Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen nach ERLL, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. In: NÜNNING, Ansgar; Nünning, Vera (Hrsg.): Einführung in die Kulturwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 2008 ASSMANN, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, C. H. Beck, München 1992, Kulturwissenschaftliche Ansätze Kultursemiotik Jurij Lotman: Über Semiosphäre in: Kultur und Evolution. 1990, Band 12, Heft. 4, S. 287-305. Im Unterschied zu Peirce oder Saussure wird hier vorgeschlagen, holistisch vorzugehen und die Gesamtheit aller Zeichenbenutzer, Texte und Kodes einer Kultur als semiotischen Raum anzusehen: eine "Semiosphäre", die Zeichenprozesse ermöglicht. Die Semiosphäre ist gekennzeichnet durch ihre Individualität und Homogenität, den Gegensatz von Innen und Außen und die Ungleichmäßigkeit in der Struktur des Inneren. Die Grenze zwischen dem Inneren und dem Äußeren einer Semiosphäre wird durch die gegenseitige Fremdheit der Zeichenbenutzer, Texte und Kodes aufrechterhalten und ist durch Übersetzungsprozesse partiell überwindbar. Kultursemiotik Die Ungleichmäßigkeit des Inneren einer Semiosphäre, das sich in einen Kernbereich und zur Peripherie hin zunehmend amorpher werdende Bereiche gliedert, ist verantwortlich für die innere Dynamik der Semiosphäre. Im Kernbereich befinden sich die dominierenden Zeichensysteme, in denen Zeichenbenutzer, Texte und Kodes in elaborierter Weise aufeinander abgestimmt sind. Zur Peripherie gehören Zeichenbenutzer, die kaum einen Kode gemeinsam haben, Texte, die unverständlich sind, weil ihre Kodes verloren gegangen sind, und Kodes, die heterogen und fragmentarisch sind. Der Austausch zwischen Innerem und Äußerem sowie zwischen Kernbereich und Peripherie einer Semiosphäre führt zur Schaffung neuer Kodes, zur Produktion neuer Arten von Texten und zu Veränderungen bei den Zeichenbenutzern, die sie für neuen Sinn empfänglich machen. Kulturwissenschaftliche Xenologie Alois Wierlacher: Architektur interkultureller Germanistik. Die interkulturelle Germanistik betrachtet die deutsche Sprache, Literatur und Kultur unter dem Aspekt ihrer Fremdheit für Menschen mit anderen sprachlichen und kulturellen Voraussetzungen. Sie erforscht, welche Wirkungen von dieser Fremdheit ausgehen. Wierlacher seine Habilitation Vom Essen in der deutschen Literatur: Mahlzeiten in Erzähltexten von Goethe bis Grass. W. Kohlhammer (1987) narrative Strategien und sprachlich-bildhafte Symbolisierungen von kulinarischen Fremd-eigen-Differenzen und Gruppen-Zugehörigkeit,die sprachliche Gestaltung von Speisearrangements im Zusammenhang mit kulturspezifischen Riten, sozial distinktiven kulturellen Regulierungen von Tischsitten, Sitz- und Raumordnungen, Dekorationen, ›gutem Geschmack‹ und ›guter Erziehung‹. Carl Sternheim Napoleon, Leipzig: Wolff, 1915. Der jüngste Tag, Bd. 19, Über einen Napoleon, der 1820 in Waterloo geboren wurde. Zwölf Jahre alt, nahm er von Kameraden beherrschten Abschied, sprang zum Vater in die Kalesche und fuhr nach Brüssel hinüber, wo er vor einem Gasthaus abgesetzt wurde. In der Küche des Lion d’Or lernte er Schaum schlagen, Fett spritzen, schneiden und schälen. Gewohnter Überwinder der Kameraden auf weltberühmter Walstatt, ließ er auch hier ganz natürlich die Mitlernenden hinter sich und war der erste, der die Geflügelpastete nicht nur zur Zufriedenheit des Chefs zubereitete, sondern auch nach den Gesetzen zerlegte.