Linie Baeske (in der Niederlausitz) Linie Schneidereit (in Ostpreußen) Friedrich Christian * 1876 + L908 Heirat 1893 (leschwister: Hedwig * 1870 f 1941 (Spätherbst) Henry * 1865 f 1948 Heirat J890_Ursula * 1872 t 1926 Friedrich Heinrich Werner Heirat 1922 *26. 01. 1896inThalow f 24. 12. 1984 in Berlin Berufe: Gärtner & Wildhüter bei Dorset, Ladenbesitzer - Friederike Heirat 1919_Paul Karge * I893 f I964 * 1902 t 1958 Peter-Paul * 1930 t 1989 (Selbstmord) Johanne* * 1900 f gefall. 1916 _Johanna * 21.11. 1891 f 22. 12. 1974 Beruf: Gesellschaftsdame bei Dorset Geschwister: — Wilhelm_Elfriede * 1905 — Henriette * 1936 in Mathildenburg f 2000 in Berlin Johannas Freundin: Isolde Przemysl * 1895 in Przemysl (Polen) t ermordet: KZ Theresienstadt * 1898 f gefall. 1943 t Vater: Konrad Wernstorf Mutter: Helene Schwester: Hilde * 1903 t? — Anna * 1926 Tochter: Susi * 1950 — Bertha * 1928 —Joseph * 1900 f gefall. 1943 im Kaukasus Zwillinge, * 1910: — Pauline (1945 nach Lübeck) — Waltraut_Karl in sowj. Kriegsgefangenschaft verschollen - Petra Heirat 1958 Rudolph * 1930 * 1935 t 2008 f2007 Ralf * 1960 — Reinhold * 1937 _2. Ehe Gustav (nach 1945 in Bad Bentheim) August Adam_ * 1901 in Altendorf f 24. 12. 1939 (ermordet) Heirat 1935 Henriette Heirat 07. 03. 1960 * 1936 in Mathildenburg t 2000 in Berlin »Zwillinge«: — Henry_ Heirat 1992 * 16. 11. 1960 (amtl. Datum) f November 2006 Beruf: Germanist ■ Corinna Heirat 1985 * 16. 11. 1960 Beruf: Augenärztin Laura (»die Plinse«) * 1985 in Berlin Theresa Müller * 1911 in Altendorf f 1941 (Selbstmord) _Georg Heinrich (Ferdinand) Adam * 1935 in Altendorf Schwester: Felicitas (Lizi, Feli) * 01. 09. 1939 in Altendorf Dorothea * 1963 in Frankfurt a. M. Beruf: Journalistin Dieter * 1950 Beruf: Ingenieur (Hobby: Steinsammeln) Freundin zu Henriette: Dora_ * 1935 Roland * 1930 t 1995 (Lungenkrebs) Reinhard Jirgl DIE STILLE Roman Carl Hanser Verlag Ii ;t Photo 12 (hint. Reihe, v.li.n.re. 1 Unbekannte; Friederike; Elfriede; Johanna; Hilde; (Mitte) Hedwig; (vorn Ii. Henriette, re. Peter-Paul; auf Hedwigs Anwesen im Garten in Thalow, 1942 Diese !Nähe.....Verlfluchte Nähe..... Als würde jener Mann, der mein »Sohn« ist, nur fiir=mich eine teuflische Maschine verkörpern, die permanent ein Kraftfeld erzeugt, das, je näher ich diesem Menschen komme, mit der Maschinen eige- nen Sturheit all meine tiefe Scham gegenüber diesem Sohn in nichts als schäumende Wut & Tobsucht verwandelt. So daß all-1 beim Gedanken an das unmittelbar bevorstehende Zusammentreffen mit ihm, der mir durch seine Existenz eine Lebens=lange Beleidigung, eine Maske stillen erstarrten Gelächters..... ist, ich nur mit äußerster Beherrschung den Wutausbruch zu unterdrücken weiß. [— Deine Fingernägel graben sich in die Handflächen, bis aufs Blut—: der Aderlaß, zu verhindern, daß du die Hand gegen den »Sohn« erhebst. IWarum ist er nicht gestorben vor seiner Geburt, od: besser du vor dieser schandhaften Zeugung. —} Morgen wird er mir die Tür öffnen, — :& mir entgegenstarren durch die Gläser seiner Nickelbrille mit unsicher flackernden Augen, die Lippen vor den schiefgewaxnen Zähnen zum leidvollen Grinsen verschoben. Dies Gesicht mit seinen Zügen, will mir scheinen, älter wirkend als mein eigenes u: doch mir jedes Mal 1 Stich versetzend, weil [— weil du darin Etwas erkennen mußt, das wie das Flackern in seinen Augen ist u die linkische Manier vor Anderenleuten, als bettelte seine gesamte Erscheinung ums Daseinlassen ohne Schläge; von verdrückten Leidenschaften verzehrt, von Irrwegen nicht zuende gedachter und schließlich im Sand eigener Unzulänglichkeit versiegter Gedanken u Begierden; von Enttäuschungskerben zur Sichtbarkeit 1 nichtigen Aka-De-Micker-Lebens verzerrt -] er mir in Alldem unsere Verwandtschaft bezeigt. Dies bemerkte ich bei unserem letzten Zusammentreffen aus Anlaß von Henriettes Begräbnis —.— Und mußte erschrocken noch was Anderes feststellen: die Ähnlichkeit seines Gesichts mit dem von Felicitas: deren Physiognomie von Heute, einst gleichsam vorweggenommen, einbalsamiert & nun, nach Sovielenjah-ren gewissermaßen im Rücklauf, im Gesicht dieses Mannes schamlos & voller Hohn hervortretend — Ein IFluch..... Verlfluchte Nähe..... Und nichts ist vergessen, Alles kehrt wieder..... Zum ersten Mal seit-Jahren gestern abend beim Spaziergang mit Max, dem Hund, durch die backofenheiße Straßenflucht der Frankfurter Allee [— Und nun kein Tag mehr Zeit, keine Nacht — nur 1 wenig noch — paß auf: Ibald—] — unter der S-Bahnbrücke, zwischen zwei Brückenpfeilern aus Stahl, in eine der finsteren Mauernischen von der Hitzeaus-Tagen dort festgeklebt: !Dieser Geruch.....Mit solch unvermittelt grimmig=höhnischer Wucht sprang er mich an, fuhr aus der Vergangenheit von mehr als Vierzigjahren in die Sinne, traf ins Chemielaborder-Erinnerung, & gerann dort zur kom-packten Identität: aus dem Zusammenwirken von werweiß welchen Bestandteilen im gräulichen 64 65 Dreck verkrätzten Mauerwerks & Eisens hervorspringend der süßschwere Geruch vollerblühten Jasmins. — —* Ja: 's min —,— betörender Blütenduft und die Leibwärme 1 Mädchens — IRegen — Tageundnächte im Märzregen vor Dreiundvierzigjahren. — Lange ausgiebige Fluten glasklaren Regens, als sei die vorzeitig gereifte Frühjahrserde nun durch diese Regenschnüre mit dem tieflastenden Blaugrau unbeweglichen Himmels auf=immer verschmolzen. Tage^Nächte — und weiter stürzten die Fluten herab — schon stiegen kleinere Flüsse dann auch die Oder über die Ufer — Straßen Wege Felder Wiesen unter ihren Wassern begrabend — drangen in die niedrig gelegenen Anwesen ein, die Höfe staken wie klobige Schirfswracks in der kotfarbenen See, die riß in jauchigen Strömen davon was vordem säuberlich getrennt: aus Kellern Wohnstuben Stallungen & Küchen Festes&loses Gefugtes & Abgestelltes — Hausrat landwirtschaftliches Gerät Tierkadaver Mist Kleinholz u alljenes undurchschaubare Gewirre was zuvor den Menschen Besitz & Heim gewesen. Breite dreckig braunrote Strömungen — von strikter Unbedingtheit mit vormenschlicher Gier noch ungeschieden zwischen Vernichtung u: Fruchtbarkeit Dasland überschwemmend, rätselhaft Infernen bleibend das Ziel dieses Flutens —. Niemand der hier Lebenden erinnerte Isolches Hochwasser — Isoich maßlose Überschwemmung, die schließlich das gesamte Niederungsland um Altendorf in ein riesiges verstopftes, stinkendes Müll&leichenfeld verwandelt