03743 Wenn, dann: Was wir tun, wie und warum von Roland Schimmelpfennig © S. Fischer Verlag 2010 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und andere audiovisuelle Medien, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der Aufführung ist nur von der S. Fischer Verlag GmbH THEATER & MEDIEN Leitung: Uwe B. Carstensen Hedderichstraße 114 60596 Frankfurt am Main Tel. 069/6062-273 Fax 069/6062-355 zu erwerben. Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt. Dieses Exemplar kann, wenn es nicht als Aufführungsmaterial erworben wird, nur kurzzeitig zur Ansicht entliehen werden. Dieser Text / diese Übersetzung gilt bis zum Tage der Uraufführung / Deutschsprachigen Uraufführung nicht als veröffentlicht im Sinne des Urhebergesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das Werk oder einzelne Teile daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich mit ihm öffentlich auseinanderzusetzen. Der Verlag behält sich vor, gegen ungenehmigte Veröffentlichungen gerichtliche Maßnahmen einleiten zu lassen. PERSONEN 1. HANDWERKER (RICKI) 2. HANDWERKER (ULI) 3. HANDWERKER (RUDI, älter) 4. HANDWERKER (MAREK) Alles leer. Es wird gebaut und gestrichen. Eine Wand wird frisch verputzt. Nachts. Drei Handwerker in einer leeren Wohnung, RUDI, ULI und RICKI. Sie tragen Zimmermannshosen, aber sie machen nicht nur Zimmermannsarbeiten. Sie machen alles. Werkzeuge, teilweise schweres Gerät. Flex. Schleifmaschinen. Farbeimer, Farbrollen, Säcke mit Putz. Leitern, Baufolie. Mehrere Baustrahler. Drei Kästen Bier, zwei Kästen Wasser. Chips. Pizzakartons. Bierbänke oder improvisierte Stühle. Im Moment ist Pause. Die Männer trinken schweigend Bier. Nach einer Weile: RICKI Wir passen nicht zusammen. Pause. Wir passen nicht zusammen. Das hat sie gesagt. Kurze Pause. Du und ich – hat sie gesagt – du und ich, wir gehören nicht zu derselben Klasse. Die beiden anderen Männer hören kommentarlos zu. Man trinkt Bier. Pause. Wir – wir gehören nicht – zu derselben Klasse. Sie und ich. Pause. Entrüstet. Wir – du und ich Kurze Pause. Was für eine Fickscheiße. Er nimmt einen Schluck Bier. Was für eine Fickscheiße. Pause. RUDI Ich meine: was war das für ein Arschloch. Was für ein Arschloch. Kurze Pause. Nimmt den Hammer und schlägt die Wand ein, also, ich reiß das jetzt ein. Trinken. Nachdenken. Themenwechsel. RUDI Der arme Junge. Nicken der anderen. Der arme Junge. Mit Tränen in den Augen: Hier: er hebt die Bierflasche. Auf Marek. Kurze Pause. Auf Marek. Trinken. ULI Marek. RICKI Marek. Pause. Er kommt zurück auf den Punkt zuvor: es läßt ihn nicht los. RUDI Was soll da sein, da ist nichts, was soll da sein, hab ich gesagt. Und er: doch, doch. Das geht. Das geht nicht. Kurze Pause. Hier, sagt er, hier brechen wir durch. Kurze Pause. Hier. Er steht auf, nimmt einen gewaltigen Vorschlaghammer, und schlägt gegen eine bestimmte Stelle in der frisch verputzten Wand. Es entsteht ziemlicher Schaden – aber kein Loch. RUDI setzt den Vorschlaghammer ab. Hier – hier brechen wir durch. Kurze Pause. Marek. War plötzlich weg. Kurze Pause. Da kann man nicht durchbrechen. Wenn wir da durchbrechen – Pause. Wer sagt, daß da kein Träger drin ist – Und er: Wieso Träger – ich seh keinen Träger – Und dabei setzt er die Brille immer auf und ab. Kann aber einer drin sein. Und Marek sagt auch, kann aber einer drin sein, was ist, wenn da ein Träger drin ist, wer sagt, daß das keine tragende Wand ist – Kurze Pause. Nimmt den Hammer und schlägt die Wand ein. Kurze Pause. ULI „Der Durchbruch.“ Kurze Pause. RUDI Wenn, dann – Kurze Pause. Plötzlich. Überraschend. Streit. ULI Dann, dann - RUDI Ja – dann ULI laut Aber im Plan ist nichts – RUDI Im Plan, ja, aber der Plan – der Plan ist dafür nicht gemacht. ULI Der Plan ist der Plan. Wer sagt, daß der Plan nicht stimmt – RUDI Der Plan stimmt nicht. Wer sagt, daß der Plan stimmt – der Plan kann gar nicht stimmen. Pause. RICKI Drei Tage, nachdem ich geheiratet habe, lerne ich die Frau meines Lebens kennen. Pause. ULI plötzlich heftig. Ein neues Aufmaß – RUDI Jaaaa, ein neues Aufmaß, wie willst du da denn aufmessen, da kommst du ja nicht hin! ULI Von der anderen Seite – RUDI brüllt Von der anderen Seite? Da ist NICHTS! ULI regt sich plötzlich sehr auf, als sei er besessen, als sei er plötzlich jemand anderes. Wer sagt denn das? Wer sagt denn das? Er hat gesagt, das ist in Wahrheit - , das ist so gedacht, das war auch mal so, und nicht so wie jetzt, das weiß nur keiner, hier ist die Stelle, hier - RUDI Nein! ULI Und früher, früher ging das zusammen: RUDI Da ging nichts zusammen – ULI Da war ein Durchgang - RUDI Was für ein Durchgang, sieh dir das doch an, sieh dir das doch an, was für ein Durchgang – ULI Die eine Seite und die andere - RUDI Hat es nie gegeben, das hat es nie gegeben, nicht hier - ULI Die Ställe – RUDI Ställe, welche Ställe - ULI Die Küche – RUDI Ja? Ja? Die Küche?! ULI Enge Treppen, ein Durchgang, die eine Seite und die andere – RUDI Nein, nein! ULI Das Gesinde – RUDI Das Gesinde? ULI Die Patrizier haben nicht das letzte Wort! Kurze Pause. Ein Haus, ein Dach. RUDI Muß alles neu. Kurze Pause. So hält es nicht. Kurze Pause. RICKI Ich meine, was heißt kennengelernt, kennengelernt habe ich sie ja schon vorher, oder, sagen wir, gesprochen, gesprochen habe ich ja mit ihr schon auf der Hochzeit. Auf meiner Hochzeit. Oder auf ihrer Hochzeit, als sie heiratete und ich heiratete, aber wir haben ja nicht uns geheiratet, sondern jeweils jemand anderes, nur zur selben Zeit am selben Ort. RUDI Haben nicht das letzte Wort, die Patrizier haben nicht das letzte Wort, nimmt den Hammer, und schlägt zu und kugelt sich fast den Arm aus. Er nimmt den Hammer, schlägt ein weiteres Mal gegen die Stelle der Wand, es entsteht Schaden, aber noch kein Loch. RUDI Da kommst du nicht durch. Kurze Pause. Die Scheißdutzerei. Pause. Er hebt die Flasche. Auf Marek. Die anderen schließen sich ihm an. RICKI Auf Marek. ULI Marek. Kurze Pause. RICKI Fickscheiße. ULI Die Patrizier. Ja. Die Patrizier. Pause. Arbeit. RUDI Sind die nett zu mir? Nein, sind sie nicht. Sind sie wirklich nicht. Kurze Pause. ULI Fünf Uhr früh. Mit der ersten Kippe am Straßenrand, und dann kommt Rudi mit dem Minibus und sammelt uns ein, wir sind die Kolonne der freien Seelen, singen wir, und dann fahren wir Richtung Stadt. Keiner sagt was, Ricki nicht, und Rudi nicht, und Marek nicht, da war Marek noch dabei. Sonnenaufgang. Radio. Jeder in Gedanken, jeder noch