Die Sarabande Auf einem Fest, das der Geheime Rat und Kanzler von Böhmen, Herr Zdenko von Lobkowitz, aus Anlaß der Taufe seines ersten Enkelkinds in seinem Prager Stadt haus gab, befand sich unter den Gästen auch ein kaiserlicher Hauptmann, ein Baron Juranic, der ein oder zwei Tage vorher aus Kroatien oder aus dem Sklawonierland in der böhmischen Hauptstadt eingetroffen war. Und während die änderen Herren so gekleidet waren, wie es der Anlaß und die Mode vorschrieben, indem sie nämlich den goldgestickten Rock aus purpurfarbenem Samt mit weißgefütterten geschlitzten Ärmeln und dazu mit Goldbrokat besetzte, an den Knien enge Hosen, seidene Strümpfe und Atlasschuhe mit seidenen Schleifen trugen, war der Baron Juranic in Reisekleidern, mit Lederhose und hohen Stiefeln, erschienen, was er damit entschuldigte, daß sein Gepäck in der letzten Poststation liegengeblieben und ihm noch nicht nachgesendet worden sei. Auch hatte er sich nach dem Brauch der Grenzoffiziere das Haar und den Bart mit Schweineschmer eingerieben, aber diese Eigenheit hielt man einem Manne zugute, dem der immerwährende Kampf gegen die Türken, die Erbfeinde der Christenheit, nicht Zeit gelassen hatte, sich darüber zu unterrichten, was die Mode einem Kavalier verstattete und was nach ihrem Gesetz verpönt war. Der Baron Juranic also ließ es sich..auf diesem Fest recht wohl ergehen, er trank und tanzte mit großer Aus dauer und in guter Laune, wobei es freilich mit seinem Tanzen nicht weit her war. Ob nun die Musikanten zu einer Gigue, zu einer Courante oder zu einer Sarabande aufspielten, ihm machte das keinen Unterschied, er vollführte bei jedem dieser Tänze die gleichen Sprünge und bezeigte dabei weit mehr Eifer als Geschicklichkeit. 44 Kurzum, dieser tapfere Offizier tanzte so zierlich wie ein dressierter Bär. Wenn die Musik für eine Weile schwieg, dann stieß er mit jedem, der ihm in den Weg kam, auf die Gesundheit des Täuflings an, auch machte er den Damen seine Komplimente, einer jeden versicherte er, er habe ihre Schönheit von Leuten rühmen hören, die etwas von der Sache verstünden. Seine besondere Aufmerksamkeit aber widmete er der jüngsten der drei Töchter des Herrn von Berka, die an diesem Abend zum erstenmal in einer größeren Öffentlichkeit erschienen war. Diesem sehr schönen, aber etwas schüchternen jungen Fräulein berichtete er von seinen Waffentaten, von geglückten Anschlägen, Überfällen und von anderen Streichen, die er den Türken gespielt hatte, wobei er nie vergaß, zu bemerkendes sei von dieser Sache viel Lärm in der Welt gemacht worden, sie habe aber nicht viel zu bedeuten. Auch ließ er das junge Fräulein wissen, daß er sich in seiner Heimat, wo der Scheffel Korn sieben Weißlinge gelte und die Tonne Bier einen halben Gulden, einen reichen Mann nennen könne, und die Frau, der es dereinst beschieden sei, mit ihm auf seinem Gut zu hausen, die werde im vollen sitzen mit Federn, Wolle, Honig, Butter, Korn, Vieh und Bier, kurz mit allem, dessen sie zu einem vergnüglichen Leben bedürfe. Sie müsse nur vom Himmel mit einer guten Figur begnadet sein - setzte er mit einem Blick auf die de^ Fräuleins hinzu -, denn eine solche gelte ihm noch weit mehr als adelige Herkunft und gute Sitten. Nun war aber unter den Gästen ein junger Graf Col- lalto, venezianischer Herkunft, ein rechter ä la Mode-Herr, der vermeinte, gewisse Rechte auf die jüngste der drei Berka-Fräulein zu haben, und ihm mißfiel sowohl die Person wie auch das Auftreten des kroatischen Edelmanns. Und wie nun dieser wiederum eine Sarabande mit dem Fräulein auf seine Art gehüpft und gesprungen hatte, trat