Struktur des Vortrags 1. Erinnerung als Konstrukt 2. Gedächtnismedien 3. Die Gefahr der Verdrängung der eigenen Vergangenheit 4. Fotografien bei Sebald und Jirgl 5. Formen der Erinnerung (in der Literatur) 6.Kollektives, kommunikatives und kulturelles Gedächtnis 7. Vertreibung 8. Generationroman 9. Jirgls Biographie, Werk, Stil 10. ein verlängerter Wahrnehmungsprozess Tendenzen der deutschsprachigen Prosa nach 2000 Ein neuer Stellenwert der jungen Autoren ab der Mitte der 1990er Jahre: literarisches Fräuleinwunder: Zoë Jenny, Judith Hermann, Karen Duve oder Julia Franck. Julia Frank: Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen. Jirgl mit seiner eigenwilligen Rechtschreibung und seiner Thematisierung des Erinnerungsprozesses steht am anderen Pol des literarischen Lebens: er verschrieb sich dem Prinzip Erinnerung. Sich zurecht finden im Hier und Jetzt als Programm Sibylle Berg, geb. 1962 ist älter als z. B. Julia Franck oder Hermann:Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot.Leipzig: Reclam, 1997. Der Mann schläft. Roman. Hanser, München 2009; DTV, München 2011. Jeden Morgen stand ich vor der Tür und freute mich, dass ich die Nacht überlebt hatte, dass alle Häuser sich noch am Ort befanden und der Mann im Bett lag. Vielleicht war ich der einzige Mensch, der daran ein Vergnügen hatte, denn der Mann entsprach kaum dem, was man gemeinhin als Kleinod bezeichnete. Sich zurecht finden im Hier und Jetzt Sibylle Bergs Ich-Erzählerin, eine Frau in der Menopause, sucht einen Halt und tut es in einem sehr einladenden Stil. Dass alles, was das Leben an Großartigem für mich bereithalten würde, nur ein Mensch war, hätte mich beschämen können, doch es war mir völlig unwichtig, vor mir selber glänzend dazustehen. Ich war froh, dass ich nicht dem Zwang unterlag, einem Bild entsprechen zu müssen, das ich mir von mir gemacht hatte. Prinzip Erinnerung Erinnerung als Akt der Rekonstruktion der individuellen Erfahrungen und Erlebnisse. Gedächtnis als materieller oder immaterieller Ort, wo alle Erinnerungen gespeichert sind. Till Thons verfremdende Halbköpfe im Stil von Gottfried Schadow, aber mit einer rauhen Oberfläche Johann Gottfried Schadow (1764-1850) Bildhauer des deutschen Klassizismus. Quadriga auf dem Brandenburger Tor (1793) Prinzessinnengruppe, ein Doppelstandbild von Friederike und Luise von Mecklenburg-Strelitz (1797) in der Werderschen Kirche von Schinkel. Hana Kubicová Zur Poetik der Erinnerung in Reinhard Jirgls Roman Die Stille. Diskussion bei der Verteidigung betraf die Funktion der Fotografie und die unterschiedliche Gedächtniskontruktion bei Jirgl und Tanja Dückers. Tanja Dückers: Himmelskörper (2003) Die Großeltern und die Mutter der Erzählerin sind 1945 nicht mit der Gustloff untergegangen und konnten sich mit einem Schiff für prominente Mitglieder der NSDAP retten Tanja Dückers: Himmelskörper Das Schlafzimmer unserer Eltern war ein Ort, den wir Kinder nicht betreten durften. Hier schien die Zeit stehengeblieben: Nur Fotos von uns Kindern und von meinen Eltern aus der Zeit ihrer Hochzeit waren auf einem Stück bordeauxfarbenen Filz festgepinnt. Aus Renates Kindheit hatte ich nur ganz selten Fotos zu sehen bekommen - wenn Paul und ich besonders lange danach gequengelt hatten. Aus der glorreichen Zeit ihrer eigenen Zöpfe berichtete meine Mutter nie. Wenn sie mir die Zöpfe flocht, hielt sie die Zeit an und schwieg. Literarische Foto-Texte Thomas von Steinaecker: Literarische Foto-Texte. Zur Funktion der Fotografien in der Texten Rolf Dieter Brinkmanns, Alexander Kluge und W. G. Sebalds. Bielefeld 2007. Horskotte, Silke: Nachbilder. Fotografie und Gedächtnis in der deutschen Gegenwartsliteratur. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln, Weimar, Wien, 2009,. Martina Loučková:Die historische Photographie-Debatte und W.G.Sebald. Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik - Sborník prací filozofické fakulty brněnské univerzity - řada germanistická (R), Brno, Masarykova univerzita. ISSN 1211-4979, 2007, s. 147 - 159. Fotografien und Tagebuch als Gedächtnismedien Wie Tagebucheinträge oder Briefe (bei Jirgl, Die Stille, sogar ein Landsturmmilitärpass des Schwiegervaters vom Ersten Weltkrieg) dienen sie zur Beglaubigung der Authentizität des Dargestellten. Uwe Timm: Am Beispiel meines Bruders. Köln: Kiepenheur & Witsch, 2003. Über den Umgang der Familie mit dem Tod des 16 Jahre älteren Bruder, der als Mitglied der Waffen-SS 1943 an der Ostfrint tödlich verletzt wurde. Aufgrund des Tagebuchs des Bruders und der Feldpostbriefe versucht das einzig Lebende Familienmitglied, die Schuld bzw. die Motive des Bruders zu rekonstruieren. "März 21. - Donez - Brückenkopf über den Donez. 75 m raucht Iwan Zigaretten, ein Fressen für mein MG." Uwe Timm (geb. 1940 in Hamburg) Bekannt wurde er durch einen Gegenwartsroman. In Paris hörte er im Juni 1967 die Nachricht vom Tod seines Freundes Benno Ohnesorg. Es war Anlass zu seinem Roman Heißer Sommer (1974), einem de wenigen literarischen Zeugnissen der 68er-Studentenrevolte. Sein Roman Am Beispiel meines Bruders unterschlägt nicht die Gefahr, die Erinnerungen an die Bombenangriffe auf Hamburg erzählend zu ergänzen und zu erweitern: Erinnerungsroman Ein anderes deutliches Bild, mit dem Erinnerung einsetzt: die riesigen Fackeln, recht und links der Straße, die brennenden Bäume. Und dieses: In der Luft schweben kleine Flämmchen. Die in der Luft schwebenden Flämmchen fanden erst später im Erzählen ihre Erklärung. Es waren die vom Feuersturm aus den brennenden Häusern gerissenen Gardinenfetzen. Noch Jahre nach dem Krieg, mich durch meine Kindheit begleitend, wurden diese Erlebnisse immer und immer wieder erzählt, was das Erinnerungsroman ursprüngliche Entsetzen langsam abschliff, das Erlebte fassbar und schließlich unterhaltend machte. Die Gefahr, glättend zu erzählen. Erinnerung, sprich. Nur von heute aus gesehen sind es Kausalketten, die alles einordnen und fasslich machen. vgl . Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München: C.H.Beck, 2006. S. 191 Martin Walser: Ein springender Brunnen, 1998 Walsers Vorwegnahme der Antwort auf den Vorwurf, in seinem Roman komme das Wort Auschwitz nicht vor: Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte. Allerdings ist man dem näher als anderen. Obwohl es die Vergangenheit, als sie Gegenwart war, nicht gegeben hat, drängt sie sich jetzt auf, als habe es sie so gegeben, wie sie sich jetzt aufdrängt. Aber solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte. Als das war, von dem wir jetzt sagen, dass es gewesen sei, haben wir nicht gewußt, dass es ist. Jetzt sagen wir, dass