Ein tschechisches Dienstmädchen von MAX BROD Kleiner Roman Axel Juncker Verlag Berlin / Stuttgart / Leipzig IL Idi bin und heiße William Schurhaft, Sohn reicher Bürgersleute in Wien. In diefer Stadt verlebte ich meine Jahre, bis ich zwanzig wurde. Dann fchickte mich mein Vater nach Prag, „weil es dort foviel zu fehn gebe". Aber Prag gefällt mir gar nicht. Ich fpüre gar keinen Eindruck feiner Merkwürdigkeiten, von denen man mir viel erzählt hat. Der Vater hat gefagt: „Du wirft nach Prag kommen, und deine Gleichgültigkeit gegen die Umwelt, gegen alles, was (ich nicht in dir felbft abfpielt, wird allmählich fchwinden. Es i{l dies gar nicht anders möglich in einer Stadt, die fleh mit ihrer Gefchidite fo aufdrängt und wo zu= gleich etwas fo Seltfames vor unfern Augen Gefdiichte wird, der Kampf der beiden Nationen. Die Heilig enftatuen und Kirchtürme werden dir in die Äugen treten, du wirft an barocke Faffaden anrennen, aufbewahrte Drahthelme und Kanonenkugeln in die Hand bekommen, eine fremde Sprache und Fenflerfcheiben klirren hören. Dein Sinn für das Reale wird endlich erwachen. Es ifl ausgefchloffen, daß du dort 11 nur grübelfl und gar nicht auf das Tatfachlidie aufinerkfam wirft. Jeden Mittag wird von der Marienfchanze aus gefchoffen, auf den Brücken muß man einen Kreuzer zahlen." Mein Vater ift ein fehr kluger Mann. So fchrieb man alfo einem entfernten Ver= wandten, ob er nicht einen Buchhalter brauchen könne und machte es durch allerlei mir ganz unintereffante Intriguen möglich, daß ich den Poflen bekam ... Ich fi^e jefyt in einem kleinen rückwärtigen Zimmer, das von dem übrigen Gefchäft durch eine Milchglaswand ab= gefchloffen ifl. Es riecht hier recht feltfam und muffig nach warmen abgefchälten Kartoffeln... Eigentlich habe ich nichts zu tun, die wenigen Eintragungen und Briefe find jeden Tag fchnell zu Beginn meiner Bureauflunden erledigt. Und Freiheit ifl alles übrige. Aber, wenn mein Vater glaubt, daß ich diefe leere Zeit nach feiner Abficht ausfülle, fo täufcht er fich leider ganz gründlich. Obwohl ich dort gar nichts zu fchaffen habe, filje ich doch, den ganzen Tag, gefchlagene elf Stunden von 9 Uhr früh bis 8 Uhr abends in meinem Bureau, in meinem Lehnftuhl, fo wie ich auch in Wien 12 T kein anderes Vergnügen gekannt habe, als ruhig auf einer Stelle zu hocken. Und natürlich gebe ich mich auch in Prag meinen wertlofen philofophifchen Betrachtungen hin. Oder ich lefe meine Bücher, ganz wie früher. Es find dies natürlich keine Romane, Schwanke oder -.:> andere Lebendigkeiten. Was follten mich auch Abenteuer und tatfachliche Zukommniffe anderer Menfchen nur im gering flen intereffieren, da ja fogar die mich betreffende Außenwelt und meine eigene Erfahrung mich ganz gleichgültig läßt. Ich lefe nur Werke der Scholafliker, Thomas von Aquino am liebjlen und den großen Scotus. Ganz unanfdiauliche Begriffe muffen . es fein, Realismus und Nominalismus, Ejfenz und Exiflenz, das Subflanziale und die Form, die caufa realis, finalis, accidentalis, Gottes= beweife, Einheit, Vielheit, Gefamtheit. Nur folche vielbedeutende zufammenfaffende Namen q dünken mich meiner Äufmerkfamkeit wert, diefe herrlichen unirdifchen Formen, die mit unferer armen fichtbaren Welt fafl gar nicht mehr zufammenhängen, wenngleich fie fich vielleicht urfprünglich aus ihr gebildet haben; die fich eben aus ihr gebildet haben und jetjt frei wie leuchtende klingende Schalen vor einer reinen feidenen Luft auf und nieder fdvweben. Ich lefe nie viel in einem Zug. Wenn ich in die Bahn des Verallgemeinerns durch die erjlen Zeilen meines Lieblingsbuches geleitet bin, dann gerät mein allzu reger Geifl in immer fchnellere Bewegung, wie auf einer fdüefen Ebene. Es ift mein größter Genuß und meine einzige Qual, diefes Befdüeunigen und Immer= mehr-Segel-Anfetjen, es ift das mir Natürlichfle, meine angeborene Fähigkeit. Alles gerät ins Gleiten, die Trübfal des banalen Schreibbureaus um mich verdampft, ich felje immer mehr Segeln an, bald habe ich Backstagswind und offenfte Bahn. Alle die fdiwierigen Definitionen und Schlüffe, meine Heben Freunde, drängen (ich haufenweife eifrig in mein Gehirn, in meine Segel. Es wird ein Orkan. Ich muß das Buch weglegen und allein nachfinnen. Und jetjt erfl wird alles Problem, jede Kleinigkeit um mich, das metallene Lineal mit den Schrauben oder dieLöfchblattwiege, Anlaß zu endlofen Gedanken= ketten, wie ich gleich anfangs eine darzuflellen verfucht habe. Ich denke, ich muß denken, es ift mir ganz einerlei, daß diefe Tätigkeit lächerlich und nutjlos ifl. Diefe unfruchtbare Arbeit ifl mein einziges Glück und meine größte Qual. Der entfernte Verwandte und Chef fleckt den Kopf ins Zimmer: „Schreiben Sie, Sieg= mund Mankwald, Tuche um 1000 K, 3 Monate Ziel, 4'/2 Prozent Zinfen von heute an." Türe zu. Ich fahre auf, richte meinen Geifl fchnell auf diefe Kleinigkeit, wie man an einem Operngucker haflig fchraubt, fchreibe diefe Daten richtig ein. Aber dann fchraube ich den Operngucker fofort wieder unwillkürlich in die alte Lage, in die großartig-abflrakte Sehweife, die meinem Denken allein paffend ifl und bleibt. Und alles erblicke ich wieder als Bafis für logifche Ver= knüpfungen . . . „Zinfen" ifl eines der legten Worte gewefen. Ich meditiere alfo: Wie wäre tj& es, wenn ich eine ganz neue Methode der Ver= zinfung erfände. Das ifl zwar gar nicht nötig, gar nicht nütjlich, denn diefe Methode hätte gar nichts Zweckentfprechenderes als die bis= herige. Aber darauf kommt es gar nicht an. Sie ijl ja auch nicht fchlechter. Ich denke mir 15 nämlich eine Verzinfung nach Art der Ämorti= fation. Das heißt, der Schuldner hat jährlich oder halbjährlich, wenn man will, eine Quote, nach gewiffen gleichbleibenden Prozentfä^en ausgerechnet, zu zahlen, als ob er dadurch die Schuld amortifieren wollte. Älfo jedes Jahr (oder Halbjahr) etwas weniger, da das quafi zu amortifierende Kapital immer kleiner wird. Trotjdem bleibt er Schuldner des ganzen Kapi= tals. Er zahlt alfo beifpielsweife erfl 4*/a Pro= zent von 100 fl., in der nächflen Periode 41/2 Prozent von 95% fl., dann wieder 4% Pro= zent des Refles. Es könnte feflgefeljt werden, daß fpäter, wenn die Quoten zu klein werden, wieder auf die erfle Quote zurückgegriffen werden foll. Was für ein Unfinn, he! . . . Aber das Ganze ift eben nur ein neuer Modus, eine Ufance, die fleh ihr wirtfchaftliches An= wendungsgebiet erfl finden muß. Man wird fie als die „Schurhaftifche Verzinfungsmethode" bezeichnen, ich werde berühmt fein. Nicht gerade berühmt im Sinne eines ehrenvollen Andenkens, aber jedenfalls oft genannt, da in jedem Lehrbuch der Handelswiffenfchaften von meiner" Methode die Rede fein wird; vielleicht 16 - nur in einer kleingedruckten Anmerkung, viel= leicht wird man fie tadeln und gotifch nennen. Ehrgeizig bin ich nicht. ... Ich frage mich felbfl, was folch ein Spekulieren für einen