3. Was sehen Sie denn? Audioguides Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit einer neuen Texlsortc. den Audioguides.' Sie ähneln den Reiseführern (Kap. 2) insofern, als sie ebenfalls konstatierend-assertierend Wissen bereitstellen, das sich auf bestimmte, kulturell als relevant gesetzte Objekte bezieht. Damit können auch die Audioguides der Orientierung im Kulturraum dienen {vgl. dazu genauer Fandrych / Thurmair 2010). Die Merkmale der Konimunikalionssimation, die Textstruktur und damit auch die sprachlichen Charakteristika unterscheiden die Au-diogiiides jedoch deutlich von anderen Textsorten in diesem Umfeld. 3.1 Kommunikationssituation 3.1.1 Audioguides als Texte der Kimstkommunikatioii Audioguides sind sehr stark kontextgebundene Texte. Thematisch und funktionell gehören diese Texte in den Bereich der Kunstkommunikation, darunter kann man - so Hausendorf (2006) - Kommunikation durch und mit Kunst verstehen, die aber ohne Kommunikation über Kunst kaum möglich ist. Die Sprache der Kutislkommunikalion ist nicht nur eine bestimmte Fachsprache, sondern sie hat spezifische Kennzeichen in der und durch die Praxis des Sprechens oder Schreibens über Kunst. Damit wird Kommunikation durch und mit Kunstwerken vollzogen und gleichzeitig ermöglicht (Hausendorf 2006). Kunstkommunikation ist nur durch den Bezug zu einem Kunstwerk als solche möglich, findet also immer im Zusammenhang mit der Rezeption von Kunstereignissen statt. Dabei ist die zeitliche Relation zwischen dem kommunikativen Handeln und der Rezep-lion des Kunstereignisses von Bedeutung: Hausendorf (2005) hebt als riskante und somit schwierige Kommunikationspraxis - besonders die Ansclimsskommunikation hervor (also das Sprechen über ein Kunstereignis nach dessen Rezeption), es lässt sich aber auch eine „Vorauskommunikation'L bestimmen (z.B. die Lektüre eines Führers vor einem Opernbesuch oder des Ausstellungskatalogs zur Vorbereitung auf den Besuch einer Ausstellung) und eine simultane Kommunikation: dies ist der Fall z.B. bei Kiuistführungen und eben auch bei den Audi oguid<£ Führungen (die ja einen .lebenden' Führer ersetzen sollen). Die Audioguides sind so konzipiert, dass die Rezeption durch den Hörer simultan zur Rezeption des Kunstereignisses stattfinden sollte. Sie sind im Allgemeinen technisch so gestaltet, dass es möglich ist, unabhängig von der institutionell vorgesehenen Abfolge (z.B. der Anordnung von Bildern in einem Museum) zu jedem Kunstwerk einfach den dazu gehörenden entsprechenden Teiltext zu finden.2 Audioguides sind also (wie alle Formen der Kunstkomm unikation) durch eine enge Beziehung zwischen Kunstwerk und Text gekennzeichnet. Der Text konstituiert sieh durch diesen Bezug. 1 Andere Bezeichnungen für diese Textsortc sind Audioiuhrer I Audio-Ff Ihrer bw, Audio-Führungen, Der von uns gewählte Begriff Audioguide is! nach einer Recherehe m /ahlreichen Museen im deutschsprachigen Raum der mit Abstand am häufigsten verwendete; im www dominiert die Schreibung Audio-Guide, auf deur-schen Seiten allerdings die Form nhne Bindestrich. ' Dabei ist zu bewehten, dass Audioguides oft nur bestimmte Werke besprechen; aurdje Kriterien für die Auswahl können wir hier nicht eingehen. 73 Kunstkommunikation kann professionalisicrt auftreten mil institutionalisierten Routi-ncn und Ablaufmus torn (Kunsüuhning, Katalog zur Ausstellung und eben auch Audioguides), aber auch als zufällig-okkasionelle Alltagspraxis (das Gespräch in der Pause, beim gemeinsamen Besuch einer Ausstellung etc.) (Hauseudorr2006, 71). Die Autoren der Audioguides sind Kunst-Experten, deshalb ist von einer Wissensasymmetrie, einem Wissen sgcfalle zwischen Produzenten und Rezipicnten auszugehen. 3.1.2 Rezeptionssituation Audioguides gehären zu den mündlich realisierten schri ftk on s dinierten Textsorten (Gutenberg 2000), es handelt sich um Texte, die in der Regel vorformuliert wurden (meist von einem Experten / einer Expertin) und von einem Sprecher / einer Sprecherin mündlich realisiert werden. Zu diesen Textsorten gehören aueh Rundfunk- und Fernschnach-richten, Hörfunk Sendungen (wie etwa das Feature), gelesene OrT-Texte in Femsehbciträ-gen, liturgische Lesungen, die abgelesenen performativen Sprechakte von Richtern und Nötaren, politische Erklärungen auf internationalem Parkelt (Gutenberg 2000, 576) und gegebenenfalls* aueh Vorträge, Vorlesungen, Reden oder Predigten. Die Talsache, dass es sich bei den genannten Textsorten um vorformulierie Texte handelt, hat zur Folge, dass Kennzeichen der Mündlichkeit nicht bzw. Kaum auftreten (für die Audioguides siehe aber 3.4.7). Als ein unterscheidendes Kriterium innerhalb dieser mündlich realisierten schriftkon-stituierten Textsorten ist die Frage der Simuttancität von mündlicher Realisierung und Rezeption zu beachten, die in den meisten oben genannten Fällen gegeben ist (außer etwa bei II Örfunk sen dun gen und Off-Texten), und die Frage der Rezeplionsbcdingungen. Hier finden sich sehr spezifische Bedingungen für die Audioguidc-Texte: Der Rezipi-ent kann die Texte nur hörend rezipieren (und nur in einer spezifischen Situation, nämlich beim Besuch des entsprechenden Museums bzwr. der Ausstellung) - er sollte dies idealerweise in engem Bezug mit der Rezeption des jeweiligen Kunstwerkes tun, auf das sich der Text bezieht. Die Audioguides sind als gesprochene Texte zwar flüchtig, tlmch die technischen Bedingungen der Konservierung aber vom Rezipicnten unbegrenzt oft wiederholbar: Der Rezipicnt kann also die Bedingungen der Rezeption (wann, wie oft) selbst bestimmen - das unterscheidet diese Texte von den anderen oben genannten Texten.4 3.1.3 Rezeption von Hört ex ten allgemein und speziell von Audioguides Hörtexte sind im Allgemeinen flüchtig, das erschwert ihre Rezeption - gerade im Vergleich zu schriftlichen Texten - und mach! sie wesentlich stärker kontextabhängig; Hörtexte sind deshalb in größerem Umfang als schriftliche Texte auf die Berücksichtigung des Rezeptions-Kontextes angewiesene Wichtig für die gelungene Rezeption von Hör-icxten ist, dass der Hörer eine Vorerwartung aufbaut, die ihm (top-down) bei der Lr-schlieRung hilft/' Im Fall der Audioguides ist diese Hörerwartung durch den gesamten Kontext der Rezeption gegeben: Sie sind nur in einem spezifischen Kontext, nämlich beim Besuch etwa eines Museums zu rezipieren, man muss sich diese Texte (und die dazugehörigen technischen Geräte) in einem individuellen Akt beschaffen, es gibt Instruktionen für ihre Benutzung. Dieser spezifische situative Rezeptionskontext verbunden mit der internen Struktur der Texte (z.B. durch Nummern; s. 3.3) schaffen eine klare Vorerwartung: Der Rezipient bzw. die Rezipientin erwartet Informationen zu den ausgestellten Kunstwerken nicht mehr und nicht weniger. Unter k uns (kommunikativem Aspekt ist diese spezifische Situation auch deshalb interessant, weil sieh die für die Kunstkormnunikation in anderen Fällen ausgesprochen zentrale Frage „Kunst oder nicht?" hier erübrigt (was sie allerdings durch den Kontext .Museum' auch schon tut). Wenn es einen (möglicherweise didaktisch aufbereiteten) Audioguide-Text zu einem Objekt gibt, wird diesem der Status .Kunst' zugesprochen. Der „Kunstverdacht" (Hausendorf 2006, 68) hat sich spätestens dann bestätigt. Der Hörer einer Audio-Führung hat also eine ganz spezifische Vorerwar-lung, die auf seiner Vor-Kenntnis eines Textmusters , Kunst Führung' beruht: Erkennt das Thema des Textes (die entsprechenden Kunstwerke und die Struktur), er hat im Allgemeinen eine Vorstellung