Neid 1. Kapitel Tatsache ist aber, daß diese Frau, Brigitte K., wie gesagt und noch mehrmals, wenn Sie Glück haben, oft, wenn Sie Pech haben, gesagt werden wird, eine gewisse modische Eleganz aufzubieten hat, was für eine Geigenlehrerin irgendwie, wie soll ich sagen: irgendwo angebracht ist, obwohl die Kleider nicht fix an ihr angebracht sind, man will ja Abwechslung, nicht wahr, das ist eine Frau, die eine Haltung braucht, und zwar eine gute, und hätte sie keine, müßte sie sich rasch was einfallen lassen, damit sie nicht umfällt(…) (…)denn wer lernt hier an diesem Totenort der Industrie, auf diesem Industriefriedhof, wo kaum einer sich in finanziell abgesicherter Position befindet, schon Geige, sogar in Bruck a. d. Mur haben mehr Menschen Geige, Gitarre gelernt, ___________________________________________________________________________________________________ 51 als ich an den Fingern beider Hände abzählen kann, die meisten bei Frau Brigitte, der beliebten Musikpädagogin, der ihr Mann das Unterrichten in einem ihm fremden Fach, in das er nie hineingegriffen hat, ausdrücklich gestattet hat, obwohl viel im Geschäft zu tun gewesen wäre, was die Sekretärin dann schließlich ja auch getan hat, ihr ausdrücklich gestattet hat, jawohl, das war der neue Mann, und er hat erlaubt, daß seine Frau sich persönlich so ausdrücken darf, wie keine andre Person es könnte, denn der Mensch ist einmalig und unverwechselbar, egal welcher, keine Ahnung wer, also dieser nicht, den ich grad sehe, der hat genau dieselbe Windjacke an, die ich schon an fünfundzwanzig anderen allein in den letzten fünf Minuten gesehen habe, du bist nicht allein mit dieser Jacke, das liegt daran, daß das einzige Kaufhaus am Ort einen Ausverkauf gemacht hat, ach, wie gern würde ich z. B. mit Angelina Jolie tauschen, aber ohne die Kinder (künftige Generationen bitte einen Namen nach freier Wahl einsetzen, aber ich werde dann ja weg sein, künftige Generationen werden dies nicht zur Kenntnis nehmen, nicht einmal diese tut es, und sie sollen es auch nicht, die Künftigen, es ist für den raschen Verzehr, aber es ist total ungenießbar, das werden Sie bereits gemerkt haben, oder sagen wir besser: zum alsbaldigen Verfall, am besten wäre es, die Zeilen lösten sich unter meinen Fingern auf, wie Tricktinte, aber falls ich wider Erwarten doch durch die Maschen der Zeit rutschen sollte, durch welche schöne Frau könnte man dann mich, die es nicht mehr geben wird, in der Hinkünftigkeit, wenn ich hin sein werde, ersetzen?, das würde mich jetzt aber auch echt interessieren), es geht aber nicht, denn ich sehe mich nicht ___________________________________________________________________________________________________ 52 in der Lage dazu, mich mit ihr auszutauschen, sie würde mir nicht zuhören, und ich habe ja nicht einmal die Grundvoraussetzung dafür, eine andre zu sein, ich weiß ja nicht einmal, wer ich jetzt bin. Überhaupt: Wer ist schon schön? Niemand ist noch nicht schön. Entweder man ist es oder nicht. Brigitte nicht, wen kümmerts, nicht einmal sie selbst, die immerhin etwas aus sich machen kann, wenn auch nicht unbedingt mehr, sie macht, was der Hamster im Laufrad macht, sie rennt, aber sie bleibt immer am Ort. Also, nach einem Jahr sollte der Schüler, die Schülerin bereits Bach–Solosonaten spielen können, wer kontrolliert das schon nach? ___________________________________________________________________________________________________ 53 Dabei wäre grade an einem solchen verlorenen Ort Musik so wichtig! Glauben Sie mir! Denn wenn Menschen gemeinsam etwas machen, und damit meine ich nicht, einfach mit einem Hammer auf was draufhauen, wenn sie aufeinander hören oder einander kommen hören, ich meine es todernst, wenn sie das müssen, dann schützt sie das davor, den anderen bei nächster Gelegenheit auf den Kopf zu hauen, allerdings leider nicht davor, selber auf den Kopf gehauen zu werden. Muß ich auch nachschauen, ich meine, ich muß nachschauen, wie, wo und warum ich diesen Satz begonnen habe, das möchte ich jetzt selber gern… Wieso