es so und so gewesen sei, obwohl wir damals, als es war, nichts von dem wussten, was wir jetzt sagen. Das Verdrängte bei Jirgl die Zeugung des Inzestkindes, die Ermordung des Vaters, der Selbstmord der Mutter oder der Aufenthalt im Waisenhaus, wo Kinder missbraucht wurden, die Sterbehilfe: das alles wurde in der Familie verdrängt. Und jetzt, Felicitas, weil ich nicht mehr in deiner staubtrockenen heißen Stube dir gegenübersitz, […] die Umrisse deiner da=hockenden Gestalt […], die voll der verräterischen Erinnerungen, die eigene=innere Landschaft der Alpträume kartografieren; – jetzt aus der Ferne kann ich dir erzählen, !was ich weiß von all den verlorenen, rausgerissenen und wahrscheinlich vernichteten Photographien aus jenem Album […]. Jetzt, weil du nicht mehr da bist, kann ich dir von allem Fehlenden, von allem Verfehlten, erzählen. – Verdrängung als Sebalds Thema Ich las keine Zeitungen, weil ich mich, wie ich heute weiß, vor unguten Eröffnungen fürchtete, drehte das Radio nur zu bestimmten Stunden an, verfeinerte mehr und mehr meine Abwehrreaktionen und bildete eine Art von Quarantäne- und Immunsystem aus, durch das ich gefeit war gegen alles, was in irgendeinem, sei es noch so entfernten Zusammenhang stand mit der Vorgeschichte meiner auf immer engerem Raum sich erhaltenden Person. [...] Diese Selbstzensur meines Denkens, das ständige Zurückweisen einer jeden in mir sich anbahnenden Erinnerung, […] führte zwangsläufig zuletzt zu der fast vollkommenen Lähmung meines Sprachvermögens, zur Vernichtung meiner sämtlichen Aufzeichnungen und Notizen, zu den endlosen Nachtwanderungen durch London und den immer öfter mich heimsuchenden Halluzinationen, bis auf den Punkt meines im Sommer 1992 erfolgten Zusammenbruchs. (205-206) Fotos bei Sebald: Karmelitská 2 Kirche, Postamt, Gendermeriekaserne, Staatsarchiv eine barocke Kirche, die Maria-Magdalena geweiht war 1783 – das Kloster samt der Klosterkirche aufgehoben: Lagerhaus, Stallungen 1783 – das Kloster samt der Klosterkirche aufgehoben: Lagerhaus, Stallungen 1791 -1849 – das einige Prager Posatm 1850 -1854 – von Josef Wachtl a Josef von Weltz die Barocktürme abgetragen, spätklassizistischer Umbau 1854 -1948 – Gendermeriekaserne 1954 - 2001 – Staatsarchiv 2001 - 2003 – für Museumszwecke umgebaut Karmelitská 2 W. G. Sebald: Austerlitz, 2001 in einem sehr sonderbaren, weit in die Zeit zurückreichenden, wenn nicht gar, wie so vieles in dieser Stadt, außerhalb der Zeit stehenden Bau. Man betritt ihn durch eine enge, in das Hauptportal eingelassene Tür und befindet sich zunächst in einem dammrigen Tonnengewölbe, durch das früher einmal die Kutschen und Kaleschen hineinrollten in den von einer verglasten Kuppel überwölbten, wenigstens zwanzig mal fünfzig Meter messenden inneren Hof, der auf drei Stockwerken umgeben ist von einer Galerie, Austerlitz, 211-212 über die man Zugang hat zu den Kanzleikammern, durch deren Fenster der Blick hinabgeht auf die Gasse, so daß also das ganze, von außen am ehesten einem Stadtpalais gleichende Gebäude gebildert wird von vier nicht viel mehr als drei Meter tiefen, um den Hofraum herum in gleichsam illusionistischer Manier aufgeführten Flügeln, in welchen es keine Korridore und Gänge gibt, ähnlich wie man es kennt aus der Gefängnisarchitektur der bürgerlichen Epoche, in der