: laubsägen notschlachten strafversetzen 73 Die Liste von Mater ist nicht vollständig. Man kann, wenn man alle aufgefundenen Fälle berücksichtigt, folgende Gruppen unterscheiden: • Verben, die kein Perfekt bilden: i) Verben, die nur im Infinitiv begegnen (bei Mater fast vollzählig aufgeführt) z.B.: ehebrechen, lobpreisen, sich nicht entbrechen (können) ii) Verben, die nur im Partizip II stehen (der Infinitiv tritt nur als Lexikoneintrag auf) Diese Verben, die Mater wohl auch vollzählig verzeichnet, begegnen vor allem in der Konstruktion "kommen + Partizip II", z.B. (179) Jetzt kam er angetobt / angedampft etc. (180) *Jetzt ist er angetobt / angedampft etc. iii) Verben, die in einer bestimmten Bedeutung nur im Imperativ verwendet werden (im Überblick von Mater nicht erfaßt) z.B. (181) "Pack dich!" rief die Alte. *Da habe ich mich gepackt. (182) "Mach dich nach Haus!" sagte der Mann. *Da hab ich mich nach Hausgemacht. (183) "Gehab dich wohl", sagte er, *und ich hab' mich wohlgehabt. (184) "Hab dich nicht so!" fuhr er mich an, *und ich habe mich nicht so gehabt. (185) Krott: So. So, so. [Nach oben:] Na warte. /WALSER 106/ 'Ich habe also gewartet. Auch die folgenden kursiv gesetzten Perfektsätze sind wohl selten anzutreffen: (186) "Untersteh dich hinzugehen!" hab ich gesagt, aber er hat sich unterstanden hinzugehen. (187) "Unterfangen Sie sich, so etwas zu sagen!" schimpfte die Frau, aber ich habe mich unterfangen, es zu sagen. (188) "Scher dich dorthin, wo der Pfeffer wächst!" rief ich wütend, aber er hat sich nicht dorthin geschert. Akzeptabler klingt: (189) Er hat sich nicht darum geschert, wie es mir ging. (iv) Neben den Verballexemen, die n u r im Infinitiv oder nur im Partizip oder n u r im Imperativ verwendet werden, gibt es auch solche, die nur im Präsens verwendet werden. 74 Formelhaft stehen nur im Präsens: (191) Er hat scheint 's viel zu tun. (192) Weiß der Teufel, was er hat. (193) Sie zeigte sich nicht gern mit Carla in der Öffentlichkeit (wer weiß, vielleicht erschien auch noch ihr Neger ...) /KOEPPEN I 86/ (*wer wußte, ...) Die Anzahl der Verben, die als indikativische Finita nur im Präsens gebraucht werden, ist, wie man sieht, gering. (v) Demgegenüber ist die Anzahl der indikativischen Finita relativ groß, die nur im Präsens, Präteritum und Futur, nicht aber im Perfekt und Plusquamperfekt verwendet werden können. Es lassen sich unter diesen Verben zwei Hauptgruppen unterscheiden: a) Verben, die nur eine Bedeutung haben und nicht im Perfekt (wohl aber im Präteritum) auftreten. Z.B.: (194) Wie aus Bonn verlautete (*verlautet ist / hat), ist mit Steuererhöhungen zu rechnen. Nach den meisten befragten Informanten zählen auch dazu: (195) Das Wasser wallte und wogte (? hat gewallt und gewogt) (196) Natürlich steckt... in den Erzählungen ... der ganze Stefan Andres, wie er leibte und lebte (? wie et geleibt und gelebt hat) /ZFA 2.11.74) (197) Die Blüten sprossen schon (? haben/sind schon gesprossen). (198) Es gebrach ihm an Mut (? Es hat ihm an Mut gebrochen). (199) Das ging dich doch nichts an\ (? hat/ist dich nichts angegangen). (200) Er stammte aus Breslau. (? Er hat aus B. gestammt.) (201) Er entstammte einem