davon, welche sprachlichen Handlungen ihn erwarten, er hat Erwartungen hinsichtlich des verwendeten Wortschatzes usw. Damit wird also alles verfügbare Vorwissen auf den unterschiedlichsten Ebenen aktiviert. All dies erleichtert die Rezeption dieses Hörtextes, Was generell das Hören betrifft, so wird vor allem in (frcmdsprachen)didaktisclier Sicht die Annahme vertreten, dass es verschiedene Hörstile (oder besser; Hörstrategien) gibt, nämlich das globale Hörverstehen (gemeint ist ein ,Hineinhören', ein generelles Verslehen der Hörsituation, des Themas, von Schlüsselbegrifren; manchmal auch als extensives oder kursorisches Hören bezeichnet), das selektive Hörverstchen (Konzentration auf ausgewählte Informationen) und das detaillierte Hörverstehen (Verstehen im Detail, manchmal auch als intensives oder totales Hören bezeichnet; vgl, dazu Dahlhaus 1994, Eggers 1996, Solmecke 1996, 2001). Für die Audioguides ist in diesem Zusammenhang - auch in Anbetracht der Intentionen und der Verslehensabsieht des Rezipienten - davon auszugehen, dass diese Texte im Allgemeinen detailliert verstanden werden sollen, wobei wir annehmen, dass dies nicht für den gesamten Audioguide-Tcxt gilt; hier geht jeder Hörer als Besucher eines Kunstereignisses möglicherweise selektiv vor, innerhalb der gewählten TeUtexte ist aber detailliertes Verstehen vom Produzenten intendiert und wohl auch von den Rezipienten angestrebt. Bei diesen Textsorten gibt es unterschiedliche Varianten: vom fertig vorformulierlen abgelesen Text über den vorbereitet produzierten Text anhand eines .Slkhwortzetlels' bis hin zu gänzlich frei vorgetragenen Exemplaren (in den letzten beiden Fällen gehören die Tcx Korten dann in eine andere Klasse: vgl. Gillenberg 2000), Natürlich kann man auch andere TTörereigmsse konservieren (mitgeschnittene Reden, Vorlesungen etc.) Und mehrfach rezipieren, wie das etwa Sir didakuschc Zwecke gemacht wird, aber das ist nicht die typische Rezept] uns Bedingung dieser Texte. Durch die leichtere digitale Verfügbarkeit von (lörtexten ist die mögliche Wiederhol harkeil allerdings ein Merkmal, das immer mehr Hörlexten zukommt: So können ja etwa Hörfiink-sendungun. vor allem Nachrichten, mittlerweile problemlos als Podcasis im MP3-Format gespeichert werden und sind damit ehenfaUs jederzeit und unbegrenzt oft verfügbar Dies gilt übrigens auch für die Produktion: Texte, die produziert werden, um mündlich vorgetragen und nur hörend rezipier! zu werden, sollten im Idcaifall auf diese Rezept] onsbedingun gen Rücksicht nehmen (was sieh z.B. in der syntaktischen Struktur niederschlagen kann). Dies ist ein häufig auftretendes Problem heim Einsatz von Hürtexten in sprachdidak lischer Absieht: Die Lernenden hüben keine spezifische oder gar individuelle Hörerwartung, was gerade die Rezeption von (fremdsprachlichen) Hörtexten in hohem Maße erschwert. <4 75 3.2 TcxtTuiiktioii Hinsichtlich der Tcxtfunklion der Audioguides uiüssen verschied ein; Aspekte berücksichtigt werden. Zunächst einmal sind diese Texte in einen größeren Kontext der „Führer" zu stellen. Führer sind Datensamm hingen für bestimmte Gebiete: z.B. Opernführer (vgl. dazu Thumiair im Dr. b), Kunst fiihrer, Reiseführer (vgl. Kap. 2), Restaurantführer, Camptngführcr etc. In diesen finden sich systematisiert Informationen zu den jeweiligen Themen; von daher handelt es sich um informative Texte, die konstatierend-assertierend Wissen bereitstellen. Spezifischer für die Führer aus dem Bereich der Kunst kommt u.E. allerdings neben der Wissens bereitstellt] ng auch die Intention hinzu, durch die gezielt ausgewählten Informationen, durch das als relevant gesetzte Wissen und durch die Kommunikation über das Kunstwerk die Rezeption von Kunst und die Kommunikation1 mit dem Kunstwerk zu erleichtern, zu steuern, und vielleicht sogar zu optimieren. In diesem Sinne ist die Intention der Audioguides grundsätzlich auch eine didaktische. Didaktisch sind insbesondere solche Wissenselemente, die über das hinausgehen, was tinmittelbar Tür die Rezeplionssituation notwendig ist, also etwa kunsthistorische Einordnungen, Parallelen, Traditionen, die das Kunstwerk bzw. den kunsthistorischen Diskurs um das Kunstwerk herum einordnen. Natürlich müssen in Audioguides andererseits bestimmte Wissens bestände von Hörem antizipierend vorausgesetzt werden, die wesentlich auch durch die Soziali sation und kulturelle Tradition geprägt sind und es muss auf spezifische Rezeptionserwartutigcn und Rclcvantsetzungen von bestimmtem Wissen Bezug genommen werden, die u.a. von kulturellen Traditionen sowie Betrachtungs- und Inicrpretationstraditionen abhängen. Kunstkommunikation besteht grundsätzlich - so Hausendorf (2005. 2006) - aus folgenden Tcilhandlungcn mit ihren je spezifischen Funktionen: Beschreiben (Was gibt es zu sehen, hören, tasten...?), Deuten (Was steckt dahinter?), Erläutern (Was weiß man darüber?), Bewerten (Was ist davon zu halten?). Im Bereich der didaktischen Erscheinungsformen von Kunstkommunikation, wie etwa der Audio-Führungen, lassen sich diese Tcilhandlungcn in unterschiedlichem Maße feststellen; dabei körnte man dtirchaus dem Erläutern einen besonders gewichtigen Stellenwert zuschreiben, da hier am stärksten auf fachgebundenes Wissen referiert wird, das gerade in diesen Texten mit ihrer didaktischen Intention vermittelt werden kann. Das Beschreiben wiederum ist hier verbunden mit einer mehr oder weniger expliziten „HöreriÜhrung", das heißt, die ßildbetrach-tung des Hörers / der Hörerin wird geführt, die Aufmerksamkeit geleitet und fokussiert (s. dazu genauer 3.3.1); in dieser Hinsicht weisen die Audioguides, ähnlich wie die Besieh tigimgstexte der Reiseführer (vgl. 2.2.1,2), latent instruktive Anteile auf. 3.3 'I'extstnikmr Dic Audiogui de-Texte7 zeigen eine klare Struktur: Sic sind in Tciltexte gegliedert, die sich auf ein je eigenes Kunstwerk beziehen. Durch eine eindeutige Zuordnung (meist Die Audioguides unseres Korpus', das 311 Texte umfasst, wurden uns in schrifllLcher Version und in der Audio-Version von der Firma Antenna Audio (C 2001 Antenna Audio Gmbil und Bayerische Staarsgemülde-sammlungen) für die Analysen zur Verfügung gestellt. Auch hat uns die Firma das Reclu zum Abdruck erteilt. Wir bedanken uns dalür sehr herzlich bei Frau Eva Wcsemann. Die Texte werden hier schriftlich wiedergegeben sie entsprechen dem gesprochenen Test; der O-Ton in Beispiel (2) wurde von uns naehtranskribiert. er wird hier in orthographisch angepasster Form wiedergegeben. 76 tragen die Texte Nummern, die auch die jeweiligen Bilder tragen und auf die sie verweisen) und durch die technische Gestaltung ist es jedem Benutzer leicht möglich, unabhängig von der Anlage des gesamten Audioguide-Tcxtcs zu jeder Zeit den Tctltcxt zu einem bestimmten Kunstwerk zu rezipieren. Einige dieser Teiltcxtc und ihre interne Struktur sollen im Folgenden genauer analysiert werden. Zunächst einige Beispiele: I 1) Max Liebermann, „Münchner Uicrjiartcii"" liiiergartettutmosphürt;. Schnitt' im Kies, Jahrmarktsmuxikj I Kommen Sie doch näher, setzen Sic sieh nieder auf ein Glas Bier! Oder wollen Sie noch ein wenig stehenbleiben und die Leute betrachten? Was scher Sie denn? Ja, die Kinder hier vorne sind ganz vertieft; die beiden rechts spielen im Saud, ganz unter der Übhul ihrer Mutter mit grünem Sonnenschirm. Das Kind in rotem Kleid lässt sich etwas 5 zu trinken geben, wohlig schließt es dabei die Augen. Beobachtet der Mann links nehen dem Baura die kleine Szene? Auf jeden Fall ist er, anders als das trinkende Mädchen und seine Betreuerin, wohlhabend, so wie überhaupt in diesem Münchner Biergarten ganz unterschiedliche soziale Schichten vertreten sind. Sic alle vereint das eine: Das Bier, das als verbindendes Thema nicht unauffällig braun von Max Liebermann genial l 10 wurde, sondern in einer Mischung aus Dunkclvioleti und Rai. So scheint es als Sprengsc! auch weiter hinten im Bild auf. Ja, hier bei einem Glas Bier lässt sich die Zeit gut vertreiben. [Musik endet mit Schhissakkard und mit Pause] Liebennann hat immer wieder solche Biergarten- oder Resuuiranlszenen int Freien ge- 15 malt, aber dieses in den Jahren 1883/84 entstandene Bild bildet den meisterhaften Anfang dazu, In der großartigen Komposition dichtgedrängter Geselligkeit bleibt das Auge immer wieder hängen an einzelnen, individuell erfassten Figuren. Sic sind typisiert: Der wohlhabende Bürger, der einfache Soldat, die junge und die alte Frau. Auffallend ist, dass sie zum Teil recht flächig gemalt sind, obwohl sie ganz detailgetreu scheinen. 