halb im Schlaf. RICKI Da waren sechs Frauen, alle nackt, und die standen von ihren Feldbetten auf, sobald ich den Raum betrat, und eine sagte: Ricki, was willst du denn? RUDI Wenn, dann - hätte mein Vater gesagt, aber gut: hätte ist hätte, hat er ja nicht. Ist ja nicht da. RICKI Ich habe geheiratet, und drei Tage später – Und jedes Mal haben wir einen Strich an die Wand gemacht. ULI Da kann man nachdenken. Da kommt man ins Nachdenken. Auf der Autobahn in den frühen Morgenstunden. Es fallen einem Sachen ein. Kurze Pause. „Der Sohn“. Ein Mann, dessen Vater ihn nie angenommen hat - nie, sein ganzes Leben lang nicht, und morgens hat der immer laut gepfiffen, damit man nicht mit ihm reden konnte, das war der ganze Grund, diese kaputte Sau! RUDI Nichts. Schwarz. Kalt. Weiß. ULI Oder: „Die Enttäuschung“: ein Sohn, der seinen Vater verrät, nach all dem, was der Alte getan hat, um die Familie durchzubringen, die Kinder, die kranke Frau, die wesentlich begabtere Tochter Kurze Pause. RUDI Also mauern wir das wieder zu. Kurze Pause. Ja, sagt er, und sieht mich an Mauern wir das wieder zu. RICKI Am Ende waren da neun Striche. Und danach hat sie gesagt, daß aus uns nichts wird. Das war nach dem neunten Strich. Er macht neun Striche an die Wand. ULI Die Fahrt über die Dörfer und in die Industriegebiete, an dem Heizkraftwerk vorbei, der Rauch im Morgenhimmel und dann durch die Peripherie, die Hochhäuser, die Balkone in der Ferne, die Satellitenschüsseln, die Bahnstrecke, der Ring, die Autobahn, die Pendler, wir überholen andere Busse, Transporter, Handwerkertrupps, da, sagt Marek, das ist die Kolonne der gebrochenen Herzen, und das, das ist die Kolonne des heißen Atems, schweigende Männer in Autos, wir überholen, und wir werden überholt. Rudi, was glaubst du, frage ich, warum geht die Sozialdemokratie in diesem Land kaputt, liegt es an der Partei oder liegt es an den Leuten? Die Sozialdemokratie wird nie untergehen, die Sozialdemokratie wird eines Tages die Weltkugel retten, sagt Rudi, Junge, weißt du das nicht?, und Marek sitzt hinten und sagt, Glaubst du, Rudi, glaubst du wirklich? Und dann schweigen wir wieder und fahren weiter durch die Vorstädte und durch die Villengegenden hinein in die Metropole und durch den Finanzdistrikt, die Sonne spiegelt sich in den Glasfassaden, und dann sind wir im alten Kern der Stadt am Fluß, hier fing alles an, hier ließen sich die ersten Siedler nieder, und später kamen die Römer, und jetzt stehen hier noch ein paar richtig alte Häuser, das älteste von Dreizehnhundert oder älter, hier haben die Fischer gewohnt, außerhalb der ersten Stadtmauern, hier wohnten die Ärmsten der Armen und dann ist die Stadt gewachsen, und die reichen Leute wollten mit Blick auf den Fluß wohnen, und dann sind hier prachtvolle Bauten entstanden, und wir stellen den Bus vor eines dieser Häuser, und Ricki fragt, welcher Stock ist es denn, und Rudi sagt, wieso welcher Stock, wir machen das ganze Haus, denen gehört das ganze Haus. Kurze Pause. Ich mochte die Idee - wir brechen hier durch. Kurze Pause. Warum nicht, Rudi, laß uns durchbrechen, warum nicht. Pause. Die Kolonne der freien Seelen. Einer der drei macht etwas Musik. ULI „Der Körper meiner Frau“ - über einen Mann, dessen Frau alles in völlige Verwirrung stürzt - allein durch ihren bloßen Anblick! RICKI Fickscheiße. RUDI Die Muffe. Die Muffe und der Gutachter. Kurze Pause. Ich meine, wie viel Liter waren das. Wieviel Liter. Zweitausend? Viertausend? Fünftausend? Kurze Pause. Die Muffe falsch, und fünftausend Liter laufen ins Haus. Kurze Pause. Fünftausend Liter. Pfusch. Cottbusser Pfusch. Das schimmelt nicht, das fault. Das fault alles durch. Kurze Pause. Die Cottbusser Muffe. Kurze Pause. Ein Klopfen. Kurze Pause. RICKI Klang wie klopfen. Kurze Pause. ULI Klopft jemand? Kurze Pause. RUDI Wer soll hier klopfen. Ist offen! Kurze Pause. Es klopft. RICKI Ist offen! Nichts geschieht. Trinkt. RUDI Plötzlich war er weg, einfach weg: Marek reißt die Leiste raus, und da sieht er was, er denkt, was ist das, die Fuge sieht so sonderbar aus, was ist da unter dem Holzfußboden, der Boden schwimmend verlegt, knarrzt, biegt sich, schon halb durchgefault, wo es feucht war, unter der Mauer, ich meine, alleine der Feldstein – was das für Gewichte waren, Granit - so: und er – er sagt noch, was ist denn das, ist das Schimmel, ist das da drunter alles durchgemodert, aber so riecht es gar nicht, geht runter auf die Knie – und ich: was ist denn? Ist dir der Hammer durch die Nut gerutscht, sieh an, sieh an, das Maurerdekolleté, Mareks Maurerdekolleté, na, Meister Marek, was ist los, und er sagt, sieh mal, was ist das denn? Was ist das denn? Sieht aus wie Gold oder wie Pollen, oder wie Goldstaub Und ich: na, aber sicher, der goldene Boden und alles aus Geglanz1 , und verarschen kann ich mich alleine, aber er, er ist wie verzaubert, als hätte ihn in dem Moment etwas berührt und dann ist er weg. Kurze Pause. Auf Marek. Helles Entsetzen. RICKI Wo ist er denn – RUDI Er ist weg – RICKI Weg – RUDI Weg, ja - ULI Wie, weg – 1 sic RUDI Weg, so – er ist weg. ULI Er kann nicht – RICKI Wo ist er denn - RUDI Kann nicht, wieso kann er nicht – RICKI Er kann doch nicht weg sein – RUDI Doch, kann er, er kann, doch - Weg, er ist weg! Kurze Pause. RUDI Verschwunden. Eben noch da – dann plötzlich weg. RICKI sieht ihn ungläubig an. RICKI Aber er kann doch nicht – RUDI Reißt die Leiste weg, kniet sich hin und ist weg! Sieht aus wie Goldstaub, hat er noch gesagt, und ich, sieht aus wie Schimmel, Schimmel oder Asche, und dann ist er weg! Kurze Pause. Weg! Pause. Arbeit. RICKI An dem Zigarettenautomaten, wir hätten da ja nie feiern können, in dem Saal, das kostet in dem Schloßsaal, also ein Abend mit 100 Leuten mit Essen, ich weiß nicht, fünfundzwanzig. Fünfundzwanzig kostet das mit Sicherheit, die waren im Saal, im Schloßsaal, und wir waren unten, im Gewölbe, weil der Koch ein Freund von mir ist, hat der da Kurze Pause. Die oben, wir unten. Blödes Lachen. Aber der Zigarettenautomat ist für alle da. Kurze Pause. Und sie war größer als ich. Kurze Pause. ULI setzt noch mal an: „Der Körper meiner Frau“. Über einen Mann, dessen Frau alles um sie herum in ein völliges Chaos stürzt - jedes einzelne ihrer Körperteile bringt die Leute um den Verstand - die Füße, die Hände Kurze Pause. RICKI Du bist doch etwas elektrisch. Kurze Pause. ULI Oder: „Das Verlangen“! Immer das haben wollen, was man nicht haben kann! RICKI