Zweck haben foll. Es ift das nichtig fie Zeug, das es gibt. Das weiß ich, und doch kann ich es nicht laffen . . . Eigentlich ifl es fchade um meinen ewig regen Geifl, daß er auf folche Dinge verfallen ifl. Ich hätte mit meinem Scharffinn und mit diefer Kombinationskraft leicht ein Held des prakti= fchen Lebens werden können, ein Macchiavelli, ein Detektiv, ein Milliardär! Aber meine Denk= kraft will nun einmal mit dem Realen, mit den Intriguen des Lebens, nichts zu tun haben . . . Nun gut, da hätte ich wenigflens ein Träumer v/erden können, ein Dichter, dem das praktifche Leben fern bleibt, der aber gerade aus feinem zwecklofen Dahinleben hödifle Zwecke geflaltet, Dichtungen, Romantik, Genüffe für fidi und andere! Nein, ich träume auch nicht. Mein Zwecklofes ifl wirklich zwecklos. Nichtig ifl es, wie ich eben zugegeben habe. Es nütjt weder mir, noch fonfl wem. Ich weiß, daß die fchola= ftifchen Begriffe falfch find, und doch freut es Max Brod: Z 17 mich, mit ihnen zu fpielen, zu operieren. Und im fpinne meine trofllöfen Gedankenketten, deren Öde und Unwirklichkeit mich entzückt. Dabei find fie mir, ganz tief betrachtet, eigentlich mehr Bedürfnis als Genuß. Nun habe ich mein Gefländnis abgelegt, ich bin zerknirfcht und erniedrigt, ich flehe ganz lächerlich klein da . . . Aber obgleich ich felbfl meine eigene Art fo feltfam und unfympathifch finde, obgleich ich das Denken der andern Menfchen ohne weiteres für gefunder, natür= lieber, lobenswerter halte j eben in diefes Denken werde ich mich doch bei beflem Willen niemals hineinfinden. Da fchickt man mich nach Prag und ift überzeugt davon, daß ich hier Sehens= Würdigkeiten finden werde ... Ich fehe gar nichts. Ich bemerke gar nichts Auffallendes. Nun ja, da gibt es altes Gemäuer, glaub ich, ich gehe täglich an fo einem zerbröckelnden Ding vorbei. Aber das fleht doch nur zu = fällig da und nur ganz zufällig hat es diefe und diefe Geflalt, Größe, Farbe, dient diefem oder jenem Zweck. Ebenfogut könnte es 30 Türme haben, wie es einen oder zwei hat; ich weiß gar nicht genau. Und es bleibt mir 18 völlig unzugänglich und rätfelhaft, welchen all= gemeinen Sinn, welche Bedeutung, welche Wichtigkeit für andere diefer Körper haben foll. Es bedeutet doch nichts anderes als fich felbfl, es deutet nicht auf etwas über fich hinaus. Es fleht da. Gut, aber ebenfogut könnte es auch nicht daflehen. Das heißt, mit andern Worten ausgedrückt, es ift gleichgültig... Da find doch die abflrakten Begriffe, meine Freunde, ganz anders, jeder erfcheint wie eine funkelnde Schale, in der fo vieles Plaij hat, man kann fie vergrößern oder verkleinern, in eine andere Schale flellen oder eine andere Schale in fie, man kann fie umdrehen, empor= werfen, der Länge oder der Breite nach zer= teilen oder in Schichten zerlegen, flachdehnen, in die Tiefe aushöhlen. Ja die Begriffe find das Lebende, das Ernflhafle, alles andere fcheint mir Kinderfpiel... Ich bitte euch, liebe Leute, warum fleht ihr vor der alten Kirche? was interef]iert euch daran, was denkt ihr euch inzwifchen? Ich bitte demütig um Erklärung, ich will mich euch zu Füßen werfen, macht mir das um Gottes willen begreiflich! . . . Und ebenfo unberührt bleibe ich auch 19 dem angeblich fo aufregenden Leben in Prag gegenüber, dem Kampf der zwei Kulturen. , Ich habe bisher von einer andern Nation noch gar nichts bemerkt, kein tfchechifches Wort gehört. Und wenn ich wie in diefen Tagen ' bisher weiterhin lebe, fo wird mich auch in Zukunft nichts davon ftören. Ich mache näm= lieh wirklich keinen andern Weg als den von meiner Wohnung, wo es nach naffen Tüdiern riecht, ins Gefchäft, wo es nach gefchälten Kar= toffeln riecht, und wieder zurück, natürlidi unterwegs ganz in meine Liebhabereien ver= fonnen und kaum aufblickend. Und meine Zimmerfrau heißt Leontine Wiegand und idi höre fie allerdings ziemlich viel reden, nämlich mit ihrem Dienftmädchen zanken, aber das find deutfehe Worte, denn diefe Leontine ift eine deutfehe alte Jungfer, fogar eine Reichs= deutfehe. Ebenfo deutfeh ijt audi mein Chef und entfernter Verwandter, wie auch alle feine Angefteilten, er ift nämlich „ftrammdeutfdi", fogar der kleine Junge, der mir das Mittag= effen bringt. Jetjt habe ich alle Leute auf= gezählt, die meinen Umgang bilden. Andere Bekanntfdiaften habe ich natürlich nicht. Und 20 überhaupt, ganz kurz gefagt, andere Leute habe ich bisher in Prag nicht bemerkt, nicht gefehen, nicht gehört ... Ich muß wirklich ein Unikum fein, eine Monftrofität von verklebten Augen und Ohren, ein neuer Kafpar Haufer. Meine Sinneswerkzeuge find auch in der Tat, da ich fo wenig Verwendung für fie habe, ganz fchwach und rudimentär geworden. Bei= fpielsweife fehlt mir fchon faft gänzlich der Sinn für Perfpektive, das Orientierungsver= mögen, die Fähigkeit, Gefehenes fchnell wieder= zuerkennen, jedes Orts- und Perfonengedächt= nis, die Sagazität, fchnelles Überblicken von Situationen. Das war nicht etwa fchon feit meiner Jugend fo, als Kind war ich fogar ein gefurchteter Allesbemerker und Ällesfrager. Erfl feit ich den inneren Abenteuern und Be= griffen fo nachhänge, hat fich diefer klägliche Zuftand entwickelt. . . Und komifcherweife ifl nur mein Riechvermögen, fo viel ich beurteilen kann, auf feiner früheren Höhe geblieben. Die Nafe gibt mir wirklich die fchärfflen Bilder der Außenwelt, fo fonderbar das auch klingen mag; auf fie verlaffe ich mich, während die andern Organe ftumpf geworden find. 21 Stumpf geworden . . . Bin ich. nicht ganz und gar ftumpf geworden ... Es erübrigt noch, das Hauptgeftändnis zu machen, meine tieffte Erniedrigung, mein Kanoffa zu beichten. Diefer Fehler, der letjte in der langen Reihe, über= trifft alle übrigen an Seltfamkeit und Menfchen= unwürdigkeit. Es gibt traurige Stunden, in denen ich über ihn bitterlich weinen muß. Und nun heraus damit! . . . Alfo ich bin ein Schlaf= bold, ich fchlafe zwölf bis dreizehn Stunden täglich, Tag für Tag. Das ift doch gewiß ab= normal. Um zehn Uhr fleh, zu Bett zu legen und fofort, nachdem der Kopf ein wenig warm geworden ift, einzufdilafen, bis acht Uhr früh oder noch länger zu döfen, dann im Gefchäft nach ein paar Strichen und natürlich nach ein paar folchen zwecklofen Gedankenketten von diefer übermenfchlichen Anflrengung des Ge= hirnes fo müde zu werden, daß man kaum die Augen offen halten kann und alle Dinge rings= um flüfjig ausfehen, direkt wie öl in einer fich drehenden riefigen Flafche, dann gegen elf Uhr, um welche Stunde der Chef und entfernte Verwandte immer das Lokal verläßt und zu Gericht oder auf ein Gabelfrühftück geht, in 22 ^ feinem Lehnftuhl einzunicken, zum Mittag effen zu erwachen, Nachmittag gegen vier Uhr auf das Sofa {ich hinzuräkeln und wieder eine oder anderthalb Stunden ganz dumm zu ver= fchlafen . . . das ift mein Leben. 