Adelsgeschlecht. (? hat... entstammt) (202) Dort mündete damals ein Altwasser in die Donau. (? hat/ist damals ein Altwasser in die Donau gemündet.) (203) Das gereichte ihm nicht zu Ruhme. (? Das hat ihm nicht zum Ruhme gereicht.) b) Neben diesen wenigen Verben gibt es eine große Anzahl von polysemen Verben, für die gilt: nur in einer bestimmten Bedeutung X ist das Verb perfektdefizient, in anderen Bedeutungen Y,Z, etc. tritt es im Perfekt auf. 75 ^ α) Verben die mit einem Infinitiv ohne zu eine Verbindung eingehen können: (210) Ich wußte den Schlüssel dort liegen. (*Ich habe den Schlüssel dort liegen gewußt.) (211) Man fand das Kind vor dem Hause sitzen.^40 (*Man hat das Kind vor dem Hause sitzen gefunden.) (212) Silber war ein guter Mensch, herleihen tat er nichts, ... /LIND 20/ (*herleihen hat er nichts getan). (213) Da hieß es aufpassen. (*Da hat es aufpassen geheißen.) (213a) Das machte alles Erlebte vergessen. (? Das hat alles Erlebte vergessen gemacht.) ß) Verben, die den Infinitiv mit zu nach sich ziehen: (214) Das Kind drohte unter die Räder zu kommen. (*Das Kind hat unter die Räder zu kommen gedroht.) (215) Das Wetter versprach schön zu werden. (»Das Wetter hat schön zu werden versprochen.) (216) Kant pflegte täglich spazierenzugehen. ("Kant hat täglich spazierenzugehen gepflegt.) (217) Der Mann schien betrunken zu sein. (*Der Mann hat betrunken zu sein geschie- ' nen.) (223) Es blieb abzuwarten, wie er sich entwickeln würde. (*Es ist abzuwarten geblieben, wie…) (223a) Ich kam neben einen fröhlichen Greis zu sitzen. /ROTH 98/ (*Ich bin neben einen fröhlichen Greis zu sitzen gekommen.) (224) Und dann hob der Chor zu singen an. (*Und dann hat der Chor zu singen angehoben.) (225) In jenem Jahr begann die Gesamtausgabe zu erscheinen. (? In jenem Jahr hat die G. zu erscheinen begonnen.) (226) Die Aufgaben, die es zu lösen hieß, lauteten: ... (*Die Aufgaben, die es zu lösen geheißen hat, haben gelautet: ...) ( 227) Er drang in mich, ihm alles zu sagen. (? Er ist in mich gedrungen, ihm alles zu sagen) ( 228) Er gebot mir zu schweigen. (? Er hat mir zu schweigen geboten.) (229) Er beliebte zu sagen, daß ... (? Er hat zu sagen beliebt, daß ...) ( 230) E geruhte anzuordnen, daß ... (? Er hat anzuordnen geruht, daß ...) Auch wissen zu mit Infinitiv (Er wußte sich als jüdischer Händler zu verklei-den /ZSZ 18.IX.76/) bzw. wissen + Partizip II (Ich wußte die Männer in knöchellange graue Mäntel gekleidet /KOEPPEN II 49/) tritt wohl kaum im Perfekt auf. γ) Neben den Verben + Infinitiv (I/II) gibt es noch eine Reihe nicht "infinitivtragender" perfektdefizienter Verben. Sie treten überwiegend in übertragener Bedeutung auf, und "stoßen" n u r in dieser Bedeutung, das muß immer wieder betont werden, das Perfekt "ab": (231) Der Diamant spielte in vielen Farben (*Der Diamant hat in vielen Farben gespielt.) (232) "Hören Sie", fuhr der Fremde fort, ...^41 (*"Hören Sie", ist der Fremde fortgefahren ...) (233) Mitten in der Wüste gähnte ein riesiges Loch. ('Mitten in der Wüste hat ein riesiges Loch gegähnt.) (234) Die Schuld traf den Fahrer. (*Die Schuld hat den Fahrer getroffen.) (235) Das Wohnzimmer meiner Tante ging zur Straße. (*Das Wohnzimmer meiner Tante ist zur Straße gegangen.) 