DAS GESTOHLENE DOKUMENT Sehr geehrter Herr Redakteur! Das plötzliche und für uns schmerzliche Hinscheiden des Herrn Geheimrat Glunikow, vortragenden Rats im Ministerium des Innern, gibt noch immer Anlaß zu den verschiedensten Kommentaren. Wir verstehen sehr wohl, daß das gewissermaßen auffällige Betragen, das unser Verwandter kurz vor seinem Tode an den Tag legte, einen Verdacht in weitere Kreise dringen ließ, der ihn mit jenem, damals die öffentliche Meinung in hohem Grade beunruhigenden Vorfall in dem Ministerium, dem er als Beamter angehörte, in Verbindung brachte. Inzwischen ist, wie Sie wissen, der Täter ermittelt worden, und zwar in einer ganz anderen Person, als der jenes Agenten, als dessen Mitschuldigen sich unser Verwandter in seiner unglückseligen Verwirrung betrachtete. Aber „Semper alicruid haeret". Um das Andenken eines in jeder Beziehung untadeligen Beamten von gegenstandslosem Verdachte zu reinigen, halten wir, seine Familie, es nunmehr für angemessen, den Tatbestand jener Angelegenheit, soweit er den. Verstorbenen angeht, in seinen eigenen täglichen Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Wir stellen Ihnen dabei anheim, die etwa kompromittierenden Personalien, die darin zur Sprache gelangen, nach Gutdünken unkenntlich zu machen. Für die Familie des Geheimen Rats Glumkow in vollkommener Hochachtung ergebenst Dr. Albert Glumkow GymnasiahProfessor 98 Donnerstag, 2. Diesmal muß ich es als eine wirkliche Zurücksetzung auffassen. Obwohl ich an der Ausarbeitung der neuen Umsturzvorlage den Hauptanteil habe, ist die Vertretung des Ministers im Reichstage nicht mir, sondern dem Geheimrat v. Ehwald übertragen worden. Mit dem Gesetz wird zwar auch diesmal nicht viel zu machen sein, so gut wir die öffentliche Meinung fortdauernd bearbeiten mögen. Die Roten haben zuviel heimliche Bundesgenossen im Reichstage. Alles was „sozial" angekränkelt ist, fühlt sich durch unsere Vorlage betroffen. Also im Grunde ein undankbares Geschäft sie zu vertreten. Aber es bringt einen doch in Sicht. Man empfiehlt sich, je unwahrscheinlicher ein Erfolg ist, desto mehr durch Überzeugungstreue. Auf alle Fälle ist es ein Affront, nach dem es eigentlich nur noch den Abschied gibt. Der ist aber unmöglich aus den bewußten Gründen — ich möchte das Gesicht meiner 1. Frau bei der Nachricht sehen —., oder aber dem Ehwald ist ein Stein hinzuwerfen. Er ist eine Null, nur dekorativ und sich Sr. Exzellenz empfehlend. Man muß die Amendements abwerten, die der nächste Ministerrat bringen wird. Ehwald, den ich unter irgendeinem Vorwand im Stich lassen kann, wird zu ihrer Abfassung unfähig sein. • Sonnabend, 4. Wieder ein Dokumentendiehstahl im Ministerium. Es ist unerhört. Ich sehe noch den unglücklichen Kanzlei direkter Brummer vor mir, wie er unter dem Blick des Ministers zusammenknickte. Ich erkannte unsere gutmütige Exzellenz gar nicht wieder. Aber es ist wahr, daß der Spaß aufhört, wenn die geheimsten Falten unserer Aktenmappen nicht mehr vor den Helfershelfern der Roten sicher sind. Wir könnten schließlich unsere Kanzleien gleich mit den Büros des „Vorwärts" vereinigen, das würde das Budget nicht unwesentlich entlasten. Hätte ich nur nicht der ganzen Szene zwischen Sr. Exzellenz und Brummer beiwohnen müssen! Es war kein Abgang tunlich. Zwanzig Beamte standen herum, wie zu einer fürchter- 99 liehen Musterung. Ich bin noch ganz überwältigt. Dem Mann sind die stillen Freuden lies a.-D .-Standes sicher. Und wäre es nicht vorsichtiger., ich möchte sagen staatsmännischer, ihm gleich nachzufolgen, anstatt einen ähnlichen Anlaß abzuwarten — der alle Tage eintreten kann? Aber der Ministerrat steht noch bevor; er kann Ehwald teuer zu stehen kommen. Wir werden ja sehen. Mittwoch, 8. Schlimme Tage. Ich bin seit der Brirmmerschen Sache noch immer fieberhaft erregt und trage so etwas wie die Vorahnung eines Unglücks mit mir herum. Unsinn. Als ob es hieran nicht gerade genug wäre. Beßhardt erfüllt mich auch mit den gemischtesten Gefühlen, sooft ich genötigt bin, seinen Rapport entgegenzunehmen. Er hat von seinen mannigfachen, früheren Berufsarten — Wechselagent und Reisender in Glanzwichse, glaube ich — eine hiedermännische Kraft der Überzeugung von der Güte der Sache, die er vertritt. Als Agent provocateur ist er vollkommen oller ehrlicher Seemann. Es wirkt ja ganz komisch, wenn er sich über die Treulosigkeit eines von ihm angeworbenen Roten entrüstet, der auf dem Wege war,' ihn den Genossen zu verraten. Kaum habe er ihn noch kaltstellen können. Er erzählt lauter solche Geschichten, die höchstens ins Polizeipräsidium gehören, hei uns aber dem Orte keineswegs angemessen sind. Und wenn der Mensch seine laute Biedermannsstimme mäßigen könnte. Unmöglich; in meinem Vorzimmer wäre alles zu hören gewesen. Ich mußte mit ihm in Ehwalds (der gerade abwesend war) Kabinett eintreten, wo man sicher ist. Aber sich mit Beßhardt allein zu befinden, ist auch kein Vergnügen. Es korapromit-tiert einen gewissermaßen. Jedermann fühlt, daß der Mensch, wie er die Genossen an uns verrät, geradesogut auch imstande wäre, uns an die Genossen zu verkaufen. Man kann in diesen Zeitläuften, wo, natürlich abgesehen von Sr. Exzellenz, niemand hoch genug steht, um ganz außer Verdacht zu bleiben, gar nicht vorsichtig genug sein. Der Mensch hat ein gewisses 1O0 »*■ , Augenzwinkern, womit er einen, ich möchte fast sagen, zu ; • seinem Komplicen macht. Na, er tritt morgen seine Provinz- \ tour an, um die Stimmung zugunsten unserer Pläne zu be- arbeiten. Ich werde einige Zeit von ihm befreit sein. % Sonnabend, 11. Die Sache ist schief gegangen. Ehwald hat Glück gehabt, 1 wie alle diese repräsentativen Strohköpfe. Die Minister ma- ': chen dem Entwurf weiter keine Schwierigkeiten. Ehwald ist der Blamage entgangen. Als ich den Minister heute behutsam sondierte, übrigens ohne nennenswerte Hoffnung, winkte er [ mir deutlich ab. „Mein lieber G., Sie sind ehrgeizig. Wir müs- sen alle ehrgeizig sein. Aber Sie sind zu. ehrgeizig." Er sah mich hei dem letzten Wort schief an und wand sich hin und her, als hätte er eigentlich „aufdringlich" sagen wollen. Wie gesagt, nicht daß ich etwas anderes erwartet hätte. E. sitzt zu fest im Sattel. Se. Exzellenz ist auch nicht unbeeinfLußbar und Frau v. E. ist sehr schön . .. Aber ich schreibe Unvorsichtigkeiten. Ein leichtes Fieber läßt mich seit acht Tagen nicht los. Montag, 13. Das ist das Unglück, das ich erwartet habe. Sage mir noch einer, es gäbe keine Ahnungen! Es ist schlimmer, als sich aussprechen läßt. Mir schwindelt, wenn ich an die Minute denke, j: als Heidstetten mit dem „Vorwärts" in der Hand auf mich los- stürzt. Ohne ein Wort gelesen zu haben, weiß ich sofort alles. Es kann ja nur das sein. So ziemlich das gefährlichste Stück Papier, das zur Zeit im Ministerium existiert. Eine Zusammenstellung alles Materials, das die einzelnen Agenten, die einander nicht kennen, dem Polizeipräsidium geliefert haben. Eine vollständige Liste aller unserer „Anarchisten", der Preis eines jeden Mannes dabei bemerkt, bis auf die Zuschüsse der Blätter, die den alten „Vorwärts"-Despoten im eigenen Lager beunruhigen. Kurz, eine förmliche Heerschau über die gesamten, von uns gegen die Roten ins Feld gestellten Mob- I 101 Bataillone. Und der detaillierte ScMachtplan für den zu Ter- 'I' anstaltenden großen Putsch in der Ladenstraße, der unserer | |; "Vorlage die nötige Schwungkraft geben sollte.' Die Vorlage f |. ist nun so gut wie bestattet, der Minister hat einen Stoß er- * Inhalten — wer weiß, ob er sich bis zur Reichstagseröffnung :| |:; davon erholt. Er wütet nicht, wie das vorige Mal, das war ) Kinderspiel. Er geht blaß und mit zusammengekniffenen Lip- ' pen umher, jeden wie seinen Feind musternd. Im ganzen i Hause herrscht Leichengeruch, scheint mir. ' i Später; [' Nun ist es heraus, und das erfahre ich erst jetzt! Das Do- .1 p ■ kument, das sich natürlich heil und sicher vorgefunden hat — ji die Kerle verstehen zu photographieren — lag vor der Tat in Ehwalds Kabinett.' Der Minister hat ihn bis zuletzt halten i wollen, daher das verspätete Bekanntwerden des Umstandes. ' E. liegt nun am Boden, urplötzlich umgeworfen, hoffnungslos j geliefert, mausetot für immer. Aber darf ich triumphieren? h Da der infame Abdruck heute erschienen ist, so nimmt man an, daß der Diebstahl vorgestern stattgefunden habe, natür- j-lieh in Ehwalds Abwesenheit. Und ich — ich habe eine halbe Stunde in dem Unglückszimmer zugebracht, mit Beßhardt zusammen. Wir sind direkt vom Korridor eingetreten; daß s uns jemand gesehen hat, bezweifle ich. Aber wenn ich bemerkt worden bin? . .. Man hätte keine Feinde, wenn nicht } ein Verdacht auf mich fiele. Später: Ich war zu aufgeregt, um weiterzuschreiben. Nun kann ich diese unsinnigen Zeilen nicht undementiert dastehen sehen. Wovon rede ich? Wer bin ich denn, daß jemand es wagen sollte, mich, den Geheimrat Glumkow, mit den geschworenen Feinden von Thron und Altar, von Staat und Gesellschaft zusammen zu nennen, zusammen mit der Rotte! Wenn irgendein Beamter, ganz abgesehen von Verdienst, einfach in seinem Pflichtbegriff untadelig dasteht, so bin ich's. Erst jetzt wird mir klar, wie einzig wahr die Auffassung meiner 103 Stellung ist, der ich immer gefolgt bin; ohne „Tendenzen", ohne „soziale" Modekrankheit, ohne Nachgeben nach links oder rechts. Ich habe immer ruhig den Wink von oben abgewartet und niemals die unstatthafte Eitelkeit hervorgekehrt, die man hochtrabend Persönlichkeit nennt und die stets nur kompromittiert. Als Beamter war ich ehrgeizig, als Mensch nicht im geringsten. Wer auf mich den Verdacht lenken wollte, würde einfach für wahnsinnig gehalten, dessen bin ich gewiß . . . Zwar, was ist noch gewiß? Der Minister soll geäußert haben, daß er sich selbst nicht mehr traue. Darf ich mir denn noch trauen? Ach, lassen wir die zwecklosen Fragen. Ich werde wieder Chinin nehmen müssen. Meine Temperatur steigt des Abends nicht unbedenklich. Dienstag, 14. Ganz mit kaltem Schweiß bedeckt bin ich aufgewacht. Es war ein grauenhafter Traum. Ich durchlebte die ganze Szene in Ehwalds Kabinett noch einmal. Beßhardt erzählte mir seine Gaunereien mit einer Vertraulichkeit, als ob er mich jeden Augenblick auf die Schulter klopfen wollte. Unser Einverständnis wurde mit seinem gewissen Angenzwinkern besiegelt. Ich reichte ihm das Dokument hin, das ich von «einem Platze nahm, den ich genau kenne. War er mir denn gestern schon bekannt? Aber heute, wie gesagt, kenne ich ihn und weiß auch, daß er mir damals bekannt war . . . Mir fällt auf, daß ich mich ganz so ausdrücke, als wenn der Traum den wirklichen Vorgang wiederholt hätte ? Abends: Gut, daß ich mich den ganzen Tag zu Hanse gehalten habe. Ich fühlte mich wie zerschlagen, unfähig zu irgendeiner Bewegung, wie zu irgendeiner Ideenfolge. Ich habe all die Stunden keinen Gedanken gefaßt. Das ist eine rechte Erholung. Ich darf hoffentlich die Krise der kleinen Krankheit, die ich mir infolge des bedauerlichen Ereignisses zugezogen hatte, als überwunden betrachten. 105 Mittwoch, 15. Die Krise ist allerdings vorüber. Ich habe befriedigend geschlafen, und mein Kopf ist völlig klar. Ich zweifle jetzt nicht mehr, daß mein sogenannter Traum, nur eine lebhafte Erinnerung an das wirklich Vorgefallene war. Ich habe das Dokument gestohlen. Das finde ich jetzt ganz erklärlich. Hatte ich nicht das lebhafteste Interesse an Ehwalds Sturz? Ehrgeiz ist nicht einmal ein unedles Motiv. Auch habe ich die Vorahnung meiner Tat gehabt, die mir durch frühere Fälle des Abhandenkommens von Aktenstücken eingegeben ist. Warum ich die Tat vergessen halte? Vielleicht infolge der jedenfalls großen Aufregung, in der ich sie verübt habe — vielleicht, daß ich es geradezu in Autosuggestion tat. Die Frage gehört möglicherweise den Ärzten, mich geht sie nichts an . . . Ich gehe merkwürdig leicht über das wichtige Verantwortlich-keitsproblem hinweg. Aber es ist noch viel wichtiger, das Dekorum zu wahren. Habe ich aus der vollendeten Tatsache die Konsequenz zu ziehen, so besteht sie in ruhiger Haltung und Vorsicht. Zur Kopflosigkeit ist kein Grund. Denn wer weiß etwas Sicheres, außer mir und Beßhardt ? Mich beargwöhnen, käme einer Beleidigung gleich. Und wer hätte ein Interesse daran? Ich habe jetzt meine Familie za verteidigen, in der die altpreußische Beamtenehre niemals wanken wird. Kann ich mir denn überhaupt nieine Frau vorstellen, wie sie die Nachricht empfängt, ihr Mann, der Geheimrat Glumkow, habe gestohlen? Unsinn. Ich verteidige aber auch den Staat. Denn die Regierung hat ein dringendes Interesse daran, daß der Dieb unbekannt bleibe, daß mindestens kein hochgestellter Beamter als Täter entdeckt werde. Das fehlte noch zur Vervollständigung des Skandals. Ich bin mir bewußt, als Mensch wie als Beamter, vollkommen pflichtgemäß zu handeln. Abends: Der Blick des Ministers hat mich doch dekonzertiert. Es lag eine solche Vorsicht darin, kälter als die meinige. Sollte 104 er schon etwas wissen? Bah, was hätte ich von ihm zu fürchten! Falls er sich nicht selbst verloren fühlt und im Stolpern aus Rache noch einen Gewaltstreich vollführt. Er könnte der schönen Frau v. Ehwald eine letzte Gefälligkeit erzeigen, wenn ermich bloßstellte, um die Ehre ihres Gatten zu retten. Ich bereue es jetzt, gestern nicht ins Ministerium gegangen zu sein. Man hat dort inzwischen neue Betrachtungen über den Fall angestellt, offenbar in einer gewissen Richtung. Bei meiner'Scheu, bestimmte Fragen zu stellen, kann ich nicht dahinterkommen. Es wird mir doch schwerer als ich dachte, dies wichtige Geheimnis zu bewahren. Ich habe im Heucheln keine Übung, weil ich mir nie eine Meinung gestattet habe, die ich nicht auch höheren Ortes hätte aussprechen können. Der ungewohnte Zustand greift mich mächtig an, ich fühle das Fieber wiederkommen. Donnerstag, 16. Mittags: Eine erbärmliche Nacht. Es war mir beim Aufwachen, als ob ich mich mit Beßhardt gestritten und sehr laut gesprochen habe. Trotz meiner gereizten Schlaffheit bin ich ins Amt gegangen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß man dort in meiner Abwesenheit den Fall kommentiert. Ich bin aber nur kurze Zeit geblieben, aus Furcht, mich vollends zu verraten. Denn daß sie es jetzt wissen, mindestens ahnen, ist mir ziemlich unzweifelhaft. Sooft ich mich einer Gruppe von Kollegen näherte, steckten sie die Köpfe zusammen, und ich hörte deutlich meinen Namen flüstern. Mehrmals muß Heidstetten es auch gehört haben, gegen den sie reserviert sind, weil er für meinen. Intimus gilt. Als ich ihn das erstemal fragte, was man von mir wolle, schien er nicht zu verstehen. Das zweitemal sagte er: „Wir sprachen ja