hatte. Fliegen..... umschwirrten alsbald in dunkeln böse summenden Wolken das Aas & den langsam im Schlamm versinkenden Häuserbruch. Das Frühjahr 1960: Nicht mal DERKRIEG hatte mit seinem Letztengeschlachte bei Halbe & um die Seelower Höhen Isolche Zerstörungen gebracht. Saat & Ernte für dieses Jahr in der Region zu Großenteilen vernichtet, die Tierzucht fur-Langejahre zuschanden; die Repressalien von Staates Seite gegen all-1 wirtschaftende Höfe wurden verschärft — Die-flut bot dem-Staat Die Gelegenheit zur Erpressung —, Hilfe erhielten nur die neu gegründeten eLPeGen; viele Bauern aus dieser Gegend verließen ihren Grund&boden. Übernacht sollte aus 1 Land Eine Zukunft werden ohne Gegenwart gewesen zu sein; — Parolen Posaunen Sirenen Stech-Schritt: hohles Trommelgedröhn & Kinder-in-Unifor-men, all-1 um lauter & greller zu tönen als die eigene Vergangenheit — ARBEITER&BAUERNSTAAT & SIEGER-DER-GESCHICHTE sich zu nennen, wie Hitler&stalin sich FÜHRER nannten, & den Be- 66 trug mit goldflitternden Statistiken bestäubend, u: wo der Goldstaub versagt: Parolen Posaunen Sirenen Stech-Schritt, — Delirien, Fiebergestotter, — darin Betriebsamkeit zu Vorwärts-&-Bewegung, Beweglichkeit zu Fortschritt hochgelogen —: ?!Wie lange hält ein Dilemma..... : Anderthalb Jahre später ward in Berlin DIEMAUER errichtet. IRegen — Tageundnächte Dieschwemme unaufhörlichen Regens — Jetzt schwemmten Diefluten im Friedhof die Särge aus dem weichen Boden heraus & aus den Feldern etliche Munition, Blindgänger von Fliegerbomben Granaten Minen vom LETZTENKRIEG —: Explosionen alter Munition schleuderten aus den schlammigen Fluten hochaufschießend trichterförmige Blüten Jauche&kadaver empor —, Zerstörtes noch einmal zerstörend. — Und jetzt, Felicitas, weil ich nicht mehr in deiner staubtrockenen heißen Stube dir gegenübersitze, in versinkender Sonnenschmelze die Umrisse deiner da=hockenden Gestalt wie einen größer und größer werdenden Tintenfleck in die Dämmernis des Zimmers nicht mehr sich ausbreiten sehen muß — einer jener Tintenflecke, die, voll der verräterischen Erinnerungen, die eigene=innere Landschaft der Alpträume kartografleren; — jetzt aus der Ferne kann ich dir erzählen, Iwas ich weiß von all den verlorenen, rausgerissenen und wahrscheinlich vernichteten Photographien aus jenem Album, das wie ein uraltes aus Ge&verboten bestehendes Gesetzeswerk aus allen Tiefen & Dunkelheiten zweier Familien hervorgekommen ist, getränkt mit Wut u Schande, aber vor-allem mit Gleichgültigkeit, mit Abkehr u lauem Verdruß. Jetzt, weil du nicht mehr da bist, kann ich dir von allem Fehlenden, von allem Verfehlten, erzählen. — Als der Regen begann, damals im Frühjahr 1960 (ich war schon 25, aber erst im 2. Semester des Medizinstudiums) fuhr ich an 1 Wochenende von Mathildenburg (du erinnerst dich, ich lebte mit Henriette seit unsrer Hochzeit dort, weil in Berlin keine Wohnung & somit die Zuzugsgenehmigung für Diesestadt nicht zu bekommen war) zu dir & dem Pfarrer Brickrau nach Altendorf. Mit meinem Studium war ich um etliche Jahre später dran, als Andere, weil im Arbeiter-&-Bauern-Staat 1 Pfarrers Ziehsohn als Herkunft die-falsche-Herkunft war. Zur Bewährung & zur Korrecktour solcher Ab=Stammung: Zwangsverpflichtung in die sozialistische Pro=ducktion = in den Braunkohlentagebau in Brachow für 1 Jahr.....: 1 Jahr=lang mehr&mehr abstumpfende Sinne, aus jedem Spiegel 1 müdes dreckiges Gesicht — ?meines. Und dem Pfarrer (der insgeheim sich schuldig fühlen mochte an solcherlei Zwangsverpflichtung seiner Kinder, der säkularen Form der 67 Erbsünde) blieb nichts weiter übrig, als mit einer seiner stummen, alt-testamentlichen Gesten mich mahnend zu verabschieden: Gehe hin inFrieden, halte deinen Leib in Ehren, & achte darauf daß es dir nicht ergehe wie einst Martin, meinem ältesten Sohn. - Der Pfarrer gehörte zu jenen Menschen, dem sich Erfahrungen mit Anderenmenschen nicht in Worte & Urteile, sondern in eigene Physiognomie u Gesten übertrugen. Aber ich hielt meinen Leib nicht in Ehren, !was auch ?ehren an diesem dreckigen müdgebeugten, zerschundenen Fleisch — & suchte, wie viele meiner Kollegen=ringsum, in der Sehnsucht nach Verschwinden & Kranksein den flüssigen Selbstmord-in-Raten, den-Suff..... - Und so hatte ich noch vor dem Ende des 1 Pflichtjahrs die Schnauze=voll u Keinelust mehr aufs Studium der Medizin. Wollt bleiben wo ich war & wer ich geworden war: im Braunkohlentagebau Säufer-&-Prolet-un-ter-Proleten. Nirgends ward Arbeit häufiger als Strafe verhängt als in 1 Land, wo Arbeit zum=Bedürfnis werden sollte. — Erst Henriette, noch vor unsrer Heirat, brachte mir den Mut zurück & mich aufs lange Gleis zum Studium. Ich bewarb mich erneut — erhielt vom Betrieb die Delegierung, denn augenscheinlich war ich jetzt angekommen wo Man mich haben wollte: die falsche Herkunft ausgeschwitzt bei der Malo-che, den Dünkel (den Man vermutet hatte) ausgekotzt nach manchem Saufgelage, war ich nun l=von-ihnen..... Im Herbst 1959 wurde ich immatrikuliert. Mein Interesse am Studium aber blieb ohne Feuer schon vor dem Beginn. Nur die trübe Aussicht auf Rückkehr=in-den-Tagebau sowie Henriettes Trauer über meine lebens=Gleichgültigkeit hielten mich in Berlin, Humboldt Universität, Fakultät Medizyn. -Meine Fahrt nach Altendorf in diesen ersten Märztagen 1960 war ""J Flucht von Mathildenburg, Flucht von Berlin & der Universität mit dem ungeliebten Studium, u vor-AUem Flucht nach dem ersten Streit mit Henriette. Wir hatten wenige Monate zuvor geheiratet, und dieser Streit war anders, als das aprilige Willenshakeln Frischvermählter, das ledig=lich erinnert ans Wetterumstellen auf eine neue Jahreszeit. Dieser Streit zwischen uns war Ernst. Worum Es ging — unvergessen: Um die-Väter, ums-Vatersein.....: um, Henriette, deine beiden schlichten Sätze: —Wir bekommen 1 Kind. Dm wirst Vater. S. 78, Photo IS -► Photo 13 (v.H.n.re.) Hilde; Elfriede; Werner; Johanna; vom Henriette; auf Friederikes Anwesen im Garten in Thalow, 1942 Unversehens fand ich mich damals in deiner, Felicitas, Redeweise: ich zog vor Henriette über den Spieler, unseren Vater, her. Und nicht all-1 über ihn; Alleväter bekamen schließlich von mir ihr-Fett=weg, diese '.Schläuche die besser als ins-Weib, auf die Herdplatte gespritzt hätten: !Da hättense wenichstens noch ne Plinse-von backen könn — schrie ich voll der flammfreudigen Bosheit, die ich im-Tagebau in=mir entdeckt & mit