Und dann bin ich zurück, zurück vom Zigarettenautomaten ins Gewölbe, da saß meine Braut, und sie sah so froh aus, und ich hatte ja keine Ahnung, was das noch werden würde. Kurze Pause. Ich meine, stellen wir die beiden doch mal nebeneinander. Er macht eine Geste. Das ist doch einfach traurig! So wie die wird die nie sein. Nie – nie. Pause. Und dann - Pause. ULI Nie nie sagen. RICKI laut Doch, das kannst du, das kannst du wirklich. Ich wußte ja nicht, was da noch kommt. Kurze Pause. Das war wirklich eine ziemliche Fickerei. Kurze Pause. Wir beide, wir gehören nicht derselben Klasse an. Das hat sie gesagt. Nach dem neunten Strich. Pause. Die steht morgens auf und redet als erstes über Völkermord. Pause. ULI Jeder hat im Bus seinen festen Platz. Kann man nachdenken. Kommt man ins Nachdenken, wenn man nicht einschläft. RICKI Na, wie geht’s denn zu Hause. Hat sie gesagt. Geht deine Frau arbeiten? Nein, die ist zu Hause. Ach so, sagt sie. Warum denn? Das war nach dem sechsten Strich. ULI Auf der Autobahn in den frühen Morgenstunden. Es fallen einem Sachen ein. RICKI Jedes einzelne ihrer Körperteile hat mich um den Verstand gebracht - die Füße, die Hände – RUDI Nimmt den Hammer und schlägt die Wand ein, also, ich reiß das jetzt ein. ULI Über uns die Sterne, früh am Morgen, es ist noch dunkel. Glaubst du, sagt Marek, da oben im Weltall ist irgendwo intelligentes Leben? Wir fahren in den Morgen, und irgendwann überholen wir die Cottbusser, wir überholen jeden Morgen die Cottbusser. Rudi, sage ich, die Privatisierung des Fernsehens war der größte Fehler. Das vollständige Scheitern des Staats. Die Aufgabe der Verantwortung. Kurze Pause. Die Geschichte von dem Mann, der gerecht sein will und dadurch alles zerstört - und dann: ein leerer Platz, ein Brunnen, früh am Morgen, alles ist vorbei - Pause. ULI Oder eine Straße, oder eine Kreuzung - die Geschichte von dem Mann, der seinem Schicksal entkommen will und sich gerade dadurch in sein Unglück stürzt. Unausweichlich, man kann nicht davonlaufen, ohne genau dort zu landen, wo man nie hinwollte - das gibt es doch, so ist es doch! Kurze Pause. RUDI Was für ein Arschloch. Kurze Pause. ULI Ja, stimmt. Kurze Pause. Blödes Arschloch. Kurze Pause. Aber der Plan war gut. Und was du dem – Kurze Pause. Nimmt den Hammer und schlägt die Wand ein. Er nimmt den Hammer und schlägt gegen die Wand. Der Sohn heiratet, und der Alte schenkt dem Brautpaar ein ganzes Haus im alten Teil der Stadt am Fluß. Kurze Pause. Eher ein Palais als ein Haus. Aber alles baufällig, und jetzt beginnen die Arbeiten. Der Vater würde alles anders machen als der Sohn, aber gut, geschenkt ist geschenkt, auch wenn sie sich hassen, auch wenn der Alte den Jungen für einen Versager hält - und es ist immer noch sein Geld, und der Alte wäre nicht, was er ist, wenn er sich jetzt einfach raushalten würde, der Machtmensch und der Generationswechsel, schließlich hat er hier selbst als Kind gelebt, und der Sohn - der Sohn will einen Durchbruch, wo nie ein Durchbruch war. RICKI macht ein Geräusch. Ich meine, Halleluja, hast du mal hingesehen? Hast du da mal richtig hingesehen. Mußt du mal machen, lohnt sich, würde ich sagen. Hier! Er macht eine Geste. Hier und uppsie. Hallelujah. Kurze Pause. Das kann nicht sein, daß die mit dem – stell dir vor, wie die mit dem Kurze Pause. Wie der aussah, nachdem der da reingesehen hatte. Kurze Pause. Das Gesicht. Das Entsetzen. RUDI Die Muffe. Die Cottbusser Muffe. ULI Cottbus oder Chemnitz? RUDI Cottbus. ULI Chemnitz. Die waren aus Chemnitz. RUDI Cottbus! Die waren aus Cottbus, wenn ich es dir doch sage! ULI Chemnitz. RUDI Cottbusser Technik. Das Billigste ist gerade gut genug und wird so teuer verkauft, daß. Kurze Pause. Das ist der Markt. Das sind die Cottbusser. Und dann weiß, schlank, sportlich – der Vater. Kurze Pause. Das ist: der Vater. Hoho. Der hat das Geld. Der Kleine hat vielleicht auch Geld, aber der Alte hat das große Geld. Das geerbte Geld. Das Familiengeld. Das alte Geld. Kurze Pause. Und der Sohn haßt den Vater, und er will alles anders machen, er will durchbrechen, er will neu anfangen, und am Ende erbt er doch. Und für den Alten, für den bin ich hier das Kuriosum, ich bin der mit der dicken Nase, ich bin der Handwerker, und ich denke: womit seid Ihr reich geworden, was, was, was mein Großvater war Zwangsarbeiter, was war dein Großvater. Das ist das Fundament dieser Republik. Kurze Pause. Handschlag. Das soll Respekt bezeugen, er und ich, der Bauherr und der Zimmermann. Der Bauherr und das Handwerk! Und ich weiß, das ist alles Ramsch, billig gebaut, zusammengekloppt, das hier, das ist die Cottbusser Muffe. Brüllt. Wir haben hier einen Mann verloren! Pause. Brüllt. Marek! Schweigen. Es klopft. RUDI Ja! Es klopft. RUDI Ja!!! Es klopft. RUDI geht zur Tür und öffnet. Niemand da. Es klopft wieder. Alle sehen sich um. Schweigen. RICKI Vielleicht arbeitet was in den Leitungen. ULI In welchen Leitungen. RICKI In den Leitungen. ULI Nee. RICKI Wieso? Es klopft. ULI Wegen der Muffe. RICKI Wegen der Muffe? RUDI brüllt Sag mal, kann es sein, daß du überhaupt keine Ahnung hast, was hier los ist? Wo bist du denn? Es kann doch nicht sein, daß du nichts von der Muffe gehört hast! RICKI Welche Muffe? RUDI Die Cottbusser Muffe! Kurze Pause. Kann sein, daß das ganze Haus durchfault! Kurze Pause. RICKI steigt auf eine Leiter. Ich stand auf der Leiter, um einen Kronleuchter anzuschließen, und als ich gerade die Lüsterklemme in der Hand hielt, fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, die Sicherung rauszumachen, und dann ging unten die Tür auf, und jemand drückte auf den Lichtschalter neben dem Eingang. Der Strom schoß durch mich durch, und ich konnte die Klemme nicht loslassen, und so hing ich in der Luft, und dann sah ich nur noch ein glühendes Weiß, und ich dachte, das ist das Licht des Himmels, und danach war alles schwarz. Er greift nach der Lüsterklemme. ULI drückt auf einen Lichtschalter. RICKI wird von 220 Volt durchschossen und zuckt über mehrere Sekunden in der Luft. ULI macht den Lichtschalter wieder aus. Sie hatte den Schalter wieder ausgemacht, aber das hatte gedauert, erst hatte sie nicht begriffen, was überhaupt passierte. Sie sagt, es wäre ein Glühen in dem ganzen Raum gewesen, alles hätte geleuchtet, gestrahlt. Ich stürzte von der Leiter, aber da hatte ich schon das Bewußtsein verloren, ich selbst dachte, ich fiele in ein schwarzes Loch, und ich spürte nicht den