neulich von Halluzinationen ? Na, wollen Sie mir glauben, daß ich gestern nacht beim Nacbhausekommen auch welche gehabt habe? Nach den Aufregungen dieser letzten Zeit kann'das dem gesündesten Menschen passieren. Man wird nervös. Tatsächlich, was wir jetzt durchzumachen haben..." Das „wir" betonte er in un- 105 gerechtfertigter Weise und sah mich, dabei starr au. Der Minister hat sich nicht blicken lassen, oder vielleicht bin ich ihm ausgewichen, Alends: Meine Sache steht noch schlimmer, als ich glaubte. Meine Frau ist nicht mehr ahnungslos. Bei Tische war sie schweigsam und schien mich doch zum Reden veranlassen zu wollen. . In meinem Unwohlsein sah sie offenbar keinen hinreichenden Grund für meine Zurückhaltung. Als nachher Besuch kam, gab sie mir eilig einen Vorwand, mich zu entfernen. Wie habe ich daran nur nicht früher gedacht! Gegen alle anderen würde ich den Kampf aufnehmen. Aber meine Frau! Ich habe ihr von jeher alles gesagt, was sie zu. wissen wünschte. Dies Geheimnis kann nicht zwischen uns bestehen. Ich habe die positive Gewißheit, daß ich mich werde verraten müssen, vielleicht in acht Tagen, vielleicht morgen. Und darauf das Znsammenlehen? Das ist unmöglich. Sie darf nichts Bestimmtes wissen. Aber die jetzige Lage ist unhaltbar. Ich müßte mich also — davonmachen — es ist schwer auszusprechen —, . mich aus der Welt schaffen . . . Später: DerGedanke kam so plötzlich und ist doch, selbst in meinem jetzigen Zustande, recht schwer zu fassen. Ich bin eine Stunde lang auf und nieder gegangen und fühie das Fieber wieder überhandnehmen. Wenn das nur nicht wäre. Man hat alle seine Kraft nötig, um sich zusammenzuhalten, etwas Gefährliches gut verschlossen bei sich «u behalten, und verfällt in einen Zustand, in dem man sich durch ein Wort den Hals abschneidet. Wir haben.manchmal über solche Sachen gesprochen, Heidstetten, Schelsky und ich. Heidstetten wollte wissen, daß die Affäre zwischen Oberst v. Kapman und Assessor Hol-behn durch eine Krankheit der Frau v. IL veranlaßt sei. Sie habe im Fieber ihr Verhältnis zu Holbehn eingestanden. Schelsky, der in solchen Kreisen verkehrt, erzählte von dem 106 3' letzten großen Börsengewinst des Kommerzienrats Bertheim, Frau v. Pankus, mit der er ein Verhältnis unterhält, hinterbrachte ihm ein Geheimnis, das ihrem Manne während eines Fieheranfalles entfahren wa;r. Das sind so Geschichten, über die man bei Huth, «ine Flasche Rotspon zwischen drei Freunden, herzlich lachen kann. Heute jagen sie mir blasse Furcht ein. Ich zittere und bin bei meiner Aufregung doch so ermattet, daß ich meine Beine nicht fühle. Wenn ich jetzt vom Stuhl aufstände, würde ich zusammensinken. Ich werde ernstlich krank werden, hilflos zwischen den Händen Fremder, des Arztes, des Wärters, denen ich meine Seele ausschütte. Das darf nicht sein, der Gedanke daran ist schon zuviel. Mein ganzer Stolz, mein Ehr- und Pflichtgefühl bäumt sich dagegen auf. Ich weiß, was ich meiner Familie schuldig bin, fünf Generationen ehrenwerter Beamten — und meiner Frau. Gegen den Toten wird man Rücksicht üben, auch die Pension wird ihr gesichert sein. Ebenso ist das Regierungsinteresse dann hinlänglich gewahrt. Man kennt den Täter und wird sich, froh, dem Eklat entgangen zu sein, mit seinem Verschwinden, begnügen. Ich werde in jeder Beziehung meine Pflicht getan haben. Indes will ich mir nichts vormachen. Man macht sich ja vieles vor. Aher mit dem geladenen Re-• volver vor sich auf dem Tisch ist eigentlich kein Grund mehr dazu. Als ich vorhin an dieStunden beiHuth dachte und an die freundschaftlichen Plaudereien, fiel mir wohl ein, daß das nun auch vorbei ist. Ich kann ja keinen Menschen mehr ohne Mißtrauen ansehen. Die kleinen Behaglichkeiten, die zusammen das Leben erträglich machen, sind mir verloren, Was ich vorhabe, tue ich also auch mevrietivegen-. Später: Ich habe es doch nicht gleich tun mögen. Das Fieber scheint durch die Beichte, die ich mir abgelegt habe, etwas beruhigt zu sein. Diese Nacht will ich mir noch gehen — probeweise. Wenn nur Beßhardt aus Breslau wieder zurück wäre. Ich könnte ihn fragen, ob alle Vorkehrungen getroffen sind, daß 107 wir unentdeckt bleiben. Aber er kommt erst am 22., und bis dahin kann alles verloren sein. Freitag, 17. Es ist min entschieden. Beim. Erwachen. — sehr spät, so daß meine Frau oder die Dienstboten etwas gehört haben müssen. — hatte ich noch den lauten Klang meiner Stimme im Ohr. Ich schrie in Gegenwart von Ehwald, Sr. Exzellenz, Heidstetten, Beßhardt und aller Leute, die mich höhnisch angrinsten, mein Geständnis: „Ich habe das Dokument gestohlen." Es ist also nichts mehr zu machen, ich muß vor mir selbst entfliehen. Ich überlege, ob ich diese Aufzeichnungen vernichten soll. Indes ziehe ich vor, sie so wegzulegen, daß nur meine Frau sie finden kann. Ich hin gewiß, daß sie ihr nichts Neues sagen werden. Aber meine offene Beichte wird ihr die Überzeugung geben, daß ich recht gehandelt habe und sie für mein Andenken milder stimmen. Ii ITALIENISCHE harten. Sonne, Mondschein da. Durch, das öllaub kam der Strahl und zerstäubte auf ihr. Sie wandte sich, um, und nun gingen sie einander entgegen. Matteo breitete die Arme ans: da strauchelte er und fiel mit dem Gesicht ins Gras. Als er aufstand, war es dämmrig; er hatte einen schweren Kopf, im Leihe Angst und dachte nur immer: ,Was ist geschehen. Barmherzigkeit, was ist geschehen.' Er trug den Pferden Putter hin und sagte: „Du würdest es gewiß nicht zugelassen haben, o Herr Gott, daß ich mich in unserer Hochzeitsnacht in ihr irrte: würdest es nicht zugelassen haben, wenn sie unschuldig war. Der Tan-credi wird aus Feigheit gelogen haben." Plötzlich ließ er alles fallen. „Das wolltest du! Sie war unschuldig, und in jener Nacht hätten wir beide sterben sollen, weil unserGlück zu großwar. Dazu lagen auf unserem Bett die Blumen." Er ging hinein, als müßten sie noch da sein. Statt der Blumen lag auf dem Bett der Tancredi und schnarchte. Matteo fiel über ihn her und rüttelte. „Auf! Euer Pferd ist fortgelaufen." „Laß es laufen", grunzte der Tancredi und wälzte sich auf x die andere Seite. Matteo keuchte. Er hielt sich die Ohren zu, weil er wilde Stimmen hörte. Die Augen voll Blut, sah er in den Armen des Tancredi Tonietta. Der Tancredi wälzte sich über sie. Matteo konnte nicht rasch genug in die Hosentasche I fahren — und endlich stieß er zu — welche Erlösung! —, stieß 1 zu, stieß zu . . . : - DIE EHRGEIZIGE j ' Daß er der Frau des Gemeindesekretärs die schöne Alba i Nardini vorzog, müßte der junge Tenor Nello Gennari mit dem Leben büßen. Frau Camuzzi hatte geschickt gehandelt; i[" niemand ahnte, sie 'Sei es gewesen, die Alba auf die Frau des Schneiders eifersüchtig gemacht und sie in solchen Wahnsinn ' getrieben hatte, daß sie den Geliebten und sich erstach. Un- gefährdet hätte sie weiterleben können. Vier Wochen später aber verschwand sie aus der kleinen Stadt. Von Florenz schrieb sie ihrem Gatten, daß sie den Gedanken nicht länger habe ertragen können, sie solle an seiner j Seite altern. Denn er habe keinen Ehrgeiz. Statt sich in die Politik zu werfen, zu handeln, zu steigen, statt seiner Frau, die nach ihnen lechze, die Höhen der Welt zu erschließen, halte er sie nieder, lasse sie verkümmern im Dunstkreis seiner trägen Skepsis; und die Macht in der Stadt behalte ein Markt- I held wie der Advokat Belotti. Noch sei sie jung; und so habe sie denn auf eigene Verantwortung den Schritt getan, den er sie nicht habe führen wollen. Als Geliebte des berühmten Künstlers Cavaliere Giordano trete sie in die große Welt ein, der sie sich gewachsen fühle. Mit vollem Bewußtsein habe sie sich ihr Schicksal geschaffen. Camuzzi solle nicht versuchen, sie zu hindern, es wäre unnütz. Die Wahrheit war, daß sie sich dem alten Giordano nicht aus Ehrgeiz hingegeben hatte, sondern im Dienst ihrer Rache ah Nello Gennari, und daß sie es schon getan hatte, als er in der kleinen Stadt weilte. Ein ahnungsloses Wort des alten Sängers hätte das Mißverständnis zerreißen können, dem 167 der junge erliegen sollte. Darum behielt Frau Camuzzi ihn bei sich im Zimmer, bis endlich die ganze Operntruppe von dannen war und Nello sich im Hause des Schneiders verborgen hatte, unwissend, daß er nicht bestimmt sei, mit Alba zu fliehen, vielmehr mit ihr zu sterben.. . . Nun aber waren sie fort, die Komödianten. Die kleine Stadt, die dank ihnen kurze Zeit ein gesteigertes Lebensgefühl gekannt hatte, fiel zurück in um so grauere Nüchternheit, und Frau Camuzzi hinter ihren verschlossenen Fensterläden litt die Qualen der lebendig Begrabenen. Sie hatte sich gezeigt, wer sie war und was sie vermochte. Dort oben in der steinigen Erde des Friedhofes lagen zwei, deren Verhängnis, allen unbekannt, sie gewesen war. Im Bewußtsein ihrer entsetzlichen Macht saß sie stundenlang reglos auf ihrem Bett, die Augen in den großen schwarzen Augen, die aus dem Spiegel starrten. Plötzlich aber drückte sie sie ins Kissen, krümmte sich ganz zusammen und erstickte ihr Stöhnen. Denn ihre Macht war Ohnmacht gewesen: sie hatte nicht machen können, daß Nello sie liebte! Jene beiden verhöhnten sie noch aus dem Grabe. Nachts hörte sie ihre Stimmen; sie sprachen von Umarmungen, die sie ihr stahlen. „Nello, ich töte dich!" — „Das hast du schon getan. Was kannst du noch! Ich liebe Alba." Dann, Gesicht und Hals naß von Tränen, erwachte sie, und neben ihr atmete wohlig dieser Mann, dem es gut ging, da er sein Leben langGemeinde-sekretär und ihr Gatte zu sein dachte. Das nicht, das nicht! — und eines Morgens in der Dämmerung bestieg sie drunten am Stadttor ein Wägelchen, weil für solch eine kleine Stadt beides zu groß gewesen war, ihre Tat und ihre Liebe. DerGemeindesekretär in seiner tiefen Überzeugung, daß die Welt trotz aller menschlichen Anstrengungen doch immer am selben Fleck bleibe und eigentlich nichts geschehe, war sehr erstaunt, als ihm seineFraudurchging. Er machte dieReise nach Florenz, bestellte sie in ein Cafe, und sie kam auch, denn sie kannte ihn. Er sagte ihr nichts, was ein maßvoller und klarsichtiger Mann nicht sagen konnte. Er wollte sie an keine Emp- -< 168 I " findung erinnern, die sie daheim zurückhalten könne. Kinder I seien nun einmal nicht da, und für sich selbst bitte er nicht. Aber sie sollte ihre eigenen Chancen erwägen. Die seien nicht groß, denn sie kenne die Welt nicht, sei, was sie sich auch ein-i, bilde, eine Kleinstädterin und auch nicht schön genug für das, ; was sievorhabe, nichtvonderverführerischen, denMannherab- "' ziehendenSchönheit, die solchen Frauen zum Erfolg verhelfe. ' „Aber jene haben keinen Verstand, und ich weiß, was ich : will. Übrigens bleibt mir keine Wahl, denn bei dir kann ich '■- nicht länger leben." Der Gatte gab zu, daß man mit dieser Tatsache rechnen müsse. Er halte sie für krank, werde dies zu Hause angeben s und ihre Rückkehr innerhalb der nächsten acht Wochen in r Aussicht stellen. Sie sei ihm stets willkommen; Gewalt und Skandal lägen nicht in -seiner Absicht. Romantische Einflüsse trügen wohl die Schuld an allem, wiederholte er mehrmals; und er nannte sogar den Namen Nello Gennari, wenn auch ohne unvorsichtige Folgerungen. Er war ein kluger Gatte. Frau Camuzzi, die seiner Einladung nur gefolgt war, weil es nichts zu befürchten gab, haßte ihn, wie er nun fortging, ohne sich aufgeregt zu haben, noch heftiger. :f- Andererseits war das Zusammenlehen mit dem Cavaliere Giordano nicht reich an Reizen. In seinem Hause war der Aufenthalt einer Frau nicht vorgesehen. Die Zimmer glichen AusstellungenvonPorzellanundGoldwaren;unter jeder Vase, jedem Schrein eine Tafel: „Von Seiner Majestät dem Kaiser von Rußland", „Von der Stadt Buenos Aires"; und in seinem Schlafzimmer hingen die altengoldenen Kränze, „ VomMaestro Rossini", „Von Madame Ratazzi", über allen Wänden und J: bis auf das Bett des alten Sängers; dies Prunkbett, mit rotem I Damast zwischen den vergoldeten Schnitzereien, war ein Ge- j schenk der Kaiserin Eugenie. Frau Camuzzi saß des Abends mit ihm im Cafe, als einzige Frau unter seinen Freunden. Wenn alle anderen fort waren, blieben sie beide noch sitzen; der Alte-wartete auf den Schlaf, und sie spielten Domino. 169 Er Wies sich, auf, sooft er mit ihr durch die Straßen ging, Die Grüße nahm er mit bedeutsamem Lächeln an, und auf Glückwünsche entgegnete er: „Man sieht wohl, der Ruhm ist nicht eitel. Wir berühmten Männer haben vor euch andern dennoch etwas voraus; denn in einem Alter, wo Schönheit und Kraft nicht mehr für uns werben, ist es unser großer Name, der eine Frau von weitem herbeizieht. Dies Geschöpf wäre zugrunde gegangen ohne mich." Sie hatte es ihm gesagt, und er war überzeugt davon. Geschmeichelt durch die Macht, die ihm, so spät noch, über ein ■ Leben gegeben war, faßte er eine wahre Zuneigung für die junge Frau. Vor dem Schlafengehen, wenn er sie schon auf die Stirn geküßt hatte, behielt er manchmal noch väterlich und gedemütigt zugleich, ihre Hand in. der seinen. Warum hatte er sie nicht früher gekannt, als er einer Frau mehr zu sein vermochte als heute t Freilich würde er damals den Wert einer Liebe wie der ihren vielleicht nicht verstanden haben. Das Leben war grausam, man mußte auf Gott hoffen . . . Um so freigebiger kam er allen Wünschen seiner Freundin zuvor. Man begann, wo sie vorüberfuhr, nach dem Namen dieser eleganten Frau zu fragen. Der alte Sänger sah sich nach einer Villa um, die er ihr zu schenken dachte. Denn sein Haus hatte er als Museum seines Ruhmes der Stadt vermacht. Dies alles aber war nicht geeignet, dem jungen Gino zu gefallen, einem liebenswürdigen Bummler, der neben dem Spiel und den kleinen Geschenken der Frauen mit nichts so sehr rechnete wie mit der offenen Hand seines Onkels des Cava-liere Giordano. Die hübsche Intrigantin, die sich hei dem armen Alten eingenistet hatte, mochte ihm, Gino, immerhin süße Augen machen, das hinderte nicht, daß er sich bedroht fühlte. Was wollte sie? Den Alten heiraten? Oder ihn selbst, den gesetzlichen Erben ? Manchmal verliebte er sich für einen Abend; und manchmal verfolgte er das Ziel, sie zu verführen und sich von seinem Onkel mit ihr erwischen zu lassen. Frau Camuzzi selbst erlöste ihn aus seinen Zweifeln. Die 170 Erbschaft des Sängers schien ihr nicht bedeutend genug, um ihretwegen die Laufbahn, der sie sich bestimmte, mit einem Skandal zu eröffnen. Eines Nachmittags, als der Alte schlief, rief sie den Neffen in ihr Zimmer. Die roten Vorhänge belebten ihre Haut, ihre .Matinee war kleidsam; der junge Mann zeigte «ich angeregt, sie hatte Mühe, ihn an den Ernst des Lebens zu erinnern. Ihre Interessen widersprechen sich gar nicht. — Nein, erwiderte er, denn er werde glücklich sein, sie zufrieden zu sehen, sogar auf seine Kosten. „Das ist eine unvorsichtige Äußerung. Aber es ist, als sei sie nicht getan, denn von mir haben Sie nichts zu fürchten, ich werde Florenz bald verlassen haben." Und auf seine enttäuschten Ausrufe: „Warum sollten wir nicht offen miteinander reden? Wir kennen uns, weder Sie noch ich halten uns hier im Hause zu unserm Vergnügen auf. Ich bin hergekommen, um durch den Cavaliere mit Leuten bekannt zu werden, die mir nützen könnten; denn ich habe höhere Zwecke, als sie glauben." Indes er die Augen aufriß, setzte sie ihm auseinander, daß sie sich überzeugt habe, in Florenz sei weder viel Geld noch ■ große Macht zu erwerben. Die Gesellschaft sei vorurteilsvoll, das politische Treiben belanglos. Er rühme sich doch seiner Bekannten in Rom, aller dieser Journalisten, dieser Deputierten. „Das bewegte Lehen, der weitverzweigte Einfluß, die Intrigen, das ist's, was midi anzieht. Welches Spiel mit Menschen treibt ein Mann wie der Conte Malfigi, und. welches Spiel würde erst eine Frau treiben, die ihn in der Hand hätte!" Der junge Gino lächelte überlegen zu den abenteuerlichen Vorstellungen dieser kleinen Provinzlerin; er öffnete den Mund, um über den Conte Malfigi etwas zu erzählen, besann sich aber rechtzeitig. Er wollte ihr helfen, bei seinen Verbindungen sei es leicht. Sie möge auf ihn zählen. Und er nahm Abschied, beruhigt über die Zukunft seines Erbes, . 