der Graf mit einer Verbeugung auf ihn zu und bat ihn in respektvollem Ton, ihm doch geneigtest zu verraten, bei welchem berühmten Ballettmeister er es in der hohen Schule des Tanzes zu solcher Perfektion gebracht habe. Der Baron Juranic war ein Mann, der einen Spaß, auch 45 wenn er auf seine Kosten ging, mit guter Miene hinzunehmen wußte. Er lachte und sagte, er wisse wohl, daß er in der Tanzkunst nur wenig erfahren sei, er müsse dessenthalber auch alleraufrichtigst um Entschuldigung bitten, jedoch bereite ihm das Tanzen großes Vergnügen, und er hoffe damit der Demoiselle und den übrigen Gästen nicht allzu beschwerlich gefallen zu sein. ,,Der Herr wird sich selbst nicht gerecht, er ist zu bescheiden", meinte der Collalto. „Der Herr wird mit den schwierigsten Tanzfiguren so leicht fertig wie ein anderer mit einer warmen Brotsuppe. In dem großen Wasserspiel und Schäferballett, das man demnächst Seiner Majestät in der Burg vorführen wird, könnte der Herr mit seiner Kunst sehr wohl einen von den Faunen oder vielleicht sogar den Silenum selbst agieren." „Ich bin", sagte der Baron gelassen, „Soldat und daher den Waffentanz besser gewohnt als jeden anderen, hab auch in meinem Leben die Kanonen öfter spielen lassen als die Flöten und Violen. Für den bocksfüßigen und gehörnten Silen mag der Herr sich also nach einem anderen Darsteller umsehen. Was aber die Brotsuppe betrifft, so geb der Herr nur acht, daß er nicht auslöffeln muß, was er sich einbrockt." Und damit verbeugte er sich, bot seiner Dame den Arm und trat mit ihr wiederum in die Reihe der Tanzenden. Der junge Collalto blickte den beiden nach, und sein Zorn wuchs immer mehr, weil dieser tölpelhafte Baron dem schönen Berka-Fräulein nicht von der Seite weichen wollte, und da er nun sah, daß er seinen Gegner mit Stichelworten nicht aus der Ruhe bringen konnte, entschloß er sich, es auf anderem Wege zu versuchen. Er trat an das tanzende Paar heran und wußte dem Baron so geschickt ein Bein zu stellen, daß dieser der Länge nach hinschlug und im Fallen zwar nicht die Demoiselle, wohl aber den Herrn, der ihm zunächst tanzte, mit sich zu Boden riß. In den Reihen der Tanzenden entstand ein Durchein ander, die Musikanten unterbrachen ihr Spiel, man vernahm Gelächter, Fragen und bestürzte Rufe, doch die Verwirrung nahm sogleich ein Ende, denn der Baron 46 * stand schon wieder auf seinen Beinen und war dem Herrn, den er zu Fall gebracht hatte, beim Aufstehen behilflich. Der sah zuerst recht mißmutig drein, sobald er aber bemerkte, daß an seinen Kleidern, Spitzen und Bändern kein Schaden entstanden war, gewann er seine Contenance wieder, und er sagte, zu dem Baron gewendet, mit vollendeter Höflichkeit, der nur eine kleine Prise Spott beigemengt war: „Der Herr versteht es, wie ich sehe, einige Abwechs lung in das Tanzvergnügen zu bringen." Der Baron Juranic lüftete seinen Hut und brachte seine Entschuldigungen vor. Dann suchte er das Berka-Fräulein, doch er fand die Demoiselle nicht mehr an seiner Seite, sie hatte, beschämt und bestürzt über das peinliche Mißgeschick, das ihrem Kavalier zugestoßen war, schon während des Durcheinanders den Saal verlassen. Indessen setzte die Musik wieder ein, die Paare ordneten sich, der Tanz ging weiter, und der Baron Juranic schritt durch die Reihen der Tanzenden und trat auf den Collalto zu. „Der Herr mag sagen", sprach er ihn an, „ob er mir das mit Absicht und ex malitia* getan hat." i Der junge Collalto blickte hochmütig über ihn hinweg in die leere Luft und gab keine Antwort. „Ich will wissen", wiederholte der Baron, „ob der Herr mir das ex malitia getan