Marius von Mayenburg onsterc_alenmerung oder Von den fatalen Folgen des Ablebens von Artur Moser senior, gestorben am neunzehnten April Neunzehnhundertsiebenundneunzig in der Charite zu Berlin. perso_nem_ Dr. med. Wilhelm Schrumpf Mathilde Schrumpf, seine Frau Michael, ein Monster art: Wohnzimmer der Schrumpfs. Links und rechts je eine TUr, namlich die Eingangs- und die ToilettentUr. 2 1. (Schrumpf trommelt wild gegen die Toilettenttr.) SCHRUMPF: Weib! Weib! Komm raus, ich wills jetzt wissen. Du bringst mich um! Sag was! Bist du schwanger? Sag was! (Er fangt an zu heulen.) Du kannst doch ein biBchen schwanger sein. Nur ein biBchen. Eine kleine Schwangerschaft, das war doch mOglich. (Er hOrt auf zu heulen. Wieder zornig.) Weib! Wenn du nicht im Zeitraum von Sekunden was sagst, brech ich mit dem Kopf durch die TUr und schau nach, was sich in dir abspielt. (Schrumpf nimmt Anlauf, die Ttr mit dem Kopf zu durchstoBen. Mathilde Offnet die Tdr und schlagt Schrumpf damit nieder. In der erhobenen Hand halt Mathilde einen bluttriefenden Tampon. Ihre Haltung ist majestatisch, von groBem Ernst, sie kOnnte einen Heiligenschein tragen.) MATHILDE: MuB ich die Situation noch weiter erlautern? Dieses Ding, das ich hier in der Hand schwinge, sagt: "Der letzte Monat war umsonst. Umsonst der Ehesport, umsonst vergoBner SchweiB." Das sagt Ihnen dieser Wattepropf. SCHRUMPF: Weib, Weib ich blute! 0 weh! MATHILDE: Ich auch. Es ist wie eine allergische Abwehrreaktion. Ich babe Krampfe. SCHRUMPF: Hier. Mein ganzes Hirn flieSt auf den Teppich. Tupfer! Kompressen! Mullbinden! Einen Druckverband! Mein Leben versickert! MATHILDE: GewiB. (Sie gibt Schrumpf den Tampon zu halten. Sie beginnt, Schrumpfs Kopf in einen Verband zu wickeln. Eine liebevolle Szene. Zuletzt ist Schrumpf grotesk eingewickelt, als triage er einen Turban.) SCHRUMPF (philosophiert fiber dem Tampon): Ich bin so vergeblich, die niedrigste Kreatur bin ich. Was soll ich hier in dieser Welt? Weib, sags mir, was? MATHILDE: Mein Mann bist du, ich hab dich lieb. SCHRUMPF: Ratzschnurz! Das ist falsch investiert, in solch zerkranktes Wesen, wie ich es vorstelle. In meinem Magen friBt das Geschwtr, es dauert nicht lang, und es 3 hat sich Bahn gebrochen ins Freie. Dann wird sein Heulen und Zahneknattern! Weg bin ich Bann, alles weg. Schrumpf, Doktor Med Wilhelm Schrumpf, Koryphae der Intensivmedizin, der grOBte Transpflanzer in der Geschichte der menschlichen DNS, einzigartig in seinen genialen Genen, Krone der Schopfung, zu Fall gebracht durch Intrigen der kleinkOpfigen Mittelbaudoktoren, hinabgestoBen, ausgerissen, entthront, wird zuletzt das Opfer eines ordinaren MagengeschwUrs. Mein Gen! Es ist nicht zu ertragen, wenns im Grab vertrocknet, wenn die Wiirmer ihre gefraBigen Zahne in meinen Hoden schlagen, niemals, niemals, die miissen in der Welt bleiben. Weib, ich will dich mit meinen Genen bestiicken, halts Maul, es muB sein, ein letzter Versuch! Spermien antreten zum letzten Gefecht! (Er versucht, Mathilde zu begatten, die wehrt sich.) MATHILDE: Mann, das sind sinnlose Milhen. Kinder zeugt man nicht mit der Panzerfaust! SCHRUMPF: Nix da, nix da, nix da! (Er macht sich an ihr zu schaffen. Mathilde versucht, ihn zu beruhigen, sie streichelt seinen Kopf, wenn sie ihn zu