singt dann hier keiner hollario? Tun sie doch, haben Sie es denn nicht gestern im TV gesehn und vorgestern auch und am Tag davor? Es sollen doch die Fremden endlich kommen, damit wir ihnen etwas zu bieten haben. Musik kann auch sehr böse machen, denken Sie an ___________________________________________________________________________________________________ 54 Horst Wessel, der weiterlebt in seinem Lied, aber böse wollen wir nicht werden(…) (…) wie schön, wenn die Mutter ein Wiegenlied singen kann, ja, das finde ich auch schön, und dazu ein wenig mit dem Säugling tanzt, doch ich schweife ab, es wird noch vier Jahre dauern, bis das Kind in die musikalische Früherziehungsanstalt kommt (Brigitte hat so einen Kurs eingerichtet, für Vorschulkinder, damit die schon eine musikalische Grundschulung erhalten, aber bereits vor der Grundschule sind alle ihre Schüler weggeblieben, obwohl es gratis war), in der Gruppe hat man ein Gefühl, und das nennt man Musikausübung, und Menschen, die daran teilgenommen und über ihre Teilnahme keine Bestätigung vom AMS erhalten haben, denn diese Teilnahme zählt für gar nichts, diese Menschen, die teilnehmend der Musik lauschten und sie auch auszuprobieren versuchten, äh, nein, das ist doppelt, wurscht, also solche Menschen werden sich scheuen, so ein Gemeinschaftserlebnis in sein Gegenteil zu verkehren und die Musik von hinten nach vorn zu hören, die Gemeinschaft von hinten nach vorn aufzurollen, ___________________________________________________________________________________________________ 55 vor dem Computer zu sitzen, lähmt den Menschen, deswegen steht er von dort nicht mehr auf, aber halt, es lähmt ihn nur in seiner Kreativität, und auf die pfeife ich, kreativ, wirklich kreativ war nur der Schöpfer selbst, Jesus, so etwas Entsetzliches wie wir würde der Musik, ich meine einem Komponisten nie einfallen, mein Gott, ja, du, mir fällt grade ein: Womöglich hast du Bruck an der Mur gar kleiner erschaffen als die Erzstadt, ich muß auch das umgehend nachprüfen, nein, doch nicht, mir ist das genauso egal wie mein eigenes Glück, doch erst mal macht es Spaß, das einfach hinzuschreiben, man kann alles hinschreiben, Ich komme, wie die Geigenschülerin, die ich einst war, nicht voran, ich trete hier kilometerweise Wasser in meiner homepage, ich wandere durch das Wasser, denn oben drauf wäre es mir zu anstrengend (alles hier meins, da können Sie sich auf den Kopf stellen, was Sie nicht tun werden, Sie werden nur einen Fingerabdruck abgeben, das Ix, das Kreuzerl dort oben rechts erwischen, und schon bin ich weg, ich bin weg, verschwunden, und mit mir mein Textkörper, durch den ich leben muß und er durch mich, ich Arme, ich muß ja gar nicht, Sie erhalten mich dort, aber ich will nicht, es passiert nichts, es passiert auch mir nichts, und jetzt haben Sie mich ganz entfernt, wunderbar, genau das hab ich mir mein Leben lang gewünscht, ___________________________________________________________________________________________________ 60 und Sie ermöglichen es mir, endlich weg zu sein, ich danke Ihnen! Ein Buch hätten Sie zahlen müssen und eigens in den Papiermüll schmeißen, hier können Sie mich total rückstandslos entfernen, aaah! Ich fühle mich wie neugeboren, weil Sie mich ausgelöscht haben, wie 29 Stück von meinen Verwandten anno dazumals ausradiert worden sind, oder waren es 49?, oje, das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen, es ist wie nicht gesagt, ich bin doch kein Opfer!, so, es ist jetzt wie nicht gesagt. Ich glaub, vor der Klammer war folgendes, schauen wir mal, was kam als letztes? Hier stehts: kilometerweise homepage auf der Stelle, wo nicht einmal Wasser ist, in dem ich herumgehen könnte. Ich sagte, daß ich nicht auf dem Wasser schreiten könne. 