Präludium: Der Wein des Doktor Cremonius Mich fröstelt's, und das Feuer ist am Erlöschen. Der Herbstwind bläht mir den Mantel auf, daß die geflickten Löcher nach allen Seiten starren wie die Teufelsfratzen. Der Regen schlägt einen Trommelwirbel um mich her und dröhnt und prasselt, als war' die Welt mit Kalbfell überzogen. Eine Nacht, dazu geschaffen, sich am Lagerfeuer zu erwärmen und im Kreise grauhaariger Kriegsgefährten bestandener Abenteuer zu gedenken. Aber ach, heute steht mir der Sinn wahrlich nicht danach, denn während fünfzehn Stunden bin ich vom Rücken meines lahmen Gauls nicht zur Erde gekommen. Den sächsischen Kurfürsten, den großen Papstfeind und Lutheraner, der die Einung der evangelischen Fürsten gegen den Kaiser zustande gebracht und auch die Böhmen zu einem Aufruhr angestiftet hat, den haben wir gefangen und hierher in des Kaisers Feldlager geführt, daß er morgen einen Fußfall tun muß vor dem Carolus Quint und ihn demütig seinen allergnädigsten Kaiser nennen. Jetzt führen sie seine Kanzler und Ratsherren in Fesseln vorbei. Der alte Mann ist auch dabei, den ich bei Mühlberg mit dem Säbel über den Kopf geschlagen hab'. Er trägt eine blutige Binde um die Stirn, läßt den Kopf hängen, ist fast traurig und verzagt, weiß es wohl, daß er ihn nicht lange mehr zwischen den Schultern wird tragen dürfen. Ja, Brüder, jetzt seid ihr fast verzagt, aber wer hieß euch dem Kaiser aus Ingolstadt solch einen trotzigen Absagebrief schreiben? »Wir geben dem Karl, der sich den fünften römischen Kaiser nennt, kund und zu wissen, daß er pflichtvergessen gegen Gott und an der Nation eidbrüchig gehandelt hat.« Ja, jetzt wird euch der Kaiser schon die rechte Antwort geben. Wer riet euch, ihr armen Schelme, die Finger in solch einen Handel zu stecken? Seht mich an, Brüder! Ich bin auch lutherisch. Reit' dennoch mit des Kaisers Haufen, schlag' zu, stech' und schieß', wen er mich stechen und schießen heißt, es gilt mir gleich. Treib' nicht viel Lärmens mit meinem Glauben, halte Frieden mit allen schwarzen Kutten, grüße eine jede von den spanischen Gecksnasen zuerst, die jetzt allenthalben durchs Lager stolzieren und sich an des Kaisers Seite blähen in ihrem Narrengewand. Ihr aber, liebe Brüder, habt alleweil euren Glauben stolz im Mund geführt wie ein Feldgeschrei, dafür tragt ihr jetzt eure Köpfe dem Henker hin! 5 Sie sind vorüber. Mit Stößen und Schlägen haben sie die Knechte vorbeigetrieben. Es ist Stille wieder ringsum. Ich bin müde, ich wollte, es käme endlich der Schlaf. Aber ach, mein Schlaf ist, will mir scheinen, auch solch ein stolzer, spanischer Alamode-Geck geworden. Er ist gar hochfahrend, will nicht kommen, wenn ich ihn rufe. So werd' ich denn die Augen schließen und an vergangene Jahre denken. Die Tage und Stunden meines Lebens sende ich aus. Wie die Falken sollen sie durch die Zeiten fliegen und mir Menschen bringen, die ich gekannt hab', Freuden, die ich einst genossen, Schmerzen, die ich gefühlt, Sünden und fromme Taten, die ich begangen hab'. Die will ich aneinanderreihen und aus ihnen ein Jahr meines Lebens zusammenfügen. Das will ich mit beiden Händen fassen und hineinblicken wie in einen Spiegel, daß ich mein Antlitz von einst darin finde und das Antlitz andrer Menschen, die ich liebte oder denen ich gram war. Denn vielen von den Großen dieser Erde bin ich begegnet. Dem Frundsberg und dem klugen Ronan; dem wilden Christian von Dänemark, dem Ferdinand Cortez und dem Niklas Salm. Von denen will ich einen in mein Erinnern zu Gaste laden, daß mir diese endlose Nacht vergehe! Ach, meine vergangenen Tage und Stunden kommen mit leeren Händen zurück und bringen nicht Gesichter mit sich noch Gestalten. Keiner will kommen von denen, die ich rief, sind alle aus meinem Erinnern geschwunden, haben mir nichts gelassen, als von ihrem Namen einen leeren Klang. Und mein Leben selbst ist blaß geworden, und ich finde mein eignes Bild nicht mehr darin. Jahre sind da, die sind mit einem Male so leer, als hätt' ich sie nie gelebt, und waren doch angefüllt bis an den Rand mit hundertfältigem Geschehen. Und andre Jahre sind da, in denen ist solch eine Verwirrtheit aller Dinge, daß das Gestern auf das Heute folgt, und Pfingsten liegt vor Ostern, als wäre der goldene Faden zerrissen, an dem die Stunden meines Lebens aneinandergereiht sind. Und wenn meine Gedanken durch mein vergangenes Leben ziehen, so ist es so, als ginge einer durch ein unbewohntes Haus, da sind viele Zimmer leer, andre wieder angefüllt mit törichtem Plunder, wurmstichigem Hausrat und verstaubtem Gerät, das wirr und sinnlos durcheinandersteht. Manchmal steigt ein vergessener und verlorener Tag in meiner Seele auf. Dann seh' ich mich plötzlich närrische oder grausame Dinge begehen, ohne Sinn und Zweck, so daß ich mich über mich selbst verwundern, auch lachen oder gar zürnen muß. 6 »Possen! Er lebt! Ich weiß es besser!« Ihr wirres Gezanke verhallt mir im Ohr, ich höre nicht mehr, was sie noch weiter von dem Deutschen und seinen drei Kugeln erzählen. Mir ist, als hätt' ich dereinst dies Märlein gekannt. Dunkel hab' ich's im Kopf, weiß nicht woher, las es vielleicht in einem törichten Buche, im >Amadis< oder im >Ritter Löw<. Wie ging es nur? Drei Kugeln - einen edlen König traf die erste, ein unschuldiges Kind die zweite -, wie ging es weiter? - Wen die dritte? Ei, was schert das mich! Der Kopf ist mir schwer geworden von des Alchimisten Schwefel. Um meine Stirne liegt es wie ein eiserner Reif. Bleigewichte hängen an meinen Lidern, und dort steht der Schlaf. Er ist ein gar stolzer spanischer Herr, geht hochfahrend seines Wegs, tut, als kenne er mich nicht. Eine weiße Krause trägt er um den Hals, ein Helmbusch nickt bei jedem Schritt von seinem Haupte, schwarz und weiß - in seinem Küraß spiegelt sich die Welt. Was trägt er in den Händen -ein blankes Schwert - in Flammenschrift glüht darauf: Ruhet ensis sanguine hostiuml Nun steht er vor mir, - kalt rinnt mir's durch die Glieder - er wächst empor, riesenhaft, bis an die Sterne ragt sein Leib, die schwarzen Wolken des Himmels ziehn an seiner Stirn vorbei - das Blut träuft wie Regen aus seiner Faust - ein Berg liegt auf meiner Brust - ich will um Hilfe rufen - das ist der Ferdinand Cortez, Gott sei mir gnädig! Er spricht zu mir - ein Donnerschlag dröhnt aus seinem Mund: »Gebt die Arkebuse zurück, Wildgraf am Rhein!« Wer - wer hat den Namen genannt? Es hat einer gerufen: Wildgraf am Rhein! Der ist längst tot, was hab' ich mit ihm zu schaffen! Den hat der Kaiser in allen Städten auf Gassen und Plätzen in die offene Acht ausblasen lassen, ich kenn' ihn nicht -ich bin der Hauptmann Glasäpflein - hab' keinen andren Namen - jetzt - wieder hat's einer gerufen: »Wildgraf am Rhein!« Von den Musketieren ist es einer, der hat den Namen genannt, der längst vergessen und verschollen ist. Ein spanischer Reiter ist's, ein alter Mann von schlankem Wuchs mit grauen Locken und grauem Bart. Sie lagern alle im Kreise um ihn, er spricht, einer schlägt leise die Trommel, die andern schweigen und horchen. »Aber daß ihr den Grafen am Rhein vergessen habt, ihr Deutschen: pfui der Schande! Lobpreiset und bewundert ihr doch jeden Schelm, der es zu Dignitäten bringt, wenn aber einer ohne Stern wider den ganzen Haufen ficht, dessen gedenket ihr nicht. 