SAGEN DER PRAGER JUDEN Von Leopold Weisel Der fremde Reisende, der Libussas merkwürdige Stadt besucht, um da die riesenhaften Gebäude, die prachtvollen Paläste zu besichtigen, der wird gewiß auch jenem Teile der Stadt, wo die jüdische Bevölkerung wohnte, einige Aufmerksamkeit schenken, und er wird manches finden, was den Geschichtsforscher sowohl als den Geographen interessieren kann. — Unzählige Sagen knüpfen sich an die alten Synagogen, an die engen Gäßchen, und fast jeder Grabstein in dem großen alten Friedhofe bietet Stoff zu irgend einem schauerlichen Märchen. — Der Prager Jude ist stolz auf seine Heimat — und auch der Ausländer hat hohe Achtung vor der Heiligen-Versammlung der weltberühmten königlichen Stadt Prag. Alle die folgenden Sagen sind aus dem Munde der Alten traditionell auf die Nachwelt überkommen — sie seien dem geneigten Leser ganz treu übergeben. Der Golem Diese Volkssage ist oft schon von verschiedenen Schriftstellern benutzt worden — und es scheint mir überflüssig, eine so bekannte Sage nochmals zu bearbeiten; damit man aber nicht glaube, ich hätte sie gar nicht gekannt, will ich sie hier nur in der Kürze anführen. Unter der Regierung Rudolph II. lebte unter den Pra- 44 ger Juden ein Mann, namens Bezalel Löw, wegen seiner hohen Gestalt und großen Gelehrsamkeit der hohe Rabbi Löw genannt. Dieser Rabbi war in allen Künsten und Wissenschaften sehr bewandert, besonders in der Kabbala. Vermittels dieser Kunst konnte er Figuren, von Ton geformt oder von Holz geschnitzt, beleben, daß sie wie wirkliche Menschen alles verrichteten, was ihnen aufgetragen ward. — Solche selbstgeschaffene Domestiken sind viel wert, sie essen nicht, sie trinken nicht und brauchen kein Gehalt; sie arbeiten unverdrossen, man kann sie ausschelten, und sie geben keine Antwort. Der Rabbi Löw hatte sich einen solchen Diener aus Lehm gebildet, ihm den Sehern (Zauberformel) in den Mund gelegt und ihn damit belebt. Dieser gemachte Knecht verrichtete alle groben Geschäfte im Hause durch die ganze Woche: Holz hacken, Wasser tragen, Gassen kehren usw. Am Sabbath aber mußte er ruhen, deshalb nahm ihm der Herr den Sehern aus dem Munde und machte ihn tot, ehe der Ruhetag eingegangen war. Doch geschah es einmal, daß der Rabbi dies zu tun vergaß und das Unglück war fertig. - Der Zauberknecht ward wütend, riß die Häuser nieder, schleuderte Felsstücke umher, entwurzelte Bäume und wirtschaftete fürchterlich in den Gassen. — Man eilte, den Rabbi davon in Kenntnis zu x setzen — aber die Verlegenheit war groß. — Schon war der Sabbath da, jede Arbeit, sie sei fertigend oder zerstörend, streng untersagt — wie also den Zauber lösen? Es ging dem Rabbi mit seinem Golem, wie dem Zauberlehrling mit dem Besen in Goethes Gedicht. Zum Glücke hatte man in der Altneusynagoge den Sabbath noch nicht eingeweiht, und da diese die älteste Synagoge in Prag ist, so richtet sich alles nach ihr, und noch war's Zeit, dem tol- 45 len Burschen den Schem zu nehmen. Der Meister eilte, riß dem Golem die Zauberformel aus dem Munde - der Lehmklotz stürzte und zerfiel in Trümmer. Von diesem Auftritte geschreckt, wollte sich der Rabbi keinen so gefährlichen Knecht mehr machen. Von diesem wundertätigen Rabbi werden auch folgende Sagen erzählt: Als Kaiser Rudolph und sein Astro-log Tycho de Brahe einst dem Rabbi in seinem schlichten Hause einen Besuch machten, ließ der Rabbi die ganze Burg vom Hradschin in die Judengasse herab zaubern. Der Kaiser wunderte sich sehr darüber und beschenkte den Magier mit Gold und Ehre. - Einst kam dem Kaiser der sonderbare Einfall, er wolle die Patriarchen und die Söhne Jakobs sehen, und verlangte, R. Löw möchte sie aus ihren Gräbern zitieren. Eine harte Nuß für einen Kabbalisten; doch was tut man nicht alles einem so hohen Gönner zuliebe? Rabbi Löw willigte ein und versprach dem Kaiser, die Stammväter vorzuführen, mit der Bedingung jedoch, daß er nicht lache, er mag was immer sehen. Tag und Ort der Beschwörung ward bestimmt. In einem abgeschiedenen Saale der Burg wurde das Toten-beschwören vorgenommen. Die Väter, die Stammeltern kamen einer nach dem andern in ihrer wahren Gestalt und der Kaiser staunte über die Größe und Kraft dieser Männer der Vorzeiten; denn jeder Einzelne der Stammeltern produzierte sich mit seiner Eigenschaft. Als aber der schnellfüßige Naphtalie über stehende Kornähren und Flachsstengel daherschwebte, konnte sich der Kaiser nicht länger halten, er mußte lachen. Die Erscheinung war verschwunden, und die Wölbung des Saales senkte sich herab. Sie würde auch den Kaiser verschüttet haben, wenn Rabbi Löw sie nicht mittels der Kabbala- 46 kraft fest gebannt hätte. Es soll noch heutigentages in einem Saale, der aber nie geöffnet wird, die herabgesunkene Wölbung zu sehen sein. Wenigstens ist dies die Sage unter dem jüdischen Volke. In unserer aufgeklärten Zeit, wo man alles Wunderbare leugnet oder natürlich aufzuklären sich bemüht, wurde auch die Sage vom Rabbi Löw natürlich erklärt: Der hohe Rabbi Löw war nämlich ein geschickter Mechaniker, der sich einen Automaten verfertigte, das ist der Golem. Man will .ihm die Erfindung der Camera obscura zuschreiben, wodurch er den Kaiser täuschte; - kurz, der hohe Rabbi Löw war ein Tausendkünstler. Die goldene Gasse Am rechten Moldauufer, in der Gegend des heutigen Tummelplatzes, wo vor vielen hundert Jahren das Volk Israel seine Hütten aufschlagen durfte, stand auch die kleine Wohnung des wohlhabenden Rabbi Kaiman, und vor dieser saß an einem schönen Frühlingsabende dessen einzige Tochter Haninna sinnend, die schwarzen Augen nach der scheidenden Sonne gerichtet, deren letzte Strahlen die Gipfel des Laurenzberges röteten und die Kuppel der hohen Türme auf dem Hradschin vergoldeten. — Haninna übertraf alle Töchter Israels an Schönheit und Tugend, sie war ein Muster weiblicher Vollkommenheit; wer sie aber an diesem Abende gesehen, geschmückt mit festlichen Gewändern, in dem goldgestickten, fest anschließenden Mieder, mit dem zierlich herabfallenden schwarzen Lockenhaar, von einer einzigen Perlenschnur 47 an das niedlich geformte Köpfchen festgehalten, würde sie für eine morgenländische Prinzessin gehalten haben. — »Du gehst hin, goldener Stern!« sprach das liebliche Mädchen mit leiser Stimme, »und wirst morgen früh wiederkehren, schöner und glänzender, als du scheidest----doch er — der Geliebte, — wird er wieder kommen? —Warum sollte er auch? darf ihn ja nicht mehr sehen!« — Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie stützte das Haupt auf den blendend weißen Arm und versank in tiefe Schwermut. Bald aber weckte sie das Plätschern einiger Ruderschläge aus ihren stillen Träumen, sie erhob die nassen Augenwimpern und sprang mit den Worten »Er ists!« eilend dem Ufer zu, gegen welches ein holder Jüngling in ein grünes Jagdwams gekleidet, und einen weißen Hut auf dem goldgelockten Haupte, mit Eilfertigkeit steuerte. Wie der Pfeil die Luft, durchschnitt der leichte Kahn die sträubenden Fluten, nur wenige Minuten, und die Liebenden hielten sich fest umschlossen, als wollten sie nimmermehr sich trennen. — Endlich machte sich Haninna los, mit schamhaftem Erröten einer züchtigen Jungfrau senkte sie den Blick, und mit bebenden Lippen fragte sie: »Ach, warum bist du wieder da? - weißt ja, der Vater«----»Laß den Vater, holdes Kind! und folge mir, deinem treuen Freunde« — entgegnete stürmisch der Jüngling. — »Sieh, der Kahn nimmt uns auf, und in einer Stunde sind wir weit — weit von hier.« — »Barmherziger Gott Abrahams! was mutest du einer Tochter Zions zu?« entgegnete das erschrockene Mädchen. — »Soll ich die geliebten Eltern, deren einzige Freude ich bin, verlassen, und mit dir, den ich nicht einmal kenne, von dem ich nicht weiß, welchen Gott er anbetet, in die Welt hinaus, ohne Vatersegen und Prie- 48 sterweihe? Nimmermehr!« — »Haninna! du hast mich nie geliebt, nie!« sprach mit bewegter Stimme der Jüngling; »denn wie könntest du um solcher Kleinigkeiten willen noch Bedenken tragen, mir zu folgen? Bin ich dir nicht mehr als Vater und Mutter? und ich bete ja zu demselben Gotte, zu dem du betest.« — »Ist's wahr?« fragte freudig die Jungfrau, »du glaubst an unsern Gott, an Moses den Propheten?« — »Ich bete zu dem Schöpfer aller Kreaturen und Herrn aller Geister!« — »Ach, warum sagtest du das dem Vater nicht früher, er hätte dir nicht so hart begegnet; du bist also wirklich ein Sohn des wahren Glaubens?« — Der Jüngling schwieg. »Ach, du sagst nichts, und zerstörst dadurch mit einem Male alle die Paradiese, die vor einem Augenblicke meine Seele geschaffen.« — »Nun, ich sage dir doch, der Gott aller Welten ist auch mein Gott!« —»So komm, Geliebter! zum Vater, sage ihm, daß du ein Sohn Israels bist, er wird unsern Liebesbund segnen, ich stehe dir dafür! denn der Vater ist gut.« — So flehete die holde Tochter Kaimans und umschlang mit Zärtlichkeit den stumm hinbrütenden Geliebten. »Aber was ist dir? deine Hand ist kalt, dein Hauch wehet mich an wie der Nordwind! Höre mich!« Der Jüngling fuhr aus seiner Betäubung und rief: »Wohlan denn! ich bin vernichtet! Es gibt keine wahre Liebe mehr auf Erden. -Eigennutz, Habsucht, Eitelkeit, das sind die Triebfedern der irdischen Liebe! — Ich gehe, um nie mehr zu kommen. Auch du bist nicht besser als alle Töchter Adams. In wenigen Augenblicken sollen diese Wellen meinen Leib verschlingen!« — Mit diesen Worten schritt er dem brausenden Strome zu. — »Halt ein, Geliebter! Bleibe! Lebe! Ich folge dir!« schrie Haninna, und verzweiflungsvoll 49 eilte sie dem Geliebten nach. - »Bleibe, um Gottes Barmherzigkeit willen! Bei meiner Liebe beschwöre ich dich, bleibe! Ich will dein sein, will dich lieben - will dir folgen, wohin du willst, nur töte dich nicht mit eigener Hand!« bat sie, den Geliebten fest umschlingend. - »Du wirst nicht folgen, ausgeartetes Kind, der Lilith und des Satans Brut!« - donnerte eine Stimme hinter ihr, und ein Paar kräftige Hände rissen sie mit Hast aus den Armen des Geliebten. Es war R. Kaiman, der eben aus der Synagoge vom Abendgebete kam und die Tochter mit dem Unbekannten traf. »Wehe geschrien über mich, daß ich so etwas erleben muß! Indem ich in der heiligen Synagoge zu dem Gotte meiner Väter bete, und mich am Eingange des Wochenfestes des Gesetzes freue, das unser Lehrer Moses auf dem Berge Sinai an diesem Tage empfangen, treibt die Tochter Buhlschaft mit einem Sohne Edoms!« so klagte der greise Kaiman und schlug verzweifelnd die Hände zusammen. »O zürne nicht, Vater!« flehete die erschrockene Tochter - »er ist nicht, wie du glaubst, ein Abkömmling Edoms, er ist ein Sohn Israels, ein Sohn des Gesetzes!«— »Ein Sohn des Gesetzes, und gehet an diesem heiligen Abende nicht in die Wohnung des Herrn?« entgegnete finster der Vater. - »Ein Betrüger, eine verführerische Schlange ist er, der dich in das Feuer Gehinoms (Tal des Todes) locken will. —Aber es soll ihm nicht gelingen, dem bösen Boten Samails und Asasels (böse Dämonen). In wenigen Tagen bist du das Weib Nahums, des Fleischers-Sohnes, der mag dann über dich wachen. — Komm!« Mit diesen Worten faßte er die Tochter bei der Hand, und zog sie mit Gewalt seiner Wohnung zu; - der Jüngling hinge- 50 gen sprang, ohne ein Wort zu sagen, in den Kahn und ruderte in den Strom hinein. — Es ist während der Zeit vollends dunkel geworden, und der bleiche Mond goß seinen falben Schein über die bewegliche Wasserfläche aus. Noch einen Blick warf die unglückliche Haninna auf den dahinscheidenden Geliebten, selbst der Vater wandte sich noch einmal zurück, aber welch' Entsetzen für beide! Mitten im Strome stand itzt der Kahn ruhig, und der Jüngling stürzte sich mit den Worten: »Folge mir, Geliebte! bald nach!