171 aber übelwollend gestimmt, weil in den Plänen der interessanten Frau ihm selbst eine so untergeordnete Rolle zugeteilt war. Schon tags darauf kam er wieder zur selben Stunde und in Begleitung eines schönen, bedeutenden Mannes gegen Vierzig. Er stellte vor: Gonte Malfigi. Denn es traf sich außerordentlich, der berühmte Politiker und Lebemann war vorübergehend in Florenz. Er erklärte, die Einladung seines jungen Freundes sei ihm ein längst gesuchter Anlaß gewesen, die schöne und ungewöhnliche Frau kennenzulernen, von der man auch in Rom schon spreche. Er blieb bis kurz vor dem Erwachen des Cavaliere Giordano. Dieselbe Stunde führte ihn das zweite Mal zu Frau Camuzzi, und Gino fehlte. Ihre dritte Zusammenkunft aber verlegten sie bereits in ein möbliertes Hotel außerhalb des Zentrums der Stadt. Der mächtige Mann zeigte sich begeistert von seiner Eroberung; er sei entschlossen, Florenz nur mit ihr zu verlassen. Sie sagte einfach: „Ich liebe dich, ich folge dir." Garantien zu verlangen, verschmähte sie, sie vertraute ihrer Kunst. In Rom bezogen sie nicht den Palazzo Malfigi, sondern wählten, um sich einige Tage ungestört zu liehen, ein kleines Hotel, wo der Conte unbekannt war. Erst des Abends gingen sie aus, beschränkten sich im Theater auf die Rückplätze der Logen, in den Restaurants auf die separierten Salons, und hatten wirklich das Glück, unbeachtet zu bleiben. Der Conte vermied es sogar, sich Geld zu holen. Als er keins mehr hatte, gab Frau Camuzzi das ihrige her. Endlich erklärte er, den Sitzungen der Kammer nicht länger fernbleiben zu können; er wolle sie nun in sein Haus führen. Sie widerstand nur zum Schein; der Liebestraum währte in ihr schon zu lange. Wie sie beim Bahnhof vorüberkamen, wunderte er sich, daß sein Wagen nicht da sei. Sie nahmen eine Droschke. Er war bleich und seufzte oft. Plötzlich sagte er: „Nun ist das Unglück geschehen, ich liebe dich wirklich." „Ist das ein Unglück?" fragte sie. 172 . Er sagte: „Unter diesen Umständen wohl. Denn ich sollte l', dich nur zum Scherz lieben, da ich ja gar nicht -der Conte ;| |; Malfigi bin." Sie sank hart auf das Polster, ihre Augen waren schwarz p wie nie, und ihre Lippen lagen weiß aufeinander. Er hatte ! . vollauf Zeit zu berichten. Er war ein Versicherungsbeamter ■ |.;:, und mit dem jungen Gino befreundet, der ihn angestiftet und ■ ihn mit Geld versehen hatte. :::J ■;' „Aber jetzt liebe ich dich. Verzeihe mir und bleibe bei ) mir!" ;j f.. Sie ließ den Wagen halten und sagte: „Steigen Sie aus!" );" Dann fuhr sie weiter, ohne zu wissen, wohin. Nach Flo- J ■ • renz konnte sie nicht zurückkehren; in ihrem Abschiedsbrief s:. an den Cavaliere Giordano stand ein unvorsichtiger Satz mit i ■;■ Bezug auf die Prahlereien des Alten, die sie sooft gedemütigt hatten. Wie sollte sie auch nur den Kutscher bezahlen? i-: Schließlich ließ sie sich zu einem Juwelier fahren und ver- ■:| kaufte einen Ring. :' Sie mietete ein Zimmer., das ärmste, billigste, das zu finden :j war, und in dem Augenblick, da sie es betrat, schwur sie sich, ■nur gegen den Palazzo Malfigi werde sie es vertauschen. Sie ! stellte sich diese Aufgabe als Buße ihrer Einfalt. Je schwerer fW sie war, desto schauerlicher die Wollust der Anspannung. Eine mittellose Frau, nicht mehr ganz neu angezogen, ohne einen einzigen Bekannten in dem gierigen Gewimmel der Hauptstadt — und nahm sich vor, bis in ihre begehrteste Mitte vorzudringen und eine ihrer Herrinnen zu werden. Sie besuchte das Parlament und ließ sich den Abgeordneten Malfigi zeigen. Es war ein halber Greis von Fünfundfünfzig, etwas lächerlich zurechtgestutzt. Er redete auch und machte ein paar Witze über die Priester. Frau Camuzzi mußte an den Advokaten Belotti denken, den großen Freigeist ihrer kleinen Stadt, der den Pfarrer Don Taddeo bekämpfte, aber gleich dem letzten alten Weib an die Evangelina Mancafede 173 glaubte, die Unsichtbare, die aus ihrem dunklen Winkel hinter dem Turm nie hervorkam und dennoch alle Schicksale der Stadt kannte, noch bevor sie eintraten. Die Kammer und ihre Redeschlachten schienen ihr ein vergrößertes Abbild des heimischen Marktplatzes. Wenn zu Hause der Baron Torroni durchaus nicht wollte, daß der Wirt Malandrini zum Stadtverordneten gewählt werde, so fürchtete er von ihm einen Streich, weil er mit seiner Frau etwas gehabt hatte. Und Frau Camuzzi sah sich axif der Tribüne des Parlaments die Damen an, die den Reden der Abgeordneten zuhörten. Welche von ihnen stak hinter dem, was jetzt gesagt wurde? Später einmal würde es hier gewichtige Herren geben, durch deren Mund sie selbst ihren Einfluß spielen ließ und ihre Geschäfte besorgte! Dann ging sie ins Cafe Aragno, um von den Journalisten die Kulissengeheimnisse zu erlauschen. Sie saß da mit ihrer Zigarette, unbeteiligt und unnahbar. Die jungenLeute taten vergeblich wichtig voneinander, damit sie hinsähe. Als eines Tages mitten aus dem Rudel hervor ihr Landsmann Savezzo auf sie zukam, begrüßte sie ihn kühl, obwohl sie die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte. Er sah noch abgeschabter aus als daheim, aber auch noch verbissener. Er war auf dem Marsch! Die Gesellschaft korrupter Mittelmäßigkeiten hier hielt zusammen gegen ihn und sein Talent, wie zu Hause die Clique der Herren. Aber er würde eindringen und hindurch, hinan! Er erzwang sich Achtung mit Artikeln in den kleinen Revuen, wo die Kommenden drängten und bohrten. Schon war, beim Krach der Allgemeinen Kreditbank, da die Entrüstung im Publikum überhandnahm, eine große Zeitung genötigt gewesen, ihm ihre Spalten zu öffnen, als der Stimme der Jugend. Er erlangte mit Mühe die Erlaubnis, ihr seine Freunde vorzustellen, mußte aber sofort bemerken, daß mehrere, die schon über Verbindungen verfügten, besser behandelt wurden als er. Eines Abends ersclüen sie nicht, und auch einer $ i der jungen Leute blieb fort. Am nächsten Tage erwartete I k Savezzo sie auf der Straße, um ihr eine Szene zu machen. ■| :r Sie antwortete, sie sei gestern nicht gekommen, weil sie Gelegen- I k heit gehabt habe, eine ihr wichtige Persönlichkeit kennenzu- ■i lernen: den Sekretär des Abgeordneten Malfigi. Auch eine * Ehre, meinte Savezzo: der Sekretär eines ausgesogenen Lebe- i mannes und erledigten Politikers, den schon keine Frau ■3'; mehr plündere und kein Finanzmann mehr besteche. Er selbst, ■j <■ Savezzo, habe ihn längst gebrandmarkt. Eine überlebte Fi- gur, nur noch vorhanden, weil die Provinz fortfahre, an die i !■ ■ alten Größen zu glauben. Frau Camuzzi antwortete darauf I y, nicht, und Savezzo, der ihr nachspürte, hatte noch oft die Iii: schlimmste Eifersucht zu leiden. Denn sie erhörte ihre jun- gen Kameraden dafür, daß sie sie in eine Gesellschaft ein-I S. führten, oder nur für eine nützliche Auskunft, an Tagen der i Not sogar, um essen zu können. Sie machte ihre härteste Zeit durch. Savezzo knirschte, weil mir er davon nichts hatte. Welch ein Sieg über die hochmütige Sippe daheim, hätte er jj eine ihrer Frauen in seine Gewalt bekommen! Frau Ca- muzzi scheute gerade seine Indiskretion. Wenn er ihr sagte : „Wir werden zusammen steigen! Allen diesen Leuten werden wir den Fuß in den Nacken setzen!" so lächelte sie nur. Sie ' war überzeugt, er werde nicht durchdringen, mit brutaler Empörung sei nichts zu machen. Sich anschmiegen, sich hineinstehlen in die Welt der großen Diebe, hassen, verführen und betrügen: das war der Weg. Auch dem Sekretär des Conte Malfigi schlug endlich die Stunde, da Frau Camuzzi ihn glücklich machte; und sie schlug keinen Augenblick früher, als bis er die Bedingung erfüllt und Frau Camuzzi eine Stellung bei seinem Herrn verschafft hatte. Jetzt wohnte sie also im Palazzo Malfigi, und der Abgeordnete diktierte ihr seine Reden, die sie geistreicher niederschrieb, als sie waren. Freudig erstaunt über seine Erfolge in der Kammer, ward er aufmerksam auf seine Mitarbeiterin, für deren Eifer es offenbar nur die Erklärung gab, 174 17S daß sie ihn liebte. Sooft er ihr nun diktierte, ließ er jedem andern die Tür verbieten. Er bekundete ihr sein Interesse; und sie widerstand. Sie zeigte sich ihm als Frau von Erziehung und Menschenkenntnis, erworben durch schwere Schicksale; gab ihm Winke über Leute, die ins Haus kamen, und Ratschläge, die .sich bewährten. Seine Begriffe -von ihr veränderten sich schnell so weit, daß er sie zur Tafel hinzuzog, auch wenn Senatoren und Minister da waren. Die Hausgenossen bekamen Befehl, ihr als einer Dame von Rang zu begegnen. Sie würden ohnedies nichts anderes, gewagt haben, denn Frau Camuzzi hatte längst jeden von ihnen in der Hand. Sie kannte die Diebereien der Diener, machte dem Kaplan Komplimente über sein blühendes Aussehen; wenn er die ganze Nacht dort oben im vierten Stock seinen kleinen Freunden ein Gelage gegeben hatte; und was den Haushofmeister betraf, hatte Frau Camuzzi die Vorsicht geübt, Briefe .zu öffnen, die er von der bisherigen Geliehten des Conte Malfigi bekam; sonst hätten die beiden ungestört dem-armen'Conte die Vaterschaft zuschieben können an dem Kind, das erwartet wurde. Am meisten betroffen aber war der Sekretär. Er hielt es kaum mehr für wahr, daß er einmal vertrauliche Beziehungen gehabt haben sollte zu der Frau, die nun das Haus und den Herrn beherrschte und ihm selbst die Mitwisserschaft an dem, was vorging, schon vollständig abgenommen hatte. Er tröstete sich damit, daß die ganze Herrlichkeit auch sonst nicht mehr lange gedauert haben würde; denn so viel konnte er sich sagen, daß das neuerdings so zerfahrene Wesen seines Prinzipals mit dem bevorstehenden Prozeß der Kreditbank zusammenhänge. Sein Name war auf der Liste der Bestochenen, das wußte im Café jeder; und morgen oder übermorgen konnte es in den Zeitungen stehen. Frau Camuzzi, die noch mehr wußte, ließ den Conte schon seit acht Tagen keine Minute aus dem Auge. Zu seinen Verabredungen folgte sie ihm heimlich in einem Mietswagen. Zog er sich in í ein Arbeitszimmer zurück, blieb sie an der Tür 176 und lauschte. Einmal stöhnte er ungewöhnlich viel, sie hörte ihn Schiebladen öffnen und zustoßen, dann ein merkwürdiges Knacken: da trat sie ein. Malfigi hielt einen Revolver in der Hand. Sie nahm ihn ihm fort und sagte: „Glauben Sie denn wirklich, daß es so schlimm steht?" Er deutet nur nach dem Schreibtisch, auf ein neidgelbes Heft des „Mörisators". Sie kenne den Artikel, sagte Frau Camuzzi; schon vor seinem Erscheinen habe sie ihn gekannt. Der Verfasser, dieser Savezzo, sei ihr Freund.. „Und Sie haben mir nichts gesagt! Sie sind also auch meine Feindin?" Sie setzte ihm auseinander, daß dieser Savezzo ein Fanatiker «ei, vielmehr ein Mensch, der seinen Erfolg auf der Wahrheit zu begründen hoffe, wie die andern auf dem -Entgegenkommen. Mit Geld sei er nicht aus dem Wege zu räumen, Malfigi habe schon genug Geld ausgeteilt. „Fast mein letztes", und er raufte sich das spärliche Haar. „Auch dem Senator Russo habe ich Geld gegeben, damit seine Zeitung schweigt. Und jetzt klagt uns dieser Mensch gemeinsam an!" „Aber das ist das Beste, was geschehen konnte, und es hat mich unendlich Mühe gekostet, das Material gegen Russo zu beschaffen." „Wie? Sie? Sie sind es, die mich umbringt?" Es dauerte lange, bis sie ihn soweit hatte, daß er ihr zuhörte. Eine Anklage von seilen des Savezzo sei die sicherste Rehabilitierung, die einem Verdächtigen widerfahren könne. Die Presse, die für sein Geld vielleicht nicht immer nach Wunsch gearbeitet haben würde — ihr sei darüber einiges bekannt geworden —, jetzt werde sie eine Phalanx des Schweigens bilden gegen den Verräter, der sie selber fortwährend besudle und auch in diesen Angriff einen der ihren verwickle. Kein Zeuge werde sich noch finden lassen, der vor Gericht die Echtheit der den Abgeordneten und Exminister Malfigi belastenden Schriftstücke zugebe. Sogar die Mühe des Leug- 177 nens werde er sich sparen können, denn auch das Gericht werde seinen Namen mit Schweigen verdecken. Schließlich sagte er tiefgerührt: „Dann wären Sie meine Retterin." „Nicht ich", erwiderte sie langsam. „Ich habe viel zur Madonna gebetet. Auch Siesollen es tun." „Sie sind also fromm?" Er wollte lachen. Aber sie fragte ihn, ob er sicher sei, daß dies alles nicht eine Strafe der Madonna sei, die er so'oft verleugnet habe. Sie erhob die gefalteten. Hände. „Die schöne alte Madonna Ihres berühmten Geschlechts, das Sie immer beschützt hat! Wie lange schon wartet sie vergebens auf Sie in der Kapelle 'dieses Hauses.' Sie müssen zu ihr zurückkehren, versprechen Sie es mir, noch heute nacht!" Er gestand, daß er daran gedacht habe. Denn man könne nie wissen. Auch sein Kaplan habe ihm davon gesprochen. Das wußte Frau Camuzzi, denn sie selbst hatte es bewirkt. „Aber erst Ihre schönen Augen, bestimmen mich." Und als alle schliefen, schlich er hinunter. Die Tür der Kapelle kreischte; Malfigi hielt an, er schämte sich, und er ward eigentümlich bedrückt von diesen lange gemiedenen Schatten, aus deren Tiefe es unsicher flimmerte. Vor der Madonna brannte die silberne Lampe wie in seiner Kindheit. Malfigi wollte schon hinknien wie einst, besann sich aber und breitete zuerst 'sein Taschentuch über die Altarstufe. Dann sah er unschlüssig hinauf in die Augen der Madonna, die groß, schwarz und voll geheimnisvollen