den zahllosen Schaufeln Braunkohle aus mir herausbefördert hatte im Drang zu verletzen. Und wußte damals nicht, daß eben durch solch pavianische Grobheiten ich mein Talent zum Vater-sein unter Beweis gestellt hatte. Denn die-Herrschernatur ist selber unbeherrscht, das-Herrschen wäre sonst nicht beherrschbar. Nicht nur gegen deinen Vater, Henriette, den Gärtner Krieger Kaufmann, richtete sich meine Wut: Gegen meinen Vater desgleichen od: vielmehr gegen mich=selbst u meine aus früher Kinderzeit her= rührende Anhänglichkeit an diesen Kinzkopf mit seinem unvorstellbaren Karten-Glück. Nachdem dich meine Ausfälle zunächst amüsierten (doch jeder Witz, dauert er zu lange, verbrennt zum Ernst), brachten dich meine Sarkasmen allmählich in Zorn, denn sie hatten alles Kindliche längst verloren. Mußtest du doch zurecht vermuten, daß meine Aversion gegen die-Vater-Rolle auch auf unsere Ehe sich bezog: Daß ich jegliche Nachkommenschaft verachte u: du auf 1 Eheleben in Kinderlosigkeit dich Igelassen hattest. Daß, wie einst deines Vaters Neffe, Peter-Paul, in seiner schwülstig-boshaften Manier auf meine Herkunft bemerkte: —Ein IFluch liegt auf dieser Sippe, der bricht irgendwann bei jeder Krähe aus diesem Nest auf wie ein Geschwür, und wird Tod&verderben bringen über alljene, die sich eingelassen..... haben mit den Fluchbeladenen — (:Das und noch ähnliches Zeug sagte er seinerzeit allerdings erst, nachdem Felicitas ihm auf die sentimentalen Angebote des um sechs Jahre Alteren entschieden & end=gültig eine Abfuhr erteilt hatte) : /- ? Weshalb aber mußtest du zum Verräter werden an deinem toten Vater; weglaufen auch vor ihm, um gerade=dadurch ihm noch einmal ?ähnlich zu werden —] — Und ich erinnere Die Stille nach dem Streit mit Henriette. Wie vor einem dichten schwarzen Wald stand ich vor dem stummbösen Willen dieser Frau - erstmalig - Streit, den all-1 =ich heraufbeschworen hatte, 68 69 u solch Weibliche Mauer steht gewaltig, undurchdringlich. Alles, was noch vor-kurzem Zugang u lichter 1-Blick schien —, verschlossen jetzt, den Augen entzogen; verirrt.....Und spürte vor Dieser Schwarzwand aus Stummheit mich kleiner und kleiner werden, hilfloser lsam —.— So war ich weggelaufen..... S. 110, Photo 19 -*t Hierher nach Altendorf mußte auf=Geheiß Der-Obrigkeit auch der betagte Pfarrer umsiedeln, inzwischen Witwer geworden. Ihm = der den Beistand für seine Gemeinde in Königshain freiwillig nicht hatte aufgeben wolln, hatten über Langezeit hinweg Staatliche-Stellen & die-eSEhDe-Bezirksleitung zugesetzt; schließlich hatten Die-Behör-den ihn & seine gesamte Familie aus dem großen Haus in Königshain kurzerhand hinausgeworfen, 1 Bagatelle wegen: mit der Stromrechnung für 1 Quartal war er versehentlich säumig geworden — der Tod seiner Frau setzte ihm zu, er verlor die-AUtag's Ubersicht —; das nutzten Die-Behörden & enteigneten ihn sofort nach dem Bau der BER-UNERMAUER. Daraufhin ward ihm & uns als Wohnort künftig Altendorf zugewiesen, das Exil im eigenen Land. — Denn der Pfarrer Brickrau u seine Gemeinde in Könighshain waren den-Staat's Ideologen, diesen Pfaffen der roten Religion, seit-Langem ein Ärgernis: immer mehr Jugendliche kamen in dem großen Haus mit Garten beim Pfarrer zusammen, besprachen sich indem sie eigenen Willen u eigene Worte entwickelten, ohne das Prüfsiegel der-Partei.....Denn siehe, wer nicht mit UNS ist, der ist wider UNS. Und wer wider UNS ist, den werden WIR verfolgen bis in sein letztes Atom. Und noch dieses letzte Atom werden WIR an DERMAUER zerquetschen, auf daß in-Zukunft niemend wider UNS sei, denn siehe: !WIR=ALLEIN sind das-Licht & das-Leben in Ewigkeit..... Und so brannte manches Licht als Verhör-Licht auf den Schreibtischen der DeDeR-Geheimpolizisten gegen die aus dem Haus des Pfarrers Verhafteten & Verschleppten; mancher Leben wurde zerstört in den Betonzellen der Gefängnisse, dieser Vorburgen für Konzentrationslager, die geplant wurden auch in diesem Neuen Deutschland bis ins Jahr 1989 -.- Und der schon betagte Pfarrer Brickrau sah Das, hörte Das : MAN holte ihn ab 1 Morgens, schaffte ihn nach Vockau in die Zentrale; dort zeigte MAN ihm, wie in früheren Jahrhunderten dem Delinquenten die-Instrumente, den engen Hof mit den Betonkäfigen, den Stacheldraht, die Zellen, MAN hieß den alten Mann Über-Stunden&stunden auf den Fluren An-der-Wand- 70 stehn —, bis er schwächlich zusammenbrach, — u: sich ergab der Übermacht. — Vielleicht war es Die Scham, die den Pfarrer daraufhin verstummen ließ; Scham, während seiner Stunden in der stumpfen Hölle das-Beten nicht gekonnt zu haben : GOtt so zu vergessen, wie Er uns vergessen hat —.— Kein Segen's Wort, all-1 der Geschmack nach Erbrochenem blieb in des Pfarrers Mund. Daß dem alten Pfarrer ausgerechnet in-der-Nähe zu unserem Geburtshaus seine künftige Wohnung zugewiesen wurde, das mochte der-Zufall gebracht haben. Der Rückzug von seiner Gemeinde in Königshain aufs Dorf jedenfalls mußte ihm wie das Iverständnis in die eigene Verbannung sein. Er— der uns Sovielesgelehrt hatte mit der viereckigen Sicherheit eines Mechanikers an der Theo-Logie=Maschine —, hatte aus seiner Gemeinde sich vertreiben lassen von den Bütteln 1 roten Faraos in Berlin, obwohl ihm nicht mit Kreuzigung gedroht worden war. ?Ob er sich daraufhin erinnert hatte der Altengeschichte um den verfolgten Petrus, der aus Rom hatte fliehen wolln und, schon vor den Toren & fast in-Sicherheit, dann Die Eine traurige Stimme vernahm: Ich gehe nach Rom, um mich noch einmal kreuzigen zu lassen. —:Aber Ostberlin ist nicht Rom, 1 Kleinstadtpfaffe kein Petrus; also blieb ihm, wie=immer, nur die eigene Stimme. [— Nun kein Tag mehr Zeit für dich, - nur noch wenige Stunden —] Also lebte er hier in Altendorf unge-kreuzigt; nach dem Tod seiner Frau, sodann nach meinem & seiner Kinder Auszug, mit dir, Felicitas, verlassen auf seiner Insel der Unbeugsamkeit. Dort, nun schon über die Siebzig — alles einst gedrungen Viereckige an seiner Statur war inzwischen 1 feineren, zarteren Erscheinung gewichen; nunmehr der Anblick seiner Gesichtszüge wie der von ausgewaschenem Sandstein-Fels —, geriet dieser Mann in Vergessenheit, letzthin zu Allenzeiten einer der glücklichsten Umstände für einen Aufrechten Menschen — Von seiner einst großen Nachkommenschaft warst ihm nur du, Felicitas, in seiner Nähe verblieben — alle übrigen, ins Land verstreut in die verschiedensten Berufe (keiner in den des Theologen), kamen allenfalls zu den kirchlichen Festtagen in das kleine Haus ihres Vaters zurück. Auch hatte am ältesten Ende der Kette seiner gezeugten Nachkommen schon das Sterben begonnen: Der zuerstgeborene Sohn Martin war am 17. Juni 1953 bei einem Un-f all ums Leben gekommen. Er war ein Abtrünniger der Religion seines Vaters & seit seinem 18. Geburtstag ein 1000%iges eSEhDeh-Mitglied. (All deine Kinder blieben nicht, wohin dein Felsengesicht sie hatte bringen wollen, — wie einst, so die 12 Apostel Heute: !Wer wills ihnen verdenken, daß sie 71 Leine-ziehn sobalds um den=eigenen Hintern geht — od was davon zu-Die-serzeit übrig war.) Aus eigenem Entschluß ist dieser Sohn auf die Groß-baustelle=Berlin in die Stalinallee als Bauarbeiter gegangen; an diesem Junitag morgens wie stets als Bestarbeiter der 1., heut aber der lzige der aufs Baugerüst stieg, u: selbst dieses Gerüst wollte offenbar an Streik & Aufstand sich beteiligen, also rutschte die Bohle, über die er lief, aus der Verankerung (Zu-Fall od Sabotage - das blieb ungeklärt) und so stürzte der junge Arbeiter aus etlichen Stockwerken Indietiefe. Es gibt Rekruten, die bereits auf den langen Truppentransporten=zur-Front umkommen, noch bevor sie überhaupt ein schlacht-Feld od: den-Feind zu Gesicht bekamen, geschweige denn jemals 1 Schuß abfeuerten: war der junge Pfarrerssohn, der sich von Vater&kirche losgesagt hatte, gewiß das 1. Opfer dieses siebzehnten-Juni-Neunzehnhun-dertdreiundfünfzig. So daß für den alten Pfarrer ein beständiger Bedarf an nachrückenden Familienangehörigen bestand, was ihn später (aber ?vielleicht war ihm schon Dieseslicht aufgegangen, als du, Felicitas, ihm gesagt hast, daß du schwanger seiest —) zu einem=bestimmten Plan angeregt haben mußte & er daraufhin Alles tat, damit du, Felicitas, bei ihm bliebst auch nach jenem Wochenende, geborgen in stummer kom=Pakter Verschwiegenheit, wie nur in-Dörfern Geschichten von Menschen & deren Taten-&-Untaten auch zu ihrer stummen Duldsamkeit finden. Und hier in Altendorf, da gab es ja noch diese=eine Altegeschichte um 1 gewissen Spieler & einen Totschlag, den Man Seiner 3cit dem-Pollacken angehängt hatte — unser Leben währet siebzig Jahre — und vielleicht wollte dieser alte Pfarrer aus Königshain, der das eigene Leben bereits überlebt hatte, schließlich bevor er starb wenigstens Diese=eine Altegeschichte doch noch in die !richtige Sprache übersetzen — Ich aber war geflohen aus Berlin an diesem Märztag 1960. Geflohen wegen deiner, Henriette, beiden schlichten Sätze; — die mich zersprengt hatten wie eine explodierende Granate, so daß ich nicht nur geflohen, vielmehr davongeschleudert wurde — Davon..... Während der Fahrt schlugen anfangs nur einige starke Tropfen gegen die Fensterscheiben des Uberlandbusses, der mich von Königshain über verstreute Ortschaften schließlich nach Altendorf in die Niederung brachte. Doch aus den stumpfgrauen Wolken rannen alsbald über das staubige Fensterglas helle Mäander herab. Derhim- mel, der zuvor Überwochen u vielzufrüh im Jahr sein tiefes fest gefügtes Blau mit Sommerhitze auf das Land gesenkt hatte, — jetzt war Derhimmel von Unheil dunkel & schwer wie Einmensch —. Regenadern zerfurchten die Sicht auf die unter Hitzeglut bereits vergilbten welken Felder&weiden — in das Motorgelärme des Busses mischte sich nasses Reifenzischen. Schließlich, vom Regen schraffiert, schwenkte auf dem letzten Stückchen Fahrt der aus Trühenjahren vertraute Anblick des Dorfes ins Blickfeld ein: — Gärten, Gehöfte, lzelne Häuser & sparre Obstbäume beidseitig am Kand der Straße, die schnurgerade das Feldsteinpflaster & den schmalen Saum aus Sand ins Niederungsland bis an die Oder führte —. Reglos schweigsam & still dort, wo Menschenhände zugepackt hatten & festhielten am Besitz aus Pflanzen&erde. Dem Ankömmling (ich war der lzige Fahrgast, den der Bus hierher an die Endstation brachte) erschienen die Gärten mit Zäunen & Gebüsch wie kleine Buchten im frühjährlichen Blättergrün, vornübergeneigt um besser hören & beobachten zu können. Und das Dorf verharrte still: eingeschlossen & stumm die Bauernhäuser, alter Uackstein, wetterbraune Dächer aus Ried; aus dunklen Ställen ragend fester Tiergestank — nur dadurch den Eindruck erweckend von überall hier verborgenem Leben. Vertraut u: fremd war mir die I )orfschaft weil allsamt scheinbar kleiner geworden, als in der Erinnerung verblieben (so wie die Körper alter Menschen zu schrumpfen scheinen, sich krümmend der Erde entgegen — u: sind dennoch wiedererkennbar unterm Faltenwerk der Zeit Dieselben). Mit meinem ltreffen damals kamen auch das Ende einer Frühjahrshitze u der Beginn des (Jroßen Regens..... Das kleine Haus des Pfarrers Brickrau am Dorfrand auf der höchsten Erhebung, verborgen lag es hinter dichtem Buschwerk aus schon voll erblühtem Jasmin. Noch hielt die vom Regen nicht durchweichte Luft den schäumenden Blütenduft um das Häuschen in betörenden Wolken fest. Zur Begrüßung an der Tür sagte der Mann nur Beiläufiges, doch überzogen die verwaschenen Züge in der Miene des alten Pfarrers ein deutliches Schimmern aus Wiedersehensfreude, & seine Bewegungen, mit denen er mir voran ins Haus zurücklief, gerieten rasch & geschäftig, als wollte er Vieles zugleich verrichten, — indem er in die schmale Küche eilte rief er ins Haus hinein deinen Namen: ILizi - und: !Schau 72 73 wer uns besuchen kommt — & noch bevor die Angerufene antworten und herkommen kann, schaffen seine flinken Hände selber Essen & Getränk herbei.— 8 Photo 14 Henriette; auf Friederikes Anwesen im Garten in Thalow, 1942 Zutiefst erleichtert war ich darüber, daß weder er noch Felicitas mich fragten, ?was mich so überraschend hierher geführt hatte. — Dann saßen wir — der alte Pfarrer, meine 21jährige Schwester, ich — beisammen in der kleinen Wohnstube um den ovalen Tisch, der beinahe den gesamten Raum füllte, auf der Tischplatte die schwere ockerfarbene Decke, die ich noch von-Früher kannte. Das Aroma heißen Tees umhüllte uns=in-der-Stube wie eine Erinnerung, - u Draußen schon, als würden Tierherden galoppieren, das harte GetrommelDesregens—. Das Werk des kastanienbraunen Regulators pickte die Zeit auf, jede Viertelstunde verkündend mit seinem altgoldnen Ton der wie Diezeit=sel-ber klang —.— Und so hatte ich selbst mit Erzählen begonnen: von Berlin, der Universität, und vor-Allem von meinem Streit mit Henriette, nachdem sie mir gesagt hatte, daß ich Vater-werden würde —.