Bachmann, Ingeborg, * 25. 6. 1926 Klagenfurt, † 17. 10. 1973 Rom; Grabstätte: Klagenfurt, Friedhof Annabichl. Lyrikerin, Erzählerin u. Hörspielautorin. B., älteste Tochter eines Schuldirektors, studierte ab 1945/46 in Innsbruck u. Graz, dann in Wien Philosophie u. Psychologie als Hauptfächer sowie Germanistik als Nebenfach, zeitweilig auch Staatswissenschaften. Hier bestimmten die divergenten Positionen der Philosophen Alois Dempf, Leo Gabriel u. Victor Kraft sowie der Psychologe Hubert Rohracher u. der Logotherapeut Viktor E. Frankl ihre Ausbildung, was neben ihrem Interesse an psychischen Phänomenen auch ihren Wechsel von christl. Geschichtsphilosophie u. Anthropologie über die Existentialismuskritik hin zur nachhaltigen Rezeption der sprachkrit. Philosophie Wittgensteins erklärt. Ihre Dissertation Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers (Promotion bei Kraft, Wien 1950) sowie die späteren Essays Ludwig Wittgenstein (Frankfurter Hefte, Jg. 8, Ffm. 1953), Sagbares und Unsagbares u. Der Wiener Kreis (Radioessays 1953/54) markieren diese Entwicklung. Die Grundhaltung der »Sprachskepsis« u. Kontakte in Wien mit den von Hermann Hakel u. Hans Weigel geförderten jungen Autoren Ilse Aichinger, Paul Celan, Gerhard Fritsch u.a. wurden zu Anregungen für B.s eigentümlichen, literarisches Traditionsgut mit moderner Arti- stik verbindenden Sprachstil. Sie suchte damit ihre im Kriegs- u. Nachkriegserlebnis gründende negative Geschichtserfahrung zu vermitteln, ohne sich einseitig dem »Kahlschlag«, der hermetischen Poesie oder dem sprachlichen Experiment zu verschreiben. Neben den in Tageszeitungen u. den Periodika »Lynkeus« u. Stimmen der Gegenwart erschienenen früheren Erzählungen u. Gedichten verfaßte sie, 1951-1953 als Lektorin beim Sender »Rot-Weiß-Rot« tätig, ihr erstes Hörspiel Ein Geschäft mit Träumen (1952), übersetzte dramat. Texte aus dem Englischen u. vollendete 1952 den Roman Stadt ohne Namen, von dem nur das erste Kapitel erhalten ist. Obwohl B. in Wiens Literaturszene bekannt u. in verschiedenen literar. Genres erprobt war, erzielte sie den entscheidenden Durchbruch 1952 mit ihrer Lyrik bei einer Lesung der Gruppe 47 in Niendorf/Ostsee u. erhielt 1953 dafür auch den Preis der Gruppe 47. Im Anschluß lebte B. als freie Schriftstellerin in Italien: zunächst in Süditalien, ab 1954 in Rom, wo sie anfangs auch unter dem Pseudonym Ruth Keller als polit. Korrespondentin der »Westdeutschen Allgemei- nen Zeitung« schrieb. Es erschienen die Gedichtbände Die gestundete Zeit (Ffm. 1953. 2., geänderte Aufl. Mchn. 1957) u. Anrufung des Großen Bären (Mchn. 1956); zugleich erfolgte die Erstsendung des Hörspiels Die Zikaden mit Musik von Hans Werner Henze[1] (Ffm. 1955), womit die Zusammenarbeit u. engere Beziehung beider Künstler begann. 