Leben« waren. Sie schienen zu wissen, daß sie ihn ansahen, ja, sie schienen Erlaubnis zu nicken . . . und da betete der Abgeordnete. Er betete, daß die Zeitungen schweigen und das Gericht sich nicht mit ihm beschäftigen möge. Die Madonna sah ihn an, als sei .sie mit allem einverstanden. Hoffnung überflutete «ein Herz, er weinte. Wie er sich aber die Augen trocknete, gewahrte er, daß auch hu Auge der Madonna ein Tropfen hing: nun fiel er auf den Altar! Malfigi sprang auf, besinnungslos, zum 178 Schreien bereit. Die Wand entlang schlich er nochmals hin. Hatte er sich nicht getäuscht? Nein! Jesus! Die Augen des Bildes waren ihm gefolgt. Da floh er, stolperte hinaus und hielt sich das Herz. Er beruhigte sich; Malfigi empfand Zorn, weil er sich hatte verjagen lassen, und einen fast jugendlichen Drang, den Rausch dieses Wunders weiter zu erleben, ihm auf den Grund zu kommen, sei es mit Gefahr des Lebens. Er lauschte noch im Dunkel des Vestibüls: da schwebte eine Gestalt im langen Mantel aus der Kapelle hervor, an ihm vorbei und die Treppe hinan. Er hastete hinterdrein, verlor sie in den Korridoren, irrte umher und ^suchte. Wie er dann sein Zimmer betrat und Licht machte, sahen aus dem Vorhang am Bett die Augen der Madonna! Er stürzte darauf los, der Vorhang öffnete sich . . . „Du hast mir mein Jugendfeuer zurückgegeben", sagte eine Stunde später der Conte Malfigi. „Jetzt liebe ich 'dich wirklich." „Dann verstehst du auch", erwiderte Frau Camuzzi, „warum ich früher noch nicht gewollt habe. Fürchtest du dich jetzt noch vor dem Prozeß?" „Nein. Durch dich bekommt man Mut." „Und bedenke, daß du morgen deinem Kaplan von einem Wunder zu berichten hast. Er wird damit in den Vatikan laufen. Jetzt schützt die Kirche dich. Wollen die freimaurerischen Gerichte dir etwas anhaben, wird es heißen, es sei nur die Rache für deine Bekehrung.11 „Daran dachte ich gar nicht. Wie du rechnen kannst!" Ihm blieb noch eine Sorge. „Ich verstehe schon, du hast dem Bilde die Augen ausgeschnitten. Aber wird man es nicht sehen?" „Wie kannst du denken?" sagte Frau Camuzzi. „Dem kostbaren alten Bild! Natürlich habe ich eine Kopie genommen." Der Abgeordnete Malfigi ward im Prozeß der Kreditbank nicht genannt, vielmehr berief man ihn an die Spitze dieses Finanzinstituts. Im Parlament war er fortan eine Stütze des 179 patriotischen. Klerikalisnms. Frau Cainuzzi, von Würdenträgern der Kirche belobt, mit Hochachtung behandelt von den hochstehenden Persönlichkeiten, die ins Haus kamen, sah ihre politische Laufbahn glänzend eröffnet. Da das Gesetz über die Ehescheidung ernstlich bevorzustehen schien, leistete sie die nützlichsten Dienste dadurch, daß sie liberale Parlamentarier umstimmte. Bei dem einflußreichsten dieser Herren gelangte sie ans Ziel vermittels eines Schäferstündchens, das sie ihm versprach, und von dem sie gleichzeitig seine Gattin benachrichtigte. Die Frau drohte, sie werde die erste sein, die sich scheiden lasse; und da sie das Geld hatte, war der Mann gehalten, das Zustandekommen des Gesetzes zu verhindern. Dies geschah in Neapel. In der Nacht, bevor Frau Camuzzi wieder abzureisen gedachte, bebte die Erde. Ermüdet von ihrer anstrengenden Mission, schlief Frau Camuzzi noch, als im Hotel schon alles in Aufruhr war. Wie sie endlich hervorkam, fand sie im Gang nur eine hilflos umherhuschende alte Dame, im Nachtkostüm wie sie. Frau Camuzzi ergriff sie und zog sie fort. Aber die Treppe brannte, und aus dem Abgrund zwischen eingestürzten Mauern schlug Qualm. Da kniete Frau Camuzzi hin und betete. Sie betete laut und mit einer Inbrunst, die sie schüttelte. Plötzlich senkte der Boden sich schräg und die beiden Damen glitten hinab. Sie langten unten an wie auf Flügeln und unversehrt. Die alte Dame fuhr mit Frau Camuzzi nach Rom; sie war eine unermeßlich reiche Lady. Sie behauptete, nur das Gebet dieser Heiligen habe sie gerettet. „Ja", sagte sie vor dem Conte Malfigi, „als sie betete, ging ein Schein von ihr aus." Und sie schrieb ihrer Retterin einen Scheck über eine Million. Kurz darauf starb der Gemeindesekretär Camiizzi. Der Abgeordnete Malfigi ward nochmals Minister und heiratete Frau Camuzzi. Der Salon der Contessa Malfigi gehörte ein . Jahrzehnt lang und auch noch nach dem Tode des Conte zu den einflußreichsten unter den politischen Salons der Haupt- 180 Stadt. Den jungen Leuten, die regelmäßig bei ihr dinierten, prophezeite man die Laufbahn des Abgeordneten, denen, die noch weiter bei ihr vordrangen, einen Ministerposten; ihre Herkunft war nicht ganz vergessen; Legenden umrankten sie, und man fand es pikant, ja satanistisch, daß eine ehemalige Kurtisane die neue Generation zur Reaktion und zum Klerikalismus erziehe. Sie hatte Anhänger, ehrgeizige Liebhaber, Verbündete oder Gegner: einen ihr gewachsenen Freund hatte sie nicht. Einmal versuchte sie, sich dem Savezzo zu nähern, der damals auf der Höhe seiner Macht war und in seinem „Jüngsten Gericht" jede Woche 'die fürchterlichste Musterung unter seinen Zeitgenossen abhielt. Sie erinnerte ihn daran, daß sie eine verwandte Geschichte hätten und zusammen gestiegen seien. Aber er lehnte schroff ab; er wollte mit niemandem gestiegen sein. Sie erreichte nur, daß er in der nächsten Nummer seiner Zeitschrift ihre Vergangenheit entschleierte, einen verjährten Mord durchblicken ließ und sie als Kaffeehausdirnchen erklärte, das sich die Rolle des Weibes von Babylon anmaße. Ihre Frömmigkeit sei erst in zweiter Linie politisches Mittel; vor allem sei sie Betschwester, weil sie vorher den damit korrespondierenden Beruf ausgeübt habe . .. Sie zog Vorteil aus dem einmal begangenen Fehler, indem sie, ohne daß er es ahnte, Persönlichkeiten mit ihm in Verbindung setzte, deren Feindschaft sie brauchte. Enttäuschungen wechselten mit Erfolgen. Kaum, daß das Herz noch stärker klopfte bei einem Sieg oder einer Niederlage. Am raschesten verging ein Tag, an dem man sich rächen konnte! Dieser unbedeutende Fiorio, als Unterprä-fekt daheim in der kleinen Stadt auf ewig vergessen, wenn es nicht der Contessa Malfigi eingefallen wäre, ihn zum Prä-f ekten zu machen: er hatte sich erlaubt, sie verraten zu wollen. Sie hatte ihm den Abgeordneten geschickt, den er wählen zu lassen hatte; sie hatte sogar sichere Leute geschickt, die in ein Fenster der Präfektur schössen, so daß Fiorio die Wahlversammlungen verbieten, den Munizipalrat auflösen und 181 ohne jede Opposition seinen Kandidaten durchbringen konnte. Da, ein Telegramm ihres Schützlings an die Contessa: der Präfekt hatte nicht ihn, sondern seinen einzigen Bruder als Regierungskandidaten aufgestellt. Sie sorgte sofort dafür, daß eine Zeitung, offenbar durch Vertrauensbmch, eine Depesche des Ministers an den Präfekten Fiorio wiedergehen konnte, worin der Minister es mißbilligte, daß der Präfekt ans wahltaktischen Gründen von gedungenen Attentätern in seine Fenster schießen lasse. Angesichts des allgemeinen Entrüstungssturmes wagte der Minister die Depesche, die er nie geschrieben hatte, nicht abzuleugnen; der Präfekt Fiorio ward abgesetzt. Sie ließ ihre Macht noch höher hinauf fühlen. Der Graf von Benevent, der elegante Vetter des Königs, hatte ein verächtliches Wort über sie gesprochen, und es war ihr zu Ohren gekommen. Sie gab ihm Gelegenheit, sich zu rechtfertigen; obwohl sie ihn albern fand, zeigte sie ihm, daß er ihr gefalle. Er beging die Torheit, ihr offene Feindschaft zu erMären. Ein Jahr später sah sich seine Geliebte, die russische Tänzerin Lorida, in ein weitläufiges, kaum entwirrbares Netz ■ von Verdächtigungen verstrickt, und der Tag kam, da sie als Spionin verhaftet ward. Nach langen Ängsten, die den Prinzen nicht weniger trafen als sie, und bloßgestellt von der ganzen Presse, war sie noch froh, in ihre Heimat abgeschoben zu werden. Der Graf von Benevent ging nach Afrika. Unter den Mitgliedern der Aristokratie, die sich im Bahnhof eingefunden hatten, war die Contessa Malfigi. Sie sagte: „Ich habe ihm das Billett gekauft, ich muß ihn auch einschiffen." Aber es "war bestimmt, daß auch ihr ein Billett gekauft werde. Zum zweiten Mal in ihrem Lehen verfiel sie der Liebe. Ein junger Mann ward ihr zugeführt: sie erschrak, denn sie glaubte, Nello Gennari wiederzusehen, den Geliebten von einst, der durch sie gestorben war. Auch dieser hob so die umflorte Stirn und ließ das weichgelockte Haar so schwanken über seinen Augen, seinem beschatteten Lächeln, als betrauere 182 er die eigene Schönheit. Die Contessa Malfigi zeigte sich sofort und vor aller Welt hingerissen, eifersüchtig, voll unbedachter Triebe. Man sah. eine Frau, die keiner kannte. Sie behielt den jungen Mann im Hause, ließ ihn, wenn Leute kamen, nicht von ihrer Seite, nahm ihn in ihrem Wagen mit, aber nicht zum Korso, wo man gesehen wird, sondern auf die alten Straßen der Trümmer und Einöden. Sie schwor ihm, daß sie ihn großmachen werde, zum Deputierten, zum Minister, zum Ritter .des Annunziaten-Ordens. Er solle sie lieben, er solle sie lieben! Und er: „Ich danke dir so sehr, und ich liebe dich." Aber sie hörte wohl, es sei nicht wahr und nichts, nichts vermöge sie üher ihn; denn er war nicht ehrgeizig. Sie enthüllte ihm ihre Geschäfte, ihre gefährlichen Geheimnisse; ganz ohne Mühe fiel ihm in den Schoß, was sie selbst, als sie zuerst in dies Haus eingedrungen war, mit List und Gewalt an sich gebracht hatte. Er konnte hier der Herr werden, wie sie dieHerrin geworden war. Toto, ich verschaffe dir den Namen eines Conte Malfigi! Ach! Er glich nicht ihr, er glich jenem Nello. Weich, schwach und träge lag er da, stumm klagend, weil sie ihn nicht mit Geld versah und hinausließ zu seinen jungen Freunden, damit er spiele, lache und sie betrüge, sie, die nur ihn hatte, nur ihn auf der Welt! „Toto, mein Liebling, du bist Sekretär des Ministers Afrano. Liebst du mich?" Nun sank er ihr wohl in die Arme; aber sie wußte, es war nur, weil er hinaus durfte. Um so fester schloß sie ihn ein. Die Stunden kamen, da sie ihn mißhandelte, und die, in denen sie ihn floh, um zu. weinen. Sie beweinte vor dem Spiegel ihr Bild von einst, die Reize, die ungenützt verfallen waren. ,Was habe ich gehabt? Ich habe Glück und Unglück verteilt. Ich habe das Zittern von Menschen gefühlt. Man hat mich geliebt, weil ich mächtig war. Das alles war nichts. Man hat mich betrogen!' Der Nello von einst hatte sie leiden lassen und jene Alba geliebt; und nun lag dieser dort drinnen, blaß, mit dem hilflosen Blick gefangener Tiere, und ahnte nicht einmal ihr Elend. 185 „Toto!" rief sie durch die Tür. ^Sekretär eines Ministers, das wäre zu wenig für dich. Warte noch, mein süßes Herz, du wirst noch mehr werden." Er antwortete nicht. Sie ging hinein — und fuhr erstickend zurück. Toto hing an der Decke. Sie war von Sinnen, sie wollte mit ihm ins Grab. Als sie wieder weinen konnte und gerettet war, sagte sie: „Ich hätte es wissen sollen. Dieser Typus bringt mir Unglück." Sie wollte fort, aus allem fort und zurück in ihre kleine Stadt. „Nie hätte ich mich entwurzeln lassen dürfen!" Man hielt ihr vor, daß damit ihren Feinden gedient, ihren Freunden das Verderben bereitet wäre. „Wer sind meine Freunde ? Der Savezzo hat recht, in dieser harten Welt muß jeder allein und gegen alle stehen. Ich war zu gut. Weh dem, der ein Herz hat!" HISTORISCHE NOVELLEN 1 Pippo Spano lächelte. Sem mondgrelles Lächeln, sein Lächeln aus einem Uhermaß grausamer Selbstsicherheit, stürzte in Grauen und fesselte..Es bannte Mario Malvolto. Er befragte es mit all seiner Seele, die Hände faltend, wankend und nach Atem ringend, unter fliegender Hitze und kalten Schweißausbrüchen, zerstört und von Jammer hingerafft ~ ein steekengebliebener Komödiant. DIE BRANZILLA I Die junge Sängerin verließ das Klavier und ging der dahinten noch lauschenden Gesellschaft entgegen. Ganz allein ging sie zwischen den Säulen, den Büsten mit pomphaft zurückgeworfenen Perückenköpfen über den weiten, spiegelnden Steinboden. Sie streckte sich sehr gerade, sah senkrecht vor sich hin; und die Arme ausgebreitet, hielt sie zwei blasse Fingerspitzen an ihrem großen, runden Rock, der sich rings um sie her am Estrich zerdrückte, wie sie vor der Prinzessin das Knie bog. Die Prinzessin bot ihr gnädig die Bonhonniere. „Welch einen Engel diese Kleine in der Kehle hat!" Die alten Frauen bewegten befriedigt die Fächer und lächelten ihren alten- Galans zu, die sich räusperten und von Erinnerungen anfingen. Die jungen Männer zogen die Köpfe in die hohen Kragen ihrer braunen Röcke, ließen ihre Lorgnons gesenkt und preßten bleich die Lippen aufeinander. Eins der jungen Mädchen, das begehrteste von Rom, stand plötzlich auf — die gestickten Kränze ihres Saumes schaukelten über ihren kleinen Schuhen — und warf die Arme um die Branzilla. „Wie Ihr glücklich sein müßt!" flüsterte sie am Halse der Sängerin. „Alle Liebe gehört Euch. In. Eurer Stimme ist alle Liebe der Welt." Aher sie verwirrte sich unter dem harten und traurigen Blick ans den Augen der anderen. Sie trat zurück; die Branzilla stand wieder allein: ihr klares Vogelpfofil gegen den Haufen gerichtet, den sie bewegt hatte. Hinter ihr seufzte es. Einer ihres Alters, einer in schwarzer Seide, richtete Schwärmeraugen auf sie. 339 „Fräulein Adelaide!" „Exzellenz, Eure Dienerin." „Ihr dient niemandem", sagte seinebedeckteStimme, „auch nicht der Kunst. Die Kunst dient Euch. Sie kniet vor Euch: sie, unser aller Mutter. Und auch ich, dem die Kunst doch alles war, will nur noch vor Euch knien." „Das ist heqT-iem." Und sie ging an ihren Platz. Er folgte sanft. „Mein Haus, Adelaide, erwartet Euch. Die Fenster blicken nach Euch aus, die alten Bilder sind erwacht und sind neugierig auf Euch. Meine Diener gehören Euch und wissen es. Die ersten Lehrer Italiens stehen bereit, Euch zu vollenden. "Wann kommt Ihr? Die Hecken im Garten sind höher gewachsen, um vor den Weihelosen Euer Bild zu hüten. Die Mauern umtürmen eifersüchtig Eure einzigen Töne." Sie tat kleine harte Fächerschläge. Mit kalter Unterwürfigkeit: „Ich stehe zu Diensten, Exzellenz. Meine Tante und ich, wir nehmen Eure Einladung an." Sie kamen; — und wie die Branzilla zwischen ihren neuen Atlaswänden aus zerrissenen Schachteln ihre Kleiderfetzen nahm, war Dario Rupa es, der sie ihr vom Ann hob. „Wir sind so arm, Exzellenz, daß wir unsere Wohnung nicht länger bezahlen konnten. Plätten wir Euch sonst belästigt?" „Ich werde Euch durch dies Haus führen, das Eures ist."' „Habt die Gnade, mich in das Musikzimmer zu führen . . . Habt die Gnade, mir zu erlauben, daß ich hier bleibe und studiere ... Ihr wollt mich schon hinausweisen? Nur mir zuhören? Das wäre Eurer Exzellenz nicht würdig. Ihr müßt Besseres zu tun haben . . . Nein, ich esse nicht; .Eure Exzellenz möge mich entschuldigen. Ein rohes Ei, einen Fenchel, und es ist genug. Keinen Wein. Ich bin Eure Dienerin." 