Hurt, Cristina ; Brigitte Widler (1998) ‘Untertitelung/Übertitelung', in Mary Snell-Hornby, Hans G. Hönig, Paul Kussmaul and Peter A. Schmitt (eds) Handbuch Translation, Tübingen: Stauffenberg, 261-63. 72. Untertitelung / Übertitelung 1. Untertitel Als Untertitel bezeichnet man die gekürzte Übersetzung eines Filmdialoges, die synchron mit dem entsprechenden Teil des Originals auf dem Bildschirm bzw. auf der Leinwand zu sehen ist. Für den Übersetzer stellen Untertitel eine ganz besondere Herausforderung dar. Er hat es dabei nicht nur mit einem schriftlich fixierten Text zu tun, sondern er muß auch die optischen (Fernsehbild, Film ...) und akustischen (Musik, Geräusche...) Ausdrucksformen berücksichtigen. Dazu steht ihm aufgrund der technischen Gegebenheiten nur ein beschränktes Ausmaß an Zeit und Raum zur Verfügung. Als Richtwert gelten sowohl für das Femsehen als auch für den Film maximal zweizeilige Untertitel mit je 36 bis 38 Zeichen. Die Mindeststandzeit (d.h. die Zeitspanne, während derer der Untertitel auf dem Bildschirm sichtbar ist) beträgt zwei Sekunden, die maximale Standzeit sechs Sekunden. Um das Einblenden eines neuen Untertitels zu erkennen, benötigt das menschli- che Auge etwa 1/6 bis 1/4 Sekunde. Daraus ergeben sich folgende Richtlinien: je nach Länge des Untertitels sollte die Standzeit zwischen zwei und sechs Sekunden, der Abstand zwischen den einzelnen Untertiteln mindestens 1/6 bis 1/4 Sekunde betragen. Worin nun die Arbeit des Übersetzers besteht und welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen, diese technischen Vorgaben zu erfüllen, soll im folgenden am Beispiel der deutschen Untertitelung zur britischen Fernsehserie Spitting Image[1] gezeigt werden. Als Arbeitsmaterial erhält der Übersetzer vom Auftraggeber eine VHS-Kopie der Sendung und, wenn vorhanden, ein Skript mit den Originaldialogen. Außerdem steht ihm ein Untertitel- Computerprogramm zur Verfügung, das ihm durch dunkle Balken am Bildschirm die maximale Länge eines Untertitels anzeigt. Seinem Auftraggeber gibt der Übersetzer nur mehr eine Datei ab, auf der sich die durchnummerierten Untertitel befinden. Alle weiteren Arbeitsschritte wie die Zeitkodierung, das Einlesen der Untertitel in den Schriftgenerator, deren optische Gestaltung etc. werden im vorliegenden Fall von einem Untertitler ausgeführt. Die Aufgabe des Übersetzers ist es, dem Publikum das inhaltliche Erfassen der Untertitel durch eine klare Sprache mit kurzen Sätzen und möglichst einfacher Syntax und durch sorgfältige Interpunktion zu erleichtern. Weiters sollte er beim Setzen der Zeilenumbrüche beachten, daß jeder Untertitel nach Möglichkeit eine logische syntaktische Einheit bildet. Wie er dabei das knappe Ausmaß an Zeit und Platz optimal ausnützen kann, demonstrieren die folgenden Beispiele: • Auslassung oder Umformulierung von Dialogteilen, die nicht unbedingt zum Verständnis notwendig sind bzw. die aus dem dazugehörigen Bild ersichtlich sind: O: I can't shut this case (Koffer ist auf dem Bildschirm zu sehen) UT: Ich krieg ihn nicht zu. • Auslassungen von Wiederholungen, die aus dem Kontext ersichtlich sind: O: Um - stick it in the fridge. You can't put your pregnancy in the fridge! UT: Geben Sie es in den Kühlschrank. Du kannst es nicht dort hintun. • Auslassung von Füllwörtern wie ,well' oder ,I say', von Frageanhängseln wie ,isn't it?', ,don't you' oder von kurzen Ausdrükken, die bereits Gesagtes noch zusätzlich betonen sollen, z.B. ,you know': O: Well, I can't take my foetus skiing Pandy- poos - can I... UT: Ich kann meinen Fötus nicht zum Ski- fahren mitnehmen. • Zusammenfassung kurzer Dialoge zu größeren Sinneinheiten: O: Mrs V. Goode?