sich das Muster der um einem rechtwinkligen oder runden Hof gebauten, an der Innenseite mit Laufstegen versehenen Zellentrakte als das für den Strafvollzug günstigste durchgesetzt hat. Das Gebäude als das Fremde schlechthin Aber nicht nur an ein Gefängnis erinnerte mich der Innenhof des Archivs in der Karmelitská, ... sondern auch an ein Kloster, an eine Reitschule, ein Operntheater und an ein Irrenhaus […] während ich in das aus der Höhe herabsinkende Zwielicht hineinschaute und durch es hindurch auf den Galerierängen eine dichtgedrängte Menschenmenge zu sehen glaubte, in welcher einige die Hüte schwengten oder mit dem Taschentuch winkten, so wie einstmals die Passagiere an Bord eines auslaufenden Dampfers. f Das Fremde schlechthin Am folgenden Tag bin ich wieder in das Staatsarchiv in der Karmelitská gegangen, wo ich zuerst ... einige Photoaufnahmen machte von dem großen Innenhof und dem zu den Galerien hinaufführenden Stiegenhaus, das mich in seiner asymetrischen Gestaltung erinnerte an die keinem bestimmten Zweck dienenden Turmbauten, die so viele englische Adelige für sich aufrichten ließen in ihren Gärten und Parks. Karmelitsk8 2: vergangen vs. zeitlos Die Fotos bei Sebald steigern den Eindruck, als wären die Grenzen des Fiktionalen durchbrochen. Sie entnehmen einem außertextuellen Realort eine Metaphorik, die dann aber fiktionsintern ein Eigenleben führt. ein weit in die Zeit zurückreichender, wenn nicht gar, wie so vieles in dieser Stadt, außerhalb der Zeit stehender Bau. Jigls Misstrauen gegen Bilder Mit welchen Medien sollte Erinnerung besser gelingen? Zumindest nicht vorrangig mit Bildmedien, dem erwiesenermaßen fälschungsintensivsten Medium; auch mit keinen sogenannt neuen Medien oder deren nur soviele, wie sie ein sehr altes Medium unterstützen und befördern: das geschriebene Wort. Die Stille, 420: als seien die chemisch erstarrten 4eck-Bilder stets nur angefangene, nicht zu Wort vs. Fotoalbum zuende fromulierte Sätze, und die gesamte=die eigentliche Geschichte, die wird man niemals sehen, die muß man !erzählen -. Der Sohn wurde zum Schreiben durch die nicht chronologische Abfolge der Bilder angeregt: Sinn für zeitliche Abfoge und & Prioritäten. ... !dafür will er Alles erzählen, weil er die Poesie od die Senilität od 1fach den Zufall aus dieser Zusammenstellung, wie Johanna dies Vorjahren verfertigte, nachträglich austreiben will. Das „Prinzip Erinnerung“ Literatur erzählt schon seit langem anhand einer Geschichte Geschichte. Welche Geschichten aus einer Epoche man wählt, ist von dem jeweiligen gesellschaftlichen Diskurs abhängig. Und ob man das Erinnerte als Konstrukt bloßstellt oder ob man dabei unreflektiert drauflosredet, hängt von dem Lesepublikum, das man erreichen will, bzw. vom Genre ab. Auch bloße Gedächtnissplitter aus denen sich der Leser selbst „einen Film machen“ muss, kommen in Frage. Diese Konzentration auf ein Detail wählte Walter Benjamin in seiner Autobiographie Berliner Kindheit um Neunzehnhundert (1936). Oder Joe Brainard (I remeber, 1970) oder Patrik Ouředník (Ročník čtyřiadvacet, 2002). Carsten Gansel Formen der Erinnerung in der deutschsprachigen Gegenwartsprosa nach 1989. Gedächtnisroman ( verbindliche und gemeinschaftsstiftende Interpretationen der Vergangenheit, ja sogar nationale Mythen) Birgit Neumann: Erinnerung - Identität – Narration: Gattungstypologie und Funktionen kanadischer "Fictions of Memory". Berlin 2005. Subgattung Erinnerungsroman, der das Unzuverlässige der Erinnerung thematisiert Autobiographische Erinnerungen Peter Härtling über das Erinnerungswürdige: Es gibt nach wie vor Zellen, die der Wärter vorsätzlich vergisst, die er verschliesst Traumatische Erinnerungen Marianne Hirsch: Surviving Images. Holocaust Photographs and the Work of Postmemory. Yale Journal of Criticism (Spring 2001). Erst für die nachgeborene Generation, die es nicht durchleben mussten, nur mit den Auswirkungen des Traumas konfrontiert war, wird dieses Trauma erzählbar. Das trifft auch auf den Fall von Reinhard Jirgl und seinen Roman Die Unvollendeten, 2003, zu. Beobachtererinnerungen, Erwachsenenblick vs. Felderinnerungen, Kinderblick Joochen Laabs: Späte Reise. Göttingen: Steidl, 2006. Uwe-Johnson-Preis 2006 Ein homodiegetischer Erzähler, der an amerikanische Universitäten eingeladen wurde, um vom Alltag und Empfinden der Deutschen hinter der einstigen Mauer zu berichten. Aus der Gegenwart (Basiserzählung) wird in Analepsen die Dresdner Geschichte von der Zerstörung der Stadt in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 bis zur Vorwendezeit erzählt. Die Unterdrückung des Kinderblicks bei Jirgl Dieses Verhältnis der Erzählebenen kommt auch in Jirgls Roman Die Stille vor, die Vergangenheit wird aber meistens als Kommentar der inzwischen zu Pensionisten gewordnen Geschwister zu den Fotos des Familienalbums vermittelt. Sie streiten oft, indem sie sich an ihr Leben seit der zweiten Hälfte der 30er Jahre erinnern. 58: Und ich sehe ihn eines Tages darauf die-Gläubiger erwarten: Breitschenkelig im Sesselin der Wohnstube thronend, die Brusttasche geschwellt von Banknoten, die Havanna pfaffend wie der der-Großen&mächrigen in-der-Welt. So empfing er die Schmeißfligen, wie er seine Gläubiger nannte. Und zahlte sie aus auf Heller&pfennich. Doppeldeutige Verba dicendi sentiendi Die Unvollendeten, 172 Abschied des Ich-Erzählers im dritten Abschnitt des Romans von der gestorbenen Urgroßmutter: Da spüre ich Hannas Hand an meinem Hinterkopf, energisch drückt sie mein Gesicht dem Gesicht der Unbekannten näher – auf-mich zukommend der offene Mund, groß wie der Buchstabe O IM SCHWARZEN WORT TOD -: kollektives Gedächtnis Maurice Halbwachs (1877-1945): Les cadres sociaux de la mémoire, 1925 Das Gedächtnis und seine Sozialen Bedingungen (1985) Maurice Halbwachs: Kolektivní paměť. Praha, Sociologické nakladatelství 2009. Das Gedächtnis kann nur innerhalb einer Gesellschaft existieren, deren Kultur es erhalten kann. Die Tabuisierung entscheidet davon, was vergessen wird. Die Vergangenheit wird nicht unverändert in individuellen Gedächtnissen aufbewahrt, sondern immer neu in neuen Referenzrahmen rekonstruiert. das kommunikative vs. das kulturelle Gedächtnis Eine Periode zwischen 80-100 Jahren, ungefähr 3 bis 5 verschiedene Generationen: die letzte Generationen der Nachgeborenen verfügt nicht mehr über biographische Erfahrungen, sie muss ihr Wissen und ihre Werthaltungen aus der Literatur bzw. aus Medien schöpfen. = Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft Das kulturelle Gedächtnis stürzt sich auf einen komplexen Überlieferungsbestand symbolischer Formen. = Langzeitgedächtnis