14 Wahrlich, wer fällt, über den läuft die Welt hin. Wir Spanier sind des Grumbachs Feinde gewesen, haben ihm seine Knechte erschlagen und ihm viel Schaden und Abbruch getan. Und dennoch, wenn ich euch jetzt die Historie vom Grumbach und seinen drei Kugeln erzählen soll, so gestattet zuvor, ihr Herren, daß ich ihm eine Ehre erweise auf kastilianische Art: Ich grüße dich, Wildgraf am Rhein! Über Meere und Zeiten hinweg grüß' ich dich, einsamer Mann. Du bist vor dem Zorn des Cortez nicht gewichen, hast unverzagt mit deinen drei Kugeln der ganzen spanischen Armada Trotz geboten. Und da du nun ruhst in fremder Erde, und keiner sich deiner entsinnt im deutschen Land, so will ich es sein, der dich heimbringt aus deinem welschen Grabe in ein deutsches Lied.« Drei Kugeln ... die Arkebuse ... die spanische Armada - ja, alles dessen entsinne ich mich plötzlich ... Gestalten tauchen empor ... braune Männer, die Ruderboote auf den Schultern tragen ... ein steinerner Götze starrt mich aus bösen Augen an ... Flammenzeichen auf allen Bergen ... ich sehe mich wieder, wie ich die hölzerne Tür in Trümmer schlage, aber ich muß nicht lachen über mich diesmal, sondern mir ist gar traurig ums Herz - ein Nebel ist um mich voll Menschengestalten, die heben die Hände und wollen ans Licht und müssen doch zerrinnen, eh' ich sie noch erkannt... ein Name klingt mir im Ohr -ja, Dalila hieß sie - und ihre Kinderstimme klagt aus weiter Ferne: »Was wollt Ihr von mir?« Genug! Was zögert er? Warum steht er da und blickt den Wolken nach? Es ist hoch an der Zeit, die Sterne stehn am Himmel... bis zur dritten Kugel ist ein weiter Ritt... bald wird es Nacht sein! Ja, ich bin's, bin der Grumbach, bin der Wildgraf am Rhein, beginne, Gesell, beginne! Still! Er spricht weiter. Wie leiser Trommelwirbel klingt es an mein Ohr, es ist, als hielten ein Kalbfell und ein Schlegel nicht weit von mir eine leise Zwiesprache über mein verrauschtes Leben. 15 andern sterben hier vor Durst und Sonnenglut. Ihm aber kommt niemals ein Tropfen über die Lippen, und dennoch lacht er der Gewalt der Sonne.« »Still! Nicht so laut! Kommt näher, so will ich euch große Wunder und Geheimnisse verraten. Wisset, er hat kein Blut in den Adern. Jedes Kind bei uns daheim in Granada weiß das. Seine Mutter war wirklich eine maurische Heidin, eine Prinzessin aus der Familie der Abuahmeidos in Granada. Und denen allen fließt nicht Blut in den Adern, sondern der heiße Sand der maurischen Wüste. Jetzt wißt ihr, warum ihn niemals dürstet.« »Wahr! Wahr!« schrie einer. »Ich hab' es auch gesehen bei dem großen Blutbad von Cholula. Als ihm ein Pfeil den Arm ritzte, floß nicht Blut heraus, sondern ein wenig dünner Sand.« »Darum hat er auch solch ein schneeweißes Antlitz. Er hat nicht rotes Blut wie wir.« »Possen!« lachte ein dritter. »Ich halt' es mit der Doktores Meinung. Er hat einen gar ungestümen Hintern, der hofiert ihm grausam die Hosen voll, wenn ihm vorne der Geruch des Weines in die Nase steigt.« Auf diese Worte hin brachen alle in ein lautes Gelächter aus, stießen lärmend ihre Becher auf des Mendoza bessere Gesundheit an und sprachen sodann von anderen Dingen. Am nächsten Morgen führte uns der Herzog von Mendoza zum Sturm auf das Lager der Deutschen. Diese hatten sich auf der Höhe eines Felsens verschanzt, der auf einer Seite nicht allzu steil abfiel, so daß man ihn von dieser Seite wohl zu erklettern vermochte. Ein Teil von uns verbarg sich hinter den Felstrümmern, die am Fuße des Felsens allenthalben verstreut lagen, und ein jeder hielt seine Hakenbüchse scharf im Anschlag. Die acht Reiter, die tags zuvor ihren halben Kastilianer empfangen hatten, legten ihre Arkebusen zu Häuf, nahmen den bloßen Degen zwischen die Zähne und kletterten den Hang empor. Von den Deutschen aber hörte man nichts, die blieben stille und rührten sich nicht. Immer höher kamen die Unsrigen, wurden unserem Blicke kleiner und kleiner, aber bei den Deutschen fiel kein Schuß, und es schien, als ob sich kein lebendig Wesen auf dem Felsen befände. »Kamerad!« sprach ich. »Es ist zum Lachen. Wollen die Unsrigen mit ihren Degen wider totes Gestein fechten?« »Ja!« sagte der Mann neben mir mit klangloser Stimme. »Die werden wider totes Gestein fechten.« »Warum schießen die Deutschen dort oben nicht?« 42 »Eine müßige Frage. Wenn du keine Arkebusen hast, wirst du mit deinen Pluderhosen schießen?« »So haben die Deutschen keine Büchsen?« »Die haben sie verloren bei dem grausamen Schiffbruch, den sie dereinst an der Küste dieses Landes erlitten haben.« »So sind sie alle verloren! Gott sei ihnen gnädig«, sagte ich leise, denn ich spürte ein Mitleid mit dem deutschen Kapitän und seinen Leuten, die ohne Arkebusen gegen uns fochten. »Kamerad!« sagte mein Nachbar heftig. »Den Unsern sei Gott gnädig! Die Deutschen dort oben haben ein stärkeres Geschütz als wir.« Und nicht weit von mir hörte ich einen flüstern: »Sie werden wiederum schießen mit Gottes Kartaune.« Ich verstand nicht, was er damit sagen wollte. Dennoch aber lief mir's kalt über den Rücken, als ich dies Wort hörte: Gottes Kartaune. Die Unsrigen waren jetzt nicht weit vom Gipfel. Da sprang plötzlich der Mendoza, der hinter mir lag, auf, legte mir die Hand auf die Schulter und rief: »Siehst du ihn stehen dort oben? Schieß!« Ich legte an und schoß ins Ungewisse, denn ich hatte nichts gesehen. Rings um mich dröhnten die Arkebusen und der Pulverdampf biß mir die Augen. Von der Höhe des Felsens aber ertönte plötzlich eine helle, klare Stimme: »Zurück! Oder ihr sollt spüren, aus welchen harten Felsen Gott die Welt gebaut hat!« »Das ist der Melchior Jäcklein gewesen«, dacht' ich sogleich und hatte ihn an der Stimme erkannt, obwohl ich ihm seit vielen Jahren nicht mehr begegnet war. Die Unsrigen oben am Felsen waren stehengeblieben und rührten sich nicht. Nur ein einziger von ihnen hatte kehrtgemacht und rannte mit großen Sprüngen den Berg hinab. Dann war einen Augenblick lang tiefe Stille. Keiner von uns vermochte sich zu rühren. Eine dumpfe Furcht preßte mir mit Fäusten das Herz zusammen. Ich wußte nicht, was dort alles geschehen sollte, und dennoch zitterten mir die Hände und in meinem Ohr pochten und hämmerten immer noch die dunklen Worte: Gottes Kartaune! Gottes Kartaune! Es war, als flösse die Angst von jenen oben den Hang hinab, wie ein unsichtbarer Strom, und umhüllte uns mit ihrem Schauer. Da warfen sich die Unsrigen oben mit einem Male zu Boden. Gleich darauf war ein gewaltiges Getöse von der Höhe her zu 43 vernehmen, als wollt' der ganze Felsen in Trümmer gehen. Gottes Kartaune! klang es mir noch im Ohr, und schon erhob es sich wie ein Schwärm wilder Bienen und glitt den Felsen hinab. Felsblöcke waren es, gewaltige Steinmassen, die sich von der Höhe des Felsens gelöst