-Yes. Of, 1, The Avenue, Surrey? - Yes ... UT: Mrs. V. Goode? - Ja. Avenue 1, Surrey? - Ja. Vorschlag: Mrs V. Goode, Avenue 1, Surrey[2]? - Ja. • Vereinfachung der Syntax und des Vokabulars: O: Give me your wallet or I'11 kick your head in. UT: Geld oder Leben! Untertitel finden aber nicht nur bei Film und Fernsehen Anwendung, sondern auch in der Oper, und zwar in Form der Übertitelung. 2. Übertitel Übertitel für Opern, d.h. Übersetzungen, die während der Aufführung parallel zum gesungenen Originaltext auf einem Display oberhalb der Bühne angezeigt werden, stellen den Übersetzer vor ähnliche Probleme wie Fernsehuntertitel. Ebenso wie diese müssen Opernübertitel knapp abgefaßt sein, für den Text stehen meist 2 Zeilen mit je 40 Zeichen zur Verfügung. Diese Textreduzierung ergibt sich daraus, daß in der Oper die Musik den Ablauf des Bühnengeschehens – und damit die Geschwindigkeit der Übertitelprojektion – bestimmt, das Publikum jedoch noch genügend Zeit haben muß, um die Übertitel lesen zu können. Weiters bestimmt das Erfordernis der leichten Lesbarkeit Inhalt und Form der Übertitel, die daher in einem möglichst neutralen, einfachen Stil abgefaßt sein müssen. Anders als bei den Fernsehuntertiteln tritt bei Übertiteln die zusätzliche Schwierigkeit auf, daß die optische Information der Aufführung vom Originaltext abweichen kann. Der Übersetzer ist daher gezwungen, nicht nur den Ausgangstext, sondern auch die Inszenierung zu berücksichtigen, um nicht durch Unterschiede zwischen Übertiteln und Bühnengeschehen das Publikum zu verwirren. Der Zusammenhang zwischen Übertiteln, Musik und Inszenierung sowie die technische Übermittlung bedingen bei der Erstellung dieser Texte die Zusammenarbeit des Übersetzers mit anderen Fachleuten wie z.B. Korrepetitor, Regisseur, Tontechniker etc. Der Ablauf der Übertitelproduktion wird an den einzelnen Opernhäusern unterschiedlich gehandhabt. So wurde z.B. die Übersetzung des Siegfried am Théâtre du Châtelet 1994 an die Übersetzerin Durastanti vergeben. Sie nahm die Abstimmung der Übertitel auf den musikalischen Ablauf in Zusammenarbeit mit der Korrepetitorin vor. Die Abfolge der Übertitel muß sich zwar dem Tempo des musikalischen Ablaufes anpassen, soll aber andererseits durch einen regelmäßigen Rhythmus leichte Lesbarkeit ermöglichen. Die Textreduktion war bei dieser Aufführung besonders ausgeprägt, da nach Ansicht Durastantis die Oper ein Gesamtkunstwerk darstellt, in das sich Übertitel als integraler Teil einfügen sollen; die Inszenierung wurde vom Regisseur Strosser sehr karg gestaltet, folglich schuf die Übersetzerin eine extrem konzise Übertitelung. Z.B. verzichtete Strosser auf die meisten Requisiten, so fehlt in der 3. Szene des 1. Aufzuges auf der Bühne der Blasebalg, von dem Siegfried in der Schmiedeszene singt, daher wird dieser auch in den Übertiteln nicht erwähnt: Originaltext: Zu Spreu nun schuf ich die scharfe Pracht, im Tiegel brat ich die Späne. Hoho! Hoho! Hohei! Hohei! Hollo! Blase, Balg! Blase die Glut! Übertiteltext: J'ai réduit ta lame[3] en poudre pour la refondre.