77 (236) Es war ein Grün, das schon fast ins Schwarze ging. (..., *das schon fast ins Schwarze gegangen ist.) (237) Und dann ging's ab nach Fez! (*Und dann ist's nach Fez abgegangen.) (238) Das Mädchen schwamm in Tränen. (*Das Mädchen ist/hat in Tränen geschwommen.) (239) Der Rezitator schwamm unglaublich; er mußte ständig auf's Blatt sehen. (*Der R. hat/ist unglaublich geschwommen.) (240) Mein Begleiter gab mir den Ton. (? Mein Begleiter hat mir den Ton gegeben.) (241) Ihr traten Tränen in die Augen. (? Ihr sind Tränen in die Augen getreten.) (242) Schlimme Dinge standen in's Haus. ("Schlimme Dinge haben in's Haus gestanden.) (243) Ein Geschoß heulte durch die Luft. (? Ein Geschoß ist durch die Luft geheult.) (244) Der Schnaps lief durch die Wände, /nach AUFNAHMEN V 89/ ("Der Schnaps ist durch die Wände gelaufen.) (245) Seine Nase lief. (*Seine Nase ist gelaufen.) (246) Der Weg lief an der Grenze entlang. (*Der Weg ist an der Grenze entlang gelaufen.) (247) Der Wegführte uns nach Glött. (? Der Weg hat uns nach Glött geführt.) (248) Pfingsten fiel auf den 18. Mai. (*Pfingsten ist auf den 18. Mai gefallen.) (249) Sie fiel unter den Paragraphen 218. ("Sie ist unter den Paragraphen 218 gefallen.) (250) Sie kam aus gutem Hause. (*Sie ist aus gutem Hause gekommen.) (251) Die Ursache lag woanders. (? Die Ursache hat woanders gelegen.) (252) Da lag das Problem. (? Da hat das Problem gelegen.) (25 3) Die Goten saßen ursprünglich an der Weichsel. /WAHRIG/ (*Die Goten haben ursprünglich an der W. gesessen.) (254) Der Anzug saß hervorragend, (? Der Anzug hat hervorragend gesessen.) (255) Ich stand vor dem Nichts. (? Ich habe vor dem Nichts gestanden.) (256) Es drehte sich dabei um folgendes: ... (? Es hat sich dabei um folgendes gedreht: ...) Auch bei lauten, (Unordnung etc.) herrschen und zeigen im Sinne von: Der Körper zeigte Brandwunden ist das Perfekt nicht üblich. Ebenso bei sich belaufen auf. δ) Bei den Verben + Infinitiv sind z.T. inhaltliche, z.T. euphonische Gründe dafür ausschlaggebend, daß sie nicht im Perfekt verwendet werden. Hauptsächlich euphonisch bedingt zu sein scheint der seltene Perfektgebrauch bei Konstruktionen Verb + Partizip II. Die Häufung von zwei ge-Partizipien klingt nicht gut. Die Sätze im Perfekt sind (z.T.) nicht so inakzeptabel wie 78 in den unter α -γ zitierten Fällen: (257) Dem gehörten wirklich einmal die Leviten gelesen. (? Dem haben ... die Leviten gelesen gehört.) (258) Sie glaubten also das Problem gelöst? (? Sie haben also das Problem gelöst geglaubt?) (259) Und das hieß er gut gefahren! (? Und das hat er gut gefahren geheißen!) (260) Er wünschte die Ware pünktlich geliefert. (? Er hat die Ware pünktlich geliefert gewünscht.) (261) Er wollte das Steak medium gegrillt. (? Er hat das Steak medium gegrillt gewollt.) (262) Man wähnte ihn geflohen. (? Man hat ihn geflohen gewähnt.) (263) Die Schachfiguren blieben aufgestellt. (? Die Schachfiguren sind aufgestellt geblieben.) (264) Er kam schnaufend angeschwommen. (? Er ist schnaufend angeschwommen gekommen.) (265) Das war gelogen. (? Das ist gelogen gewesen.) ( 266) Das war schnell getan. (? Das ist schnell getan gewesen.) (267) Das Geschäft hatte