0 pfui, wie tierifch, wie ekelhaft geradezu! Aber ich kann mir nicht helfen. Auch der Schlaf ift mir kein Genuß, er ift mir mehr als das, ein Bedürf= nis . . . und das notwendige Gegenflück des andern Bedürfniffes, diefes nichtigen abftrakten Denkens und Gehirnanflrengens . . . Und diefe Schlaffucht ift es, die mir den letjten Zugang zur Außenwelt zauberhaft abfehneidet j ße nimmt mir einfach die Zeit weg, in der ich ein tätiger glückfeliger gewöhnlicher Menfch werden könnte. Trotj alledem bin ich nicht unglücklich . . . Das waren meine erften Worte und darauf beharre ich. Ich bin, wie ich fein muß, in meiner Art ein harmonifches Ganzes . . . Und nur, wenn ich von dem Standpunkt der übrigen & Menfdien, gleichfam von außen her mein Wefen darzuftellen fuche, das ich fonft von innen heraus rafllos und ohne Schwanken erfülle, dann erfcheint mir diefer William Schurhaft, nur dann . . . als etwas, was beffer gar nicht wäre. 23 in. Glücklich oder unglücklich, jedenfalls blieb mein Leben mehrere Wochen lang in diefem ruhigen Zufland. Da komme ich eines Abends in meine Wohnung, ohne aufzublicken wie gewöhnlich fleige ich die fdimale Treppe hinauf, fperre auf und trete in das dunkle Vorzimmer. Welch ein angenehmer, ganz unerwarteter Geruch! Nach Fichtennadeln! Er wirft mich mit einem Blitj aus meinem Spekulieren. Und fofort fällt mir ein: Sollte ich in ein falfches Stockwerk geraten fein? Ich kehre um, reiße die Türe auf. Nein, „Leontine Wiegand" fleht da. Be= ruhigt trete ich zum zweitenmal ein, zugleich voll Ärger über meine hündifche Schnupper= natur, die mich der Nafe mehr als den Augen n trauen läßt. Überdies rieche ich jetjt auch fchon Leontine Wiegand, d. h. naffe Tücher. Aber wirklich mifcht fleh heute ein rätfelhafter neuer Dufl in die gewohnte Ätmofphäre, es ifl feltfam, er überflutet, umflutet, er flickt mich. Und nicht nur im Vorzimmer, auch in dem ebenfalls dunkeln Zweifenflerzimmer, durch 24 das ich hindurch muß, und in meinem ein= fenflrigen. Ganz beflürzt und aufgeregt fmke ich in einen Seffel hin, fpringe jetjt auf und will das Fenfler aufreißen, befinne mich, taumle, Hände vor dem Geficht, wieder in den Seffel. Ich zünde kein Licht an. Tief atmend ziehe ich die verzauberte Luft in mich, jeder Zug be= raufcht mich neuerdings, läßt mich zittern und begehrlicher, immer begehrlicher werden. Ich feufze, ich bin ganz machtlos, ganz befiegt. . . Diefer Dufl ifl fo frifch, fo prickelnd, dabei trotj des Aufjlachelns befänfligend und durch die Sanftheit wieder aufflachelnd. Er erinnert mich deutlich an den Geruch eines fonnigen Fichtenwaldes, noch mehr aber an den künfl= liehen Fichtendufl, den ich einmal in einem Wiener Ballfaale bemerkt habe. Diefer Dufl geigt und flüflert und glänzt wie der Ballfaal, er ifl wohl unausfprechlich lieblich . . . Und plötjlich fleht ein Bild vor meinem Auge, das diefen Duft noch beffer darflellt als das Ballhausfymbol, ihn auf unerklärliche Art form= Hell näher bringt ... ich fehe nämlich eine glänzende ganz dünne Blechplatte und ein winziges kreisrundes Loch in der Mitte wie 25 (t eine Pore, durch das Loch fprüht unaufhörlich die duftende Effenz und zerftäubt im Zimmer. Komifch, ich fehe gar nicht ein, wo das Treffende diefes Vergleiches liegen follj und doch trifft er und macht alles wundervoll anfchaulich. Weiterhin komifch ... ich fitje immer noch, Hände vor dem Geficht, im Seffel. . . weiter= hin komifch, wie mir mit einemmale Anfchau= ungen, ganz faßbare Gegenflände wie ein Ball= faal oder eine durchlochte Blechplatte, in den Sinn kommen. Ich denke doch, foviel ich bis= her beobachten konnte, nur in Äbftraktionen; und wenn mir einmal zur Verdeutlichung meiner Gedankenketten ein Symbol einfällt, wie vor= hin die Recke und Tfchinderb ahnen oder der Backstagswind oder der Operngucker, fo ift das, wie ich jetjt offen eingeflehe, angelefenes Zeug, einfach Worte, bei denen ich mir gar nichts vorflelle, da ich weder Varietekünfller noch Seemann noch Theaterhabitue bin . . . Heute find mir zum erftenmal handgreifliche Bilder im Sinn. Erfchöpft kleide ich mich aus und lege mich ins Bett. Der Duft wird mächtiger; es ift ge= rade fo, als hätte er auf den Augenblick ge= 26 wartet, da ich mich hinlege, um dann mit aller Kraft aufzufpringen und über mich herzufallen. Und jetjt läßt er mich natürlich nicht ein= fchlafen. Er kommt in allen möglichen Bildern auf mich zu, als Wolke mit drei leuchtenden Zacken, als weißer Nebelfireifen auf einer Waldwiefe, als eine hochgrafige Waldwiefe am Rande eines murmelnden Baches. Ich kann nicht einfchlafen ... Ich befinne mich auf den andern Geruch der Wohnung, der ja auch noch vorhanden ift, auf den einfchläfernden Geruch der naffen Tücher, ich bemühe mich, ihn zu be= merken, ich rufe ihn formlich zu Hilfe. Es entfpinnt fich ein heftiger Kampf zwifchen den beiden Gerüchen, der in meinem armen ver= wirrten Kopfe die Geflalt zahllos wechfelnder Bilder annimmt. Nie habe ich mich für derlei interef]iert; aber jetjt, je weiter die Nacht vor= rückt, deflo verrückter treiben fich diefe Ein= bildungen vor mir herum. Da ifl die hoch= grafige Wiefe von angenehmem Geruch der Fichtennadeln. Plötjlich . . . der andere Geruch will fich geltend machen ... flürmen Millionen von zwerghaften Leuten auf die Wiefe, jeder trägt ein naffes Tuch und breitet es wie zur 27 Bleiche aus. Gleich darauf, kaum ifl die Wiefe ganz bedeckt und wie ein einziges großes Linnen, kommt Leben in diefe faltige weiße Fläche, das Gras wächfl darunter ruckweife empor, fträubt (ich förmlich und wirft die Tücher zur Seite ab, wie man im Übermut oder aus befonderer Kunflfertigkeit manchmal beim Fußballfpielen Kopfflöße macht. Die ab= geworfenen Tücher jedoch leben gleichfalls, fie rollen fleh zufammen und kriechen jet3t als weiße naffe Schlangen durch das Gras, fchnellen fiefa empor, fallen nieder und wollen das Gras niederdrücken. Da wandern aus dem nahe= gelegenen Wald die Fichtenbäume auf die Wiefe, flellen fich in langen Kolonnen auf und beginnen, wie felbfltätige Drefchflegel, auf die Schlangen loszufchlagen . . . So vergeht die ganze Nacht. Schon fehe ich, durch halbgefchloffene Lider blinzelnd, wie die Schwärze des Himmels draußen matter, fchäbig wird. Ich bin totmüde, fiebernd werfe ich mich im heißen Bette hin und her, lege die Polfter anders und wieder auf die frühere Seite zurück, wende auch das große Deckbett um, fo daß die erhitzte innere Seite jetjt auswärts liegt 28 f und die früher auswärts gelegene Fläche jetjt meine armen Glieder kühlt und an ihnen wieder warm wird . . . Endlich beruhigen fich meine Phantafien, der Kampf auf der Wiefe tönt ab, eine Geflalt erfcheint, eine weibliche Geflalt. Sie ifl nackt und hell, etwas undeut= lieh, fie wandelt durch das hohe Gras, aus ihren Poren flrömt der fanfterregende Fichten= duft. Ich flrecke feufzend die Hand nach ihr aus . . . und mit diefer Bewegung fchlafe ich ein. Jetjt tritt, aber immer undeutlich bleibend, die Geflalt noch näher zu mir, legt mir ihr warmes weiches Geficht knapp vor meines und atmet mich an, mit fußen regelmäßigen Ätem= zügen, denen fich die meinen angleichen . . . Wie ich früh erwache, bin ich munter und gefund. Keine Spur einer durchwachten Nacht. Und keine Spur irgendeines fremden Duftes im Zimmer, nur mein eigener Schlafgeruch macht fich breit. Ich flöße das Fenfler auf, ziehe das Hemd aus und wafche mich mit eis= kaltem Waffer, wie gewöhnlich, von Kopf bis Fuß. Dann kleide ich mich an . . . Überhaupt ifl alles wie gewöhnlich. Auch meine Stimmung und gedankliche Dispofition, die fofort ihre ! 