« in die Flut. —Wie von einem nächtlichen Gespenst gejagt floh R. Kaiman, die fast ohnmächtige Tochter mit Gewalt fortziehend, in seine Wohnung, und verriegelte sorgfältig die Türe. War gleich der innere Raum der Stube festlich geschmückt, mit grünen Laub- und Blumenkränzen behängt, hell beleuchtet von den Lichtern der achtzackigen Messinglampe, dufteten auch die schmackhaftesten Speisen drinnen, dennoch hatten Angst und Schrecken die gewöhnliche Freude dieses Festes ganz gescheucht. Unbeachtet blieben die goldenen und silbernen Gefäße auf dem gedeckten Tische, ungenossen die vielerlei Gerichte; und als vollends die Hausfrau die schreckliche Geschichte vernommen, da war des Jammerns und Wehklagens kein Ende. — In stummer Verzweiflung saß die schöne Haninna in einem Winkel, leise betend ging ihr Vater in der Stube auf und ab, während sein Weib in einem fort bald mit dem Gatten, bald mit der Tochter zankte, daß sie den braven Jungen ertrinken ließen. Mehrere Glaubensgenossen, welche jedes Jahr diese heilige Nacht mit Lesen der Gesetze, und Singen der Psalmen bei Rabbi Kaiman feierten, hatten sich auch heute eingefunden, und gaben dem traurigen Auftritte eine andere Richtung. Die Gä- 51 ste setzten sich um den Tisch, lasen die heilige Schrift, und ließen sich zwischen den Kapiteln und Absätzen das gekochte Obst und die frisch gebackenen Eierkuchen wohlschmecken. Nach einiger Zeit wagte es die trauernde Haninna den tränenvollen Blick zu erheben, und der Erste, welcher ihr in's Auge fiel, war der häßliche Nahum, ihr bestimmter Bräutigam und zukünftiger Gatte. Mit Abscheu wandte sie den Blick von dem widrigen Spons, und richtete ihn hinaus auf den schimmernden, vom hellen Mondlicht beleuchteten Moldaustrom. Da schien es ihr, als stünde der geliebte Jüngling wieder auf dem schaukelnden Kahne, und winkte ihr lächelnd. Ein böser Gedanke erwachte in der bewegten Seele der Jungfrau, und schnell wie ein flüchtiges Reh eilte sie aus der menschenleeren Stube. — Niemand von den Gästen hatte ihr plötzliches Verschwinden geachtet, nur der besorgte Vater, von böser Ahnung getrieben, folgte ihr nach — aber zu spät. — Er hatte noch nicht die Türschwelle überschritten, als seine einzige, heißgeliebte Tochter hinab von dem hohen Ufer in das brausende Gewässer sprang, deren Wellen ihren zarten Leib auf ewig verschlangen. — Ein Schrei des Entsetzens weckte die in der Stube betenden Gäste, sie stürzten hinaus, und fanden Rabbi Kaiman fast leblos auf dem Boden liegen. Nach langem Bemühen kam der mitleidwürdige Vater zu sich, erzählte die schreckenvolle Begebenheit dieser Nacht seinen Glaubensbrüdern. Viele verließen angstvoll sogleich die Wohnung, nur wenige blieben zurück, die wahrhaft Unglücklichen zu trösten. Obgleich R. Kaiman als ein echter Sohn Israels sich in die Beschlüsse des Höchsten gefügt hatte, und mit Hiob »Gott hats gegeben, Gott hats genommen!« mehreremal 52 ausrief, so war er dennoch untröstlich und elend, und selbst die Zeit, diese mächtige Heilkünstlerin, vermochte nicht die Wunde seines betrübten Vaterherzens zu heilen. Er achtete von nun an nicht mehr auf sein bedeutendes Vermögen, vernachlässigte seine Geschäfte, verschenkte den größten Teil seiner Kostbarkeiten, denn er sprach mit dem Erzvater Abraham: »Wozu mir so viele Güter, ich gehe ja kinderlos zu Grabe.« Achtzehn Monde nach früher erzählter Begebenheit sah Frau Schiffre, eine wohlgenährte und gelehrte Hebamme, am Sabbath nach dem Mittagessen zum Fenster hinab in die schmale Gasse, um sich die schweren Sabbath-Speisen durch Bemerkungen und Schimpfreden über die durchgehenden Menschen verdaulich zu machen. Ihr trauter Gatte stand neben ihr und half der zärtlichen Ehrabschneiderin fleißig in dem rühmlichen Geschäfte; da wurden die Verhältnisse mancher Familien fürchterlich durchgewaschen, die Fehler dieser oder jener Frau auf's Genaueste hergezählt, das Vermögen und die Schulden der Nachbarn gewissenhaft zusammengerechnet, Heiraten geschlossen, Prozesse geschlichtet, wie es heutigen Tages in müßigen Tagen an den Fenstern noch geschieht. Nachdem das zärtliche Ehepaar eine ziemliche Zeit durchgeschwatzt hatte, wurde es durch das Geschrei einer großen schwarzen Katze, welche gegenüber auf einem Dache stand, in der Unterhaltung gestört. Diese miaute so kläglich und schaute so sehnsuchtsvoll herüber, als flehete sie um Hilfe und Schutz. — »Sieh doch die Katze dort, was für einen Ungeheuern Leib sie hat!« sprach Frau Schiffre. — »Was geht dich die Katze an und ihr dicker Leib?« 53 entgegnete der Mann verdrießlich, »laß uns lieber weiter plaudern. Ich sage dir, R. Schima ist nicht so reich, als die Welt meint!« — »Da haben wirs! Nix als von andere Leut reden, wie ein altes Weib klatschen, und wenn ich von meiner Kunst etwas sag, da will er nix wissen!« unterbrach ihn die zürnende Gattin. — »Von deiner Kunst? Du wirst doch nicht die Katze entbinden wollen?« »Warum nicht? Wenn ich wüßte, wem sie gehört, gleich möchte ich bei ihrem Kreißen sein.« — Die Katze schwieg, machte einige lustige Sprünge und verschwand hinter den Dächern der baufälligen Häu- ser. Frau Schiffre hielt noch eine lange und breite Rede über die Nützlichkeit der Hebammskunst, über die Unwissenheit und Ungeschicklichkeit anderer Kunstgenossinnen, und bewies dem ungläubigen Gatten ganz deutlich, daß Hebammen schon vor der Sündflut existierten, daß Mutter Rahel an Geburtsnöten starb, weil sie keine geschickte Hebamme hatte, und die Mutter des Moses selbst eine Hebamme war! — Unter solchen gelehrten Aufklärungen und Beweisen verstrich der ganze Nachmittag, bis die Habdalagesänge beim Ausgange des Sabbaths der Redseligkeit der weisen Geburtshelferin ein Ende machten. — Gegen Mitternacht ungefähr erschallte das am Fenster angebrachte Glöckchen und weckte Frau Schiffre aus dem ersten angenehmen Schlafe. Hastig sprang sie aus dem Bette, öffnete das Fenster und fragte, was es gäbe. »Eine Kreißende verlangt deine Hilfe!« ließ sich draußen eine männliche Stimme hören. »Den Augenblick komme ich!« entgegnete die Frau, warf sich schnell in die 54 Kleider, suchte ihre Requisiten hervor und eilte die Treppe hinab. »Zu wem soll ich kommen? wie heißt das Weib?« fragte sie den auf sie wartenden Boten. — »Du wirst schon erfahren, komm nur schnell!« antwortete dieser, und schritt hastig voran. Die neugierige Hebamme folgte schweigend durch mehrere Gassen, bis zum Ufer der Moldau. Hier sprang der Führer in einen Kahn, und winkte der Frau, die erschrocken in der Ferne stehen blieb, ihm zu folgen. — Diese aber hatte keine Lust in der Nacht eine Wasserpartie mitzumachen, und schrie mit ängstlicher Stimme: »Wo wollt Ihr hin? Bedenkt, das Wasser hat keine Balken! Nix als ein dünnes Brett zwischen Leben und Tod!« — Doch ohne Antwort stieg der Mann wieder ans Ufer, trug die bittende und sich sträubende Hebamme in den Kahn, und rasch wie im Fluge glitt das Fahrzeug den Strom hinab. — Frau Schiffre drückte die Augen zu, und betete im Stillen Israels Lobgesang am Roten Meere. Plötzlich blieb der Kahn stehen, und das geängstigte Weib wagte es, die Augen zu öffnen. Welche Überraschung! Ein Palast ganz von Kristall mit prachtvollen Säulen, von Saphiren und Smaragden umgeben, stand in einiger Entfernung, tief unter der Wasserfläche, zu welchem eine breite Straße zwischen den getrennten Fluten führte. »Dort ist meine Residenz«, sprach der Mann, »steige mit mir hinab, fürchte dich nicht, deine Mühe und Angst soll dir königlich gelohnt werden.« Zitternd und den Ewigen im Herzen betrat die Frau die unheimliche Wasserbahn, und ging langsamen Schrittes hinter dem Führer, vorsichtig bald rechts bald links schauend, dem Palaste zu. — Hatte das Äußere dieser Wasserresidenz schon Staunen und Verwundern im Herzen der armen 55 Jüdin erregt, so war das Innere derselben ganz geeignet sie vollends vor Entzücken toll zu machen. So viel Pracht und Glanz hatte sie in ihrem Leben nicht gesehen. Die Wände von dem kostbarsten Edelgestein strahlten in tausenderlei Farben ihr entgegen, die Diamantenfenster verbreiteten das angenehmste Licht ringsumher, die Türen von Jaspis funkelten wie große Spiegel gegen die Sonne gestellt, und überall nichts als Gold und anderes Edelmetall. »Gehet da hinein, Frau Hebamme!« - sprach der Herr dieses Feenpalastes — »es ist meine Gemahlin, die Königin, die Eure Hilfe verlangt, hört Ihr?« — »Eine Königin?« wiederholte Schiffre, nachdem ihre Begleiter sich entfernt hatten. — »Wer hätte das je gedacht, daß ich noch einst bei der Geburt eines Prinzen zugegen sein würde? Eine Königin? Na das ist ein Wunder Gottes! Wenn das Mirjam, meine Feindin, wüßte, wie würde sie vergehen vor Neid! Eine gnädige Königin entbinden!« — Unter diesen Selbstgesprächen und Freudenausrufungen gelangte sie an den bezeichneten Eingang. Behutsam faßte sie die goldene Klinke, und öffnete leise die Türe----aber eine fürchterliche Überraschung hemmte ihren Fuß, der Schreck machte sie zur leblosen Bildsäule. — »Haninna, bist du es denn wirklich? bist du nicht ertrunken in den Gewässern der Moldau vorigen Sommer?« rief Frau Schiffre, nachdem sie sich erholt hatte, und stürzte in die Arme der auf goldenem Sofa ruhenden königlichen Muhme. — Diese legte die niedlichen Finger auf den kleinen Rosenmund, um der vorlauten Tante anzuzeigen, etwas leise zu sprechen. — Dann erhob sie sich von ihrem Lager, wies der erstaunten Schiffre einen Sitz neben sich an, und begann mit leiser 56 Stimme: »Du wunderst dich, liebe Muhme! mich lebend und so hochgestellt zu treffen! nicht wahr? Doch du sollst bald alles hören, ich will dir das Wunderbare so kurz als möglich erzählen - Meine frühere Geschichte, die Liebe zu dem unbekannten Jüngling und das traurige Ende davon weißt du doch.« »Ach nur zu sehr!« - fiel die Tante seufzend ein, - »mir blutet noch jetzt das Herz über den unglücklichen Bruder, der dich nicht vergessen kann.« — »So wie die Wellen über mich zusammenschlugen«, — fuhr Haninna weiter fort, »da fühlte ich mich von sanften Armen emporgehoben, und wie auf Wolken schwebend fortgetragen, und als ich wieder die Augen öffnete, befand ich mich hier in diesem Schlosse. Mein Geliebter kniete vor mir, überhäufte meine Hand mit heißen Küssen ----»Du hast mich erlöset, du schönste der Erdentöchter! deine treue Liebe, die selbst den Tod nicht scheuete, hat den harten Ausspruch des mächtigen Da-gon aufgehoben, und die tausendjährigen Ketten meiner Verbannung gebrochen!« — so sprach mein Geliebter, und schloß mich mit Zärtlichkeit in seine Arme. Du kannst dir denken, daß ich nicht weniger erstaunte als du. — Ich fragte, wer der mächtige Dagon sei, und auf welche Art ich dessen Ausspruch gelöset hatte? »Dagon, der mächtige Wassergeist« — erklärte mein Geliebter, »verdammte mich eines Vergehens meines Vaters halber zur ewigen Wanderung unter den Menschen, bis ich ein treues Herz unter ihnen finde, das mir selbst in die Wasserwelt folget — dann erst dürfte ich wieder vor ihm erscheinen und mein Reich, den Moldau- und Elbestrom, in Besitz nehmen. Tausend Jahre wandelte ich auf der Erde unter den falschen unbeständigen Men- 57 schenkindern in verschiedenen Gestalten umher; tausend und tausend Liebschaften habe ich mit den Töchtern der Erde angesponnen — doch nicht eine blieb standhaft und treu, bis auf dich, du Schönste und Edelste! — Darum sollst du auch ewig mein sein, Herrschaft und Macht mit mir teilen. —« Freilich waren mir die tausend Jahre und tausend Liebschaften meines Wasserprinzen nicht gar angenehm, und mit der Krone und der Herrschaft seines flüssigen Reiches wars auch nicht weit her; aber er war trotz seines Alters immer noch ein blühender schöner Jüngling, darum nahm ich sein Anerbieten an, und ward Königin beider Flüsse.