hatten und nun donnernd in die Tiefe stürzten. Nun zerteilten sie sich und waren plötzlich wie eine Herde wilder Ziegen anzusehen, wirbelten durcheinander und sprangen und hüpften auf die Männer zu, die sich angstvoll im Felsen zu verbergen suchten. Hinter den Steinen aber stieg eine Staubwolke auf, die wuchs und dehnte sich und kroch talabwärts. Einen Augenblick lang vermochten wir noch das Schimmern und Funkeln der Schwerter zu erkennen, dann hatte die hüpfende Steinherde die Unsrigen erreicht. Ein gewaltiger, vielstimmiger Aufschrei kämpfte sekundenlang gegen das Getöse der Felstrümmer. Dann war alles vorbei. Die Staubwolke schwoll an und reckte sich und verschlang die zerschmetterten Leiber, die zuckend zwischen den Felsblöcken hingen. Nur jener eine, der sich sogleich zur Flucht gewendet hatte, der war noch am Leben, und wir sahen ihn schreiend und mit großen Sprüngen den Hang hinunterlaufen. Hinter ihm aber rasten in wildem Wettlauf die tollgewordenen Steine, schlugen dröhnend an den Felsboden, sprangen wieder empor, rissen andre mit sich und schwirrten singend durch die Luft, als wären sie aus einem Mörser geschossen. Und sie ereilten ihn und warfen ihn nieder, daß er den Boden verlor und von der gleitenden Masse hinab ins Tal geschleudert wurde. Während uns allen darüber das Herz stillstand vor Jammer, sprang hinter mir plötzlich Mendoza auf, riß mir die Arkebuse aus der Hand, zielte und brannte los. Von oben, wo die Deutschen saßen, ertönte ein Schrei, der Mendoza aber gab mir lachend die Arkebuse zurück und rief: »Der wird nicht mehr mit Steinen werfen.« Dann dehnte er sich, warf den Kopf zurück und reckte die Arme empor, und es war, als hörte ich ein leises Rieseln und Knirschen wie von feinem Sand. Wir erhoben uns nun vom Boden und kamen dem einen zu Hilfe, den das Gestein den Felsen hinabgeschleudert hatte. Aber wir fanden kein Leben mehr in ihm. So bestatteten wir ihn denn, indem wir die Steine, dieselben, die ihn getötet hatten, als sein Grabmal über ihn häuften. Sie hatten seinen Körper zerdrückt und zerschmettert, es war kein Knöchelchen in ihm, das nicht die harten Felsen, aus denen Gott die Welt gebaut hat, dreimal zerbrochen und in Stücke geschlagen hatten. Nur sein 44 Kopf war unversehrt geblieben, wie der eines Lebenden war er, und blickte uns jammervoll und erschrocken an. Und noch lange Zeit sah ich das Bild dieses Mannes im Schlaf, wie er in wilden Sprüngen den Berg hinablief und dann plötzlich still am Boden lag, regungslos, blutbespritzt und zermalmt von Gottes Kartaune. Der Nebel In dem Dämmerlicht des Erinnerns, in dem die Dinge, die ich mit meinen Augen gesehen, und die, von denen mir andere erzählten, in eins verfließen - in dem wilden Garten der vergangenen Zeit steht ein einsamer Tag, losgelöst von allen andern, hat kein Gestern und kein Morgen: das ist der Tag der Not des Cortez. Damals kämpften wir unseren härtesten Kampf, nicht gegen Menschen, sondern gegen den Nebel. Tagsüber lag er dicht und schwer wie eine giftige Kröte über der feindlichen Stadt und schützte sie vor unsern Blicken. Aber des Nachts, wenn statt seiner die Dunkelheit die Stadt verhüllte und verbarg, dann erhob er sich und verließ seine Schildwacht. Lautlos wälzte er sich an unser Lager heran, griff mit dunstigen Wolkenfetzen wie mit Armen in die Lagergassen, kroch in die Zelte und saß den Schläfern schwer auf der Brust. In jener Nacht, in der die Not des Cortez begann, hatten alle Spanier, als sie in ihren Zelten lagen und schliefen, um dieselbe Stunde den nämlichen Traum. Es war ihnen, als sähen sie den Cortez in seinem Zelte liegen, ausgestreckt auf einer Totenbahre, und der Kopf hing ihm zu Boden. In einem Winkel des Zeltes stand der Herzog von Men-doza, trug ein öllämpchen in der Hand, der Pedro Carbonaro aber, der Profos, stand neben dem toten Cortez, hielt einen Feuerhaken in der rechten Hand, die linke hatte er in des Cortez Brust gekrallt, dazu ertönte aus der Luft ein fernes Glok-kenklingen, doch so grauenvoll und schaurig, wie sie es nie von einer Kirchturmglocke vernommen hatten. Von diesem Traum oder Nachtgesicht erschreckt, sprangen die Spanier alle von ihren Lagern auf und liefen schreiend aus ihren Zelten, und auch die, die das Fieber so geschwächt hatte, daß sie die Fliegen nicht mehr mit der Hand von ihrem Antlitz 45 großem Staunen. »Ich entsinne mich deiner nicht, weiß auch nicht, wann jemals der Henker mein Gesell gewesen war'!« »Entsinnet Euch meiner nicht?« klang's zornig aus dem Dunkeln. »Entsinnet Euch nicht, wie Ihr einst am St. Jakobstag auf der Landstraße bei Pfinsingen die rebellischen Bauern gegen den Bischof von Speyer führtet? Hab' Euch damals gut geraten: Lasset die Hand von dem Bischof, es schwimmt sich schlecht rheinaufwärts. Bleibt davon, hab' ich gesagt, Ihr habt der Händel zu viel. Ihr aber wolltet nicht hören, mußtet raufen, fechten und Euch balgen mit jedermann.« Der Grumbach war mit seinen Gedanken plötzlich wiederum in Deutschland, bei seiner verlorenen Sache, hatte das Heute, Gestern und Morgen völlig aus dem Sinn verloren, auch vergessen, wer mit ihm sprach. Und der Zorn packte ihn, da er des Bischofs gedachte. »Er hat in meine Dörfer übergriffen, der Pf äff!« brüllte er, »mit Rauben, Stehlen und Armeleutschinden!« »Aber Ihr könntet jetzt gar stattlich einhergehen«, klang es höhnisch aus der Ecken. »Könntet aller Orten das prae und den Vorzug haben. So aber seid Ihr von Reichs wegen exekutiert, des Landes vertrieben und so bettelarm, daß Ihr nicht viel mehr besitzet und zu eigen habt als die Taufe und Euer christliches Bekenntnis!« »Hab' mein Leben nicht in Müßiggang verzehrt«, seufzte der Grumbach und ließ traurig den Kopf hängen. »Bin niemals beim Besen hinter der Tür gestanden!« »Ei, aber damals seid Ihr müßig geblieben!« schrie's aus dem Dunkel, »als ich Euch anlag, Ihr müßtet dem spanischen Carolo zu Hilf kommen und seine Sache betreiben, daß er in Aachen zu einem römischen Kaiser gekrönt werd'! >Ist es Euch wider Eure Ehr'? Die Ehr' ist ein Schattens hab' ich Euch gesagt, >der Carl von Gent wird Euch Geld, Land und Leute dafür geben.< Ihr aber wolltet mir nicht gehorchen, will Euch sagen, warum: Weil Ihr selbst ein heimlich Begehren trugt nach dem großen Tedeum im Aachner Dom, weil Ihr selbst die Hand ausrecken wolltet nach der goldenen Kaiserkrone.« »Schweig still!« schrie der Grumbach auf. Und mit zitternder Stimme fragte er ins Dunkel: »Wer hat dir mein Geheimnis aufgedeckt? Von dieser Stunde hab' nur ich gewußt und Gott allein.« »Gott hat nichts gewußt!« schrie's aus der Ecke. »Gott schert sich wenig um der Fürsten und Herren hoffärtig Trachten. Gott 114 hat mehr Sorg', daß ein armer Mann am Mittag seinen Hirsebrei hat, als um aller Könige ihre eitlen Welthandel. Aber ich, Junker Balger, ich hab's gewußt. Ich war's und nicht Gott, mit dem Ihr Zwiesprach' hieltet an jenem Tag.