Stellung und Bewegung des Körpers auf der Bühne § 34 Über diesen Teil der Schauspielkunst lassen sich gleichfalls einige allgemeine Hauptregeln geben, wobei es freilich unendlich viele Ausnahmen gibt, welche aber alle wieder zu den Grundregeln zurückkehren. Diese trachte man sich so sehr einzuverleiben, daß sie zur zweiten Natur werden. § 35 Zunächst bedenke der Schauspieler, daß er nicht allein die Natur nachahmen, sondern sie auch idealisch vorstellen solle, und er also in seiner Darstellung das Wahre mit dem Schönen zu vereinigen habe. § 36 Jeder Teil des Körpers stehe daher ganz in seiner Gewalt, so daß er jedes Glied gemäß dem zu erzielenden Ausdruck frei, harmonisch und mit Grazie gebrauchen könne. § 37 Die Haltung des Körpers sei gerade, die Brust herausgekehrt, die obere Hälfte der Arme bis an die Ellbogen etwas an den Leib geschlossen, der Kopf ein wenig gegen den gewendet, mit dem man spricht, jedoch nur so wenig, daß immer dreivierteil vom Gesicht gegen die Zuschauer gewendet ist. § 38 Denn der Schauspieler muß stets bedenken, daß er um des Publikums willen da ist. § 39 Sie sollen daher auch nicht aus mißverstandener Natürlichkeit untereinander spielen, als wenn kein Dritter dabei wäre; sie sollen nie im Profil spielen, noch den Zuschauern den Rücken zuwenden. Geschieht es um des Charakteristischen oder um der Notwendigkeit willen, so geschehe es mit Vorsicht und Anmut. § 40 Auch merke man vorzüglich, nie ins Theater hineinzusprechen, sondern immer gegen das Publikum. Denn der Schauspieler muß sich immer zwischen zwei Gegenständen teilen: nämlich zwischen dem Gegenstande, mit dem er spricht, und zwischen seinen Zuhörern. Statt mit dem Kopfe sich gleich ganz umzuwenden, lasse man mehr die Augen spielen. § 41 Ein Hauptpunkt aber ist, daß unter zwei zusammen Agierenden der Sprechende sich stets zurück und der, welcher zu reden aufhört, sich ein wenig vor bewege. Bedient man sich dieses Vorteils mit Verstand und weiß durch Übung ganz zwanglos zu verfahren, so entsteht sowohl für das Auge als für die Verständlichkeit der Deklamation die beste Wirkung, und ein Schauspieler, der sich Meister hierin macht, wird mit Gleichgeübten sehr schönen Effekt hervorbringen und über diejenigen, die es nicht beobachten, sehr im Vorteil sein. § 42 Wenn zwei Personen miteinander sprechen, sollte diejenige, die zur Linken steht, sich ja hüten, gegen die Person zur Rechten allzu stark einzudringen. Auf der rechten Seite steht immer die geachtete Person: Frauenzimmer, Ältere, Vornehmere. Schon im gemeinen Leben hält man sich in einiger Entfernung von dem, vor dem man Respekt hat; das Gegenteil zeugt von einem Mangel an Bildung. Der Schauspieler soll sich als einen Gebildeten zeigen und obiges deshalb auf das genaueste beobachten. Wer auf der rechten Seite steht, behaupte daher sein Recht und lasse sich nicht gegen die Kulisse treiben, sondern halte Stand und gebe dem Zudringlichen allenfalls mit der linken Hand ein Zeichen, sich zu entfernen. § 43 Eine schöne nachdenkende Stellung, z.B. für einen jungen Mann, ist diese: wenn ich, die Brust und den ganzen Körper gerade herausgekehrt, in der vierten Tanzstellung verbleibe, meinen Kopf etwas auf die Seite neige, mit den Augen auf die Erde starre und beide Arme hängen lasse. In der Probe zu beobachten § 66 Um eine leichtere und anständigere Bewegung der Füße zu erwerben, probiere man niemals in Stiefeln. § 67 Der Schauspieler, besonders der jüngere, der Liebhaber und andere leichte Rollen zu spielen hat, halte sich auf dem Theater ein Paar Pantoffeln, in denen er probiert, und er wird sehr bald die guten Folgen davon bemerken. § 68 Auch in der Probe sollte man sich nichts erlauben, was nicht im Stücke vorkommen darf. § 69 