Ein Paar Worte zu Horváth: Horváth, Ödön (Edmund) von, * 9. 12. 1901 Sušak/Fiume (Rijeka), † 1. 6. 1938 Paris; Der aus ungar. Kleinadel stammende Vater H.s gehörte dem ungar. diplomat. Korps an, die Mutter stammte aus Broos in Siebenbürgen. H. wuchs in Belgrad, Budapest u. ab 1909 München auf. Ab 1919 hörte H. an der Universität München germanistische u. philosophische Vorlesungen. Sein Interesse dafür erlahmte aber bald, als die schriftstellerische Tätigkeit in den Vordergrund rückte. Ab Ende 1923 hielt sich H. hauptsächlich in Berlin auf, zeitweise auch in der elterl. Villa im bayerischen Murnau am Staffelsee, SW von München. Das Jahr 1929 brachte für H. auch ökonomische Absicherung: Der Ullstein Verlag zahlte ihm für seine »gesamte schriftstellerische Produktion« eine monatl.Garantiesumme. Die Angriffe rechter Kritikerkreise gegen ihn verstärkten sich ab 1931 nach einem Prozess, in dem H. als Zeuge die Aktion eines Murnauer NS-Schlägertrupps bloßstellte. Die auf Vorschlag seines Freundes Carl Zuckmayer erfolgte Zuerkennung des Kleist-Preises im Herbst 1931 ließ einen Teil der dt. Presse vollends »vor Wut und Haß« zerspringen. Nach 1933 jedoch wurde das bereits zur Uraufführung angenommene Stück Glaube Liebe Hoffnung. Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern (Ffm. 1973) abgesetzt, auch andere geplante Aufführungen seiner Werke fanden nicht mehr statt. Eine Hausdurchsuchung der SA in Murnau war schließlich letzter Anstoß für H., Deutschland zu verlassen. Anfang März 1933 fuhr er als ungarischer Staatsbürger nach Salzburg, dann nach Wien. H. unternahm jedoch immer wieder Reisen ins »Reich« - vielleicht, weil er die Hoffnung auf Publikationsmög-lichkeiten noch nicht aufgegeben hatte: So verweigerte er mit dem Hinweis auf deren polit. Charakter die Mitarbeit an der Exilzeitschrift »Die Sammlung« u. wurde im Sommer 1934 auf eigenen Antrag in den nationalsozialistischen Reichsverband Deutscher Schriftsteller aufgenommen (bis Febr. 1937). 1936 wurde H. die Aufenthaltserlaubnis für das Deutsche Reich entzogen. Von der Öffentlichkeit kaum beachtet, nur in einem kleinen Freundeskreis verkehrend (v. a. Csokor u. Lernet-Holenia), stürzte sich H. in Wien in schriftstellerische Arbeit. Zunehmende Resignati- on, Depressionen u. finanzielle Probleme ließen jedoch seine Arbeitskraft 1937/38 entscheidend erlahmen. Kurz nach dem »Anschluß« verließ er Wien; über Budapest, Teplitz-Schönau, Prag, Zürich, Brüssel u. Amsterdam führte H.s Weg der Emigration nach Paris (28. 5. 1938). Drei Tage später, am Abend des 1. 6. 1938, wurde H. auf den Champs-Elysées von einem herabstürzenden Ast getötet. 1924-1926 publizierte H. im »Simplicissimus« u. in der »Berliner Volkszeitung« einen Teil der Sportmärchen (Ffm. 1972. U. d. T. Rechts und Links. Sportmärchen. Bln. 1969) - kurze Prosatexte, die sich einfühlsam mit der wachsenden gesellschaftl. Bedeutung des Sports, dessen Ritualen auseinandersetzen und sie den traditionellen religiösen Vortstellungen gegenüberstellen. S. 12 – 13: Vom artigen Ringkämpfer, Vom unertigen Ringkämpfer; Sein erstes Drama, das Volksstück Revolte auf Côte 3018 (Urauff. Hbg. 1927. Erstdr. in: GW 1, 1970), arbeitete er nach der ablehnenden Kritik um. Die neue Fassung erhielt den Titel Die Bergbahn (Urauff. Bln. 1929). Mit dem Konflikt zwischen kapitalkräftigen Unternehmern u. einfachen Arbeitskräften beim Bau der österr. Zugspitzbahn greift H. hier ein sozialpolit. Thema in einer Radikalität auf, wie sie das »Volksstück«, das er »formal und ethisch« zerstören u. dessen »neue Form« er finden wollte, bisher nicht kannte. H.s Sympathien für die sozial Schwächeren, seine offenkundige polit. Tendenz brachten ihm den Vorwurf der »Hetzdramatik« ein, der sich noch verschärfte, als 1929 sein Stück Sladek der schwarze Reichswehrmann, eine »Historie aus dem Zeitalter der Inflation« uraufgeführt wurde (urspr. Fassung: Sladek oder Die schwarze Armee. Erstdr. beider