540 „Niemand sah Euch, Adelaide, auf dem Korso, unter den Müßigen, ohne Schicksal. Wäret Ihr nicht, auch heute in geschlossener Karosse draußen bei den großen Ruinen? Allem Großen wißt Ihr Euch nahe; mühelos verkehrt Ihr mit der Größe und wachst an ihr. In den Denkmälern der Alten öffnet sich Euch die geisterhafte Pforte Eurer Kunst. Ihr selbst werdet groß werden." „Ich werde nichts lernen als heulen, wenn ich mit Euch schwatze." „Verzeiht mir! Ich geheun d lasse Euch EurerArb eit, die Euch so reich macht. Wie ich mich meiner ärmlichen Muße schäme!" „Auch als er Eure Exzellenz erschuf, wird Gott gewußt haben, wozu." Sie dachte: ,Zu meinem Nutzen.' ,... Da steht sie am Fenster, weiß umflossen. Ich habe im Dunkeln das Knie auf einen Stuhl gesetzt, recke den Hals nach ihrer Welt, atme ein wenig von ihrer Luft. Weiß sie von mir? Sie singt! Fünf Jahre schon höre ich sie singen, so nahe bei mir, und schweige. Schweige ich? Ist nicht ihr Gesang meine Seele, die endlich fliegen lernte und klingen? Ich breite die Arme aus; ich bin frei . . . Schwärmer! Sie singt: - du bist stumm. Nur sie hat die geklärte, gleichmäßige Flamme: deine wälzt sich plump zum ■ Himmel auf und fällt zurück in düsteres Schwelen. Du weißt deine Leidenschaft nicht zu ordnen; du stammelst, machst dich trunken und versagst wieder. Sieh ihre nüchterne Begeisterung, nüchtern wie die Ewigen, Himmlischen! Und vergeh! Nein: leben in ihr! Wenn es sein könnte: sie immer im Schauer des Mondes, ich immer dunkel zu ihren Füßen; und unsere Seelen fliegen auf, meine in ihrer, getragen von ihrer! Sie darf nicht fort, ich kann nicht hier unten allein zurückbleiben!... Adelaide!' „Was hat Eure Exzellenz?" „Verzeiht meinem verwirrten Sinn! Ich sah Euch mit dem Mondlicht das Fenster hinaufschweben, in den blauen Garten, schon fort, schon fort..." 541 „Das Fenster ist geschlossen, Exzellenz. Audi kann ich nicht fliegen." „Ich hin ein wenig erregt, vielleicht ein wenig in Angst, ich gestehe es, denke ich daran, daß Ihr nur noch einen Monat in diesem Hause weilen werdet." „Allzulange habe ich die Güte Eurer Exzellenz mißbraucht. Es wird Zeit, daß ich meine Schuld abtrage, indem ich durch meine Kunst, wenn es sein kann, den Ruhm Eurer Exzellenz erhöhe." „Adelaide! Verstehe mich! Wolle mich verstehen! Ich bin ein eifersüchtiger Narr; ich würde leiden, wenn die andern dich hörten. Ach, nicht das ist's, was hatte ich zu sagen? Ich werde ohne dich ins Elend fallen, Adelaide; ich werde sterben." „Ich bitte Eure Exzellenz, sich zu erheben. Vergißt sie denn den großen Abstand zwischen ihr und ihrer Dienerin? Es ist unmöglich, daß Ihr noch länger Eure Arme um meine Knie preßt!" „Was tun? Welche Worte finden, die bis an dein Herz dringen? Ich liebe dich, du darfst nur mir singen! Ich will es!" „Eure Exzellenz ist hart und erschreckt mich." „Verzeih! O verzeih! Nimm die Hände von den Augen, Ich könnte es keine Minute länger ertragen, daß du deine Augen gegen mich schützest!... Was hast du vor? Sprich mir mein Urteil!" „Ich werde nach einem Monat im Teatro Argentino auftreten, Eure Exzellenz hat es versprochen! und werde, wenn Gott mir hilft, Eurer Exzellenz Ehre machen. Wer weiß, vielleicht bald werde ich Eurer Exzellenz das an mich gewendete Geld zurückzahlen können und Eure nicht mehr ganz so unwürdige Dienerin sein. Befehlt Ihr, daß ich die Arie beende?" Er wankte ins Dunkel zurück. ,Nun singt sie wieder, wie Liebe selbst singt — und sie hätte kein Herz? Dies wäre nur der Schein eines Herzens, seine erdachte Nachahmung? Oder ist, was sie singt, ein Ge- 542 Jj ■ bet an sie selbst? Die einzige, zu der sie betet? Die sie liebt?... j Das also muß man sein, um groß zu sein? Oh, jetzt ist es an 1' mir, meine Augen zu verhüllen...' i II ■ „Welch ein Lärm ? Ich kann nicht mehr singen. Mir scheint J es gar, man schießt im Garten-. . . Auf der Straße, glaubst du, 1 Tante Barbara? Aber was hat man vor diesem Hause zu schie- ßen? Weiß man nicht, daß ich heute abend auftreten soll? i Daß heute abend alles sich entscheidet? Wer darf da lärmen? Ich begreife nicht, daß Seine Exzellenz es duldet. Wo steckt : er? Er, der immer an meinen Röcken hängt. Suche ihn!" ! „. . . Was kehrst du allein zurück, läufst und schreist? Und nun schießt man sogar im Hause, daß es hallt? Und Schritte, ''- die durcheinanderrennen, und. wilde Stimmen? Sage ihnen, daß ich singen will!... Geh doch ! - daß ich singen will!... Aber du versteckst dich wohl? Du bist ganz weiß. Was stammelst du? Ich verstehe nicht, deine Lippen zittern zu sehr... j Wie ? Sie machen Revolution ? Sie verj agen den Heiligen Vater? j Aber das ist unmöglich! Sage doch, daß es nicht wahr ist! Du I hast Angst, und du liebst den Klatsch, du Alte. Sie schießen: ;] Was wird's sein? Irgendein Mord. Dieser Palast steht in i einer-Straße volfühel Lebender. Auch begegne ich schon seit I Wochen Fremden auf den Treppen. Sie drängen sich- an 1 Seine Exzellenz und machen sich Freund mit ihm. Ich ! habe ihnen mißtraut . . . Gleichviel: mögen sie hier schießen; I drüben beim Theater werden sie's nicht wagen. Dort werden I die Soldaten des Heiligen Vaters dafür sorgen, daß ich singen I kann. . . Zwar, heute früh sind mir zwei Pfeile aus den I Haaren gefallen und als Kreuz am Boden gelegen .. . Und I du? Du bist einer Buckligen begegnet und hast nicht aus- ! gespien? Weil du den Mund voll von Süßem hattest? Und \ heute abend soll ich singen! Möge jene Bucklige dir die ganze I Hölle schicken! Dir: nicht mir! Ich muß singen I" . I 54-3 ,j... Wie sie schießen, wie sie schreien! Auf dem Flur, vielleicht schon im ersten Vorzimmer! Und wo ist Seine Exzellenz, die mich schützen sollte? Hat er sich versteckt, wie du, Alte? Haben sie ihn gemordet? Ist er's, der hier gemordet wird? Aber ich brauche ihn noch! Noch bin ich nicht aufgetreten. Er soll zum heiligen Vater, ihn bitten, daß er das Theater bewachen lasse. Ich selbst will ihn begleiten, der Heilige Vater wird mich segnen, und ich werde gut singen . .. Wo also steckt Seine Exzellenz? Dieser Hund muß hervor, ich will ihn suchen, bis in den Keller. Wie oft hast du denn den Schlüssel umgedreht, Verdammte, die du bist? Und schon schlagen sie gegen die Tür. Ich öffne! Ihr sollt sehen, daß i ch öffne. Wo habt ihr Seine Exzellenz ? Ah!" Die Branzilla schrak zurück: sie erblickte Dario Rupa in den Armen zweier Sbirren, bleich und mit geschlossenen Lidern, über die Blut rann. „Was habt ihr da um Gottes willen getan? Dieser war der unschuldigste Mensch, der nichts weiter konnte als im Winkel hocken und meinem Singen zuhören! Nie hat er daran gedacht, unsern Herrn Papst zu verjagen." „Wir werden sehen, mein Liebchen, ob nicht du selbst ein wenig daran gedacht hast!" ~ und der Hauptmann der Sbirren lächelte sie frech an aus seinen schmutzig gelben Falten, mit seinen schleichenden Augen, deren Klugheit einen entsetzte, „Nicht umsonst ist dies Haus voll Waffen, voll Menschen ..." Klirren und Kolbenstöße. Junge Leute wurden hereingetrieben. Ihre Kleider waren aufgerissen, in ihre Haare hatten Fäuste gegriffen, ihre feinen Gelenke schnürten Ketten. Sie sahen niemand an. Einer spie dem Polizeisoldaten, der ihn herzerrte, ins Gesicht und bekam einen Säbelstreich über seins. „Spielt nicht zu eifrig, Kinder", sagte der Hauptmann. „Bald werdet ihr vom Heiligen Vater zu Bett gebracht wer- 544 den... Und was Euren Liebsten angeht, meine Schöne, so denke ich mir in meiner Einfalt, daß er Euch so viel hat singen lassen, damit man die Flinten nicht klappern höre. Wie, wenn Ihr aus Begeisterung für die Freiheit so laut gesungen hättet?" Die Branzilla entwand sich einem Häscher. . „Ihr lügt! Wißt Ihr denn nicht? Heute abend trete ich im Argentino auf. Eure Sachen verstehe ich nicht. Ein paar von jenen da sah ich wohl auf den Treppen schleichen, ich leugne es nicht. Aber mir ist fremd, wozu sie kamen. Exzellenz, erwacht doch! Sagt ihm, daß ich nichts weiß!" Der Ohnmächtige öffnete die Augen und suchte. „Ihre Stimme war's... Wie! Ihr schämt euch nicht, Schurken, an ihr euch zu vergreifen, an ihr? Erst jetzt seid ihr Schurken!" „Eure Exzellenz", sagte der Hauptmann, „vergißt, daß Ihr Euch schonen müßt. Ihr verschwendetet Eure Kraft und zöget Euch nutzlose Wunden zu, da Ihr Euch der Gewalt der Regierung widersetztet. Ich heiße nicht Rupa und komme von Natur Eurer Exzellenz nicht gleich. Dennoch bin ich nun durch Gottes Fügung und die Macht unseres Herrn Eurer Exzellenz so sehr überlegen, daß ich sie, als einen hei bewaffnetem Aufruhr Ergriffenen, an jeder Straßenecke, die mir belieht, erschießen lassen kann." Der Hauptmann machte zu seinem schamlosen Lächeln eine demütige Handbewegung. „Aber Eure Exzellenz wird uns gewiß nicht gleich zum Schlimmsten nötigen, sie wird sich in Güte von uns verhören lassen, gleichwie ihre schöne Freundin. Wie manches Interessante mögen wir durch Euer Wohlwollen erfahren, und durch die Gefälligkeit des Fräuleins! Kommt, ich bitte Euch, verweilen wir nicht länger!" Die Sbirren packten zu. Die Branzilla arbeitete sich ab in ihren Armen. Aus den Gefangenen sprach eine zornige, klare Stimme: 345 Ä „Wir haben sein Haus gehraucht, ohne daß er es wußte. Er glaubte, wir kämen, die Branzilla singen zu hören. Er war blind und taub vor Liebe, wie der Auerhahn. Er ist unschuldig." „Ich hin unschuldig!" rief die Branzilla. „Könnt Ihr nicht mehr reden, Exzellenz? Immer wäret Ihr zu schönen Worten bereit. Ihr habt mir versprochen, daß ich singen ■soll; keine Stunde ist's bis dahin; und da laßt Ihr Euch und mich in die Hände dieser Schweine fallen! Ihr laßt zu, daß ich nicht singen soll! Ihr seid feige! Habt Ihr keine Diener mehr, diese davonzujagen? Was wollen sie? Sagt ihnen doch, daß ihr Papst und ihre Freiheit mich nicht schiert und daß ich singen muß!" Die Polizisten lachten; ihr Hauptmann feixte verächtlich. Dario Rupa sali ihn an. Die Hand am Hals, in letzter Not und hastend: . „Ich biete Euch alles, was ich besitze, laßt Ihr sie los. Nehmt mich, tötet mich, ich bitte Euch, und laßt sie frei!" „Was haltet Ihr mich auf! A]!es wartet auf mich. Die Zeit ist erfüllt. Alles wartet: Gott selbst wartet!" Sie bekreuzte sich. Die Shirren lachten roher. Sie begriff nicht und starrte wirr in die unheilvollen Gesichter. Der Geruch machte ihr bange: dieser Geruch von Pulver und schweißigem Leder, der ihr der jäh eingedrungene Geruch des Unglücks schien. Sie haßte diese Menschen, die Lachenden und die Wutbleichen, die Gefesselten wie ihre Häscher: alle. Und jenes machtlose, blutende Gesicht, das sich ihr darbrachte, erbitterte sie wild. ,Geh zum Teufel!' sagte sie ihm mit den Augen. ,Du bist mir zu nichts mehr nutz!' Sie fuhr auf. „Aber hört, ihr alle! Ich werde euch zeigen, wer ich bin. Ihr werdet es bereuen, euch an mir vergriffen zu haben. Es gibt Mächtige, die mich heute abend zu hören wünschen. Seine Exzellenz hat einem Herrn Kämmerer von mir gesprochen, und Seine Heiligkeit weiß von mir. Der Kardinal 54S I Aldobrandini will ins Theater kommen. Hütet euch, einer I Eminenz ihr Vergnügen wegzunehmen. Es könnte euch alle verderben!" Der Hauptmann winkte den Soldaten, nicht zu lachen. ; „Es ist wahr" — und seinem Blick hielt ihre Scham ; nicht stand; „Ihr könnt noch vielen Vergnügen machen. ; Es wäre schade um Euer zartes Fleisch, käme es auf die ■ Folter..." Plötzlich befahl er, alle abzuführen. Dario Rupa, den sie i stießen, wandte sich nach ihr um; sie sah auf seinen Lippen i ein Lebewohl, in seinen Augen einen letzten sehnsüchtigen IZuruf: „Werde groß!" Und allein stand sie vor dem Hauptmann. „Gesteh mir ein, daß du sein Werkzeug warst, und ich laß I dich singen." i „Was soll ich gestehen?" I „Er ist dein Liehhaber, und es ist peinlich, gegen einen I Liebhaber auszusagen. Bedenke aber, daß er ohnedies ver- I loren ist. Sein Haus hat Verschwörern gedient. Du schadest ;| ihm kaum, und uns machst dxi dich beliebt. Anstatt daß ihr I beide das Verhör erleidet, werde ich ihn sogleich erschießen 1 lassen. Du aber bist frei . .. Sprichst du?" 1 Sie hatte es gewollt, nur war ihr der Ton versiegt; und sie 1 haßte sich selbst, weil sie noch nicht hervorgebracht hatte, I was sie frei machen sollte. :t Der Hauptmann sagte: 1 „Du bist jung; auch heißt es, du seist eine Künstlerin. Wer i weiß, zu welchen Triumphen du bestimmt bist. Der Amati 1 haben sie neulich eine Pforte aus Rosen gebaut. Viele wer- 1 den dich lieben. Halte dich nicht bei dem einen auf, der ver- I loren ist. Ein Verlorener kann nicht länger dein Liebhaber i sein." 5 Es war sehr schattig geworden im Saal. Von den ver- i'ä schränkten Armen des Hauptmanns fiel sein Mantel in wei- ten, dunkeln Flügeln. Sie hatte seine Worte im Kopf, ohne ' 347 3 i daß seine Stimme darin nachklang. Es war, als sei sie reglos, ohne Laut mit sich allein. Da warf sie sich herum. „Er ist nicht mein Liebhaber. Er wollte mich singen hören. Liebte er mich? Ich liebe ihn nicht. Was geht er mich an?" Sie sprach hinter sich, als habe sie jemand zu beschwichtigen, der dort im Dunkeln versteckt läge: vielleicht ihre Tante Barbara, vielleicht etwas anderes, Namenloses. „Er hat mich aus dem Elend gezogen, sagst du? Andere hatten mich singen gehört und mich dennoch darin gelassen? — Aber, habe ich ihn darum gebeten? Versprach ich ihm Dank? Ich soll singen; Gott gab ihm den Befehl, es mich lehren zu lassen!... Was sagst du? Niemand lebe so mit meiner Stimme, gehöre ihr so?... Aber ich fürchte mich nicht, allein zu bleibenI... Er will mich groß? Daß er verschwinde, werde mir Unglück bringen?... Es gibt kein Unglück, fühle ich, das mich nicht, nährt. Für mich sind Gott und Teufel nur eins." Sooft von hinten eine neue Frage kam, schnellte sie herum nach dem Hauptmann, und in seinen Augen, die sie mitten im Schatten deutlich erkannte, war schon die Antwort entschieden. Seine Klugheit gab ihr Grauen und Trost. „Und endlich verlangt er selbst nichts Besseres. Wie könnte ich ihn glücklicher machen, als wenn ich ihn sterben heiße!... Herr Hauptmann, ich will gestehen." Sie mußte hinunterschlucken. Aber hinter ihren zugedrückten Lidern entstand das hell wogende Festhaus; auf tausend Zetteln, tausend Zungen war ihr Name; auf der Bühne warteten ihrer die Abenteuer eines ganzen Himmels; schon gingen Geigen- und Harfenklänge ihrer Stimme voraus, als der Königin; und da sie ausblieb, erhob sich irgendein Wirbeln und Tosen: nach ihr lärmte ein Volk. . . Sie riß die Augen auf. „Er war mitverschworen. Ich hörte ihn mit den andern von Mord sprechen. Sie machten Kugeln, indes ich