29 üblichen ganz abflrakten Denkketten auf= nimmt... Nur etwas dünkt mich bemerkens= wert: ich habe heute nacht geträumt. Ich er= innere mich ganz gut an eine undeutliche Gejlalt, die, als ich eingefchlafen war, näher zu mir trat. Ich habe geträumt, zum erflenmal in meinem Leben, foviel ich weiß. Älfo fchnell, fertig machen, um 9 Uhr will ich im Comptoir fein. Ich klingle um den Kaffee. Fräulein Leontine kommt: „Ach entfchuldigen Sie, einen Moment... Es dauert heute alles etwas länger . . . / Das neue Dienftmädchen . . . fie wird's gleich hereinbringen." Ich höre fie kaum. Ich bin fchon wieder ganz in Reflexionen verfunken, ganz abfrrakt überlege ich den Unterfchied von Träumen und Wachen. Nicht mehr das Konkrete, was ich heute geträumt habe, intereffiert mich, fondern die Tatfache, daß es überhaupt fo etwas wie Träume gibt. Kurz und gut, ich mache mich an das Problem von der Realität der Außen= weit heran . . . Da ereignet fich das Außerordentliche, in wenigen Sekunden fpielt fich ab, was meinem Leben eine ganz neue Richtung gibt ... Es 30 dringt nämlich bei einem neuerlichen öffnen der Türe der fuße Fichtennadelgeruch in einem ganz unvergleichlich flarken Schwall in mein Zimmer, viel flärker als g eftern abends. Ich wende mich vom Nachtkaflen, eine Krawatte in der Hand, voll um, ... da fleht ein Mädchen im Zimmer, ein fchönes kleines blondes Mädchen mit der blanken Auftragetaffe vor fich, im Sonnenlicht; offenbar das neue Dienfl= mädchen. Ich habe mein Lebtag kein Mädchen angefchaut, aber ein fchöneres gibt es gewiß nicht. Ich muß fie immerfort betrachten, glühend, es reißt mir förmlich die Äugen aus dem Kopf und zu ihr hin. .. meine [lumpfen Äugen. Ich muß ihren abgerundeten Wuchs, der jede Bewegung der blaugefprenkelten Schürze ausfüllt, bemerken, das unregelmäßige ganz rätfelhaffce Geflchtchen mit einem Turm blonder duftender Flechten darüber, die müden blauen Augen, die fchmutjigbraun gemuflerte Blufe, an der oben ein Knopf fehlt, weshalb fie eingefchlagen ifl und im fpitjen Ausfchnitt den weißen zarten Hals und den glänzenden Anfang der Brufl mit regelmäßigen griesartigen Pünktchen frei läßt. Das alles fehe ich in dem i —J-r 's & Al T i •-V»----- Bruchteil einer Sekunde, mit fafl fchmerzhafter Anflrengung blickend; während fie das G von „Gu'n Morgen" ausfpricht, beginne ich meine Beobachtung, und alles, was hier aufgefdirieben ift, habe idi wahrgenommen, ehe fie noch das n an den kleinen Zähnen zerdrüdd.. Sie ift ernfl und flellt, ohne mich anzufehn, das Tablett auf den Tifch. Dann entfernt fie fidi haflig und draußen erfchallt fdion die zankende Stimme von Fräulein Leontinc. Was war das! Um der Ewigkeit und aller geheimen Dinge willen, was war das! ... Ich blicke noch immer vor mich hin. Meine Äugen fehn, fie find in Tätigkeit wie eine losfehnurrende Mafchine. Ich kann ihnen gar nicht Halt ge= bieten. Sie fehn immer noch auf die Stelle, wo vorhin das fchöne Mädchen geftanden ift, wo fie das Tablett und die blanke Auftrage= taffe hingeftellt hat, fie zergliedern den Teller, das Mufler der Kaffeetaffe, die Zuckerdofe mit der verbogenen Zange, ein weißes Dedierl darunter mit rofa Kreuzflichen, all das nehmen fie zur Kenntnis. Erfl geraume Zeit fpäter wird mir klar, daß ja jetjt von dem Mäddien nichts mehr zu fehn ift; und genau in dem= 32 felben Moment umwölken fidi meine Äugen wieder. Aber fie machen nur einer andern, ebenfo ungewohnten Sinnestätigkeit Platj. Die Wunder an diefem Morgen wollen gar kein Ende nehmen. Nein wirklich, ich werde plötjlich auf das Ge= ^ zänk im Nebenzimmer aufmerkfam, ich paffe auf, ich trete fogar zur Türe und laufche; in dem unklaren Gefühl, daß der Lärm da drinnen für midi eine Wichtigkeit habe . . . „Was, Sie wollen nicht die Fenfter putjen! . . . Sie freche Perfon, Sie ... ich habe Sie doch als Stuben= mädel aufgenommen. Da foll fich einer an= fdiaun! Keine Fenfter will das Menfch . . . Hab ich Sie denn nur zum Freffen aufgenommen! Das können Sie natürlich aus dem f, das halbe Brot ift fdion weg von geflern und die Kipfel für den jungen Herrn auch" . . . Man hört ängftlichen Widerfpruch dazwifchen, ein ver= ^ fchüchtertes Stimmlein. „Wie, Ängft haben Sie? Ich werde Sie lehren, Angfl haben. Sie find mir überhaupt eine Feine, mit der Frifur. Ich will gar nicht fagen, wie Sie mir vorkommen. Was?" Ich horche angeftrengt, aber die Ant= worten find zu leife. „Aber laffen Sie mich MaxBrod:3. 33 aus! Ich werde Ihnen eine Sauce dazu machen. Morgen nachmittag werden die Fenfler geputjt und bafta!" Wie drängt (ich mir das alles auf! Wie interefliert mich das alles! Ewig möchte ich hier (lehn und diefen Worten laufchen, die an ein fo fchönes Mädchen gerichtet find, an der Tür flehen, durdi die eben diefes Mädchen jeden Augenblick eintreten kann, in ihrem Duft {lehn und laufchen. Es ift, als hätte die Außen= weit eine Einbruchsflelle in meinen fonfl fo verfperrten Geifl gefunden. Während ich meine Toilette beendige, denke ich gar nicht mehr an den „Begriff des Traumes", „Realität", ich hege nur noch einen ganz konkreten Wunfeh und Willen: Wie ift es zu bewerkflelligen, daß ich diefes fchöne Mädchen recht bald wieder= fehe? Ich befchließe zuerfl zu warten, bis fie wieder in mein Zimmer kommt, um das Frühftücks= gefchirr wegzuräumen. Aber die Zeit, ins Comptoir zu gehen, drängt. Und leider weiß ich gar nicht, wie lange das Frühftüdisgefchirr bei mir auf dem Tifche zu ftehn pflegt, ob man es am Ende nicht erfl gegen Mittag ab= 34 räumt. Um folche Dinge habe ich mich leider nie bekümmert, die Hausordnung ift mir ganz unbekannt. . . Und dann komme ich erfl abends wieder heim. Wie unpraktifch! Überdies, wie ift es bei uns am Abend eingerichtet; das Mädchen muß doch hereinkommen, um auf= zubetten und das Nachtmahl zu bringen? Ich habe das nie beobachtet, ganz mechanifch und ohne aufzublicken habe ich hinunter gewürgt, was mir vors Maul kam; in meine endlofen Ideen begraben. Jetjt könnte ich einiges Em= pirifche wohl gebrauchen ... So vergeht die Zeit, 7a 10 Uhr ift längft vorbei, und ich bin immer noch bei der ungewohnten luftigen Arbeit, Intriguen zu fpinnen. Dann raffe ich mich auf. . . vielleicht treffe ich fie überdies noch im zweifenflrigen Zimmer oder im Vorzimmer, foll ich fie dann anfprechen und wie?... ich verlaffe mit flürmifchen Schritten mein Kabinett. Verwundert fchaut mich Fräu= lein Leontine qh , ein So fpät heute?" auf den Lippen. Ich laffe fie nicht zu Wort kommen, fchnauze fie an: „Überdies ßnd meine zwei Kipfel noch drin. Ich habe fie abfichtlich heute ftehn gelaffen," dann bin ich fchon draußen. 