Fassungen in: GW 1, 1970. Ffm. 1974). Als Schwarze Reichswehr bezeichnete man die als Vaterländischen Verbände getarnten Reservetruppen der Reichswehr, die wegen der durch den Versailler Vertrag limitierten Truppenstärke nicht offiziell ausgewiesen werden durften. Abtrünnige dieser Verbände wurden häufig Opfer von Fememorden, wie darüber Die Weltbühne im Jahre 1925 schrieb. Franz, ein linker Journalist untersucht die Vorgänge und stößt bei einer Versammlung von Hakenkreuzlern auf Sladek, einen Arbeitslosen. Er wird von seiner Wirtin ausgehalten und wenn sie droht, ihn lieber zu verraten als an die Schwarze Armee zu verlieren, bringt er sie mit seinen Kumpanen um. Franz und Sladek kommen beide vors Gericht – Franz wegen versuchten Landesverrats, weil er über die Vorgänge schrieb, wie Mertens in der Weltbühne, Sladek wegen Mordes. Sladek wurde dann amnestiert und reist nach Südamerika aus. In der zweiten Fassung, die erst (damals) aufgeführt werden durfte, fällt Sladek im Kampf, als die regulären Truppen die Schwarze Reichswehr entwaffnen. Ein Primitiv mit analogisierenden Denkmustern: Ohne Mord gibt es kein Leben, geht es nicht weiter, ein durch den Ersten Weltkrieg Entwurzelter, ein Prototyp des Mitläufers. Den ersten großen Bühnenerfolg feierte H. 1931 mit dem Volksstück Italienische Nacht (Bln. 1931. Erstfassung u. d. T. Ein Wochenendspiel. Ffm. 1971), dessen Grundidee darin besteht, daß ein Wirt sein Lokal gleichzeitig an den republikan. »Schutzverband« u. an die »Hakenkreuzler« vermietet. Dies gibt dem Autor Gelegenheit, gegen polit. Phrasendrescherei von rechts u. links vorzugehen. Der Marxist Martin warnt die Republikaner vor einem nationalsozialistischen Überfall. Der republikanische Stadtrat will die Gefahr allerdings nicht wahrhaben: von einer akuten Bedrohung der demokratischen Republik kann natürlich keineswegs gesprochen werden … solange es einen republikanischen Schutzverband gibt … solange kann die Republik ruhig schlafen! Die Arbeit an seinem erfolgreichen Volksstück Kasimir und Karoline (Ffm. 1972) beendete H. etwa im April 1932. Schauplatz dieser »Ballade vom arbeits- losen Chauffeur Kasimir und seiner Braut« ist das Münchner Oktoberfest, dessen Vergnügungsrummel kontrapunktisch die allmähl. Trennung der »höher« hinaufstrebenden Karoline von ihrem treuen Bräutigam begleitet. Sie fährt mit einem Kommerzienrat im Auto weg, das gerade vorher Franz, ein Bekannter Kasimirs, ausgeraubt hat, während Kasmir mit seiner Freundin Schmiere gestanden hat. Der ertappte Franz wird abgeführt und Kasimir tröstet sich mit der allein gebliebenen Erna. Die Wirkung des Stückes geht auf den schnellen Wechsel kontrastreicher Szenen zurück: der 117 kurzen Szenen, die häufig nur aus einem kitschig süßen Schlager oder einem kurzen Dialog der gehässigen und hilflosen Figuren bestehen und derben Dialekt und den präzise nachgebildeten schnoddrigen oder grotesken Jargon der Halbgebildeten aufeinader anprallen lassen. Tritt das Moment der sozialen Anklage in Kasimir und Karoline etwas zurück, so formuliert das ebenfalls 1932 fertiggestellte Stück Glaube Liebe, Hoffnung Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern wiederum den »gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft«. Elisabeth will ihren Körper dem Anatomischen Institut verkaufen. Der Oberpräparator behauptet, daß es nicht möglich ist, aber leiht ihr die Summe, die sie angeblich für ihren Gewerbeschein braucht. Als er feststellt, daß sie damit nur eine Strafe bezahlt hat und daß ihr Vater nicht Zollinspektor, wie er dachte, sondern nur Versicherungsinspektor ist, zeigt er sie als Betrügerin an. 14 Tage Gefängnis muß sie absitzten. dann lernt sie den Polizisten im Wohlfahrtsamt kennen, zieht als seine Braut zu ihm, verheimlicht ihm aber daß sie vorbestraft ist. Als sich das bei einer Polizeirazzia herausstellt, trennt er sich von ihr, um seine Karriere nicht zu gefährden. Sie will sich