20 Durch diesen teilweise wenig filigranen Farbauftrag werden wir, die neugierig sieh nähernden Betrachter, wieder auf Distanz gebracht So wird deutlich: Das ist nicht das Leben, sondern ein Bild, das das Leben zeigt. Wo das Gemälde einerseits mit seiner Vielfalt zum teilnehmenden Betrachten einlädt, da schafft es andererseits zusätzliche Barrieren durch den Baum im Vordergrund und die Schaltengrenzc 25 vorn unten am Boden. Innerhalb von Liebermunns Werk kommt diesem Bild eine ganz besondere Stellung zu: Denn einerseits zeigt es mit seiner sachlichen Detailtreue noch deutlich den Einfluss der alten Holländer, andererseits wird hier durch den lockeren Pinselduktus auch der zunehmende Einfluss der französischen Impressionisten, insbesondere Manets, deutlich. (Antenna Audio 2001, Nr. 281, Max Liebermann, „Münchner Biergarten") (2) Adolph von Menzel, „Prozession in ttofgastem" Dieses von Licht durchflutete, von sommerlichem Treiben bestimmte Bild gehört nicht 1 zu der Art von Gemälden, die Adolph Menzel zu Lebzeiten berühmt gemacht hatten. Seine Zeitgenossen kannten eher die großartigen Werke mit Darstellungen aus der preußischen Geschichte, allem voran Friedrichs des Großen. Diese kleinen, damals nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bilder sind es aber, die Menzel heute als Vorreiter des Impressionismus gelten lassen. Vor lauter Licht, aufgelockerter Farbe und Men- 5 schengewimme! erkennt man in der „Prozession in llofgastein" kaum, was steh eigentlich vor unseren Augen ereignet. Dr. Christoph Heitmann:9 * Alle Bilder sind aufzurufen unter www.eummuns. wikunedia,org/wiki/Main l'agc, am 12.7.20lü mit Ausnahme des Bildes „Kirchenruine im Wald" (Bap. (3)), das unter folgender Adresse zu finden ist www.ccntrcrx)mpidou.fr.'eduea(ion/ressour\;es/ENS-rracesdusaere/p(.ipup02.hünl. am 12.7.2010, ' Dr. Christoph ITeilmaun ist Kunstexperte; er war Referent der Neuen Pinakothek in München. 77 10 IS 20 [Sprecherwechsei] Auf diesem relativ kleinen Uild tatsächlich tut sich da sehr viel. Wenn man näher hinblickt, sieht man aber, dass diese Menschenansammlung sich teilt in zwei ganz verschiedene Welten. Auf der einen diese Prozession, die da so hinten aus dem DortVern kommen, diese Menschen dicht gedrängt folgen dieser Prozession, die schlusscndlieh dann in die Kirche Irin, die da auch ganz andeutungsweise rechts zu sehen ist, und im Vordergrund eben diese andere Ansammlung von Menschen, die eigentlich im Grunde wenig mit dieser Tradition mil anfangen können, also jedenfalls sieh darüber erhaben fühlen, wie etwa dieser junge Mann, der also absichtlich hochmütig und mit hochgezogenen Augenbrauen, vermeint man fast zu sehen, über ein solches primitives Spektakel wie er sicherlich denkt, eine solche unrationale Begebenheit wie eine solche kirchliche Prozession sich da erhaben fühlt und als Dandy sich äh gibt und ein schönes Bild eigentlich seiner Lebensform uns vermittelt. Dann sind da sehr wohl auch Städter, die natürlich fromm und in die Kirche eingebunden sind und sehr wohl sich verneigen oder niederknien, um die vorübergehende Prozession mit dem Allcrheiligstcn auch zu würdigen. Dann ist da im Vordergrund finde ich das allerschönste Detail sind diese wirklich nach neuester Mode gekleideten Damen. Man hat so s Gefühl, die sind die Gattinnen von irgendwelchen Generalstäblern oder 25 Hofdamen, die jetzt hier ihre Kur da absolvieren und eben wie gesagt also sich gegenseitig übertreffen auch in diesen Hutmoden, die damals ja sein abwechslungsreich und fantasiereich ausgefallen sind. (Antenna Audio 2001, Nr. 244, Adolph von Menzel, „Prozession in Hofgasicin") Moritz vun Schwind, „Der Besuch^ Was machen die beulen jungen Frauen auf diesem Bild? Die eine, bekleidet mil Hut. 1 Schal und Handschuhen, deutet auf einen Punkt auf der Landkarte, die an der Wand hängt. Die andere hält einen Brief in der Hand und betrachtet aufmerksam den von ihrer Freundin gezeigten Ort. „Der Besuch" heißt das Bild von Moritz von Schwind, doch der Titel trägt wenig zur 5 Aufklärung des Geschehens in dem behaglichen Wohnzimmer bei, im Gegenteil. Lr gibt uns das Rätsel auf, welche Geschichte hinter Brief und Karle versteckt sein mag. Was hat die Frau mit dem Hut vor: Ist sie soeben angekommen oder will sie auf Reisen gehen und jemanden treffen - vielleicht den Absender des Briefes? j/iegimi Musik: Cello, Klavier, Geige: Musik bis zum Ende] 10 Die dargestellte Szene vermittelt uns einen intimen Bindruck - die beiden Frauen sind im Profil zu sehen und scheinen sich unbeobachtet zu fühlen. Die ruhige Stimmung der Situation wird durch die gedämpften, vorwiegend warmen Farben verstärkt. Die mit Liebe zum Detail gemalte Kleidung der Frauen lässt erahnen, dass die reisefertige Dame aus der Stadt kommt, während die andere das Haus bewohnt. Es ist wahrscheinlich ein 15 Forsthaus, im Bildhintergrund rechts ist ein Gewehr zu erkennen und ein alter .lägerhut. Das leise, kleine, um 1855 entstandene Werk gehört zu dem Zyklus der sogenannten Reisebilder, eine Art künstlerisches Tagebuch, das Moritz von Schwind ursprünglich nicht der Öffentlichkeit zugedacht hatte. Die rund vierzig Rciscbilder zeigen zum einen eine Phanlasicwelt, die von Nymphen, Frdmännlein und Nixen bevölkert wird. Zum an- 20 deren sind - wie auf diesem Bild - Szenen aus dem realen Leben zu sehen. „Der Besuch" wird daher der biedermeierlichen Genremalerei zugeordnet. Typisch für diese ist das kleine Bildformat, auf dem eine volkstümliche Szene in einem engen Innenraum geschildert wird. Anklänge an die Romantik sind hier nur noch zu erahnen: In dem ln-dic-Feme-Schweifen der Gedanken beim Betrachten der Landkarte. 