fassen kriegt.) MATHILDE: Was du uns antust, mein Lieber. Du bist eine Katastrophe. (Schrumpf rutscht auf ihr herum.) So wird das nichts, hOr auf. Hinterher bist du wieder traurig. SCHRUMPF: Das muB jetzt, das muB jetzt! MATHILDE: Himmel hilf! Warum muBte dieses Schicksal mich treffen? Warum meinen Mann? Warum, warum, das sag mir mal, warum muBte Artur Moser sterben in seiner verfluchten Intensivstation? (Schrumpf erstarrt. Er lost sich von Mathilde.) SCHRUMPF: Wer hat hier Artur Moser gesagt? Dieser Name ist gesperrt. Wo sitzt dieses verraterische Partikel? (Er geht schnuppernd auf und ab.) MATHILDE: Ich wars nicht. SCHRUMPF: Da. Du. Mir so in den Riicken zu fallen. Mein Zutun hat nichts zu tun mit seinem Tod. Der war schon 4 vorher tot, der war schon tot, ehe er geboren wurde, der alte Sack, und du, gerade du (Er fangt an zu heulen.) MATHILDE: Mein Wilhelm, mein guter Wilhelm. Denk nicht dran, ja? SCHRUMPF: Er war tot, der alte Sack, der hatte sowieso keine Baume mehr ausgerissen, der. MATHILDE: Genau, ganz richtig, keine Baume, und jetzt denk nicht mehr dran. (Mathilde streichelt seinen Kopf. Er schluchzt.) SCHRUMPF: Das war jetzt wohl wieder nichts? MATHILDE: Nein, das wird nichts gewesen sein. 2. (Mathilde sitzt allein.) MATHILDE: Morgens, wenn die TUr hinter seinem Rticken ins SchloB rummst, lost sich eine groBe Anspannung aus meinen verkrampften Nerven und Muskeln. Ich weiB, jetzt ist er eine Weile weg, und ich werde ruhig. Ich stelle mir vor, er schrubbt den Leichen den Racken, manuelle Arbeit, das besanftigt das Nervenkostilm. Nattirlich ist es ein Sturz: Aus höchster TransplantatenhOhe hinunter in den Leichenkeller, aber er ist beschaftigt, und die dummen Gedanken kreisen langsamer in seinem Schadel. Ich tauche meinen KOrper in eine Krauterbalsamwanne und inhaliere Rosmarin. Die Schrecken der Nacht verdampfen. Ich gymnastiziere auf dem Teppich, define die Gelenke, mache mich geschmeidig. Ich esse Proteine und mache mich stark. Ich muB vorbereitet sein. Abends werd ich dann unruhig. Ich weiB, bald kommt er, und dann geht es wieder los. (Schrumpf donnert die TOr ins Zimmer. Er tragt eine groBe Reisetasche, aus der ein menschlicher Arm mit Hand ragt.) SCHRUMPF: Weib, die Zeiten der Dunkelheit sind voriiber, hier kommt der helle Tag, hier in dieser Reisetasche steckt die Zukunft, der Friede und das Leben. MATHILDE: Ich sehe schon, das ist ein neuer Angriff auf meine geistige Unversehrtheit. (Schrumpf reiBt begeistert den Arm aus der Tasche und streckt ihn Mathilde Hand voraus entgegen.) 5 SCHRUMPF: Hier. Schtttel deinem Sohn die Hand. (Mathilde ergreift paralysiert die hingehaltene Hand. Schrumpf ldBt den Arm los, den Mathilde jetzt hilflos hdlt und betrachtet, wdhrend Schrumpf begeistert in seiner Tasche wthlt und Leichenteile zutage fOrdert.) MATHILDE: Das gehtirt zum Ekelhaftesten, was ich je gesehen habe, ich kann mich nicht erinnern, so einen widerwdrtigen Gegenstand je in meiner Hand gehalten zu haben. (PlOtzlich hysterisch mit dem Arm auf Schrumpf einschlagend:) Wem gehOrt das, to das weg, was schleppst du hier deinen Arbeitsplatz ins traute Heim, Gldck allein, willst du, daB ich auf den Teppich brech? SCHRUMPF (ruhig): Nein. Ich will, daB du aufhOrst, mit diesem Arm herumzuprdgeln, den