— Ich erzählte von allem was mir zuviel war, also erzählte ich von Allem. — —Du bist hier, weil du weggelaufen bist. — Stellte der Alte sachlich fest, nachdem ich geendet hatte. —Wer weggelaufen ist, der kann in seiner Spur kehrtmachen & wieder zurücklaufen. — Sagte er einfach. —Diskretion der Wölfe im Schnee. — Aber der Pfarrer überhörte meine Bemerkung, vollendete seinen Satz. —Niemand wird ihm danach ansehen, daß er weggelaufen war. — Und seine Gesichtszüge zeigten wieder das Unverwaschene, das steinern Viereckige das ich kannte aus Frühenjahren & das mich stets erinnert hatte an eine der uralten Gesetzestafeln, wie sie uns die Kinderbibel zeigte. Auch Felicitas hatte während meines Erzählens geschwiegen. Den Blick hielt sie gesenkt auf ihre Finger, die auf dem Tischtuch lagen u im langsam ins Zimmer sinkenden Dämmer aussahen wie dunkle Hölzchen. Der Pfarrer stand auf, ging zum Lichtschalter, — vergebens: —Kein- strom mehr. Schon jetzt. — Wir hörten Denregen.....Daraufging der Mann in die Abstellkammer, kehrte zurück mit Kerzen & Streichhölzern. Nachdem die leis knisternden Flammentulpen die Stube erfüllten mit ihrem heißen Wachsgeruch u dem ruhigen gelben Schein, sah mich der Mann lange u eindringlich an. —Und wenn du umkehrst, dann wirst du den Zugang zu ihrem Willen, wie du das nennst, wiederfinden. Er war ja ein Mal für dich da. Und da ist er noch=immer. Denn des Menschen Wille ist wie ein Brunnen, der manchmal verschüttet ist. Nur —, und seine Stimme nun wieder im Stubenton, —wird das Umkehren jetzt einbißchen dauern müssen. - Und legte den Kopfschief, lauschend auf den prasselnden Kegen.....— Der Abend war schon spät. —Du wirst übernacht hierbleiben müssen. — Sagte der Pfarrer. —Und vielleicht sogar noch länger, übers Wochenende. Denn bei Diesemwetter fahren keine Busse mehr. Und sie wird sich Sorgen-machen, deine Frau. — Dazu kniff der alte l'farrer die Augen zu, als prüfe er ein Gewicht. —Es wird wieder eine Überschwemmung geben. — Profezeite Felicitas. —Die Deiche sind alt u: halten nicht lange. — Über den gesamten Abend hatte sie geschwiegen, zu allem was ich erzählte kein Wort gesagt so, als wüßte sie bereits Alles, hätte dies genau=so, wie ich Es erzählte, vorausgewußt. Sie hatte währenddessen den Kopf gesenkt, als schämte sie sich hören zu müssen, was mir widerfahren war; ihre Hände auf dem Tischtuch wie zwei immer dunkler werdende tint-larbene Blätter. Nur ihre Lippen hatten fast unmerklich gezittert, als raunte 1 Souffleuse dem Aktör-Aufderszene die Worte eines fremden ' Textes zu, damit der Spieler Aufdemtheater nicht fehle —. Mein Gepäck war nicht für Reisen-mit-Übernachtung beschaffen, sah eher aus, als wäre mir die Wohnungstür hinterm Rücken zugeschlagen u: der Schlüssel steckte drinnen. —Du wirst wohl hierbleiben müssen. - Wiederholte der Pfarrer. —In deinem Zimmer, oben in der Mansarde, ist doch Platz=?genug. — Und schaute Felicitas an. —Soviel Platz, wie früher auch. — Sie stand auf, ging durch die Tür, über den Flur und die schmale Stiege-hinan. Ich folgte ihr. Und wie früher in Königshain in dem geräumigen Pfarrhaus mit seinen vielen Zimmern wo wir beide aufwuchsen, waren auch hier & Trotz der Engnis in dem Häuschen die Wände mit Bücherregalen & Ablagen vollgestellt, /erlesene Bücher u lose Blätter aus Ordnern & Mappen streckten ihre bleichen Papierzungen den Vorübergehenden entgegen, den Gang 74 75 den schmalen Flur und die Hühnerleiter-hinauf unters Dach bedrängend. Unterm schwanken Kerzenlicht schienen die papiernen Zungen noch vergilbter, als lägen abgestorbener Segen & Trotz darauf (gewiß des Pfarrers Predigten-von-einst während zweier Weltreiche Braun&-rot, all=zeit schwierige Redebalance zwischen Aufbegehren u: Konformismus; sie hatte der Pfarrer immer zu einem Buch binden wolln, es jedoch nie zuwege gebracht). Und wieder traf mich das Gerüchemischmasch aus altem Papier dumpfen Kleidern u Schuhn: Der Geruch meiner Kinder&jugendzeit in der Pfarrersfamilie, — u war nicht verschwunden, und würde auch niemals verschwinden, selbst nach dem zigsten Umzug nicht. Nur 1 Geruch fehlte. Doch ehe ich mich auf ihn besinnen konnte, spürte ich ihn bereits: Beim Betreten von Felicitas Mansardenzimmer jenen kalkig chemischen Tablettengeruch wie aus dem Apothekenschrank — in der Kemenate meiner Schwester 1 gesperrt, so beharrlich als seien die Wände damit gestrichen. Der Glauben's Geruch, das Chemische im Wort Katechismus.....Kein Jungfern-, eher Í Witwengeruch — der Geruch aller in diesem 21jährigen Mädchenleib schon gestorbenen Begierden, u: Izig ihre jugendlich straffe Haut schien nach diesem inneren Tod zurückgeblieben, noch unberührt von den Pfoten ungelenker Fantasiezerstörer..... — Und eilte in die Gaube zu dem kleinen 2flüg-ligen Fenster, riß es auf — im Restlicht des Abends sah ich in weiten grauen Mänteln rauschend den Regen übers Ried hinziehen - durch die vielzufrüh erblühten Jasminbüsche (Haus&gärtchen wie eine nach glückhaftem Vergessen duftende Wolke umschließend) — glaskalt die Regenschauer über sonnverbrannte Felder&wiesen kämmend, über welkes Frühjahr's Land, anzuschaun wie Kinder mit Greisengesichtern — unaufhörliches Rauschen — durch Stunden, dann weiter durch Nächteundtage —. Und Bäche u Flüsse, die Oder, würden in ihren Wassern anschwellen und die alten Deiche hinansteigen, so wie in manchem Frühjahr, als ich noch in dem Haus am anderen Ende des Dorfes wohnte; als Vater noch lebte u Mutter— unaufhörliches Rauschen -: Da warfeine Bö Regenschütten durchs Fenster herein, ich schloß es zu. Und sah mich um in Felicitas kleinem Zimmer, das ans Innere 1 Kiste od an 1 Käfig erinnerte, darin sich ein Wesen hielt, von dem man nicht wußte ob es harmlos sei od gefährlich. Weder an einen Mann noch an eine Frau od an 1 Kind erinnerte das banale Mobiliar — Tisch, Hocker, Küchenstuhl —, den freudelosen Raum fast auszufüllen schien das wuchtige breite Bett. Felicitas folgte meinen Blicken, ahnte wohl was ich dachte. —Es ist sein Bett gewesen. — Sagte sie und deutete kurz mit der Schulter nach-Unten. —Er hat es nach Ruths Tod hierherauf, in meine Kammer, schaffen lassen. Er selber schläft seither in der Wohnstube auf dem Sofa. Er hat es wohl nicht über sich gebracht, nachdem seine Frau gestorben war, weiterhin in !dem Bett —.