25 (Antenna Audio 2001, Nr. 231, Moritz von Schwind, „Der Besuch") (4) Caspar David Friedrich. „Kirchenruine im Wald" Auf diesem kleinen Bild zeigt uns Caspar David Friedrich keine grünende und blühende I Natur. Überall sehen wir Zeichen des Verfalls, alles spricht von Vergänglichkeit: die hochaufragende Ruine, die an einen verfallenen Kirchenbau denken lässt die umgestürzte, absterbende Eiche, die quer ins Bild ragt - die abgeschlagenen Baumstümpfe im Vordergrund. Eine niedrige Hütte aus roh zusammengezimmerten Brettern ist in das Ru- 5 inengemäuer hineingestellt und betont die einstige Größe des Bauwerks. Sie dient als 1 leuschober und bietet zwei Männern Unterschlupf, die sieh davor ein kleines Feuerehen angezündet haben. Sie wirken wie gefangen in der Dunkelheit ihres Umfelds. Fast drohend ragt die Ruine über dieser Vordcrgrundsz.cnc auf. Kein Blick öffnet sich in die Ferne, vielmehr ragt hinter der Ruine ein dichter Tannen- 10 wald wie eine geschlossene Wand auf. Die in den Himmel strebenden Tannenspitzcn nehmen die schlanke Form der Ruinenarchitektur auf und lenken unseren Blick nach oben, liier oben herrscht eine Helligkeit, von der nichts in die iiefverschattete Vordergrundzone zu dringen vermag. Die Sphäre des Himmels und die Sphäre der Menschen erscheinen so gänzlich voneinander getrennt. Unwillkürlich wechselt unser Blick zwi- 15 sehen dem schwachen Lichtschein des Feuers im Vordergrund und der lichten Himmels-zonc. Vielleicht wollte Caspar David Friedrich auf diese Weise die Größe Gottes im Vergleich zu den Menschen darstellen. In seinem Werk finden sieh häufig ähnliche Motive: Kirchen- und Klosterruinen, Grab-mälcr in waldiger Umgebung, oft in der Dämmerung, bei Nacht oder im Winter, umge- 20 ben von abgestorbenen oder kahlen Bäumen. Eindeutiger als seine reinen Naturlandschaften vermitteln diese Bilder einen christlichen Symbolgehall. Charakteristisch für Friedrich ist dabei, dass er den religiösen Inhalt nicht durch traditionelle biblische Szenen - wie die Kreuzigung oder Geburt Christi - ausdrückt, sondern durch die gebauten Oberreste des christlichen Kultes, also durch Kreuze, 25 Kirchen oder Klöster und durch eine symbolisch aufgeladene Natur. (Antenna Audio 2001, Nr. 216, Caspar David Friedrich, „Kirchenruine im Wald") Die Teiltexte der Audioguides weisen unterschiedliche Textschrittc auf, die aber immer im Zusammenhang mit der Grund-Intention zu sehen sind, nämlich die Rezeption des Kunstwerkes zu leiten, zu erleichtern und die .Kommunikation' mit dem Kunstwerk zu ermöglichen. Im Wesentlichen handell es sich dabei um die beiden Textschritte ,Bildbeschreibung' und ,Kunsthistorische Information'. 3.3.1 Bildbeschreibung Ein obligatorischer Schritt in den Teiltexten der Audioguides ist die Beschreibung des Kunstwerkes (in unserem Fall des Bildes), also ein deskriptiver Teiltcxt. Beschreiben (und somit ein deskriptives Vertextungsmuster) ist ein wesentlicher Teil der Kunstkom-munikation (genauer Hausendorf 2005. 2006) und gerade die Bildbeschreibung ist eine in unterschiedlichen Kontexten (literarisch, schulisch) gut entwickelte und viel beschriebene Textsorte. Nun ist zum Beschreiben an sich zweierlei zu bemerken: Zum einen gibt es kaum eine Bildbeschreibung in objektiver Form (man beschreibt bereits im Hinblick auf die Hörererwartung, nach Relevanz etc., s. dazu Fcilke 2005. Klotz 2005 und grundsätzlich zum Beschreiben auch Heinemann 2000a), in den meisten Fällen sind die deskriptiven Anteile deshalb mit anderen sprachlichen Handlungen verwoben (wie sie Hausendorf etwa im Deuten oder auch im Bewerten sieht; Klotz 2005 weist auf die Verbindung von Beschreiben und Erzählen bzw. Beschreiben und Argumentieren hin). Zum anderen ist die Funktion der Bildbeschreibung hier eine sehr spezifische. Im Unterschied zur Bildbeschreibung, wie sie z.B. in literarischen Texten erfolgt, die dem Leser ein Bild durch die Übersetzung in Sprache überhaupt anschaulich machen und vermitteln will, 79 handelt es sich bei den Audio-Führungen um eine Beschreibung angesichts dessen, dass der Rezlpient das Beschriebene auch vor sieh hat, also gleichzeitig mit der Beschreibung (als der verbal vermittelten Wahrnehmungserfahrung) selbst den Akt der Wahrnehmung erfahrt. Eine derartige Beschreibung unter den Bedingungen der gleichzeitigen Rezeption ist angreifbar (Redder 2000, 77 nennt sie „witzlos"),10 sie ist in unseren Augen dann funktional, wenn das Sehen geschult werden soll, indem etwa der Hörer beim Vorgang des BetraehLens ,geführt' wird, und / oder wenn - was beim Besehreiben in aller Regel mitschwingt - die Beschreibung ohnehin mit anderen sprachlichen Handlungen verwoben ist und insofern über das reine Beschreiben dessen, was objektiv zu sehen ist, hinausgeht, indem z.B. Erläuterungen und Deutungen angeboten werden, Gewichtungen vorgenommen werden und anderes mehr. Eine wichtige Rolle bei dieser spezifischen Art der Bildbeschreibung spielt die räumliche Orientierung (dazu s. 3.4.3), Neben den verschiedenen Mitteln der Raumorientierung werden in den (dominant) beschreibenden Schritten der Audioguides auch verschiedene Strategien der Bildbeschreibung angewandt. In Textbeispiel (4) erfolgt die Beschreibung der Bildszene (t. Abschnitt, L. 1-18) nicht aus neutraler oder distanzierter Beobachters icht, vielmehr verbindet sich der beschreibende Sprecher mittels des Pronomens wir (s.u.) mit dem Betrachter: ... zeigt uns Caspar Da\>id Friedrich, ... sehen wir. Dies wird noch unterstützt durch andere sprachliche Mittel, wie z.B. das hier in Die ... Tarmenspitsen ... lenken unseren Blick nach oben. Hier oben herrscht eine Helligkeit ... ((4), Z. 11-13), mit dem gleichsam für den Betrachter selbst eine Position im Bild benannt wird. In Textbeispiel (3) (Abschnitte 1, 2, 3, Z. 1-22) ist die Beschreibung bereits mit der Deutung verbunden; dazu gehört auch, dass versucht wird, die Geschichte der dargestellten Personen zu rekonstruieren. Damit bekommt die Beschreibung eine zeilliche Dimension und das Beschreiben wird mit dem Erzählen verwoben, das deskriptive Vertex-tungsmuster mischt sich mit dem narrativen. Grammatisch ist das daran erkennbar, dass hier eine der wenigen Stellen ist, an denen sich der Tempusgebrauch ändert und das immer dominierende Präsens unterbrochen wird von einer Perfektform {ist sie ... angekommen: (3), Z, 8). Hinzu kommt hier eine Reihe sprachlicher Mittel, die den Deutungs- und interpretationsprozess betreffen: Einmal werden Fragen formuliert, mit deren Hilfe beim Betrachter ein Deutungsprozess in Gang gesetzt werden soll: Was machen die beiden jungen Frauen auf diesem Bild? ((3), Z. 1) Was hat die Frau mit dem Hut vor? Ist sie ... angekommen oder will sie ...? ((3), Z. 8). Zum anderen finden sich hier epistemisehe sprachliche Mittel, die auch darauf hindeuten, dass der Beschreibende nur mögliehe Interpretationen anbietet: die dargestellte Szene vermittelt... einen intimen Eindruck; sie scheinen sich unbeobachtet zufühten; es ist wahrscheinlich ein Forsthaus. Das Textbeispiel (2) „Prozession in Hofgastein" soll hier genauer besprochen werden: Es besteht aus zwei Teilen, einem ersten, der - neben beschreibenden Einsprengseln -vor allem kunsthistorisehe Information bietet, und einem durch Spreeherwcchsel und O-Ton deutlich davon abgehobenen zweiten Teil, der in einem spontan-münd lieh wirkenden Duktus das Bild beschreibend ,zum Leben erweckt'. Im ersten Teilschritt werden neben der zentralen Einordnung und Erläuterung des Kunstwerkes (Textschritt ,kunsthistorisch informieren1) erste allgemeine Eindrücke geschildert, die man beim Betrachten des Bildes haben mag (von Licht durchflutet; vor lauter Lieht ... erkennt man kaum, was sich eigentlich vor unseren Augen ereignet ((2), Z. 5- "' Diese Form findet sieh ansonsten vor allem im schulischen Kuntext als didaktische Handlungsweise. 