« Da begann es dem Grumbach kalt über den Rücken zu laufen. Und er blies in die Flammen, schürte sie und riß ein brennendes Holzscheit aus dem Feuer, und mit dieser Fackel leuch-j tete er in die Ecken. Aber das Holzscheit fiel ihm aus der Hand, i denn er sah, daß es der Teufel selbst war-, der in der Ecken saß f und ihm im Dunkeln also grausam den armen Judas gesungen I hatte. j Sogleich aber gewann sein unverzagtes Herz Gewalt über sei-I nen Schrecken. Er hob die Fackel vom Boden auf, trat an den Teufel heran und sagte mit Lachen: »Ei, Gevatter Velten, daß i ich Euch nicht gleich erkannt hab' an Euren losen Reden! Ihr ! habt mich lange warten lassen, eh' Ihr kamt.« i »Hab' nicht viel Zeit«, brummte der Teufel und stand aus \ seiner Ecken auf. »Hab' viel gute Kundschaft im spanischen I Lager, muß zwei großen Herren dienen und ihnen auf den Wink gehorsam und zur Stelle sein.« »Wer sind die beiden, die Euch in ihrer Gewalt haben, Mei-I ster Beizebub?« fragte der Grumbach voll Neugier. I »Der Herzog von Mendoza«, sagte der Teufel, »und der Fer-[ dinand Cortez. Dem einen hab' ich viel Buhlerei und Wollust j zugesagt, dem andern aber alle Glorie und Macht. Doch was i begehrt Ihr von mir, Junker Balger?« Der Grumbach war sehr erstaunt und betroffen, als er ver-J nahm, daß der Cortez und der Mendoza sich hätten dem Teufel I untergeben, verstand nun wohl, warum sein und der Indios i Widerstand gegen des Cortez Armada vergeblich gewesen. I »Was begehret Ihr von mir?« fragte der Teufel wiederum, I indem er ganz nah' an den Grumbach herantrat. »Soll ich Euch auf meinem Buckel nach Deutschland tragen? Soll ich Euch Euer Land wiedererlangen helfen, darin jetzt der Bischof in seiner Weise regiert mit Brandschatzen und Blutvergießen? Soll ich Euch Euer festes Haus, den Hohenrheinstein, wiederaufbauen, den Euch der PfafP verbrannt und niedergerissen hat? Mir ist keine Sache unmöglich, ich hab' auf Erden große Gewalt.« »Ich begehre nicht solch hohe Dinge, Junker Luzifer«, sagte der Grumbach. »Eine Arkebuse will ich haben, samt Pulver und Blei, weiter nichts.« HS »Junker!« sagte der Teufel mürrisch. »Eine Arkebuse kann ich Euch nicht geben, das war' gegen die Abred', die ich mit dem Cortez und dem Mendoza getroffen hab'.« »Willst auch du mir die Arkebuse nicht bringen!« schrie der Grumbach in hellem Zorn und hielt dem Teufel die Faust unter die Nase, »so heb dich in die Hölle, und hab die Pest, nach Deutschland werd' ich zurückfinden auch ohne deinen Buckel!« »Ei, so ist unser Handel in den Dreck gefallen, ich mag mich j nicht bücken, heb' ein andrer ihn auf!« meinte der Teufel gleichmütig und drehte dem Grumbach den Rücken. Der Grumbach ging zornig auf und nieder, erkannte aber gar bald, daß er zu heftig und zu ungestüm gewesen. Blieb daher stehen, nahm den Teufel um die Schulter und begann, ihm gute Worte zu geben und ihn einen Herrn und einen Meister zu ' nennen. i »Herr Urian«, sprach er zum Schluß, »was hat Euch denn der Mendoza gegeben für Eure Hilfe?« »Der Herzog von Mendoza«, sagte der Teufel stolz, »hat mir i zu eigen versprochen sein rotes Blut.« »Wie?« schrie der Grumbach und schlug mit der Hand auf den Tisch, »läßt sich der Teufel also betrügen? In Granada pre- j digt es ein jeder PfafP von der Kanzel, daß dem Mendoza von seiner heidnischen Mutter her nicht rotes Blut in den Adern j rinnt, sondern der Sand der maurischen Wildnis!« »Wißt Ihr das gewiß?« rief der Teufel erschrocken. »So gewiß, wie daß die Pfingsten nach den Ostern kommen!« lachte der Grumbach. »So hat mich das gemeine Gerücht nicht belogen, das im Lager lief! Ich wollt's nicht glauben«, klagte der Teufel und begann erschrecklich mit den Zähnen zu knirschen und durch die Nase zu pfauchen und zu blasen. »Und was hat Euch der Cortez versprochen?« fragte der Grumbach weiter. i »Der Cortez hat mir versprochen sein pochendes Herz«, j sagte der Teufel ängstlich. Da begann der Grumbach unbändig zu lachen, warf sich auf die hölzerne Bank, als könnt' er sich nicht auf den Beinen halten vor Lachen, und schrie endlich: »So ist der Teufel wiederum betrogen! Das weiß jedermann, daß des Kaisers Statthalter, der Herr Diego Velasquez, nur deshalb just den Cortez hieher gesandt hat, dieses Land mit aller Grausamkeit der kaiserlichen 116 Jerone zu unterwerfen, weil der Cortez einen Kieselstein in der Urust trägt statt eines Herzens. Ei, wie seid Ihr so schändlich betrogen!« Da fuhr sich der Teufel mit beiden Händen wild in die Haare und stieß kreischend in großer Verzweiflung den Kopf ein über das andre Mal gegen die Wände. »Weil sie mich beide also schändlich betrogen haben«, rief er sodann, »so will ich Euch helfen, die Arkebuse zu gewinnen. Aber was gebt Ihr mir für meine Hilfe?« »Ihr sollt Euch mein linkes Auge dafür nehmen dürfen«, sagte der Grumbach leise. Als der Teufel hörte, daß er des Grumbachs Auge haben sollte, vergaß er sein Mißgeschick und stieß zu wie der Habicht auf die Hennen. »Mordio! So schlag ich ein!« schrie er, »der Handel ist geschlossen.« Und er lief hurtig in die Ecke, dort stand ein hölzerner Trog mit Wasser gefüllt, den schleppte er keuchend in die Mitte der Stube. »Da blickt hinein!« sagte er zum Grumbach. »Was sehet Ihr?« Der Grumbach beugte sich über den Wassertrog: »Ich seh' darin wie in einem Spiegel ein paar Kerle.die liegen auf der Erd' und würfeln. Ich erkenne meine Knechte, den Thonges, den Schellbock und den Jäcklein, aber die andern erkenne ich nicht.« »Was seht Ihr weiter?« fragte der Teufel. »Der Jäcklein nimmt die Würfel in die Hand und tut einen Wurf. Jetzt der andre. Der Jäcklein läßt den Kopf hängen, er hat verloren, der Tropf. Jetzt will er werfen zum andernmal.« »Ihr habt mir Euer Aug' verpfändet«, sprach der Teufel. »So will ich sehen, ob Euer Aug' scharf genug ist. Wenn jetzt der Jäcklein seinen dritten Wurf tut, so holt aus und schlagt darein und trefft den Würfel mit dem Schwerte, eh' er zur Erde niederfällt.« Der Grumbach zog sein Schwert und blickte in den Wassertrog. »Der Jäcklein hat wiederum verloren. Es ist ein Streit. Er will tun einen dritten Wurf - jetzt fliegt der Würfel in die Höh' -« »Triff ihn!« brüllte der Teufel. »Triff ihn! Schlag zu!« Das Schwert des Grumbach pfiff durch die Luft und fuhr klatschend in den Wassertrog, daß das Wasser zornig nach allen Seiten spritzte. »Was seht Ihr jetzt?« fragte der Teufel. 117 »Jetzt seh' ich nichts«, sagte der Grumbach. »Das Wasser ist i unruhig, der Spiegel ist zerschlagen.« j Beide, der Grumbach und der Teufel, blieben ein Weilchen I ruhig und sprachen kein Wort. Der Grumbach starrte in den \ Wassertrog. »Jetzt seh' ich!« sagte der Grumbach plötzlich. »Es formt sich | das Bild. Ich seh' den Jäcklein, den Thonges und den Schell- 1 bock, sie stecken die Köpfe zusammen und halten eine Arkebuse in Händen!« »So habt Ihr gut getroffen!« rief der Teufel vergnügt. »Die 1 Arkebuse ist Euer! Jetzt aber will ich meinen Lohn!« »Ist die Arkebuse mein?« fragte der Grumbach voll Argwohn. »Und kann niemand sie mir entreißen?« »Sie ist Euch so sicher«, gab der Teufel zur Antowrt, »als hieltet Ihr sie schon in Händen. Und wenn sie Euch der Cortez mit Gewalt nehmen will, so sagt ihm: >Herr Cortez, ich soll Euch von Eurem lieben Vetter grüßen, der denkt jetzt an Euch und wischt sich sein Maul!