1.Welche prosaische Genres überwiegen? die Bevorzugung kürzerer Prosatexte. der aus Teplitz-Schönau stammende Melchior Vischer[1] nannte seinen Text Sekunde durch Hirn (1920) im Untertitel Ein unheimlich schnell rotierender Roman, obwohl er nur 25 Seiten hat. Der 1920 als Nummer Nr. 59-61 der berühmten Reihe Die Silbergäule des Hannoveraner Verlegers Paul Steegemann veröffentlichte Roman, ist eine relativ kurze Erzählung in mehreren Abschnitten, in der es um den jähen Sturz des Helden Jörf Schuk, von einem Baugerüst im 40. Stockwerk in die Tiefe fällt. Den sicheren Tod vor Augen, läßt er sein Leben in Sekundenschnelle Revue passieren und lebt blitzschnell durch unterschiedliche Zeiten, Räume und Identitäten (so ist er nacheinander Statthalter, Mörder, Abgeordneter, Neugeborener, und Mönch und schließlich bei seinem eigenen Begräbnis anwesend). Das Motiv der zusammengedrängten Rückschau auf das eigene Leben im Angesicht des Todes wird mit den östlich-buddhistischen Vorstellungen von einer Kette der Wiedergeburten verbunden (Verwandlung in Fliege und Ratte, Durchjagen weiter Räume (Japan, China, Italien etc.). Neben deutlicher Stellungnahme für den Dadaismus (Integration zweier wichtiger dadaistischer Vertreter in den Roman, Verwendung typisch dadaistischer Stilmittel [vgl. dazu Engel 1991: 423]) wird die kritische Einstellung des Authors gegenüber dem bürgerlichen Wahnsinn und der lackierten Sprache seiner Zeitgenossen sowie an traditionellen Werten abendländischer Kultur deutlich. Die Flut von Romanen und Erzählungen in der ersten Hälfte der 20er Jahre ist dagegen eher eine Art hochgestochener Trivialliteratur. Alfred Döblin ist auch zuerst als Autor von Erzählungen hervorgetreten – 1913 mit er Sammlung Die Ermordung einer Butterblume und andere Erzählungen, Geschichten, in denen teilweise die psychiatrische Erfahrung des Autors erkennbar ist. Erst später legte er zwei expressionistische Romane vor: Die drei Sprünge des Wang-lun (1915) und Wallenstein (1920). Der »chinesische Roman« Die drei Sprünge des Wang-lun, der erschien 1915 bei S. Fischer. Stofflich geht er auf die Ketzeraufstände im China des 18. Jahrhunderts zurück, es ist jedoch kein Geschichtsroman traditioneller Art. Weder ein übersichtliches Handlungsmuster noch psychologische Folgerichtigkeit erleichtert dem Leser die Lektüre. Wang-lun, bewegt sich unter Obdachlosen, Vagabunden und Sonderlingen, er lehnt sich gegen die Willkür der kaiserlichen Herrschaft auf. Wang-lun ist ein Dieb und Räuber und vollzieht den ersten Sprung, als er mitansehen muss, wie ein Unschuldiger von einem Hauptmann getötet wird. Wang-lun erdrosselt den Offizier einige Tage später inmitten der Stadt vor seinen Soldaten und flüchtet in die Berge. Hunger treibt die Ausgestoßenen aus den Bergen, um ein Dorf zu plündern. Von dem Einsiedler Ma-noh lernt dann Wang-lun die taoistische Lehre der Gewaltlosigkeit. Ich muss den Tod über mich ergehen lassen und das Leben über mich und beides unwichtig nehmen, nicht zögern, nicht hasten … Ich will wunschlos, ohne Schwergewicht das kleiene und das Große tragen, mich abseits weNden, wo man nicht tötet .. Ich will arm sein, um nichts zu verlieren. Nicht handeln: wie das weiße Wasser schwach und folgsam sein; wie das Licht von jedem dünnen Blatt abglieten. Auch die ursprünglich unpolitische Bewegung errichtet ein Königreich mit dem ehemaligen Mönch Ma-noh als Priesterkönig an der Spitze. Wang-lun schreckt vor einem Massenmord nicht zurück, vergiftet die Brunnen im Stadtteil, in dem sich die Sekte niedergelassen hat. Er vollzieht jetzt den zweiten Sprung in die absolute Anonymität und Passivität. Der dritte Sprung besteht darin, einen offenen Kampf gegen das Mandschu-Kaisertum aufzunehmen, das die Sekte ausrotten will. Im Unterschied zu modernen Revolutionären schwankt er zwischen Rebellion und stillem Gewährenlassen, zwischen vita activa und vita contemplativa – auf die Entstehungszeit bezogen – schwankt er zwischen der bolschewistischen und tolstojschen Einstellung zur sozialen Problemen. Die Bolschewiki reragierten auf die Unterdrückung mit Gewalt, Tolstoj bevorzugte Geistigkeit und Askese. Dadurch, dass Wang-lun im letzten Aufstand umkommt und der Aufstand niedergeschlagen wird und der Roman mit der Frage schließt: »Stille sein, nicht widerstreben, kann ich es denn?