hat, daß die junge Demoiselle über mich lachen sollt." „Ich bin nicht verhalten", sagte jetzt der Graf Collalto, „auf eine Frage Antwort zu geben, die in solch einem in solenten Ton an mich gerichtet wird." „Der Herr ist schuldig, mir die Genugtuung zu geben, die mir nach geschehenem Affront als einem Edelmanne zusteht", erklärte der Baron. „Es nennt sich hier mancher einen Edelmann, der da heim in Holzschuhen hinter seinem Ochsen herläuft", meinte der Graf Collalto mit einem Achselzucken. In dem Gesicht des Barons regte sich kein Muskel, doch eine Säbelnarbe, die vordem kaum zu bemerken gewesen war, flammte jetzt an seiner Stirne auf, rot wie ein Feuermal. (lat.) aus Bosheit. 47 „Da der Herr mir die Genugtuung verweigert", sagte er, ohne die Stimme zu erheben, „und fortfährt, mich zu offendieren, so kann ich den Herrn nicht länger als einen Kavalier traktieren. Ich werd ihn mit Stockprügeln zur Räson bringen wie einen gemeinen Bauernknecht." Der Graf Collalto hob die Hand, um dem Baron ins Gesicht zu schlagen, der aber hielt sie auch schon mit ei sernem Griff fest in der seinen. ■ Jetzt erst bequemte sich der Collalto dazu, mit dem Baron in anderem Ton zu reden. „Es ist hier nicht der Ort, noch ist es die rechte Zeit, die Sache auszutragen", erklärte er, „aber in einer Stunde wird der Herr mich im Kinskyschen Garten vor dem großen Rondeau finden. Das Haupttor ist versperrt, aber das Seitenpförtchen steht offen. Dort werd ich den Herrn zu bedienen wissen." „Das ist ein Wort so kräftig wie spanischer Wein", sagte der Baron zufrieden, und nun gab er dem Collalto die Hand frei. Es wurde vereinbart, daß der Zweikampf mit Degen, jedoch ohne Sekundanten ausgetragen werden sollte. Dann gingen die beiden auseinander, und kurze Zeit darauf verließ der Baron, ohne von dem Berka-Fräulein Urlaub zu nehmen, die Gesellschaft und das Haus. Der junge Collalto ging indessen in einen von den Nebenräumen, dort traf er den Hausherrn, den Zdenko von Lobkowitz, am Kartentisch. Er setzte sich neben ihn und sah eine Weile dem Spiel zu. Dann fragte er: „Kennen Euer Liebden hier einen, der sich Baron Juränic nennen läßt?" „Sieh mal her, das hier ist ein Spiel, bei dem gilt die grüne Sieben alles", erklärte ihm der Herr von Lobkowitz. „Ich spiel es heute zum erstenmal. Den Juranic? Ja, den kenn ich." „Gehört er zu uns? Ist er von Adel?" erkundigte sich der Collalto. „Er hat recht bäurische Manieren." „Der Juranic? Er mag bäurische Manieren haben, ist aber doch von gutem, echtem Adel", sagte der Zdenko Lobkowitz, der alle adeligen Stammbäume im Kopfe hatte und daher in Fragen der Herkunft wie kein zweiter 48 Bescheid wußte. Der Collalto sah wiederum eine Weile hindurch dem Spiele zu. „Es ist zum Lachen", meinte der Zdenko Lobkowitz. „Wenn einer in diesem Spiele die grüne Sieben und den Schellenbuben hat, dann kann er spielen, wie er will, er muß gewinnen. Sonst aber - soviel kann der Meisl-Jude gar nicht borgen, wie man in diesem Spiel verlieren kann, wenn man mit seinem Kopf nicht bei der Sache ist. Was ist's mit dem Lorenz juranic? Hat er im Trinken excediert?" „Nein, aber ich hatte dennoch Händel mit ihm", be richtete der Collalto. „Ich werd mich heute nacht noch mit ihm treffen." Der Zdenko Lobkowitz legte die Karten aus der Hand. „Mit dem Juranic?" rief er mit gedämpfter Stimme. „Dann geh nur gleich und empfiehl dich der göttlichen Protektion! Der Juranic ist ein mörderischer Fechter." „Ich weiß aber meinen Degen auch reicht gut zu ge brauchen", erklärte der Collalto. „Was, deinen Degen! Er wird dich an deinen Ohren zu packen bekommen, der Juranic", sagte