Die Frauenzimmer sollten ihre kleinen Beutel beiseite legen. § 70 Kein Schauspieler sollte im Mantel probieren, sondern die Hände und Arme wie im Stücke frei haben. Denn der Mantel hindert ihn nicht allein, die gehörigen Gebärden zu machen, sondern zwingt ihn auch, falsche anzunehmen, die er denn bei der Vorstellung unwillkürlich wiederholt. § 71 Der Schauspieler soll auch in der Probe keine Bewegung machen, die nicht zur Rolle paßt. § 72 Wer bei Proben tragischer Rollen die Hand in den Busen steckt, kommt in Gefahr, bei der Aufführung eine Öffnung im Harnisch zu suchen. Zu vermeidende böse Gewohnheiten § 73 Es gehört unter die zu vermeidenden ganz groben Fehler, wenn der sitzende Schauspieler, um seinen Stuhl weiter vorwärts zu bringen, zwischen seinen obern Schenkeln in der Mitte durchgreifend, den Stuhl anpackt, sich dann ein wenig hebt und so ihn vorwärts zieht. Es ist dies nicht nur gegen das Schöne, sondern noch viel mehr gegen den Wohlstand gesündigt. § 74 Der Schauspieler lasse kein Schnupftuch auf dem Theater sehen, noch weniger schnaube er die Nase, noch weniger spucke er aus. Es ist schrecklich, innerhalb eines Kunstprodukts an diese Natürlichkeiten erinnert zu werden. Man halte sich ein kleines Schnupftuch, das ohnedem jetzt Mode ist, um sich damit im Notfalle helfen zu können. Haltung des Schauspielers im gewöhnlichen Leben § 75 Der Schauspieler soll auch im gemeinen Leben bedenken, daß er öffentlich zur Kunstschau stehen werde. § 76 Vor angewöhnten Gebärden, Stellungen, Haltung der Arme und des Körpers soll er sich daher hüten, denn wenn der Geist während dem Spiel darauf gerichtet sein soll, solche Angewöhnungen zu vermeiden, so muß er natürlich für die Hauptsache zum großen Teil verlorengehen. § 77 Es ist daher unumgänglich notwendig, daß der Schauspieler von allen Angewöhnungen gänzlich frei sei, damit er sich bei der Vorstellung ganz in seine Rolle denken und sein Geist sich bloß mit seiner angenommenen Gestalt beschäftigen könne. § 78 Dagegen ist es eine wichtige Regel für den Schauspieler, daß er sich bemühe, seinem Körper, seinem Betragen, ja allen seinen übrigen Handlungen im gewöhnlichen Leben eine solche Wendung zu geben, daß er dadurch gleichsam wie in einer beständigen Übung erhalten werde. Es wird dieses für jeden Teil der Schauspielkunst von unendlichem Vorteil sein. § 79 Derjenige Schauspieler, der sich das Pathos gewählt, wird sich sehr dadurch vervollkommnen, wenn er alles, was er zu sprechen hat, mit einer gewissen Richtigkeit sowohl in Rücksicht des Tones als der Aussprache vorzutragen und auch in allen übrigen Gebärden eine gewisse erhabene Art beizubehalten sucht. Diese darf zwar nicht übertrieben werden, weil er sonst seinen Mitmenschen zum Gelächter dienen würde, im übrigen aber mögen sie immerhin den sich selbst bildenden Künstler daraus erkennen. Dieses gereicht ihm keineswegs zur Unehre, ja sie werden sogar gerne sein besonderes Betragen dulden, wenn sie durch dieses Mittel in den Fall kommen, auf der Bühne selbst ihn als großen Künstler anstaunen zu müssen. § 80 Da man auf der Bühne nicht nur alles wahr, sondern auch schön dargestellt haben will, da das Auge des Zuschauers auch durch anmutige Gruppierungen und Attitüden gereizt sein will, so soll der Schauspieler auch außer der Bühne trachten, selbe zu erhalten; er soll sich immer einen Platz von Zuschauern vor sich denken. § 81 Wenn er seine Rolle auswendig lernt, soll er sich immer gegen einen Platz wenden; ja selbst wenn er für sich oder mit seinesgleichen beim Essen zu Tische sitzt, soll er immer suchen, ein Bild zu formieren, alles mit einer gewissen Grâce anfassen, niederstellen etc., als wenn es auf der Bühne geschähe, und so soll er immer malerisch darstellen.