« — »Um Gotteswillen!« rief Frau Schiffre, die Hände zusammenschlagend. — »Einen Goi, ohne Trauung durch eines Rabbi Hand?« — »Das verstehest du nicht, liebe Muhme!« — erwiderte Haninna — »die Geister sind weder Juden noch Türken, sie haben weder Kirchen noch Synagogen, weder Rabbi noch Priester; der Schöpfer aller Wesen ist ihr Gott, die Welt ist ihr Tempel, die Natur ihre Religion. — Übrigens, sage ich dir, ist es ein herrliches Völkchen, es kennt von allen den Dingen, die den schwachen Erdensöhnen das kurze Leben verbittern, kein einziges. Hier gibts weder Neid noch Habsucht, weder Ehrgeiz noch Rache; Verleumdung, Betrug, Ränke, Heuchelei sind hier unbekannte Namen. Es lebt sich gut, sehr gut unter den Geistern, wenn nicht die Langeweile und das ewige Einerlei wäre.« — Hier mußte die schöne Wasserkönigin, von Geburtswehen ergriffen, abbrechen. — Frau Schiffre vergaß über ihre Kunst alles, was des Bruders Tochter bis jetzt zu ihr gesprochen, und beschäftigte sich bloß mit den Anstalten und Vorkehrungen, einen neuen Was- 58 serprinzen in die Welt zu fördern. — Sie holte ihre Requisiten und Essenzen aus den tiefen Taschen hervor, wusch und rieb die hohe Gebärerin unter tröstenden und muteinsprechenden Reden, und nach kurzer Zeit legte sie einen holden Knaben in die Arme der entzückten Mutter. — Bei dem ersten Laut, womit der neugeborene Thronfolger sein Dasein verkündete, öffneten sich die Türen, und herein tanzten, kaum den Fußboden berührend, leichte ätherische Nymphen mit bunten Libellenflügeln versehen, und in blauen gasartigen Schleiern die zarten, fast durchsichtigen Körper verhüllet. Alle stellten sich um die Gebieterin, deren Befehle zu empfangen, und verschwanden nach einander, so wie sie ihren Auftrag hatten. »Bei meinem Leben!« sprach Frau Schiffre, als sie mit der Brudertochter wieder allein war, »die Königin Saba könnte es nicht besser haben als du, und auf diese Weise kann man das Paradies leicht entbehren, welches dir schwerlich teilhaftig geworden wäre, weil du dir selbst das Leben nehmen wolltest, und einen Goi geheiratet hast. — Nun erzähle mir weiter deine wunderbare Geschichte.« — Haninna drückte den kleinen Schreier ans Herz, und setzte ihre Geschichte weiter fort: »Während der ersten Monate gefiel es mir recht gut an meinem Geisterhofe; als aber der Neuheitreiz vorüber war, und mir das ewige Einerlei der Geisterwelt gleichgültig wurde, bekam ich Heimweh. Ich sehnte mich wieder nach Menschen und ihrem mannigfaltigen Treiben. Mein Gemahl, dem ich meinen Kummer nicht verbarg, erlaubte mir, so oft ich wolle, unter Menschen zu wandeln, doch nur in Gestalt einer schwarzen Katze. So 59 schlich ich jeden Tag einige Stunden unter euch umher, und so habe ich auch heute dein Mitleid erregt, daß du den Wunsch äußertest, mir beizustehen.« »Bedanke mich recht schön für die Ehre!« entgegnete Frau Schiffre, »wenn mir nur der Schrecken nicht schadet, und ich gesund wieder nach Hause komme. Ich bitte dich, Muhme! laß mich nur bald aus deinem Bereiche führen.« »Willst du schon wieder fort? Fürchte dich nicht, bleibe noch einige Tage hier!« - bat Haninna. »Wo denkst du hin? Was wird mein Mann sagen? — Es kann nicht sein; habe zu viel Geschäfte, Frau Judiths gewartet sich alle Stund, und dann Zirl und Sorel und Zipperl; es geht nicht, ich muß fort.« »Nun, wenn du nicht länger bleiben willst, so kannst du in Gottes Namen gehen, mein Gemahl wird dich wieder aufs feste Land bringen; doch will ich dir noch eine Warnung mitgeben«, setzte die Wasserfürstin leise hinzu — »mein Gatte ist eurem Geschlechte nicht gar geneigt, er foppt und neckt die Menschen, wie er nur kann, weil sie, um ihre Schwelgerei und Wollust zu befriedigen, sein Reich durch List und Gewalt plündern und ausleeren. Es ist dir bekannt, wie oft er eure Bäcker, Kaufleute und Fleischer neckt, und ihnen Schuppen statt Münzen gibt. Man will ihn an einer grünen Jacke, aus deren linken Tasche stets Wasser tropfe, erkennen, welches aber durchaus falsch ist; denn er erscheint unter den Menschen in verschiedenen Gestalten, je nachdem der Charakter ist, den er necken will. Dem Wucherer stellt er sich als einen leichtsinnigen Chevalier vor, der erst mündig ward; den Gelehrten und Dichtern, als Buchhändler oder Rezensent; den Richtern und Advokaten, als wohl- 60 habender, prozeßlustiger Pächter; den Damen, als Offizier und Schauspieler; darum sei auf deiner Hut. Er wird dir zum Lohne für deine Mühe Juwelen, Perlen, Gold und Silber, so viel du nehmen willst, anbieten; doch nimm von allen den Kostbarkeiten nichts. Nur von den Kohlen, die in großen Haufen im letzten Zimmer aufgeschüttet sind, nehme, was du ertragen kannst. Ich warne dich nochmal, laß dich nicht gelüsten nach dem täuschenden Glanz der Edelsteine; denn sie schwinden dir, ehe du nach Hause kommst, und plaudere nicht von dem, was du gesehen; so lieb dir dein Leben ist, schweige. Still! mein Gemahl! Sei vorsichtig, laß ihn nicht merken, daß du mich kennst.« — Die schöne Wöchnerin hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als die Tür aufging, und ein bildschöner Mann in das Gemach trat. Dieser nahm den schlafenden Prinzen von der Mutter Seite, küßte ihn mit väterlicher Zärtlichkeit, wie es ein liebender Vater von Blut und Fleisch zu tun pflegt, wenn er die erste Frucht seiner Liebe ans Herz drücket. Frau Schiffre konnte sich nicht genug wundern, daß ein so böser Geist, wie der Wasserkönig, auch Gefühl und Barmherzigkeit habe, und dachte bei sich: »Wahrhaftig! mein Bruder hätte mit seiner Tochter keine bessere Partie machen können. Wie glücklich wären die Weiber, wenn es statt der vielen Strohmänner lieber Wassermänner gäbe. —« Nachdem der entzückte Strombeherrscher den Säugling wieder an der Mutter Brust gelegt hatte, wandte er sich zu Frau Schiffre: »Liebe Hebamme! Ihr habt mir einen Dienst erzeigt, und ich will Euch die Mühe und Angst reichlich lohnen; folget mir in meine Schatzkammer, und wählet, was Euch beliebt und wohlgefällt! -« So sprach er schalkhaft lächelnd und ging voraus. Frau 61 Schiffre folgte ihm durch mehrere Säle, welche voller Schätze und Reichtümer waren. »Nun so wählt! Habt Ihr kein Verlangen nach den großen Diamanten oder nach den schönen Perlen? Wollt Ihr dort einige Goldklumpen? Nehmt nur! Greift zu! Ich weiß ja, solche Dinge haben bei Euch mehr Wert, als alle Tugenden der Welt —« munterte sie der herablassende Fürst auf; — aber der Warnung Haninnas eingedenk antwortete die kluge Schiffre: »Danke s- chön, das ist mir alles zu kostbar, doch möchte ich um einige Kohlen bitten, die dort aufgehäuft sind. Mein Mann ist ein Klempf-ner, und kann sie gut gebrauchen.« »So nehme dir davon, närrisches Weib! so viel du willst. —« Frau Schiffre füllte ihre Ungeheuern Taschen und Schürze, daß sie strotzten. »Es ist nun Zeit, daß ich dich wieder nach deiner Wohnung bringe, komm und laß uns gehen; doch so lieb dir dein Leben ist, erzähle niemandem, wo du warst!« setzte er drohend hinzu. »Nur ein Wort, und du bist verloren, hörst du?« »Ich will schweigen, gnädiger Herr! wie das Grab, ich schwöre es Euch!« — versicherte ängstlich die Frau. Beide gingen nun in das Gemach der Wöchnerin zurück. Schiffre nahm von der Brudertochter zärtlichen Abschied, und ehe der Tag anbrach, befand sie sich in der Gasse, wo ihre Wohnung stand. Obgleich Frau Schiffre, wie wir gesehen, ziemlich beherzt war, so hatte sie doch ein wenig Grauen empfunden, als sie wieder allein in dunkler Nacht durch die Gasse nach ihrer Wohnung eilte. Aus Unvorsichtigkeit löste sich ein Zipfel der Schürze, und sie streuete einen Teil des Inhaltes in der Gasse aus, wo sie durchpassierte. 62 »Bist du es, Weib? Um Gottes Willen, wo bleibst du so lange? Ganze zwei Tage nicht nach Hause zu kommen! Schon hab ich mir die Kleider zerrissen, und dich auf der Erde sitzend betrauern wollen! —« Mit diesen Worten empfing sie der Gatte. »Zwei Tage? Wirklich?« fragte verwundert die Frau — verschwieg aber sorgfältig, was ihr begegnet, suchte durch allerhand Ausreden den Mann zu beschwichtigen, und begab sich hierauf zu Bette. Es währte aber nicht lange, wurde sie aus ihrem Schlummer durch ihres Mannes Geschrei geweckt. - »Weib! um Gottes willen steh auf und schau!« schrie dieser freudenvoll — »schau her — Gottes Wunder!« Dabei sprang er wie wahnsinnig in der Stube herum. »Was gibts denn wieder?« fragte ängstlich Schiffre. - »Was es gibt? Gold, lauter Gold - weiß Gott! ganz reines Gold!« entgegnete der Gatte entzückt, indem er ihr einen Klumpen zeigte. — »Mach nur kein Geschrei, daß die Nachbarn nicht zusammenlaufen!« ermahnte das kluge Weib, »solches Zeug hab ich genug mitgebracht — dort liegt die ganze Schürze voll.« — Sie sprang aus dem Bette und zeigte dem erstaunten Gatten ihren Ungeheuern Schatz. »Nur geschwind verstecken, damit kein Mensch ahnet, wie reich wir sind!« — sprach der besorgte Mann, und beide nahmen den Goldhaufen, um ihn in einer Kiste zu verbergen. — Indessen erhob sich draußen in der Gasse ein großer Lärm — viele Menschen waren da versammelt, rauften und balgten sich um die gestreuten Goldstücke, welche die eilende Hebamme in der Angst verloren hatte. Man glaubte, das Gold wachse hier aus der Erde, und viele riefen: Gottes Wunder! das ist eine Goldene Gasse. Man grub mit Schaufeln und Hauen und wühlte den Boden auf, allein man fand außer 63 den wenigen Stücken keines; — von der Zeit nennt man diese Gasse »die Goldene Gasse«. Frau Schiffre verschwieg ihr Abenteuer sorgfältig durch ihr ganzes Leben, aus Furcht, es könnte ihr Schatz entschwinden, wenn sie plaudern möchte — erst auf ihrem Totenbette ließ sie ihren Bruder zu sich rufen und entdeckte ihm das Schicksal Haninnas. - Was aber aus dieser geworden, ob sie noch als Wasserkönigin in der Moldau sich befinde, ist bis heutigen Tages nicht bekannt. Auch diese Sage könnten die Aufgeklärten sehr leicht natürlich erklären: - Haninnas Verführer war ein reicher böhmischer Graf, der ein Haus am Ufer der Moldau besaß, wohin er seine Geliebte entführte, die ängstliche Hebamme in der Nacht holte, und sie für ihre Dienste und Verschwiegenheit gut bezahlte. - Aber das Volk erzählt sie einmal so, und ich durfte sie nicht anders geben. Meisel Der Name Meisel ist unter den Prager Juden mehr berühmt und hochgeschätzt als der Name manchen Rabbis, und er verdient es auch; denn nie hat ein besseres Herz in der Brust eines reichen Israel-Sohnes geschlagen, als das des wohltätigen, anspruchslosen Mordechai Meisel, nie war ein Mensch so wohltätig und bescheiden zugleich als er, und nie hat ein Jude so viel für seine Glaubensbrüder getan. - Er ist es, welcher die schmutzigen Gassen der Judenstadt auf eigene Kosten pflastern ließ, er erbaute das schöne Rathaus derselben. Zwei Synagogen, die Meisel- und Hochschule, sind Werke seiner 64 Mildtätigkeit. Die erste ist ein Prachtgebäude, von beiden Seiten mit Galerien, und ein Muster höherer Architektur. Auch das Badehaus für Frauen entstand durch seine Freigebigkeit. Das Armen- und Waisenhaus verdankt die Gemeinde der Wohltätigkeit dieses Edlen, und noch mehrere wohltätige Anstalten. Woher dieser Mann ein so unermeßliches Vermögen hatte, dies alles ausführen zu können, wird die Frage eines jeden sein und folgende Sage mag den Aufschluß geben. Vor mehr als zwei hundert Jahren reiste der Primas, wie damals der Vorsteher der Gemeinde genannt wurde, nach einer Landstadt, einige Meilen von Prag entfernt — und da in den damaligen Zeiten noch keine regelmäßigen Straßen angelegt waren, so hätte man sich leicht verirren können; dieses geschah dem Primas auch wirklich, als er in der Abenddämmerung auf seiner Rückreise in einen dichten Wald kam und der Kutscher den rechten Weg nicht mehr sehen konnte. Er fuhr bald rechts, bald links, über Stock und Stein, der Wald wollte nicht enden. Plötzlich blieben die Pferde stehen, fingen an zu schnauben und bäumten sich, daß dem Kutscher und dem im Wagen sitzenden Primas angst und bange ward. Beide sprangen vom Wagen, um die Ursache dieses unangenehmen Ereignisses zu erforschen - da erblickten sie in der Ferne ein kleines, bläuliches Licht durch die Bäume schimmern, welches aber zusehends größer ward, und zuletzt zu einem flammenden Berge heranwuchs, der die ganze Umgebung erleuchtete. Der Kutscher bebte vor Furcht und wandte das Gesicht von der Flamme ab. Rabbi Jizchak, so hieß der Primas, wunderte sich zwar über die Erscheinung, hatte aber keine Furcht, denn er war ein hochgelehrter und herzhafter Mann, wie ein Vor- 65 steher dazumal sein mußte. Er ließ den Tieren die Augen verbinden und begab sich nach dem Orte, wo die Flamme loderte. Wie groß war sein Erstaunen, als er näher kam und zwei kleine, kaum ellenhohe Männchen mit grauen, langen Bärten sah, welche emsig von dem glühenden Haufen Gold- und Silberstücke in kleine Säckchen füllten, ohne ein Wort zu sprechen, oder auf den Ankömmling zu achten. Einige Zeit sah Rabbi Jizchak dieser angenehmen Beschäftigung der Kleinen schweigend zu; da aber das Spiel kein Ende nahm, fragte er: »Für wen füllet ihr diese Säcke?