der alte Edel mann. „Glaub mir, es ist nicht gut mit ihm anzubinden, ich kenn ihn. Schlag dich mit dem Teufel, aber nicht mit dem Lorenz Juranic. Geh und bring die Sache in Ord nung, es wird dir an deiner Ehre kein Abbruch gesche hen, wenn du dich excusierst, oder soll ich es' für dich tun?" ; „Ich werd es Euer Liebden vermelden, wenn die Sa che in Ordnung gebracht ist", sagte der Collalto. Das große Rondeau im Kinskyschen Garten war einer der Orte, an denen der Prager Adel seine Streitigkeiten mit dem Degen auszutragen pflegte. Es war ein Rasenplatz, um den ein Kiesweg lief, und in der Mitte des Rasens gab es zwischen zwei einsam stehenden Ulmen eine Fontäne, deren Plätschern man schon von weitem hören konnte. Ein steinerner, mit Moos bewachsener Meergott lag hingestreckt auf einem Felsenriff, und die Meermädchen, Tritonen und Sirenen aus verwittertem 49 4 Brücke Sandstein, die am Rande des Bassins kauerten, sandten ihre sich kreuzenden Wasserstrahlen auf das Schilfrohr, auf das Felsenriff und in steilem Bogen zum Himmel empor. , Hier auf dem Rasen traf der Collalto den Baron, der zwei kroatische Diener mit sich gebracht hatte, die Fak- keln trugen, denn der Mond stand im letzten Viertel. Diese beiden Kroaten, Kerle mit verwegenen Schnauz- bärten und mit Haarsträhnen, die im Nacken zu einem dicken Knoten zusammengeflochten waren, standen in' gebückter Haltung vor den Steinfiguren der Fontäne, be kreuzten sich und murmelten Gebete. i „Für meine Leute", erklärte der Baron dem Grafen Collalto, „ist diese Wasserkunst ein großes Mirakel, sie haben dergleichen noch nie gesehen. Sie glauben, in dem Neptun dort den heiligen Laurentius zu erkennen, meinen Schutz- und Namenspatron, und die Meerwei ber und die Tritonen halten sie für Engel, die vom Him mel herabgesandt sind, um diesem heiligen Märtyrer bei zustehen und ihm mit ihren Wasserstrahlen Kühlung zu bringen, denn er liegt auf dem Rost. Ja, meine Kroaten sind fromme Leute und große Verehrer der Heiligen, und sie würden hier durch alle Kirchen auf den Knien rutschen, wenn es nicht auch Trinkstuben in der Stadt gäbe." ; Er wies den beiden Dienern ihre Plätze an, so daß der Rasen und der Kiesweg im Lichtschein ihrer Fackeln lagen. Die beiden Gegner traten einander im vorgeschriebenen Abstand gegenüber und grüßten einander mit den Degen. Dann warf der Collalto einen Kieselstein, den er vom Boden aufgelesen hatte, steil in die Höhe, sie standen beide regungslos und horchten, und sowie er niederfiel, begann der Kampf. Er dauerte nicht lange. Der Collalto, der in seinem Le ben schon manchen fremden Rock mit dem Degen durchlöchert hatte, sah sich diesmal einem Gegner gegenüber, der es mit vieren zugleich hätte aufnehmen können: Drei von ihnen hätte er, wie man so sagt, auf seinen Hut gesteckt und den vierten gefragt, ob ihrer noch mehr seien. Der Baron Juranic war wahrhaftig, was ihn der Lobkowitz genannt hatte - ein mörderischer 50 Fechter. Anfangs rührte er sich nicht von der Stelle und ließ den Collalto seine Ausfälle machen. Dann aber trieb er ihn mit Degenhieben und Degenstößen den Kiesweg entlang und über den Rasen bis zur Wasserkunst, fragte ihn dazwischen, ob es ihm nicht zu kühl sei und wann er seinen Vetter, den Franz Collalto, zuletzt gesehen habe, jagte ihn zweimal um das Bassin und\wieder über den Rasen auf den Kiesweg und den gleichen Weg zurück, und dann nahm die Sache ein Ende. Dfer Graf Collalto fand sich in einer Situation, in der kein Widerstand und kein Retirieren möglich war. Er hing, nach Atem ringend, mit dem Oberkörper über den Rand des Bassins hinaus, und der