“ Günter Grass Oskars Vater Alfred Mazerath konnte Gefühle in Suppen verwandeln. Der Butt, 1977 "Vom Fischer un syner Frau", ein Grimm-Märchen Anfangs hätte ich nur über neun oder elf Köchinnen eine Art Ernährungsgeschichte schreiben wollen: vom Schwadengras über die Hirse zur Kartoffel. Aber der Butt sei gegengewichtig geworden. Und der Prozess gegen ihn. Leider habe man mich als Zeugen nicht zulassen wollen. Meine Erfahrungen mit Aua, Wigga, Mestwina und Dorothea seien den Damen wenn nicht lächerlich, so doch bloße Fiktion gewesen. "Richtig abgeschmettert habt ihr meine Anträge. Was bleibt da übrig, als das Gewohnte zu tun: schreiben, schreiben. New Historicismus Bd. 10 der Buchreihe Teoretická knihovna in Verlag Host (2007) Stephen Greenblatt: Marvelous Possessions: The Wonder of the New World, 1992 (dt. Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden. Reisende und Entdecker, Berlin 1998. Podivuhodná vlastnictví. Zázraky nového světa (über Kolumbus-Briefe und Cortes) Er erforscht vor allem William Shakespeare und das Elisabethanische Zeitalter betrachtet das literarische Werk im Spiegel seiner Zeit. 1995 hat Greenblatt die Umbenennung von New Historicism in Poetics of Culture vorgeschlagen. Dies sollte sein Ziel verdeutlichen, New Historicism von Literaturgeschichte zu distanzieren, um so seine kulturanthropologischen Ansprüche zu betonen. exzentrische Anekdote bei Greenblatt Exzentrische Anekdoten über Männer, die Kinder bekommen, Gespenster im ehebett oder Hinrichtung einer schwangeren Frau wegen Kindsmord Ein historisches Fundstück, das wie ein Ferment wirkt und die unterschiedlichsten Texte zusammenführt. almost surrealistic wonder citát Svatých sonetů Johna Donna: „Abych moh povstat, spoutej mne a svou silou mne zlom, spal, odvaň, znovu stvoř. Vezmi mne k sobě, svaž mne, neboť já nebudu svobodný, dokud mne nezotročíš, nebudu očištěn, dokud mne neposkvrníš“ Jan Assmann Kultura a paměť. Písmo, vzpomínka a politická identita v rozvinutých kulturách starověku. Přeložil Martin Pokorný. Praha: Prostor, 2001. Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: beck, 1999. Für ihn ist das Erinnern nicht die Anwendung einer Technik, sondern ein soziales Phänomen, wobei er sich auf den theoretischen Ansatz Maurice Halbwachs zur sozialen Konstruktion der Vergangenheit stützt. Assmann Die Grundlagen der Kanonisierung einer wahrheitsstiftenden Schrift im Judentum sieht Assmann vor allem durch das babylonische Exil des Volkes begründet. In dieser Notlage und fern der etablierten Erinnerungsmöglichkeiten musste eine "kulturelle Memnotechnik" (227) den Zusammenhalt des Judentums bewahren. In dieser Hoffnung auf das gelobte Land als Verheißung erkennt Assmann das Grundmotiv religiös motivierter Erinnerungstechnik. Assmann Im Gegensatz dazu sieht er die griechische Kanonbildung von Homer bis Euripides zwar ebenfalls schriftzentriert, aber nicht religiös motiviert, sondern geradezu als "öffentliche Erinnerung", deren Teilhabe keiner besonderen Bevollmächtigung bedarf (Cicero, S. 267). Assmann: die Leistung der Griechen ist noch vor den Inhalten, die sie schufen, darin zu sehen, dass sie das bis dahin leistungsfähigste Schriftsystem erschufen. Platon, Phädros Als er aber an die Buchstaben gekommen, habe Theuth gesagt: "Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser machen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel für Erinnerung und Weisheit ist sie erfunden." Jener aber habe erwidert: "O kunstreicher Theuth, einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu bringen; ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt, als Vater der Buchstaben, aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für die Gedächtnisstützung hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst Theuth Gott des Mondes, der