Mund haltst, und dir unsere frUhlingshaft sonnige Perspektive anhOrst. MATHILDE: Aber das ist ein Arm. Ich seh da keine Perspektive, ich seh bloB einen Krdppel, der durch diese Stadt rennt, und seinen rechten Arm sucht. SCHRUMPF: Ich habe auch zuerst versucht, einen ganzen Leichnam in die Tasche zu kriegen, aber das geht nicht, ist zu sperrig. MATHILDE: Ich rufe jetzt die Nervenheilanstalt und reserviere fdr uns beide ein Doppelzimmer. Nicht? Was ist denn? Starr nicht so in deine Tasche. SCHRUMPF: Alles wird gut. Keine abendlichen Penetrationen mehr. Der heutige Tag wird alles wenden. MATHILDE: Aber eigentlich hat das immer eine ehedhnliche NAhe zwischen uns herbeigefdhrt. SCHRUMPF: Aber jetzt, jetzt katapultiere ich meine Gene auf andre Weise in diese Welt hinein, und zwar so sehr, daB ich die Erde bis ins Lavamark erschdttern werde, und ich werde den Transplantagenposten in der Charite auf einem Silbertablett zurdckserviert bekommen. Jawohl, auf einem Silbertablett! MATHILDE: Mein Mann steht also mit einer Tasche voller Leichenteile im Wohnzimmer und redet von Erdbeben. Einen ganzen Leichnam hat er nicht in die Tasche gekriegt, aber 6 er will befOrdert werden. Ich werde nun die entscheidende Frage an ihn richten: Mann! Was hast du vor? SCHRUMPF: Ich werde Leben schaffen. Ich werde ihn bauen, meinen Gentrager, ihn, der mich fortsetzen wird, wenn mich der Magentod aus der Welt fegt. Und weitaus grOBer, starker, besser und wohlgestalteter werd ich ihn bauen. Ein Mensch, wie ihn der krumme Rtcken der Erde noch nicht trug. Mit meinen machtigen Genitalien besttckt wird er mich fortpflanzen, und ich bin nicht sinnlos in dieser Welt gewesen, sondern unsterblich in meinem Michael. MATHILDE: Und jetzt bist du einen Moment still. SCHRUMPF: Nein, das ist erst der Anfang gewesen, sieh her: (Er entrollt eine groBe anatomische Skizze, die im groben und ganzen eine wtste Collage aus Schwarzenegger, Claudia Schiffer, Boris Karloff, Albert Einstein, etc. ist, also eine Art "best of human being". An der Stelle des Geschlechts sieht man einen Kreis mit einem Ausrufezeichen. Schrumpf erlautert, zeigt dabei mit einem Zeigestock oder einem abgetrennten Arm.) Den ganzen Tag verbrachte ich tber dieser Skizze. Sie zeigt in groben Ztgen meinen Michael. (Die folgende Tirade soil vom Schauspieler in HOchstgeschwindigkeit vorgetragen werden und nicht langer als zwanzig Sekunden dauern.) Um systemspezifisch vorzugehen, beginne ich unten und ende oben, das heiBt, der Beginn liegt bei den Lauforganen, die ich hier aus zwei groBflachigen PrachtstandftBen herstellen werde, einzeln gesetzten Vorderzehenspitzulas, das gleiche gilt far die Mittelzehenspitzullen und tberhaupt ftr die ganzen feinknöchrigen Sprossen an FuB und Hand, alles extrem sortiert und feinst zusammengesetzt mit Fischleim, und uberhaupt wird knochengertstweise nur mit Einzelanfertigungen, Spezialauslese gearbeitet, nur das Beste ftr die Gaste, schweig Weib, ich bin noch nicht fertig: Kniescheibletten sowieso, und nattrlich beste Schenkel dazu, wenn erhaltlich in ObergrOBe, denn mein Michael soil recht ubermachtig in die Welt hinausschreiten, aber genug herumgeknOchert, das alles 7 mu8 riesig und gewaltig sein, wenden wir uns dem inwendigen Leben zu, das von hoher