Primär appellative Texte Werbetexte I. Einnführung Durch die Globalisierang der Märkte und die Zunahme des internationalen Reiseverkehrs gewinnt die Übersetzung von Werbetexten immer an Bedeutung. Da die Kosten einer Werkampagne hoch sind, hoffen viele Untemehmer, ein und dasselbe strategische Konzept samt Bildmaterial auf mehreren Märkten einsetzen zu können. Auch die Tourismusbranche braucht mehrsprachiges Werbematerial in Form von Prospekten, Broschuren usw. Obwohl sie in erster Linie eine Appellfunktion ausüben, bilden Werbetexte keinesfalls einen homogenen Texttyp, denn die Werbeindustrie bedient sich sämtlicher textueller und sprachlicher Mittel wie Rhetorik, Intertextualität, Prosodie, Wortspiel, Metapher usw., um die Werbebotschaft erfolgreich zu vermitteln. Bei Werbetexten können daher atypische Sorten, wie z.B. Bericht, Erzählung, oder auch Textmischungen vorkommen, so daß die konative Absicht ((oder Appellfunktion) nicht sofort erkannt wird. Im folgenden wird die Übersetzung von Werbetexten aus der Marketingperspektive erörtert, wobei allerdings auf unterschiedliche Medien wie Zeitschriften, TV, Internet usw. nicht näher eingegangen wird. Die wesentlichen Merkmale von Werbetexten werden anhand von Werbung für Konsumprodukte bzw. Dienstleistungen veranschaulicht. Dabei handelt es sich um Texte, die Produkte einem neuen Publikum im Ausland vorstellen, wobei der Ausgangstext (AT) vom Zielpublikum nicht rezipiert wird, so daß der Zieltext wie ein Original für ein bestimmtes Produkt wirbt. Diese Ausführungen werden unter 9. durch einige Bemerkungen zur Werbung in der Tourismusbranche ergänzt. 2.Die Arbeit des Übersetzers in der Werbung In der Marketing-Literatur wird die Werbung als, jede Art der nicht-persönlichen Vorstellung und Förderung von Ideen, Waren oder Dienstleistungen eines eindeutig identifizierten Auftraggebers durch den Einsatz bezahlter Medien" (Kotler/Bliemel 81995:955) definiert. Wir haben es hier mit einer Form der öffentlichen, indirekten Kommunikation zu tun, in der alle Aspekte des Kommunikationsvorgangs bis ins letzte Detail geplant sind. Solche Planung betrifft die Wahl der Botschaft, der Empfänger (ggf. nach Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft, Bildung usw. aufgeschlüsselt), des Kodes (Bild, Sprache, Musik) und des Kanals (Medien), wobei diese Aspekte nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenwirken reflektiert werden müssen. Da die meisten Konsumenten der Werbung äußerst skeptisch gegenüberstehen, wirkt die Werbeindustrie dieser Skepsis entgegen, um den Erfolg (die Kaufentscheidung) zu garantieren. Die Übersetzung eines Werbetextes muß daher die strategischen Entscheidungen des Ausgangskonzepts und dessen potentielle Wirkung innerhalb der Werbelandschaft des Zielmarktes berücksichtigen. Bei der Übersetzung eines Werbetextes gilt es vor allem, die Funktion des Textes in der Zielkultur zu betonen (s. Art. 40). Im Vordergrund steht die Werbebotschaft. Daher kommen grundsätzlich nur Übersetzungsansätze wie die Skopostheorie von Vermeer (Reiss/ Vermeer 1984:95ff.), die funktionsorientierte Übersetzung von Hönig/Kußmaul (1982:33ff.) oder das translatorische Handeln von Holz- Mänttari (1986:348) als Leitbilder für die Übersetzung in Frage. 3.Linguistische Überlegungen Die Werbung geht spielerisch mit der Sprache um: vor allem mit der Wechselwirkung zwischen Denotation (dem Bezug auf Dinge und Sachverhalte) und Konnotation (dem Bezug auf kulturell (kollektiv) oder affektiv (individuell) vermittelte Assoziationen). Daher ist der Übersetzer gefordert, mit Hilfe seiner Kenntnisse der Zielkultur herauszufinden, ob die im Originaltext angelegten konnotativen Bezüge auch auf diese Kultur übertragbar sind. Sollte dies nicht der Fall sein, so fällt es in den Aufgabenbereich des Übersetzers, sprachliche Mittel für die neue Adressatengruppe zu finden, die der Werbeabsicht möglichst nahekommen. Die