Magie, der Wissenschaft, der Schreiber, der Weisheit und des Kalenders. In den Pyramidentexten galt Thot als Gott des Westens. Beim Totengericht notiert er, ob die Verstorbenen es würdig sind, in das Reich der Wiederkehr beziehungsweise in das Totenreich aufgenommen zu werden. Welche Folgen für unser Gedächtnis hat die Speicherkapazität der Festpaltte und die Volltextsuche? Erfindung der Schrift Theuth Assmann Vergangenheit: Konstruktion späterer Generationen, die sich "ihre" je eigene Vergangenheit schaffen: Funktionsweisen der kollektiven Erinnerungsarbeit, die sozialen Bedingungen des Gedächtnisses bestimmen den Rahmen möglicher individueller Erinnerung. Die Einheitlichkeit einer Kultur wird durch rituelle Kohärenz erhalten. Das Gedächtnis dieser Kultur reicht dabei nur drei bis vier Generationen weit, ihr Erinnerungshorizont wandert mit den Generationen mit. Assmann bezeichnet diese Form der Erinnerung als kommunikatives Gedächtnis. das kulturelle Gedächtnis Ein Kanon grundlegender und unveränderbarer Texte wird von einer neu entstehenden Schicht von Schriftgelehrten (in frühen Phasen zumeist Priester und Beamte) verwaltet, aufbewahrt, kopiert und kommentiert. Diese neue kulturelle Formation - die nunmehr als kulturelles Gedächtnis bezeichnet wird - umfasst damit drei Aspekte: zunächst das reine Faktum der Erinnerung, also den Umstand, daß es überhaupt einen Bezug zur Vergangenheit gibt; sodann die Entwicklung von kultureller Identität, d.h. eines Zusammengehörigkeitsgefühls der Individuen; und schließlich die kulturelle Kontinuierung bzw. Traditionsbildung, also die institutionalisierte Auswahl und Interpretation des zu bewahrenden Materials. Höre Israel – Schema Israel acht unterschiedliche Methoden der Weitergabe und Vergegenwärtigung der Tradition. Die meisten von ihnen lassen sich am Höre Israel – Schema Israel – festmachen: 1. Bewusstmachen, Einschreiben ins eigene Herz (Dtn. 6,6); 2. Weitergabe an die folgende Generation durch mündliche Kommunikation (Dtn. 6,7); 3. Sichtbarmachen (Teffillin) (Dtn. 6,8); 4. Limetische Symbolik (das Anbringen des Textes am Türpfosten, die Mesusa) (Dtn. 6,9); 5. Speicherung und Veröffentlichung als Inschrift auf Steinen (Dtn. 27, 2-8); 6. Feste der kollektiven Erinnerung: Pessach, Schawuot; Sukkot (Dtn. 16, 3-12); 7. Mündliche Überlieferung (Dtn. 31, 19-21); 8. Kanonisierung des Vertragstextes (Dtn. 31, 9-13). (Assmann, 219ff). Höre, Israel! „Höre, Israel! Der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Vermögen. Und diese Worte (D’warim), die ich dir heute befehle, sollen dir im Herzen bleiben. Schawuot Der Name Wochenfest (Schawuot) kommt von den sieben Wochen, die von Pessach bis Schawuot gezählt werden. Schawuot wird am 6. Siwam gefeiert, dem Tag der Gottesoffenbarung am Berg Sinai. Somit ist dieses Wochenfest das "Fest der Toragebung" . Außerdem ist Schawuot das "Fest der Ernte", da mit Schawuot die Weizenernte beginnt. In der ersten Festnacht lesen die Juden aus dem 2. Buch Mose vorgelesen. zwei Hauptmahlzeiten eingenommen, wobei die erste aus Milchgerichten und die zweite aus Fleischgerichten besteht. Dabei sollen die zwei Mahlzeiten an die Hauptspeisen des Pessachfestes erinnern, das Pessachlamm und das Friedensopfer. Höre, Israel! Du sollst sie deinen Kindern einschärfen und von ihnen sprechen, wenn du in deinem Haus weilst und wenn du unterwegs bist, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst. Du sollst sie zum Zeichen an deine Hand binden, und sie sollen als Denkband zwischen deinen Augen sein. Du sollst sie auf den Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben“ (Dtn 6,4-8).