Okkultismus in der Literatur Telepathie, Psychokinese und ähnliche Erscheinungen wurden seit 1900 von der Literatur aufgegriffen. Ausgangspunkt für die okkultistischen Werke war häufig die Theosophie von Helene Blavatsky. Auf sie knüpfte auch Rudolf Steiner, der Gründer der Theosophischen Gesellschaft, in seiner Geheimwissenschaft (1910) an. Die Theosophische Gesellschaft fand ihre Anhänger auch unter bedeutenden Künstlern: z. B. in Kandinsky (mit seiner Studie: "Über das Geistige in der Kunst", 1912) oder in Mondrian gehörten zu den Anhängern von Helena Blavatsky.Unter dem Einfluss der Theosophen stand auch kurz vor und nach 1900 der Zeichner Fidus sowie die Bewegungen der Naturisten (FKK). ok|kult [lat. occultus]: (von übersinnlichen Dingen) verborgen, geheim: -e Kräfte, Fähigkeiten, Mächte; ok|kul|tis|tisch : den Okkultismus, - die Lehre vermuteten übersinnlichen, nach Naturgesetzen nicht erklärbaren Kräften u. Dingen- betreffend, zu ihm gehörend; übersinnlich. Die Ausstrahlungskraft des Okkultismus und seine Teilnahme an Sitzungen bei Schrenck-Notzing beschreibt Thomas Mann in seinem Essay Okkulte Erlebnisse (Die neue Rundschau, 1924). Manns sensible Analyse der zeitgenössischen Empfänglichkeit für das Übersinnliche, der Wendung gegen die bieder-bürgerliche Nüchternheit und Behäbigkeit, weist auf den springenden Punkt hin: Nicht nur unser großer Romancier ist, wie er schreibt, ,,den Okkultisten in die Hände gefallen", sondern das ganze Volk schien 1923 gleichsam aus dem Häuschen. Das kleine, große Dichtererlebnis wird im Zauberberg ein wichtiges Kapitel im Schlußteil inspirieren. Den Unterschied zwischen Okkultismus und Spiritismus erklärt er folgendermaßen: 224 In der Tat ist Spiritismus, der Glaube an Geister, Gespenster, Revenants, spukende „Intelligenzen“, mit denen man sich in Beziehung setzt, indem man eine Tischplatte anredet, und zwar nur, um die größten Dummheiten zur Antwort erhalten– in der Tat also ist Spiritismus eine Art von Gesindestubenmetaphysik, ein Köhlerglaube, der weder dem Gedanken idealistiscjher Spekulation gewachsen noch des metaphysischen Gefühlsrausches im entferntesten fähig ist. 226 Wenn aber Metaphysik empirisch wird, wenn sie sich herbeilässt oder die Verpflichtung zu fühlen beginnt oder der Verführung unterliegt, dem Weltgeheimnnis experimentell auf die Spur zu kommen – das tut sie im Okkultismus, da dieser nichts ist als empirisch-experimentelle Metaphysik – so darf sie nicht darauf rechnen, ihre Hände[1] rein zu halten, ihrer Haltung Würde zu wahren … 227 Dr. Albert Freiherr von Schrenck-Notzing[2], … Spezialist für Nervenkrankheiten, Sexual-Patholog, gelangte er früh, schon vor mehr als dreißig Jahren, auf den Weg über den Hypnotimsus und Somnabulismus zu okkulten Studien, und es scheint, dass er eine Zeitlang dem Spioritimsus zugeneigt gewesen ist, während er heute diese Theorie von der Hand weist und zur Erklärung all der Unerklärlichkeiten, die er hervorruft und beobachtet, sich auf unbekannte, aber allmählich zu erkennende Naturkräfte bezieht. Das Erscheiunen seines Buches Materialisations-Phänomene ein paar Jahre vor dem Kriege, rief einen voll ausgewachsenen öffentlichen Skandal hervor. 228 Der zweite Band der Materialisation-Phänomene fand eine vollständig veränderte Atmosphäre vor. Nach dem Kriege, der so ganz ,,unerträumte Umwälzungen und Abenteuer" mit sich gebracht hatte, stieß der zweite Band auf weit weniger ,,Spott und Schimpf". Es schien so, ,,als sei beides weniger kraftvoll, von nicht ganz so behäbiger Zuversicht getragen wie ehemals, und nicht ohne einen Einschlag von Resignation, von fatalistischem Gewährenlassen. Man hat soviel Ungeahntes hinnehmen, so krasse Dinge über sich ergehen lassen müssen, daß der Entrüstung [...] eine unverkennbare Neigung zum Paktieren beigemischt war." – ,,Ganz ähnlich wie in der Politik ..." 258 Es führt zu nichts, oder doch zu nichts Gutem. … 259 Noch einmal möchte ich, gereckten Halses, die Magennerven angerührt von Absurdität, das Unmögliche sehen, das dennoch – geschieht. Steiner, Rudolf * 27. 2. 1861 Kraljevec/Slawonien, † 30. 3. 