Komplexitat ist und ebenfalls nur aus GroBformatstUcken gefilgt wird: Hier im Brustmittelpunkt wird ein kraftiges bullOses Herz verankert mit alien notwendigen Klappulos und Arterias kleinas und groBas sowie Venas etceteras, Leber und Milz, Lungen und all das Geriimpel vom Menschenkompost, alles hinein, in eine geraumige BrusthOhle, alles mit uhrmacherartigem Feinstgefilhl zusammengeschraubt und untereinander mit GefaBen fur Blut, Lymphe und Lava verbunden, damit kommunikationstechnisch alles im Klaren ist, wichtig noch: ein funktionstiichtiger Hirnkasten mit erstklassiger FiAllung, man nehme frisches und talentiertes Wissenschaftlergewebe, dann ist Michael ganz der Vater, alles gut verkleistert, zugekorkt, fest zugenaht, Faden abschneiden, fertig. MATHILDE: Aha. Ich gehe jetzt an ein Telephon und rufe die Polizei. Oder den Notarzt. Oder die Feuerwehr, oder am besten gleich alle zusammen. (Schrumpf hindert sie am Telephonieren.) SCHRUMPF: Das beste aber ist diese Region: (Er zeigt auf das Ausrufezeichen im Kreis.) Wenn mein Michael fertig zusammengeschustert auf dem Tisch liegt, wird mein Gemachte hier (Geste) heruntergeschnitten, und dort (Geste) drangendht. So daB Michael als meine Genspritze 'Ether diesen Globus laufen wird, und auf alien Erdteilen werden kleine Schrumpfs sprieBen. MATHILDE: Ich muB jetzt dieses Telephon betatigen. SCHRUMPF: Nein. Ich babe diese KOrperteile ohne Lizenz entwendet. MATHILDE: LaB mich ans Telephon. SCHRUMPF: Nein. MATHILDE: Siehst du nicht, daB in deinem Schadel eine trUbe Suppe kocht? Dieser Typ, der als perverse Leichenvervielschandigung von deinem Plakat grinst, wird ein Monster von terroristischen AusmaBen. Ich seh ihn, wie er nachts in unser Schlafzimmer steigt, ein Berserker, schielend, mit gelbgriiner Haut und ublem Atem, mit Narben ilbersat, ein Auswurf der Mlle, mit wild 8 gestraubtem Haar, und riesigen Pranken, mit denen er die Nachttischlampe aus der Wand reiBt und dick mit dem Kabel erdrosselt. Seine Augen schwimmen in milchiger Flussigkeit, sein Atem rasselt, und er zerschlagt das Mobiliar mit Armen und Beinen, die konfus aus seinem Leib ragen, die Tapeten reiBt er von der Wand und stopft sie mir in den Mund, wahrend er mich notztichtigt und mir hinterher den Schadel aufbeiBt, mit einem GebiB, das einer Knochenmilhle gleicht, dann trampelt er hinaus in den Garten, zerfetzt die Kaninchenstallungen und verschlingt die Karnickel, Uberall geht er hin, er Offnet keine Tiiren, sondern splittert durch sie hindurch, als waren es Oblaten, so ein Berserkerungetilm willst du auf die Welt loslassen, hast du den Zauberlehrling nicht gelesen? (Sie beginnt, mit irrem Blick den "Zauberlehrling" aufzusagen, z.B.:) "Und sie laufen! NaB und nasser Wirds im Saal und auf den Stufen: Welch entsetzliches Gewasser! Herr und Meister, hOr mich rufen! Ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groB! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los. In die Ecke, Besen! Besen! Seids gewesen! Denn als Geister Ruft euch nur, zu seinem Zwecke, Erst hervor der alte Meister." (Schrumpf hat begonnen, seinen Menschen zu basteln. Dabei hin und wieder Satze wie:) SCHRUMPF: Nun sei dock ruhig. Jaja, der Zauberlehrling. 