Degen des Barons war auf seine Brust gerichtet. „Das wäre somit erledigt", sagte der Baron, „und ich könnte dem Herrn meinen Degen so leicht und mit ruhigem Gewissen durch den Leib jagen, wie ich ein Glas Wein trinke. All den Nöten und Drangsalen dieser armen Welt war der Herr enthoben." Der Collalto schwieg. Von den Wasserstrahlen der Tritonen sprühten kalte Tropfen in sein Gesicht. Und das Sonderbare war, daß ihn jetzt, nach diesen Worten erst, eine beklemmende Angst befiel, eine Angst so stark, wie er sie während des Zweikampfs nicht empfunden hatte. „Was hält der Herr", fragte der Baron, „von der heiligen Barmherzigkeit? Hat man ihm auch soviel davon erzählt, wie lieblich sie dem allmächtigen Gott ist und wie große Verdienste sich der erwirbt, der sie übt?" „Wenn der Herr mir mein Leben läßt", sagte der Collalto, von Angst geschüttelt, „so wird er für alle Zeiten einen wahren Freund an mir besitzen." Der Baron stieß einen kurzen und scharfen Pfiff aus. „Ich hab um des Herrn Freundschaft nicht geworben", erklärte er, „wüßt auch nicht, was mit ihr beginnen." In diesem Augenblick hörte der Collalto eine leise Musik, ein Flötenspielen, ein Geigen und ein Trommeln. Es war die feierlich bewegte Weise einer Sarabande, die sich hinter den Büschen vernehmen ließ und langsam näher kam. 4* 51 „Vielleicht ist der Herr im Tanzen geschickter als mit dem Degen", fuhr der Baron fort. „Mit Fechten hat der Herr sein Leben an mich verspielt, mit Tanzen kann er es von mir zurückgewinnen." „Mit Tanzen?" fragte der Collalto, und es schien ihm plötzlich, als ob dies alles, die Stimme des Barons, das Plätschern der Fontäne, die Degenspitze an seiner Brust und die Musik, die jetzt ganz aus der Nähe erklang, nur ein schwerer Traum wäre. „Mit Tanzen, jawohl. Wenn der Herr sein Leben be halten will, so wird er tanzen", sagte der Baron, und wiederum flammte die Säbelnarbe an seiner Stirne auf. „Der Herr hat's dahin gebracht, daß die junge Demoiselle über mich gelacht hat. Der Herr wird tanzen." Er trat einen halben Schritt zurück, und der Collalto richtete sich auf. Er sah jetzt, daß hinter dem Baron nicht nur die beiden Fackelträger, sondern noch fünf andere kroatische Diener standen, die alle des Barons Livree trugen. Drei von ihnen waren Musikanten und zwei, die recht gefährlich dareinsahen, hielten Terzerole in den Händen. „Der Herr wird tanzen von jetzt bis in den lichten Morgen", erklang die Stimme des Barons. „Durch alle Gassen Prags wird der Herr tanzen. Er wird nicht müde werden, ich rat's ihm nicht, denn wenn er innehält, be- kommt er eine Kugel in den Leib. Ist's dem Herrn nicht recht, so mag er's sagen. Nun? Läßt der Herr mich war- ten?" ~ , Die beiden Kroaten hoben ihre Terzerole, die Musi kanten spielten, und der Graf Collalto begann, von Todesangst getrieben, eine Sarabande zu tanzen. Es war ein sonderbarer Zug, der sich durch die Gassen und über die Plätze des nächtlichen Prag bewegte. An der Spitze schritten die Fackelträger, dann kamen mit Flöte, Geige und Trommel die Musikanten, hinter ihnen tanzte Graf Collalto, die beiden Kerle mit den Terzero-len folgten ihm und ließen ihn nicht aus den Augen, und der Baron Juranic machte, obwohl er als letzter ging, den Führer, denn er wies mit seinem Degen den Fackelträgern den Weg, den sie einzuschlagen hatten. ■ ; 52 / ";■'■.■' ■"■: ;"• '••■;■■, .