sang ..." Sogleich sprangen beide Türflügel auf. Der Wächter im Vorzimmer trat beiseite. Eine Fackel sprengte große Schatten durcheinander. .. Die Branzilla wagte sich hinaus; ihre Hände preßten ihr Herz. Sie eilte verzweifelt; ihr schien's, ihr Fuß bleibe stecken, der Hauptmann hinter ihr werde zufassen ... Da überschritt sie die letzte Schwelle. Die Treppe war wirr von Lichtern und Menschen. Neugierige quollen herauf, zwischen die Soldaten, die Diener, Sie mußte haltmachen. Der Hauptmann hinter ihr sagte: „Adelaide Branzilla, Ihr seid genötigt worden, in diesem Hause zu singen, damit man nicht merke, daß Staatsverbrechen darin geschehen. Gebt Ihr zu, im Dienste des Dario Rupa gestanden zu haben?... Sprecht laut!" „Ja." Die Menge sah sich an und wich. Elegante Abbati verbeugten sich vor der Branzilla, sagten ihr, das Theater warte, und geleiteten sie hinab. Vor dem Tor stand, inmitten alles Volkes, ein Wagen. Wie sie den Fuß hineinhob, fuhr sie zusammen. Die Stimme des Hauptmanns hatte sich nochmals geregt. „Dario Rupa hat sich gegen das Leben und die Regierung seiner Heiligkeit verschworen? Ihr bezeugt es, Adelaide Branzilla?" Sie stand inmitten alles Volkes und zitterte. Der Zweifel lähmte sie, wenn sie sich umwende, werde der Hauptmann verschwunden sein; alles werde nicht wahr und sie werde gerettet sein. Sie riß sich empor. „Ich bezeuge es." Sie saß im Wagen, wild ging es von dannen. Die Gasse war schwarz; entsetzt ldapperte das Echo von den Mauern; die Branzilla litt Furcht und Reue.. . Aber Lichter kamen, Wagen, Menschen: und sie richtete sich auf. „Sollte ich denn sterben seinetwegen: sterben, bevor ich gesungen habe? Nicht sein Verdienst ist's, daß ich erwählt bin: es ist Gottes Sache. Seine Wege sind die eines Fremden; er muß sie sich selbst suchen; und sind sie schlimm, kann ich's nicht ändern. Nicht für ihn habe ich mich kasteit die vielen 348 Jahre. Denn ich. lebte fern von den Freuden der Welt, hatte keinen Teil an den flüchtigen Lüsten der Menschen und arbeitete in der Zucht des Herrn für die Ewigkeit. Ich bin seine Nonne: nun will er mich in seine Gnade aufnehmen, ich soll, seinen Glanz sehen. Der Himmel wartet, und ein Mensch will mich zurückhalten? Ich hasse ihn, mag er sterben! fetzt weiß ich's, nicht der Hauptmann war der Teufel, der mich versuchte; der andere war's! Ich bin ihm entronnen, ich habe ihn besiegt; nun kommt die Seligkeit!" Sie war gekommen. Die Branzilla sang. In ihr spielte die Kraft, die dem Himmel gleichkommt. Sie erreichte ihn, schwelgte in ihm und in der Herrschaft über alle Jene, die tief dort unten verstummt waren.. . Aber sie wagten zu atmen? Nicht für immer waren sie unterworfen? Sie murrten ; sie riefen ihr einen Namen zu, einen schon vergessenen Namen, der nach Rache verlangte? Ein Dolch flog auf die Bühne und blieb vor ihr in der Diele stecken? Der Vorhang fiel krachend zu? , ... Sie stand, die Stirn gegen eine dunkle Kulisse, und betete. Als sie zurückkehrte, war ihre Stimme der Engel, der, vom Himmel entsandt, mit dem Ungeheuer ringt, mit den Sünden der Welt. Sie hielt es unter sich; es rauchte, spie und würgte. Es zuckte erlahmend, seine grausamen Augen sahen verschwimmend auf sie, die sich von neuem erhob und plante in Herrlichkeit. Von fern erlebte sie, wie schon Anbetung die Herzen weitete, in denen Haß kaum erst schmolz. Ii: „Du siehst recht wohl, daß ich in diesem Kleide nicht auftreten kann. Die Ärmel sind zu lang, und am Rock sitzen die Falten schief. Aber wie sollte es anders sein, da du noch gestern abend dich mit deinem Liebhaber den Leuten zeigtest! Ich sah euch vom Fenster. Ich arbeitete an meiner Rolle, indes du dich vergnügtest." „Mein Geliebter hat mich verlassen, Signora. Vor Verzweiflung lag ich krank, die Nacht und den ganzen Tag. Die Signora möge verzeihen, wenn ich nicht aufmerksam war." „Ich verzeihe nichts. Würden sie mir verzeihen, wenn ich schlecht sänge? Niemand würde fragen, ob ich krank war. Ich singe nur die Tullia. Die Lukrezia gehört der Amati, die so viel größer ist als ich, so viel schöner, liebenswerter, kunstreicher. Ich bescheide mich und bin ihre Dienerin. Aber auch die Dienerin will ich ganz sein. Ich übe meine Cavatine Tag und Nacht, ich küsse hundertmal den Saum meiner Herrin, die mein Geist vor sich sieht. Meinst du, ich fürchtete jene, die pfeifen möchten? Arme Unwissende! Mich ängstigt.nur der göttliche Wille in mir. Darf ich denn ruhen, solange irgendein Mensch meine Rolle besser machen könnte? Sie müssen sich beugen: nicht vor mir, ich bin nichts; doch vor dem Vollkommenen. Sie widerstreben, ich weiß es wohl, dem Vollkommenen. Es ist stolz, es demütigt sie. Sie fühlen sich wohler bei den Hübschen, die es sich und ihnen leicht machen . . . Ah! Sturhanotte. Nur herein! Ihr könnt davon reden. Ihr seid ein Buckliger, und Ihr singt herrlich gut. Seid Ihr schon einmal an einem Theater zum erstenmal aufgetreten, ohne daß sie Euch ausgelacht hätten? Immer mußtet Ihr Euch zuerst vor die Rampe- stellen und ihnen versichern, Ihr seiet nicht gekommen, Euch sehen, sondern Euch hören zu lassen. Nun also: das Vollkommene erscheint ihnen immer bucklig. Es stoßt sie ab und muß sie überwältigen ... Ich spreche nur zu Euch, Sturbanotte — da Ihr mir die Ehre erweist, in meine Garderobe zu kommen, die von Männern leer ist: nur zu Euch. Ihr allein versteht mich. Ihr denkt doch nicht, ich redete zu jenem albernen Mädchen, das aus unglücklicher Liebe krank wird? Sie hätte ein Kleid machen sollen. Ein vollkommen gemachtes Kleid würde ihr dummes kleines Dasein gerechtfertigt haben. Was tut sie? Sie ißt, trinkt, liebelt, sie zerstreut sich, bis sie ganz verschwindet. So machen es alle. Hat Euch ischon einer einen Schuh oder einen 350 551 Bart gefertigt um anderes, als das bißchen Geld? Haut Ihr schon einen singen gehört, dem's nicht bloß um den Beifall war? Wie wohlfeil alle sich nehmen! Wie ich alle verachte!" „Ich verstehe: auch die Amati." ■ „Das könnt Ihr nicht glauben. Eine so große Künstlerin! Sie ist berühmt, und wie viele lieben sie! Ich hin ihre Dienerin." „Ihr spielt ihre Dienerin, es ist wahr. Auch genießt sie noch große Anbetung. Nicht mehr lange, sagen die Ärzte. Der arme Ritter Rosaspina! Wie er sie liebt! Aus seinem Blut würde er ihr ein Elixier pressen! Sie schwindet dahin. Ihre Stimme War gestern so schwach, daß im Theater mehrere weinten. Ein Mittel gegen das böse Feuer, das sie verzehrt! Ein Gegengift!" „Ein Gegengift? Signor Sturbanotte, Euer Grinsen ist entsetzlich. Nie sah ich so sehr, daß Ihr ein Buckliger seid, ein boshafter Buckliger. In Eurer roten Kappe, mit Eurem langen Schwert! Was für einen schrecklichen Schatten Ihr werft! Verlaßt mich! Was ängstigt Ihr mich! Kein guter Mensch wird glauben, eine so liebenswerte Künstlerin könne vergiftet werden." „Ihr mißversteht mich, Signora. Ich sprach von einem bösen Feuer in ihr. Seht doch ihre Augen an! Ihr Blut verzehrt sich seihst. Es ist ein äußerst trauriger Anblick, wie sie daliegt und Schwäche und Angst erleidet und sich nicht begreift. Ihre Garderobe ist wie ein Sarg, worin die Liebhaber sich mit ihr verschlossen haben. Unterirdisch still ist's darin. Das La dien derer, die zu lachen wagen, klingt ohne Widerhall und als drückten fünf Fuß Erde darauf. Das Schluchzen des Ritters Rosaspina bricht sich an den Füßen der Amati. Wollt Ihr das nicht sehen? Bliebet Ihr fern, man würde glauben, daß Ihr der Amati nicht wohlwollt..." „Ich komme. Kein Wort mehr! Denkt Ihr denn, ich wäre nicht längst schon bei ihr, hätte nicht die ungeschickte Schneiderin mich aufgehalten?" „Oh, Signora! Laßt zu, daß ich Eure Füße umfasse! Ritter, Ihr müßt mir diese Minute gönnen: ich bin die Dienerin Eurer Herrin. Wie wohl Ihr ausseht, Signora! Wie es hier lustig ist! Die Herren ersticken wohl ihr Gelächter in den Taschentüchern. Ihr seid wiederhergestellt, nicht wahr, Signora? Ihr werdet es keinen Tag hinausschieben, die Lukrezia zu singen. Eure Tullia bittet Euch." . „Ihr selbst, Signora Branzilla, werdet vielleicht die Lukrezia singen. Vielleicht werde-ich tot sein." „Was habt Ihr! Mein Gott!... Sie antwortet nicht. Sie hat sich verfärbt und die Augen geschlossen. Welche Gesichter ringsum! Signora! Kommt zu Euch!" „Ich weiß nicht, was mir geschieht... Ja, Ihr sollt die Lukrezia singen. Eine Stimme verlangt, daß ich sie Euch auftrage, sie Euch hinterlasse. Ihr seid größer als ich. Wehrt nicht ab! Ich liebe Euch nicht, verzeiht! Aber Ihr seid größer; und Festeres, Stolzeres werden sie Euch errichten, als eine Rosenpforte. Mich sahen sie gern. Mein Gesicht machte sie eiu wenig glücklicher. Sie fühlten Wohllaut in meinen Wendungen. Wenn ich lächelte, verziehen sie mir meine Stimme, die so wenig vermochte. Ich hatte nichts gelernt, ich gestehe es Euch. Man ließ mich nie, und mein Herz ließ mich nie. Ihr seht, daß ich noch erröte. Und soll doch bald ganz erblassen. Ritter, näher zu mir!... Hu- aber, Signora Branzilla, seid eine große Künstlerin. Ihr werdet herrschen, wo ich nur Vergnügen machte. Ich lasse Euch die Lukrezia. Hier habt Ihr die Rolle! Morgen sollte ich sie ihnen singen. Singt sie ihnen morgen, damit Eure große Kunst sie rascher mich vergessen macht. Nicht den Ruhm ja liebte ich. Meinen Schatten tröstet das Gedächtnis eines einzigen. Nehmt, Ritter!" „Wollt Ihr Eure Hand nicht auch mir verstatten ? Verzeiht, daß ich sie mit Tränen befeuchte! Ihr macht mir Schmerz und Scham. Ich habe Euch zu sehr bewundert: wie darf ich leiden, daß Ihr Euch vor mir demütigt! Laßt mich Euch bedienen! 352 555 Wollt Ihr trinken? Ich muß Euch zuerst ins Ohr sagen: schickt von Eurem Lager den Buckligen fort! Er ist voll arger Gedanken und wird Euch Unglück bringen. Legt Eure Lippen an das Glas; das Cordiale ist hineingemischt. . . Ich durfte nicht zu Euch aufsehen, Ihr wurdet so viel geliebt. Ich selbst fand Euch liebenswert — und ich habe es so schwer, zu gefallen. Mit ein wenig Gesang? Ein wenig klingender Luft? Sagt seihst, was das bedeutet, wenn man eckige Glieder und eine ungefällige Miene hat. Nein, Signora, ich bleibe Tullia, Eure Dienerin. Laßt mich immerhin für morgen die Lukrezia erlernen: darum weiß ich doch, daß ich sie, beschämt und erleichtert, Euch, der Genesenen, zurückgeben werde. Aber was ist Euch ? Kommt Euch denn schon wieder Ohnmacht an? Helft doch, ihr Herren! Wie? Ihr Herz —? Signora! O Himmel!" „Wir sind allein, Signora, denn die Tote zählt nicht. Für Euch zählen doch keine Toten? Den Ritter haben seine Freunde hinausgebracht. Jetzt seid Ihr Lukrezia — und was immer Ihr wollt." „Ich will ihr Gewand ordnen. Findet Ihr sie nicht noch schöner als im Leben?" „Ich weiß nicht. Einen Buckligen kümmert das nicht." „Sie wird doch einmal aufhören, zu gefallen? Sie muß doch werden wie die andern Leichen?" „Habt Ihr Furcht, sie möchte Euch noch mit geschlossenen Augen überstrahlen?" „Ich fürchte niemand, Signor Sturbanotte. Seht, wie ich ihre Augen auf- und zuklappe! Mit diesen Wimpern wird sie keine Liebe herbeiwinken." „So furchtlos als geschickt! Wie Ihr zu spielen versteht, noch an einem Sterbebett! Wie trefflich Ihr ein Cordiale mischt! Ihr müßt Übung darin haben." „Was tragt Ihr da im Ärmel, Signor Sturbanotte? Ei, seht: ein rundes flaches Fläschchen mit einer wasserhellen Flüssig- keit darin! Wäre das gar das übel berufene Tofanawasser? Das müßt Ihr häufig angewendet haben, Sturbanotte. Seit Monaten hat sie's bekommen: jetzt begreife ich das.seltsame Feuer, an dem sie starb, und das nur Ihr erkanntet! Aber welche furchtbare Rachsucht, buckliger Sturbanotte. Weil sie Euer Liebeswerben abwies! Ihr seid ein schrecklicher Mann, ich werde allen gegen Euch zur Vorsicht raten . . . Ach nein, ich scherzte: Ihr braucht nicht zu erbleichen. Das Wasser, sag ich Euch ins Ohr, trugt nicht Ihr im Ärmel. Ich habe Euch nur zeigen wollen,, daß ich noch geschickter bin, als Ihr meintet — und Euch warnen... Und nun wißt, daß ich niemand zu scheuen habe. Denn ich tat recht. Gott selbst trug es mir auf. Er ließ mich träumen und zeigte mir die Amati in der Hölle und in der Pein. Sie hatte keine Nase mehr, und die Teufel zwickten ihr die Brustwarzen ab. Aber hoch darüber, gleich unter Gottes Thron, auf Wölken stand ich selbst und sang!... Das ist Gerechtigkeit, Sturbanotte. Denn sie schändete die Kunst. Sie gab vor, eine Sängerin zu sein, und war eine Dirne. Mit ihrem Dimengesicht, ihren Dirnen-gliedem betäubte sie das Volk, daß es nicht merkte, wie die Kunst verdarb. Die Kunst war in mir, und niemand hörte sie. Gott war verlassen, er schrie nach Rache. Ich folgte ihm und tötete sie und lernte, indes ich sie tötete, seit Monaten ihre Rolle. Wäre ich nicht Gott gefolgt, noch immer würde das Volk nur das Fleisch lieben. Jetzt hab ich es erlöst. Jetzt kann ich ganz die Flügel ausbreiten, und zwischen Himmel und Erde hindert nichts mehr meinen schönen Flug. Sie werden sehen, daß ich schöner hin als die Amati. Sie werden mich nicht liehen, weil ich süß bin, mich zerflattern lasse und Mitleid verdiene. Sie werden mich lieben, weil ich stark bin, mit Leidenschaft hei mir hin und ihnen Reue über ihre verlorenen Lehen mache!... Was murmelt Ihr, Sturbanotte?" „Daß ich alt hin und obendrein bucklig. Sonst bliebe ich keine Nacht mehr in Roth." „Auch Ihr versteht mich nicht, Sturbanotte." 