1st ja gut, kenn ich. Nun laB mal gut sein. Jetzt h6r aber auf! Schau, die Leute kennen das auch alle. Das wird ein Michael, verstehst du, ein Michael. Ein richtig guter Michael. Wie ich, nur besser. (Wenn er soweit ist, dreht sich Schrumpf um.) SCHRUMPF: Fertig. Mein KoloB ist fertig. 9 (Mathilde verstummt.) Jetzt ist der Moment gekommen, wo ich mich verabschieden muB von den Stunden der mdnnlichen Ertdchtigung, weil jetzt muB das Gemdchte runter. (Mathilde krdmmt sich.) MATHILDE: Ouh, ah, ist das unangenehm! Jetzt kommt dieser Mist. Was soil ich denn jetzt machen? SCHRUMPF (als waren es BeschwOrungsformeln, mit gerolltem R): Plexus pampiniformis, Caput epididymidis, Lobulus epididymidis, Ductulus aberrans, Ductus deferens, Corpus epididymidis, Cauda epididymidis, Lobuli testis, Tunica albuginea, Septula testis, Tubuli seminiferi, ich grdBe euch ein letztes Mal! MATHILDE: ScheiBe, willst du dir jetzt auch noch die Eier abschneiden? (Schrumpf schwingt ein Skalpell und macht Anstalten, sich zu kastrieren. Mathilde hdlt seinen Arm.) SchluB jetzt hier mit dem Quark. Das ist ja unertraglich. Denk doch mal nach, Mann! Schwanz abschneiden, so ein BlOdsinn, das fUhrt zu nichts, denk doch nur mal kurz nach, ja?! SCHRUMPF: Nix da, nix da, nix da! (Er schneidet Mathilde in den Finger und kastriert sich, wobei er extatisch kreischt. Halt sein GemAchte triumphierend in die Luft und starrt atemlos. Mathilde hat den Finger im Mund und hdpft vor Schmerz auf einem Bein. Sie zetert.) MATHILDE: Autsch, Mensch paB doch mal auf, Mensch, du hast mich da voll reingeschnitten. Menschenskinder! (Sie zutscht an ihrem Finger.) SCHRUMPF: Sieg, Sieg der Wissenschaft fiber kleinliche Eigeninteressen, Sieg fiber die schmalhirnigen Mittelbaudoktoren, Sieg fiber mich selbst und meinen verrotteten Bauch. Das muB jetzt angendht werden. (Er wendet sich seinem Monster zu und ndht. ) MATHILDE: Vollidiot! Wenn sich das entzdndet, da kann ich ne Blutvergiftung kriegen! Schau dich doch an, wie du aussiehst. Ohne Schwanz! So eine Idiotenidee, das Ding einfach abzuschnippeln. So ist das nicht vorgesehen. Dein SchOpfer hat sich vielleicht was dabei gedacht, als er 10 das so sch6n zwischen deinen Beinen befestigt hat und mit Anmut und Grazie hat schaukeln lassen, dein Sch6pfer! SCHRUMPF: Bah! Sch6pfer! Das bin jetzt ich, haha, sch6pfsch6pf! MATHILDE: Aber das wird doch nichts. Da k6nnt ja jeder kommen. H6r auf mit dem ekligen Gemetzger. SCHRUMPF: Fertig. Mein Sohn, bald wirst du stehn und gehn! (Zu Mathilde.) Aus dem Weg. (Zum verhdllten Monster.) Was ich jetzt brauche, ist ein Gewitter, daB ein Blitz hineindrischt in mein Haus, damit die Entladung durch dieses Kabelgeflecht in deinen KOrper fetzt, daB es dich vom Tisch hochpeitscht, daB du zuckst, die Augen aufreiBt und lebst. MATHILDE: Da wird nix draus, das werd ich verhindern. Und wenn ich dir eigenhandig eine reinhaun muB. SCHRUMPF: Klappe Hosenmatz! Da hinten braut sich was zusammen. Ah! Ich sptirs, es ist Elektrizitat in der Luft. Dort tiirmt sich die Wetterfront! Es stiirmt heran, blauschwarzes Gew6lk braust fiber den Horizont und halt auf uns zu. Es blitzt und kracht im Himmelsgebalk. Droht mir nur, ihr Urgewalten, ich lache fiber euch, zaust mich, zerschlagt mich, bier aus den Ruinen entsteht ein neuer Mensch! MATHILDE: Schrumpf! Ich babe viel