-:'; Es ging durch enge, winkelige Gassen bergauf und bergab, vorbei an adeligen Palästen und an schmalen, windschiefen Giebelhäusern, vorbei an Kirchen, Garten mauern, Weinschenken und steinernen Brunnen. Die Leute, denen sie begegneten, fanden nichts Verwunderliches an diesem Zug, sie meinten, der Kavalier, der da hinter den Musikanten hertanzte, habe ein wenig über den Durst getrunken und sei in fröhlicher Laune, und einer seiner guten Freunde brächte ihn mit Musikanten und Lakaien in sein Quartier, und niemand ahnte, daß da einer verzweifelt um sein Leben tanzte. Und wie nun der Collalto so abgemattet und erschöpft war, daß er glaubte, er könne nicht weiter und das Herz müsse ihm in Stücke springen, und doch kein Erbarmen fand und weitertanzen mußte - da traf es sich, daß sie just auf einem kleinen Platz angelangt waren, in dessen Mitte eine Muttergottes stand. Und sobald die Kroaten dieses steinerne Bildwerk erblickten, warfen sie sich auf die Knie, schlugen das Kreuz und sagten Gebete her, und da ließ sich der Collalto auf die Erde gleiten und schöpfte Atem. Der Baron Juranic lachte laut und schallend. „Bei meiner armen Seele, so war das nicht gedacht", sagte er und schlug nun auch ein Kreuz. „Aber ich hätt es wissen müssen, daß das so kommen wird. Ja, meine Kroaten sind fromme Leut, die wissen, was sie Christo und seiner heiligen Mutter schuldig sind, und der Lange dort, der mit dem Terzerol, der ist von ihnen allen der Frömmste. Der schlägt sich lieber die Hand ab, als daß er an einem Sonntag ein Pferd stehlen geht." Indessen hatten die ^Kroaten ihre Andacht beendet und nur der eine, der am Sonntag kein Pferd stehlen wollte, lag noch auf den Knien, und den fuhr der Baron nun an: „Steh auf, daß dich das Mäuslein beiß! Die heilige Jungfrau will auch einmal etwas anderes sehen als dein Gesicht." Es gab - und es gibt heute noch - viel hundert Kruzi fixe und steinerne Heilige in der Stadt Prag, sie stehen leidend, segnend oder beschwörend auf den Plätzen und 53 in den Nischen und Winkeln; vor den Kirchenportalen stehen sie, vor den Hospitälern, vor den Armenhäusern und auf der steinernen Brücke. Und wo die Kroaten an solch einem Bildwerk vorüberkamen, fielen sie auf die Knie und murmelten Gebete oder sangen Litaneien, und der Collalto hatte eine kurze Rast. Anfangs nahm dies der Baron Juranic gelassen hin, er wußte, in den heiligen Dingen war mit den Kroaten nicht zu spaßen. Dann aber begann es ihn immer mehr zu verdrießen, daß seine Diener in ihrer frommen Einfalt seinem Feinde solchen Beistand taten, und er dachte nach, wie dem abgeholfen werden könnte. Und da, wie er so nachsann, kam ihm ein Gedanke, der erschien ihm so über die Maßen spaßhaft, daß er laut auflachte. Ja, das sollte der letzte Streich sein, den er in dieser Nacht dem Collalto spielen wollte. In den Gassen der Judenstadt sollte der Collalto seine Sarabande tanzen, denn dort gab es keine Kruzifixe und keine Heiligenfiguren. Damals war die Prager Judenstadt noch nicht mit ei ner Mauer umgeben, die wurde erst in der Zeit der Schwedenbelagerung errichtet. Man konnte aus den Gassen der Altstadt in die Judenstadt gelangen, ohne erst an ein verschlossenes Tor pochen zu müssen. Und so führte der Baron seine Schar durch das Valentinsgäßlein in das Judenquartier, durch enge und verschlungene Gassen ging es, an der Friedhofsmauer entlang, bis an das Moldauufer und wieder zurück, vorbei am Judenbad, vorbei am Rathaus, vorbei am Backhaus, an den versperrten Fleischbänken vorbei und über den Trödelmarkt, der verlassen dalag, und die Musikanten spielten und der Collalto tanzte, und kein Heiligenbild, das ihm Rast verschafft hätte, lag auf diesem Weg. Hier und dort wurde, wenn der Zug vorüberkam, ein Fenster geöffnet) verschlafene und verängstigte Gesichter blickten hinaus, und das Fenster schloß sich wieder. Hier und dort bellte ein Hund, dem der Zug verdächtig erschien. Und wie nun die beiden Fackelträger und die Musikanten hinter ihnen aus der Zigeunergasse in die Breitegasse einbogen, dort wo das Haus des hohen Rabbi Loew lag, da war der Collalto am Ende seiner Kräfte. Er stöhnte, taumelte, griff sich an die Brust und schrie mit schwacher 54 :.