35 (• ; & a - 3 II 4--- '3 ° V i ,y 0 Das fchöne Mädchen habe ich felbflverfländlich nicht getroffen. „Du darffl nicht fo fchnell durch die Zimmer gehn, mein Lieber," rede ich mich unterwegs felbft an, „das ift wichtig. Damit verringerfl du dir felbft die Chance, fie anzutreffen . . . Uberhaupt wirft du je^t damifch aufpaffcn muffen, du bift jetjt auf dem Kriegspfade, mein Lieber, mußt alle fünf Sinne beifammen haben." Im Gefchäft arbeite idi heute fchnell und befonnen. Der Chef geht weg, aber idi denke nicht an ein Vormittagsfchläfdien. Ich beendige alles prompt, ohne Auffchub, damit ich dann ungeftört an mein Mädchen und die Intrigue denken kann. Und dann will ich zu Mittag einen Hauptcoup ausfuhren, der von langer Hand vorbereitet werden muß. Gegen zwölf Uhr mache ich einen Sprung auf die Gaffe, kaufe bei dem nächflen Hökler eine Kleinig= keit Pfeffer und Salz. Eine Kleinigkeit, ha, aber immens bedeutungsvoll . . . Eine halbe Stunde fpäter nämlich kommt der kleine Junge mit dem Mittageffen, das er täglich aus einem nahegelegenen Reflaurant holt. Ohne daß es jemand bemerkt, gelingt es mir, meinen Pfeffer 36 1^ auf das Fleifch, das Salz in die Suppe zu flreuen, fogar die Mehlfpeife verfchone ich nicht. Jetjt klingle ich den Jungen noch ein= mal ins Comptoir, ich mache ein fürchterlich flrenges Geficht: „Was haft du denn da ge= bracht, du Idiot! Kofle einmal!" Der Arme koflet, er ift jugendlich naiv genug, das Stück Fleifch wieder auszufpudten. „Und davon foll ich mich nähren, was du ausfpuckfl, du ver= dammter Fratj. Na warte." Ich rufe den Chef, ich brülle wie befeffen, ich laffe es mir nicht - nehmen, mit dem Fleifchtopf in der Hand durch .das ganze Lokal zu flürmen, allen Angeflellten eine Probe von dem anzubieten, womit man mich vergiften wollte. Ich laffe mir endlich die Tragik ausreden und der Abwechflung halber ziehe ich ein anderes Regifter, ich werde populärfarkaftifch: „No ja, die Köchin muß verliebt gewefen fein." Dann variiere ich das Thema noch parodiftifch, fchließlidi fogar fozial= politifch. So bringe ich es zuwege, fafl eine Stunde lang diefes Reflaurant und alles aus Reflaurants geholte Effen überhaupt zu be= fchimpfen; und mit dem Ausrufe zu fchließen: „Von morgen an mittagmahle ich zu Haufe, das fchwöre ich ..." Das ift mir glänzend gelungen! Den ganzen Nachmittag bin ich in fröhlicher Erfchöpfung von diefem erflen Ausflug in die Wirklichkeit. Aber der Abend, der Abend! ... Ich komme ganz kühn nach Haufe, ermutigt durch die Machinationen des Tages, und überzeugt davon, daß ich je^t die Hebel der Welt fdion ein wenig zu bewegen weiß ... Da ift mein Bett fdion gemacht, das Äbendeffen prangt auf dem Tifch. Ich bleibe zitternd an der Tür flehn, ich muß mich feflhalten. Ganz ungeheuerlich und graufam erfcheint es mir nun, daß ich die Holde, um die ich den ganzen Tag gerechnet und geplant habe, heute nicht mehr fehn foll. Darüber werde ich nicht hinwegkommen, fchreit es in mir. Einen Äugenblick denke ich daran, in die Küche hinauszulaufen, fie zu umfchlingen und herein in mein Bett zu tragen ... Ja, ich begehre fie wahnfinnig, das brauche ich nicht mehr zu geftehn . .. Oder nein, idi werde nur hinausgehn, unter dem Vorwande, etwas im Vorzimmer vergeffen zu haben. Oder halt, jetjt fällt mir das Richtige ein, ich werde ihr fagen: „Morgen effe ich zu Mittag hier. Kochen Sie mir etwas Gutes" ... Aber in diefem Äugen= 38 blick, nachdem ich blitjfchnell noch während des vorigen Gedankens mir überlegt habe, ob fie mich nach diefem kleinen Scherzwort anlächeln wird, fällt mir zum erftenmal ein, daß ich ja noch kein einziges Wort mit ihr geredet habe, daß ich ihr ganz fremd und gleichgültig bin, daß fie mich noch nicht einmal richtig ange= fehn hat. Und von der ganzen Höhe meiner Erwartungen abgeflürzt, weiß ich mir nicht mehr zu helfen. Eben fchien mir noch alles fo nah, jetjt fehe ich ein, wie ich er{t im Än= fang flehe. Ich muß mich auf das Bett hin= werfen und fange im Dunkel der Polfter an, bitterlich zu weinen. IV. So war der erfte Tag meiner beginnenden Umwandlung verftrichen. Ich will jetjt er= zählen, wie es weiter ging. Eine traurige Nacht und ein trauriger Morgen . . . Erft als ich zu mittag nach Haufe kam, fah ich das Mädchen wieder. Ich trete mit ungeheuer verlangfamten Schritten in die Wohnung, diefe Erfahrung 39 decke fpielt das Bogenlidit mit feinem Singen auf fazettierten matten Glasplatten . . . wie auf feiigen Teichen. VI. Die nächften Tage war ich alfo ganz un= > glüddich, ganz tief unten. Meine Liebe und Sehnfucht nach der blonden Pepi überflieg alle menfchlichen Schranken. Ich glaube, wenn das Schickfal oder die Macht, welche die Ge= fchicke lenkt, ein Bewußtfein hätte, fo hätte fie durch diefe ganz außergewöhnliche Leiden= fchaft meiner Liebe, wenn ße auch noch fo graufam wäre, beeinflußt werden müfjen. Aber fo ein Bewußtfein gibt es ja leider nicht Meine ganze freie Zeit verwendete ich dazu, das Mädchen in Prag zu fuchen. Ich hatte da verfdiiedene Methoden und Einfälle; und das Seltfame daran war nur, daß immer gerade dann, wenn ein Einfall fich als erfolglos er-wiefen hatte, wie zum Trofle mehrere neue in mir auftauchten, die ich fofort mit aller Kraft in Angriff nahm. Gleich am nächften Tag fudite ich das 64 Dienftmädchenafyl, deffen Pepi ganz flüchtig in unferem einzigen Gefpräch Erwähnung getan hatte, und fand es auch. Allerdings nach vielen Irrwegen und Fragen, obwohl es doch knapp hinter dem Rathaus liegt. Es ifl eben un= glaublich, wie göttlich kompliziert die gewöhn= lichften Dinge und Gedanken werden, wenn man ße praktifch in Angriff nimmt . . . Ich trat über eine holperige Holzfchwelle in einen dunklen Flurgang, in deffen Hintergrund eine Wendeltreppe, von offener Gasflamme gelb bemalt, in neues, noch tieferes Dunkel führte. Wie immer beim Eintritt in ein fremdes Haus hatte idi das fehr unangenehme und unßchere Gefühl, es könnte mir jemand, irgend ein Hüter des Haufes, aus einem Verflecke zufehn und meine Bewegungen für verdächtig halten. Dadurdi komme ich felbfl dazu, mich gleichfam mit verdächtigenden Blicken zu betrachten. Gehe ich aus Höflichkeit leife, fo fehe ich darin das Schleichen eines Einbrechers. Trete ich, um diefen fchlimmen Eindruck zu verfcheuchen, fefl und lärmend auf, fo bin ich gar ein Räuber... Ich trat alfo in die Hausflur ein, ging nicht die Treppe hinauf, fand feitlich eine Tür und Max Brod: 5. 