< Dann muß Euch der Cortez in Frieden lassen. Merkt Euch das Sprüchlein gut. Nun aber will ich Euer linkes Auge!« Da hub der Grumbach zum drittenmal an zu lachen und rief: »So ist denn der Teufel immer betrogen! Wollt Ihr mein linkes Aug', so holt es Euch, ich hab es den Spaniern auf der Insel Ferdinandina lassen müssen, fahrt hin und sucht es!« Und er riß den Hut vom Kopf und zeigte dem Teufel seine leere Augenhöhle und sein von den Messern der spanischen Sklavenjäger zerrissenes und entstelltes Antlitz, das war so grauenvoll anzusehen, daß der Teufel laut aufschrie und voll Grauen seinen Kopf wegwandte. Als der Grumbach sah, wie der Teufel selbst sich vor seinem Antlitz entsetzte, hörte er auf zu lachen und zog traurig den Hut wiederum in die Stirn. Sodann trat er eilig in seinen Kreis zurück, denn der betrogene Teufel begann mit einem Male erschrecklich zu toben und zu schäumen und mit den Händen gegen sich selbst zu wüten. Und der Grumbach sah, wie der Teufel heulend durch die Luft und in der Hütte umherschwirrte und in blinder Wut den Kopf gar jämmerlich an alle Wände stieß, bis er endlich aus einer Fensterluke hinausfuhr. Während der Grumbach schreckerfüllt ob des grausamen und wilden Schmerzes, den der Teufel gezeigt hatte, in seinem Kreise stand, vernahm er plötzlich ein Pochen an der Tür und hörte seines Knechtes, des Melchior Jäcklein, Stimme: »Wachet 118 :ist auf, Junker! Es ist Morgen! Der Spanier will aufbrechen, der Nebel ist fortgeblasen!« ien Der Grumbach öffnete die Tür und trat hinaus. Draußen Jen standen der Thonges, der Schellbock und der Jäcklein. Auch I der Mathias Hundt war erwacht und rieb sich die Augen, ich " »Ei, Mathias!« sagte der Grumbach. »Hast ein starkes Loch in 11- die Nacht geschlafen!« :e- Der Mathias gab keine Antwort und ließ den Kopf hängen, aber der Jäcklein schwang die Arkebuse in der Hand und )ie schrie: »Seht her, Junker, wir haben eine Arkebuse samt drei Kugeln und einer Handvoll Pulver!« j-g- Aber er hielt inne in seinem Jubel, blickte den Grumbach an ! und fragte: »Was seid Ihr so bleich? Habt Ihr von Eurer Mutter jals Sterben geträumt?« jez »Saht Ihr nicht eben einen aus dieser Fensterluke steigen?« pll I fragte der Grumbach. ich t »Eine Fledermaus hab' ich gesehen durch die Luke wischen«, iin I sagte der Schellbock. rill i »Was redst du!« rief der Thonges. »Es war eine Eule!« I »Possen!« schrie der Jäcklein. »Eine schwarze Katz' war's, :f: die aus dem Fenster sprang.« jes »Ei, seht dorthin!« rief plötzlich der Schellbock. »Dort |el schleicht sich des Cortez Henker hinweg, der Pedro Carbo- I naro. Her die Arkebuse! Dem gebührt die erste Kugel, der tie wollt' mich henken!« bn »Bist du toll, Schellbock?« schrie ihn der Grumbach an. »Laß feo deine Hand von der Arkebuse. Wir haben nur drei Kugeln, da j>U muß eine jede siebenmal beratschlagt und besonnen sein!« j »Potz Strick!« brummte der Schellbock und griff nach einem in Stein. »Wie kam der Henker mit einem Male hierher? Hat ihn ^n einer von euch kommen sehen? Ich nicht.« jis Er holte mit dem Arm aus und warf den Stein hinter dem Profosen her. Aber der Pedro Carbonaro sprang unvermutet n zur Seite, so daß der Stein an ihm vorbeischoß, blieb dann :r stehen und drohte dem Grumbach zornig mit beiden Fäusten. :e Dann machte er sich eilig davon, indem er hinkend und den- e noch in großen Sprüngen über Steine, Balkenwerk und Gebüsch hinwegsprang. d In jd I i 119 Aber just, als der Grumbach schießen wollte, erhob sich ein unendliches Jubelgeschrei in den Reihen der Spanier. Denn die Leute des Herzogs hatten den Guatimotzin gebunden aus dem Hause herausgebracht und schleppten ihn zum spanischen Quartiere, dorthin, wo der Galgen stand. Und so groß war der Jubel unter den Spaniern, daß selbst die Indios auf den Dächern der Häuser in Beifall ausbrachen und den Spaniern, die ihre Todfeinde waren, in ihrer Torheit mit den Händen zuwinkten, als wäre das, was sie gesehen hatten, nur ein Spiel ihrer Gaukler und Komödianten gewesen. Da erhob sich der Grumbach stumm und voll Trauer. Er sah, daß alles umsonst und vergeblich war und daß jetzt auch der Tod des Cortez den Prinzen Guatimotzin nicht vom Galgen erretten konnte. Und in großer Not und Verstörtheit ließ er die Arkebuse sinken und schoß nicht. Nun ergriffen Tollheit und Raserei Besitz von dem Hirn des Jäcklein. Er fuhr dem Grumbach mit der Faust an die Gurgel und tobte fiebernd vor Haß und Zorn: »Bist gekauft und gezahlt von den Spaniern! Schelm! Schieß jetzt und hab die welsche Pest!« Der Grumbach stand auf dem Erker und atmete schwer. Er ließ den Blick über die feindlichen Quartiere schweifen und sah den Cortez auf der Mauer stehen im Lichte der Abendsonne, hochmütig und grausam, und seine Offiziere neben ihm, den Diaz, den Tapia und den Alvarado, und nicht weit von ihnen den König Montezuma mit seinen Hofleuten und Dienern, traurig und ernst im Königsornat, dem blauen Mantel und den goldenen Schuhen, das Königsdiadem um die Stirn. Uber all das wollte sich just die Dunkelheit der Nacht senken, und mit einem Male erfaßte den Grumbach ein Gedanke, der war so furchtbar wie des Judas Ischariot Tat, so grausam, als hätte ihn das Hirn eines tollen Hundes erdacht, so blutig, daß er selbst vor ihm erschrak, aber klug über alle Maßen. Und zitternd vor Ungeduld wandte er sich nach dem Melchior Jäcklein um. »Melchior! Rasch! Nimm die Arkebuse und gib mir die Lunte.« Und er schrieb mit dem Finger einen Kreis in die Luft um die spanischen Quartiere und stammelte: »Die Spanier sind vernichtet mit einer Kugel!« Und mit heiserer Stimme setzt' er hinzu: »Alle, Melchior, alle!« 167 Da glitt dem Jäcklein die Vernunft wieder in sein Hirn zurück. Er kniete nieder und hob die Arkebuse. Mit angehaltenem Atem starrte er dem Grumbach auf den Mund. »Leg an!« sagte der Grumbach leise. »Ziel dem Montezuma auf die Brust!« »Junker!« schrie der Jäcklein erschrocken auf. »Was wollt Ihr tun! Er hat uns beiden nichts als Gutes getan.« »Ziel ihm auf die Brust!« befahl der Grumbach. »Junker! Habt Erbarmen! Heißt mich nicht an dem guten König zum Mörder werden. Wir haben ihm Treue geschworen, beide, Ihr und ich!« »Ziel ihm auf die Brust!« rief der Grumbach zornig und drohend. »Junker!« jammerte der Jäcklein. »Seht, er erkennt Euch. Er grüßt, er winkt Euch zu -« »Ziel ihm auf die Brust!« schrie der Grumbach mit furchtbarer Stimme. Da gehorchte der Jäcklein, und der Grumbach legte die Lunte an und brannte los. Die Arkebuse des Garcia Novarro spie donnernd ihre erste Kugel aus. Der Grumbach schloß das Auge und verdeckte sein Antlitz mit dem Arm. Drüben auf der Mauer sank der König Montezuma lautlos seinen Hofleuten in die Arme. Im gleichen Augenblick verstummte der Lärm der Indios und der Spanier auf der Straßen. Eine schauervolle Stille legte sich plötzlich über die Stadt Tenochtitlan. Durch diese Stille aber erscholl mit einem Male furchtbar die Stimme des Cortez: »Zurück in die Quartiere!