7).). Hier werden die möglichen Rezeptionsprobleme des Betrachters, nämlich die relevanten Aspekte im Bild auch zu identifizieren, bereits angesprochen. Der Sprecher versetzt sich dabei in die Situation eines Betrachters, der wenig mit dem Bild vertraut ist, und .nimmt den Hörer an die Hand', was sprachlich durch den Wechsel vom unpersönlich-allgemeinen man zum persönlicheren unser im letzten Salz des ersten Abschnitts signalisiert wird. So wird die „schwierige" Rezeplionssituation bearbeitet, die für Kunstrezeption typisch ist: Perzeption und das Interpretieren von Kunstwerken erfordert eine besondere kognitiv-intellektuelle Anstrengung. Die eigentliche Bildbeschreibung im zweiten Schritt (ab Z. 9) erfolgt in Bsp. (2) durch einen .Experten'; er formuliert diese vollständig aus der Perspektive des Betrachters, dessen Blick gelenkt und spezifisch fokussiert wird. Einleitend wird dazu zunächst eine Art Handlung sangebot formuliert mit wenn man näher hinblickt ... Bei der Besehreibung des Bildes kann nun zur räumlichen Orientierung des Hörers und Betrachters im dreidimensionalen Raum deiktisch verwiesen werden, die Perspektive wird ja durch das Bild selbst festgelegt. Dies geschieht hier in der Kombination von nominalen Ausdrücken mit Objekt-Deiktika einerseits (etwa dem Artikel dieser wie in diese Prozession, die ...; dieser junge Mann, der ...; diese wirklich nach neuester Mode gekleideten Damen) und durch verschiedene lokale bzw. dircktionaJe Adverbiale (da so hinten, rechts, im Vordergrund) andererseits. Deiktische Ausdrücke wie dieser oder da werden hier dazu eingesetzt, dem Hörer die Identifikation des jeweils ibkussierten Objektes zu ermöglichen. Das deiktische Element ist als Suchanweisung für das zu fokussierende Objekt zu verstehen, das über das Bezugssubstantiv und weitere qualifizierende Attribute in seiner Intension näher charakterisiert wird (diese Prozession, die da so hinten aus dem Dorf kern kommt; diese Menschen dicht gedrängt folgen dieser Prozession, die in die Kirche tritt, die da auch ganz andeutungsweise rechts zu sehen ist). Ökonomisch und funktional erfolgversprechend ist diese Art der Orientierung vor allem auch deswegen, weil die Suchdomänc durch den Bildrahmen begrenzt und somit überschaubar ist, die jeweils Ibkussierten Elemente vergleichsweise unverwechselbar sind. Die gehäufte Verwendung von deiktischen Elementen, nicht zuletzt von da, hat darüber hinaus die Funktion, das Bild in einer für mündliches Erzählen und Beschreiben typischen Weise ,zum Leben zu erwecken'. Die Orientierung im Raum erfolgt wesentlich auch durch wechselnde Fokussierung von Vorder- und Hintergrund sowie der horizontalen (Links-Rechts-)Achse. Ermöglicht wird diese Verfahrensweise eben durch die Konimunikationssitualion, d.h. die simultane Rezeption und Perzeption von Text und Bild - eine Bildbesehreibung, wie wir sie als klassische Schultextsorte finden, hätte einen wesentlich größeren Beschrctbungsaufwand zu leisten und müsste viel fundamentaler beim Bildaufbau ansetzen, würde aber zentrale Elemente des lebendigen Beschreibens und Erzählens im gesprochenen Deutsch ausblenden. Eingebettet in diese räumliche Beschreibung finden sich in (2) aber auch schon deutende und interpretierende Handlungen: ... Ansammlung von Menschen, die ... wenig mit dieser Tradition anfangen können; Städter, die natürlich fi-omm und in die Kirche, einge-hunden sind. An anderer Stelle erfolgt die Interpretation, insofern der Sprecher die Perspektive der dargestellten Person einnimmt und deren (natürlich nur vermutete) Gefühle oder Gedanken äußert (ein solches primitives Spektakel, wie er sicherlich denkt ... sich da erhaben föhlt). In Textbeispiel (1) wiederum wird eine andere Strategie der Horcriiihrung angewandt, die sich möglicherweise im Rahmen dieser neuen Textsorte Audioguide entwickelt hat: Ein gleichsam aus dem Bild sprechender Text-Produzent, ein fiktiver Sprecher, der eine Perspektive ,aus dem Bild heraus' annimmt, spricht den Rczipienrenl! direkt an - zunächst einmal, um ihn in die dargestellte Szene zu ,ziehen* {Setzen Sie sich auf ein Glas Bier!); es wird ein Dialog inszeniert, der den Hörer mit Hand hin gsaufforderungen und -alternativen konfrontiert, die er natürlich real niehl hat (oder wollen Sie noch ein wenig stehen bleiben und die Leute betrachten ...). Dies ermöglicht eine wesentlich grellere Direktheit (indem mit der in solchen Kontexten eher unüblichen direkten Anrede Sie operiert werden kann) und ein Spiel mit der (nicht gegebenen) Möglichkeit der echten Partizipation an der Situation. Wir haben es hier mit einer weiteren Bearbeitung der „schwierigen'' Rezeptionssituation bei der Kunstkommunikation zu tun: Die Inszenierung einer realen Situation und die HanUlungsanfTorderungen bzw. Fragen haben die Aufgabe, den Hörer einzubinden und zu aktivieren. Die einzig real mögliche Handlung des Hörers, das Betrachten und Interpretieren, wird nun weiter thematisiert, indem nämlich der fiktive Sprecher den Hörer in seiner Rezeption steuert (Was sahen Sie denn?), Die Orientierung erfolgt durch eine Mischung von rein symbolischer' Beschreibung (hier spielen - vielfach nachgestellte - Attribute eine zentrale Rolle: Mutter mit grünem Sonnenschirm, das Mädchen in rotem Kleid) und räumlich-relationierender Identifikation (auch hier meist über Attribute: die Kinder hier vorne; die beiden rechts; der Mann links etc.). Wie bei den anderen Texten wird auch hier die rein objektive Beschreibung sukzessive mit Interpretationen und Deutungen angereichert; das beginnt beim Kind im roten Kleid, das wohlig die Augen schließt, wird dann im nächsten Satz fortgeführt, in dem der Betrachter durch eine direkte Frage selbst zu einer ersten Deutung eines Bilddetails aufgefordert wird (Beobachtet der Mann links... die kleine Szene?). Dieser Satz dient als Überleitung zu einem Textabschnitt, der dann kompakter der Deutung und Erläuterung dient - interessanterweise wird auch diese Überleitung in Frageform geleistet, um den Hörer dazu anzuregen, auch die sieh nun anschließende weitere Interpretation aktiv und interessiert nachzuvollziehen. Auch die Geräuschkulisse und die untermalende Musik, die an einen Jahrmarkt erinnert, unterstützen auditiv das Sich-Ilinein-Versetzen in die auf dem Bild dargestellte Szene durch den Betrachter, Beendet wird dies durch eine Art zusammenfassende Kommentierung der dargestellten Szene durch den ersten Sprecher (Ja, hier bei einem Glas Bier lässt sich die Zeit gut vertreiben; Z.12), Gleichzeitig endet die Musik. Beides zusammen markiert eine deutliche Zäsur, nach der gleichsam die Perspektive aus dem Bild aufgegeben wird - der Sprecher verlässt das Bild. Im Folgenden wird dann im Wesentlichen kunsthistorische Information gegeben {Liebennann hat immer wieder solche Biergarten- oder Restaurantszenen im Freien gemalt ...) und damit ein neuer Textschritt eingeleitet. 3.3.2 Kunsthistorische Information Ein weilerer Schritt, der - auf die eine oder andere Weise - in allen Teiltexten der Audioguides auftaucht, ist kunsthistorischc Information. Dies ist ein ganz wesentlicher Bestandteil, der auch von den Rezipicntcn erwartet wird. Er entspricht Hausendorfs „Erläutern", also einer Antwort auf die Frage: Was weil) man über das Kunstwerk? Die pädagogisch-didaktische Intention dieser Texte macht einen solchen Schritt obligatorisch; Aspekte, die in diesem Schritt angesprochen und somit auch vermittelt werden, süid Informationen zum Maler (Lebensdaten, Entstehungsdaten des Werks, Biogra- phisches etc.), Stellung des Werkes im CEuvrc des Malers (z.B. In seinem Werk finden sich häufig ähnliche Motive; nicht die Art von Gemälde, die Adolph Menzel zu Lebzeiten berühmt gemacht hatten: ... gehört zu dem Zyklus der sogenannten Reisebilder; hat immer wieder solche Biergarten- oder Restaurantszenen ... gemalt) und schließlich Stellung des Werks im kunsthistorischen Kontext (z.B. in (]) zeigt... noch deutlich den Einfluss der alten Hotländer, andererseits wird hier ... der zunehmende Einfluss der französischen Impressionisten, insbesondere Mauels, deutlich