der Gesellschaft Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten, in deren ›Pflege‹ die Gesellschaft ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt. literarische Texte als Gedächtnismedien "Das Gedächtnis ist nicht ein Instrument zur Erkundung der Vergangenheit, sondern deren Schauplatz", so schrieb einst Walter Benjamin. Erinnerung, um als solche erscheinen zu können, bedarf stets des Vehikels einer je aktuellen Gegenwart; und das Erinnerte wird niemals das wiederkehrend Einstige sein, sondern allenfalls eine Schimäre dessen; zersplittert, fragmentarisch moduliert, um nicht zu sagen manipuliert von allen gegenwärtigen Interessen, die ihrerseits Erinnerung provozieren. Das heißt, Erinnerung lässt sich nicht verordnen; sie beginnt jenseits der Denkmäler. Jirgl, Endstation Mythos, 2004 Jirgl über die Ursachen der Ausblendung der Vertriebenenthematik Und sobald eine der beteiligten Seiten Krieg zum Totalen Krieg ausruft, indem das NS-Regime den Krieg zum Völkermord erweiterte, dann werden auch die Gegenseiten von den Mustern solcher Totalität erfasst. .. Über dem Umgang mit dem NS-Erbe in der DDR: das Erbe des antifaschistischen Widerstands, insbesondere des proletarisch-kommunistischen, von dem Sttat in Beschlag genommen > weder Reparationsleistungen an den Staat Israel, wie das die Bundesrepublik getan hatte, noch jener "Lastenausgleich" für Vertriebene Generationenromane Günther Grass: Blechtrommel (1959), Peter Weiss: die Romantrilogie Ästhetik des Widerstands (1975-1971), Christa Wolf Kindheitsmuster (1976) Uwe Johnsons Jahrestage (1979-1984). Friederike Eigler: Gedachtnis und Geschichtein. Generationenromanen seit der Wende. (Philologische Studien and Quellen, 192) Berlin: Schmidt. 2005. fast das typische Genre nach der Wende Die Stille Ausgelöst werden die Erinnerungen durch ein Photoalbum, das die Großmutter für ihre Enkelkinderbestimmte. Der Ich-Erzähler des Ersten Buches Georg soll es dem Sohn vor seinem Antritt einer Stelle in Amerika überreichen, damit er weiß, „daß er noch Einefamilie hat, die ihn nicht vergißt und zu der er, wenn es nötig, jederzeit zurückkommen kann.“ Der Sohn ist Germanist und sein letzter Wunsch war, nicht den Vater, sondern den alten Hund Max nochmals vor seiner Abreise zu sehen. Im zweiten Buch erzählt kurz ein auktorialer, hetero-diegetischer Erzähler, er beschreibt den Ausgang der Schlägerei zwischen dem Sohn, dem Vater und einem Drogendealer und die allgemeinen Umstände der deutschen Gesellschaft. Die Stille Jirgl schreckt auch vor extremen Situationen nicht zurück. Im Kampf um Thalow kommt es zur Selbstverbrennung von Peter-Paul, dem Cousin von Henriette. Dorothea, die Frau von Harry, entscheidet sich bei der feierlichen Eröffnung der Erschließung von dem restlichen Gelände den Vorstandsvorsitzenden der EL Co.-Filiale für Deutschland zu erschießen. Ihre Begründung der Tat ist: – Weil das einen GOTZVERDAMMTEN SPASS macht, nem Drecksack das Licht auszublasen, u seien Sack & Licht auch noch so klein. Immer=hin: 1 Schweinekerl weniger Aufderwelt. (S. 521) Warum Die Stille ? Warum heißt der Roman nicht Diestille, vom 1tönig pickendem Laut des Regulators zeitlos gemacht? *80 Die Stille als Moment der Wahrnehmung der Zeit. Warum nicht Nacht ist und Stille ... wenn du aufhörst dich zu erinnern. Erinnerung aber ist das Blut das Hier zu opfern ist. im Blut ist Wissen. Also hör weiter. *351 Die Stille als etwas Unheimliches, das der Erzählvorganng bannen kann. Reinhard Jirgl, geb. 1953 in Berlin geb. 1953 in Berlin (DDR). Aufgewachsen ist bei der Großmutter in Salzwedel/Altmark. die 10-klassige, polytechnische Oberschule, 1964- zurück nach Berlin (DDR) zu seinen Eltern, beide von Beruf Dolmetscher. Arbeit als Elektromechaniker, auf Abendkursen die Hochschulreife nachgeholt. 