«, entscheidet sich der Roman für keine der beiden Einstellungen. Der Roman fällt duch eine Mischung von kühner Metaphorik und drastischer Alltagssprache auf. Kommentarlos werden Farben und Formen aneinandergereiht wie in einem Prosagedicht. Döblins zweiter Roman Wallenstein (1920) steht unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, der nur Leiden und Zerstörung brachte. Auf über 1000 Seiten spielt die Tragödie des erschreckenden und blutigen Machtmenschen Wallenstein, den Historiker häufig als einen weitblickenden Staatsmann dargestellt haben. Döblin hebt die wirtschaftlichen Interessen hervor. Der Krieg erscheint als ein elementares Ereignis. Die expressionistische Prosa ist weniger bekannt als die Lyrik, weil die Anthologie von Max Krell Die Entfaltung. Novellen an die Zeit (1921), die im Rowohlt-Vrlag erschien, in ihrer Popularität hinter der Lyrikanthologie Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus weit zurückblieb. Erst Karl Otten – 1957 mit Ahnung und Aufbruch und 1963 mit Ego und Eros – versuchte auf die expressionistische Prosa wieder aufmerksam zu machen. 2. Wer war das Leitbild der jungen expressionistischen Prosaisten? Heinrich Mann wurde z. B. auch von dem politisch ganz anders gesinnten Gottfried Benn bewundert, vor allem sein Roman Göttinnen, der Ästhetizismus der Jahrhundertwende, wurzelt. Wegen der unbürgerlichen Heldin und ihrem Willen zur freien Lebensgestaltung, der tabu-befreiten Erotik, besonders aber wegen der Stilkühnheiten, der Sprache, die imstande war, zugleich knapp und üppig zu sein, sowie Bilder in schneller Folge in Bewegung zu setzen, bekannte sich die expressionistische Generation zu Heinrich Mann. Was Wedekind für das junge Drama bedeute, leistete Heinrich Mann im Bereich des Erzählens, indem er den traditionellen Psychologismus überwand und die Stimmung direkt auf die beschriebenen Gegenstände projizierte: Vom Garten herauf und über die Terasse hinweg brachen mit glühender Gewaltsamkeit massige Wülste[2] roter Pflanzen. Sie drängten ihre gedunsenen Kelche zwischen die Säulchen des Geländers, sie krochen feucht in Knollen über die Fliesen hin, wölbten sich in klebrigen Bügeln auf der Balustrade und erfüllten den Garten mit einem dunstenden[3] Blutmeer. 3. Welche Stilmerkmale weist die expressionistische Prosa auf? Döblin : Berliner Programm(1913 im Sturm veröffentlicht) Man lerne von der Psychiatrie, ….sie hat das naive der Psychologie längst erkannt, beschränkt sich auf die Notierung der Abläufe, Bewegungen – mit einem Kopfschütteln, Achselzucken für das Weitere und das Warum und Wie. Die sprachlichen Formeln dienen nur dem praktischen Verkehr. Zorn, Liebe, Verachtung bezeichnen in diesem Sinne Erscheinungskomplexe, darüber hinaus geben diese primitiven und abgeschmackten Buchstabenverbindungen nichts. Kinostil: neutrale Beobachtung ohne kausale Erklärungen, erläuternde Erzählerkommentare u. psychologisierende Aussagen über das Innenleben der Figuren paratakt. Aneinanderreihung einzelner Wörter, kurzer Sätze u. sich verselbständigender Erzählsequenzen Die Ermordung einer Butterblume 1910 im Sturm Diese Erzählung weist typisch expressionistische Neigung zur grotesken Verzerrung: Kaufmann Michael Fischer wird durch ein völlig belangloses Ereignis aus der Bahn geworfen. Sein Stock blieb an dem Unkraut am Rande des Weges hängen. In einem Wutabfall schlägt er auf die Butterblume los. Vor die Blumen war er gesprungen und hatte sie mit dem Spazierstöckchen gemetzelt, ja, mit jenen heftigen aber wohlgezielten Handbewegungen geschlagen, mit denen er seine Lehrlinge zu ohrfeigen gewohnt war, wenn sie nicht gewand genug die Fliegen im Kontor fingen und nach der Größe sortiert ihm vorzeigten. Phantasien und Wahnvorstellungen über seine Tat gewinnen die Herrschaft über ihn, die Wendungen besitzen unterschwellig sexuelle Nebenbedeutungen, die „Ermordete“ erhält den weiblichen Namen Ellen. Die Übermacht des Wahns wird durch einen ständigen Wechsel von Außen- und Innenperspektive, Präsens und Präteritum verdeutlicht. Die