nebenan weggeschafft werden soll, müssen Sie sich keine Sorge machen. Es ist schon in Ordnung." Frau Samsa und Grete beugten sich zu ihren Briefen nieder, als wollten sie weiterschreiben; Herr Samsa, welcher merkte, dass die Bedienerin nun alles ausführlich zu beschreiben anfangen wollte, wehrte dies mit ausge- 5 streckter Hand entschieden ab. Da sie aber nicht erzählen durfte, erinnerte sie sich an die große Eile, die sie hatte, rief offenbar beleidigt: „Adjes allseits", drehte sich wild um und verließ unter fürchterlichem Türezuschlagen die Wohnung. „Abends wird sie entlassen", sagte Herr Samsa, bekam aber we- 10 der von seiner Frau, noch von seiner Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin schien ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gestört zu haben. Sie erhoben sich, gingen zum Fenster und blieben dort, sich umschlungen haltend. Herr Samsa drehte sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete sie still ein Weilchen. Dann 15 rief er: „Also kommt doch her. Lasst schon endlich die alten Sachen. Und nehmt auch ein wenig Rücksicht auf mich." Gleich folgten ihm die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und beendeten rasch ihre Briefe. Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, was sie 2*1 schon seit Monaten nicht getan hatten, und fuhren mit der Elek- 4Mi trischen ins Freie vor die Stadt. D er Wagen, in dem sie allein saßen, (■ war ganz von warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, be- JjH quem auf ihren Sitzen zurückgelehnt, die Aussichten für die Zu-kunft, und es fand sich, dass diese bei näherer Betrachtung durch- 25 aus nicht schlecht waren, denn aller drei Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich noch gar nicht ausgefragt hatten, überaus günstig und besonders für später viel versprechend. Die größte augenblickliche Besserung der Lage musste sich natürlich leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten nun ei- 30 ne kleinere und billigere, aber besser gelegene und überhaupt praktischere Wohnung nehmen, als es die jetzige, noch von Gregor ausgesuchte war. Während sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter fast gleichzeitig ein, wie sie in der letzten Zeit trotz al- 35 ler Plage, die ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen aufgeblüht war. Stiller werdend und fast unbewusst durch Blicke sich verständigend, dachten sie daran, dass es nun Zeit sein werde, auch einen braven Mann für sie zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung ihrer neuen Trau- 40 me und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die Tochter als Erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte. NACHWORT Zur Textgestaltung Der Text dieser Ausgabe wurde nach der zu Kafkas Lebzeiten ersten Buchausgabe gedruckt, die Rechtschreibung wurde den neuen amtlichen Regeln jedoch behutsam angepasst; über die verschiedenen Drucke und die Probleme, die Kafkas Texte für den Herausgeber aufwerfen, informiert der Anhang zur Gesamtausgabe der zu Lebzeiten gedruckten Texte, die unter dem Titel Franz Kafka: Erzählungen 1908 - 1924 im HusumVerlag erschienen sind. Dort sind auch weiterführende Literaturhinweise enthalten. Kafka hat seine Erzählung „Die Verwandlung" in nur wenigen Nächten niedergeschrieben; der erste Einfall kam ihm am 17. November 1912 morgens im Bett. Nachdem ihm beim Schreiben das Motiv zu einer längeren Geschichte äuswuchs, fiel es ihm nach einer Woche weitaus schwerer, die Erzählung zu einem Ende zu bringen; fortgesetzte Ermüdungserscheinungen führten immer wieder zu Arbeitsunterbrechungen. Ende des Monats hatte er bereits den Mittelteil fertig und konnte schließlich in der ersten Dezemberwoche (genau in der Nacht vom 6. auf den 7.) auch den Schluss vollenden. Sowohl Kafkas gestörtes Verhältnis zu seinem Vater, von dem er sich aus dem Familienverband verstoßen fühlte, als auch seine problematische Beziehung zu Feiice Bauer, von der er glaubte, dass sie sich von ihm abgewandt habe, sind in die Erzählung eingeflossen. Zum Druck gelangte die Erzählung erst später; zunächst hatte Kafka den ersten Teil gleich nach der Fertigstellung Freunden vorgelesen, die Fortsetzung aber erst Anfang März des folgenden Jahres. Mit dem Verlag Kurt Wolff gab es eine lockere Absprache, nach der Kafka „Die Verwandlung" gemeinsam mit den Texten „Der Heizer" und „Das Urteil" (Hamburger Leseheft Nr. 188) zu einem Sammelband unter dem Titel „Söhne" vereinigen wollte, wozu es aber nicht kam. Im Jahre 1915 bot Kafka „Die Verwandlung" René Schickele, dem Herausgeber der Monatsschrift „Die Weißen Blätter", an, der sie im Oktoberheft des Jahrgangs 1915 brachte. Im November desselben Jahres erschien die Erzählung als Doppelband in der Reihe „Der Jüngste Tag" des Verlages von Kurt Wolff. Die Verwandlung Hier nach der 1. Buchausgabe: Leipzig, Kurt Wolff 1916. (Der Jüngste Tag 22/23.) 73 S. [Impressum:] Gedruckt bei Poeschel & Trepte in Leipzig November 1915 als Band 22/23 (Doppelband) der Bücherei„Der jüngste Tag" mit einem Titelbild von Ottomar Starke.