1925 Dornach bei Basel. Begründer der Anthroposophie. (nach Killy) Nach einem naturwissenschaftl. Studium in Wien, das er durch philosophische, literaturwissenschaftl. u. altphilolog. Vorlesungen vielfältig ergänzte, wurde der Sohn eines österr. Eisenbahnbeamten mit der Herausgabe von Goethes naturwissenschaftl. Schriften betraut - u. a. zwischen 1890 u. 1897 für die Sophien-Ausgabe am Goethe-Schiller-Archiv in Weimar. In Berlin verkehrte S. in den Kreisen der Boheme, befreundete sich mit dem Anarchisten John Henry Mackay, gab 1897-1900 gemeinsam mit Otto Erich Hartleben das »Magazin für Literatur« u. die »Dramaturgischen Blätter« heraus u. lehrte 1899-1904 an der von Wilhelm Liebknecht gegründeten Arbeiter-Bildungsschule. Nach seiner - von einigen Kritikern der Begegnung mit seiner späteren (zweiten) Frau Marie von Sievers zugeschriebenen - Wende zur Theosophie entwickelte S. zwischen 1902 u. 1912 als Generalsekretär der dt. Sektion der Theosophischen Gesellschaft die Anthroposophie als eine umfassende Lehre der Erkenntnis des Menschen u. des Kosmos, »die das Geistige im Menschen zum Geistigen im Weltall führen will« (Theosophie. Bln. 1904. GA 9. Die Geheimwissenschaft im Umriß. Lpz. 1910. GA13). Darin verschmilzt Haeckelscher Monismus mit dem Okkultismus Paracelsus' u. Jakob Böhmes, abendländ. »Christologie« (Das Christentum als mystische Tatsache. Bln. 1902. GA 8) mit ind. Reinkarnations- u. Karmalehre[3]. Ziel der optimistisch gesehenen Entwicklung sowohl des Kosmos als auch des einzelnen Menschen ist die völlige Durchgeistigung. Wieweit diese bereits gediehen ist, kann der »Seher mit dem geöffneten geistigen Auge« etwa an der Farbe der übersinnl. Aura der »Äther-«, »Astral-« u. »Ich-Leiber« ablesen, die den »physischen Leib« erst zum ganzen Menschen ergänzen. S.s Festhalten an der christlich-abendländ. Tradition der Esoterik führte 1913 zum Bruch mit der Theosophischen u. zur Konstituierung der Anthroposophischen Gesellschaft. Als geistiges Zentrum errichtete er nach eigenen Plänen von 1914 an in Dornach das »Goetheanum« - zunächst als Holzbau u. nach einem Brand aus dem damals avantgardistischen Beton. Während u. nach dem Ersten Weltkrieg versuchte S. auch politisch Einfluß zu nehmen (Gedanken während der Zeit des Krieges. Bln. 1915). Hier blieb ihm jedoch - wie mit seinen zwischen 1910 u. 1913 uraufgeführten vier Mysterien-Dramen - der Erfolg versagt. Nachhaltig wirkten dagegen seine (reform-)pädagog. Ideen (Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft. In: Lucifer-Gnosis, 1907. GA 34): Neben zahlreichen heilpädagog. Heimen für »seelenpflegebedürftige« Menschen gibt es heute allein in Deutschland über 120 Waldorfschulen u. über 250 Waldorfkindergärten; der Name stammt von der ersten, 1913 in Stuttgart gegründeten u. von der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik geförderten Schule. Im Zentrum der Waldorfpädagogik steht die ganzheitl. Menschenbildung, in der Leib u. Seele durch eine entwicklungspsychologisch begründete »Erziehungskunst« harmonisch ausgebildet werden sollen. Unter Verzicht auf Schulbücher, Notengebung u. Sitzenbleiben - wenigstens in den unteren Klassen - werden einzelne Stoffgebiete in drei- bis vierwöchigen »Epochen« unterrichtet. Hinzu kommen handwerkl. u. künstlerische Fächer sowie - von der ersten Klasse an - frz. u. engl. Sprecherziehung. Auch S.s Anregungen für eine Erweiterung der medizinischen Heilkunst durch »okkulte Physiologie«, für eine »biologisch-dynamisch« reformierte Landwirtschaft (»Demeter«-Produkte), für eine neue Bewegungskunst - »Eurythmie« als »sichtbarer Klang« - u. die Stiftung einer neuen Konfession, der »Christengemeinschaft«, stoßen gerade in unserer Zeit auf großes Interesse. Viele Künstler - etwa die Anthroposophen Michael Ende u. Joseph Beuys - beziehen sich bis heute auf S.s spirituelle Lehre. Die mit S.s Popularität schon zu Lebzeiten verbundene Polarisierung der Meinungen läßt sich an den Notizen u. Feuilletons berühmter Zeitgenossen ablesen. So suchte Kafka in S.s theosophischer »Sprechstunde« (vergeblich) Rat (Tagebuch, 26./28. 3. 