66. Video Narrations Unter Video Narrations ist der gesprochene Text zu Industrievideos zu verstehen. Diese Stellen meist ein Produkt oder auch ein Unternehmen vor, haben also Werbecharakter, und werden z.B. auf Fachmessen oder bei eigens arrangierten Präsentationen für eine ausgewählte Gruppe von Interessenten gezeigt. Verwandt damit sind slide shows (Diapräsentationen), auf die das Folgende ebenfalls zutrifft. Je nach Auftrag liefert der Übersetzer entweder ein „sprechreifes" video Script oder nur eine Rohübersetzung, aus der dann beispielsweise eine Werbeagentur die Endversion erarbeitet. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den erstgenannten Fall. Für die Produktion einer stilistisch und pragmatisch äquivalenten Übersetzung gelten zunächst einmal die gleichen Grundregeln wie bei anderen Textsorten; darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Weiterhin sind aber auch folgende Punkte von Bedeutung, da die Zielgruppe den Text nur hört: • Verständlichkeit-. Der Text muß beim Zuhören verstandlich sein. Zu vermeiden sind Schachtelsätze, Pronomenhäufungen (nicht „wenn Sie sie von oben befüllen", sondern „wenn Sie die Anlage von oben befüllen") und aufeinanderfolgende Relativsätze (nicht „Dies ist der Bediener, der die Klappe öffnet, die sich an der Rückseite befindet", sondern „Dieser Bediener öffnet die Klappe, die sich..."); wichtig sind Textkohärenz und eine möglichst lineare Thema-Rhema-Progression. • Gesprochene Sprache: Bei einer Video Nar-ration handelt es sich um gesprochene Sprache, daher darf beispielsweise Imperfekt in einem englischen Ausgangstext (AT) nicht grundsätzlich als Präteritum in der deutschen Übersetzung wiedergegeben werden, da dies manieriert wirken kann („ We de-veloped a new process ... last year" also nicht übersetzen mit „Wir entwickelten letztes Jahr...", sondern mit „Letztes Jahr haben wir... entwickelt"). Für den Sprecher im Aufnahmestudio muß der Text vor allem leicht lesbar und leicht sprechbar sein. Dies ist nicht zuletzt eine Frage des Schriftbildes. Der Übersetzer sollte daher: • Trennstriche ohne Rücksicht auf ästhetische Gesichtspunkte überall dort verwenden, wo das Fehlen eines Trennstriches die Lesbarkeit erschwert oder zu Mißverständnissen führt: nicht „Produktionsauftragseingabe" und „Druckerzeugnis", sondern „Pro-duktionsauftrags-Eingabe" und „Druck-Erzeugnis". • Ergänzungsbindestriche sparsamst verwenden: nicht „Gasheiz- und -klima-Anlagen" (wird beim Hören interpretiert als „Gasheizanlagen und Klima-Anlagen"), sondern „Gasheiz- und Gasklima-Anlagen". • Abkürzungen, die nicht als solche gesprochen werden, ausschreiben: nicht „i.a." und „z.Zt.", sondern „im allgemeinen" und „zur Zeit". • Klammern ganz vermeiden, da sie nicht mitgesprochen werden und der Klammerinhalt sich meist nicht syntaktisch unauffällig in den Satz einfügt:.....new pharmaceutical products... One example is the Drug Delivery System (DDS). DDS makes sure a drug..." sollte z.B. folgendermaßen übersetzt werden: „...an der Entwicklung anderer Pharmazeutika gearbeitet wird, zum Beispiel an DDS. DDS steht für Drug Delivery System. Es sorgt dafür, daß ein Wirkstoff..." Die Präsentationsform Video erfordert die inhaltliche und zeitliche Kongruenz von Bild und Ton. Diese kann der Übersetzer nur sicherstellen, wenn er im Besitz des Videos ist, er sollte also unbedingt darauf bestehen! Notfalls genügt auch das Video in einer anderen als der Ausgangssprache; es kommt nur darauf an festzustellen, was eigentlich zu sehen ist und wie lang die einzelnen Bildsequenzen sind. (Was zu sehen ist, geht keineswegs immer aus dem Text hervor. In einer Narration für ein Kopiergerät beispielsweise läßt der Satz „Staying ahead of the game is tough in today's competitive World..." nicht darauf schließen, daß zwei Schachspieler zu sehen sind.) • Zeitangaben im AT (nicht immer vorhanden) sind eine Richtlinie sowohl für den Sprecher als auch für den Übersetzer. Sie weisen darauf hin, wie viele Minuten und Sekunden nach Beginn des Videos der Sprecher jeweils einsetzen muß. • Die Länge der Übersetzung darf bei einzelnen Abschnitten vom Original abweichen, sofern der Text nicht die nächste Bildfolge überschneidet. Idealerweise sollte der Übersetzer sich das Video anschauen und dazu die Übersetzung laut lesen. Auf diese Weise lassen sich auch Stolpersteine (schwer zu sprechende Textstellen) im Text identifizieren und eliminieren. • Ergänzende Angaben in der Übersetzung können im Hinblick auf die Zuschauer/Zuhörer von Vorteil sein: „Here we see the metering Station" kann auch mit „Rechts sehen wir..." übersetzt werden, wenn der Übersetzer die Dosieranlage rechts im Bild erkennt. Bei der Studioaufnahme ist die Anwesenheit des Übersetzers sinnvoll, läßt sich aber aus Ko-stengriinden nur schwer durchsetzen. Dafür spricht, daß oft noch letzte Änderungen am Text gewünscht werden oder tatsächlich erforderlich sind, die von einem Sprach-/Fachexperten vorgenommen werden sollten und nicht von einem Sprecher, der womöglich nur aufgrund seiner Stimme ausgewählt wurde. Erfahrungsgemäß hat ein Übersetzer dann die besseren Argumente, wenn er in eine andere als die jeweilige Landessprache übersetzt hat, weil in diesem Fall die Anzahl der tatsächlichen und vermeintlichen Experten geringer ist. Sybille D. Vetter (Schwetzingen)