ertrinken, wird noch gerettet, aber während sich niemand um die unterkühlte Elisabeth, sondern nur um den heldenhaften Retter kümmert, stirbt sie. Nach 1933 schreibt er keine Volksstücke mehr. Die 1933 entstandene Komödie Die Unbekannte aus der Seine (GW 2, 1971) trägt deutl. Züge einer veränderten Perspektive des Autors nach der Machtergreifung, die Verunsicherung, die Hinwendung zum Irrationalen. Die Welt des Kleinbürgertums, die selbst durch den Mord an einem alten Uhrmacher nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen ist u. in einem Akt der Verdrängung den Mörder zum Geschäftsnachfolger des Ermordeten werden läßt, kontrastiert H. mit der mysteriösen Titelheldin, die aus unerfüllbarer Liebe Selbstmord begeht. Die Stücke Figaro läßt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg wurden in der Tschechoslowakei 1937 uraufgeführt. Geschichtlich-geselschaftliche Konflikte als zeitlos dargestellt. Die Entwicklung Figaros vom Sympatisanten des Umsturzes über den konformistischen Kleinbürger im Exil führt Horváth bis zu einer Rückkehr aus dem Exil in das Heimatland, in dem die Revolution menschenfreundlichere Züge angenommen hatte. 1937 entstehen die Exilromane Jugend ohne Gott (Amsterd. 1938) - noch zu Lebzeiten H.s von der Kritik enthusiastisch begrüßt - u. Ein Kind unserer Zeit (Amsterd. 1938. U. d. T. Zeitalter der Fische. Wien 1953); beide sind geprägt vom Widerstand gegen den Faschismus: In der Kriminalerzählung Jugend ohne Gott, die die Aufdeckung eines Mords unter Schülern zum Inhalt hat, stellt H. den »gottlosen«, von der Ideologie des Faschismus bereits durchdrungenen Jugendlichen die Gestalt des Lehrers gegenüber, der sich für die »Wahrheit«, u. damit für Humanität, Gerechtigkeit u. Bildung entscheidet - letztlich also auch für Gott, der diese Werte repräsentiert. Zum »Klassiker« der Moderne avancierte er allerdings erst 1967-1972, als im Gefol- ge der Studentenbewegung das politisch-aufklärerische Theater eine neue Blüte erlebte, die schließlich auch zur Rehabilitierung der Volksstücke H.s führte. An den Theatern u. auf dem Buchmarkt, unterstützt von einer enthusiastischen Kritik, setzte ein wahrer H.-Boom ein. M§rz 1931: Oskar sima, der Darsteller des Stadtrats in der Berliner Aufführung der italienischen Nacht, bringt das Stück im Raimund-Theater heraus und präsentiert damt H. zum ersten Mal auf einer österreichischen Bühne. Heinz Hilpert inszeniert es im Deutschen Theater Berlin mit Carola Näher als Marianne und hans Moser als Zauberkönig, Paul Hörbiger als Rittmeister: H.s populärstes Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald (Bln. 1931): Um die Hauptfigur Marianne, Tochter des spießigen »Zaunkönigs«, [1]bilden sich Paare u. gehen wieder auseinander; sie selbst wird in diesem Spiel Opfer u. Frau des ungeliebten Fleischermeisters Oskar. Die bewußt kitschig mit Versatzstücken der Wiener Gemütlichkeit arrangierte Idylle ist eine tödliche. [Autoren- und Werklexikon: Horváth, Ödön von, S. 6. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 9357 (vgl. Killy Bd. 5, S. 473)] Berliner Tagblatt, Alfred Kerr: Er lüpft als Ironiker eine Legende: Kitschlügen um Österreich. Die Weltbühne: Alfred Polgar: Jeder ist Spiegel für die Art dews andern .. Neues Wiener Journal, Rudolph Lothar: ein Zeichner im Genre Georg Grosz, mit dem er die größte Künstlerische Verwandschaft hat Schmidt-Dengler, Hanser, 501: zeigt, dass die Figuren den Klischeees so lange nicht entrinnen werden, solange sie dies benötigen, um nach ihnen ihr Leben zu modelieren. Mit dieser Handluing will sie das Klischee überlisten, dessen Opfer sie zu werden füchtet, ohn zu ahnen, dass die Spontaneität ihrer Enmtscheidung Teil eines anderen und noch verhängnisvorelleren Klischees ist die Übereinstimmungen in der Handlungsstruktur mit Felix Dörmanns Jazz ________________________________ [1] Zaunkönig: Regulus (1)]: 1. Goldhähnchen Králíček, nejmenší pták Evropy