— Felicitas beendete den Satz nicht. : Grauen bei der Vorstellung, nun heutnacht und Werweiß wieviele Nächte noch länger mit meiner Schwester mich niederlegen zu müssen in demselben Bett, worin dieser Mann mit seiner Frau deren Leben=lang Nacht-für-Nacht gelegen & das Dutzend Kinder gemacht hatte, und worin diese Frau vor einigen Jahren gestorben war. {Aus dem Nächtebuch eines Pfarrerbettes). (Und spürte mich schrumpfen u starr werden wie 1 Brett vor dem Anblick Dieser Stätte.....Heimlich taxierte ich den Küchenstuhl: !Nee. Auch ne Strafe: !Halsbein&kreuzbruch.) Die Kerze auf dem Tisch brannte ein ruhiges Licht, doch obwohl der Raum nur klein war, erschien seine Dunkelheit so groß & übermächtig, daß dies kleinelicht vergebens Dagegen .inzubrennen suchte. Manchmal aus den Balken Sparren Wänden des Hauses Knirschen, als kämpfte sich 1 Schiff durch Meer & Wogenschläge —. Inzwischen hattest du dich aufs Bett gelegt, während ich am Fenster stand u hinaussah in den lichtlosen Abend voll Regen. — IRegen..... Diese INähe — verlfluchte Nähe.....— 1 Spaltbreit hielt ich den Fensterflügel offen, grad soviel daß Wind den Regen nicht hereinwarf, — aber aus den üppigen Jasminsträuchern stieg der betörende I )uft in die Kammer (löschte den Tablettengeruch) und vermischte sich mit unsrer Atemluft. — Du lagst in Kleidern auf dem Rücken im Bett, das rotbraune Haar offen übers Kissen hingebreitet als läge dein Kopf mit dem hell schimmernden Gesicht auf einem großen weichen Fächer. Arme u Beine .msgestreckt, als machtest du im Wasser Toter-Mann, u sahst lächelnd zu-mir herauf. —Komm und leg dich her. Sagtest du ruhig. —IWie solchng mich Ihinleeng wenn Idus Ganzebett einnimmst. Maulte ich vom Fenster her u rührte mich nicht. — Jasmin — betörender Duft — diese INähe.....— Na komm. Wie früher. Und rücktest auf dem Bett 1 Stück beiseite. Ich setzte mich auf die Bettkante, spürte deine Körperwärme auf der Stelle wo du soeben noch gelegen hattest. —Sis zuengfür uns beide. Sagte ich (schon unsicher die Stimme), erhob mich wieder, nahm mir Kopfkissen & Decke vom Bett und legte mich auf den Ableger-davor. Du schautest über den Bettrand wie aus einem Boot zu mir herunter. -?!Willstu etwa da=unten schlafen wien ?Hund. Hörte ich deine Stimme, 1 wenig ungehalten od gekränkt, und: —Seinich lalbem: Zieh dich aus und Komminsbett. Wir sahen uns an. —Dreh dich um. Sagte ich dann in deine runden Augen. Leise kichernd bei soviel knaben=hafter Verlegenheit vor der eigenen, um 4 Jahre jüngeren Schwester kehrtest du dich zur Wand, und während ich meinerseits mich abwandte, meine Kleider langsam & stumm vom Körper zog, hörte ich in meinem Rücken andere, raschere Geräusche von Stoffen, als würden sie hastig untereinander tuscheln —, dann das helle Klicken von 1 Verschluß. — Und als ich mich wieder umwandte, lagst du, wie zuvor auf dem Rücken, Arme u Beine lang ausgestreckt — die nackte Haut schimmernd weiß u glatt - —Jasmin — betörend —Ja — Photo 15 (hint, v.li.n.re.) Johanna; Elfriede; Hilde; (davor) Henriette; (vorn mitte) Werner; im Garten von Hedwigs Anwesen in Thalow, 1942 —* Und nun auch ich, entkleidet, vor deinem Bett. Aber du machtest Keinstückchen Platz mehr, lagst u sahst stumm zu mir herauf. — '.Nein. Meine Stimme rauh & heftiger als gewollt: —Sisheißhier Inderkammer und. Dada schlafm wir wohl kühler, wenn du u: ich Inicht in demselben — Aber du hast mich nicht ausreden lassen; hast dich, noch immer stumm, vom Bett etwas erhoben, die Arme nach-mir ausstreckend meine Hände ergriffen, deren Finger — ich erinnere mich — abgespreizt wie Griffel aus Holz. Aber deine Hände schlossen sich fest um meine Handgelenke; (u spüre diesen Griff noch heute); sie wollten in ihrer Festigkeit nichts von meiner Scheu zulassen —: solch Festergriff, das warst nicht eigentlich du — Das & wie du mich zu=dir gezogen hast: Das war Etwas außerhalb deiner; Das & die Geschmeidichkeit deiner Bewegung mit der du mir entgegenkamst, indem du mich zu=dir zogst auf das Bett (auf diese pastorenhafte Lagerstätte, darin über Dutzende-von-Jahren der 12-Kinder-Segen aus einer, wie das heißt, gottgewollten Ehe herniederkam plus zusätzlich vier Fehlgeburten, die gewissermaßen als Bonus der Gottgewolltheit dieser Frau, die zu unserer Mutter geworden war, beschert wurden; — dies & dann ihr Tod: auch in diesem Bett; eine mit keuchendem Atem geschriebene Geschichte, der bislang nur dieses=l Kapitel noch gefehlt halte, um vollständig in Allesmenschliche hinabgetaucht zu sein: Zwischen (lebären u Sterben dies von Bruder- &-Schwester, apokryfe Schrift des Fleisches, die ihr dunkles Licht der Schändung über den niedergelegten Innungs-Segen ausgießt & daraufhin ins übrige Geschriebene sich hineinsetzt wie ein heimlich gesprochener Fluch) — und auf dem Laken dein Leib wie eine geöffnete Hand — (solch Gebärde, Felicitas, aus Einernatur noch lange vor der Teilung in Tier u: Mensch) —IKomm. — (:Und war die-Eine-Stimme aus Zeiten weit vor dir —) — — Und deine Arme zogen mit einer einzigen Bewegung meinen I eib herab auf das Bett und ich folgte diesem traum=haft langsamen unnachgiebigen Drang — Jasmin Ja: 's min Ja 5 min — und dieser Duft brannte aus unseren Leibern hoch, brannte unsere bloße Haut, ließ unser Fleisch zu=ein=ander u lohte im Atem, heller u stärker als alle Scham.-- S. 285, Photo 52 —* Von langsam erstarrendem Beton angefüllt, so erschien das Haus mit I )em Schweigen darin, lzig der regelmäßige, dürre Schlag des Uhrwerks klopfte gegen den Block an, erfolglos doch unermüdlich, — lzi-ger Herzton für Leben. Und dies steinernfeucht Mörtelige lag nicht nur auf den Zungen der 3 Menschen hier in der Stube u hätte den Geschmack des Essens verdorben, wäre nicht jeder lzelne Bissen ohnehin von jener Allesklammheit aus Großen Regenfluten durchtränkt. Zudem der auf=dringliche Jasmin, als sei die Regenluft durchbeizt vom schwersüßen schwesterlichen Arom, — resistent gegen schlammbrak-kige Flut=Draußen : so daß jeglicher Essensgeschmack war als stopfte man süßliche Lehmklumpen in den Mund. Und legte sich auch mit heton=hafter Zähigkeit auf alle übrigen Sinne, mauerte-sie-ein, machte unfähig zum Handeln. Seit-Stunden schon stand ich am Fensler, starrte auf die Glasscheiben — vermied alles Essen u selbst den lllick-hinaus ins feuersteinschwere Grau der Luft. Dortdraußen voller (lleichmaß u stupider Beharrlichkeit wie das Rauschen eines Wasser-Iii Iis Derregen..... Aber Es konnte nicht so bleiben, wie Es jetzt war. Durch diese uhrwerkhafte Betulichkeit schien mit jedem Schlag die-Zeit Leben zu zertrümmern —, bis keines mehr übrig war, auch keine Atemluft mehr 78 79 u Alles=l wäre. Und der süßlichfeucht nach Jasmin riechende Lehm, der stieg bereits wie eine Schlammschicht in das langsam versinkende Haus ohne Atemluft. Deshalb mußte es zurückkehren, das Atmenkönnen, zurück in diese schlammigsüße Luft. Mit Allermacht. Jetzt. ISofort. -ÜSetz dich her & Hiß. - Schrie Felicitas plötzlich vom Tisch her. -Meinstu dein Essen is ver?!giftet. ?Oder hab ich vielleicht ne an= steckende ?!Krankheit -.