65 kam gleich in das Hauptzimmer, eigentlich geradeswegs in den Gefellfchaflsraum des Äfyls. Da war ich in der Ecke eines großen öden Raumes, die Fenfler an den zwei aneinander floßenden Seiten mir gegenüber gingen auf Gaffen hinaus; denn das Afyl ifl ein Eckhaus. Und gerade an diefen zwei Seiten, knapp vor den vielen Fenflern, alfo ziemlich fern von mir, jenfeits des leeren, teppichlofen und ziemlich fchmutjigen Holzbodens, flanden zwei lange einfache Holztifche. Und an diefen faßen die Dienflmädchen, faßen da und fangen ein Lied von irgend einer Schafferstochter Ändulka, die aufs Feld gelockt wird von ihrem Liebflen, nachts, . . . ein ländliches Lied ... Da fitjen diefe Dienflmädchen, im Grau der Fenfler, an zwei langen, rechtwinklig aneinandergrenzen= den Tifchen, wie eine große Familie; einige mir zugewendet, einige mit dem Rücken gegen die Tür, in unregelmäßigen Abfländen und Gruppen, hier weit voneinander, hier mehrere beifammen, die einen groß, die andern klein; recht mannigfaltig. Und das Licht der Straße fällt durch die großen Fenfler, eigentlich ifl es eine flaubige Dämmerung, aber flark genug, 66 um die fchmale Wand zwifchen den Fenflern und vornehmlich die Holzfläbchen am Glas, die Fenflerkreuze, verfchwimmen zu machen, aufzulöfen, einen zitternden Glanz von Grauheit wie ein Tifchtuch über den Tifch zu fpreiten und die vielfältigen Gruppen der Mädchen als ^ Schattenkontrafle lebhafl auszufondern . . . Und in diefem fliegenden Glänze fingen die Mädchen das ländliche Lied. Eine tritt auf mich zu, die Oberin vermut= lieh. Sie fragt mich überrafcht und freundlich, was ich wünfehe; natürlich fragt fie tfchechifch. Und ich antworte ebenfo, flockend, errötend. Es ifl mein erfler praktifdier Verfuch in der fremden Sprache. Wie angenehm ifl es doch, einmal nicht in der Mutterfprache zu reden.'"' Jedes Wort befieht man und flreichelt es, ehe man es in die kalte Welt hinausflößt, man küßt es formlich wie einen ins Feld rückenden Sohn; jedes Wort . . . Inzwifchen haben die Dienflmädchen nicht aufgehört zu fingen, fie find nur etwas leifer geworden, und es klingt wie eine gefummte Begleitung zu meiner kühnen und eigentümlichen Melodie. Überdies fage ich alfo, was ich wünfehe. I Ob nicht eine Pepi Vlková da ifl oder da war, ein obdachlofes Dienflmädchen, Blondine. Nein, es ift keine da und keine ifl da= gewefen . . . Ich habe mich ordentlich ver= fländigt, eine vernünftige Antwort bekommen, jetjt kann ich alfo gehn ... Ich öffne die Tür, gehe, fchließe die Tür hinter mir. Die Dienfl= mädchen erheben die Stimmen und fingen wieder lauter: Andulko šafářová . . . Diefes ifl das Lied, das man jetjt in der ganzen Stadt hört. Jeder Straßenbahnkonduk= teur fingt es, jede Zeitungsausträgerin und Semmelfrau, die Kinder auf dem Schulwege, die Würflelverkäufer, die Handfchuhmacher, die Journaliften, die Tifchlergehilfen, die Arbeiter in den Mafchinenfabriken . . . Alle fingen das ländliche Lied. Es hat einen flawifchen Rhyth= mus, weiche melancholifche Tonfolgen, es gefällt mir auch. VII. In den nächften Tagen fetjte ich meine Nach= forfdiungen fehr eifrig fort.. . Pepi hatte auch von ihrem Schwager gefprochcn, das war mir nicht entgangen. Mein Gedächtnis zeigte 68 X. Mein jetjiges Verhältnis zur Pepi, ich meine: der Stand der Dinge, war höchfl unbe= flimmt, zweideutig. Nun wohl, ich hatte ihre Spur gefunden. Aber für den Sonntag und über= haupt für fpäter war nichts verabredet . . . Denn fie kam auch an den nächflen Abenden nicht durch den Park um Bier; und meine Briefe, die jetjt ganz deutliche Ädreffen hatten, blieben unbeantwortet ... Na fie konnte wahrfchein=. lieh wirklich nicht fchreiben. Diefe Tage Heß ich indeffen nicht unbenütjt verftreichen. Im Gegenteil, nie war ich fo tätig und fo vom Zweck des Dafeins erfüllt wie da= mals . . . Kurz gefagt: Ich belagerte von früh bis fpät in die Nacht mit kleinen Paufen die Langkranzifche Wohnung. Im Gefchäft hatte ich mich krank gemeldet . . . Es ifl wirklich ungeheuer fchwer, fo von außen und ungeladen in eine fremde Häuslich= keit Einblick zu gewinnen . . . Und gerade das war ja mein Ziel. Ich wollte durch die Beobachtungen, die ich auf meinen ewigon Fenflerpromenaden anflellte, herauskriegen, 93 wann man bei Profeffor Langkranz auffland, wann man frühflückte, mittagmahlte, jaufle, nachtmahlte, wieviel Zimmer, wieviel Kinder es gab, wie und wie oft die Zimmer auf= geräumt, die Fenfler geputzt wurden, wer auf Ordnung hielt und wer nicht, wer zu Befuch kam, und alles andere. Das war eine fürchterlich komplizierte Aufgabe, aber fo konkret und lebendig, fo ganz im Geifle meines jetjigen Lebensraufcbes, fo ganz anders als mein ehemaliges Dahinvegetieren. Und ich machte in diefen atemlofen und fpannenden Tagen auch einen gewaltigen Schritt nach vorwärts. "Während ich nämlich die ganze Zeit bisher dazu gebraucht hatte, um auf das Niveau der gewöhnlichen Menfchen. der im Leben üblidien Findigkeit und Klugheit zu gelangen, begann ich jetjt aufzuglänzen, aufzuzeigen, der Meifter aller Dctektivkünfle und praktifchen Eingebungen zu werden . . . Es war wirklich bewunderungswert, wie ich diefe Spur fefthielt und um nichts mehr in der Welt preisgab, wie ich um das Haus fchnüffelte und kroch, wie ich in einer der belebteflen Straßen Prags gleichfam Wacht= 94 poflen ftand, ohne den Paffanten oder den dort anfaffigen Ladeninhabern verdächtig zu werden. Noch unlängfl hatte ich mich ge= furchtet, überhaupt in ein Haus einzutreten. Je^t bot ich fdion der ganzen Welt Trotj . . . Ich (trotte von Wi^ und Scharfblick, von neuen Erfahrungen. Es war eine erhabene ruhmvolle Zeit. Ununterbrochen lernte ich und flieg über die andern Menfchen empor. Ein Beifpiel: Da habe ich vorhin eine Freitreppe im Park erwähnt, auf der ich mich zuerfl verfleckt geglaubt, dann beflrahlt ge= fimden hatte. Im genaueren hatte fleh die Sache folgendermaßen abgefpielt . . . und ich fchicke voraus, daß diefe Situation wie alles Lebendige höchfl kompliziert und kaum er= fchöpfend zu befchreiben ifl . . . Da gibt es im Stadtpark eine fleinerne Treppe, deren oberfle Plattform durch eine niedrige Hecke und ein Eifengitter von dem nächflen höher gelegenen Weg abgefchloffen ifl. Auf diefem Weg gibt es weiterhin eine Laterne; eigentlich viele Laternen, aber hier kommt nur eine in Betracht. Diefe eine Laterne leuchtet über die Hedve hinweg in die leere Nachtluft hinein, 95 die Treppe aber mit ihren Stufen liegt in tiefem Schatten. Kein Menfch kann wähnen, daß er irgendwo beffer geborgen ifl, als wenn er fleh auf diefe fchattige Treppe oder Platt= form fetjt; er fitjt mitten in der Dunkelheit. Aber inzwifchen ift fein Kopf beftrahlt, jämmerlich fichtbar, direkt von einem Glorien= fchein umwoben, wie die Poeten fagen . . . Dies bemerkte ich nachträglich, nachdem ich mein herrliches Verfteck fchon verlaffen hatte. Ein Liebespaar ließ fleh nämlich nach mir auf diefen heuchlerifchen Stufen nieder, fie küßten einander, fie