« Und zu gleicher Zeit warf auch der Herzog von Mendoza sein Pferd herum und jagte über den Damm zurück. Und als er das spanische Quartier erreicht hatte, wandte er sich um und rief: »Zurück in die Quartiere!« Aber es war zu spät. Von den Spaniern, die hinter ihm den Guatimotzin geführt hatten, war keiner mehr am Leben. Sie lagen am Boden, zerdrückt, zertreten und zu Brei zerstampft. Denn all die Indios, die müßig und untätig die Straßen der Stadt gefüllt hatten, rückten jetzt heran, stumm und lautlos, viele hunderttausend. Viele von ihnen hatten keine Waffe in der Hand. Was sie just in den Händen gehalten oder vom Boden aufgelesen hatten, damit warfen sie auf die Spanier. Mit einem Stück Bauholz der 168 eine, mit einem Kieselstein der andre, mit einem hohlen Kürbis der dritte. Unaufhaltsam rückten sie heran, ohne Befehl, ohne Kommando, und wo die Kartaunen der Spanier ihrer zwanzig niederwarfen, standen hundert andere da. Und wo ein Wasserlauf war, den durchschwammen sie, wo ein Graben war, den füllten sie mit ihren Leibern aus, und sie drangen in die spanischen Quartiere ein, lautlos, furchtbar und unüberwindlich, keine anderen Gedanken im Kopf, als daß ihr König dort oben niedergefallen war und daß sie jetzt alle mit den Spaniern zugleich zunichte werden müßten. Und über ihren Häuptern war ein Rauschen und Dröhnen, das war gewaltiger als das der spanischen Kartaunen. Das war die große, heilige Trommel, aus Menschenhaut gefertigt, die hundert Jahre lang geschwiegen hatte. Von all dem aber sah und hörte der Grumbach nichts. Er stand mit gesenktem Haupte und verdeckte sein Antlitz mit dem Arm und sah noch immer den König Montezuma lächeln und sterben. Da schüttelte ihn der Melchior Jäcklein am Arm und schrie ihm mit heiserer Stimme ins Ohr: »Junker, kommt mit!« Der Grumbach hob den Kopf, machte einen Schritt und taumelte. Die Straßen und Häuser der Stadt Tenochtitlan drehten sich im Kreise. Er war betäubt von der Gewalt des Ungewitters, das er selbst gezeugt und gerufen hatte mit seiner Kugel. Aber der Melchior Jäcklein faßte ihn am Arm und riß ihn mit sich die Treppe hinab. Und sogleich gerieten sie in den großen, lautlosen Sturm auf die spanischen Quartiere. Und sie zogen mit in die Dunkelheit der hereingebrochenen Nacht, gehorsam der unendlichen Menge, und waren beide in diesem Augenblick nichts als zwei Leiber von hunderttausend Leibern, die sich blind und stumm in das Feuer der spanischen Kartaunen warfen. Und keiner von ihnen beiden hatte Zeit, an den toten Garcia Novarro zu denken, und wie sich sein Fluch an der ersten Kugel schauerlich erfüllt hatte. Pedro Alvarado In dieser Nacht der Trübsal, in der die Indios des ganzen Reiches sich auf des Cortez Armada warfen und hundertfältiges 169 |en, Worten, wie damals, als sie des Grumbachs zerstörtes Auge und Antlitz gesehen hatte. Sondern ihrem Liebsten, dem Mendoza, galt die Frage, und darum klang ihre Stimme zärtlich und voll Weichheit. ach Doch der Herzog löste ihre Arme von seinem Hals, lab' »Dalila«, sprach er. »Dein Junker ist gekommen und wird >m> I dich mit sich nehmen in seine schöne, winterliche Heimat, nach i zu i Deutschland.« Und er ließ seine Augen leuchten und schweifen, als sähe er in auf I weiter Ferne Deutschland hinter den Bergen liegen, "ig i . Der Grumbach aber stand still und regte sich nicht und ier> i konnte den Blick seines starren Auges nicht losmachen von dem fbi" } zitternden Leib der Dalila. I Doch der Mendoza begann jetzt von der Neuen Welt zu ISle I sprechen und von Deutschland. jer. »Es ist eine Schwüle in dieser Neuen Welt, in der einer alle ge- i Fröhlichkeit verlieren mag. Der heiße Wind trägt einen Pest- en- I hauch mit sich, der uns den Sinn verwirrt, daß die Menschen de~ ! einander grundlos hassen und keiner des andern Wesen recht |em I versteht. In einem Rausch von Blut taumeln wir alle dahin, und 6e~ i die Luft dieses Landes ist solcher Art, daß uns ohne Ursach' uPl I Zorn und Verachtung jeder Kreatur ins Hirn steigen. Rhein- idie i graf! Ihr solltet die Dalila hinweg von hier und in Eure Heimat ^cn ! bringen. Es wird Winter sein und Schnee, wenn Ihr an den Fen I Rheinstrom kommt, ein solch kalter und klarer deutscher Win- hm tertag, nach dem ich mich vergeblich sehne in diesem Lande, das i mich mit Gluthitze und Pest würgt und zerfrißt.« ph" i Da hatte der Mendoza endlich des Grumbachs Gedanken Fen I gebunden und bezwungen. Über den Cortez, der in seinem |icn i Zelte den Bericht über die verlorne Schlacht schrieb; über den Per i Knecht Melchior, der mit der Arkebuse vor dem Zelte kniete; i I über den todbringenden Mantel, der auf der Erde lag, über all f*f " das fielen in des Grumbachs Seele langsam die Nebelschleier des |ein Vergessens. i I Aber Deutschland tauchte empor. Er sah wiederum die Bau- Jem I ern auf der Wiese tanzen. Er sah die Föhrenwälder und den iza> i breiten Strom, doch diesmal war das Land nicht in das spani- f^es i sehe Blutrot getaucht, sondern schneeweiß war alles, wohin er ! i blickte. Schnee lag auf den Wiesen. Der Strom war gefroren, !sle i Krähen flogen über die Eisdecke. Er sah sich reiten zwischen 8te den Tannen und Föhren des Waldes, die ihre eisbärtigen Äste 5en streckten und dehnten. Ein Windstoß warf schwere Brocken 209 Schnee von den Wipfeln der Bäume hinab, und dem Grumbach war es, als hörte er sein Pferd mit der Stimme eines alten Mannes vor Kälte stöhnen. Und so stark war der Zauber und der Bann des winterlichen Gesichtes, das ihm der Herzog mit seinen Worten vor die Augen gegaukelt hatte, daß der Grumbach selbst den Frost und den Schneewind zu verspüren meinte. Er sah die zitternde Da-lila vor sich stehen und bückte sich und hob seinen Mantel vom Boden auf, den legte er der Dalila um die Schulter, als wollt' er sie schützen vor der Kälte und dem Schneegestöber. Als er den Mantel in Händen hielt, da zuckte plötzlich ein fernes Erinnern in ihm auf, halb Schmerz, halb Schreck; aber er könnt' es nicht halten, was ihn durchfuhr, schüttelte den Kopf und hatte vergessen auf den Melchior Jäcklein und auf die Arkebuse, auf den Cortez und auf das große Strafgericht, hatte vergessen, warum er in das Zelt des Herzogs von Mendoza gekommen war. Er stand in Deutschland und liebkoste den Leib der Dalila mit seinem Auge. Da zerriß des Melchior Jäckleins Arkebuse den Zauber, durch den der Herzog von Mendoza den Grumbach gefangen und gebunden hielt. Wie in einem Schattenbild war auf der Zeltwand die Hand abgezeichnet, die nach dem Mantel griff, und eine Gestalt war plötzlich dem Jäcklein auf dem Zelttuch sichtbar, die trug den Mantel des Grumbach um die Schultern. Donnernd verließ die zweite Kugel das Rohr der Arkebuse und durchbohrte die Brust der Dalila, daß sie lautlos zu Boden sank. Der Cortez flieht Das Dröhnen der Arkebuse riß den Grumbach aus seinem Traumgesicht. Vor seinen Augen zerriß und zerstob der Wintertag, das Schneegestöber und der deutsche Wald. Er stand mit einem Male wieder im Zelt des Mendoza und entsann sich, daß er um seiner Rache an dem Herzog willen hierher gekommen war. Und da er den Donner der Arkebuse vernommen hatte, so hielt er den Mendoza für tot und flog mit seinen Gedanken sogleich in das Zelt des Cortez und zu dem Strafgericht, das er nunmehr an ihm zu vollziehen gedachte. 