- Dann verschloß Weinen ihre Stimme. Um Diestille, vom 1 tönig pickenden Laut des Regulators zeitlos gemacht, wars geschehn : Als hätten diese rauhgeschrienen Worte das Uhrwerk zerschlagen. Doch auch ihre Worte wurden sofort von Feuchtigkeit umschlossen, gleichsam als wären sie in eine Wasserwild-ness hin 1 geworfen, darin sämtliche Laute wie sämtliche Verzweiflung ohne Widerhall sumpfig untergehen und ersticken müssen. Ich stand schon während des 2. Tags Stunde-auf-Stunde am Fenster (Draußen unaufhörlich stupide Flut.....), ließ fast alle Mahlzeiten aus u schaute wie nach Befreiung mich sehnend Dorthinaus, das Ende des Regens u meine Abfahrt von hier erwartend. Ausgekühlte nassrüchige Luft, vermischt mit dem Moder aus junger von Denwassern zer-schwemmter Märzerde & durchnäßten alten Holzbalken, durchdrang längst auch dieses Haus (hatte den Jasminduft davongeschwemmt) und dafür schien mir jener kalkige Tablettengeruch aus Felicitas Zimmer nunmehr in sämtliche übrigen Räume gedrungen - jetzt als stockig dumpfer Kreidegeruch wie aus frühen Schultagen gekommen. : Felicitas grelle Stimme, hineingestürzt in die vom Regulator zerpickte Stille, hatte mich hochgeschreckt, — wie aus Tiefemtraum gestürzt sah ich zu ihr hinüber. Und begegnete dabei dem Blick des Alten, der, ebenfalls seit-Tagen stumm, am Tisch beim Essen saß. Er hatte nur kurz von seinem Teller aufgeschaut (er wußte, daß ich nach Diesereinennacht aus der Mansarde ausgezogen & zum Schlafen meine Matratze auf den Dachboden zwischen alten verkwollnen Möbeln & Pappkartons abgelegt hatte, doch hatte er vermieden, Dengrund hierfür erfahren zu wollen), - sein Blick in meinem : So hatte der Mann jetzt Alles begriffen. Ruhig, als sei Nichts geschehn, aß er daraufhin zuende. In seinen Gesichtszügen erneut jene dreist-sichere Ruhe von Menschen, die immer Recht-haben. — Und Regen.....- Regen.....unaufhörlich - Die Hochwasser hatten die Niederung erst überflutet - Diewasser wie dreckige Flüche & Verwünschungen aus den Ackerfurchen hochgestiegen, verhielten starr u dämmerungsgrau, wartend bis AUesleben in ihnen versunken, — danach erst waren sie langsam als leblose große I Liehe zu stahlgrauer Glätte gezogen durch das Land geglitten, lautlos unbeirrbar einem unergründlichen Ziel entgegen, — Trümmer & Kadaver darin die Inseln der Unseligen, auch sie trieben mit dem Strom dahin, - vorüber. Auf Land&weiden in Gehöften in Stuben u Stallungen zurückbleibend kotig stinkender Schlamm — lzelne Telegrafen-n lasten staken dürr u wackelig im aufgeweichten Grund als schiefe ()belisken, Male für einst hier siedelnde Menschen —, in den Behausungen die Wände u Möbel beschmiert mit verkrusteten Flutmarken, den Eintauchtiefen ins Unglück, u aus den Häusern kwollen nasser (lestank des Todes wie aus den weit aufgerissenen Mäulern ersoffener Tiere — mit grotesk gebäulten Leibern langsam mit den Fluten treibend- /— und noch 1 wenig weiter — keine Tage mehr — dir nur paar Stunden noch —] Nach 5 (u: nicht nach 40) Tagen&nächten=Regen war Dieflut vorbei. Als 1 der wenigen Anwesen in der Umgebung war des alten Pfar-iv rs Haus auf der Anhöhe vom Hochwasser verschont geblieben. Und nach weiteren 5 Tagen fanden 1. Hilfsmannschaften — Polizei Feuerwehr Krankenwagen & Militär von den Grenztruppen — in die überall wemmten Dörfer, Bewohner & Tiere & alles nötige unzer-schwemmte Hab&gut fortzuschaffen, — so fand auch ich heraus aus der /eitlosigkeit einer Großenflut, & kehrte zurück in den April des Jahres i960, nach Berlin auf die Universität; kehrte zurück nach Mathildenburg ins da=Heim zu meiner Frau, Henriette. Und zweier Uhren zählten fort=an sichtbar die weiblichen Monate=Warten. S. 117, Photo 20-* Felicitas kam nur an den Wochenenden noch hierher=zu dem Pfarrer nach Altendorf, doch ihre Schwangerschaft blieb den Augen der I )örfler natürlich nicht verborgen. Doch hatte der alte Pfarrer es verslanden, zumindest die Geburt des Kindes, soweit das möglich war, vor-dem-Dorf geheim zu halten, weil die Geburt in Vockau war, wo I vlicitas ihr Pädagogik-Studium auf der Fachhochschule absolvierte. Am 16. Dezember 1960 morgens gegen 8 Uhr kam das Kind (anderthalb Monat zu früh) in der Frauenklinik in Vockau zur-Welt.....— I Sohn. Felicitas hatte keinen Namen für ihn. An Alles hatte sie ge- dacht, als sie=allein auf Diesentag sich vorbereitet hatte, einen Namen für Daskind auszusuchen aber glatt vergessen, gradso als hätte sie während Allderzeit des Wartens an die Geburt u das Dasein 1 tat=sächlichen Kindes nicht geglaubt.— Da gab Henriette, meine Frau, dem Jungen den Namen Henry. —Wahrscheinlich, weil sie bei der Namensgeberei gradmal dabei war, sozusagen in 1 Abwasch. Sie war ja immer eine ! Ganzforsche, deine Henriette: immer Frisch=voran über Allehürden ohne Punkt&komma hinweg nach der Art jener Frauen, die sich stets im Mittelpunkt 1 Bühne sehn. Nur 1 Monat zuvor, am 16. 11. 