waren traut und heimlich; und dabei tagte es formlich um fie. Die Hecke ift nämlich etwas zu niedrig und die Lichtflrahlen der Laterne treffen zwar nicht die Treppe, aber alles, was eine gewiffe Höhe darüber hat . . . Das weiß ich, ich bin jetjt gewitjigt und um eine Erfahrung reicher als weitaus die meiflen Liebespaare des Stadtparks. Ich lebe, ich belagere, ich bin tätig, ich freue mich . . . nur denke ich manchmal: Warum läßt fie fleh eigentlich belagern, die Pepi? Warum alle diefe Schwierigkeiten? Liebt fie mich vielleicht doch nicht, trotj der 96 Küffe und Fingerumarmungen? . . . und dann werde ich traurig ... Im ganzen ift es eine zufammengefetjte, kaum begreifliche Stimmung, kompliziert wie alles Lebendige. Nämlich fo: daß diefes Mädchen rätfelhaft und fpröde ift, bereitet mir Pein; aber es erzieht mich auch und bringt mich vorwärts. Ich weiß daher nicht, ob ich all diefer Schwierigkeiten Ende herbeiwünfehen foll oder lange Dauer. Ich bin verliebt und fehnfuditig, zugleich zufriedenge= (teilt und wacker. Überdies erzielte ich am Freitag vormittag einen riefigen Erfolg. An diefem Freitag wußte ich fchon alles über die Hausordnung von Pro= feffors, nicht das Geringfle hatte fleh meiner Spionage entzogen. Und ich wußte auch, wann der Äfchewagen vor dem Haufe hält... Täglich paßte ich ihn ab, und am Freitag kam auch riditig unter andern Mädchen Pepi mit einer Kifle voll Afche herunter. Ich blitjfchnell bei ihr. Sie fehlen freudig, nicht fehr über= rafcht, ernfl und felbflverfländlich wie immer. Diesmal trug fie ein fchmutjiges Kleid und die blaugefprenkelte Schürze darüber, die ich fchon kannte. Sie fbellte die Kifle nieder, und MaxBrod:7. , 97 während fie mit mir fprach, wifchte fie ihre befchmutjten Handflächen immerfort an ihren Hüften ab, fo nett und eitel, wie fie eben war. i Sie fah reizend aus, und ich glaubte zu be= merken, daß fie nicht viel mehr unter der Blufe und befonders unter dem Rock anhatte. I Es ergab fich eine verführerifche Stellung, als fie die Kifle dann zu dem Wagen emporhob, wobei fie auf den Zehenfpitjen fland, die Kleine, und ihre volle Brufl zu einer glatten Welle auffdiwellte . . . Die Sonne girierte über die Straße und in alle Fenflerfdieiben, ein fchöner Tag mit guter Morgenluft war es. Und die Haare des Mädchens waren noch lockerer als fonft, noch üppiger, nodi blonder. Ich fagte, kurz und bündig, wie ich es mir vorgenommen hatte, ohne mich auf Vorwürfe und zwecklofes Zeug einzulaffen, tfcfaediifdi: „Wollen Sie diefen Sonntag, das ift über= morgen, mit mir fpazieren gehen? Sagen Sie, bitte, ja oder nein." Sie lächelte und fagte ja. „Um wieviel Uhr haben Sie Ausgang und wie lange?" 98 Sie lächelte wieder und nannte die Zeit von vier bis acht Uhr. „Gut, dann werde ich Sie alfo hier vor dem Haus Punkt vier Uhr erwarten. Ich bringe Ihnen eine fchöne Blufe mit, die ich für Sie gekauft habe . . . Noch eines, bitte, nehmen Sie ein Kopftuch auf, Ihre Haare find zu fchön und zu auffallend. Und es muß ja niemand wiffen, daß wir miteinander gehn . . . Haben Sie das alles verbanden und werden Sie kommen, Pepi?" Sie lächelte auch diesmal, blinzelte in die Sonne, fagte ja, mehrmals hintereinander, dann lief fie in das Haus. Die Hände wollte fie mir nicht reichen, fie hielt beide mit der Kifle unter der Schürze verfleckt. XL T\rei Gefchäftskollegen, die midi Sonntag nachmittags trafen, als ich eben glatt ge= kleidet und rafiert, den Karton mit der Blufe tragend, den Wenzelsplatj hinaufflürmte, blieben flehn und riefen midi an: „He, 99 Schurhaft, Sie laufen da gewiß zu dem Mädel, mit dem wir Sie vorgejlern hier irgendwo (lehn fah'n?" Ich bin fo verblüfft, daß ich es faß zugebe. „Aber wie kann man nur! . . . mit einem Dienftmädel! . . . Das iß doch nicht gerade i.___flandesgemäß," Idi verabfchiedete midi und eilte weiter. Ich war voll von Begierde und Fieberfpannung, ich war einfadi zum Sterben verliebt . . . Merkwürdig überdies, daß ich mir diefe ganze Angelegenheit doch fo gründlich und, wie idi glaubte, nach allen Seiten überlegt hatte, aber auf diefen Standpunkt meiner Kollegen nie auch nur von ferne gekommen war . . . Nein, wie kompliziert die Welt doch iß! Es iß erß dreiviertel vier Uhr. Aber trotjdem tritt aus dem Haufe Pepi Vlkovä, ße felbß. Etwas, was ich nicht fehe, geht neben ihr. Pepi Vlkovä iß elegant angezogen, ich fehe ße von Weitem herankommen und mein Herz klopft vor Vergnügen; ja fo oft ich ße nodi getroffen habe, immer iß ße häßlich an= gezogen gewefen. Weil wir einander bisher 100 eben immer nur durch Zufall getroffen haben, Heute aber hat ße mich erwartet . . . und hat ßch für mich, für mich fchön angezogen. Für mich . . . faffe das, mein Herz . . . Sie trägt fogar einen Hut und einen blauen Schleier mit kleinen Samtßocken. Sie ßeht vor mir, ße (teilt mir die Dame neben ßdi vor als die Köchin, ihre Freundin. Und ße fagt, daß ße eigentlich diesmal lieber mit der Freundin fpazieren gehn wolle. Adieu. Das zerfchneidet mich. Alfo entßiehn wollte ße mir vor der feßgefefcjten Zeit. Ich hätte wieder ßundenlang in Nervenqualen warten follen, wie fo oft fchon. Nein, nein, nein. Diesmal keine Schwach= heit, kein Zurück, kein Hindernis! ... Ich fporne mich; ich rede ße an, die fchon ein paar Schritte mit der Freundin voraus iß. Es kommt zu einer heftigen und ganz feltfamen Szene, auf offener Straße. Ich kämpfe um mein Glück, ich blitje und donnere, ich rede mit Gewandtheit und Nachdruck, männlich rückßchtslos. Ich bezweiße einfach, daß die beiden wirklich fo innige Freundinnen feien, ich klatfehe aus, was mir die Pepi über 101 ----—w*» die Köchin anvertraut hat . . . Hierauf sieht die Freundin mit faurem Geficht ab, Pepi bleibt mir, hurra, und fie fcheint nidit einmal fehr bös darüber, fondern hängt fleh fanft und warm in mich ein. Wer kennt (ich in diefen Frauen aus! Wahrfdieinlich wollte fie nur überredet fein. Idi hatte aber noch kaum zwei Worte mit Pepi geredet, da nahte fchon eine neue Ge= fahr ... Ja es war mir befchieden, an die fem großen Sonntaguadimittag meine ganze Kunfl und Lebenstüchtigkeit zu zeigen . . . Meine drei Kollegen kamen nämlich mit lautem Ge= lächter hinter uns beiden her, fie machten "Äuffehn, gebürdeten fich wie ein Gefolge, wie ein betrunkenes Gefolge und fchienen über= haupt gelaunt, mich in einer Seitengaffe durdi= zuprügeln . . . Pepi wurde glühend rot, ihre ängfUiche Seele wagte kaum mehr einen Flügelfchlag, fie fchmiegte fich an mich und wimmerte: nein diefe Sdiand', das überlebe fie nicht. Wenn ihr nur endlidi die Männer Ruh geben möchten. Sie wolle nach Haufe, keinen Schritt weiter ... Ich fühlte es, daß fie Schumi von mir erwarte, daß ich durdi diefes Abenteuer alles bei ihr gewinnen oder alles verlieren könne. Ich lugte nach einem Polizeimann aus, ich riß Pepi durch all die kleinen Gäßchen und Durchhäufer, um die Verfolger irre zu