Aufschlag. Der Strom hätte mich umbringen können, und der Sturz hätte mich umbringen können, an dem Tag bin ich zweimal fast gestorben, und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Boden, und sie beugte sich über mich. Ich sah in ihre Augen. Die Frau vom Zigarettenautomat. Die Braut. Die Frau von der Hochzeit drei Tage vorher. Kurze Pause. Das hätte eben nicht passieren dürfen. Kurze Pause. Danach gab es kein Zurück mehr. Ich erkannte sie sofort, und sie erkannte mich auch, aber keiner sagte was, ich versuchte aufzustehen, und sie half mir, und sie roch so gut, und schließlich stand ich wieder auf den Füßen, und sie auch, und wir sahen uns an, sie sah ja ganz anders aus als drei Tage vorher, sie hatte ja nicht mehr das Brautkleid an, und ich hatte nicht mehr den Anzug an, sondern sie trug einen Rock und eine Bluse und eine Jacke und ich die Arbeitskleidung wie immer. Kurze Pause. Und dann – wir haben jedes Mal einen Strich gemacht, an der Wand, und jedes Mal, wenn ihr Mann in die Wohnung kam, hat er gefragt, was sind denn das für Striche, was zählen Sie denn hier, rückt sich die Brille zurecht, kratzt sich am Kopf, soll das so bleiben oder kommt das weg: und ich sag nichts, und Rudi sagt: Das kommt weg. Das kommt weg! Und da habe ich was begriffen, was mir vorher vielleicht auch schon klar war, was ich aber nicht begreifen wollte. Das kommt weg, da kommt ja noch der Putz drauf, sagt Rudi. Oder was hast du gedacht? Kurze Pause. Jemand malt die neun Striche über. Oder schmiert Putz drauf. Sie hat gesagt, wenn wir nicht drei Tage vorher jemand anderes geheiratet hätten, wäre es nie passiert. ULI Die Autobahn. Die Transporter. Kurze Pause. Die Kolonne der freien Seelen. Wir überholen die Kolonne der gebrochenen Herzen, die Kolonne des heißen Atems, die Cottbusser, wir überholen immer die Cottbusser, und mir fallen Sachen ein: Kurze Pause. „An - und Verkauf“: ein schrulliger alter Händler, ein Trödler, und sein Enkelsohn, der alles besser machen will, aber auf die schiefe Bahn gerät Kurze Pause. Oder: „Die Suppe und der Löffel“, sehr witzig über die Haßliebe zwischen einem Koch und einem Kellner, und am Ende stehen beide auf der Straße - Pause. Warum Cottbus? Kurze Pause. RICKI Hier die eine, da die andere. Schlägt sich gegen die Stirn. Was sollte ich denn machen? Aber gut, aber gut, ich hab ja nichts gemacht an dem Zigarettenautomat, dann ist es eben so, habe ich gedacht, du hast die falsche Frau geheiratet, und dann setz ich mich wieder hin in dem Gewölbe – Ich habe nichts gemachtKurze Pause. und drei Tage später steh ich auf der Leiter und mach das Kabel, und die Tür geht auf, und jemand drückt den Schalter, und ich sehe alle Lichter Gottes. ULI Aus Cottbus – Kurze Pause. Und ich: Du, wieso kommt ihr aus Cottbus, wieso kommen die aus Cottbus hierher, wieso arbeiten hier Cottbusser, und er, wir sind überall. Kurze Pause. Sogar im Taunus. Kurze Pause. Das kann doch nicht sein, das ist doch viel zu weit, wann fahrt ihr denn da los. Ich meine – warum. RUDI Ist billig. ULI Billig? RUDI Billig. Die können nichts verlangen. ULI Aber das müssen die denen sagen. RUDI Wieso sollen die das sagen - ULI Wieso, weil das schimmelt. RUDI Das schimmelt nicht, das fault. ULI Ist doch egal, ist doch egal, ob das fault oder schimmelt - RUDI Außerdem: Wer sagt das. Der Gutachter sagt, es schimmelt nichts. ULI Alles trocken? Ich hab die Muffe doch gesehen. RUDI Weg! Weg ist weg. Kurze Pause. RICKI Und dann schlug er die Wand ein. Das war nach dem achten Strich. Er brauchte gar nicht so lange. Vielleicht zehn, fünfzehn Schläge, dann war er durch. RUDI Der nahm den Hammer und schlug die Wand ein, also, ich reiß das jetzt ein, Und ich: wirklich? Und er, rückt sich die Brille zurecht, ja, komm, gib her – Kurze Pause. Wenn, dann, verstehst du, wenn du hier die Wand einschlägst, dann übernimmst du die Verantwortung, nicht ich – ich nicht – ich übernehme die Verantwortung nicht – Da kann nichts sein, sagt er, wenn du nur irgendeine Ahnung hättest, ich denke, du hast das gelernt! Ich denke, du hast das gelernt? Gelernt, ich habe das gelernt und ich reiße das nicht ein – Verstehst du, wenn du nur irgendeine Ahnung hättest – hier kann nichts sein, kein Wasser, kein Strom, keine Heizung, das kann man messen, wenn du willst, messen, ja, messen, röntgen, röntgen, wenn du willst. Erst fickst du meine Frau, ich ficke deine Frau nicht, erst fickst du meine Frau, ich hab sie nicht gefickt, zeigt auf RICKI. Er, er hat sie gefickt, und dann erzählst du mir wo’s langgeht, ich sag dir, wo es langgeht, hier geht’s lang, denn du – du hast – wie alle Handwerker – keine Ahnung. Willst du, willst du mich beleidigen, du willst mich beleidigen, dann mach doch, schlag deine Wand ein Es klopft. RICKI Ja! Es klopft. Ich sags doch! Die Leitung! ULI Und dann schlug er auf die Wand ein und schlug und schlug Kurze Pause. Wie besessen, er hörte gar nicht mehr auf. Kurze Pause. Und wir standen daneben, Ricki und Rudi und Marek und ich. Da war Marek noch dabei, und erst flog uns der Putz um die Ohren, wer weiß von wann der Putz ist, und der Stein, uralter Stein, und dann schien es immer heller hinter der Wand zu werden, als ob etwas hinter der Wand leuchtete, ein Licht, eine Sonne – bis er durchbrach. Kurze Pause. Aber da war nichts. Ein schwarzes Loch. Wind. Kurze Pause. Er steckte seinen Kopf durch die Öffnung und verlor seine Brille. Die fiel ins Bodenlose. Da ist nichts, sagte er. Ein schwarzes Loch. Ein Abgrund. RUDI schlägt die Wand ein. Das kann dauern. Wenn das Loch fertig ist: ULI Hallo, rief er in die Dunkelheit. Er ruft: Hallo? Viel Hall. RUDI Ein schwarzes Nichts, kein Boden, keine Grenze, kein Licht. Nur Wind. Er sah uns an, und ich hatte das Gefühl, ihm stehen die Haare zu Berge, und er sagte: ich habe meine Brille verloren. Wir ließen ein Streichholz in die Tiefe fallen, aber es ging aus. Wir ließen einen der Baustrahler an dem Kabel herunter, aber da war nichts zu erkennen. Wir ließen ein Seil mit einem Gewicht hinunter, aber wir stießen auf keinen Grund. Kurze Pause. Und dann sagt er: Was ist das? Und dann, schließlich: Also gut: mauern wir das wieder zu. ULI Die Geschichte von der Frau, die den falschen Mann geheiratet hat - RICKI Um ehrlich zu sein, ich habe das nur zugesagt, weil ich wußte, da läuft was. Kurze Pause. Bis ich mich zu irgendeiner Muschi vorarbeite. Ich bin ja der Vorarbeiter. Oder? Ich arbeite mich vor. ULI Oder: Eine