210 schießen. Doch der Grumbach achtete nicht darauf, daß die Kugeln rechts und links an ihm vorbeiflogen. Das Fieber der Jagd hatte ihn ergriffen, als war' er daheim in seinen rheinischen Bergen und hetzte mit Hussa, He und Ho den Wolf durch die Wälder. Dennoch aber wußte er wohl, daß er in diesem Augenblick das Schicksal des ganzen Landes in seinen Händen hielt. »Es ist ein Volk von Tänzern, Mönchen und Kindern«, dachte er bei sich. »Sie wissen sich ihrer Feinde selbst nicht zu erwehren. Halten viel lieber silberne Glocken in den Händen als Schwerter. Sind wunderliche Kinder allesamt, hab' darum ihre Sache in meine Händ' genommen.« Und das Bild des Landes stieg in ihm auf, wie es vor der Spanier Kommen gewesen war. Er sah die Gärtner, wie sie ihre Rosen in großen Haufen auf Ruderbooten singend durch die Kanäle führten; er sah andere Kähne, die waren angefüllt mit Menschenkot, dessen die Handwerker zum Gerben des Leders bedurften. Er sah in seinem Geist die Schnelläufer, wie sie rannten, um vom Ufer des Meeres die Seefische lebend an die Tafel des Großkönigs zu bringen. Er sah, wie die Diener nach einem Regenguß durch die Straßen schwärmten und mit Schwämmen und Tuchballen die Regenlachen trockenlegten. Und er mußte lächeln des Ernstes und des geschäftigen Eifers halber, mit dem jeder sein seltsames Tagwerk verrichtete, während er selbst um des Schicksals dieses Landes willen allein gegen die ganze spanische Armada stand. Während er all dies dachte, war er dem Cortez so nahe gekommen, daß er ihn mit den Armen beinahe berühren konnte. Der Fluch des Garcia Novarro fuhr ihm durch den Kopf, daß diese dritte Kugel ihn selbst treffen sollte. Aber er lachte des Fluches und höhnte in seinem Herzen den toten Garcia Novarro, daß er der dritten Kugel ihren Weg nicht besser geweissagt hätt'. Denn der Augenblick des großen Strafgerichts war jetzt gekommen. Es war dem Grumbach, als wüßt' zu dieser Stunde die ganze Welt um seine dritte Kugel, als war' der Menschheit Auge auf seine Hand gerichtet. Die Bäume und Sträucher, an denen er vorbeiflog, schienen ihm Menschengesichter zu tragen und schauten ihm nach. Die Wolken des Himmels sahen mit Menschenaugen auf ihn herab. Der dumpfe Lärm des Lagers formte sich in seinem Ohr zu Worten und zu einem Ruf, der hieß: »Resonabit fama per orbem!« Und aus dem Pfeifen des Windes und dem Dröhnen der Hufe 220 vernahm er bald von tiefen Stimmen gesungen und bald von hohen: »Resonabit fama per orbeml« Und die Bäume und Sträucher, die Wolken und die Erde, sie alle hörte er brausend einfallen mit ihren Stimmen: »Resonabit fama per orbem! Resonabit fama per orbeml« Und er hob die Arkebuse zum Schuß. In diesem Augenblick schrie unten im Lager der Melchior Jäcklein seinen letzten menschlichen Schrei. Es sind viele Jahre vergangen seit jener Stunde, aber ich seh' ihn noch heute mit seinem Antlitz voll Entsetzen und Zorn, wie er mit der einen Hand uns abzuwehren suchte und die andere verzweifelt vor seine Lippen hielt, und mußte dennoch - Jesus Maria, dort steht er! Um der Liebe Gottes willen, dort steht der Melchior Jäcklein! Ja, er ist es, Melchior Jäcklein, wie kommst du her nach Deutschland? Hab' dich mehr als zwanzig Jahre hindurch tot und begraben gewähnt. Ei, schrei nicht, zürn nicht, ficht nicht mit den Armen, es ist alles längst vorbei, laß mich die Historie vom Grumbach und den drei Kugeln erzählen! Um Jesu willen, du willst auf mich schießen? Die Arkebuse! Nehmt ihm die Arkebuse aus den Händen! Zu Hilfe! 221 Finale: Die dritte Kugel Was ist geschehn? Ich lieg' auf der Erde. Hat mich eine Kugel vom Pferd gerissen? Ich ritt eben noch hinter dem Cortez her, die Pferde schäumten, Bäume, Sträucher, Gerolle, alles sauste an mir vorüber, ganz nah war ich dem Cortez ... Ich bin in Deutschland mit einemmal. Zelte ringsum, dort unten ein Fluß und dahinter Mauern, Türme und ein Stadttor -ja! Ich entsinne mich! Ich lag bei Halle in des Kaisers Heerlager neben dem erloschenen Feuer, war müde und wollt' schlafen, da hat mir die ganze Nacht hindurch ein spanischer Reiter mein eigenes Leben vorgesungen, wie ich mit meinen drei Kugeln in der Neuen Welt die spanische Armada bekämpfte, wie ich den Cortez über die Hügel jagte, wie ich - ich weiß nicht, wie's weiterging! Warum schweigt er? Er soll's zu Ende erzählen! Horch! Das Dröhnen einer Arkebuse! Einer hat geschossen. Ein Schrei, gellend, lang und schauervoll. Ein wirres Gedränge dort, wo mein spanischer Reiter steht, ein Rufen und Schreien. Von allen Seiten laufen Spanier und Deutsche herbei. Mein Knecht Melchior steht mitten unter ihnen. Sein Gesicht ist verzerrt, greuliche Schreie stößt er aus seinem stummen Maul, in den Händen schwingt er seine rauchende Arkebuse. Ja, nun weiß ich's. Hier bin ich gelegen die ganze Nacht! Gestern war es, gestern am Abend, daß sie an dieser Stelle die armen lutherischen Ratsherren des sächsischen Kurfürsten vorbeigeführt haben. Ich entsinne mich, der alte Mann mit der blutigen Binde war auch unter ihnen, dem ich bei Mühlberg mit dem Säbel übers Gesicht geschlagen habe. Barmherziger Gott, was hab' ich getan! Bin ich bei Sinnen gewesen? Hab5 mich von den Spaniern und Papisten gegen die frommen lutherischen Fürsten brauchen lassen! Hab' bei Mühlberg gegen die evangelische Sache gefochten! Hab' der spanischen Regiersucht gedient und dem pfäffischen Eifer! Hab' dem Kaiser Galgen gebaut, meine luterhischen Brüder daran zu henken! Jesus, welcher Wahnsinn ist in meinem Kopf gewesen? Warum hat der Melchior seinen Schwur nicht gehalten und mich meinen Haß und meine Rache vergessen lassen? Ach, es ist nicht des Melchior Jäcklein Schuld. Er hat seinen Schwur nicht vergessen. Aber sie haben ihm die Zunge aus dem Mund gerissen, dort in der Neuen Welt, seine Zunge, die mir 223 den Haß gegen Spanier und Papisten in alle Ewigkeit in die Ohren singen sollte. Ich hab' ihn oftmals gesehen die Fäuste ballen und die Zähne blecken und sich närrisch und verzweifelt gebärden, wenn ich mich vor einem Spanier oder einem Pfaffen bückte, und hab' dennoch nie verstanden, was er von mir begehrte. Aber noch ist's nicht zu spät. Noch liegt die evangelische Sache nicht am Boden. Wittenberg hält sich gegen die Pfaffen, und Erfurt und Gotha! Ich will die luterischen Knechte in des Kaisers Heer um mich sammeln und mit ihnen rebellieren. Ich werd's nicht geschehen lassen, daß sie unseren armen lutherischen Brüdern morgen auf der Brück' die Köpfe abschlagen. Nicht das erstemal ist's, daß ich rebellier'. Der Kaiser hat mich geächtet. Der Papst hat mich in seinen Bann getan. Ich hab' mit meinen Bauern den Fürsten ihre Schlösser gestürmt und den Pfaffen ihre Klöster zerstört. Ich hab' mit dreien Kugeln dem spanischen Weltreich