Sprache der Werbung selbst findet wenig Beachtung in der wissenschaftlichen Literatur zum Bereich Marketing. Sie wird aber zunehmend zum Gegenstand linguistischer und rhetorischer Untersuchungen (für Englisch s. Bibliographie in Myers 1994; für Deutsch s. Baumgart 1992). Obwohl einige Parallelen zwischen der deutschen und der englischen Werbesprache festzustellen sind (z.B. Bevorzugung einfacher Satzmuster, eines nominellen Stils sowie die Verwendung von Block-Sprache [Snell-Homby 1992:346]), werden die spezifischen Eigenschaften der jeweiligen Sprache (z.B. Partizipialwendungen [En.] oder Kompositabildung [Dt.]) voll ausgenutzt. Beide Sprachen verwenden Stilmittel wie Alliteration, Wortspiele (s. Art. 80) usw., die nicht ohne weiteres übersetzt werden können. Daher erfordert das Übersetzen von Werbetexten eine kreative Textproduktionsfähigkeit, die über das normale Verständnis der Rolle des Übersetzers hinausgeht. 4. Werbung für Konsumgüter Die Werbeindustrie unterscheidet zwischen Produkten (auch Dienstleistungen), die sich mit kognitiven Argumenten oder mit affektiven Überredungsstrategien verkaufen lassen (Belch/Belch 1992). In die erste Gruppe gehören Produkte wie Autos, Stereoanlagen, Versicherungen, deren Produkteigenschaften unterchiedlich sind und die daher mit längeren Texten, die über ihre Vorteile informieren (body copy), verkauft werden können. In der zweiten Gruppe finden wir z.B. Produkte wie Parfüm, Zigaretten, Alkoholika, die untereinander kaum zu differenzieren sind und daher kaum mit Hilfe von Informationsangaben verkauft werden können. Bei solchen Produkten wird vor allem auf jene Komponenten (Bilder, ggf. auch Musik) gesetzt, die eine gefühlsbetonte Reaktion auslösen, die für den Kauf entscheidend ist. Bei der affektiven Werbung wird der Text daher auf ein Minimum (Slogan, Logo) reduziert. 5. Sprachliche Erwägungen Die wissenschaftliche Literatur zur Werbung ist voll von Geschichten über Produktnamen und deren Übersetzungen, die zu allgemeiner Heiterkeit oder Peinlichkeit und letztendlich zum Scheitern des Produktes in der Zielkultur geführt haben (Ricks 1983, s. auch Art. 84). Daher ist äußerste Vorsicht bei der Entscheidung angebracht, unter welchem Namen ein Produkt auf einem neuen Markt eingeführt werden soll. Der Stellenwert der Ausgangssprache (AS) für die Zieladressaten sollte auch überprüft werden, bevor die Entscheidung zur Übersetzung des Werbetexts getroffen wird. Manche Sprachen genießen ein gewisses Prestige in bestimmten Zielkulturen, so daß man die mit ihnen verbundenen positiven Assoziationen in die Produktwerbung einbeziehen kann. Ein französischer Text für exklusive Kosmetika etwa bedarf keiner Übersetzung für den britischen Markt, auch der Autohersteller Audi hatte großen Erfolg mit Werbung in deutscher Sprache in britischen Zeitungen. Die englische Sprache wiederum genießt großes Ansehen in der Werbung für Produkte, die für Geschäftsleute und Jugendliche konzipiert sind (s. De Mooij 21994:243). Andererseits müssen linguistisch scheinbar homogene Märkte differenziert werden. Auch inerhalb einer Sprachgruppe muß zwischen den Zielmärkten (wie z.B. Deutsch für Deutschland, die Schweiz oder Österreich) unterschieden werden. 6. Kulturelle Erwägungen Kenntnisse der Kultur einer bestimmten Zielgruppe sind bei der Übersetzung von Werbetexten unerläßlich (s. Althans 1982:95). Denn einige Themen und Motive können in anderen Kulturen auf Ablehnung stoßen (Wells et al. ^21992:238, Seguinot 1994:258). Auch kann ein und dasselbe Produkt in verschiedenen Kulturkreisen eine unterschiedliche Verwendung finden, etwa Mineralwasser in verschiedenen euopäischen Ländern (Smith/Klein-Braley 1997) oder Frühstückscerealien in Schweden und Frankreich, die ohne Milch zum Knabbern zwischendurch verzehrt werden (Seguinot 1994: 257). Solche interkulturellen Diskrepanzen müssen im Vorfeld ausgeräumt werden. Ein weiteres Problem, das