Familie, die unweigerlich auseinander bricht, obwohl niemand es will obwohl niemand es will, und obwohl niemand schuld ist, denn jeder hat Recht - und jeder hat Rechte. Und jeder will geliebt werden. Aber was gilt das Recht und das Vorrecht in der Liebe! RUDI Gier, Selbstsucht, Angst - Pause. RICKI Fickscheiße. Kurze Pause. Also gut, gebt mir ein Seil und laßt mich langsam ab. Ich will sehen, was da ist. Kurze Pause. Nein? RUDI Im rechten Winkel und im Lot Steht Mauer, Balken, Wand und Schlot Dem Bauherrn werde Glück und Heil Mit Frau und Kindern stets zuteil Gesundheit, Heiterkeit und Frieden Sei ihnen immerdar beschieden. Ich sehe mir die Kollegen an, da sind sie, die Cottbusser, die sind billig, aber mehr darf es auch nicht kosten, denen ist in Hamburg doch schon ein ganzes Haus weggeschimmelt, die stehen alle schon mit einem Bein im Gefängnis, unterspült und weggesackt, die kennen alles, und immer kommt der Gutachter, aber gut, wenn kümmert das, kann mir egal sein, und dann verlieren wir einen Mann. Kurze Pause. Auf Marek. RICKI Auf Marek. ULI Marek. Kurze Pause. RUDI Ja, gut, schick doch den Gutachter, die haben dem Praktikanten die Krawatte umgebunden und gesagt, du bist jetzt Gutachter: und dann: Kurze Pause. Hier – Kurze Pause. Hier – ist alles trocken. Kurze Pause. RICKI Weißt du, sagt sie, es gibt Menschen, die für die Gesellschaft von Bedeutung sind, und andere, die nicht für die Gesellschaft von Bedeutung sind, weil sie nichts für die Gesellschaft tun. Und du – du gehörst zu der letzten Gruppe. Du machst nichts. Oder: Du machst so rum. Wieso, sage ich, wieso ist das für die Gesellschaft nicht von Bedeutung, natürlich bin ich für die Gesellschaft von Bedeutung, ich meine, aus Leuten wie mir besteht die Gesellschaft, ich bin die Gesellschaft, ich arbeite, ich verdiene Geld, ich zahle Steuern, ich – ich bin das System. Nein, nein, sagt sie, du erhältst das System, du schadest ihm vielleicht nicht, aber was tust du, du persönlich, um das System zu verbessern. Ich? Wieso soll ich das System verbessern, es reicht, wenn ich das System erhalte, verbessern können es andere, ich meine, hey, ich mach nen Job, ich mache gute Arbeit, und dann lachte sie. Sie lachte nicht laut oder bösartig, aber sie lachte auch nicht nett, irgendwie dazwischen. So hatte noch nie eine Frau über mich gelacht. Was ist, was ist daran so komisch, habe ich gesagt, und um ehrlich zu sein, eigentlich wollte ich ihr eine knallen. Das war nach dem siebten Strich. Kurze Pause. RUDI Der Bauherr kommt mit dem Handwerker nicht zurecht, und der Handwerker nicht mit dem Bauherrn. Ist doch immer so. Wir beide, sagt der Alte, wir müssen uns ja nicht verstehen, aber besser wäre, wir würden uns verstehen, aber gut, wenn wir uns nicht verstehen, verstehen wir uns nicht. Kurze Pause. Aber niemand weiß, wie was zusammengehört, wer was trägt und wen was trägt, - und jeder weiß es besser. Kurze Pause. Diese Republik ist ein Konstrukt, und wir sind ein Teil davon. Kurze Pause. Keine Identität. Und Sie und ich sind Teil davon. Ein gemeinsames gesellschaftliches Projekt hat es in dieser Republik zu keinem Zeitpunkt gegeben. Und der Alte sieht mich an, lange, und dann sagt er: da können Sie froh sein. Seien Sie froh. Ohne jede Ironie. Ich bin aber nicht froh. Denn es geht doch weiter. Es geht ja nicht allein um uns. Es geht um alle. Kurze Pause. Wie der Mensch im Staub liegt, wie die ganze Menschheit im Staub kriecht, unter einer roten Sonne, in der Hitze, durstig, denn es gibt kein Wasser mehr, oder: es wird immer weniger Wasser werden, und irgendwann werden wir kein Wasser mehr haben, und hungrig wird der Mensch sein, denn es gibt nichts mehr zu essen, weil das Korn verdorrt ist, weil der Reis nicht mehr reicht für alle, der Reis reicht jetzt schon nicht mehr für alle. Der Mensch ist ein Tier, der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier, aber trotzdem ist der Mensch nur ein Tier, ist immer nur ein Tier gewesen, nicht mehr, der Mensch kann nicht weiter vorausschauen, als sein eigener Schatten reicht, und er kann auch nicht weiter zurückschauen, als sein eigener Schatten reicht, und deshalb ist der Mensch - wie ein Tier nicht in der Lage, sich zu erinnern, was gewesen ist, und sich vorzustellen, was kommen wird. Das wird kommen: Wir, die Bewohner dieses Planeten, wir sind nicht in der Lage, diesen Planeten vor uns selbst zu schützen, und wir werden nicht in der Lage sein, unseren Planeten Erde zu retten. Die Industriegesellschaft - das sind wir, und die Industriegesellschaft zerstört die Natur, zerstört das Klima, die schützende Hülle der Erde, die Industriegesellschaft wird diesen Planeten zu Grunde richten. Mehr als eine Milliarde Menschen leben auf diesem Planeten in diesem Augenblick von weniger als einem Dollar pro Tag. Wir werden nicht den Abgrund zwischen Arm und Reich auf diesem Planeten überbrücken, niemals. Kann sein, manche Statistik sagt: es wird besser. Kann sein, in Süd-Asien geht es den Menschen langsam besser. Aber in Afrika geht es den Menschen südlich der Sahara schlechter, da leben 60 Prozent der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag. Die führenden Industrienationen und die bevölkerungsreichsten Länder der Erde werden das Klima dieser Erde immer weiter zerstören, und davon betroffen werden zuerst die ärmsten Länder dieses Planeten sein, denn die Klimakatastrophe ist gleichzeitig eine Versorgungskatastrophe. Es wird als erstes die treffen, die jetzt schon nichts haben, die jetzt schon von weniger als einem Dollar am Tag leben sollen und es natürlich nicht können. Als erstes trifft die Klimakatastrophe die Länder Afrikas südlich der Sahara. Dort, wo es jetzt schon nicht genug sauberes Wasser und Reis gibt, wird es noch weniger geben, es wird die zuerst treffen, die es jetzt schon trifft, seit Jahrzehnten: Länder wie Malawi oder Lesotho oder Swasiland, Länder mit einer AIDS-Rate in der Bevölkerung von über zwanzig Prozent. Jeder vierte in Malawi, Lesotho oder Swasiland, um nur drei Länder zu nennen, hat AIDS. In manchen Gegenden leben nur noch die Kinder und die Greise. Es ist niemand mehr da, der die Arbeit auf dem Feld machen kann. Alle krank oder tot. Und Tausende sterben täglich, Erwachsene. Kinder. Jetzt. In diesem Moment. Und das seit Jahren. Aber niemand sollte die Rechnung der Zukunft ohne Afrika machen, niemand. Alle reden über China, ja, ja. Die riesigen Märkte, ja, ja. Die entrechteten, ausgebeuteten