[4] … ... II faut attiser[5] le feu! Hier wird auch die Reduzierung der Textmenge sichtbar: 5 Zeilen im Original entsprechen 2 Zeilen Übertitel. Ausrufe wie Hoho! Hohei! werden im Zusammenhang der Aufführung ohnehin verstanden. In welchem Ausmaß die Inszenierung den Inhalt der Übertitel beeinflussen soll, hängt von der Übersetzungspolitik des Opernhauses ab. So vertritt Mackerras als surtitles coordinator vom Royal Opera House Covent Garden die Ansicht, daß der Zweck der Übertitel neutrale Information über den Originaltext ist und diese daher von der Inszenierung so unabhängig wie möglich zu sein haben. Solche Übertitel haben den Vorteil, daß sie für mehrere verschiedene Inszenierungen derselben Oper verwendet werden können. Welche Rolle Übertitel in der Inszenierung spielen sollen, hängt vom Einzelfall ab, sie sind jedoch immer Teil der Aufführung und tragen als solcher zum Gesamterfolg der Oper bei. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß für beide Übersetzungen – Femsehuntertitelung und Opernübertitelung – ähnliche technische Einschränkungen gelten, wie z.B. drastische Reduzierung der Textmenge, Erfordernis der leichten Lesbarkeit und der Abstimmung auf die opti- sche Information. Die Erstellung dieser Übersetzungen erfordert aufgrund ihrer Einbettung in den Gesamtzusammenhang des Fernsehfilme bzw. der Oper die interdisziplinäre Kooperation des Übersetzers mit Experten aus anderen Fachbereichen. Literatur Durastanti, Sylvie (6.12.1994): „Interview." Théâtre du Châtelet. Höller, Fr. (1991): „Interview." Cinedoc Filmproduktion OHG. Ivarsson, Jan (1992): Subtitling for the Media. Stockhoholm: Transedit. Leterme, Cécile (6. 12. 1994): „Interview." Théâter du Châtelet. Luyken, Georg-Michael et al. (1991): Overcoming language barriers in television. Manchester: The European Insütute for the Media. Mackerras, Judy (1989): „The craft of surtitling". About the House. Spring 1989, 20-22. London: Royal Opera House Covent Garden. Mackerras, Judy (1991): A Guide to writing Surtitles. London: Royal Opera House Covent Garden. Mackerras, Judy (28. 3. 1995): „Interview." Royal Opera House Covent Garden. Pahlen, Kurt / König, Rosmarie (1982): Wagner, Richard. Siegfried. Der Ring des Nibelungen. Textbuch. Einführung und Kommentar. Mainz: Piper Schott. Spitting Image (1989). Series VII, show 1, P.N. 722 Post production script plus VHS-Video mit U tertiteln. Spitting Image (1989). Series VII, show 2, P.N. 723 Post production script plus VHS-Video mit Utertiteln. Théâtre du Châtelet (1994) (Hrsg.): Le Ring. Par Editions du Regard. Wagner, Richard: Siegfried, Auffuhrung am Théâtre du Châtelet, 14. 10. 1994. Christina Hurt/Brigitte Widler (Wien) ________________________________ [1] Spitting Image (That boy is the spit – slina – of his father) war eine satirische britische Fernsehshow, die in den Jahren 1984 bis 1996 vom Sender ITV ausgestrahlt wurde. Es handelte sich bei Spitting Image (der englischen Entsprechung der deutschen Redewendung: wie aus dem Gesicht geschnitten) um Latex-Puppen, die als Karikaturen von bekannten Persönlichkeiten ausgeführt waren, die dabei parodiert wurden. [2] Surrey Pronunciation: /sari/ is a county in the South East of England [3] čepel [4] přetavit [5] rozdmýchat