554 355 IV „Sind die Leute schon fort?" fragte die Branzilla. „Laßt uns sehen! Zieht doch den Vorhang auf, ihr Kleinen! Wenn auch nur drei Personen im Saal geblieben sind, werde ich noch etwas singen: ihr sollt staunen. Nie war ich so in Stimmung: in Paris nicht, in London nicht." „ Zu viel Ehre, Signora! Ihr habt uns sehr glücklich gemacht. Mindestens acht Tage lang werden wir alle zu essen haben." „Kein Mensch mehr da? Nun, gleichviel, ich bin zufrieden. Es war ein guter Gedanke, daß ich die Postpferde abbestellte und in eure Schmiere zu Gast kam." „Ein sehr guter Gedanke!" — und die armen Komödianten umdrängten sie gebückt. Die alte Königin wischte mit ihrem Purpur den einzigen Stuhl ab. „Er war ein Baumstumpf", sagte die Branzilla. „Das grüne Tuch dort hinten will sagen, daß wir in einem Walde sind. Warum nicht? Die Leute haben es uns geglaubt. Welch gie^ rige Gesichter aus den zerbrochenen Bänken zu uns. herauf atmeten und funkelten! Ach, ihr Geruch ist noch da: Knoblauch und Rauch, der Geruch der Armen. Lange schmeckte ich ihn nicht mehr .. . Auch ich war arm. Auch ich saß, ganz jung, auf den Bänken wackliger Vorstadttheater und starrte durch den Tabakraüch auf den Götterglanz hier oben: euren Götterglan«, liebe Freunde! Es war schön . . . Vielleicht saß auch heute abend solch ein junges Mädchen drunten? Eins, das einmal groß sein wird? Oh, sehr reizend sind, die noch alles vor sich haben. Und sehr schrecklich!" Die Branzilla sprang auf. In ihrem Samt und ihren Spitzen fuhr sie hin und her vor der elenden Schar. Plötzlich entschloß sie sich. „Euer Tenor — wie nennt ihr ihn? — ist nicht übel. Ich möchte sagen, daß er etwas taugt. Ich kann sogar zugeben, daß er große Mittel hat. Was wollt ihr noch mehr von mir? Soll ich gestehen, ich erkennte ihn an? Schließlich hat er ein 356 wenig Übung: und wer weiß von ihm, wo gilt er? Gleichviel: ich habe ihn gehört und werde ihn nicht verleugnen. Sagt, wo steckt er? Er ist der einzige von euch, der davonläuft, wenn euch die Branzilla beehrt. Übrigens hat er auch vom Beifall vorhin zu viel für sich genommen . . . Nun, sagt ihm, daß ich ihm Glück wünsche, und lebt wohl!" Aber in den Kulissen machte -sie kehrt. „Ja, was tun: Die Nacht ist noch lang. Du bist ein hübsches Kind. Erstaunlich viele Kinder habt ihr hier; aber du bist das hübscheste. Soll ich dir etwas schenken? Willst du den Bing? Es heißt, die Branzilla sei geizig. Nicht immer ist sie's. Verlier ihn nicht! Deine Mutter bekommt hundertundsechzig Taler dafür. Wer ist deine Mutter?" Mehrere grelle Frauenstimmen antworteten: „Sie liegt schon wieder im Kindbett. Diesmal hat sie es von Ulisse." „Wer, Ulisse?" „Cavazzaro, der Tenor." „Ach du —" und die Branzilla stieß das Kind von sich. „Gib den Ring wieder her! Deine Mutter hat es mit jenem Ulisse gehalten. Welche Schamlose!" Sie wandte sich ab, tief errötet. „Nichts begreife ich so wenig, wie solche Frauen . . . Und er! Er ist bei ihr! Rasch, sagt mir, ob er nicht bei ihr ist. Was denn? Bei einem Liebchen in der Stadt soll er sein? Er soll viele Frauen haben, überall, und Kinder zu Haufen? Seid ihr verrückt? Er ist ein Künstler, ja, ihr sollt die Wahrheit wissen: ein großer Künstler. Wie könnte er sich also vergessen? Sich zu euch herablassen, ihr Weiber? Ihr verleumdet ihn! Iph kenne euch. Du lange Blonde, du bist eifersüchtig, du hast ihn vergebens begehrt. Nimm diesen Backenstreich! Und geht! Geht alle zum Teufel!" In der staubigen Garderobe schrie sie ihre Kammerfrau an, stieß sie hinaus, schleuderte einen silbernen Schminknapf zu Boden und untersuchte, ernüchtert, ob er beschädigt sei. Es klopfte; sie schlich zur Tür. 557 „Ach, Ihr! Geht nur wieder fort! Ich mag keine Taugenichtse." „Ihr habt von mir gesprochen, Signora, Ihr wünschtet mich zu sehen." Er nahm, um zu reden, einen Nelkenstengel aus den Zähnen und lächelte, schmeichlerisch und lässig. Die Branzilla senkte die Lider und gab die Schwelle frei. „Ihr seid ein Künstler, ich leugne es nicht. Aber glaubt mir: ein Leben wie das Eure führt kein der Größe Bestimmter. Haltet Ihr mich für eine große Sängerin?" „Ihr seid die einzige. Wer Euch hört, vergißt, daß es vor Euch eine Kunst des Gesanges gab. Ich liege zu Euren Füßen, Signora." »„Laßt die Redensarten!" Aber ihrer bösen Miene entrang sich ein ungeschicktes Lächeln. Er sah sie an; er schob, und wendete sich dabei halb in den Hüften, die Nelke wieder in den Mund. „Wann seid Ihr zuerst aufgetreten? Siebenundvierzig? Das ist mein Jahr! Ihr habt raein Jahr und seid der einzige, der mir je —. Ihr erschreckt mich! Bringt Ihr mir Glück oder Unglück?,.. Aber vergeßt nicht, daß Ihr noch nichts seid, noch gar nichts. Was schaden mir Eure Gaben, solange Ihr an armseligen Orten ein unordentliches Lehen führt! Ihr habt wenig gelernt, und Ihr wagt, an Größe zu denken? Wollt Ihr meinen Rat? Geht in ein Kloster! Schließt Euch ein, acht Jahre lang, und lernt singen! Dann werden wir sehen, dann werden wir uns wieder spreehen. Vorher hofft nichts! Geht!" Er prüfte sie aus den Winkeln und drehte sich zögernd von dannen. Sie atmete stockend. Plötzlich, auffahrend: „Nein! Nein! Ich darf nicht, darf Euch nicht untergehen lassen. Ihr seid der einzige, der mir je gleichkam. Und wie geschieht es, daß ich Euch auffand: ich, die Branzilla, die nur an der Scala, an San Carlo, am Argentino singt und eines Abends sich herbeiläßt, auf Euer Gerüst zu steigen? Als man mir im Gasthaus sagte, in diesem schwarzen Loch werden Opern gesungen: wie doch kam mir die Lust, allen Glanz meiner Kunst zwischen euch zu tragen, unberechenbar gnädig, wie Gott? War's nicht vielleicht Gott, der durch mich handelte? Seine Hand nach Euch ausstreckte, Cavazzaro? Es wäre hesser, er hätte mich Euch nicht kennen lassen. Da ich aber nun weiß, daß Ihr lebt, darf ich Euch nicht verleugnen. Kommt mit mir! Ich will Euch groß machen." „Signora! Eure Hand!" „Berührt midi nicht!... Ach, laßt, ich will Euch trotzdem wohl. Warum nennen wir uns nicht du, wie alle Komödianten? Sage also: kannst du Strenge üben gegen dich und dich frei machen? Von allem, was nicht du selbst bist? Niemand mehr lieben? Keine Frauen.; denn sie schaden dir. Hörst du: keine Frauen mehr!" „Auch du bist eine Frau." „Euer Du ist schamlos. Vergeßt nicht, wer ich hin!" Sie warf sich zurück, sie sah ihm mit Tränen des Zornes in die Augen. Er fragte weich: „Habt Ihr nie geliebt, Signora Branzilla? Wie könntet Ihr sonst singen?" „Ich habe alle Leidenschaften, und ich madie Kunst daraus. Nichts bleibt übrig, für euch alle nichts. Wer von euch wäre das Herz der Branzilla wert? Nur Gott verdient es." „Ich, Signorina, denke, indes ich singe, an schöne Frauen: an solche, die ich hatte, und an solche, die ich haben werde. Manchmal denke idi nur an die Kneipe." „Es ist wahr, Ihr riecht nach Wein." Er sah sie abgestoßen. Seine Augen baten, unschuldig und schmelzend. Zwei zaghafte Schritte: und er ließ sich sanft vor ihr auf ein Knie. „Ich spreche zu Euch, Signora, wie ein Kind: wie ein Bettelkind, das Ihr in Euren Palast aufnehmen wollt und das Euch noch von seinen Lumpen und seiner schlechten Kost erzählt. 358 359 Verzeiht! Ihr wißt gleichwohl, daß ich künftig nur Euch zu Ehren singen werde. Wie wäre ich würdig, die Kunst zu üben, wenn ich, Eure Töne noch im Ohr, an andere Frauen zu denken vermöchte!" „Hört, Cavazzaro! Ich rede im Ernst. Ich werde Euch neben mich stellen, weil ich muß: weil Ihr schon neben mir steht. Ihr sollt groß werden, Ruhm und Reichtum sollen Euch zufallen." Er setzte auch das andere Knie auf den Boden. „Ich werde mit Euch zusammen singen? Ich begehre nichts weiter, Signora. Ich liebe Euch." Sie entriß ihm hastig, daß es zerriß, ihr Kleid. „Belügt mich nicht! Ich bin nicht liebenswert. Die Masse der Schwachen, Schicksallosen liebte mich oft. Was ging mich's an. Ich liebte nur mich. Niemand sonst, nie!... Haltet Ihr mich für schlecht? Seht: ich fand noch nie meinesgleichen. Immer war es mein Los, zu verachten. Zuzeiten, ich gestehe es, trug ich schwer daran. Heute besinne ich mich darauf wie auf das größte Glück: als ich noch verachtete. Wollte Gott, ich könnte auch Euch verachten!" „Signora, ich liebe Euch." „Immer nur: ich liehe Euch. Ihr wißt nichts weiter. Kein Grauen schlägt Euch entgegen aus dem Unheimlichen, das hier geschieht. Ich bin allein. Ich möchte nicht länger allein sein!" Ihre Schultern zuckten, ihr Atem schwoll an. Ihr Körper zitterte ganz, und ihre Blicke jagten umher, als ränge sie gegen hundert Fangarme, nach allen Seiten. Er sah hell und sicher darein, wie sie, böse und von Angst gehändigt, sich abarbeitete. Auf einmal breitete er, staunend ergriffen, die Arme aus. Denn ein Glanz aus Tiefen besiegte in ihrem Gesicht alle Härte, alle Qual, und verwandelte sie. Die Bran-zilla ward schön. Den ganzen Himmel in ihrer Stimme, sagte sie: „Ich.liehe dich." V „Du hast getrunken. Laß doch endlich das Trinken! Es ist deiner nicht würdig, und es wird dich zerstören." „Höre auf, mich zu quälen! Ich trinke, weil es mir schmeckt." „Weil es dir schmeckt. Und wenn es nun deiner Kunst nicht schmeckt? Wer ist wichtiger: deine Kirnst oder du?" „Ich... Und dann, meine Kunst tut, was ich will. Ich trinke, und sie läßt mich singen. Du hast eine andere Art, um gut zu singen. Du kasteist dich, du fliehst die Menschen,, du bist schlechter Laune. Jeder treibt es, wie er vermag:" „Nur eine Art gibt es, der Kunst zu dienen. Wählst du eine falsche, wird sie dich strafen. Ich werde dich noch gestraft sehen. Wehe dir!" „Du sprichst, als wünschtest du es. Du bist eifersüchtig, weil ich genieße." „Eifersüchtig auf Genüsse, die ich verachte?" „Dir tut das Trinken nicht gut, mich aber begeistert es." „Begeisterung aus einem Faß! Sich selbst einen Feind in den Leib gießen!" „Zum Glück fühle ich mich gesund, meine Stimme ist größer geworden, ich bin sehr heliebt." „Auch ich; und seit kurzem sind wir es beide noch mehr als sonst. Du, der du eine Geliebte in der großen Welt hattest, bist es so sehr wie ich, die in 'die Loge deiner Geliebten hinaufschoß. Wie wagst du davon zu sprechen, im Augenblick, da wir von der Kunst reden?" „Verzeih — und entschuldige mich; ich gehe zu Freunden. Morgen abend bin ich Theseus — und du Ariadne. Lege dich also ins Dunkel und bete! Ich gehe zu Freunden." „Nicht zu Freunden: zu Weibern! ■ Ich will dir deine Schande ins Gesicht schreien. Morgen abend sollst du an Götter streifen, und heute nacht willst du bei Dirnen liegen. Du bist der Gatte der Branzilla und hast nicht Stolz genug. 360 361 ihr treu zu sein. Wie du mich herabgezerrt hast! In welchen Schmutz du mich gestürzt hast! Du bist verächtlich wie die andern und kein Künstler. Blind war ich, als ich mich mit dirbelud!" „Ich verdanke dir viel, das ist wahr, und bin deiner wohl nicht würdig. Aber ein Künstler bin ich, und du weißt es. Vielleicht hab ich dich sogar überholt. Deine Clelia gestern war ein wenig matt. Und doch kam ich betrunken auf die Bühne, und du hattest gefastet. Rege dich nicht auf! Es würde dich ermatten. Ich wünsche von Herzen, daß du morgen eine sehr gute Ariadne seist. Ich bin nicht eifersüchtig, ich nicht." „Du bist morgen ein kraftloser Theseus. Seine Kraft wird in Schenken und bei Weibern geblieben sein." „Ich bin, noch wenn ich auf der Bühne stehe und singe, immer mitten im Leben: heraus aus den Brettern, in denen du dich einsargst." „Einen Sarg nennst du die Bühne! Dies Heiligtum, worin wir uns selbst haben!" „Mir ist es zu heilig. Deine Kunst scheint mir so heilig wie der Tod. Ich singe den Leuten; mir ist, als sänge ich auf der Straße; meine Stimme sei eine unter vielen und verwehe in sonniger Luft." „Du singst auf der Straße!" „Ich singe, wo man will. Ich darf freigebig sein: was kostet's mich! Da, in meiner Kehle, nimmt das Kapital nie ab. Heute auf dem Pincio winkte mich der Fürst Torlonia an seinen Wagen und wünschte drei Takte aus ,Ihr Sterne, ihr Tränen' zu hören. Drei Takte: dann wisse er selbst weiter. Ich sang, ihm gefällig zu sein, das Ganze vor allen Spaziergängern: — und hier ist der Beutel, den er mir dafür gab. Willst du ein freundliches Gesicht machen? Du bekommst die Hälfte." „Gib her! Die Dukaten werden nicht vom Torlonia sein, sondern von einer Frau. Gib immerhin her! Ich will sie auf- 362 heben, für die Zeit, da du dich zugrunde gerichtet hast, und ich dich erhalten muß." Sie hatte hinter ihm die Tür verriegelt, gierig das Geld gezählt und es in die Truhe gesenkt. Sie lag im Zimmer, worin kein Licht mehr brannte, und zog sich angestrengt ganz auf ihr Innerstes zusammen. ,Morgen bin ich Ariadne, welche Wichtigkeit hat alles andere? Morgen werde ich leben. Es wäre falsch, zu sagen, daß ich gut singen werde. Ich werde einfach aus diesem Tode aufwachen in meinem eigenen Himmel. Jetzt ist Dunkel und Tod: plötzlich entbrennen alle Lichter. Ich werde leben!... Nun bin ich ruhig und gefeit. Nun will ich arbeiten. Ich will in meinem Geist das Gebäude von Tönen errichten; will lautlos singen...' Aber sie fühlte alles mißlingen und eine geheime Zerstreuung ihrer Kraft. ,Es ist nichts; es ist nur der Körper. Er ist krank, er sträubt sich. Ich habe ihn noch immer besiegt. Ruhe!. Ich bin eine Schülerin und habe singen zu lernen. Denn der Geist erwächst aus der Technik.' Sie stand auf und machte sich an Übungen. ,Alle Kraft muß in der Lippe sein, der Hals ganz weich, wie. tot...' In der verstreichenden Nacht versteifte sie sich und hielt kaum noch stand. Dieser Druck um die Mitte des Rumpfes begann, der sie niederzog; diese Angst des Herzens. Sie lag, das erschlaffte Gesicht in den Händen, über dem Flügel und betete. Draußen entstand ein Poltern; etwas Weiches fiel gegen die Tür. Sie öffnete und empfing den taumelnden Körper des Trunkenen schwer gegen ihre Brust. Heftig warf sie ihn hin. Nun stand sie über ihm, atmete kurz und schüttelte die Hände. „Mich ekelt's, ihn anzufassen, und ich habe mit ihm geschlafen; und habe ein Kind von ihm! Rom weiß es. Jetzt kommt er von anderen Weihern; Rom weiß auch das. Unser 365 d. beider Unehre ist der-Welt geläufig, wie unser gemeinsames Vergnügen. Und ich, bin die Branzilla! Wie ich ihnen' fern war, einst! Wie ich bei mir selbst war, allein und rein! Das soll nie wieder kommen? Allein und rein sein!... Du möchtest trinken, Lieber? Da, ich mische dir etwas: es wird dich für immer zufriedenstellen. Nimm!... Nein! Gib her! Ich kann nicht. Gott will nicht, daß ich's tue. Ich verstehe Gott nicht." Das Glas, das sie hinsetzte, funkelte böse im Mondlicht. Sie raffte einen Vorhang über ihr Gesicht. Grabdunkel war's und still. Nur der sorglose Atem des Schläfers. ,Thm ist wohl. Ihm war wohl, als er trank, als er Frauen umarmte; ihm wird wohl sein, wenn er morgen den Theseus singt — den er nicht gelernt hat. Mich sprengt das Klopfen dieses Herzens, das der Kampf um Ariadne toll und ohnmächtig gemacht hat. Ich habe Martern gehabt, indes er Vergnügen hatte. Und er soll mich auch noch einholen, mir vorauskommen? Ich war matt als Clelia. Ich werde eine kranke Ariadne sein. Wer anders als er macht mich krank! Lauter Unwürdiges legt er mir auf, hundert weltliche Gedanken, die mich dem Heiligen entfremden und mich verbrauchen. Meine Ermüdungen nähren ihn. Er fühlt sich schwellen, je blasser ich neben ihm werde. Nach meinem Untergang wird er ins Unermeßliche wachsen. Das ist nicht zu ertragen! Er, den ich zu mir heraufzog! In dessen Hände ich meine Einsamkeit abdankte! Dem ich meine erarbeiteten Schätze verriet! Er, mein Geschöpf! Nie ward einem menschlichen Wesen so Schlimmes erdacht. Nicht von dir, mein Gott: von deinem Widersacher! Du wolltest mich groß; du befiehlst mir, zu verderben, was mich anficht!1 Sie legte das Glas an den Spalt in den Lippen des Schläfers. ,... Er ist ein Künstler. Ich töte einen Künstler. Nicht ein Geschöpf, das dem Vollkommenen feind ist, wie jene Amati; keins, das Gott aufhält: nein, den Freund des Vollkommenen, den Gott höher vielleicht weihte als mich. Ich diene, töte ich ihn,- nicht mehr Gott: nur einem Götzen, nur mir. Dann ver- 36+ wirft er mich, dann ist's aus mit mir, und nie mehr ersing ich mir den Himmel.' Es dämmerte; schaudernd schob sie das erblindende Glas fort. i „Also nichts. Ich vermag gegen ihn nichts. Ich muß ansehen, daß er das Leben hat und die Kunst obendrein — der ich mich opfere; daß er spielt, wo ich mich zerquäle, und dennoch groß wird. Wie ich ihn hasse! Wie ich ihn zerstören, ihn in mich hineinraffen möchte, daß ich all seins zu meinem hinzu hätte! Das wäre Reichtum: mein innerer Herd und das, was diesem die Welt gibt. Nun aber muß er vom Leben, dem ich nicht gewachsen bin, immer reicher werden, und ich muß in mir selbst verkohlen und langsam erkalten. Gott, ich beuge mich. Du, ich bitte dir ab. Ich bin nicht groß genug, dich zu verachten: ich beneide dich nur. Ich sehne mich aus meiner Heiligkeit nach deinem gemeinen Wandel, nach deiner Gutherzigkeit und Niedrigkeit, nach deinem Schmutz, nach deinem gewöhnlichen Schmutz. Ich liebe dich! Immer liebte ich dich aus Sehnsucht nach Erniedrigung, guter, warmer Erniedrigung!" Sie ließ, die Arme in die Luft gebreitet, ihr Gesicht auf seines sinken, vermischte ihre Lippen mit seinem Fleisch, und in seinen Mund, der das Gift hatte empfangen sollen, flössen ihre Tränen. „Ich liebe dich! Ich will dir dienen, ich danke ab, ich bin nicht mehr die Branzilla! Hörst du mich? Küsse mich! Ein Kuß von dir ist mehr als alle Herrschaft, alle Himmel!" Da gingen seine Lider auf; sie riß sich zurück. Sie wich, und bekreuzte sich, bis an die Wand, erwartete atemlos, daß er wieder schlafe — und brach in die Knie ttnd schlug die Stirn gegen den Fußboden. „Nun verstehe ich dich, Herr. Du hast mich versucht und schwach gefunden. Ich war dir zu hoch gestiegen, da schicktest du mir diesen. Ich muß ihn lieben, er verdirbt mich und ist unantastbar. Dein Wille geschehe." 