Geduld gehabt mit dir. Du hast Pech gehabt mit Artur Moser, du hast psychisch belastende Arbeit geleistet in der Leichenwascherei, du hast dieses scheuBliche Magengeschwtr, das ist alles sehr aufreibend gewesen fur dich, aber jetzt ist ein SchluBpunkt erreicht: Du hast dir den Schwanz abgesagt. Das langt. Deshalb mache ich jetzt ein Ende mit diesem widerlichen Hobbyprodukt. SchluB mit dem Gebastel! (Sie macht sich an den Geratschaften zu schaffen und will einen Stecker herausziehen. Vielleicht ist es aber auch sch6ner, wenn sie mit einem Beil in das liegende Monster hineindreschen will. Schrumpf hat jedenfalls eine Schrotflinte in der Hand und donnert mit erhabener Stimme:) Weg, Dirne! (Er schieSt sie ab.) 11 MATHILDE: Autsch, du hast mir da voll reingeschossen! stirbt einen spektakulAren Filmtod.) /SCHRUMPF: So. Gott! Jetzt triff mich mit deinem Blitz, zerschmetter mich, ich grinse hOhnisch dber dich, ich bin dir ebenbUrtig, ich zeig dir jetzt wos langgeht, du Wicht! (Ein markerschUtternder Donner. Es blitzt. Schrumpf wird zu Boden geschleudert. Sámtliche GerAtschaften auf der Bdhne gehen in die Luft. Rauch. Schrumpf liegt in einer Ohnmacht. Der Rauch verzieht sich. Michael erhebt sich langsam unter seinem Laken. Er ist gutaussehend, tragt einen Anzug und ist ordentlich frisiert. Er lost sich sorgfaltig von den Kabeln.) MICHAEL: Mir ist libel. Hallo? Wo soll ich denn jetzt hin? (Er betrachtet sich.) Diese Sache hat Hand und FuB, aber keinen Sinn. Mama? Mein Kopf tut weh. Ich hab mir in den Kopf gekotzt. (Schrumpf kommt zu sich.) SCHRUMPF: Michael! Michael, da steht er. Ein gOttliches Wesen, von strahlender Schiinheit! Homo sapiens Schrumpfiensus. Michael, mein Sohn, ich will dich in mein Herz drdcken. (Er umarmt Michael, der ihn kaum wahrnimmt. Michael spuckt ein Organ aus.) MICHAEL: Mir ist libel. Ich will zu meinen Mdttern. SCHRUMPF: Du muBt jetzt stark sein. Du bist mein Michael, mein Fortpflanzer. Wir machen jetzt zusammen einen Plan, wie du losziehst und mein Gen in die Welt hinein trAgst. MICHAEL: Nein. Ich will nicht hinein in die Welt, ich will wieder hinaus aus ihr. (Er quengelt.) Mir ist so libel. Ich will weg, ich will in einen Uterus, ich mag meine Mdtter sehn. SCHRUMPF: Unsinn, hast keine Mdtter. Du sollst jetzt losgehen, als mein Gentrager, und MICHAEL: Jeder Mensch hat mindestens eine Mutter. Sie ist dafdr da, daB er im richtigen Alter mit allem versorgt wird: Essen, Liebe, WArme, Komplexe. SCHRUMPF: GewiB, aber das hast du nicht nOtig, du bist unabhangig. Michael, mein Sohn, kannst du mich erkennen? MICHAEL: Ein wackliger Wicht ohne Schwanz, ja. 12 SCHRUMPF: Ich bin dein Vater, Michael, ich habe dich erzeugt, damit du dich sexuell mit vielen Damen verbindest, damit sie meine Gene ausbrUten. MICHAEL: Ich mag keine Damen, ich will meine Witter sehen, und ich lehne dich und define AnsprUche an meine Person mit groBem odipalem Gestus ab. SCHRUMPF: Aber schau doch, ich habe alles fUr dich geopfert, vor Tauter Dankbarkeit solltest du schon ein paar Frauen fUr mich schwanger machen. Auf gehts, Vermehrung! MICHAEL: Ich bin ohne LUsternheit. Ich habe meine Milz ausgespuckt und habe noch immer nicht meine MUtter gesehen, aus alien Wunden rieselt Blut in mich hinein, und du trittst mit einer