Völker Afrikas und Asiens und Südamerikas werden sich rächen, diese Länder werden ein fruchtbarer Nährboden sein für die Saat all jener, die irgend etwas anderes versprechen, als die westlichen Industrienationen gehalten haben, Ideologen, Blender, Religionsführer, Sadisten werden dort offene Ohren finden, und irgendwann kommt sie dann, sie muß kommen, und sie wird kommen: die schmutzige Bombe, die nukleare Rucksackbombe in der U-Bahn von New York, Berlin, London, Frankfurt, Paris, Madrid, Rom, Moskau, Wien: Die alten Achsen werden nicht zerbrechen, sie werden zerstört werden. Eine einzige nukleare Bombe in den Containerhäfen von Singapur oder von Rotterdam, den größten Häfen der Welt, und der Weltmarkt bricht zusammen, der Weltmarkt wird vollkommen zusammenbrechen. Und, ja, er wird möglich werden, oder er ist längst möglich, der zentrale Angriff auf das Internet, auf das Telephonnetz, auf die Finanzmärkte. Nicht zu vergessen die biologischen Waffen, Anthrax, die Pocken, die Pest. Der Mensch lernt nichts, er ist nicht in der Lage, sich zu erinnern, was gewesen ist, und er ist nicht in der Lage, sich vorzustellen, was kommen wird. Der Mensch kann nicht weiter vorausschauen, als sein eigener Schatten reicht, und er kann auch nicht weiter zurückschauen, als sein eigener Schatten reicht. Die Plagen, die Gott über die Ägypter kommen ließ, bevor er ihre Kinder abschlachtete, der Nil voll Blut und die Frösche und das Ungeziefer, der Hagel, die Heuschrecken, die nicht enden wollende Nacht, das waren keine Strafen: das waren Warnungen: es waren Warnungen vor der letzten, mörderischen Katastrophe, aber die Ägypter hörten nicht und blieben ihren ungerechneten Göttern treu, so wie wir unseren Göttern treu bleiben werden: der Habgier und der Rücksichtslosigkeit, das ist die große Schwäche der Gattung Mensch, die Fühllosigkeit, jetzt wird er wirklich laut und verzweifelt. nichts verbindet einen Menschen mit dem anderen, außer für eine zu kurze Zeit - die Nabelschnur, danach aber verbindet den Menschen nichts mehr, und wenn, wie es in dieser Minute, in diesem Augenblick geschieht, ein Kind in Afrika oder Indien armselig krepiert, dann spüren wir nichts - nichts. Nachts sitzen wir, die Bürger der Kommunikations- und Industriegesellschaft mit aufgerissenen Augen vor den Fernsehern, wir wissen alles, wir kennen jedes Bild, jede preisgekrönte Dokumentation, aber wir bleiben blind. Wir sind Blinde. Und vor uns liegen die Jahre der Pest. Pause. Bier. Rauchen. Vielleicht Arbeit. ULI nüchtern, ohne Überzeichnung Ich glaube fest an eine Zukunft, ich glaube, daß es möglich sein wird, auf diesem Planeten in Frieden zu leben, der Mensch, Er macht eine kurze, ehrfurchtsvolle Pause bei diesem Begriff. der Mensch, wir, wir werden das erreichen, wir werden das erschaffen, was unseren Vätern und Vorvätern nicht gelungen ist, wir werden etwas aufbauen, wir werden Fehler wieder gut machen alles, was wir dazu brauchen, ist ein Bild, eine Vision, ein Ziel, ein Entwurf einer Zukunft, wir brauchen einen großen, herrlichen Gedanken, einen Gedanken wie ein Gesang von Gleichheit und Brüderlichkeit und Recht und Freiheit, und von Verantwortung, und Wachheit und Wagemut: ein Credo der Zukunft: Aufgehoben wird sein der Unterschied zwischen den armen und den reichen Völkern der Erde, niemand in Afrika wird noch unter primitivsten Bedingungen mit einem Esel und einem rostigen Pflug sein ausgedörrtes Feld bestellen müssen, während wir mit subventionierten Lebensmitteln der Europäischen Union auf den afrikanischen Märkten die Preise zerstören, das wird sich ändern, das muß sich ändern, niemand wird mehr sterben müssen, weil er nicht genug zu essen hat, oder weil es keine Medizin gibt, oder weil es keine bezahlbare Medizin gibt, Er lacht auf. auch das wird sich ändern, wird sich selbstverständlich ändern müssen. Das Ende des Zeitalters der kriegerischen Barbarei und der Ausbeutung im Namen der Ökonomie wird kommen. Das Wort von der Gleichberechtigung von Mann und Frau wird eines Tages keine bloße Phrase mehr sein, auch wenn wir davon noch weit entfernt sind: es wird so sein. Ich glaube an die Zukunft des Rechtes und der Gerechtigkeit, eines Tages wird das Recht auf körperliche Unversehrtheit kein hohles Wort mehr sein, so wie das Recht auf freie Meinungsäußerung in Rußland und China und im Iran und in allen anderen Ländern dieser Erde, so wie das weltweite Grundrecht auf kostenlose Schulbildung kein hohles Wort mehr sein wird, ich glaube an das Ende des Analphabetismus in den Armenhäusern dieser Welt, ich glaube fest an das Ende der Ausbeutung der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Billiglohnländern Asiens und anderswo, es kann nicht sein, daß es an Geld fehlt, um Kinder vor dem Tod zu retten, während in (UNSINNIGES AKTUELLES TEURES GROSSPROJEKT EINBAUEN) wird, nein, wir werden das Wort Wohlstand, das Wort Luxus völlig neu definieren, es wird eine Umkehr geben, alle Nationen, auch die Chinesen und die Amerikaner, werden eines Tages ihre Schadstoffemissionen drosseln, wir werden alternative Energiekonzepte entwickeln, der überhitzte Planet wird langsam wieder erkalten, das abgeschmolzene Eis der Polkappen kommt zurück, der Meeresspiegel sinkt, die durch die Erderwärmung Algen- und Quallenverseuchten Meere werden Jahrzehnte brauchen, um sich zu erholen, aber eines Tages wird soweit sein, es wird geschehen, wir alle, alle Völker dieser Erde, werden lernen, in Frieden zu leben, ich glaube an ein Ende der Kriege, ich glaube an ein Ende der ewigen Gewalt im Nahen Osten, in Israel und Palästina, und im Irak und in Afghanistan, in Afrika und wie werden wir das erreichen? Wie wir das alles erreichen werden? Durch Tatkraft, durch Mut, durch Wissen, durch Wachsamkeit, durch Toleranz und Geduld und durch Aufklärung, und durch Schönheit, durch Gutes - RUDI Und Löwe und Lamm liegen wie einst im Paradies nebeneinander in Frieden. ULI und wäre das nicht so - wir wären alle verloren Ich glaube an die Vereinten Nationen, und ich glaube an eine Gesellschaft, in der jeder das tut, und das tun darf, was er oder sie am besten kann, ich glaube an eine Gesellschaft, in der jeder seinen Platz hat, ich glaube an die Abschaffung der Eliten und die Schaffung einer millionenund milliardenköpfigen Elite von glücklichen Menschen, die ihren Weg gefunden haben - RUDI Wenn Jesus am Kreuz für uns gestorben ist, für uns, wenn der Tod Jesu am Kreuz uns erlöst, dann frage