« Sogleich ließen die Fleißigen, wie durch einen Zauber gebannt, die Händchen ruhen, der Haufe und die Säcke verschwanden, und nur noch einige Goldstücke glänzten zerstreut auf dem Boden. — »Nicht für dich«, antwortete mit zorniger Gebärde eines der Männchen und verschwand. — »Sag' du mir«, sprach Rabbi Jizchak zu dem andern Männchen, das immer noch schweigend stand, — »für wen ist so viel Geld bestimmt?« — »Für einen aus deinem Volke«, antwortete dieses freundlich. »Du hast nicht wohlgetan, uns zu fragen, denn dadurch hast du dem Eigentümer viel geschadet.« — »Kannst du mir nicht sagen, woher er ist, wie er heißt?« — »Ich darf nicht.« —»Kannst du mir auch kein Merkmal geben, woran ich ihn erkennen möchte?« — »Keines.« — »Um welche Zeit wird er diese Reichtümer erhalten?« — »Wenn deine Tochter verheiratet ist.« — »Meine Tochter?« fragte staunend Rabbi Jizchak. »Wie kommt diese mit dem Wunderbaren in Beziehung?« — »Mehr, als du jetzt sehen kannst.« — »So erlaube mir wenigstens einige Stücke hier mitzunehmen.« — »Eintauschen für ein anderes Geld kannst du sie, zum Schenken hab' ich nicht Macht.« — Sogleich zog der Pri- 66 mas seinen Beutel, warf drei Goldstücke auf den Boden, und klaubte dafür drei andere, ohne erst zu prüfen, ob sie vollwichtig seien. Er wollte noch eine Fragen tun, allein als er aufblickte, war alles verschwunden und Dunkelheit ringsumher; er kehrte daher zum Wagen zurück und beruhigte seinen Kutscher, daß die Erscheinung bloß ein brennender Kohlenhaufe gewesen sei. Die Pferde waren wieder ruhig, und nach einer kurzen Strecke lichtete sich der Wald. Die rechte Straße war bald gefunden, und mit Anbruch des Tages befand sich der Primas wieder in der Stadt unter seiner Gemeinde. Hier erst wuchs seine Neugierde und die Lust, denjenigen zu erforschen, der unbewußt Eigentümer so vieler Schätze sei, und da er trotz aller Gelehrsamkeit und Weisheit eines Vorstehers doch nicht den wahren Beglückten ausfindig machen konnte, so nahm er, wie es die Patriarchen oft getan, zur Fügung Gottes seine Zuflucht. Er wickelte die drei Goldstücke, jedes besonders, in ein Papier, und ließ eines davon von seinem Fenster im zweiten Stock herabfallen; er selbst beobachtete genau alle, die vorbeigingen. Obgleich das Haus in der belebten, breiten Gasse stand, wo den ganzen Tag die wimmelnde Volksmenge hin und her vorbeiströmt, blieb das Goldstück doch unbemerkt bis gegen Abend liegen. Rabbi Jizchak zweifelte schon, daß es irgend jemand jetzt in der Dämmerung finden werde, und wollte es wieder heraufbringen lassen. In diesem Augenblicke hüpfte fröhlich und munter ein Gassenbube barfuß, in zerrissenen Kleidern, mit rußigem Gesichte die Gasse entlang, und blieb vor dem Hause des Primas plötzlich stehen. Er schaute mit gar ängstlichen Blicken rechts und links, als fürchtete er, von jemand bemerkt zu werden. Auf einmal 67 machte er einen Sprung, hob das Goldstück mit Heftigkeit von der Erde, und lief wie ein scheues Reh davon. -Der Vorsteher schüttelte bedächtig den Kopf und sprach: »Das wird mir ein sauberer Millionär!« Ganz unzufrieden über die grillenhafte Güterverteilung des Ewigen, schlief er des Nachts nur wenig und konnte den Morgen kaum erwarten, um das Schicksal abermals zu versuchen. Das zweite Goldstück ward auf dieselbe Stelle hingelegt, und siehe da — es kam der nämliche Gassenjunge und nahm es so wie gestern. »Hm! Sonderbar!« brummte der gelehrte Primas. »So einem liederlichen Jungen so viel Geld zu geben! Er versteht kein Geschäft, weiß nichts vom Handel, was kann der Kerl mit so vielem Gelde machen? Wozu soll's ihm? Doch unerforschlich sind die Wege des Herrn!« Am dritten Tage ward auch das dritte Goldstück herabgeworfen, und richtig! der bekannte Junge holte auch dieses. Der weise R. Jizchak zweifelte nun nicht mehr, daß dieser jetzt so elend und liederlich aussehende Junge einst den unzählbaren Goldhaufen im Walde bekommen würde. Er wollte nun auch wissen, ob denn dieser gemeine Junge wirklich so viel Reichtum vom Herrn verdiene. Zwar war es ihm nicht fremd, daß selten Reichtum mit wahrem Verdienste gepaart ist, daß größtenteils da, wo Vermögen und Güter wohnen, Tugend und Biedersinn nur Fremdlinge sind; aber ein so wunderbares, durch des Höchsten Fügung erworbenes Glück konnte seiner Meinung nach nur einem der tugendhaftesten Menschen beschieden sein. Sogleich ließ R. Jizchak den Meschores (Gerichtsdiener) vor sich kommen, und befahl ihm, durch alle Gassen den Verlust dreier Goldstücke auszurufen, und der Fin- 68 der möchte nach dem Gesetze Moses dieselben dem Eigentümer zurückstellen. — Damit wollte der Primas das redliche Gemüt und zugleich die Herkunft des Jungen, wenn dieser seinen Fund wirklich zurückstelle, erforschen. Der Meschores hatte kaum noch alle Gassen passiert, als sich schon ein Junge beim Primas melden ließ. Er ward sogleich vorgelassen, und es war derselbe, welcher die Goldstücke fand. Mit furchtsamer Miene trat er in das Zimmer. — »Was willst du, mein Sohn?« fragte mit Freundlichkeit der Vorsteher. — »Mekasse! (soviel als: Euer Gnaden!) Ihr habt drei Goldstücke verloren, und ich habe sie auf eine wunderbare Weise gefunden. Mir träumte nachts vorher, ich würde vor Eurem Hause Goldstücke finden. Gern wollte ich nach Moses Gesetzen den Fund ganz zurückstellen, wenn ich nur mehr als zwei davon hätte!« sprach wehmütig der Junge, und löste die Knöpfe eines Tuchzipfels, worin der Schatz eingebunden war. — »Wohin hast du denn das dritte Stück gegeben?« fragte R. Jizchak. — »Meiner Mutter, die es sogleich wechseln ließ, um es im Handel zu verwenden. Sie will es aber auch zurückgeben, sobald es nur möglich ist.« »Schau, du bist ein Narr!« sprach lächelnd der Vorsteher. »Hättest du nicht alle drei behalten können? Wer hätte dich verraten, da es doch niemand gesehen? Ich bin ein reicher Mann, der so eine Kleinigkeit leicht entbehren kann, und du wärst damit glücklich.« Lange schaute ihn verwunderungsvoll der Junge an, dann sprach er mit frommer Begeisterung: »Davor möge mich der Gott Israels behüten. Hat er es denn nicht durch seinen heiligen Propheten, unseren Lehrer Moses, ausdrücklich befohlen, selbst dem Feinde ein verlorenes Lamm zurückzustellen? Und wenn mich auch kein Men- 69 schenauge sah, sah mich nicht sein allsehendes Auge? Er, der Herzen und Nieren prüft, die geheimsten Gedanken des Menschen kennt, sollte nicht auch meine Handlungen wissen? Ich will lieber arm und redlich sein, als mir auf verbotenem Wege Reichtum verschaffen. Hier habt Ihr Euere Goldstücke.« Mit gerührtem Herzen und tränenvollen Augen näherte sich der ehrwürdige Primas dem Knaben, legte beide Hände auf dessen Haupt, und sprach mit feierlicher Stimme: »Gott segne dich und sei dir gnädig. Ja, du bist es wert, der Liebling unseres Gottes zu sein.« Der Knabe stand ganz betroffen da und wußte nicht, wie ihm geschah. »Sage mir, mein Sohn!« begann nach einer Weile R. Jizchak, »wolltest du nicht bei mir bleiben? Ich willdich kleiden, will dich unterrichten lassen, als wärest du mein eigenes Kind. Es soll dir wohlgehen in meinem Hause.« — »Mekasse! das kann ich nicht«, entgegnete der Knabe. »Ich habe zu Hause einen alten blinden Vater, den ich pflegen muß, wenn die Mutter den ganzen Tag ihrem Geschäfte nachgeht. Wer möchte den Greis dann ein- und ausführen, wer ihn dreimal des Tages ins Gotteshaus begleiten, seine Andacht zu verrichten? Nein, ich kann nicht bei Euch bleiben, und wenn Ihr mir Euer ganzes Vermögen gäbet.« — »Für deinen Vater will ich sorgen, ich will ihm einen Führer bestellen.« — »Nicht doch, diese Leute tun es für's Geld, und können die Liebe eines Kindes nicht ersetzen; das Gebot: Ehre Vater und Mutter, damit du lange lebest auf Erden! geht mir über Alles.« — »Wie ist der Name deines Vaters, der so glücklich ist, einen solchen Söhn zu haben?« fragte R. Jizchak. — »Mein Vater heißt Schalum Meisel, und war, ehe er erblindete, Lastträger. Meine Mutter handelt mit al- 70 tem Eisen in der Ecke der goldenen Gasse«, antwortete der geschwätzige Knabe, dem dieses Examen schon zu lange dauerte. — »Nimm diese Goldstücke wieder«, sprach der Vorsteher, »bring sie deinen Eltern heim; ich hoffe, wir werden näher bekannt werden. Geh' mit Gott.« — Freudig nahm der Knabe das Gold und hüpfte davon. Einige Tage nachher, an einem Sabbatabende, saß die kleine Familie Meisel in dem kleinen, armseligen Stübchen traurig beisammen, und der Sohn, welcher heute etwas besser als am Wochentage gekleidet war, erzählte abermals dem greisen Vater, wie gütig der hochgeehrte Primas sich gegen ihn benommen habe, wie er verlangt, daß er in seinem Hause bleibe, wie er ihn gesegnet; und die Eltern überhäuften den vornehmen Gönner ihres Sohnes mit tausenderlei Wünschen. »Rabbi Jizchak«, sagte der greise Hausvater, »ist ein frommer, gottesfürchtiger Mann. Der Gott unserer Väter verleihe ihm langes Leben; aber die Reichen haben Launen, die wie Träume bald verfliegen. Verlaßt euch nicht auf Wohltätige, nicht auf Erdensöhne, bei denen keine Hilfe ist, hat der König David gesagt. Du hast wohlgetan, mein Sohn, daß du nicht eingewilligt in sein Begehren!« — »Was soll aber aus dem Jungen werden, wenn er länger noch zu Hause bleibt?« nahm die Mutter das Wort. »Jetzt ist er bereits 15 Jahre alt und versteht keinen Hund aus dem Ofen zu locken. Bei Rabbi Jizchak könnte er das Geschäft erlernen, dann selbst eine Handlung einrichten, und eine gute Partie machen, so — « — »Schweig nur, schweig!« unterbrach sie der Gatte, »ihr Weiber macht immer Pläne, die nichts heißen. Eure Wünsche sind stets höher als eure Macht. Unser Mordechai soll nichts mehr 71 und nichts weniger werden als was seine Eltern und Voreltern waren. Er ist gesund und stark, er kann bald seinen Strick um die Achsel hängen und Lasten tragen, wie ich es getan habe. Er soll nur fromm und rechtschaffen bleiben, so wird ihm Gottes Segen nie fehlen. Was sind Reichtümer, was Rang und Würde? Alles ist eitel, sagte der weise König Salomo.