Verdrängung des Unbewußt-Triebhaften läßt ihn kein seelisches Gleichgewicht mehr gewinnen. Er versucht seine Tat gut zu machen, indem er das er der Blume ein eigenes Konto anlegt. Er glaubt den Wald dadurch übertölpelt zu haben: Laut lachte und prustete er. Und so verschwand er in dem Dunkel des Bergwaldes. Der Wald, ein Symbol für die dunklen Seelenbereiche, scheint ihn förmlich zu verschlucken. Groteske Züge dominieren auch in Albert Ehrensteins Tubutsch. Albert Ehrenstein (1886-1950), in Wien geboren und durch seine Gedichte in der »Fackel« bekannt. Seine Erzählung, Tubutsch erschien 1911 bei Jahoda und Siegel, dem Verlag von Karl Kraus mit Illustration von Kokoschka, der auch zum Kral Kraus-Kreis zählte. Die Ich-Erzählung ist eine scheinbar ziellose Aufzeichnungen einer Gestalt, die wegen ihrer Armut und mangelnder Anpassungsfähigkeit keine Stellung in der Gesellschaft mehr anstrebt und unter Kontaktlosigkeit leidet. In seiner Sicht bekommen die beobachteten Details über alles Lokale hinaus die Funktion, einen Zustand der Welt ausdrücken. Es ist eine Anti-Geschichte, die alle Erwartungen täuscht. Tubutschs müde Skepsis lässt auch den Sinn eines Widerstands als zweifelhaft erscheinen. Es dürfte kein Zufall sein, daß Ehrensteins improvisierend wirkendes Erzählen, das bewußt pointenlose Episoden aneinanderreiht, in mancher Hinsicht in bei B. Hrabal (Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene, 1964) eine Fortsetzung fand. Georg Heyms Prosa erschien erts postum 1913 bei Rowohl. Der Band Der Dieb, ein Novellenbuch enthält folgende Texte "Der fünfte Oktober", "Der Irre", "Die Sektion", "Jonathan", "Das Schiff", "Ein Nachmittag" und "Der Dieb". Heyms Außenseitertypen hassen die Gesellschaft und das Leben darin, werden gewalttätig oder gehen an einer kalten Umwelt zugrunde. Der Irre sehnt sich auf seinem Rachefeldzug und ermordet grausam zwei Kinder in Gedanken an den verhassten Arzt. Jonathan muss die Sehnsucht nach Wärme und Zuneigung mit seinen zwei Beinen bezahlen. Es entsetht der Eindruck, auch die Täter, nicht nur die Opfer Gejagte. Weniger abscheuliche Bilder prägen die Grotesken von Salomo Friedländer, Pseudonym Mynona: Rosa, die Schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken. (1913). hier Der Schutzmannshelm als Mausefalle Carl Sternheim: Busekow (1913): Als Gesine erschien, erhielt seine Haltung vollends etwas Heldisches. Er flog und wippte auf Draht, schlug mit der Linken einen mächtigen Bogen gegen nahendes Vehikle, und der Platz hallte von seiner Stimme. An Kaisers Geburtstag hatte einer für den anderen wichtige Mitteilung. Er war zum Wachtmeister ernannt. An sein Ohr hinsinkend, gestand sie Mutterschaft. Von Erspartem lebend, war sie schon seit Wochen ihrem Berufe fremd. Er träumte, in leerem Raum stünden sie sich gegenüber, nackt. Wie ihre Augend sich sengend ihm ins Gesicht bohrten, war er gezwungen, sie anzusehen. Einen schauerlichen Leib erblickte er, wie Stöcke die Beine, von Hautrunzeln bedeckt. Erbärmlich das übrige… Nirgends aber war noch der leiseste hüllende Flaum zu erspähen, und der Kopf glich einer polierten Kugel. Mit ausgestreckter Hand, die wie eine Kastagnette knackte, klopfte sie abwechselnd gegen sein gepolstertes Bäuchchen, den Schädel und krächzte dazu: Heuwanst, Heukopf! Und alsbald begann er aus der Öffnung seines Mundes Stroh zu speien, bündelweis, ohne Aufhören, meterweis. Sie lächelte giftig dazu, klopfte und knatterte: Heukopf, Heuwanst, Heukopf. In Schweiß gebadet erwachte er /.../ rief ihr zu: Ja, ja, Elisa, ich bin ein Elender; wirklich ein Unfruchbarer! Sie war nicht im Raum. Carl Einstein Bebuquin oder Die Dilletanten des Wunders. (erschienen 1912, entstanden 1906-1909) Gottfried Benn Gehirne (1916) ________________________________ [1] http://www.geo.uni-bonn.de/cgi-bin/kafka?Rubrik=prager_deutsche_literatur&Punkt=autoren&Unterpunkt= vischer [2] r Wulst – gerundete Verdickung an einem Körper [3] b) ausdunstend Geruch verbreiten; Dunst (1 b) ausströmen: aus ihrer Haut dunstete sie parfümiert; in der Wärme dunsteten Leder und Polsterung. ein D. von Tabakrauch und Speisen erfüllte die Gaststube; der warme D. (die warme Ausdünstung) der Pferde;