ich mich: wofür sind dann die sechs Millionen in den Konzentrationslagern, in den Gaskammern, umgekommen, die - ULI Man müßte doch immer nur die Wahrheit zeigen, nur die Wahrheit, Kunst und Wahrheit, nichts anderes, RUDI Und wer da noch kommen soll, welcher Messias RICKI kleinlaut, betreten. Jemand müßte vielleicht einen Brief schreiben - ULI Ich hätte da noch - RICKI Man müßte, ich würde so gerne - ULI Ich würde mir so wünschen, daß - RUDI Wenn ich, wenn ich nur ein einziges Mal - RICKI Bestimmen, wer bestimmt denn - ULI Das, da könnte ich auch - RUDI Das reicht nicht! Das reicht nicht! Oder? Was was was - RICKI wie was? ULI weil das so - RICKI Was heißt das? ULI Was heißt das? RICKI schreit schrill auf. RUDI als ob nichts geschehen wäre - amüsiert Ich meine - wir? Wer soll das sein? Kurze Pause. Und der Alte sieht mich an Kurze Pause. ULI Und wir fahren morgens in der Dunkelheit und in der Kälte über die Autobahn, der Schlaf steckt einem noch in den Gliedern, und keiner sagt was, oder wenn einer was sagt, dann so was wie: Wenn, dann - was wir tun, wie und warum – müssen wir das in Frage stellen? Und wir fahren weiter, im Radio läuft Musik. Und Marek sitzt hinten auf der Rückbank und sagt: Ein Mann, der fliegen lernt und furchtbar zu Fall kommt. Und ich sage, uuuh, Marek, du weißt doch: Identifikation ist tot. Die Figur ist tot. Hey. Und dann überholen wir einen brennenden Minibus, der steht auf dem Seitenstreifen und brennt, und die Feuerwehr ist da und sperrt alles ab, und sieben Krankenwagen sind da, und Polizei. Das Blaulicht in der Nacht. Der Sonnenaufgang kommt immer später, letzte Woche war es um diese Zeit schon hell, und jetzt ist es noch stockdunkel, als wir auf der Baustelle ankommen, da stehen wir noch einen Moment auf der Straße und rauchen, und dann kommt einer von den Kranführern und sagt: die Cottbusser sind in ihrem Bus auf der Autobahn verbrannt, alle sieben, die ganze Mannschaft ist verbrannt, nur der Azubi nicht, der war nicht dabei, der hat blau gemacht, aber die anderen, alle tot, die waren seit halb fünf auf der Straße, und dann ist der am Steuer eingeschlafen, und das wars: keiner kam mehr aus dem Bus. Kurze Pause. RUDI spricht weiter Wer weiß, wer von uns heute nicht lebendig nach Hause kommt, wer weiß - einer kommt vielleicht nicht lebendig nach Hause, wer weiß, wen auf dem Heimweg die Straßenbahn streift, oder wer, auf dem Weg zur U-Bahn, auf der Treppe unglücklich fällt - wer weiß! Ein banger Moment. Es klopft wieder. RUDI Ja, ja. Er packt ein Brot aus. Schweigen. Klopfen. Schweigen. RUDI Und mir fielen beim Essen die Zähne aus, alle, nacheinander, und ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen Kurze Pause. ULI Und vor mir ein riesiges Loch, so groß wie ein Grab Marek, vollkommen staubbedeckt, bricht durch den Fußboden in den Raum. Er klettert in den Raum, schwankt leicht. Er überlegt kurz, ob er gleich weiterarbeiten soll. Die anderen sehen ihn an. RUDI reicht ihm sein Butterbrot. RICKI gibt ihm ein Bier. Er setzt sich. Schweigen. RUDI Und? Pause. Es dauert bis Marek so weit ist. MAREK König Runza ist ein schlecht gelaunter König. Kurze Pause. Aber er ist ein König, und er reitet auf einer Elster durch sein Reich der Feen und der Elfen. Kurze Pause. Und die Elster ist ein Biest. Die Elster sagt, sie ist eine Dohle, aber in Wahrheit ist sie nichts als eine Elster, und beide wissen das, der König Runza, und das Tier, auf dem er reitet. Was du redest, was du sagst, sagt Runza, und dann schlägt er die Elster, und er reißt ihr die Federn aus, und die Elster frißt Schnecken und hackt fremde Eier auf, damit ihr neue Federn wachsen, immer klebt Dotter an ihrem Fell und an ihrem Schnabel, die Elster ist widerlich, sagt König Runza. Er trinkt einen Schluck und denkt kopfschüttelnd nach. Aber – wenn es ihm zu eng wird, wenn es Runza zu eng wird, reitet er nicht mehr auf der Elster, sondern auf einem Kolibri, und der Kolibri ist eitel, und er hackt der Elster auf den Kopf, und dafür schlägt Runza den Kolibri und reißt ihm Federn aus, und der Kolibri frißt Fliegen, damit ihm die Federn wieder wachsen, und damit der Schmerz nachläßt, und wenn es Runza auf dem Kolibri zu eng wird, weil er nicht durch die Ritzen kommt, dann reitet er auf einer Mücke, und die Mücke weint und weint, weil sie weiß, daß sie bald sterben wird, und wenn die Mücke dann mit Runza durch die Fensterritzen und Borkenspalten geflogen ist, dann frißt Runza die Mücke bei lebendigen Leib, und die schreit und schreit, aber Runza ist der König, und wenn die Mücke schreit, wissen alle Feen und Elfen, daß Runza in der Nähe ist. Kurze Pause. Man könnte meinen, die Feen und Elfen liebten den Wald, das Grün, die Heide, aber nein: Am liebsten reist Runza durch sein Reich aus Stein, durch Putz und Mörtel, durch die Städte, durch die Häuser, durch die Wände, durch die Böden, auf dieser Reise reitet er auf einer Assel, hoho, hü, oder auf einer Larve, oder auf einer Milbe, schwankend auf der Milbe durch die Wände, durch die Böden, durch die Betten – Die Körper schwitzen, die Kinder weinen und die Frauen stöhnen und die Männer grunzen, wenn Runza und sein Troß über sie hinwegziehen, mit wehenden Fahnen und mit für unsere Ohren unhörbarer Spinnenmusik, wo sind die goldenen Felder, wo sind die goldenen Felder, so geht immer die Musik. Kurze Pause. Die Spinnenmusik, die Spinnen laufen dem Troß hinterher, und wo du eine Spinne laufen siehst, ist Runza nicht weit, und wenn die Spinne verschwunden ist, hat Runza sie gefressen, und während er sie frißt, singt die Spinne am schönsten, hell und klar, wie ein Stern, wo sind die goldenen Felder, wo sind die goldenen Felder. Hier sind sie hier, ruft ein Silberfisch, der vorneweg läuft, hierher, hier, und: da sind sie, da sind die goldenen Felder, winzige Trommeln und Flöten spielen, und die langen Fahnen flattern, hier sind sie, hier, und da, in den Ritzen zwischen den Dielen, unter dem Boden und in den Fugen, wächst es, hier wächst der Feenstaub, hier wächst der Purpurstaub, hier wächst das Gold. Kurze Pause. Und Runza streicht über die goldenen Fäden, er ist der Herrscher von alldem, und niemand weiß es. Pause. RICKI am Rande, in Sorge, hellwach Ich bin heute früh aufgewacht, und plötzlich war ich zehn Kilo schwerer - RUDI am Rande, in Sorge Ich bin heute früh aufgewacht, und plötzlich war ich zehn Kilo leichter. MAREK Ich stand plötzlich vor Runzas Thron, gebaut aus einer goldenen