geschlossen. (? Das Geschäft hat geschlossen gehabt.) ( 268) Ich sah das Problem gelöst. (? Ich habe das Problem gelöst gesehen.) (269) Sie kämpften getrennt. (? Sie haben getrennt gekämpft.) (270) Sie lebten geschieden. (? Sie haben geschieden gelebt.) Den perfektdefizienten verbalen Lexemen stehen, wie schon erwähnt, gegenüber: • Verben und verbale Ausdrücke, die nicht im Präteritum stehen Dazu zählen zählen zunächst: (i) Verben, die nur im Infinitiv, (ii) Verben, die nur im Partizip II, (iii) Verben, die n u r im Imperativ, und (iv) Verben, die "als Finita" nur im Präsens verwendet werden. Vgl. dazu die Gruppen (i) - (iv) unter den perfektdefizienten Verben (S. 74 f.) I ). Daneben gibt es: (v) Verben, die als indikativische Finita weder im Präsens, noch im Präteritum oder Futur I auftreten, sondern n u r im Perfekt, Plusquamperfekt (und evtl. Futur II), z.B.: (271) Habt ihr ... bald ausgepredigt? /RABELAIS 110/ (*Der Priester predigte nach dieser Frage aus.) 79 (272) Aber den ärmsten Mann Londons können Sie nicht auf die Zehen treten, sonst haben Sie ausgebrownt, Herr Brown. /BRECHT II 466/ (*Herr Brown brownte später nicht aus.) Weitere gängige Bildungen dieser Art sind: ausgespielt haben ausstudiert haben ausgetobt haben (Sturm) ausgeträumt haben ausgedient haben ausgeblufft haben ausgelitten haben ausgesorgt haben ausgezaubert haben ausgekämpft haben ausgeschlafen haben (bald) ausgesungen haben Die reflexiven Bildungen sich austoben und sich ausschlafen sind im Präsens, Präteritum und Futur 1 möglich, im Präsens und im Futur auch ausstudieren : (274a) Man studiert nie aus. Die obigen Verben kann man (als Lexikoneinträge) nur im Infinitiv II anschreiben. Das gilt auch für die folgenden idiomatischen (oder formelhaften) Wendunger die als indikativische Finita gleichfalls nur im Perfekt, Plusquamperfekt und evtl. Futur II auftreten: – es jemandem (durch etwas) angetan haben – etwas gefressen [= verstanden] haben – etwas/jn. gefressen haben [= nicht mögen] – etwas ausgefressen haben – die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen haben[3] – die Weisheit nicht gepachtet haben – das Pulver nicht erfunden haben – auf jemanden ein Auge geworfen haben – Preise verlangen, die sich gewaschen haben[4] – an einem Orte nichts verloren haben – sich geschnitten [= getäuscht] haben – nahe am Wasser gebaut haben 80 — nicht auf den Mund gefallen sein — es auf etwas abgesehen haben — wissen, was es geschlagen hat — eine bestimmte Behandlung nicht verdient haben — seine (eigene) Zeit nicht gestohlen haben — für jemanden gestorben sein [= als Partner nicht mehr existent sein] In einem Falle wie (275) Er hat es auf ihr Geld abgesehen (= ist darauf aus). ist heute überhaupt kein Vergangenheitsbezug zu erkennen. ------------------------------- [1] (salopp) Kopf (1): er gab ihm eins auf die B.; *eine weiche B. haben (salopp abwertend; etwas beschränkt sein; © Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2003 [CD-ROM]. [2] durch das Auflegen des Hörers das Telefongespräch beenden [3] (ugs.; oft iron.; etw., bes. Intelligenz, Klugheit, [nicht gerade] in sehr hohem Maße besitzen); [4] (ugs.; von äußerst beeindruckender [u. unangenehmer] Art sein)