SRČE EUROPE, slowakisch Wo ist die Mitte Europas, in der das Herz des Kontinents schlägt? Ein österreichischer Universitätsprofessor fur Geographie, der seine Prüfungsfragen stets so lebenspraktisch stellte, daß seine Studenten S" in den Abgrund des Surrealismus blickten, wußte es ganz genau. £.. /] Der in der Fachwelt hochangesehene Professor hatte seinen Lebtag Europa vermessen und war nicht angestanden, Fehler, die ihm unterlaufen waren, zu Ao korrigieren. So wies er in seinem Späcwerk schlüssig nach, daß die Annahme seiner frühen Studien, die geographisch-geometrische Mitte Europas liege in der Gegend von Linz, nicht zutreffend sei, sich der Mittelpunkt vielmehr gute 65 Kilometer Südwestes Uch davon im Salzkammergut befinden müsse. Die diesbezüglichen Forschungen des österreichischen Professors haben leider ihren Weg von der Universität Salzburg nicht konsequent in annähernd östlicher Richtung (Abweichung 5 Grad nördlich) 2.0 durchgehalten, wo sie nach 302 Kilometern Luftlinie das Geographische Institut der Universität Bratislava erreicht hätten. Von diesem nämlich ist zweifelsfrei berechnet worden, daß das Herz Europas nicht im Ausseer See versunken ist, sondern tn einem Ľ5 slowakischen Dorf am Fuße der Großen Fatra, nicht allzuweit entfernt von dem Flusse Nitra ruht. Orientiert man sich in Krochule nämlich an der katholi- 174 sehen Kirche, was auch in der Slowakei nicht mehr allzu viele tun, dann entdeckt man in ihrer näheren 3o Umgebung einen schönen Stein, auf dem «Srče Europe« steht, Herz Europas, und die Erklärung, daß man sich, diesen Stein betrachtend, präzise m der geographischen Mitte Europas befinde. Sieht man davon ab, daß zwei Herzen Europas, wissenschaft- 5i lieh gut abgesichert, auch in Slowenien und in Prag schlagen, drängt.sich die Frage auf; Europa spricht viele Sprachen, sollte es auch viele Mitten haben? Das Nationale Institut für Geographie in Paris hat sich jedenfalls mit dieser Ungewißheit nicht ab- UeO finden wollen und sich in einem aufwendigen Forschungsprojekt auf die Suche nach der wahren Mitte begeben, die inmitten so vieler angemaßter verschwunden war. Definitiv wissen wir jetzt, daß sich die Mitte Europas dort befindet, wo sich 25 Grad tfrf und 19 Minuten Länge mit 54 Grad und 54 Minuten Breite schneiden. Von Prag ist das nur knapp 900, vom Ausseerland nicht einmal 1100 und von der Staatsgrenze Sloweniens keine 1210 Kilometer entfernt. Kaum hatte das französische Institut die amt- $0 liehe Mitte Europas festgelegt, wurde diese mit einer schlichten, doch würdigen Granitplatte markiert. Mittlerweile ist die Mitte Europas durch einen braunen Fleck in der die Mitte Europas umgebenden Wiese gekennzeichnet. Denn die Granitplatte war SS" schwer genug, daß sie das Gras darunter erstickte, aber nicht schwer genug, daß sie nicht bald gestoh- 175 len wurde. Der braune Fleck befindet sich übrigens eine halbe Autostunde nördlich von Vilnius, unweit der Straße, die die litauische Hauptstadt mit dem 60kleinen Städtchen Moletai verbindet. Nun werden sich manche ungläubig fragen, wie es sein könne, daß die Mitte Europas so weit im Osten und so hoch im Norden liege? Und man kann ihnen mit geographischer Resignation nur annvorten, daß Europa ereben östlicher ist, als sie glauben möchten, und nördlicher, als sie vom Urlaub her wissen. Aber noch ist Hoffnung für jene, die sich jetzt zu weit ab von der Mitte wähnen. Europa insgesamt ist ja nicht am Erdkern festgeschraubt! Vielmehr schwimmen die iO riesigen europäischen Erdplatten, deren Oberfläche das Antlitz unseres Kontinents ausmacht, auf dem flüssigen Erdmantel, und hier herrscht auch Jahrtausende, nachdem mit Atlantis zum letzten Mal ein Erdteil verschwunden ist, noch immer ein ungeheu- ŤSres Geschiebe und Gedrücke. Europa, wissen die Geologen, ist also unausgesetzt in Bewegung, nichts steht ein für allemal fest, was heute vermessen wurde, schlägt morgen schon falsch, und wo jetzt noch Rand ist, mag bald schon Mitte sein. Ha^oCWkcU -fur slcepkjcki 176 N