unmittelbar mit den Texteigenschaften der Werbung zusammenhängt, betrifft das von E. T. Hall (1976) kommentierte Phänomen der Kontextbedürfnisse verschiedener Kulturen. Wells et al. (21992) haben die Implikationen dieses Problembereichs für die Werbeindustrie thematisiert. In ihren Überlegungen weisen sie auf die unterschiedlichen Kontextualisierungsbedürfnisse verschiedener Kulturen hin. So zählen etwa die japanische, die chinesische oder die arabische Kultur zu jenen Kulturen, die einen hohen Kontextbedarf haben. Andere Kulturen, z.B. der deutsche Kulturkreis, weisen einen niedrigen Kontextbedarf auf. Die britische Kultur liegt ungefähr in der Mitte, die amerikanische hat einen niedrigeren Kontextbedarf als die britische, aber einen höheren als die deutsche. Mit diesem Konzept wollen Wells et al. (21992) zum Ausdruck bringen, daß die Übersetzung einer knappen und pointierten Werbebotschaft, die für eine Kultur mit niedrigem Kontextbedarf entwickelt wurde (z.B. die deutsche), in einer Kultur mit höherem Kontextbedarf (z.B. die britische) unter Umständen nicht verstanden wird, da letztere nach dem Einbeziehen zusätzlicher Details verlangt. Übersetzte Werbebotschaften müssen dieses Phänomen berücksichtigen. Da Übersetzungen im allgemeinen mehr Platz als das Original in Anspruch nehmen (s. De Mooij 21994:213), müssen oft gezielte Entscheidungen über mögliche Streichungen im AT getroffen werden, um die vorgesehene Textlänge nicht zu sprengen. Wie solche Streichungen realisiert werden, ohne die Werbebotschaft abzuschwächen, zeigen Smith/ Klein-Braley (1997). 7. Gesetzliche Regelungen Die Werbung ist in der ganzen Welt gesetzlich geregelt. In den meisten europäischen Ländern gilt das Verbot von Werbung, die konkurrierende Produkte vergleicht. Werbung für Tabakwaren und Alkoholika unterliegt unterschiedlichen Regelungen. Im europäischen Kontext sind die relevanten Publikationen der EU (s. z.B. Reese 1994) leicht erhältlich. 8. Vorgangsweise beim Übersetzen von Werbetexten Zunächst gilt es, anhand der folgenden beiden Fragen zu prüfen, ob der Werbetext überhaupt übersetzt werden soll: Erfüllt das Produkt eine ähnliche Funktion auf dem neuen Markt? Werden vergleichbare positive Konnotationen durch die in der Werbung gewählten Images beim Zielpublikum geweckt? Wenn beide Fragen positiv beantwortet wurden, kann man eine Übersetzung unter Anwendung einer der folgenden Strategien vornehmen (s. Smith/Klein-Braley 1997): Keine Übersetzung. Wenn es sich um Produkte mit einem überwiegend affektiven Appell wie Parfüm, Alkoholika oder Schmuck handelt, wird der Text meistens nicht übersetzt, da die Werbebotschaft in erster Linie durch Bildeffekte ihr Ziel erreicht. Exportwerbung: Hier bedient man sich der positiven Assoziationen des Ursprungslands und dessen Kultur. Daher bleiben Logo, Slogan, evtl. auch Überschrift, ohne Übersetzung, wobei allerdings ein zusätzlier Text in der Zielsprache (ZS) die Werbung ergänzen kann. Direkte Übersetzung: Diese Strategie wird weniger verwendet, weil sie den kulturellen Gegebenheiten der neuen Zielkultur am wenigsten Rechnung trägt. Sie kommt für Produkte und Dienstleistungen in Frage, wenn viel Information zu übertragen ist, z.B. bei der Werbung für technische Produkte. Adaption: Das Bildmaterial wird beibehallen, aber der Text wird geändert, um den Gegebenheiten der Zielkultur besser zu entsprechen. Diese Strategie dominiert in der Produktwerbung und sollte stärker in der Tourismusbranche eingesetzt werden (s.u.). Revision: Das Bildmaterial wird ebenfalls beibehalten, aber ein völlig neuer Text wird entworfen. Diese Strategie ist insofern riskant, als Bildmaterial und Text als einheitliches Produktkonzept entwickelt wurden und daher nicht ohne weiteres voneinander getrennt werden können. Daß dieser Weg trotzdem beschritten wird, zeigt die Ericsson Handy-Werbung in Großbritannien und Österreich. 