sexuellen Forderung an mich heran. Als pornographisches Monster soil ich (Aber den Globus wUten und unschuldige Frauen zum Beischlaf zwingen, das kommt meinen zarten Neigungen Uberhaupt gar nicht entgegen, ich fUhle mich in meiner Individualitat, auf die ich such ein Recht haben will, nicht ausreichend gewUrdigt, auBerdem ist diese Erde ein wtster Planet, nichts ist meter heile, alies zerrissen, keine Harmonie, dieser Planet hat das GlUck, bald zu explodieren und sich in Kohlenstoffverbindungen aufzulOsen, in solch eine Welt der Gewalt kann ich keine Kinder setzen, nicht mit gutem Gewissen, und wenn ich schon keine guten Eingeweide babe, will ich wenigstens ein gutes Gewissen haben, nicht wahr. (Er rUlpst. Schrumpf will etwas sagen.) Und liberhaupt: Du hast mir gar nichts zu sagen. Du kennst mich Uberhaupt nicht, du hast nie hineingeschaut in meine innerlichen WUsten, du hast keine Ahnung von den Rissen, die durch meine Perseinlichkeit gehen! In völliger egozentrierter Blindheit stammelst du von deinen verlotterten Genen. Aber ich - ich kenne das Leid dieser Welt, ich trage es, ich habe es auf mich genommen, und ich werde diese Welt erlOsen, ich, der Mensch ohne Mutter, das ist meine Mission, los, werft euer Leid auf mich, ich erlOse euch, ich gehe fUr euch ins Grab und durch die Holle, ich bin der Messias. Ich bringe euch Leben, denn mein Tod ist Segen fUr euch. SCHRUMPF: Auweia! Das such noch! 13 MICHAEL: Ich babe mich caber die Menschen gebeugt und ihr bitteres Leid gesehn. Nehmt meinen Leib, zerreiBt mich, nehmt mich hin und lebt in Gliick und Frieden. SCHRUMPF: Das ist ja furchtbar. LaB den BlOdsinn, du sollst vOgeln, Sch1u6 jetzt mit dem Mist. MICHAEL: Ja, ich mach SchluB. Mich dUrstet. Mir ist so Ubel. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Er greift sich die Schrotflinte und ladt.) SCHRUMPF: Nix da, nix da, nix da, laB das stehn! MICHAEL: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. SCHRUMPF: Halt, nicht schieBen! (Michael richtet die Flinte auf ihn.) MICHAEL: Wahrlich ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. SCHRUMPF: Nein! MICHAEL: Dann nicht. (Er zielt wieder auf sich.) SCHRUMPF: Aber meine Gene! MICHAEL: Waren nichts besonderes. (Er erschieSt sich.) Es ist vollbracht. (Er stirbt.) SCHRUMPF: Michael! Du destruktiver Depp! Man muB eben ein biBchen Optimismus haben! Alles kaputtgemacht! Das ganze Gebastel einfach zusammengeschossen, alles hin! Alles hin. (Er geht heulend in die Knie.) Mein Michael. (Mathilde tritt ein, milde lachelnd, eine Heilige. Sie ist in verschiedenste Verbande gewickelt. Musik ertOnt. Mathilde tritt zu Schrumpf und nimmt ihn in den Arm.) MATHILDE: Wilhelm, weine nicht. Ich bin wieder da. Du kannst ja nicht ohne mich. Ich bin bei dir. SCHRUMPF: 0 weh, Mathilde, mein Leben! MATHILDE: Das Leben ist voller Wechsel. Jetzt hast du keine Hoden mehr, nun ja, das ist nicht schOn, sollt man denken, aber deine Frau hast du wieder. Mein armer Wilhelm. Jetzt kOnnen wir in Frieden alt werden. Keine Begattungskriege mehr am Abend im Bett, ruhig werden wir 14 schlafen und ohne die Angst, was zu versAumen. Uns kann nichts mehr passieren. Wir sind sicher. Und jetzt hol ich Schaufel und Besen. SCHRUMPF (leise): Michi. Mein Michi. (Die Musik wird laut.) Ende