1960, in einer Mathildenburger Klinik, hat sie selber 1 Kind geboren: Corinna — :!auch dein Kind, Georg. So bist du innerhalb von 1 Monat 2 x Vater geworden. Und warst doch schon vor der Aussicht aufs 1. Mal Vater-Sein davongelaufen......Also hörtest du mich nicht, als ich zu dir sagte, daß besser als Keinefamilie wir beide, du u ich, füreinander hätten da sein können. Wir hätten zusammen=bleiben können wie einst, als zu deinen Fluchtversuchen aus dem Waisenhaus du Mal-für-Mal mich=Huckepack mit dir nahmst, damit Die..... uns niemals trennen könnten. Doch du, Georg, hast niemals Vielahnung von Frauen gehabt. Also weißt du nicht, daß für euch-Männer Dersex = Das Ziel ist, für uns-Frauen Dersex aber nur Der Start. Somit habe nicht ich, sondern !du hast verzichtet: Verzichtet auf Ideinen Anfang. Daran wollte ich dich erinnern. ?Hast du das nicht ^begriffen, Damals an jenem Märzabend du=u=ich —. Aber du hattest deine Lektion lstudiert, & die hieß steinern &stur: '.Weglaufen. Von der Traufe in den Regen. — —Du ?lachst mich laus. IRecht so. Schwester Lein. Lach solang es noch Geschichten zum Lachen gibt. —Ich lache ja garnicht. Jedenfalls nicht über dich. Das müßtest du doch wissen nach Sovielenjahren. Und ich weiß auch, daß diese Geschichte, wenn du sie weitererzählst, nicht stimmen würde. —* —Seit Demtag, als ich bemerkte daß ich schwanger war und das dem Pfarrer sagte (der seinerseits aus deiner eigenen hastigen Erzählung-von-einst wußte, daß auch deine Frau, Henriette, 1 Kind=von-dir erwartet; und als er hörte, daß Meinkind zu früh gekommen war — Isofrüh, daß es wie ausgerechnet schien —), da ergriff der-Mann in diesem alten Pfarrer Die Initiative; ein Mann, der das-Vaterunser sozusagen vorwärts u rückwärts kannte & dem 90. Psalm zu leben suchte bis zu seinem letzten Wort. (Denn während seiner Übersiebzichjahre mußte Es ihm oftmals hochgekommen sein: nicht nur im Fleischlichen, auch im An-Schaulichen von Willen&wahn der-Menschen.....) Und so ward aus dem kleinen, hinter üppigem Jasmin verschanzten Häuschen iiuj der lzigen Anhöhe in Altendorf gewissermaßen der feld-Herrenhügel fürs ^ lann-över zum weiteren Leben zweier Menschen. (Das, wie der Mann&pfar-rer beabsichtigte, auch weiterhin geschützt bleiben sollte vor dem neu=gierigen Sinn der Dorfbewohner &, soweit möglich, selbst vor dem Rest an Verwandtet haß, in die du, Georg, eingeheiratet hattest). Henry, '.mein Sohn, Man nahm ihn mir fort, er mußte, wie der Klinikton tagte: in den Brutkasten. Danach sollte ich meinen Sohn niemals zurückbekommen. Der Pfarrer Brickrau, als mein Ziehvater, war in der Klinik erschienen & hatte das Neugeborne an=sich genommen — doch nicht zu=sich nach .Hiendorf, sondern hatte es zu deiner Frau, zu Henriette nach Mathildenburg, gebracht. '.Das war Sein Plan von-Anfang=an (nur ich hatte Davon viel=zu-sjtiit erfahren). Nur '.Eines habe ich nicht herausgefunden (und werde Das auch niemals können, denn der Pfarrer & Henriette, deine Frau, sind tot): ?'.Wie mochten v/'c Es damals gedreht haben, um die beiden Neugebomen — das 1 in Mathildaiburg am 16. 11., das andere genau =einen Monat später in Vockau—bei tlcn-Behörden trotzdem als '.Zwillinge ltragen zu lassen: Henry u Corinna, geboren.ain 16. 11. 1960 zu Mathildenburg von Henriette Adam, geb. Baeske. S. 285, Photo 52 —* Von der Überschwemmung in jenem Frühjahr 1960 waren viele Dör-ler in der Niederung zerstört worden, Altendorf beinahe vollkommen. I,s gab auch einige Tote: darunter den Bruder jenes Gastwirts, Vater nnsrer Mutter & Anführer des Lynch-Mobs vom 24.12.1939, sowie noch mehrere Andere, Setner 3eit am Mord unsres Vaters ebenfalls lieteiligte aus Altendorf. Der Bruder des Wrts hatte einst an jenem Weihnachtstag dafür gesorgt, daß Man seinen schwerverletzten Bruder •in den Kampfort am Ufer der Oder zurückschaffte, um ihn dort sterilen zu lassen, weil er dessen Gasthof besitzen wollte, was auch geschah. (Vorjahren aber hatte die H.O. ihm den Gasthof genommen; ,ilt verbiestert krank lag er schon seit-Langem zu Bett, als Dieflut ihn packte.) Vielleicht hatte daraufhin der Pfarrer Brickrau erkannt, daß nun für ihn hier nichts mehr zu tun war; seine Aufgabe war erledigt (er würde sagen durch Gotte's Hand). Doch !?wer vermag nach Erledigen seiner Aufgabe auch zu !sterben. So blieb ihm vielleicht eine Letzte I xeude, die darin bestand, eine Liste aufzustellen von Leuten, die nach Maßgabe seiner granitenen Gesetze mit-Sicherheit in die Hölle fahren würden. Und oben auf dieser Liste — sie mochte länger & länger wer- 82 83 den mit Jedemtag längeren Lebens —, da standen gewiß des Pfarrers eigene Kinder.....Jenes Dutzend Abtrünnige (als die er sie empfinden mußte), denen er Die-Sünde & ihre Bestrafungen wohl etwas zu Le-ben's nah ausgemalt hatte, so daß sie prompt deren Verlockungen erlagen (wobei angesichts des madigen käsiggrauen Lebens-hier im sozusagen landesweiten Altendorf selbst Die-evangelische=Hölle noch als reiz=voll erscheinen durfte). So lebte nach Erledigung seiner Aufgabe der alte Pfarrer Brickrau noch 1 ige Jahre dahin —, bis seine Augen Gott&diewelt verloren. Und hatte Vorderwelt sein Wissen auch um Diese-eine-Geschichte mit=sich Indieerde genommen. Nur Peter-Paul (der einst von Felicitas Abgewiesene) machte auf einem der Familienfeste am Tisch den anzüglichen Witz: —Unterhalten sich 2 blon-Dienen. Die 1, die vor kurzem Zwillinge geborn hat, sagt zu ihrer Freundin: Den Vater von dem 1 Kind kenne ich: ?Wer aber der vom 2. sein könnte, das weiß ich nich. — Die Runde schwieg betreten. Peter-Paul, allein lachend & giftvoll weiter: —Und was für ne Blonde gilt, das gilt erst recht für ne !Rot\ —'Genuk. — Zerhackt ihm Werner den Spott. —Es Ireicht. —>Der Name des Vaters ist das Geheimnis der Mutten. — Trat mit spittser Zunge Peter-Paul noch 1 x nach, dann schwieg er: vorsichtshalber: Werners Augen warfen auf=ihn zwei faustharte Blicke. Und niemand in-der-Sippschaft focht jenen Zwillings-Status von Henry u: Corinna jemals wieder offen an. —Peter-Pauls Leben — als zwar unfreiwilligem, doch unentrinnbarem hage Stolz (an dem das-Junggesellentum wie ein eigener fester Geruch haften blieb) — war alles-in-allem so verquer gegangen, daß er, und seit Diesemtag verstärkt, darüber zum Familien-Thersites geworden war. Dabei entpuppte er sich sommers bei den Familienfesten in Thalow zum Sitzenbleiber, einer, dessen Hintern am Speisentisch wie festgebacken saß, & blieb stur hocken noch über die Essensreste & die Neige hinaus. Ein Witzbold in der Familie bemerkte einst, Peter-Paul sei gar-nich so übel, er habe nur den falschen Apostel-Namen: eigentlich sei er der Jünger Johannes, von dem es auch heißt, daß er bleiben würde bis zum letzten Gericht. Doch die seelische Giftdrüse hielt Peter-Paul als Thersites fest, und gleich dem klassischen Vorbild blühte auch ihm für seine bösen Spitzen bestenfalls das Maulverbot. So verstarb er im Sommer 1989. —Na, Lizi - obwohl er spät festgestellten Magenkrebs hatte und (wie der Skorpion am Eigengift verrecken kann) nich mehr viel zu machen war, wie I )amals die-Ärzte sagten — so lfach »verstorben« isserjanunich. Al-Ii m Iii igs: ? Vielleicht hat ihn die Aussicht auf baldigen Tod zu dieser Tat im Sommer 89 gebracht — !Still. Nichts davon jetzt. 9 ii, i .i so, in.