« Da öffnete sich die Tür und herein trat R. Jizchak. »Allmächtiger Vater!« rief erschrocken die Hausfrau. — »Ist es denn möglich! Wie kommen wir zu dieser Ehre?« — »Was ist's? wer ist gekommen?« fragte der Greis. — »Himmlischer Vater! denk Dir, Rabbi Jizchak, unser Primas tut uns die Ehre an, unsere arme Wohnung zu betreten«, erwiderte die Mutter und holte mit geschäftiger Eilfertigkeit einen großen Lehnsessel aus dem Winkel, ihn dem geehrten Gaste zum Sitze anbietend. »Gesegnet sei Dein Kommen, Herr!« sprach der blinde Greis. — »Gesegnet, die ich hier treffe«, erwiderte der Primas. »Laßt es gut sein und macht nicht soviel Umstände. Ich hätte manches mit Euch zu reden, und da habe ich den Sabbat dazu erwählt, wo ich und Ihr von den Wochengeschäften ausruhen und Zeit genug haben.« Hierauf ließ er sich auf den ihm dargebotenen Sessel nieder. — »Du kannst eine Zeitlang draußen mit Deinen Gesellen herumgehen«, wendete sich der Gast zum jungen Meisel, »ich habe bloß mit den Eltern zu reden.« Der Junge war froh, auf die leichteste Art seiner Haft zu entkommen, denn am Sabbat durfte er nicht aus dem Hause, damit er diesen heiligen Tag nicht durch jugendlichen Mutwillen entweihe. »Rabbi Scha-lum!« begann der Primas, nachdem der Junge aus der Stube war, »ich habe ein Geschäft für Euch, welches selbst am heiligen Sabbat abgemacht werden kann.« Der 72 blinde Greis horchte aufmerksam. »Gebet mir Euren Mordechai, ich will ihn wie mein Kind erziehen und lehren lassen.« — »Mekasse! mit Kindern mach' ich keinen Handel«, entgegnete schnell der alte Vater. » Gott hat mir den Einzigen von acht Kindern gelassen, und er soll bei mir bleiben, bis ich sterbe. Wo Zwei satt werden, kann ein Drittes auch noch mitessen.« »Laßt mich nur ausreden«, sprach R. Jizchak. »Ihr könnt ja Euren Sohn bei Euch behalten, er kann bei Euch essen und trinken; nur laßt ihn täglich zu mir auf einige Stunden, damit er etwas lerne und ein ordentlicher Mensch aus ihm werde.« — »Das hab' ich auch gemeint«, sprach die Mutter mit lebhafter Freude. »Der Junge wächst heran, und weiß von der Welt so wenig.« — »Da haben wir's wieder«, unterbrach sie der Gatte. »Mit Deiner Welt. Ich hab's Dir schon gesagt, er soll nur brav und gut sein, ein Lastträger braucht die Welt nicht zu kennen.« — »Euer Sohn soll aber kein Lastträger werden«, versetzte R. Jizchak mit gebieterischem Tone. »Ich habe mir's vorgenommen, aus ihm einen geschickten ordentlichen Kaufmann zu machen. Er hat Wohlgefallen in meinen Augen gefunden, und ich will ihm, wenn er ferner brav bleibt, meine einzige Tochter Sulamith zum Weibe geben.« — Die beiden Alten verstummten vor freudigem Schrecken. Auf ein solches Anerbieten waren sie nicht gefaßt; daß ihrem Sohne ein solches Glück bevorstehe, hatten sie sich auch im Traume nicht einfallen lassen; denn das jüdische Volk besitzt mehr als jedes andere die Schwachheit, bei einer Heirat nur auf vornehme Abkunft zu sehen. Der Schwiegersohn eines Primas zu werden ward damals für das höchste irdische Glück gehalten. Hätten die Eltern so wie der Primas gewußt, was für Schätze ihrem Sohn vom 73 Höchsten bestimmt waren, vielleicht würden sie immer noch Einwendungen gemacht haben; so aber waren sie entzückt, und der Vater sprach mit andächtiger Stimme und gefalteten Händen: »Es ist von Gott bestimmt, er möge seinen reichlichen Himmelssegen auf Eure Händearbeit herabströmen lassen.« Die Mutter weinte Freudentränen und vermochte nichts zu sagen. »Wir wären demnach einig«, sprach R. Jizchak freundlich, indem er sich von seinem Sitze erhob. »Nur für jetzt noch alles unter uns. Niemand darf von der Sache wissen, weder Euer Sohn noch meine Tochter sollen es merken, versteht Ihr mich, bis die Zeit da ist. Gott mit Euch!« Der Primas entfernte sich hierauf, und ließ die erstaunten Alten in ihrer Freude allein. Fünf Jahre verflogen dem jungen Meisel schnell und angenehm, wie einst dem Erzvater Jakob die Dienstjahre um die geliebte Rachel. Sein Körperbau hatte an Kraft und Schönheit, und sein Geist an Kenntnis und Wissen während dieser Zeit dergestalt zugenommen, daß er für den liebenswürdigsten und gelehrtesten Jüngling gehalten ward. Aber sein edles Herz und Biedersinn hatten in seinen günstigen Verhältnissen gar nicht gelitten - er blieb wie früher der liebende Sohn und die Stütze seiner armen Eltern. Immer noch führte er den blinden Vater dreimal des Tages ins Gotteshaus, immer noch war er der Mutter in ihrem unbedeutendem Eisenhandel behilflich und schämte sich nicht, ein altes Rad oder irgend einen unbrauchbaren Pflug zu zerschlagen, um die Eisenstücke aus demselben zu sondern. Sulamith war indessen wie die Rose Sarons zur züchtigen Jungfrau aufgeblüht. Schlank wie die Palme war ihr Körper, ihre Augen glichen den Augen einer Gazelle; wie Lämmer aus der 74 Schwemme steigend, wie Perlen wohlgereiht, blinkten die Zähne zwischen den Korallenlippen aus dem holdlächelnden Munde, die rabenschwarze Lockenfülle ringelte sich über dem elfenbeinenen Nacken herab, und umnachtete zum Teil die vollen, von Karmin der Jugend überzogenen Wangen. Ihr Herz war das edelste, und ihr Sinn hoch wie einst Abigails. Mit väterlicher Wonne sah Sulamiths Vater die Neigung dieser jungen Leute täglich zunehmen, denn er wußte nur zu gut, daß die zusammengekuppelten, bloß von Eltern geschlossenen Ehen, die leider unter dem Volke Israels noch heutigen Tages stattfinden, nicht immer glücklich sind, und daß die reichsten und glänzendsten Partien gar bald in Not und Elend sich umwandeln, wenn nicht Liebe und Eintracht unter den Eheleuten herrscht. So wie der junge Meisel das zo. und Sulamith das 16. Jahr erreicht hatten, wurden beide verlobt. Die sämtliche Judenschaft der Stadt Prag kam in Aufruhr über diese höchst sonderbare Verbindung des vornehmen reichen Primas mit dem niedrigen Lastträger. Durch mehrere Wochen war dieses seltene Ereignis der Stoff zur allgemeinen Unterhaltung. Einer riet dieses, der andere jenes, was den reichen Mann bewogen haben mochte, die einzige Tochter einem armen Jünglinge von der niedrigsten Klasse zu geben, und alles blieb dabei, der Primas sei ein Narr! Doch dieser ließ die Leute reden, denn er wußte, was er wußte, und nach einem Jahre ward das schöne Paar im Hofe der Altneuschule durch den hochgeehrten Rabbi vermählt. Als die sieben Hochzeitstage vorüber waren, der Jubel und die Gastereien im Hause ein Ende hatten, glaubte R. Jizchak, daß es nun Zeit sein würde, die versprochenen Goldsäcke seines Schwiegersohnes abzuholen. Er 75 ließ daher am achten Tage seinen Wagen anspannen und begab sich mit Meisel auf die Reise. — Sie gelangten zwar gegen Abend wieder in den Wald und zu der Stelle, wo • der Primas vor 6 Jahren die wunderbare Erscheinung [ hatte, sie blieben fast die ganze Nacht daselbst — allein weder der glühende Berg, noch die zwerghaften Gestalten, weder Goldsäcke, noch Goldhaufen zeigten sich ihnen. Mißmutig über die getäuschte Erwartung kehrte der Primas um, ohne das geringste seinem Tochtermann von der Absicht dieser sonderbaren Reise merken zu lassen. »Sollte ich nur geträumt haben? Woher kamen die drei Goldstücke? Nein, es ist nicht möglich! Ich habe das Wunderbare mit eigenen Augen gesehen!« dachte er bei sich selbst. — »Gewiß, es war noch nicht an der Zeit!« — Es verstrichen Wochen, Monde, ja sogar Jahre, R. Jiz-chak machte noch viele Reisen nach dem Orte der Erscheinung, vergebens — die Geldsäcke ließen sich nicht mehr sehen. Endlich wankte sein fester Glaube an dieses Wunder; er hielt es bloß für einen Spuk eines bösen Geistes, der ihn zum Besten hatte, um ihn zu einer für seine Würde so schändlichen Verbindung zu verleiten. Der getäuschte Primas ward von Tag zu Tag verdrießlicher, und behandelte seinen Schwiegersohn mit Kälte und Geringschätzung. Den jungen Meisel kränkte das lieblose Betragen seines Schwiegervaters dergestalt, daß er beschloß, dessen Haus, wo er bis jetzt noch wohnte, zu verlassen, und er sprach eines Tages zu seinem geliebten Weibe: »Ich sehe das Angesicht Deines Vaters, daß es nicht ist, wie gestern und vorgestern, wir wollen uns eine eigene Haushaltung einrichten und nicht länger Gnadenbrot genießen.« Sulamith, die ihren Gatten zärtlich liebte, fügte sich in alles, was er wünschte. Das junge 76 Ehepaar mietete eine andere Wohnung und verließ das väterliche Haus. R. Jizchak willigte gern ein, denn die getäuschte Hoffnung auf die unermeßlichen Reichtümer hatte ihn mit Haß gegen den Tochtermann erfüllt. Meisel übernahm das kleine Eisengeschäft seiner Mutter und erhob es bald durch Fleiß und Redlichkeit zu einer bedeutenden Handlung, so daß er ehrenvoll sein und der Eltern Haus, ohne die Unterstützung seines Schwiegervaters anzusprechen, besorgen und noch dabei manchen Groschen ersparen konnte. So lebte er glücklich und zufrieden mit dem, was ihm der Gott seiner Väter beschieden. Eintracht und Friede herrschte stets in seiner Wohnung. Sulamith war eine der Biederfrauen, wie sie Salomo schildert: »Ihre Hand greift in den Rocken, und reicht sie auch freundlich dem Dürftigen — darum fehlte es dem Hause nie an Brot.« — Meiseis Haus war der Zufluchtsort der Notleidenden und Bedrängten und der Sammelplatz der Gelehrten, welche alle ihren Wohltäter segneten und priesen. Eines Tages, als der freigebige Meisel in seiner Eisenniederlage stand, kam ein Bauer in einem schlechten Kittel gekleidet in das Gewölbe, um, wie er vorgab, manche Eisenstücke zu kaufen. Nachdem der Landmann das Benötigte ausgesucht und zusammengelegt hatte, sprach er: »Herr, ich habe für jetzt kein Geld, Euch zu zahlen, und die Sachen da brauche ich notwendig; wollt Ihr mir einige Zeit warten, so will ich Euch auf Ehre und Gewissen redlich bezahlen.« - »Wenn Ihr die Dinge da so notwendig brauchet, so will ich sie Euch auch ohne Geld mitgeben. Ich kenne Euch nicht, aber Euer Gesicht zeigt, daß Ihr mich nicht betrügen werdet. Gehet in Gottes Namen, und kommt, wenn Ihr etwas braucht, wieder.« — »Nun, da Ihr so brav seid, so 77 will ich Euch auch von einem Geschäfte sagen, das vielleicht einigen Gewinnst abwerfen könnte. — Ich habe zu Hause schon viele Jahre einen großen eisernen Kasten stehen, den niemand zu öffnen imstande ist. Mir nützt er nichts, darum will ich ihn Euch aufs Gewicht verkaufen.« - »Auch recht«, entgegnete Meisel, »bringt Euern Kasten herein, ich zahle für das Pfund brauchbares Eisen zwei Kreuzer.« Der Bauer war zufrieden, nahm seine Eisenstücke und ging davon. »Den wirst Du auch Dein Lebetag nicht mehr sehen«, sprach die mißtrauische Mutter. — »Und wenn er auch nicht kommt«, entgegnete gutmütig lachend der Sohn, »ist der Schaden nicht so groß. Ich glaube aber, er wird sein Wort halten.