1955 nahm B. an einem internat. Seminar der Harvarduniversität teil, wodurch nicht zuletzt ihr späteres Hörspiel Der gute Gott von Manhattan (Mchn. 1958) angeregt wurde. Die lyrischen Zyklen, von der Literaturkritik lange nur in ihrem ästhetischen Wert begriffen, waren für B.eindringliches Medium der Kritik an den restaurativen Kräften der Nachkriegsgesellschaft: Diese hätten den Kriegszustand nicht gebannt, sondern bloß überdeckt, was sich als Existenzkrise zwischen Individuum u. Umwelt sowie im korrumpierten Zustand der Sprache als deren Vermittlungsinstanz auswirke. Zur Selbstfindung in einem wahrhaftigen Neuanfang müsse der Mensch daher, solange ihm die »Zeit noch gestundet ist«, den Ausbruch aus den gesetzten Grenzen auch ins gefährliche Ungewisse wagen. Im Sinne der »Sprachskepsis« fungiert die eindrucksstarke Bildersprache B.s dabei als Aussagemöglichkeit für das rational Unsagbare. Dieses Konzept des ersten Zyklus wird in der Anrufung des Großen Bären weitergeführt: An my- thisch-allegorischen Exempeln wird die Zerstörung menschl. Existenzbereiche in der geschichtl. Wirklichkeit deutlich (Wertbewußtsein, Liebesfähigkeit, Geschlechterverhältnis), im mythisch-utopischen Bereich aber findet das ausbrechende Individuum auch zur Konfliktlösung (Träume, Androgynie, ästhetische Naturverklärung). Neben den negativen Geschichtsbefund u. den Aufruf zum Widerstand tritt ein an das Blochsche »Prinzip Hoffnung« erinnerndes Postulat des ständig neuen Ringens um das utopische Ziel[2]. Dieses Postulat erklärt auch B.s weiteres Schaffen: Die in der Lyrik festgelegte thematische u. künstlerische »Problemkonstante« wird in den folgenden Werken aus immer neuen Perspektiven konkretisiert u. in jeweils anderen literar. Genres vermittelt (Hörspiel, Libretto, Essay, Erzählung, Roman). 1957 mit dem Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen geehrt, wirkte B. bis 1958 als Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen in München u. wurde zum korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache u. Dichtung in Darmstadt gewählt. 1958 begann auch ihre bis 1963 währende Beziehung zu Max Frisch mit wechselnden Wohnsitzen in Zürich u. Rom. In diese Periode fielen die Erstsendung des Hörspiels Der gute Gott von Manhattan, für das B. 1959 den Hörspielpreis der Kriegsblinden erhielt, sowie ihre 1959/60 als erste Gastdozentin für Poetik an der Universität Frankfurt gehaltene Vorlesungsreihe »Probleme zeitgenössischer Dichtung«. Während B. in ihrer Rede zur Verleihung des Kriegsblindenpreises Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar die Widerstandsmoral jedes einzelnen als Möglichkeit zur schrittweisen Sanierung des Geschichtszustands propagierte, übertrug sie diese ethische Maxime in ihren Frankfurter Vorlesungen auf die zeitgemäße Aufgabe der Dichtung: Sie liege nicht im ästhetischen Selbstzweck, sondern in der Weltveränderung durch eine neue Sprache, die aus einem »moralischen, erkenntnishaften Ruck« in der »Weltbegegnung« entstehe. Diese Texte stellten auch für B. selbst gleichsam die theoret. Zwischenbilanz ihres bisherigen Schaffens dar u. erhellen bes. ihre spätere Prosa u. Lyrik. Nach der Uraufführung von Henzes Ballettpantomime Der Idiot (veröffentl. Mainz 1955) u. seiner Oper Der Prinz von Homburg (veröffentl. Mainz 1960), jeweils mit Textfassungen B.s, erschien neben der Übersetzung von Gedichten Guiseppe Ungarettis (Ffm. 1961) der Erzählband Das dreißigste Jahr (entworfen 1956/57, veröffentl. Mchn. 1961). Er stellt die »Problemkonstante« an Angehörigen verschiedener Generationen in exemplarischen Formen des Zusammenlebens dar (Kindheit, Familie, Liebesbeziehungen, Korpsgeist, Rechtsstaatlichkeit). Neben der abschreckenden Analyse des latent fortwirkenden Faschismus beglaubigt der autobiogr. Schreibgestus einiger Erzählungen B.s Suche nach einem utopischen Gegenentwurf. Nach Zuerkennung des Berliner Kritikerpreises (1961) u. der Trennung von Max Frisch lebte B. bis 1965 in Berlin. Die geteilte Stadt wird im Essay Ein Ort für Zufälle (Bln. 1965; ursprüngl. Dankrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1964) zur Allegorie eines krankhaften Geschichtszustands. Von den Reisen nach Prag, Ägypten u. in den Sudan (1964) zeugen die späte Lyrik u. die damals begonnenen Todesarten-Texte. B.s letzter Lebensabschnitt in Rom (1965/66-1973) fand äußere Höhepunkte in den Verleihungen des Großen Österr. Staatspreises für Literatur (1968) u. des Anton-Wildgans-Preises (1972) sowie in ihrer Polenreise (1973). Diese Zeit war der Arbeit an der späten Prosa gewidmet, von der 1971 der Roman Malina (Ffm.), 1972 der Erzählband Simultan (Mchn.) erschienen. Die Erzählung Gier blieb Fragment (postum Wien/Mchn. 1982), der geplante Romanzyklus Todesarten wurde nach Herauslösung des Malina-Teils aufgegeben u. ist nur in restituierten Fragmenten erhalten (Der Fall Franza, Requiem für Fanny Goldmann. Postum Mchn. 1978). Insgesamt wirken die späten Prosatexte wie ein breitangelegtes Erzählkontinuum, das die »Problemkonstante« analog musikal. Kontrapunktik von je verschiedenen thematischen Einsätzen zum gleichen Schlußakkord führt. Im Zentrum des jeweils ähnlich strukturierten Figurenensembles stehen immer Frauen, deren individuelle Selbstverwirklichung als Künstle- rin, Intellektuelle oder spontan Liebende von egozentrischen Partnern planmäßig zerstört wird. Diese patriarchal. Machtmechanismen verkörpern für B. die Transformation des latenten politischen zu einem persönlichen Faschismus in der Du-Beziehung der Gegenwartsgesellschaft, dem sich das weibliche Ich nur um den Preis der Selbstaufgabe oder im Tod entziehen kann (das ICH in Malina, Fanny Goldmann, Franza). Doch zeigt B. bes. im Simultan-Zyklus am gegenbildlichen Verhaltensmuster einzelner Hauptfiguren (Nadja, Elisabeth Matrei) Möglichkeiten, durch relativierendes Eingehen auf den geschichtl. Zustand die Existenzkrise zu durchschreiten, ohne die Hoffnung auf ein utopisches Ziel aus den Augen zu verlieren. Die allgemein anerkannte Aktualität dieses Menschenbildes in seiner undogmatischen u. doch zwingenden Präsentation sicherte B. besonders in der BR Deutschland u. den USA zunehmende Breitenwirkung u. verlagerte den Forschungsschwerpunkt allmählich von der Lyrik auf das Spätwerk. Dieses wurde im Zuge der literaturwiss. Aufarbeitung frauenspezifischer Sujets seit den 70er Jahren auch als »Paradigma weiblichen Schreibens« rezipiert. [Autoren- und Werklexikon: Bachmann, Ingeborg. Killy Literaturlexikon, S. 978 (vgl. Killy Bd. 1, S. 275 ff.) http://www.digitale-bibliothek.de/band9.htm ] & WEITERE WERKE: Werke. Hg. Christine Koschel u.a. 4 Bde., Mchn./Zürich 1978. - Aus- gew. Werke. 3 Bde., Bln./Weimar 1987. - Ergänzte Einzelausgaben aus dem Nachlaß: Gier (Fragment). Hg. Robert Pichl. In: Der dunkle Schatten, dem ich schon seit Anfang folge. Wien/ Mchn. 1982, S. 17-62. - Die krit. Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers. Diss. Wien 1949. Hg. Robert Pichl. Mchn./Zürich 1985. - Briefe an Felician. Hg. Christine Koschel u. Inge v. Weidenbaum. Mchn./Zürich voraussichtl. 1989. - Weitere Einzelausgaben: Jugend in einer österreichischen Stadt. Wülfrath 1961 (E.). - Guiseppe Ungaretti: Gedichte (ital. u. dt.). Übers. u. Nachw. v. I. B. Ffm. 1961. - Der gute Gott von Manhattan - Die Zikaden. Mchn. 1963 (Hörsp.). - Der junge Lord. Mainz 1965 (Libretto). - Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche u. Interviews. Hg. Christine Koschel u. Inge v. Weidenbaum. Mchn./Zürich 1983. & LITERATUR: Bibliographien: Otto Bareiss u. Frauke Ohloff: I. B. Eine Bibliogr. (bis 30. 9. 1977). Mchn./Zürich 1978. - Fortgesetzt als: I. B. -Bibliogr. 1977/78-1981/82. In: Jb. Grillpar- zer-Gesellsch. 3. F. Bd. 15 (1983), S. 173-217. 1981/82-Sommer 1985. In: Ebd. Bd. 16 (1986), S. 201-275. - Ellen Marga Schmidt: I. B. in Ton- u. Bildaufzeichnungen. In: Werke. Hg. Christine Ko- schel u.a. Bd. 4, Mchn./Zürich 1975, S. 429-528 (Phonographie). - Robert Pichl (Hg.): Registratur des literar. Nachl. v. I. B. Wien 1981. - Forschungsberichte: Robert Pichl: Voraussetzungen u. Problemhorizont der gegenwärtigen I. B. - Forsch. In: Jb. Grillparzer-Gesellsch. 3. F. Bd. 14 (1980), S. 77-93. - Marta Jakubowicz-Pisarek: Stand der Forsch. zum Werk von I. B. Ffm./Bern/New York 1984. - Biographisches: Uwe Johnson: Eine Reise nach Klagenfurt. Ffm. 1974. - Andreas Hapkemeyer (Hg.): I. B. Bilder aus ihrem Leben. Mchn./Zürich 1983. - Sammelbände u. Kongreßberichte: I. B. Eine Einf. Mchn. 1963. - Interpretationen zu I. B. Mchn. 1976. - Text + Kritik 6 (1964).^ 41980 (mit neuen Beitr.en). - Text + Kritik Sonderbd. 1984 (mit neuen Beitr.en). - Hans Höller (Hg.): Der dunkle Schatten, dem ich schon seit Anfang folge. Wien/Mchn. 1982. - I. B. - Symposium Ljubljana. In: Acta Neophilologica 17 (1984), Sonderbd. - Anrufung der großen Dichte rin. Symposium Lódz. In: Acta Universitatis Lod ziensis. Fol. Litt. 11 (1984). - I. B. In: Modern Austrian Literature 18 (1985), Sonderbd. - I. B. L'œuvre et ses situations. Univ. Nantes 1986. - I. B. La ricerca, oggi. Symposium Pavia. In: Il Confronto Letterario 5 (1988), Suppl. zu Bd. 9. - Weitere Titel: Peter Fehl: Sprachskepsis u. Sprachhoffnung im Werk I. B.s. Diss. Mainz 1970. - Holger Pausch: I. B. Bln. 1975. - Ellen Summerfield: I. B. Die Auflösung der Figur in ihrem Roman ›Malina‹. Bonn 1976. - Theo Mechtenberg: Utopie als ästhet. Kategorie. (Zur Lyrik). Stgt. 1978. - Robert Steiger: ›Malina‹. Versuch einer Interpretation. Heidelb. 1978. - Peter Horst Neumann: Vier Gründe einer Befangenheit. Über I. B. In: Merkur 32 (1978), S. 1130-1136. - Karen Achberger: Lit. als Libretto. Heidelb. 1980, S. 122-132 (›Homburg‹) u. S. 182-184 (›Der junge Lord‹). - Ute M. Oelmann: Dt. poetolog. Lyrik nach 1945: I. B., Günter Eich, Paul Celan. Stgt. 1980, S. 1-103 (I. B.). - Kurt Bartsch: ›Frühe Dunkelhaft‹ u. Revolte. Zu geschichtl. Erfahrung u. utop. Grenzüberschreitungen in erzähl. Prosa von I. B. Habil. -Schr. Graz 1982. - Andreas Hapkemeyer: I. B.s früheste Prosa. Bonn 1982. -Ders.: Die Sprachthematik in der Prosa I. B.s. Ffm./Bern 1982. - Manfred Jurgensen (Hg.): Dt. Frauenautoren der Gegenwart. Bern 1983. - Annette Klaubert: Symbol. Strukturen bei I. B. ›Malina‹ im Kontext der Kurzgesch.Bern/Ffm./New York 1983. - Christa Wolf: Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra. Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Darmst. 1983. - Christa Gürtler: Schreiben Frauen anders? Untersuchungen zu I. B. u. Barbara Frischmuth. Stgt. 1983. - Claus Reinert: Unzumutbare Wahrheiten? Einf. in I. B.s Hörspiel ›Der gute Gott von Manhattan‹. Bonn 1983. - Gabriele Bail: Weibl. Identität. I.B.s ›Malina‹. Gott. 1984. - Robert Pichl: Dr. phil. I. B. In: Jb. Grillparzer-Gesellsch. 3. F. Bd. 16 (1986), S. 167-188. - Susanne Bothner: I. B.: Der janusköpfige Tod. Ffm./Bern/New York 1986. - Bärbel Thau: Gesellschaftsbild u. Utopie im Spät werk I. B.s. Ffm./Bern/New York 1986. - Hans Höller: I. B. Das Werk. Von den frühesten Gedichten bis zum ›Todesarten‹-Zyklus. Ffm. 1987. - Drk Götsche: Die Produktivität der Sprache in der modernen Prosa. Ffm. 1987, S. 155-222. - Christine Koschel u. Inge v. Weidenbaum (Hg.): Kein objektives Urteil - nur ein lebendiges. Texte zum Werk von I. B. Mchn./Zürich 1988. - Monika Albrecht: Die andere Seite. Untersuchungen zu Bedeutung von Werk u. Person Max Frischs in I. B.s ›Todesarten‹. Diss. Münster 1988. - Kurt Bartsch: I. B. Stgt. 1988. - Peter Beicken: I. B. Mchn. 1988. - Bernd Witte: I. B. In: KLG I (Stand 1988). - Andreas Hapkemeyer[Neznámý a1] : I. B.: Entwick lungslinien in Werk u. Leben. In: Sitzungsber. der philosoph. -histor. Klasse der österr. Akademie der Wiss. Wien. Voraussichtl. 1989. Robert Pichl [Autoren- und Werklexikon: Bachmann, Ingeborg. Killy Literaturlexikon, S. 985 (vgl. Killy Bd. 1, S. 278 ff.) http://www.digitale-bibliothek.de/band9.htm ] Kurt Bartsch in Viktor Žmegač (Hg.): Geschichte der dt. Lit. Bd. III/2. Kůnigstein / Ts. : Athenäum, 1984. S. 815-816. Zeitlich im Vorfeld der jüngsten Frauenbewegung befindet sich innerhalb der österreichischen Literatur Ingeborg Bachmann, die vor allem mit ihrer späten Erzählprosa geradezu zu einer Kultfigur unter den Frauen geworden ist. Das autobiographische Substrat des Romans Malina (1971) ist unverkennbar, wenngleich dieses komplexe literarische Zeichen alles andere ist als eine Autobiographie. Die Protagonistin, bezeichnenderweise eine Schriftstellerin, kann ihre Gefühlsansprüche in der von der männlichen Ratio dominierten Gesellschaft, die als »Immer-Krieg«-Gesellschaft faschistoide Züge trägt, nicht verwirklichen, muß vielmehr ihren weiblichen Ich-Anteil gänzlich vernichten, um in ihrem männlichen alter ego Malina weiterleben und weiterschreiben zu können. Sowohl die Kritik an der Einschränkung des gesellschaftlichen Rollenspielraums der Frau als auch das Ringen um einen eigenen femininen Ausdruck – die Ich-Erzählerin versucht zur Sprache zu kommen, eine eigene Identität in der Sprache zu finden –, sind bei Bachmann in ihrem einzig vollendeten Roman vorgezeichnet. In der von ihr verfaßten Legende »Die Geheimnisse der Prinzessin von Kagran« unternimmt die Ich- Erzählerin den literarischen Versuch, einen matriarchalischen Mythos zu schaffen, mit dem sie ihre Liebesbeziehung begründen könnte. In der Prinzessin von Kagran, einer