■;■■■;.■■ —/.: Stimme um-Hilfe. Der hohe Rabbi, der oben in der Stube über den heili gen und zaubergewaltigen Büchern saß, hörte diese Stimme, und er wußte, daß sie aus den Tiefen der Verzweiflung kam. Er trat ans Fenster, beugte sich hinaus und fragte, wer da rufe und womit ihm geholfen sein könnte. „Ein Jesusbild!" keuchte der Collalto mit seinem letz ten Atem, und dabei tanzte und taumelte er immer noch weiter, „um der Liebe Gottes willen, ein Jesusbild, oder es ist aus mit mir." Der hohe Rabbi Loew umfaßte mit einem Blick die Fackelträger und die Musikanten, den tanzenden Collalto, die beiden Lakaien mit den Terzerolen und den lachenden Baron, und mit diesem einen kurzen Blick war es ihm klar geworden, warum dieser Tanzende nach einem Jesusbild schrie, und daß ein Mensch aus Todesnot zu retten war. Gegenüber, auf der anderen Seite der Gasse, war ein Haus durch Feuer zerstört, und nur eine einzige Mauer stand noch aufrecht, die war vom Alter und von Rauch geschwärzt. Und auf diese Mauer wies der hohe Rabbi mit seiner Hand. Auf dieser Mauer ließ er durch seine zauberische Kraft aus Mondlicht und Moder, aus Ruß und Regen, aus Moos und Mörtel ein Bild entstehen. Es war ein „Ecce homo". Aber es war nicht der Hei land, nicht der Gottessohn, auch nicht der Sohn des Zimmermanns, der aus dem galiläischen Gebirge in die heilige Stadt gekommen war, um das Volk zu lehren und für seine Lehre den Tod zu erleiden - nein, es war ein „Ecce homo" von anderer Art. Doch solche Erhabenheit lag in seinen Zügen, so erschütternd war das Leiden, das aus seinem Antlitz sprach, daß der Baron mit seinem steinernen Herzen von einem Blitzschlag des Selbster-kennens getroffen wurde Und als erster in die Knie sank. Und vor diesem „Ecce homo" klagte er sich an, daß er in dieser Nacht ohne Erbarmen und ohne die Furcht Gottes gewesen war. Mein Hauslehrer, der stud. med. Jakob Meisl, der mir diese Geschichte wie viele andere aus dem. alten Prag er- . - ■■■■': . . ■ 55 . zählt hatte, machte eine kurze Pause. „Viel ist nicht mehr zu sagen", beendete er dann seine Erzählung, „und was noch zu sagen wäre, ist nicht sehr wichtig. Es heißt, daß der junge Graf Collalto in seinem Leben nie wieder getanzt und daß der Baron Juranic den Dienst quittiert hat, und mehr weiß ich nicht von ihnen. Der ,Ecce homo' des hohen Rabbi Loew? Es war nicht Christus. Es war das Judentum, das durch die Jahrhun derte hindurch verfolgte und verhöhnte Judentum war es, das auf diesem Bild seine Leiden offenbart hat. Nein, geh nicht in die Judenstadt, du würdest es dort vergeb lich suchen. Die Jahre, Wind und Wetter haben es zer stört, keine Spuren sind von ihm geblieben. Aber geh durch die Straßen, wo du willst, und wenn du einen al ten jüdischen Hausierer siehst, der seinen Binkel von Haus zu Haus schleppt, und die Straßenjungen laufen hinter ihm her und rufen: Jud! Jud!' und werfen mit Steinen nach ihm, und er bleibt stehen und sieht sie mit einem Blick an, der nicht der seine ist, der von seinen Ahnen und Urahnen herkommt, die wie er die Dornen krone der Verachtung geträgen und die Geißelhiebe der Verfolgung erduldet haben - wenn du diesen Blick siehst, dann hast du vielleicht etwas, ein Kleines ,und Geringes, von dem ,Ecce homo' des hohen Rabbi Loew gesehen." ;