« Er hatte sich nicht betrogen, denn schon am dritten Tage kam der Bauer mit einer großen Kiste auf einem Wagen vor das Gewölbe gefahren. Sie wurde nicht ohne Mühe abgeladen und auf die Waage gebracht. Man berechnete den Betrag, und der Bauer war hoch erfreut, daß ihm noch einige Gulden über seine Schuld herausgezahlt wurden. In der Nacht versuchte Meisel mit Hammer und Stemmeisen die Kiste zu öffnen, aber er hatte kaum einige Streiche darauf getan, als sie von selbst aufsprang. Wie groß war sein Erstaunen, als er ihren Inhalt gewahrte. Sie war voll Papierrollen. Hastig öffnete er eine davon, und das Staunen verwandelte sich in freudigen Schrecken. Lauter Goldstücke blinkten heraus. Schweigend nahm er eine Rolle nach der andern und verbarg sie an einem heimlichen Orte, ohne jemanden, auch nicht sein Weib, etwas merken zu lassen, denn er kannte die Schwachheit der Frauen, die ihre Zunge nicht bezähmen können, wenn es auch den Tod gälte. Nun war Meisel einer der reichsten 78 Männer der Judenschaft, aber er hütete sich, es laut werden zu lassen, denn immer glaubte er, der Bauer werde wiederkommen, und sein wahrhaft redliches Gewissen sträubte sich, von einem Schatze Gebrauch zu machen, der ihm nur durch die Einfalt und Unwissenheit eines Bauers zuteil ward. Ein ganzes Jahr hatte er vergebens auf das Wiederkommen des Bauers gewartet; da aber dieser nicht erschien, er nicht wußte, woher derselbe sei, und damals noch keine öffentlichen Anzeigen üblich waren, so glaubte sich Meisel berechtigt, das ihm von Gott beschiedene Vermögen zu benützen. Sein erstes Geschäft mit dem Gelde bestand darin, daß er zum hohen Rabbi ging und sprach: »Herr! Der Gott Israels hat meine Händearbeit reichlich gesegnet, und ich habe mir vorgenommen ein Haus zu bauen, in welchem sein Name gepriesen werde dreimal des Tages. Hier ist Gold, lasset die geschicktesten Baumeister holen, damit sie eine Schule erbauen, wie noch keine in Prag so schön ist. Doch dürft Ihr den Namen desjenigen nicht nennen, der sie erbauen läßt.« Der fromme Rabbi wunderte sich über die große Bescheidenheit des wohltätigen Mannes, gab ihm den Segen, und versprach alles zu tun, wie er es wünsche. Bald darauf sah man tausend tätige Hände mit dem Bau beschäftigt. Jedermann fragte, wer der großmütige Stifter wäre, niemand konnte es erraten, denn Meisel blieb wie früher ein gemeiner Eisenhändler, und der Rabbi antwortete auf die Fragen der Neugierigen bloß: »Die Zeit wird schon den wahren Mann Gottes Euch zeigen.« Endlich war das Prachtwerk vollendet, von nah und fern kamen Menschen, den neuen, geschmackvollen Tempel zu besichtigen, und jeder pries im Herzen den 79 unbekannten Frommen. An einem Festtage wurde die neue Synagoge eingeweiht. Die Vornehmsten der Stadt Prag waren zugegen, der Rabbi hielt eine herzliche Rede, deren Schluß folgendermaßen lautete: »Heil Dir, Israel! daß Du solche Biedermänner in Deiner Mitte hast. Tritt hervor, Du bescheidener Saul! warum verbirgst Du Dich unter der Volksmenge, wo Du doch einer der Ersten unter ihnen bist?« Dabei streckte der Rabbi seinen Arm nach der Gegend hin, wo der schamvolle Meisel in einem Winkel stand; das Volk schaute sämtlich dahin, doch wußte niemand, wen der Rabbi meine. »Tritt hervor aus der Dunkelheit, Du Leuchte des Herrn!« rief abermals der Rabbi mit begeisterter Stimme. »Dich, Mordechai Meisel! rufe ich.« Als das Volk diesen Namen aussprechen hörte, konnte es sich des Ausdrucks der Verwunderung nicht enthalten. Es entstand im ersten Augenblicke eine feierliche Stille, die in ein leises Gemurmel überging und mit Jubelgeschrei endigte. Unzählige Arme erhoben den anspruchlosen Wohltäter, um ihn vorwärts zu schieben, und so gelangte er, wie auf einer Wolke schwebend, bis auf die Stufen vor der heiligen Lade, wo der hohe Rabbi stand. Voller Demut ließ der verschämte Biedermann den Blick zur Erde sinken, und wagte es nicht, auf die Menge herabzusehen, die ihn mit Hochachtung und Verwunderung anstaunte. Der hohe Rabbi legte seine Hände auf das gesenkte Haupt des Edlen, ihn in stiller Andacht segnend, dann erhob er sie und sprach mit Feierlichkeit: »O Du Herr der Heerscharen, welcher unter Cheruben thronet, Gott Abrahams, Isaks und Jakobs! erhöre unser Flehen, das wir heute zu Dir senden; laß Deinen heiligen Geist in diesem Hause ewig wohnen, daß er uns erleuchte in Deinem Gesetze. Wache mit Dei- 80 nem allsehenden Auge stets über diese Stätte der Andacht, daß sie weder durch Wasserfluten noch durch Feuersflamme beschädigt oder durch Krieg vernichtet werde. Mögen die Grundfesten dieses Hauses unerschüttert bleiben, bis es einst Deiner väterlichen Huld wohl gefällt, Deine Kinder wieder zu sammeln in einem Tempel zu Jerusalem! Amen.« Rabbi Jizchak, der als Primas den nächsten Sitz bei der Bundeslade einnahm, konnte vor freudiger Überraschung gar nicht zu sich kommen. Sowie der hohe Rabbi geendet hatte und die Stufen herabstieg, stürzte der entzückte Schwiegervater auf seinen Tochtermann und drückte ihn schweigend an die Brust. Alles drängte sich herbei, um dem beglückten Primas und seinem edlen Schwiegersohne durch tausenderlei Wünsche Freude zu bezeigen. Fröhlich und vergnügt strömte das Volk aus dem Tempel in die Wohnung des hohen Rabbi, wo für jedermann ohne Unterschied ein großes Gastmahl bereitet war. - Mordechai Meisel blieb durch sein ganzes Leben ein reicher Mann, ohne von seiner Frömmigkeit und Bescheidenheit im Geringsten abzuweichen. Wieviel Gutes er noch gestiftet, haben wir bereits in der Einleitung erwähnt; auch sind seine Wohltaten noch heutigen Tages in der Meisel-Synagoge in Marmor mit schlechten hebräischen Versen eingegraben. Seine Bescheidenheit hat sich bis auf unsere Zeit unter den Prager Juden als Sprichwort erhalten: »Meisel hat keinen Sitz in der Schul'.« — Meisel mußte sich nämlich in der Synagoge, die er selbst erbauen ließ, einen Sitz für viel Geld erkaufen. — Nie hat er ein Amt oder sonst eine Würde angenommen. Sein ganzes Leben war eine ununterbrochene Kette von Wohltun. 81 Die Pinchasgasse Vor mehr als zweihundert Jahren lebte in der Stadt Prag ein armer, aber frommer und redlicher Jude, dessen Geschäft darin bestand, daß er am Tage mit dem Sacke über der Schulter durch die Gassen ging und von Zeit zu Zeit sein elegisches »Handlwos« (Was zu handeln?) ertönen ließ, des Nachts hingegen in seiner schmutzigen Kammer bei einer düstern Lampe das Gesetz studierte. Dieser armselige Nahrungszweig brachte trotz allem Fleiße nicht so viel ein, um den Hausbedarf notdürftig zu dek-ken, und Rabbi Pinchas — so hieß der Jude — würde mit Weib und Kind Hungers gestorben sein, wenn nicht ein edler gutherziger Graf den frommen redlichen Mann liebgewonnen und unterstützt hätte. Jeden Freitag ließ sich der Graf von seinem Lieblinge Rechenschaft von dem Gewinnste der vergangenen Woche geben, und wenn dieser nicht hinreichend war, den Sabbath nach Vorschrift und Recht zu heiligen, so griff der Herr in die Tasche, um das Fehlende zu ersetzen. Auch vor den anderen Festtagen mußte ihm R. Pinchas das Notwendige aufrechnen, und es ward ihm das Geld dazu ausgefolgt. Der arme Pinchas erkannte zwar die Wohltaten seines hohen Gönners mit dankbarem Herzen, aber sein religiöser Sinn betrachtete alles als eine Gnade des Höchsten und der edle Graf war ihm bloß ein von Gott gesandter Engel, daher war auch die Art, wie er seinem Wohltäter dankte, mehr ein Gebet zu Gott als eine Anerkennung der empfangenen Wohltat. Jedesmal, wenn ihn der Graf beschenkte, richtete er seinen Blick gegen den Himmel und sprach: »Gott, Du verlassest Deine Kinder nicht, Du hast mir wieder geholfen!« Und wenn nach den Feierta- 82 gen der Graf ihn fragte, wie er diese verbrachte, so antwortete er stets: »Er, Gott hat geholfen!« Dieses Betragen verdroß den Grafen und er dachte oft bei sich selbst: »Wie doch dieses Volk undankbar ist! Ich überhäufe diesen Juden mit Wohltaten und verhelfe ihm dazu, daß er seinen Sabbath gesetzlich feiern kann, und doch spricht er nur, Gott habe ihm geholfen; ich will doch sehen, ob ihm Gott helfen wird, wenn ich ihm auf eine Zeit meine Hand entziehe und zu dem kommenden Passahfeste die gewöhnliche Gabe verweigere.« Es waren nur noch wenige Tage zu diesem Feste, um welche Zeit sich jeder Rechtgläubige der mosaischen Religion auf acht Tage verproviantieren muß, und reich oder arm gezwungen ist, nach dem Gesetze des Talmuds, an den beiden ersten Abenden zu dem ungesäuerten Brote vier Becher Wein zu trinken. Selbst diejenigen, welche betteln, sind verpflichtet, vier Becher Wein zu trinken, sagt der Talmud. Seit mehreren Jahren hatte, wie gesagt, R. Pinchas zu diesen Feiertagen das Geld zu dem Notwendigsten vom Grafen erhalten, doch heuer wollte der hohe Gönner es auf die Hilfe Gottes ankommen lassen, und er sprach zu dem Haus Juden, der ihn demütig an die kommenden Feiertage erinnerte: »Mein lieber Pinchas! für diesmal mußt Du Dich selbst mit Mazzes (ungesäuertem Brot) versorgen; denn ich bin gegenwärtig in der Klemme, die Gelder sind mir nicht eingegangen, und ich habe bedeutende Ausgaben; Dein Gott wird Dir schon auf andere Art helfen.« Freilich verfinsterte sich das hagere eingefallene Gesicht des Pinchas, als er diese niederschlagenden Worte aus dem Munde seines Wohltäters vernahm; doch verließ ihn das feste Vertrauen auf den Gott seiner Vorfahren nicht, er hob die spitzigen Schul- 83 tern gegen das gebeugte Haupt und sprach mit wehmütigen Gebärden: »Mai (ach), was ist zu tun? Gott wird helfen!« und ging davon. Mit betrübtem Herzen kam er abends ermüdet nach Hause, sein Weib, das ihn mit Sehnsucht erwartete, die Kinder, die sich schon im voraus auf die versprochenen neuen Kleider freuten, kamen ihm stürmisch mit hastigen Fragen entgegen. »Wieviel hast Du heuer bekumme? Gesund soll er sein, der gute Graf!« sprach das Weib und hielt die geöffnete Hand hin. — »Wos hob ich bekumme? Nix hob ich bekumme«; entgegnete der Mann mißmutig, dabei warf er seinen leeren Sack in einen Winkel und schickte sich an, das Abendgebet zu verrichten; aber das in der Hoffnung getäuschte Weib schimpfte und zankte jetzt ohne Unterlaß, die Kinder schrien und weinten vor Hunger und das häusliche Ungewitter der Ehe tobte und raste, daß dem armen Pinchas angst und bange ward. Schweigend zog er sich in sein kleines Nebenkämmerlein zurück und sperrte die Tür hinter sich ab, um hier seine Andacht ungestört ausüben zu können und wie immer bei düsterer Lampe bis Mitternacht das Gesetz zu studieren. — Die Mitternachtzeit war nicht mehr fern; die Kinder schliefen bereits auf ihrem armseligen Strohlager, auch das Weib war schon unter Verwünschungen und Fluchen eingeschlafen, nur noch R. Pinchas saß bei dem Scheine eines Tiegels vor einem großen Folianten, nachdenkend sich den langen Bart streichend, und starrte vor sich hin, um eine auffallende Stelle und Widerspruch im Talmud zu verantworten. Da ward plötzlich das kleine. Fenster aufgerissen, daß die Scheiben klirrten, eine scheußliche Gestalt flog durch dasselbe in die Kammer und stürzte mit dumpfem schweren Falle auf den Boden zu den Fü- 84 ßen des im Gesetze vertieften Rabbi nieder. Der Rabbi tat einen Schrei des Entsetzens, sprang von seinem Sitz auf, faßte das große Buch und hielt es wie einen Schild vor sich, während er mit bebenden Lippen eine Bannformel gegen böse Geister leise murmelte. In diesem Augenblicke ließ sich ein vielstimmiges höllisches Gelächter vernehmen, das den erschreckten Juden in dem Wahne stärkte, daß es nämlich die Masikim (böse Geister) wären, die gekommen sind, ihn zu beschädigen. Lange noch blieb der zitternde Pinchas in dieser Stellung, das Buch vor sich haltend, bis sein Weib, welches, durch das Angstgeschrei aufgeweckt, an die verschlossene Kammertür klopfte und dadurch ihrem geängstigten Gatten etwas Courage in den Leib jagte. Das Vertrauen auf den Fels Israels siegte jetzt über die menschliche Furcht, er wagte einen Blick über seine Talmudschanze zu tun, und siehe da, eine dem Menschenkadaver ähnliche Fratze lag mit gestreckten Gliedern vor ihm da. Dieses abscheuliche Gespenst war nämlich — ein verreckter Affe. Obgleich R. Pinchas nur wenig Kenntnis von der Zoologie besaß, so hatte er sich dennoch in seinem vieljährigen Handl-wosGeschäfte einen gewissen praktischen Blick eigen gemacht, wodurch es ihm ein Leichtes war, ein Affengesicht von einem Menschengesichte zu unterscheiden. Allein dieses Erkennen diente dazu, seine Angst nur noch höher zu steigern; denn R. Pinchas hatte von Affen seine höchst eigene sonderbare Meinung. Er hielt diese Tiere für halbe Menschen, welche die vornehmen Herren in der Absicht so sorgfältig und mit Liebe pflegen, um sie sittlich und selig zu machen, und ein solcher zahmer, gebildeter Affe hatte in seinen Augen den Wert eines Pro-selyten. Jetzt fielen dem furchtsamen Juden alle die trau- 85 rigen Begebenheiten vorangegangener Jahre ein. — »Jetzt werden sie kommen«, sprach er, »mich und meine Brüder zu vertilgen von dem Erdboden; denn sie werden sagen, ich habe diesen da erschlagen. Daß sich Gott erbarme im Himmel über mich armen Mann.