getrotzt und den Cortez selbst vor mir hergehetzt. Der spanische Reiter dort kennt die Sache! Wie lief sie weiter? Wie erging's mir mit dem Cortez und der dritten Kugel? Nein, ich weiß die Sache nicht zu End', aber der spanische Reiter dort, der weiß sie. Lärm und Getümmel ringsumher. Die spanischen und die deutschen Knechte sind in Streit geraten. Rennen an mir vorbei, schreien, fluchen, schießen und stechen aufeinander los, ich weiß nicht warum. Immer neue Scharen kommen aus den Zeltgassen hervor und stürzen sich in den kämpfenden Haufen, der den Hügel hinunterdrängt. Dort liegt jetzt einer steif und starr am Boden, rührt sich nicht und regt sich nicht. Eine Lache Bluts rinnt neben ihm ... hilf Himmel, mein spanischer Reiter ist's! Mein spanischer Reiter ist tot. Er wird nie wieder sprechen. Niemals werd' ich von meiner Sache gegen den Cortez und die Armada das Ende hören! Ach, ich hab' die Historie von den drei Kugeln lange tot und vergessen gewähnt. Ist dennoch gar lebendig gewesen, hat all die Jahre in den Nächten eines alten, grauhaarigen Reiters gelebt. Mein Bildnis von einst ist an seiner Seite geritten, ist neben ihm am Feuer gelegen und allnächtlich durch seine Träume gestürmt mit Fluchen, Toben und gegen die Weltregenten Rebellieren, während ich selbst ein müder alter Mann geworden bin. Und nun hat der Meldchior Jäcklein, der Narr, den alten Reiter zu Tod' geschossen, ohne Sinn und Zweck, so wie er 224 einst die junge Dalila im Zelte des Mendoza zu Tod5 geschossen hat. Und hat zugleich mein vergangenes Leben getroffen und das Bildnis meiner Jugend zerstört, und wahrhaftig, der Fluch des Garcia Novarro ist heut bis an sein Ende erfüllt: Ja, die dritte Kugel hat mich getroffen. Denn nun lieg' ich da, müde und unnütz wie ein Klepper, der dem Schinder entlaufen ist. Noch seh' ich mein vergangenes Leben hinter mir. Aber schon beginnt es zu verblassen. Wie eine weite Landschaft in der Dämmerung liegt es da. Gestalten stehn darin, ich erkenne sie, den Cortez und den jungen Mendoza, den Schellbock, den mir der Cortez henken ließ, die schöne Dalila, die im Zelte des Herzogs starb, und wie hieß der arme Schelm, der seine Arkebuse an meinen Knecht verlor? Ach, schon beginnen ihre Züge zu erlöschen, ich kann sie nicht festhalten, sie wollen verschwinden im Dämmerlicht der Zeiten und werden verflogen sein, eh' ein Vaterunser zu Ende gebetet ist. Die Menschenmenge hat sich in wirrem Knäuel den Berg hinabgewälzt, der Saale zu. Noch immer stechen und schießen Spanier und Deutsche dort unten aufeinander los, wissen nicht warum, die armen Narren! Doch, was lach' ich ihrer? Bin auch dereinst so närrisch gewesen! Was scherten mich die spanischen Händel in der Neuen Welt? Daß der Cortez gegen die Indios jenes Landes zu Felde zog, was, zum Henker, hatte ich damit zu schaffen? Es ist wahr, die Zeiten und Geschicke waren so seltsam verwirrt, daß auch ich in jene Händel verstrickt wurde. Als ich damals hinter dem Cortez so eilig herritt - welche Tollheit hatte mich erfaßt, daß ich ihm meine Kugel in den Kopf schießen wollte? Bin ich das wirklich gewesen? Dann versteh' ich mein seltsames Gehaben in jener Nacht nicht mehr und muß wahrlich staunen über mich, daß ich von solch einem bösen und grausamen Willen besessen war. Und jener edle König, was hat er mir Übles getan, daß ich ihn mit meiner Kugel niederstreckte, als er droben auf der Stadtmauer stand? Ach, unser Fleisch ist immer mit dem Satan, und wahrlich, es geschah mir recht, daß ich von allen meinen Welthändeln nichts heimbrachte als müde Knochen, Beulen, Narben und ein gläsernes Aug'. Die Nacht verrinnt, aber der Schlaf will nicht kommen. Jetzt ist der Kampflärm dort unten verstummt. Der Kaiser, sagen die Leute, ist erwacht und vor die Stadtmauer geritten, hat Frieden gestiftet zwischen den Spaniern und Deutschen. Was sind doch 225 die Deutschen für grobe Büffel, wollen sich mit den Spaniern niemals vertragen. Es ist ein greulicher und erschrecklicher Handel gewesen, dort unten. Des Kaisers Bruder, der Ferdinand von Österreich, soll verwundet und ein spanischer Vetter oder Anverwandter des Kaisers gar erschlagen sein. Und all das ist geschehn, weil mein Knecht, der Melchior Jäcklein, einen alten, geschwätzigen spanischen Reiter erschossen hat, der den andern jenes einfältige Märchen erzählte, von einem, der drei Kugeln hatte und mit der ersten einen König traf und mit der zweiten ein Mägdlein - dunkel hab' ich's im Kopf, weiß nicht woher, las es vielleicht in einem törichten Buche, im >Amadis< oder im >Ritter Löw<. Nun ist wieder Schweigen und Ruh* im Lager. Der Morgen graut. Hauptmann Glasäpflein, bist müde! Willst dich ausstrek-ken und nochmals versuchen, ob du nicht schlafen kannst eine Stunden oder zwei? - Wo bin ich? Kein Mensch ringsum zu sehn. Es muß fast Mittag sein, die Sonne steht hoch am Himmel. Ich hab' lang geschlafen und verwirrte Dinge geträumt, ist aber alles verweht und verflogen, hab' nichts im Kopf behalten als ein fernes Rauschen und Brausen, als hielt ich eine Muschel an mein Ohr. Der Boden rings um mich ist zerstampft und zertreten. Eine zerrissene Trommel, ein zerbrochener Schlegel liegen nebeneinander, als hätte einer die Nacht hindurch ein endloses Lied vor sich hingetrommelt, bis das Kalbfell zerriß und das Holz in Stücke brach. Deutschland! Was bist du für ein ödes und trauriges Land. Wälder und Wiesen und Auen, alles vom Reif bedeckt. Mir ist fast traurig ums Herz, weiß nicht warum. Wo bleibt der Melchior? Warum bringt er mir nicht die Morgensuppe, hängt mir den Mantel um die Schulter und zäumt mein Pferd? Es ist keine Treue mehr bei den Menschen, da mich nun auch der Melchior Jäcklein vergißt. »Aprilenwetter, Jungfrauenlieb' und Lerchengesang und Rosenblätter ist alles gar süß und -« Potztausend Gift! Was kam mir da für ein verliebtes Verslein ins Ohr. Weiß nicht, wo ich das jüngst gehört hab'. Dort unten bei der Stadtmauer ziehen Leute in großen Scha- 226 ren zum Fluß hinaus. Jesus! Hätt' beinah' vergessen! Heut um die Mittagsstunde sollen auf der Brücke die lutherischen Rebellen exekutiert werden, die ich bei Mühlberg hab' fangen und einbringen helfen. Da muß ich stracks hinunter, will auch dabei sein, wenn ihnen der Henker die Köpfe abschlägt. Ei, ihr Schelme, was seid ihr alleweil trotzig und halsstarrig gewesen! Habt rebellieren müssen? Jetzt werdet ihr euren Lohn empfangen, habt wahrlich keinen bessern verdient. Ich hör' drei Reiter traben hinter mir. Hurtig, Hauptmann Glasäpflein, spring zur Seit'! Das ist ein großer Herr, ich kenne ihn, der spanische Herzog mit seinen Leuten, Herr Juan di Mendoza. Ist seit drei Tagen im Lager, und der Kaiser will ihn zu seinem Kanzler machen, hab' ich sagen gehört. Jetzt reitet er vorbei. Bück dich, Hauptmann Glasäpflein, bück dich tief! Mach deine Reverenz, zieh den Hut bis zur Erd'! Vielleicht, daß du einen gnädigen Blick über die Achsel von ihm erlangst! »Euer Liebden, meinen schuldigen Respekt! Euer Edeln, von ganzem Herzen dero untertänigster Diener!«