oder .. wird daher der biedermeierlichen Genremalerei zugeordnet). Die beiden Textschritte .Beschreiben1 und .kunsthistoriseh Informieren' werden in den einzelnen Texten zum Teil deutlich getrennt - in (2) etwa durch die sprachliche Gestaltung (unterschiedliche Sprecher, mehr bzw. keine Kennzeichen von Mündlichkeit), in (I) auch durch die Musik bisweifen aber auch ineinander verwoben. Setzt man die beiden genannten Hauptschritte der Audiogui de-Texte mit Hausendorfs (2005, 2006) typischen Teilhandlungen der Kunstkommunikation in Beziehung, so erscheinen also im Wesentlichen das Beschreiben (verbunden z.T. mit Deuten) und das Erläutern als Information über und Vermittlung von fach gebundenem Wissen. Die Teilhandlung bewerten' lässt sich in den Audioguides nur in ausgesprochen geringem Umfang nachweisen.1" 3.4 Te&tsortenspezifischc sprachliche Merkmale 3,4.1 Adressatenbezug: Pronomen wir Wie schon erwähnt, sehen wir bei den Audioguides - im Unterschied zu anderen verwandten Textsorten - eine deutliche didaktische Intention. Diese lässt sich sprachlich festmachen an verschiedenen Formen, die einen direkten Adressaten bezug herstellen. Dazu gehört zum einen die Verwendung des Pronomens wir (wir sehen...). Dieses Pronomen kann als gr Uppen konstituierend bezeichnet werden {vgl. Hoffmann 1997, 319); wobei sich selbst hier im Kontext der Audioguides unterschiedliche Verweis-Gruppen konstituieren lassen: Zum einen kann sich der Text-Produzent mit einem wir in die Gruppe der Fachleute einordnen. Explizit wäre das mit einer Äußerung wie ... ordnen wir dieses Werk der Genremalerei zu; naheliegend ist diese Interpretation auch bei Ein Bild von Franz von Lenbach, wie wir es eigentlich nicht von ihm kennen und implizit zu erschließen ist eine derartig konstituierte Gruppe der Experten bei einer Äußerung wie in dieser Darstellungsweise erinnert er [uns C die wir Bescheid wissen)! a» den französischen Bauernmaler Jean Francis Millet.... Häufiger allerdings wird mit dem wir eine Gruppe ans Sprecher und Angesprochenem konstituiert (und somit explizit Adressaten bezug hergestellt); z.B. in (4): zeigt uns..., sehen wir...; in (1) wird sogar explizit die Gruppe benannt: wir, die neugierig sich nähernden Betrachter. Dieses den Adressaten einbeziehende wir kann man mit Thim-Mabrey (2005, 31) als ein didaktisches wir bezeichnen; es passt in seiner Verwendung gut zur angenommenen didaktischen Grund-Intention der Audioguides. Dabei kann dieses wir strategisch eingesetzt werden, um Sprecher und Adressaten als distanzierte Betrachter zu bezeichnen (wie in den oben angeführten Beispielen) oder - wie im nächsten Textbeispiel (5) — beide auch im Bild zu positionieren (dann möglicherweise sogar die abgebildeten Personen wiederum einschließend): „Rezijuent" hier laisaehiich verstanden in doppeltem Sinne: Rezipiert des K.unstwerkes und Re7i[>ient des Textes, S2 Vgl. zum Deuten, Interpretieren und Bewerten in den Audioguides genauer Fandryeh / Thurmair (201U). 83 (5) Zu Franz von Lenbach, „Dortstraße von Aresing1' Es [das Bild] zeigt die Dorfslraße des kleinen bayerischen Örtchens Aresing in hellem Sonnenschein. Der Schlagschatten des uns entgegenkommenden Bauern lässt darauf' schließen, dass Mittagszeit ist. Von Aresing sind nur einige wenige Häuser zu sehen, die Straße verläuft in die freie Landsehalt, wir befinden uns wohl am Dorfausgang. (Antcnna Audio 2001, Nr. 251, Franz von Lennach, „Dorfstraße von Aresing"; unsere Hervorhebung, CF/MT) 3.4.2 Adressatenbezug: Fragen Fin weiteres, stark adres säten bezogenes sprachliches Mittel sind Fragen; diese werden hier in den Audioguide-Texten eingesetzt, um den Adressaten direkt anzusprechen wie in (6), z.T. wie aus dem Bild heraus (vgl. (7"), hier in Verbindung mit einer Aufforderung): (6) Was machen die beiden jungen Frauen auf diesem Bild? ... Was hat die Frau mit Hut vor; Ist sie soeben angekommen oder will sie aur Reisen gehen und jemanden treffen - vielleicht den Absender des Briefes? (7) Kommen Sie doch näher, setzen Sie sich niederaufein Glas Bier! Uder wollen Sie noch ein wenig stehenbleiben und die Leute betrachten? Was sehen Sic denn?13 Fragen wie diese sind nicht nur ein Zeichen für expliziten Adressaten bezug, sie unterstützen hier auch die didaktische Intention der Texte; mit diesen ('"ragen, die nicht zentral das Nicht-Wissen des Sprechers thematisieren, soll vor allem der Rezipient angeregt werden, seine Wissens struktur zu ergänzen und die Antwort auf die gestellte Frage zu suchen. Insofern sind diese Fragen in didaktischer Absicht eingesetzt. Der deutliche Adressatcnbezug in diesen Texten könnte schließlich auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich hier um mündlich realisierte, nur hörend rezipierte Texte handelt, die den Adressaten deshalb stärker mit einbeziehen, als das bei schriftlichen Texten der Fall wäre. 3.4.3 Räumliche Orientierung Rirte wichtige Rolle bei den Erdbeschreibungen der Audio-Führungen spielt die Raumorientierung, Aufgrund der spezifischen Rezeption ssiluation sind die Raum Orientierung und die Möglichkeil des Verweisens im Raum relativ komplex. Einmal kann auf verschiedene Aspekte im dreidimensionalen Raum, der im Bild dargestellt wird, Bezug genommen werden, zum anderen bzw. gleichzeitig aber auch auf die zweidimensionale Fläche des Bildes {oben, unten, links, rechts). Einige Beispiele für Verweise, die sich (eher) auf die zweidimensionale Bildfiäche beziehen: quer ins Bild ragt, rechts zu sehen, die beiden [Kinder] rechts, der Mann links neben dem Baum und Beispiele für Verweise im dreidimensionalen Raum: die sich da\>or [vor der niedrigen Hüttej ein kleines Feuerchen angezündet haben: hinter der Ruine: die in den Himmel strebenden Tannenspitzen ... lenken den Blick nach oben. Hier oben...; hinten aus dem Dorfkern; in die Kirche; im Vordergnmd / in die tiefverschaltete Vordergrundszene. H ier zeigt sich, dass lokale Adverbiale allcine oder in Verbindung mit Objektbezeich nun gen, bezogen auf Objekte im Biid (hinten aus dem Dorfkern) oder das Bild selbst (weiter hinten im Bild) verwendet werden können. Aber auch andere, eher verbale Mittel können der räumlichen Orientierung und auch Fokussierung dienen, etwa: wenn man näher hinblickf. Mithilfe der ver- 1 Die Muüalpnnikd itentt ist ein weiteres Mil.tei, den Adressutünbezug ™ fokussicren (y,u ihrer Foiikliun siehe genauer Thurmair 1989; 163rY>. schiedenen Mittel der Raum Orientierung wird der Hörer in seiner Betrachtung des Bildes geführt - dies stellt eine Rczeptionscrloiehlerung, gewissermaßen eine Seh-Schulung dar. Ein weiteres - nicht-sprachliches — Mittel der raumbezogenen Orientierung bei der Bildbeschreibung in den Audioguides lässt sich aus den spezifischen Möglichkeiten des Mediums ,Hörtext* ableiten: Der auf dem Bild dargestellte Raum wird durch akustische Information ,hörbar1 gemacht. So wird bei dem im Korpus befindlichen Audioguidc-Text zu Max Licbermanns „Münchner Biergarten" (s. Bsp. (1)) durch typische Biergar-ten-Geräuschc und Jahrmarktsmüsik die Szene vorgestellt; in anderen Audioguides, insbesondere auch in solchen speziell für Kinder, werden andere Geräusche zur Vergegenwärtigung des Dargestellten eingesetzt (Wellen, bestimmte Tierlautäußerungen etc.). 