2. Kapitel O wie ich die Lebenden beneide, so, jetzt ist es raus, dafür das Ganze, ich beneide die Lebenden! O wäre ich wie sie, nie würde ich mich ___________________________________________________________________________________________________ 14 beschweren, wenn ich für meine Einkäufe in die umliegenden Städte ausweichen müßte, weil es hier ja nichts gibt, was mir gefällt, ich würde anstandslos, widerspruchsfrei fahren und umstandslos zurückkehren, o wie ich die Lebenden beneide, ach, wäre ich doch eine von ihnen! Ich bin es nicht. Muß ich halt wieder rein in diese Stadt, die mich aus leeren Auslagen wie aus leeren Augenhöhlen anstarrt, und dabei starre ich sie gar nicht an, das tut man einfach nicht, und außerdem müßte ich dazu hinfahren, brrr, nein, das ist für eine Tote nun wirklich unmöglich, die bleibt schön dort, wo man sie abgelegt hat, und das Fleisch wird davon eine Zeit lang besser, dann aber leider wieder entscheidend schlechter. Die Stadt, sie lädt nicht zum Flanieren und Verweilen ein, ich sagte das schon irgendwo, es war nicht schwer, das zu sagen, aber ich würde mich so gern in diese Stadt hineinstürzen, als wäre ich eine Lebendige, ich würde sogar Leute grüßen, die ich gar nicht kenne, das ist hier so üblich, aber natürlich kennt jeder jeden, und man würde mich unverzüglich als Tote oder als Touristin entlarven und dermaßen willkommen heißen, daß mir noch Jahre danach schwindlich wäre von all den Küssen und Liebkosungen, gar nicht so schlecht, mit sowas bin ich ja nicht grade verwöhnt worden. wir richten jetzt ein Büro ein, und an dem Büro geht Brigitte, die Geigenlehrerin, genauso vorüber, an keinem, für keinen, wie sie an allem vorübergeht und wie alles an ihr vorübergeht, seit langem schon, von mir aus, sie könnte auch stehenbleiben, halt, ich sehe, sie ist sogar kurz stehengeblieben und hat diesen Zeitschriftenfetzen in ihre Tasche gesteckt, von dem wir noch nicht recht wissen, was wir damit anfangen können, warum das denn, warum hat sie ihn eingesteckt? Weil sie denkt, daß mir später was dazu einfallen wird?, damit sie eine kleine Sache, eine Winzigkeit daran hindert, ___________________________________________________________________________________________________ 17 an ihr vorbeizugehen und zwingt, mit ihr mitzugehen?, egal, das Leben würde trotzdem an ihr vorbeischlendern, und zwar schön langsam, damit sie es auch begutachten kann und ihr Neid auf all die derzeitigen Besitzer von Leben, die schon zeitig jeden Augenblick besitzen, die grad eine Boutique eröffnet haben und ihre Taschen, Schuhe und Mündungen, äh, Münder, ihre eingetüteten Münder in die Kamera halten, damit ihr Neid, wie meiner, ins Unermeßliche ansteigen kann, ich würde hier gern eine Neidskala mit einem Hoch auf die Lebenden aufstellen, in dieser nach oben nicht offenen Skala wäre ich schon ziemlich weit nach oben gekraxelt, und Brigitte mir dicht auf den Fersen, denn ihr jeweiliges, nein, ihr kurzweiliges Arbeitsgebiet ist der Geigenunterricht an der Musikschule, und an sowas geht das Leben, auch wenn es am Anfang geschlendert sein mag, plötzlich, jählings, als müßte es sich einen Ruck geben, um nicht selber stillezustehen, ganz besonders schnell vorbei, es rennt geradezu vor Brigitte davon, der Neid ist ein Laster, hat meine Mutter immer gesagt, wenigstens eins hätte ich also, aber kein aufregendes!, und rennen tun auch die andren - das ist ja nicht zum Anhören!, doch sie geht vorbei, ist es endlich soweit? Ja, vielleicht jetzt, es muß endlich etwas geschehn: Brigitte geht vorbei, ein Mensch geht vorbei, er hat grad etwas eingesteckt, er hat grad was einstecken müssen, was er am Boden gefunden hat. 3. Kapitel Müssen sie nicht wenigstens ein bißchen üben, die Geigenschüler, gut, meinetwegen, also die Schülerinnen und Schüler? Ja, schon. Sogar Brigitte muß ja Cello üben, denn ___________________________________________________________________________________________________ 64 dieses Instrument zu bedienen ist neu für sie, die Musik aber nicht, und sie will wenigstens das bißchen Schrumm Schrumm für ein kleines Mozartquartett irgendwie hinkriegen, es wäre ja gelacht, mit trainierten Fingern und gut geöltem Musikverständnis muß das doch zu schaffen sein! Ja, schon. Ein wenig üben sie ja, die Schüler, aber nicht zum Gedenken an ihre Lehrerin, die derzeit aber noch