1911), wurde »der Jesus Christus des kleinen Mannes« (Tucholsky), der »okkulte Journalist Rudolf Steiner«, der »mit allem Unrat zuweilen auch eine bedeutende Perle« gebe (Bloch), häufig zur Zielscheibe des Spotts derer, die in S.s Verbindung zwischen Wissenschaft u. Religion ein »Zerrbild echten Teilhabens am Absoluten« (Kracauer) sahen. Gleichzeitig identifizierten sich andere, so Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Albert Schweitzer, Hermann Hesse u. Else Lasker-Schüler, ausdrücklich mit S.s Anliegen oder wurden wie der russ. Symbolist Andrej Belyj u. Christian Morgenstern zu erklärten Jüngern. Während sich die anthroposophische Sekundärliteratur zumeist darin erschöpft, das aufgrund seines allumfassenden Themenspektrums wie seines Umfangs beispiellose Werk von S. auszulegen, erlebt die Kritik angesichts des außerordentl. Erfolgs der Waldorfpädagogik seit den 80er Jahren einen neuen Aufschwung. Walter Hasenclever Bestimmend für die Jahre nach dem Kriegsende 1918 wurde die Freundschaft mit dem Schauspieler Paul Wegener[4], der ihn in den Buddhismus einführte; in diese Jahre fallen sein gründl. Studium der Schriften des Mystikers u. Visionärs Swedenborg. H. erlebte eine Phase der Depression, aus der er in seiner Hinwendung zum Buddhismus, zur Astrologie, zum Okkultismus u., angeregt durch Strindberg- u. Balzac-Lektüre, zu den Jenseitsvisionen Swedenborgs suchte, dessen lat. Hauptschriften er auszugsweise in dt. »Nachdichtung« herausgab (Himmel, Hölle, Geisterwelt. 1925), mit der Begründung, der Dichter als der letzte Verantwortliche seiner Zeit habe im »Kerker des Intellekts« Religion u. Liebe zu verkünden. Die Dramen Jenseits (Bln. 1920) u. Gobseck (Bln. 1922) sowie die Lyriksammlung Gedichte an Frauen (Bln. 1922) spiegeln diese Haltung, die postmoderne Antirationalität vorwegnimmt. Eine breite Lesergemeinde fanden Autoren der phantastischen Literatur, die entscheidende Impulse vom Okkultismus rhalten hat: Meyrink, Ewers (http://www.bonn.de/stadtmuseum/inhalte/ewers.htm) oder Perutz (http://www.biblint.de/perutz.html), bei dem das Okkulte neben dem Realen existiert. Buchreihen, Zeotschriften und Verfilmungen tragen zwischen 1918 und 1926 zur Massenverbreitung dieser früheren Geheimwissenschaft. Von den mährischen Autoren zählen Franz Spunda und Karl Hans Strobl zu den mit Kolportageeffekten hergestellten Romanen und Erzählungen. Meyrinks esoterische Entwicklung fand ihren Ausgangspunkt in der Theosophie. Beherrschte den Golem (1915) noch die kabbalistische Mysterientradition, kommen im Grünen Gesicht (1916) chassidische Elemente und Mythen der Nilkultur hinzu. Meyrink hatte praktische Yoga-Erfahrungen, in Walpurgisnacht (1917), vor allem aber im Weißen Dominikaner (1921) präsentiert er taoistisch-tibetische Traditionen, während Der Engel vom westlichen Fenster (1927), freilich nicht ohne Ironie, einen synthetisierenden Erben des westlichen und östlichen Initiationsweges andeutet. Die äußere Form seiner Werke scheint Meyrink dabei mitunter nur Mittel zum Zweck; entscheidend ist weniger das äußere Geschehen als der geistige Inhalt, den der Autor einem ironisierenden Mystifikateur gleich präsentiert. So liebt Meyrink es beispielsweise, Probleme und Fragen aufzuwerfen, ihre letzte Klärung jedoch durch eine ironische, distanzierende Wendung - "Doch wozu solche Erwägungen, die Fremde nichts angehen!" - zu verweigern. Schon Karl Hans Strobl beschrieb diese typische Erfahrung der Meyrink-Lektüre: Den Eindruck eines höhnischen grinsenden Autors, der den Leser bewußt in sorgfältig vorbereitete Fallen tappen läßt, um ihn dann zappeln zu lassen. ________________________________ [1] 258 In dem Nagelbett von Willis linkem kleine Finger aber und auf dem Rücken des vierten Fingers derselben Hand fanden sich Spuren der Tonerde. [2] gest. 1929, Die Hauptaufgabe sah Schrenck-Notzing in der Sicherung der Phänomene, ihre Deutung hielt er für sekundär. [3] Kar|ma, Kar|man, das; -s [sankr. karma(n)] (Buddhismus, Dschainismus, Hinduismus): das die Form der Wiedergeburt eines Menschen bestimmende Handeln bzw. das durch früheres Handeln bedingte gegenwärtige Schicksal. [4] gehörte zu den Stars von Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. Gemeinsam mit dem Kameramann und Tricktüftler Guido Seeber entwickelte er das konzept des Phantastischen als dem Film eigentümliche Kunstform:: Der Student von Prag, 1913; Der Golem, 1914.