Ingrid Matyášová Die Nacht kam ganz langsam, verscheucht durch die Abendlichter der Stadt, die mir immer wieder zuzwinkerten. Aber es war noch nicht zu spät. Aus dem halbgeöfnettem Fenster trat hier und da ein kalter Windzug hinein, von dessen stärke ich mich ein bisschen fürchtete. Doch die anderen standen gleichgültig herum, als wäre ihm[ZM1] sowieso alles egal. Ich wartete und wartete... Wäre ich nur ein König gewesen, fiel ich langsam ins Schwärmen. Weiß oder Schwarz, das wäre auch ganz egal, aber die Macht, oh ja... Ich wäre geachtet und beschützt, ich wäre kämpfend und bekämpft. Sieg oder Niederlage: Ich wäre bestimmend. Aber hier? Die Warterei nimmt kein Ende. Niemand beachtet mich, sogar der Nachbar hinter mir steht stumm und ungerürht da, grün wie ein Soldat in voller Mundur, [ZM2] nichts tuend, nichts sagend. Vielleicht grün vor Neid, dass ich doch viel weiter bin, viel näher an mein Ziel? Obwohl, naja, dass kann sich auch schnell ändern. Hinter jeder Ecke lauert Gefahr. Man muss immer vorsichtig gehen, ein Schritt nach dem anderen, ganz für sich allein. So ist das Leben. Du musst dich schon alleine durchkämpfen, niemand hilft dir, nein, du wirst sogar bedroht, überholt, rausgeworfen! Deine Gegner schlafen nicht. Das Spiel der Macht spielt jeder alleine und je weiter du gekommen bist, um so schwieriger wird es. Es ist immer ein Wechselspiel, einmal bist du am Zug und dann wieder raus aus dem Spiel und kannst ganz von vorn anfangen. Ich spüre schon länger, dass es langsam zu Ende geht mit mir. Es kann ja auch nicht ewig dauern das Spiel, das unermüdliche Karussell des Lebens, voll farbigen Figürchen. Rot, Schwarz, Gelb... Welcher wird am Ende stehen? Ich ahnte es von dem Moment an, an dem sie mich das erste Mal ansah. Ihre Anmut. Ihr Stolz. Ihre Entschiedenheit. Ihre schönen weißen Hände. Sie allein ist es, die es jemals geschafft hat, mich aus meinem Nebel aus Träumen herauszulösen, ohne sich dieser Tat auch nur bewusst zu werden. Ich spürte Ihre schnellen Atemzüge. Sie strengte die Hand, lies sie eine weile unentschlossen in der kalten Luft schweben, um sie dann umso wirkungsvoller zu schwingen. Ich glaube es ist gleich da, gleich kommt es. Die Entscheidung wird schnell gefällt. Von Ihrer Hand wird es sein, so soll es sein, so ist es vorbestimmt an diesem Abend. "Alea iacta est" möchte ich nun sagen. Ja, die Würfel sind gefallen. Jetzt wird das ganze bestimmt entschieden werden. Eine kalte Hand umschliesst mich. Sie schaut mich an und die Entschlossenheit, die aus Ihr herausflammt, steckt auch mich an. Ihre Augen, die erfrorenen Blüten, so blau wie ich. Wir gehören zusammen. Ihre Hand weiß wie gerade[ZM3] gefallener Schnee zieht mich nach vorne. Ich spüre, ich bin gleich da, an mir vorbei flimmern rote, grüne, gelbe Figuren ich sehe sie ganz nah und dann, als wäre ich von[ZM4] Wirbelwind getragen, sind sie fort, weit weg, bleiben hinten, traurig, bestürzt, wehrlos, machtlos. Meine Oma hat immer gesagt, es ist ein Naturgesetz, das nur der stärkste überlebt. Mann muss kämpfen, sonst geht man unter in dieser schlimmen Welt, so hat sie es immer betont, nur kein Schmerz zeigen, Soldat. Nein. Ich habe keine Schmerzen, ich bin stark, ich bin die schnellste in diesem Spiel. Ich sehe es schon, gleich bin ich am Ziel angelangt. Noch nicht, aber bald, nur noch einen Zug davon entfernt. ________________________________ [ZM1] ihnen? [ZM2] Mon|tur, die; -, -en [frz. montureÿ= Ausrüstung, zu: monter, montieren]: 1. (veraltend) Uniform, Dienstkleidung. Höchstens in vollem Wichs [ZM3] gerade frisch [ZM4] vom