« Indessen hatte das ängstliche erschreckte Weib die Tür mit Gewalt aufgerissen, und sie war nahe daran, beim Anblicke des auf dem Boden liegenden Tieres in Ohnmacht zu sinken; doch die Freude, ihren Gatten noch am Leben zu sehen, war stärker als die Furcht, und sie fragte, was vorgefallen sei. Nachdem der Mann ihr alles erzählt hatte, da rief sie: »Ja, das ist eine List, um uns zu verderben, wir müssen das verreckte Tier nur gleich aus dem Hause schaffen.« — »Aber wie und wohin?« fragte R. Pinchas, »soll ich's einpacken und ins Wasser werfen? Wie leicht könnte ich in die Hand eines Häschers fallen, zudem bin ich schwach und habe nicht Kraft genug diesen toten Klotz fortzutragen.« Nachdem beide sich eine längere Zeit beratschlagt hatten, da rief auf einmal R. Pinchas mit freudiger Stimmme: »Weißt du, mein Kind! was wir tun?« — »Laß hören, geschwind«, entgegnete das Weib. — »Gelobt und gepriesen sei der höchste Gott, der mir den Verstand dazu gab«, sprach der frohe Pinchas, indem er beide Hände erhob. — »Was willst Du tun?« fragte hastig das Weib. - »Gleich sollst Du's hören. Weißt Du, was jener hohe Rabbi getan, als ein böses Schabbesweib ihm ein totes Kind in das Vorhaus legte und dann den Rabbi als Mörder anklagte?« — »Ja, ich weiß es! Er hatte mittels seiner Kabbala zeitlich genug diesen schlechten Streich entdeckt, und er ließ das tote Kind in den glühenden Ofen werfen«, versetzte das Weib. — »Und verbrennen«, setzte der Mann hinzu, »und wie dann das ergrimmte 86 Volk die Türen aufgebrochen und ins Haus gestürzt, fanden sie nicht eine Spur von einem Kinde mehr. Der Rabbi saß an seinem Tische und lachte sie aus. Ja, wir verbrennen diesen Halbmenschen; geschwind, schüre Feuer an, ich will indes Holz herbeiholen.« Im Ofen ward ein starkes Feuer angezündet, und R. Pinchas mit seiner Frau faßten den Affen bei den Füßen, um ihn in die Küche zu schleppen. Als sie aber mit dem Aase bereits mitten im Zimmer waren, da ertönte der Klang einer auf den Boden hinrollenden Münze in die Ohren des beschäftigten Ehepaares. Beide ließen den schweren Klotz auf die Erde fallen, um mit forschenden Blicken dem Zauberklange nachzuspüren. R. Pinchas nahm die Lampe, sein Weib einen brennenden Kienspan, und suchten mit gierigen Blicken auf dem Boden herum. Aber wie reichlich ward ihnen die Mühe gelohnt! Wie groß war ihre Freude, als ein glänzender Dukaten freundlich wie der Morgenstern ihnen aus einem Winkel entgegen funkelte. Zu gleicher Zeit fielen beide auf die goldene Münze hin und schrien: Chezje! (Halbe Halbe!). Sie hatten in dieser freudigen Überraschung das Licht ausgelöscht, und keiner wollte sich von dem Platze, worauf er lag, erheben, aus Furcht, der andere könnte das Geld erhaschen, bis endlich R. Pinchas seiner Gattin das talmudische Gesetz zurief: »Der Fund des Weibes gehört dem Manne.« Dann erst erhob sich Frau Cheile vom Boden und zündete vom frischen die Lampe an. Wer vermag die Freude des Rabbi Pinchas zu schildern, welcher zum ersten Male in seinem Leben einen Doppeldukaten in seinen Händen als Eigentum hielt! Beinahe hätte er das Auto da fe, das bei ihm diese Nacht noch vorgenommen werden sollte, vergessen, wenn er bei seinen freudi- 87 gen Sprüngen nicht über das hingestreckte Aas gefallen wäre, welches ihn daran erinnerte. Er raffte sich auf und faßte mit gestärktem Mute den toten Affen, um ihn weiter fortzuschleppen. Doch welch' neue Überraschung! Ein ganzer Haufe Goldmünzen strömte aus dem Rachen des Tieres; R. Pinchas richtete seine Augen nach oben, faltete die Hände und rief in feierlichem andächtigen Tone: »Ich bin gewesen jung und bin geworden alt, und ich hab nicht gesehen einen Frommen verlassen und seine Kinder Brot suchen. Ja, er ist es, den man den haarigen Mann heißt, Elijahu Harabi, der da gekommen ist, mich reich zu machen in der Zeit meiner Not.« Als er ausgebetet hatte, ging er zum Lager der Kinder und rüttelte sie aus dem Schlafe mit den Worten: »Auf Jungen, und sehet die großen Wunder Gottes, die er an Euch getan.« Die halbschlafenden Kinder mußten sich um die Leiche des goldspeienden Affen herumstellen, der Vater erzählte ihnen alles, was vorging und machte sie auf die Liebe des höchsten Gottes aufmerksam. Nachdem er fertig war, griff er nach einem großen Messer, und begann das Tier zu zerstückeln. Gierig suchte er die Quelle auf, aus der das Geld entsprang, und entdeckte wirklich dieselbe. Der Magen des Affen war voll Dukaten; daß nun alles herausgenommen ward, versteht sich von selbst, und als nichts mehr zu finden war, zerschnitt Rabbi Pinchas das Tier und verbrannte die Teile des von Gott gesandten Affen in der Flamme des Ofens. Die Goldmünzen wurden rein gewaschen und in einen Beutel gebunden, der Boden gescheuert und vom Blute gereinigt, und ehe noch der Morgen graute, war vom Affen keine Spur bis auf die Münzen, die in dem Säckel des glücklichen Pinchas lagen. Den andern Tag, zeitlich früh, 88 eilte R. Pinchas, von seinem Weibe angespornt, mit einigen Dukaten zu Rabbi Schmul Wechsler, bei welchem er gewöhnlich für andere zu wechseln pflegte, um das Gold in kleines Geld umzuwandeln, wofür alles, was zu dem Passahfeste nötig war, angeschafft werden sollte. »Was Ihr den Feiertagen zu Ehren ausgebet, wird der Herr Euch reichlich vergelten!« sagt der Talmud, und der fromme Pinchas gewährte alles, was sein Weib verlangte. Kleider für die Kinder, Putz für sich selbst wurden angeschafft, blanke Wäsche, goldene Hauben und andere Kostbarkeiten: an den besten Weinen und fettestem Fleische fehlte es nicht, und in dem Hause, wo gestern noch die drückendste Not wohnte, herrschte heute Wohlhabenheit und Freude. Noch nie ist ein Passahabend seit dem Auszüge der Israeliten aus Ägypten mit so freudigem Gemüte und frommer Andacht gefeiert worden, wie diesmal bei R. Pinchas. Die achtzackige Lampe über dem Tische, die Leuchter, mit den polierten runden Blenden an den Wänden angezündet, verbreiteten einen hellen Schein in dem reinlichen und warmen Zimmer. Neben dem Tische war ein Lager aus Polstern, mit großen Blumen verziert, für den Hausherrn errichtet, welcher, in das Sterbegewand gehüllt, sich auf dasselbe wie ein Pascha hinstreckte. Die Hausfrau saß ihrem Ge-mahle gegenüber in einem langen, faltenreichen weißen Spenser gekleidet, eine goldene mit steifen Spitzen und breiten Seidenbändern versehene Haube auf dem Kopfe und füllte die Gläser mit rotem Weine. Die Kinder saßen mit freudiger Miene, ungeduldig das Kommende erwartend, um den Tisch herum. Nur das Jüngste genoß das Glück, auf dem Thronbette zu des Vaters Füßen sitzen zu dürfen. Auf dem Tische stand eine runde zinnerne Schüs- 89 sel, auf welcher drei ungesäuerte Kuchen in ein langes Handtuch gewickelt lagen, und auf diesem befanden sich Kren (Meerrettich), Brunnkresse, gebratene Eier, ein Stück gebratenes Fleisch und ein Gefäß mit Salzwasser. Jetzt ward die Schüssel von der ganzen Tischgesellschaft emporgehoben und einstimmig die Verse gesprochen: »Dieses ist das elende Brot, das unsere Väter im Lande Mizrajim (Ägypten) gegessen haben; wer hungrig ist, der komme herein und esse mit.« — Da wurde auf der Gasse das Rollen eines Wagens gehört, und ehe R. Pinchas den Spruch geendet hatte, klopfte man schon an das Fenster (die Wohnung war zu ebener Erde). Bleich vor Schrek-ken, zitternd erhob sich R. Pinchas von seinem Lager, um sich nach dem Störer zu erkundigen. Mit zitternder Stimme fragte R. Pinchas zum Fenster hinaus, wer es wäre. — »Mach' nur auf, Pinchas! ich bin gekommen, heute mit Dir den Passah zu feiern!« ließ sich draußen eine Stimme vernehmen. Im ersten Augenblicke glaubten alle, der späte Gast wäre kein anderer als der Prophet Elias, der um diese Zeit jeden Frommen heimsucht, weshalb auch ein besonderes Glas für ihn eingeschenkt auf dem Tische stehen muß; schnell ward daher der Riegel weggeschoben, die Tür öffnete sich, und herein trat — der Graf B., Pinchas Gönner. »Allmächtiger Gott! Ist das möglich? Eure Gnaden! Kinder! die Mützen herunter, küßt die Hand!« schrie R. Pinchas ganz außer sich und riß den erstaunten Kindern die Mützen vom Kopfe. »Störe Dich nicht, Pinchas! in Deiner Andacht. Aber was sehe ich«, rief der Graf erstaunt, während er sich in dem Zimmer verwundert umschaute, »es scheint, als wärest Du auf einmal ein reicher Mann geworden?« — »Ja, Euer Gnaden!« sprach freudig lächelnd der Jude. »Ja, Gott 90 der Allmächtige hat mir geholfen! Vor wenigen Tagen war ich noch ein blutarmer Mann, und wußte nicht, daß ich diesen Passah so recht, wie es einem Gläubigen ziemt, werde feiern können; doch Gottes Hilfe geschieht im Augenblick, und ich bin jetzt ein reicher Mann.« — »Willst Du mir nicht erzählen«, sagte der Graf, »wie sich Deine Verhältnisse so schnell änderten?« — »Ja, Ihnen, Euer Gnaden! darf ich die Wunder Gottes erzählen, die er seinem Knechte erwiesen, denn Euer Gnaden waren ja stets ein Engel, der mich mit Wohltaten überhäufte«, entgegnete R. Pinchas und begann dem Grafen die Geschichte treu zu erzählen. Der Graf horchte aufmerksam, und als der Jude des Affen erwähnte, da konnte er seine Verwunderung nicht mehr zurückhalten und rief: »Was, ein toter Affe! Am Ende ist's der meinige! Wahrhaftig, es wäre sonderbar! Mein Affe ist mir vor drei Tagen auf einmal krepiert, und ich ließ ihn, um das Tier nicht mehr zu sehen, sogleich aus dem Hause schaffen; doch weiter, wie hängt das mit Deinem Glücke zusammen?« Wie R. Pinchas diese Worte vernahm, stieg seine Angst aufs höchste, er zitterte am ganzen Körper, sein Angesicht war totenblaß, und er vermochte kein Wort zu sprechen; schweigend ging er zum Kasten, schloß ihn auf, zog einen Beutel aus demselben, und überreichte ihn dem Grafen mit den Worten: »Euer Gnaden! Hier ist alles bis auf einige Stücke, die ich, um den Feiertag zu heiligen, ausgegeben.« — »Was willst Du mit dem Beutel?« fragte der Graf erstaunt. - »Nun, dieses Gold hatte der Affe in sich, und ist der Affe Euer Gnaden Eigentum, so ist es auch das Gold«, erwiderte der geängstigte Jude. — »Ach, die schönen goldenen Dukaten!« seufzte Frau Cheile. »Sei stille, Weib! Der Herr hat's gegeben, 91 der Herr hat's genommen, sein Name sei gelobt!« rief Pinchas. Der Graf wendete sich hierauf zu dem ihn begleitenden Diener, welcher erblaßt in einiger Entfernung stand, und fragte: »Weißt Du vielleicht etwas Genaueres von der Geschichte? sprich, ich will es hören; wo ist der tote Affe hingekommen?« — »Vergebung, Exzellenz!« erwiderte der erschrockene Diener, »der Jakob wollte dem armen Pinchas einen Streich spielen, und er warf das Tier in seine Kammer, mehrere Diener wußten davon.