9. Tourismuswerbung Das bisher Gesagte trifft auch für die Tourismuswerbung zu. Zusätzlich sollte beachtet werden, daß die Tourismuswerbung oft längere Texte verwendet, die auf den ersten Blick eher erzählenden (z.B. die Geschichte der Stadt) oder beschreibenden Textgattungen (z.B. die Schönheit der Landschaft usw.) zuzuordnen sind. Daher müssen die texttypologischen Merkmale dieser Gattungen, aber auch die entsprechenden Stilmittel der jeweiligen ZS berücksichtigt werden (s. Snell-Homby 1992: 347ff.). In der Tourismuswerbung orientieren sich Übersetzer häufig am AT, weil Tourismustexte ein und derselben Broschüre oft mehrsprachig in Parallelfassungen abgedruckt werden. Manchmal dient sogar eine der Übersetzungen selbst als Vorlage für weitere Übersetzungen. Abweichungen vom AT sind in der Regel unerwünscht. Durch diese Vorgangsweise verfehlt die Werbung jedoch ihr eigentliches Ziel. Ein zentrales Problem ist nämlich die Auswahl der Inhalte für die neue Zielgruppe. Die AT werden vom Insider-Standpunkt verfaßt und enthalten Informationen, die an das Wissen und die Vorstellungen der heimischen Bevölkerung anknüpfen, die allerdings für den ausländischen Besucher oft schwer nachvollziehbar oder für seine Bedürfnisse schlicht irrelevant sind (s. Smith/Klein-Braley 1985:84). Bei solchen Texten ist es angebracht, die Relevanz des Informationsgehalts zu reflektieren: Der ausländische Besucher braucht manchmal mehr, manchmal weniger oder andere Informationen als der einheimische Tourist. Bei der Übersetzung eines Prospektes sollte dies beachtet werden. 10. Probleme in der Praxis Zu oft wird der Übersetzer für Fehler verantwortlich gemacht, die mit der Übersetzung wenig zu tun haben. So ist es wichtig, daß etwaiges Bildmaterial bei der Anfertigung der Übersetzung mitgeliefert wird, damit Fehlübersetzunen aufgrund von Polysemien (wie z.B. das Baby ändern statt wickeln für change in einem TV-Werbespot) verhindert werden können. Auch im Layout können sich Fehler einschleichen, die eigentlich nur indirekt mit der Übersetzung zu tun haben, wie etwa bei der Kampagne für ein Schmerzmittel (Althans 1982:95), die mit drei Smiley-Köpfen die Entwicklung vom Schmerzzustand vor (Mundwinkel nach unten gezogen), während (Mund als gerade Linie) und nach der Tabletteneinnahme (Mundwinkel nach oben als Lächeln) darstellte. Für die arabische Übersetzung wurde die Reihefolge der Bilder leider nicht umgedreht. Daher hat das arabische Zielpublikum, das die Botschaft von rechts nach links las, die Produktvorteile nicht begriffen. Weitere Beispiele solcher Pannen sind bei Seguinot (1994:252ff.) zu finden. Aus diesem Grund ist dem Übersetzer größte Vorsicht im Detail anzuraten. Literatur Althans, Jürgen (1982): Die Übertragbarkeit von Werbekonzeptionen auf internationale Märkte. Frankfurt a.M.: Lang. Baumgart, Manuela (1992): Die Sprache der Anzeigenwerbung. Heidelberg: Physica. Belch, George E. / Belch, Michael A. (1992): Introduction to Advertising and Promotion. Home- wood/Ill.: Dow-Jones-Irwin. De Mooij, Marieke (z1994): Advertising Worldwide. London: Prentice Hall. Hall, Edward T. (1976): Beyond Culture. New York: Doubleday. Holz-Mänttäri, Justa (1986): „Translatorisches Handeln - theoretisch fundierte Berufsprofile." Snell-Homby, Mary (Hrsg.) (1986): Übersetzungswissenschaft. Eine Neuorientierung. UTB 1415. Tübingen: Francke, 348-374. Honig, Hans G. / Kußmaul, Paul (1982): Strategie der Übersetzung. Tübingen: Narr. Kotler, Philip / Bliemel, Friedhelm ("1995): Marketing-Management. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Myers, G. (1994): Words in Ads. London: Edward Arnold. Reese, Ulrich (1994): Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft. München: Beck. Reiss, Katharina / Venneer, Hans J. (1984): Grundlelung einer allgemeinen Translationstheorie. Tübingen: Niemeyer. Ricks, David A. (1983): Big Business Blunders. Mistakes in Multinational Marketing. Homewood/Ill: Dow-Jones-Irwin.