Haselnuß, und ich war plötzlich winzig klein. Da, wo ich war, war es hell und dunkel gleichzeitig, es war wie eine Zwischenwelt, und über uns donnerte es, das waren Eure Stimmen, und Eure Füße. Wir sind unter den Dielen, sagt Runza, dies ist das Zwischenreich, das Reich der Feen und des Goldes, es gibt drei Reiche, wußtest du das, Marek, woher wissen Sie, wer ich bin, ich weiß es, ich bin der König im Zwischenreich, ich bin König Runza, es gibt drei Reiche: Das Vorwärtsreich, aus dem kommst du, das Zwischenreich, da bist du jetzt, und es gibt das Rückwärtsreich, vor dem hüte dich, Marek. Kurze Pause. Und dann schlägt er mich zum ersten Mal. Du Marek, du mußt aufpassen, was machst du hier, hier hast du nichts zu suchen, wie kommst du hierher in die Zwischenwelt, hier hast du nichts zu suchen, und jetzt, was soll jetzt aus dir werden, denn zurück kommst du nicht, das weißt du wohl, kein Mensch hat je die Zwischenwelt betreten, und kein Mensch wird sie jemals verlassen. Hast du gedacht, du faßt den Schimmel an, hast du die goldenen Fäden angefaßt, wolltest du ernten? Aber das gehört nicht dir, das ist kein Schimmel, sieht nur so aus, das ist Feenstaub, das ist Gold, und sag mir, Marek, wo es in der Vorwärtswelt am meisten schimmelt, und ich sag dir wo das Gold ist. Gold! Die Zwerge lieben Steine, Diamanten, auch Metalle, aber sie können sie nicht säen, nur Runza, der König der Feen und Elfen sät das Gold, und dafür, daß du hier bist Kurze Pause. Er nimmt einen Schluck. MAREK Und dafür, daß du hier bist – Kurze Pause. Und dann schlägt mich Runza wieder, und er springt herum und zieht sich aus, und dabei beißt er einer Fliege den Kopf ab, und die Fliege reibt sich kopflos weiter die Beine, Marek, Marek, schreit er, nackt und dick, mit wulstigem Fett auf seinem Hüften, mit fetten Schenkeln, du bist der Richtige, du sollst es sein, dir gebe ich meine Tochter zur Frau, ob du hier hingehörst oder nicht, komm, zieh dich aus, du sollst mein Söhnchen sein, beiß in die Assel, zeig mir, was du kannst, beiß ihr den Kopf ab, saug sie aus, komm, komm, Musik! Musik! Spinnenmusik! Und die Tiere fangen wieder an, die Trommel zu spielen und die Flöte, hier kommt mein Töchterlein, du sollst sie heiraten, aber das sag ich dir, das sag ich dir, sei nicht zu gut zu ihr, sie ist ein Biest, du mußt sie täglich schlagen, sei nicht zu gut ihr – da kommt sie ja, da kommt sie ja! Kurze Pause. Er nimmt einen Schluck Bier. Und da kommt sie, Clarion, und sie ist spinnwebfein, und silbrig, durchsichtig weiß, mit blondem Haar und großen Augen reitet sie auf einem Hirschkäfer, der schwankt und ächzt, sie ist zu schwer! Sie so fein wie Morgentau, und sie ist schwer wie Blei, wie Quecksilber, wie Gold, so schwer wie alles Gold der Erde, und sie kommt nach ihrem Vater, peitscht den Käfer, der sie kaum noch tragen kann, dem springt der Panzer aus den Gelenken, es knirscht, es ächzt, und das Tier schreit und schreit und dann zerbirst es, und die Feentochter springt dröhnend von dem toten Reittier und leckt das Käferblut vom Boden auf, Marek, ruft sie mit glockenheller Stimme, Marek, komm, das ist der Hochzeitsschmaus, komm, komm zu mir, du mußt sie schlagen, Marek, immer schlagen, sagt König Runza, sperr sie ein, bring ihr nichts bei, laß sie hungern, paß auf, daß sie dir nicht zu schlau wird, halt sie dir dumm wie ein Schwein, schneid ihr die Zehen ab, sie wachsen nach, kneif ihr die Finger mit der Zange ab, die Zunge, wenn du das Gold ernten willst, mein Junge, mußt du wachsam sein, du mußt Schmerz ertragen, hart mußt du sein gegen dich und gegen andere, vor allem mußt du Schmerzen bereiten, unser Gold wächst nur mit Schmerz Kurze Pause. Er nimmt einen Schluck. Und dann drischt er seiner Tochter mit dem Zepter ins Gesicht. Kurze Pause. Siehst du, so, so geht’s, Marek. Kurze Pause. Und sie – sie sagt, Vati, Vati, heute ist doch Hochzeit, und weint, und schreit und reißt ihren Mund auf, und der wird immer größer, und dann packt sie plötzlich den Vater mit einem Griff aus Eisen, ho, schreit der König, kommst du mir so, kommst du mir so, ich bring dich um, schreit er, als Jungfrau sollst du sterben, und dann verschlingt die Feentochter den König vor meinen Augen. Kurze Pause. RICKI Du denkst, es wird schon, hat sie gesagt. Nach dem fünften Strich. Oder nach dem vierten Strich. Du denkst, daß es schon wird. Oder? Das denkst du doch. So hat sie das gesagt. Kurze Pause. Du kannst dir nichts anderes vorstellen. Kurze Pause. Du bist zu beneiden. Du bist wirklich zu beneiden. Kurze Pause. Aber das meinte sie nicht so. Sie meinte das Gegenteil. Kurze Pause. Er nimmt einen Schluck Bier. Sie meinte das gar nicht so. Kurze Pause. ULI Da, sagt Marek, das ist die Kolonne der gebrochenen Herzen, und das, das ist die Kolonne des heißen Atems, und wir sind die Kolonne der freien Seelen, singen wir. Der brennende Bus in der Nacht. MAREK Marek, sagt sie. Kurze Pause. Komm, Marek, sagt Clarion, komm zu mir. Kurze Pause. Na, Marek, Marekchen, was ist – Kurze Pause. Willst du nicht zu mir kommen? Spielt doch, spielt doch für uns – und die Spinnen spielen eine Musik, einen langsamen Marsch. Er spielt den Marsch. Und sie reicht mir die Hand, so fein und zart, fast durchsichtig. Kurze Pause. Und so schreiten wir Hand in Hand durch unser Reich. Kurze Pause. Sie ist die neue Feenkönigin, und ich – ich bin der neue Feenkönig – und sie sagt: Siehst du die goldenen Felder, Marek? Das gehört alles uns. Und alle Tiere senken vor uns ihre Häupter, die Asseln, die Käfer, die Silberfische, die Mücken und die Elstern – und der Wind pfeift zwischen den Deckenbalken und den Dielen und den Fenstern und den Schornsteinen, auf den Höhen und in den Senken, und Clarion sagt: Hörst du den Wind, liebster Marek? Das ist kein guter Wind, das ist ein Rückwärtswind, der weht sonst nie, wenn er nur nicht so pfeifen würde – küß mich, Liebster, und leb wohl – Kurze Pause. Und dann – Kurze Pause. RICKI Du bist noch ein bißchen elektrisch. Kurze Pause. Er lächelt. Das hatte sie gesagt – nach dem ersten Strich. Kurze Pause. Du bist noch ein bißchen elektrisch. Kopfschütteln. Die Männer machen vielleicht etwas Musik. Dann wird gearbeitet. Schließlich: ULI Fahren wir? RUDI Ja, fahren wir. Fahren wir nach Hause. Kurze Pause. Die Männer lassen alles stehen und liegen. Sie sehen sich um und gehen. Das Licht bleibt an. RICKI kommt zurück, er macht einen Strich an die Wand, macht das Licht aus und geht. ENDE