3.4.4 Negiititin Bildbetrachtungen und der darin angelegte Umgang mit bestimmten Werken und bestimmten Künstlern rufen spezifisches Wissen auf und scharten gewisse Erwartungen. Auf dieses (natürlich nur angenommene) Wissen und die Erwartungen rekurrieren die Texte der Audioguides und auch darin kommt ihr Adressatenbezug zum Ausdruck. Besonders deutlich wird diese Finbcziehnng der Erwartung eines Adressaten sprachlich immer dann, wenn Negationselemente auttauchen. Negationselemente zielen auf die Höre rerwartung, insofern sie - pragmatisch gesehen - grundsätzlich eine durchkreuzte (vermutete / unterstellte) Erwartung bezeichnen (vgl. dazu auslührlich Weinrieh 2003, 864ff, der hier von „Erwartungsstopp" spricht). In den analysierten Audioguide-Texten treten nicht selten Negationselemente auf; mit diesen wird ebenfalls eine bestehende Erwartung nicht erfüllt oder durchbrochen. Diese angenommene Erwartung basiert hier auf einem vorausgesetzten Wissen. Dazu folgende Beispiele mit dem Negationsartikel kein und mit nicht: (8) Aurdiesem kleinen Bild zeigt uns Caspar David Friedrieh keine grünende und blühende Natur. Überall sehen wir Zeichen des Verfalls [,.,] {Vorausgesetzte Erwartung: ,Auf Bildern (dieses Malers / dieser Zeit...) lindet sich grünende und blühende Natur.'} Kein Blick öffnet sich in die Ferne, vielmehr ragt hinter der Ruine ein dichter Tannenwald wie eine geschlossene Wand auf. {Vorausgesetzte Erwartung: ,Naturbilder Öffnen den Blick in die Ferne.'} Charakteristisch für Friedrieh isl dabei, dass er den religiösen Inhalt nicht durch traditionelle biblische Szenen - wie die Kreuzigung oder Geburt Christi - ausdrückt, sondern durch die gebauten Überreste des christlichen Kultes, also durch Kreuze, Kirchen oder Klöster und durch eine symbolisch aufgeladene Natur. {Vorausgesetzte Erwartung: ,Religiöse Inhalte werden typisch erweise durch die Darstellung biblischer Szenen ausgedrückt."j (Antcnna Audio 2001, Nr. 216, Caspar David Friedrich, „Kirchcnruinc im Wald"; unsere Hervorhebung, CF/MT) (9) Ein Bild von Franz Lenbach, wie wir es eigentlich nicht von ihm kennen. (Antcnna Audio 2001, Nr. 251, Franz von Lenbach, „Dorfstraße von Aresing": unsere Hervorhebung, CF7MT) Im letzten Beispiel (9) ist diese Bezugnahme auf implizites Wissen („typische Bilder von Franz Lenbach") durch die Verwendung des Pronomens wir sehr geschickt formuliert, denn das Pronomen wir kann ja den Rezipienten mit einschließen oder nicht, so dass es dadurch offen bleibt, ob dieses implizite Wissen vom Textautor wirklich unterstellt wird *4 85 oder nicht, bzw. aus der Hörerperspektive: Es bleibt dem Hörer / der Hörerin überlassen, ob er / sie sieb in die Experten gruppe ,cinwäfjll' oder nicht. 3.4.5 Attribute Attribute bezeichnen eine nähere Bestimmung nominaler Satzglieder; sie dienen dazu, ihre Bezugsausdrücke zu modifizieren, also die mit den entsprechenden Substantiven bezeichneten Referenz Objekte (Personen, Sachverhalte etc.) zu spezifizieren und genauer zu charakterisieren. Damit sind Attribute ein wichtiges syntaktisches Mittel der Beschreibung, weil sie helfen können, die tbkussierten Objekte auf dem Bild zu identifizieren. Folgerichtig taucht in den Audioguide-Texten eine Vielzahl von prä- und postnuklearen Attributen auf. Es finden sich: - Adjeküvattribute: niedrige Hülle, kleines Bild, dichter Tannenwald, geschlossene Wand, schlanke Form, schwacher Lichtschein, der wohlhabende Bürger, der einfache Soldat, die junge und die alle Frau; - Partixipialattribute: keine grünende und blühende Natur, die hochaufragende Ruine, die umgestürzte, ab-sterbende Eiche, die abgeschlagenen Baumstümpfe, roh zusammengezimmerte Bretter, häufig auch erweitert: die in den Himmel strebenden Taimenspilzen; den von ihrer Freundin gezeigten Ort; die mit Liebe zum Detail gemalte Kleidung; dieses von Licht durchflutete, von sommerlichen Treiben bestimmte Bild; - Genitivattribute: Zeichen des Verfalls, die einstige Größe des Bauwerks, in der Dunkelheit ihres Umfelds, die Sphäre des Himmels, die Sphäre der Menschen, der schwache Lichtschein des Feuers; Präpos i t i on a f altri b ute: ihre Mutter mit grünem Sonnenschirm, das Kind in rotem Kleid, die Frau mit Hut; - Appositionen: die eine, bekleidet mit Hut, Schal und Handschuhen, .,.; Zyklus der sogenannten Reisebilder, eine Ali künstlerisches Tagebuch; - Relativsätze: die hochaufragende Ruine, die an einen verfallenen Kirchenbau denken lässt; die umgestürzte, absterbende Eiche, die quer ins Bild ragt: zwei Männerfn] .... die sich davor ein kleines Feuerchen angezündet haben. Andere Formen des Attributs, wie Infinitive und Konjunktionalsätze, sind seltener zu finden. Die angeführten Attribute können restriktiv sein, also notwendige Information liefern und damit nicht ohne Bcdcutungsverändenmg weggelassen werden; das ist der Fall bei Attributen, die der Unterscheidung dienen - im Kontext der Audio-Führungen insbesondere bei der Beschreibung von Personen, vor allem dann, wenn sie der Identifizierung dienen; vgl. In (1): die junge und die alte Frau, das Kind im roten Kleid, die Mutter mit dem grünen Sonnenschirm; Attribute können aber auch appositiv (d.h. nicht-restriktiv) sein, sie liefern dann erläuternde und zusätzliche Information; etwa in (4): die niedrige Hütte, roh zusammengezimmerte Bretter. 3.4.6 Fach sprach liehe Charakteristika Audioguide-Texte sind Texte der Kunstkommunikation, in denen ein Wissensdefizit beim Rezipienten bearbeitet wird; dementsprechend enthalten sie auch - in mehr oder weniger großem Ausmaße - Elemente einer Fachsprache der (bildenden) Kunst; etwa Aussagen zur Bildkomposition: Vordergrund / Vordergrundszene/-zone, großartige Komposition, im Profil, zur Licht- und Farbgestaltung: aufgelockerte Farbe, Mischung aus Dunkelviolett und Rot, gedämpfte, vorwiegend warme Farben oder technische Aussagen: flächig gemalt, filigraner Farbauftrag, lockerer Pinsetduklus. 3.4.7 Kennzeichen der Mündlichkeit Die Audioguide-Texte sind - wie oben schon erwähnt - Texte, die schriftlich konzipiert sind, aber mündlich produziert werden und auch nur hörend rezipiert werden. Daniii weisen diese Texte ein hohes Maß an Kennzeichen der SchrjftI ichkeil auf. An manchen Stellen bzw. bei manchen Teiltexten werden jedoch - deutlich erkennbar durch den Sprecherwcchscl und immer verbunden mit einem Wechsel in der Textfunktion - Passagen eingeschoben, die sozusagen als Ü-Ton (meist auch so angekündigt) und damit als nicht vorformulierte Texte deutliche Kennzeichen von Mündlichkeit aufweisen. Exemplarisch kann dazu auf den zweiten Abschnitt (ab Z. 10) in Beispiel (2) verwiesen werden. Kennzeichen der Mündlichkeit, die hier hervorgehoben werden sollen, sind einmal syntaktische Kennzeichen (insbesondere die Wortstellung) und zum anderen lexikalische Kennzeichen (insbesondere Partikeln). Was die Wortstellung betrifft, so lässt sich hier die für das Mündliche typische doppelte VorteIdbesctzung nachweisen {Auf diesem relativ kleinen Bild tatsächlich tut sich da sehr viel}, deren Funktion es ist, an der für den Textaufbau struktureil besonders wichtigen Position des Vorfeld sowohl das Thema zu positionieren {auf diesem ... Bild) als auch eine metakommunikative Einordnung {tatsächlich) für das Folgende zu geben (vgl. dazu Auer 1997, Fandrych 2003, Thurmair 2005a). In anderen Fällen lassen sich Stcllungscharakterisüka vor allem auf die Tatsache zurückfuhren, dass gesprochene Sprache in der Zeit verläuft und somit Elemente oft linear aneinandergereiht werden, wie z.B. in sich teilt in zwei ganz verschiedene Welten, sich gegenseitig übertreffen auch in diesen Hutmaden (eine Ausklammerung) oder diese Menschen dicht gedrängt folgen dieser Prozession. Dazu gehört auch, dass Elemente, die inferiert werden können oder noch strukturell (und inhaltlich) verfugbar sind (vgl. Auer 