lebt. Also als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, lebte sie noch. Zum Beispiel am Abend, da lebte sie auch, sie tat wochenlang nichts andres, als vergnügt auf einen Schirm, der keinen Schutz bieten kann, zu schauen, dann ein wenig zu üben, ziellos, denn alle Ziele auf der Zielscheibe des Lebens, die sie sich setzen konnte, hat sie bereits erreicht, indem sie immer genau daneben getroffen hat und sich seither weigert, überhaupt noch jemand zu treffen. Dafür läßt sie lieber ein wenig die andren üben, die das immer brauchen können und deren Beschützerin sie sein sollte, die Geringste aller Herrscherinnen. Sie kann dann wieder tagelang abends endlos auf den Bildschirm starren und auf besseres Wetter warten, das in Gestalt des schlechteren irgendwann mal ankommt, wenn man schon nicht mehr erwartet hat, daß es überhaupt noch kommt. Es ist alles trüb und verhangen, die Tassen stehen noch alle im Schrank. Da ist kein Schüler, der in sie verliebt ist, diese Zeiten sind vorbei wie alle andren auch, alle andren Zeiten. Sie sind vorbei, ebenso rasch vorbeigegangen wie die technischen Probleme der Stadtverwaltung gekommen sind. Jedes Vakuum will gefüllt sein. Etwas rückt nach, etwas gibt dafür etwas andres auf. Bitte beachten Sie vielleicht, wenigstens einmal, das Bedürfnis nach Abwechslungsreichtum, dem man nachkommen kann, umso mehr, je ___________________________________________________________________________________________________ 65 weniger Häuser noch vorhanden sind, und Abwechslungsreichtum kann man für wenig Geld aus dem Drogeriemarkt auch in den Gesichtern der Frauen sehen, diese hier hat zum Beispiel und zur Abwechslung manchmal auch ein wenig, nein, eher zuviel grünen Lidschatten aufgelegt (was nicht zu ihren blauen Augen paßt, das schlägt sich, der blaue war besser, kehren wir zu ihm zurück, Grün schlägt sich, Grün verträgt sich, leider mit nichts, denn es läßt jedes Auge stumpfgrau erscheinen), und nicht einmal die urtümliche Entdeckerfreude eines echten Mannes erkennt den Unterschied zwischen Grün und Blau, die viele Mühe, all die viele Mühe, für wen? Etwa für die mächtigen Berge? Wir halten uns lieber an das, was wir in Illustrierten antreffen, ich meine: was die uns vorschlagen. Dementsprechend wollen wir ausgefallen sein, aber wir sind einfach nur normal. Wir sind nicht ausgefallen, wir sind normal ausgefallen. Diese Frau, schauen Sie, die ist wie ein Weg durch den Wald, von dem man nicht abkommen kann, auch wenn er fünfmal im Jahr von Freiwilligen von Abfällen, Wursthäuten, Papierln, zusammengeknüllten Sackeln, Leichen, ja sogar Styroporbechern gesäubert wird. Sie ist nicht tot, noch nicht, aber von Kopf bis Fuß finden wir nichts an ihr. In der Totenstadt fällt sie ein wenig auf, aber in jeder andren Stadt sähe man sie gar nicht. Wollen Sie nicht fragen, wie es mir an keiner Stelle, jedenfalls nicht an ihrer Stelle, geht? Nein. Sie wollen nicht. Und Sie können nicht. Sie können mich mal. So entwerfe ich jetzt 14, 15 Seiten, nein, mehr!, und wen interessierts? Zum Glück keinen! Wer will meine Flur durchqueren? Keiner. Auch nach Renovierung: keiner. Mein netter Flur, ich muß mich seitlich drehen und an die Wand pressen ___________________________________________________________________________________________________ 66 wie eine zerquetschte Gelse, um überhaupt durchzukommen, aber einer muß ja mal durchkommen, um mich anzuschauen, und falls eben doch niemand kommt: Meine sanfte Turnmatte für die Rückengymnastik hätte ich anzubieten, die würde vielleicht schon wer sehen wollen, was, auch niemand? Na, Sie haben es so gewollt, jetzt sehen Sie eben gar nichts, Ende der Führung, und wenn Sie meine Aufrichtigkeit hier nicht ertragen, ist mir das auch egal. Sie müssen nicht lesen. Keiner muß. Keiner muß Flüchtigkeiten oder gar Dauerhaftes lesen, die Sonne scheint ja auch immer entweder zu früh, zu spät oder gar nicht. Machen Sie doch was Sie wollen! Aber kommen Sie mir ab sofort, diesen Zeitpunkt habe ich willkürlich bestimmt, nicht mehr in meine Nähe! Das