libussaähnlichen, vorgeschichtlichen Gestalt, sieht sie sich präfiguriert. Malina sollte die Ouvertüre zu einem Romanzyklus über Todesarten der Frau sein, von denen unter den Fragmenten des Nachlasses besonders Der Fall Franza, die Verdinglichung einer Frau zum Forschungsobjekt ihres Ehemannes, hervorzuheben ist. Die Frauengeschichten des zweiten Erzählbandes Simultan (1972) thematisieren Selbstverwirklichungsversuche in beruflicher Karriere und Fluchten in die Neurose oder in einen Wahn. Opfer der Männer sind alle diese Frauen mehr oder weniger. Das sind auch Charlotte (Ein Schritt nach Gomorrha) und Undine (Undine geht) aus dem Band Das dreißigste Jahr. Im letztgenannten Text arbeitet Bachmann einen verbreiteten Sagenstoff auf, allerdings unter Veränderung der Perspektive. Sie stellt sich damit gegen eine ganze Tradition in der Männerliteratur, gegen die in der Männerphantasie imaginierte Weiblichkeit. Undine ist ein Beispiel dafür, wie die Frau, die sich der »Humanisierung« widersetzt, die ihr in der bürgerlichen Gesellschaft »durch den irdischen Mann« bestimmt ist (Mayer, 33), in eine Außenseiterrolle abgeschoben wird. Die Undine-Dichtungen und die ihr thematisch verwandte Literatur haben immer aus männlicher Perspektive das »Weiblich-Unheimliche«, dem Menschlichkeit abgesprochen und Verderblichkeit für den Mann nachgesagt wird, zu bannen versucht (ebda, 34). Bachmann thematisiert erstmals den Schmerz und die Trauer der ins Abseits gedrängten Frau, die sich nicht den Männerphantasien anpaßt, sondern auf ihren Ansprüchen beharrt. ________________________________ [1] Enttäuscht vom politisch restaurativen Klima in Deutschland einerseits und von Teilen der Kritik andererseits, die unter dem Einfluss der Darmstädter Ferienkurse eine konsequent Serielle Musik forderten – was Henze als Einengung der Kreativität empfand – übersiedelte er 1953 nach Italien, zunächst nach Forio auf Ischia, wo er regen Kontakt und Austausch mit der dort ansässigen Intellektuellenkolonie pflegte (u. a. Wystan Hugh Auden, Golo Mann und William Walton). Ab 1956 lebte er in Neapel, später in Rom und Castel Gandolfo, bis er schließlich in Marino in den Albaner Bergen seinen heutigen Wohnsitz fand. [2] Einmal zog einer aus, das Fürchten zu lernen. Das gelang in der eben vergangenen Zeit leichter und näher, diese Kunst ward entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die Urheber der Furcht abgerechnet, ein uns gemäßeres Gefühl fällig. Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern." Schluss Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat. (S. 1628) ________________________________ [Neznámý a1]Geboren 1955 in Osnabrück, aufgewachsen in Bozen. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Innsbruck. M.A. University of Waterloo, Ontario. In den 80er Jahren Lektor an der Universität Messina. Seit 2000 Direktor des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen.1995 Habilitation, lehrt neue Kunstgeschichte und deutsche Literatur an der Universität Innsbruck. Zahlreiche Publikationen, u.a. Monografien zu Visueller und Konkreter Poesie, "Language in Art", zur Horizontale in der Kunst der letzten 200 Jahre sowie zu Ingeborg Bachmann und Friedrich Dürrenmatt.