2007) nicht verbalisieri werden müssen; etwa: Menschen, die ... wenig mit dieser Tradition anfangen können, also jedenfalls sich darüber erhaben fühlen; dieser junge Mann, der f...j sich da erhaben fühlt und als Dandy sich gibt und ein schönes Bild eigentlich seiner Lebensform uns vermittelt. Ein weiteres Kenirzcichen, das auf den hohen Zeit- und Planungsdruck in der gesprochenen Sprache zurück/uführen ist, sind Konslruktionsweehscl, wie etwa: dann ist da im Vordergrund finde ich das allerschönste Detail sind diese wirklich nach neuester Mode gekleideten Damen. Lexikalisch typisch für den höheren Grad deT Mündlichkeit sind vor allem Adverbien bzw. Partikeln, hier etwa da (die da so hinten aus dem Dorfkern kommen, die da auch ganz andeutungsweise rechts zu sehen ist, dieser junge Mann, der ... sich da erhaben fiihlt; die jetzt hier ihre Kur da absolvieren), so {die da so hinten aus dem Dotfkern kommen; man hat so s Gefühl) und also {also jedenfalls sich darüber erhaben fühlen; dieser junge Mann, der also absichtlich hochmütig...). Das gehäufte Auftreten von da, das allgemein situativ verweist (vgl. Weinrich 2003, 5571T, der da als Situations-Adverb bezeichnet) und damit der Themafortfiihrung dient (vgl. auch Hoffmanti 1997. 555f)> 'St in dieser Funktion besonders charakteristisch für mündhehes Erzählen: da bewirkt, dass das Erzählen lebendiger wird, indem dem Hörer die Situation immer wieder neu vergegenwärtigt wird. Ähnlich kann auch so und aho die Funktion der Themafortfiihrung zugeschrieben werden. In diesem Zusammenhang ist neben dem gehäuften Auftreten von deiktischen Ausdrücken wie da oder so auch die vermehrte Verwendung von dieser im mündlich konstituierten Teil festzustellen. Der deiklische Ausdruck dieser dient in den stärker schriftkonstituierten Teilen einmal dazu, die Aufmerksamkeit zu fokussieren und das thematisierte Objekt zu identifizieren, wie in den einleitenden Verwendungen etwa in (2) Dieses von Licht durchflutete, von sommerlichem Treiben bestimmte Bild gehört nicht ... öder~m (4) Auf diesem kleinen Bild zeigt uns ... Zum anderen dient dieser der Rcfokus-siening allgemein (bei Wcinrich 2003, 440ff „Rekodierung"): Texmelle Vorinformation wird aufgenommen, aber in einen neuen Kontext gestellt, d.h. es liegt eine Themenfort-führung mit veränderten sprachlichen Mitteln vor (Wcinrich 2003, 441 spricht von einem „Knick in der Referenzkette"): z.B.: fei ((4), Z. 8, 9) Fast drohend ragt die Ruine über dieserjfprdergrundszene auf, wo mit dieser Vordergrundszene eine vorher erfolgte ausführliche Beschreibung rekodierend zusammengefasst wird. In den mündlich orientierten Passagen tritt dieser besonders gehäuft auf, z.B. in (2): Wenn man näher hinblickt, sieht man aber, dass diese Menschenansammlung sich teilt in zwei ganz verschiedene Weiten. Auf der einen diese Prozession, die da so hinten aus dem Dorfkern kommen, diese Menschen dicht gedrängt folgen dieser Prozession, die schlussendiich dann in die Kirche tritt, die da auch ganz andeutungsweise rechts zu sehen ist, und im Vordergrund eben diese andere Ansammlung von Menschen, die eigentlich... Diese Häufung ist darauf zurückzuführen, dass die Refokussierung laufend nötig ist, um die gemeinsame Orientierung von Sprecher und Hörer sicher zu stellen (Auer 1981 nennt dies die indcxikalitätsmarkierende Funktion). Der Ausdruck diese.r/e/es kann generell bei den Bildbeschreibungen besonders gut funktional eingesetzt werden, weil durch die Begrenzung des Suchbereichs (eben auf das Bild) die in Frage kommenden Objekte von vornherein begrenzt sind, also dieser als Anweisung zu lesen ist, den am besten geeigneten Kandidaten zur Fokussierung zu wählen. Es ist also für Büdbeschrcibungen allgemein ein sehr geeignetes Mittel der Suchanweisung. Ein weiteres lexikalisches Mittel, das typisch ist für den höheren Grad an Mündlichkeit sind Modalpartikcln, hier insbesondere eben (...und im Vordergrund eben diese andere Ansammlung; ... und eben wie gesagt also sich gegenseitig übertreffen). 4. Lexikonartikel, oder: Wahrheit, die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand Lexikonartikel sind Fachtexte orten, die auf kondensierte Art als gesichert angesehene Fach- bzw. Sachinformation zu einem Stichwort angeben und so der gezielten Behebung einer Wissenslücke bzw. eines Wissensdefizits von potenziellen Leserinneu und Lesern dienen. Lexika können dabei unterschiedlich starke Spezialisierungsgrade und einen unterschiedlichen Umfang aufweisen. Wir betrachten Lexikonartikel als eigene Textsorte; zusammen mit einer größeren Anzahl anderer Lexikonartikef sowie Hilfstexten (Abkür-zungsVerzeichnissen etc.; vgl. 4.2) konstituieren sie einen Text\'erbund. Gründe für die Einstufung als eigene Textsorte {und gegen die Annahme einer Großtextsorte Lexikon) sehen wir darin, dass Lexikonartikel in sich vergleichsweise autonome Einheiten darstellen, deren Textfunktion auch an jedem Einzeltext festzumachen ist (anders als dies etwa bei den Reiseführern der Fall ist; vgl. Kap, 2). Lexikonartikel werden in der Regel auch als Einzeltexte rezipiert, was etwa bei Tagebucheinträgen oder Kondolenzschreiben nicht der typische Fall ist (vgl. Kap, 16 und 18). Zwar sind Lcxikonartikel häufig durch Verweise miteinander vernetzt, und sie sind durch Hilfetexte (Inhaltsverzeichnis, Register, Abkürzungsverzeichnis) leichter erschlieBbar, aber das schränkt ihre prinzipielle tcxtuelle Autonomie im Kern nicht ein. Nicht zuletzt hat sieh auch in der deutschen Diskurstradition ein eindeutiger Texts orten begriff entwickelt („Lexikonartikef), was ebenfalls auf eine gewisse Autonomie hinweist. Die Art, wie die einzelnen Lexikonartikel angeordnet, vernetzt und in einen Verbund eingegliedert sind, bezeichnen wir als „Architektur". Eine Abgrenzung zwischen Lexika (und auch Lexikonartikeln) und Wörterbüchern (und Wörterbuchartikeln) ist nicht unproblematisch. Einerseits wird immer noch häufig auf die traditionelle Unterteilung in enzyklopädisches (das heißt: sach- bzw. wissensorientiertes) Lexikon einerseits, sprach orientiertes Wörterbuch andererseits zurückgegriffen, andererseits zeigt sich in der Praxis, dass diese Unterscheidung sowohl theoretisch als auch praktisch nicht immer aufrechterhalten werden kann {vgl. Hupka 1989, 988ff, Adamzik 2001c, v.a. 170ff). In der romanischen Tradition wird häufig auch von einer Dreiteilung ausgegangen, nämlich in Sprach Wörterbuch, Enzyklopädie und enzyklopädisches Wörterbuch, „wobei letzteres die Charakteristika der beiden erstgenannten Typen in sich vereint und daher verschiedentlich als heterogen oder hybrid bezeichnet wird" (Hupka 1989, 989).' Prototypisch vereinen (Sprach-) Wörterbüch er die folgenden Eigenschaften (vgl. Hupka 1989, 989): Die Lemmata umfassen das gesamte Wortartcn-spektrum, einschließlich grammatischer Funktionswörter (Artikel, Präpositionen, Konjunktionen etc.); Eigennamen werden nur in sehr beschränktem Maße aufgenommen (v.a. solche, die abgeleitet vorkommen oder zu Gattungsnamen weiterentwickelt wurden, wie Marxist oder Krösus); Fachwortschatz und terminologische Begriffe sind nur in geringerem Maße berücksichtigt. Bei der Beschreibung der Lemmata stehen grammatisch-formale und denotativ-semantische Aspekte im Vordergrund (Aussprache, Genus, Rek- Auch im engl ischsprachigen Raum geht man wohl von einer Dreiteilung aus. hier aber in diftiumry. erwvcfo-pedia und glossary; vgl. Gläser 19%, 93. Auch hier kommt es aber ÜU AbgTcnzungsschwicrigkciten zwischen dictionary und encyclupetiiir. vgl. ehd., 94.