war alles nur eine Vorrede zu Ihrem Hinauswurf aus etwas, in das Sie gar nicht hinein wollten, aber eine lange, fahren Sie mit dem Zeiger nach unten oder reisen Sie, es geht immer so weiter, zwei Meter weiter unten wird es immer noch so weitergehen, ach, ist das ein Spaß! 4. Kapitel Man muß die Art der Benützung der Natur wie der von Haushaltsgegenständen (siehe: Pfannen, Töpfe!) mit fortgesetztem Eifer und nach strenger Ordnung beobachten und befolgen, sagte der Herr Richter damals bei der Scheidungsverhandlung zu Brigitte K. Sie hatte, wie sie aussagte, die Reihenfolgsamkeit ihrer Bratpfannen gröblichst unter–, nicht überschätzt, es gab zwei mehr, als sie dachte, das Butterpfännchen noch gar nicht mitgerechnet (die hat sie alle aber nie verwendet), und da hatte der Herr Richter sie auch schon beim Krawattl, wie man hier gesagt hat, ich glaube, heute sagt man es anders, das ist auch der Grund, weshalb ich mich schön langsam aus dem Schreiben zurückziehe. Ich weiß nicht mehr, wie etwas gesagt werden muß und mit welchen Worten. Weil ich nicht weiß, wie die Menschen es und sich aussprechen können. Ich beherrsche leider die Ausspracheregeln nicht mehr und habe auch keine Lust, mich mit jemandem auszusprechen, das wäre ein Alptraum!, hätte auch keinen Sinn, in mir ist nichts drin, was ich zu geben hätte. Nichts. Nein, auch hinter mir werden sie niemanden finden! Wir sind jetzt geschiedene Leute, ich und die Kunst, wie Brigitte und ihr Ex. Wenn die Steine aus der Krone und die Zähne aus dem Mund fallen, wird es höchste Zeit für eine neue Hochzeit, au, das tut ganz schön weh, aber nur einem von Ihnen oder zweien von Ihnen. Dann erfolgt der Austausch auf dem Spielfeld, und die Frau muß nun woanders spielen gehen, am besten in einer nahen, doch nicht allzu nahen Stadt, in die man sie schullandverschickt, dort ist schließlich auch eine Musikschule, wer stirbt daran, wenn er übersiedeln muß?, wie schön! Eine neue Musikschule, wenn auch ___________________________________________________________________________________________________ 22 eine viel kleinere, eine, die so klein ist, daß sie gar keine mehr ist, und außerdem geht dieser Stadt langsam, wir sagen es Ihnen ständig, wieso merken Sie es sich nicht?, es geht ihr das Menschenmaterial aus, die Begabungen gingen als erstes, die gehen immer als erstes, weil sie als einzige noch gehen können. Und stirbt diese Stadt, stirbt auch diese Musikschule. Es gibt hier nicht so viele Ärzte, Apotheker und Geschäftsleute, die ihre Kinder Geige spielen lernen lassen wollen, und gäbe es sie, wollten die mit Sicherheit etwas andres lernen als Geige, etwas, das ihnen im Berufsleben mehr rutschfeste Sicherheit verspräche. Eigentlich hat Brigitte fast nur noch erwachsene Schüler, die sich ein schönes Hobby suchen, vor allem Lehrer und die Nachzügler von Lehrern, Nachzügler nannte man die Sprengungen, die nach Sprengende noch losgingen, keine Sorge, man hat immer einen Sicherheitsabstand einkalkuliert, als der Berg noch zum Toben gebracht wurde. Lang, lang ists her. Ach, war das schön, lautlose Stille folgte den Sprengschüssen, dann (vielleicht) einige dieser Nachzügler, dann noch ein, zwei Nachkommen von Nachzüglern, und dann zogen wir die Schraube an, der Berg soll ruhen in Frieden, Amen dies hier ist privat, da kann ich machen, was ich will. Also bitte, Autorin, strengen Sie sich an, stellen Sie sich nicht so an, wer kennt sich denn da noch aus? Daß ___________________________________________________________________________________________________ 25 diese Frau ihre Pflicht vernachlässigt hat, ist noch kein Grund, daß Sie jetzt diese Zeilen so sträflich vernachlässigen! Jeder kennt sich hier aus, antworte ich trotzig, denn ich sage doch alles mindestens zehnmal und meist sogar mit denselben Worten. Irgendwann kriegen sogar Sie es mit, bevor Sie mich endgültig abdrehn! Aber wenn Sie sich da auskennen, heißt das noch lange nicht, daß ein andrer sich auskennen muß. Muß er ja nicht, er kann das alles wegschmeißen, löschen, mit Karikaturen verzieren