« — »Wie, der Jakob? der Spaß ist sonderbar ausgefallen«, sagte der Graf lächelnd, »am Ende hab ich den armen Jungen unschuldig einsperren lassen — doch es mag eine Sühnung sein für das Verbrechen, das er gegen den armen Pinchas begangen. Es ist nichts wahrscheinlicher, als daß das närrische Tier in seinem Nachahmungstriebe das Gold gefressen habe, welches mir aus dem Schreibtische entwendet wurde. Er sah von mir, daß ich die unwichtigen Goldmünzen, um sie zu bezeichnen, zwischen den Zähnen bog, und glaubte, man fresse das Gold!« — »Ja, ganz gewiß, gnädiger Herr! der Affe hat sich an den Dukaten totgefressen, hier ist das Gold«, fiel R. Pinchas ein, indem er den Beutel dem Grafen darreichte. — »Nicht doch, ehrlicher Pinchas! Der Gott Deiner Väter hat Dir diesen Schatz geschenkt, und er bleibe Dein. Ich habe Dir heuer die gewöhnliche Gabe verweigert, um zu sehen, ob Dir Gott helfen werde ohne mich, weil Du immer sagtest, Gott hat mir geholfen. Nun erkenne ich, daß das Vertrauen auf Gott sich lohnt.« — Wer beschreibt die Freude des R. Pinchas, der sich nun wieder im Besitze einer solchen Summe sah? »Kinder! Weib! küßt die Füße Euers Wohltäters, fallet nieder vor dem Engel des Herrn!« rief der Glückliche und faßte 92 die Hand des edlen Grafen und küßte sie unzählige Male. Die Kinder fielen nieder, umfaßten die Knie des hochherzigen Mannes und küßten sein Gewand. Der Graf lächelte innig vergnügt auf die Gruppe herab, sein wahrhaft adeliges Herz schlug höher und fand süßen Lohn in der edlen Tat. »Ich will diesen Abend«, sagte er, »bei Euch zubringen, und die Zeremonien mit ansehen, die Ihr heute ausübt; darum störe Dich nicht und tue so, als wenn ich nicht da wäre. Auch meine Gattin soll bald kommen, und den wunderbaren Zufall vernehmen.« Wirklich wurde der Wagen weggeschickt, und nach einer kurzen Zeit befand sich die Gräfin im Hause des R. Pinchas. Das hohe edle Paar blieb fast bis Mitternacht bei R. Pinchas, der auch die unbedeutendste Zeremonie nicht weglassen durfte, und beide fuhren erst dann nach Hause, als der sogenannte Sedar zu Ende war, und R. Pinchas ihn mit der Strophe: »Einst wird Gott den Todesengel schlachten!« beschlossen hatte. — Rabbi Pinchas erwarb sich durch Fleiß und Klugheit mit dem Gelde des Grafen nach einigen Jahren ein sehr großes Vermögen, und wie sein Geld immer zunahm, so stieg auch sein Ansehen bei seinem Volke; er ward bald zürn Primas der israelitischen Gemeinde gewählt. Er blieb aber dennoch fromm, redlich und demütig wie in der Armut. Sein Haus war ein Sammelplatz der weisesten Rabbis, seine Börse stand jedem Bedrängten offen und an seinem Tische speisten täglich hungrige Arme. Er ließ auch mehrere Wohnungen für arme Religionsgenossen in der Gasse, wo er wohnte, aufbauen, und auf eigene Kosten eine prachtvolle Synagoge, welche heutzutage noch den Namen ihres Erbauers führt, in derselben Gasse errichten, so wie diese auch die Pinchasgasse genannt wird. — Rabbi Pinchas starb in 93 einem glücklichen hohen Alter, nachdem alle seine Kinder verehelicht und versorgt waren. Die Belelesgasse Zur Zeit, als die Krone Böhmens auf dem Haupte Rudolphs des Zweiten saß, brach plötzlich unter den Juden Prags eine Seuche aus, die sich nur ganz junge Kinder zum Opfer ersah, die Erwachsenen aber verschonte. Immer stärker wurde die Pest, der Todesengel wütete immer furchtbarer in den Häusern Israels; aber nicht wie der Schnitter, der mit seiner Sichel zur Erntezeit die reifen, sich unter der Last der Körner beugenden Ähren mähet, sondern gerade die zum Tode unreifen Kinder. Diese von dem giftigen Hauche der Schuld noch unbefleckten, diese von der Last des Kummers und der Sorge noch ungebeugten Wesen waren es, die unter der scharfen Sense des Knochenmannes, unter dem Henkerbeile dieses erbarmungslosen Würgers fielen. Hunderte von Leichen wurden täglich, ja stündlich auf das Beth Chaim (»Haus des Lebens«), diesen alten jüdischen Gottesacker gebracht, und mußten oft Tage lang liegen bleiben, bevor sie die sanfte Ruhe des Grabes genießen konnten; denn man konnte nicht genug Hände finden, um Gräber zu graben für diese Unglücklichen, die noch vor der Blüte dahingerafft wurden. Immer furchtbarer wurde die Pest, die durch die giftigen Ausdünstungen der auf dem Beth Chaim liegenden unbegrabenen Leichen noch vermehrt wurde; täglich sah man weinende Väter, jammernde Mütter mit zerrissenen Kleidern und ringenden Händen hinter den Särgen ihrer so sehr geliebten Kleinen herzie- 94 hen, täglich sah man klagende Geschwister schreiend und jammernd den Verlust ihrer jungen Brüder und Schwestern betrauern; immer größer wurde das Elend, Jammer und Klage herrschte in der Gemeinde, und da die Seuche bloß in dem Judenviertel sich zeigte, so war es deutlich zu sehen, daß sie eine Strafe Gottes sei, die irgendeines unbekannten, unter den Juden verübten Verbrechens wegen, die ganze Gemeinde traf. Besondere Gebete wurden verrichtet, Fasttage wurden angeordnet, um die Sünde abzubüßen und von Gott die Abwendung der Seuche zu erflehen, doch immer noch waren die Leichenbestatter unaufhörlich beschäftigt; da versammelten sich alle Rabbinen und Talmudisten von Prag, um gemeinsam zu beratschlagen, wie dem Schlachten des Todesengels Einhalt zu tun, wie die Alles hinwegraffende Pest zu stillen sei. Nach einem zuerst zu Gott verrichteten Gebete wurde von den Rabbinen darüber gesprochen und nachgedacht, worin wohl die Ursache der Seuche liege, welches wohl das Verbrechen sei, über das der Herr des Weltalls eine so harte Strafe verhängte; doch, so sehr sie sich auch anstrengten, wollte es dennoch keinem gelingen, die wahre Ursache herauszubringen. Einer von den versammelten Rabbinen, der seiner äußerst großen Weisheit und seiner Kenntnisse im Talmud, der Kabbali-stik, Astronomie und der damals im Flore stehenden Astrologie wegen vom Volke der hohe Rabbi Löw genannt wurde, lag diese Nacht ganz traurig und hinbrütend über das Unglück, das die Gemeinde heimsuchte, auf seinem Lager. Tränen entströmten seinen Augen, Seufzer entrangen sich seiner kummerbelasteten Brust, wenn er dachte an den Jammer der Mutter, die vielleicht jetzt an dem Todeslager ihres geliebten Kindes sitzt, an 95 das Wehklagen des Vaters, dem vielleicht in diesem Augenblicke der letzte Sprößling seines Hauses entrissen wird; da flehete er zum Allmächtigen, daß er ihm einen Strahl seiner Gnade sende und seine Seele erleuchte, auf daß das Unglück aufhöre zu wüten in Israel. Einige Zeit darauf entschlief er. Da erschien ihm im Traume, als wäre es Mitternacht und der Prophet Elias käme zu ihm und führe ihn auf das Beth Chaim, wo er die Leichen der Kinder aus ihren Gräbern aufsteigen sähe. Nach seinem Erwachen sann der Rabbi lange nach über diesen seinen Traum und dachte endlich, daß dieses eine Eingebung Gottes sei, wie er die wahre Ursache der Pest ergründen könne. Nachdem er nun Gott seinen Dank für die Gnade, die er ihm erwiesen, ausgesprochen hatte, schickte er nach einem seiner beherztesten Schüler und redete ihn folgendermaßen an: »Siehe, Gott der Herr ist erzürnt über uns, er hat Elend und Unglück über uns verhängt, denn wir haben schwer gesündigt. Um nun zu wissen, welches das Verbrechen sei, dessen wir uns schuldig gemacht haben, so fasse Mut und geh' heute um Mitternacht auf das Beth Chaim, und wenn du die gestorbenen Kinder in ihren weißen Tachrichim (Sterbekleidern) aus ihren Gräbern aufstehen sehen wirst, entreiße einem von ihnen die Tachrichim, und bringe sie mir.« Der Bocher (Schüler) tat wie ihm befohlen worden. Gegen Mitternacht begab er sich auf den Friedhof und harrte voll banger Erwartung der Dinge, die da kommen werden. Es war eine schöne sternhelle Nacht,Todesstille herrschte in dem Beth Chaim, bloß hie und da hörte man das Schwirren einer Fledermaus oder den durch die Blätter der die Gräber beschattenden Holunderbäume säuselnden Wind. Eine halbe Stunde mochte der Schüler 96 gewartet haben, da ertönten die Schläge der Uhr des jüdischen Rathauses, und kaum war der 12.. Schlag verschollen, da wurde es lebendig unter den Grabsteinen, kleine Kinder, in weiße Sterbegewänder gehüllt, kamen hervor und begannen über den Gräbern hinschwebend, einen wunderlichen Geistertanz. Schauer erfaßte den Bocher ob des seltsamen Treibens der kleinen gespenstischen Wesen, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirne, er zitterte an allen Gliedern, doch das Glück der ganzen Gemeinde hing an seiner Herzhaftigkeit, er faßte daher Mut, entriß einem der Kinder das Tachrichim und eilte mit von Furcht beflügelten Schritten von dannen. Atemlos kam er im Hause des Rabbi Löw an, der, beim Fenster sitzend, den Schüler erwartete. Dieser erzählte ihm die Begebenheit und überreichte ihm das dem Kinde entrissene Tachrichim. Bald darauf sah der Rabbi ein nacktes Kindergespenst pfeilschnell daherschweben. Nachdem nämlich der Schüler aus dem Beth Chaim sich zum Rabbi Löw begeben hatte, tanzten die Gespenster immer fort, bis sie beim ersten Schlage der Mitternachtsstunde alle sich wieder in ihre Gräber legten; erst jetzt bemerkte das Kindlein, daß ihm das Leichengewand fehle, ohne welches es nicht in die Gruft steigen könne. Schnell lief es daher zu dem Hause des Rabbi, stellte sich vor dessen Fenster, streckte die Hände flehend hinauf, weinte und schrie: »Rabbi! gib mir mein Tachrichim wieder!« Doch der Rabbi hielt das Kleid fest in seiner Hand und sagte: »Wenn du dein Tachrichim wieder willst, so mußt du auch tun, was ich will. Sage mir also die Ursache dieser Seuche, die Gott über uns als Strafe für unser Vergehen verhängt hat.« Doch das Kind schwieg und wollte nichts sagen, es flehete nur und bat, man möchte doch Mitleid 97 mit ihm haben; alle seine Genossen hätten sich schon zur Ruhe gelegt, nur er allein könnte durch den Verlust seines Leichenkleides nicht in die Gruft steigen; aber da half kein Klagen und Bitten. »Sag' mir, warum uns Gott so stark heimgesucht hat, welchen Verbrechens wir uns schuldig gemacht haben, daß wir eine so große Strafe verdienen; dann sollst du dein Tachrichim haben«, erwiderte der Rabbi. Immer noch wollte das Kind nichts sagen, doch als es des Rabbi Unbeugsamkeit sah, da verriet es den Grund der Pest. Es sagte nämlich, daß in einer Gasse, die nicht weit von Rabbi Löw's Hause war, zwei Ehegatten wohnten, die mit ihren Frauen einen unsittlichen Wandel führten. Darüber sei Gott so sehr erzürnt, daß er diese Alles hinwegraffende Seuche über sie geschickt habe, die nicht eher aufhören solle und werde, bis die beiden Unzucht treibenden und aller Sittlichkeit und Religion Hohn sprechenden Paare bestraft sein würden. »Und nun, nachdem ich dir den Grund der Pest verraten habe, gib mir mein Tachrichim wieder«, bat das Kind. Da sprach der Rabbi: »Hast du mir auch die Wahrheit gesagt, und willst du mich nicht hintergehen, indem du mir einen falschen Grund angibst, damit ich dir nur dein Kleidchen wiedergebe? Ich will daher gehen und sehen, ob du wahr gesprochen, und wenn dies der Fall, so sollst du dein Tachrichim haben.« Der Rabbi erhob sich nun und ging begleitet von dem Kinde in das Haus, und als er sah, daß das Kind wirklich die Ursache verraten habe, so gab er ihm sein Kleidchen zurück. Freudig lief das Kind mit dem Tachrichim auf das Beth Chaim, um sich wieder in die Gruft zu legen und die Ruhe des ewigen Schlafes zu genießen. Die beiden Paare aber, die so großes Unglück und Elend über die Gemeinde brachten, deren Verbre- 98 chen die armen Kleinen mit ihrem Leben sühnen mußten, durch deren Schuld so vielen Familien das einzige geliebte Kind entrissen worden war, ließ der Rabbi bestrafen, und die Seuche hörte auf. Die Gasse aber, in welcher die beiden Paare wohnten, erhielt vom Volke den Namen Belelesgasse, weil die Eine der Unzucht treibenden Frauen Bella und die Andere Ella hieß. 99