fuhren. Aber fie kamen um jede Edie herum, trampelnd und bedrohlich . . . Da hatte ich einen prachtvollen Einfall. Wir waren fchon in der Vorfladt Zizkov, in der Gegend der Abfteigquartiere. Nun bogen wir in eine Gaffe, die nach rechts zum beliebten Hotel Myfch, nach links gegen den Bahnhof und harmlofe Kaffeehäufer fuhrt. Ich eilte jetjt noch mehr, ermunterte Pepi zu einer legten Anflrengung und . . . bog mit ihr nach links ab. Das half. Wir hatten das Ver= gnügen, die Kollegen nach rechts weiter= ftürmen zu fehn. Wir waren gerettet. Bald faßen wir im Kaffeehaus und die fchönften Stunden meines Lebens nahmen nun ihren Verlauf. In fo einem Kaffeehaus fitjen, in einer kleinen mit Holz ausgelegten Nifehe wie in einer Kajüte, hübfeh abgefondert von den andern Paffagieren, an einem kleinen Tifchchen, wahrend fernes Braufen durch das matte 103 Fenfler hereindringt . . . ach, das ift gut und nett und fchaukelnd. Und mein kleines erobertes Mädchen fhjt mir gegenüber, ich kann ihr immerfort die Hand reichen, ich kann wie zufällig ihr Füßchen ftreifen, dann flreicheln, ich darf fie anfehn und die lieben Reden vernehmen. Sie fchaut jetjt träumerifch drein, leicht rofig, und das Rofa der Wangen, das Blau der Augen, das Blond der Haare geben den entzückenden Durdreiklang. Ich bemerke jetjt überdies, wie viele Nuancen ihr Blond hat, unzählig viele Nuancen, nicht zwei Flechten nebeneinander find gleicher Farbe, fondern die einen fchimmern wie naffes Gold, andere glänzen wie Rohfeide, andere find tief= dunkel oder hellgelb wie Zitronenfaft oder rötlich. Aber jede Flechte ift rund wie ein Apfel. Nun beginne ich zu fchildern, wie gut zu folchen blonden Haaren die Blufe, die ich ge= kauft habe, paffen wird. Die Blufe, die hier in diefem unfcheinbaren Karton am Tifche lehnt. Schwarz, voile de laine . . . Das ift meine Lift. Ich will fie nämlich ins Hotel locken. 104 Und Pepi ift forglos und glücklich. Immer= fort ftreichelt fie meine Hand und den Fuß und lächelt fuß. Und mit vielem Vergnügen löffelt fie den Eiskaffee, den ich für fie beflellt habe; ja das glaub ich, das fchmeckt ihr . . . Wie es mich doch freut, einem fo traurigen Gefchöpf endlich zu einer Freude zu verhelfen. Die ganze Woche muß fie arbeiten und für andere leben, nur den Sonntag nachmittag atmet fie. „Älfo nicht wahr, Pepi. Sie nehmen die Blufe an. Von mir können Sie doch ein Ge= fchenk annehmen, da ich Sie fo gern habe." „Ja, ja, vergelt's Gott," und fie zieht mit kindifcher Zufriedenheit den Karton auf ihre Seite hinüber. „Wiffen Sie, ich hab eine Idee. Sie werden jetjt gleich die Blufe anprobieren, ob fie Ihnen paßt. Ich bin fchon fchrecklich neugierig . . . Und dann könnte ich fie morgen früh gleich umtaufchen, wenn fie Ihnen nicht paßt, und etwas anderes bringen." ,Ja, ja ... aber wo foll man das prubieren." „Ich weiß fchon. Hier in der Nähe ift ein Hotel, neben dem Bahnhof. Da machen wir 105 halt fo, als ob wir Reifende wären, eben aus Klagenfurt angekommen. Ich nehme ein Zimmer für mich und meine Frau. Dort probieren wir die Blufe und gehn dann wieder fpazieren." „Dös is a Spaß, dös is fein." Ich erfchrecke fafl darüber, wie mir das alles gelingt.. Ahnt fie vielleicht nidits? Aber wie wir das Kaffeehaus verlaffen, zieht fie fidi den Schleier dichter an und vorher hat fie mir diefen verfchmitjten Blick zugeworfen, wie da= mals „I bin halt fo a Luder" . . . Vielleicht ift fie gar nicht fo naiv, wie ich glaube . . . Wir gehn, wir plaudern. Nie werde idi midi in diefen Dingen auskennen! . . . Das Hotelzimmer ift licht, licht und fchön. Sonne durch die Fenfter, über das weiße Tifchtuch, über das blendend weiße Bett. Es ift hier heller als auf der Straße, weil keine Häufer gegenüber Schatten werfen, gegenüber gibt es nichts als Luft, weithin Luft und Licht, freie Helligkeit über dem großen Schienennetj des Bahnhofes da unten. Alles glänzt in dem Zimmer, jedes Glas, der Zünd= hölzchenbehälter, jeder Teller auf dem Tifdi, felbft das polierte Holz, der Spiegel, in jede 106 f Ecke keilt fich die finnliche Pracht einer Sonntagnachmittag-Sonne. Und unten dröhnen die wilden Züge, fchwere Eifenmaffen, wuch= tiges Holz, angefüllt mit glücklichen, jubelnden Menfchen, fie dröhnen, fie dröhnen . . . Licht und Lärm in dem kleinen, braven, ruhigen Zimmer. Hinter dem Ofenfchirm entkleidet {ich Pepi. Ich halte die Blufe in der Hand. Jetjt ift fie alfo fo weit. „Geben's alfo her," ruft fie und ein weißer Arm kommt um den Schirm herum. Ich aber ... ich werfe die Blufe auf den Tifch, ftoße den Schirm mit einem Fußtritt zur Seite und umarme das Mädchen. Sie lächelt, fie verbirgt den Kopf an meinem Hals, fie preßt fich eng an mich, im Hemde, während mich ein warmes Riefeln von oben bis unten anfüllt. Schnell putje ich den Rock völlig von ihr hinunter und ziehe fie in das Bett . . . Kitzelnde Haare an meinen Wangen, nackte heiße Glieder um mich, wie ich mich drehe, Duft und Duft ... Da erfüllt fich die/Natur) Ich bin zum erftenmal Mann, ich ertrinke in Annehmlichkeit und Wohlgefallen .. . 107 Dann liegen wir ruhig da, dicht beieinander, ineinander, ich fühle tief atmend nicht mehr die Grenzen meiner Körperlichkeit, nein, mein Blutkreislauf hat einen Weg in den ihren ge= funden, mein Blut kreift in ihren Adern weiter und liebes fremdes Blut hat fich in meinen Gefäßen eingefunden. Wir find einig, wir find glücklich. Und nun erfaßt mich ein grenzenlofes Wohlwollen gegen das liebe, fchÖne Mädchen neben mir; jetjt erfl, da fie die Begierde ge= flillt hat, bin ich ihr dankbar und von ganzem Herzen gut. Ich denke nicht mehr an Intriguen und Kampf und Uberliftung . . . nein, du lieber Menfch neben mir, ich habe dich lieb, ich bin dir gut, du bift mein Mitmenfch, mein Gefelle, mein Freund, ich lobpreife dich, du bift von Gott gefchaffen . . . Und die Sonne fcheint in das warme Bett und dröhnende raufchende Züge fahren ein, rollen in ihrer Vollkraft da= von, braufen und faufen. Und Pepi neben mir i{t fo ftill, fo fanft wie eine Pflanze, mit gefchloffenen Äugen und bebendem Mund . . . Und nun fummt fie, leife, ganz leife, ein Lied, fie legt den Mund 108 * ganz nahe an mein Ohr und fingt mir, viel= leicht ebenfo dankbar wie ich, mir das länd= liehe Lied vor, von dem je^t die ganze Stadt widerklingt. Sie fingt, fein wie eine Harfe in der höchften Lage, tfehechifeh-in mein Ohr: „Andulka, Sdiafferstoditer, du hafl die Gäns-lein nidit zu Haus. Die Gänfe find im Gerften= feld; Andulka treib fie heraus. Treib fie aus dem Gerftenfeld, ehe der weiße Tag kommt. — Ich möchte fie heraustreiben, wenn ich nur nicht fo viel Furcht hätte. Die Frau Mutter fchläft leife; wie ich aufflehe, wacht fie auf. Ich darf nicht aus dem Kämmerchen, ehe der weiße Tag kommt. — Andulka, Sdiaffers= toditer, fei nur nicht närrifch. Vor der Frau Mutter keine Angft, du mußt auf den Fuß-fpitjen gehn. Aus dem Kämmerchen f