1971 an der Berliner Humboldt-Universität immatrikuliert. Im Jahr 1973, noch während des Studiums, begann er mit den ersten Prosaarbeiten. Jirgls Biographie Ab 1978 Beleuchtungs- und Servicetechniker an die Berliner Volksbühne, Bekanntschaft u.a. mit dem Dramatiker Heiner Müller. Das erste, umfangreiche Manuskript "Mutter Vater Roman" im Sommer 1985 beim Aufbau-Verlag Berlin erfolglos eingereicht. Bis zur "Wende" 1989 lagen von ihm sechs fertige Manuskripte vor. 1990 erschien sein "Mutter Vater Roman" in einem von Gerhard Wolf edierten Literaturprogramm beim Aufbau-Verlag. Jirgls Werk 1993 wurde das Manuskript seines Romans „Abschied von den Feinden“ mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet , er wurde Autor des Carl Hanser Verlags. zwei Söhne eines SS-Offiziers, die in der DDR aufwachsen und sich politisch wie menschlich trennen, ja hassen, weil sie dieselbe Frau lieben. 2010 Georg-Büchner-Preis 2005/2006 Arno-Schmidt-Stipendium 2011 Sudetendeutscher Kulturpreis für Literatur eingenwillig geschrieben Worte und Wortgruppen Arne De Winde: Das Erschaffen von ‘eigen-Sinn’. Notate zu Reinhard Jirgls Schrift-Bildlichkeitsexperimenten. In: David Clark and Arne de Winde: Reinhard Jirgl: Perspektiven, Lesarten, Kontexte. Amsterdam: Rodopi, 2007. Die Unovollendeten „GOttderherr“ „- vom Kommunistischen manifest zum Globalistischen Money-Fest - “ Fraktur wie z. B. „Die Frau muß dem Manne dienen“ jeder Partysahn ein Dominikaner seiner=eigenen Geschäftbilanz eingenwillig geschrieben Worte und Wortgruppen „Fiesiognomien“ „Mühtos“ Schweiß&stadt Arbeit´s Pflicht all-1 Alltenjahre Arbeitslast&pflicht Wiederkindsein Rächzflege Fer-traun eigenwillige Rechtschreibung Altejunger 1samkeit starr=sinnige 1druck Derkrieg die Ewigeleir Gene-Ration Wortspiele Henrys Frau: nichts von Mädchenschäumen unter Hornymoon Roh-Tatz-jons-Prinz-ip der Etagen&garagen-Puffs Para-Grafen Jirgl löst so die Forderung von Viktor Šklovskij ein: Die Kunst ist ein Verfahren der Verfremdung alltäglicher Begriffe, durch das ein verlängerter Wahrnehmungsprozess erreicht werden soll. Ein automatisches Wahrnehmen wird verhindert. Statt etwas wiederzuerkennen, soll es „gesehen“ werden. Vortragende, Bücher Jaroslav Kovář Christa Wolf: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud Aleš Urválek Das Werk von Günter Grass nach dem Nobelpreis 1999 Martina Frolcová Martin Walser: Muttersohn Julya Rabinowich liest eus eigenen Werken Jan Budňák Eva Menasse: Vienna Vortragende, Bücher Hana Crhová Vladimir Vertlib: Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur Kateřina Zámečníková Dimitré Dinev: Engelszungen Vojtěch Trombik Christoph Hein: Weißkerns Nachlass Iveta Tomáštíková Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten Kateřina Hegrová Thomas Klupp: Paradiso Petra Haluzová Inka Parei: Die Kältezentrale