565 1 Aber sie schnellte auf aus dem Staube. „Gib mir ein Zeichen, daß die Prüfung nicht immer dauern soll! Daß ich des Feindes Herr werden soll! Wo nicht, laß mich sterben! Auch du, Herr —" Sie ging auf den Knien bis unter den Kruzifixus. „— auch du ersehntest das Ende deiner Marter. Und von deinen Wunden hast du keine mehr vor mir voraus. Sage, daß du ihn zu deiner Zeit schlagen wirst und verderben und mich erhöhen! Gib mir das Zeichen!" Fahler Morgen traf sie in die Augen; sie schloß sie. Ihre Stirn war kalt vom Schweiß. Ihr Mund krümmte sich zuckend nach unten. Ihre erhobenen Hände waren ineinandergekrampft und zitterten. Plötzlich ein Schrei: gellend, entsetzensvoll. „Du hast mich geküßt! Mit meiner Stirn habe ich deine Leichenlippen gefühlt!" Und sie sank zusammen und weinte. vi . „Neigt Euer Ohr, Vater! Ja, ich komme spät; dahinten im dämmerigen Schiff kniet höchstens noch ein Bettler; aber wir können nicht leise genug flüstern. Wißt Ihr, von welcher Sünde Ihr mich freisprechen sollt? Von derselben, die Sankt Petrus an unserm Herrn beging. An seinem Vertreter auf Erden begehe nun ich sie; ja, ich will unsern Herrn Papst verraten! Ich will vor seinem Henker, dem König, die Aida singen . .. Ich dürfe es nicht, sagt Ihr? Um meiner selbst willen nicht; denn alle Ehre in Rom komme mir von Seiner Heiligkeit, die mich so oft in ihrem Vorzimmer singen läßt, die mir Gnadengeschenke und Orden gibt, ja, die mit ihrer heiligen Person mein Haus beglückt? Das ist noch nicht alles, Vater; Ihr wißt nicht alles. Ehre habe ich auch draußen, wo nicht Seine Heiligkeit befiehlt. Ich bin die Branzilla, auch draußen. Aber ich habe einen Schwur auf mir, einen Glauben, eine Pflicht. Hört mich! Dies ist eine Sache um Leben und Tod. Ihr seid nicht jünger als ich. Ihr werdet wissen, daß an dem Tage, als die Branzilla zum erstenmal vor Rom hintrat, Rom in Revolution war. Die Liberalen wollten mich hindern, zu singen. Ich glaube, daß Gott die Revolution nur darum zugelassen hat, daß mein Weg dorniger, meine Ankunft glänzender und ihm gefälliger sei. Sie hatten verbreitet, daß ich im Hause des Fürsten Rupa meine Stimme erhebe, um ihre Verschwörung zu übertönen. Ich war in höchster Gefahr, in den Kerker geworfen zu werden, an eben dem Abend, da ich zuerst mich hören lassen sollte! Aber ich entging ihren Netzen und ließ sie statt meiner den Rupa fangen. Wie sie dann im Theater gewütet haben! Wie ich kämpfen mußte, sie zu erobern, ihnen ihre Kraft zu nehmen, diesen tausend Geliebten! Denn ja, ich liebte sie, wie Dalila den Simson!... Damals, Vater, während jenes Ringens, habe ich mich für immer der Partei des Papstes versprochen. Ihr seid wenige, und ihr liebt die Menschen nicht. Aber auch ich liebe sie nicht und will nicht ihre Gemeinschaft, Ich war euer, ich war des Papstes, Ich hatte das Glück, ihm nützen zu können. An den Höfen da und dort konnte ich einige Worte sprechen, die sein Geschäft besorgten; konnte mehrere 'schwärmerische Seelen zu seinem Vorteil stimmen. Und jedesmal nachher sang ich besser. Immer, wenn Seine Heiligkeit oben war, fühlte auch ich mich oben. Ich zitterte, sang ich in London, um den Kirchenstaat, und daß die Italiener, noch ehe mein Gastspiel zu Ende sei, in Rom einbrächen . .. Nun sind sie eingebrochen. Ihr versteht mich kaum, so widerlich gellen draußen die Hörner ihrer Bersaglieri , . . Sie sind vorbeigelaufen mit ihren Fahnen, mit dem dummen Jubel des Volkes. Was nun, Vater? Ich hatte alles auf die Sache des Papstes gesetzt, und er ist geschlagen. Ich werde also vor seinem Sieger singen. Sprecht mich frei! Ihr wollt nicht? Ihr sagt, mein Verrat sei Todsünde ? Unser Herr Papst habe die Seinen nie nötiger gehabt, als jetzt? Laßt! Ich weiß, wieviel ich wage, und wie leicht mich dies in 366 367 die Holle führen kann. Ihr wäret nicht dabei, als ich kämpfte! Es ist furchtbar, daß diese Brat unsern Herrn' überwältigen mußte. Aber ich habe — neigt Euer Ohr! — den Verdacht, daß Gott hiermit eine große Versuchung für mich plant. . . Hört, eine andere Versuchung, nicht weniger schrecklich, hat er soeben beendet. Ihr wißt, daß mein Mann, der Cavazzaro, die Stimme verloren hat. Endlich ist er bestraft dafür, daß er sich selbstund die Kirnst verließ und unheilig lebte. Wildes Glück packte mich, als es offenbar ward. Aber ich bezwang es. Denn sorgsam mußte zuvor erprobt werden, ob Gott mir wirklich den Sieg bestimmte. Und ich schickte Ulisse nach Paris, daß sie ihm eine künstliche Stimme machten, wie sie's dort können. Nun ist er zurückgekehrt und krächzt. Gott hat's gewollt. Der, an den ich meine Kunst hätte abdanken wollen; der, den ich gern vergiftet hätte; der, den ich lieben mußte; nun liegt er darnieder. Ich aber singe, wie mit zwanzig Jahren. Alle Versuchungen, zu denen er mir geschickt war, sind gebrochen; ich habe sie überstanden. Jetzt muß ich singen, vor wem immer, muß singen und triumphieren. Wozu hätte ich gelebt, wenn ich jetzt nicht sänge? Soll ich's bezahlen, wie Ihr sagt, Vater; gut denn, ich bezahle. Mit dem ewigen Feuer, sagt Ihr? Es sei, mit dem ewigen Feuer. Immerhin: ich flüsterte Euch von meinem Verdacht, daß auch dies nur eine große Versuchung sei, die allergefähr-lichste, und daß Gott wissen wolle, ob ich so heilig sei, daß ich auch noch der Hölle und all ihren Ängsten trotze, wenn es zu singen gilt. Wer weiß, vielleicht werde ich vor Gottes und unseres Herrn Papstes Feind singen und dafür maßlos erhöht werden.;. Ihr- glaubt es nicht? Ich lästere,- sagt Ihr? Ich sei verworfen ? Ihr könnt mich nicht frei machen? So bitte ich Euch nur noch: betet für mich, denn ich werde singen. Ich werde vor dem Feinde Gottes, vor dem Schänder seiner Stadt singen und dabei wissen, daß ich auf meinen Tönen nicht mehr zum Himmel, sondern in die Hölle steige. Aber die Kunst, die Gott 568 selbst ist, will es. Er will, daß ich die Verdammnis verdiene, und ich gehorche ihm. Ihr hört, wie mir die Zähne aufein-anderschlagen. Ich bin in kalter Hitze. Die Gedanken verwirren sich mir. Gelbe Flammen schießen vor mir auf. Die Holle! Die Hölle! Rettet mich! Ihr rettet mich nicht? Dann muß ich in den Flammen stehn und singen!" VII „Wer sagt, daß wir alt sind! Du, ja, du bist's! Da keine Frau dich mehr gebrauchen kann und du zum Wein kein Geld mehr hast! Ich bin noch immer die Branzilla; und sing ich nicht mehr alle Abende, so singe ich immer noch jeden Monat einmal oder doch einmal die Saison. Niemand geht es an, wie ich inzwischen lebe. Du brauchst es mir nicht zu sagen; oft verwirrt sich mein Kopf. Mag sein, daß ich die Menschen oft gequält habe: meine■ Tochter und auch dich; daß ich mich mit Wirtinnen herumzanke, nicht bezahlen mag, und daß es Städte gibt, in denen kein Haus mehr mich aufnimmt. Wo bleiben all diese Miseren, wenn ich singe, noch einmal singe. Ich habe vier Wochen lang im Dunkeln gelegen, habe gefastet, mich gereinigt und meine Kraft von Gott zurückerbeten. Nun aber trete ich hervor. Für eine Nacht, für drei Stunden: gleichviel, da stehe ich noch einmal im Glanz und höre das Volk zu raeinen Füßen atmen. Ich singe; mein Herz hat wieder die Gewalt eines zwanzigjährigen Herzens; meine Glieder spannen sich; meine Lippen sind fest und jung. Fragt nicht, mit welchen Qualen ich meine Auferstehung bezahle. Klatscht! Schreit! Seht hier den Schatten größerer Zeiten durch eine eurer Nächte streichen! Ihr fühltet nie diese Leidenschaft. Keiner von euch erfühl-, wie das Leben heilig ist. Faßt, bevor euer Scheindasein schwindet, einmal doch Bewunderung für die, der von Gott die volle Wirklichkeit ward! Ja, eine Siebzigjährige, und noch immer die Branzilla!" 369 „Ich. muß wohl gehen? Meine blinden Axigen sehen dich nicht; aber deine Stimme klang sehr erregt. Du wirst nun für den Rest des Tages krank sein und nicht wollen, daß wir essen?... Du antwortest mir nicht. Ich gestehe dir, daß ich Hunger habe." „So geh und mäste dich!" „Ich habe kein Geld, um zu essen." „Ach, kein Geld. Und die zehn Soldi, die ich dir am Dienstag gab ? "Wir haben erst Freitag." „Ein wenig Tabak, einen kleinen Kuchen für die Kinder, die so gut zu mir sind und mich armen Blinden über die Straße führen." „Jaja, alle sind gut zu dir. Du bist so sympathisch: ein milder Greis mit einem bleichen, edeln Antlitz in ehrwürdiger Locken Zier, der das Augenlicht verlor. Dich bemitleiden sie und nahen dir gern, trösten und helfen gern. Mir sehen sie mißtrauisch und feindlich entgegen. Sie verstehen nicht, warum diese alte Frau so grade vorbeigeht und niemand anspricht. Mein Gesieht finden sie böse. Um mein Leiden sorgen sie sich nicht. Seine Herkunft ist freilich seltener und dunkler als die Herkunft des deinen. Du hast leicht gelebt und wirst leicht sterben." „Auch ich habe wohl manches ertragen müssen. Meinst du, es sei eine Kleinigkeit gewesen, als ich die Stimme verlor? Vorher saß ich bei den Großen zu Tisch. Ohne dich kränken zu wollen, darf ich sagen, daß. vornehme Damen mir ihre Gunst anboten. Wie schön war's, wenn ich in einem Garten stand und den Frauen sang, die um mich her auf dem Rasen saßen. Wieviel Sonne auf ihnen! Weh mir! Die Sonne ging mir unter, noch vor dem Tode. Keine Stimme, keine Augen, mir ist nichts übrig," „Nichts. Denn du kannst dir nicht denken, wie jemand ohne Stimme, in ewigem Dunkel einen Palast aus Tönen bewohnt. So Großes ahnte dir in deinem Glänze nie; wie sollte es dir als verbrauchtem Lustigmacher noch einfallen! Alle 370 Tage ward bei dir ein Heiliger gefeiert. Nun ist das Deine verputzt; Narr, der du einst vom unerschöpflichen Kapital in deiner Kehle prahltest! Nun bekommst du bei mir ein wenig geringeres Essen als ehedem von den Reichen. Und darum wagst du es, mir von deinem Leiden zu flennen? Mir, deren ganzes Leben einsame Marter war? Ach, laß dich von den Leuten liebhaben, jetzt wie früher. Behalte jeden deiner Freunde und die Erinnerung all deiner Genüsse — aber mache mich nicht rasend dadurch, daß du vom Leiden sprichst! Dein Mund ist des Wortes nicht würdig. Er ist zu edel und wohllautend, dein Mund. Ach, ach, du! Du hattest am Ende nur Wert, weil du zu meiner Qual beitragen solltest: zu j meinem Schicksal." „Was habe ich dir getan?" „Jaja! Nichts. Du tatest nichts; du warst da. An dir erlebte ich, daß meine ganze qualvolle Größe vergeblich ward. Du hattest ja das Abbild davon. Nichts brauchtest du zu erarbeiten, nichts zu erleiden, und hattest doch noch das genaue Abbild. Kein Zweifel, du warst ein Künstler. Es war schrecklich. Zum Glück sind wir darüber hinaus. Es , war so schrecklich, weil ich selbst dich habe ans Licht ziehen müssen, dich abrichten und her ausstaffieren. Was hattest du je, Elender, das dir nicht von mir kam? Zeige mir ein Lorbeerblatt oder einen Dukaten, die nicht eigentlich mir gebührten!" „Ich war doch einKünstler! Du beleidigst mich alten Mann, du machst mich krank. Ich war doch ein Künstler! Millionen sind durch diese Hände geflossen. Ich möchte schwören, daß ich mehr verdient habe als du." ; „Aber du ziehst mir mein Geld aus der Tasche!" „Seit drei Tagen gabst du mir zehn Soldi." „Ich mäste dich; und anstatt zu sterben und mich von dir { zu befreien, ehe mein Geld zu Ende ist, machst du mir Auf- tritte!" i „Ich bitte dich, ich bitte dich .. ." i 371 „Ach, er weint..Tränen entquellen seinen blinden Augen, Wenn das die Lente sähen, wie sympathisch du ihnen wärest! Aber du hast wohl vergessen, daß du mich, als ich die Celi-mena sang im Pagliano zu Florenz, um den ganzen Erfolg betrogen hast? Nicht immer warst du so voll Güte und Sanftmut wie heute. Ich singe die Celimena, ich erschöpfe meine Kunst, diese faulen Bäuche zu bewegen, und auf einmal hör ich sie lachen. Ja, sie lachen, weil hinter mir du stehst und deine Fratzen machst. Sie sehen deinem stummen Spiel zu, und ich singe vergebens." „Ich mußte spielen. Der Pandolf o, du weißt es wohl, trägt den Spiegel herbei. Er fängt den Nacken der Celimena darin auf und küßt ihn. Er hat sich mit anmutiger und etwas possierlicher Traurigkeit zu benehmen." „Auch wenn die Branzilla singt? Du bist neidisch und tückisch. Am Abend der Celimena hat man mich vor dir gewarnt.- Ich würde dir sagen, wer, wenn ich nicht für ihn, der mir wohlwill, deine Rache fürchtete. Du selbst warst als Pandolfo durch Trunk unfähig, zu singen." „Das ist nicht wahr! Du hefleckst meine Vergangenheit. Ich war ein Pandolfo, von dem der Dichter Rasi sagte, er habe das göttliche Lächeln. Hörst du, das göttliche Lächeln!" „Das göttliche Lächeln! Da hebst du die Arme und bist außer dir. Alle Milde des blinden Greises ist dahin, nun man an seine Eitelkeit rührt." „Ich habe nichts als zehn Jahre der Erinnerungen: in siebzig Jahren weiter nichts. Ich lebte so rasch. Greifst du meine Erinnerungen an, dann bin ich verloren, dann weiß ich nicht, was geschieht!" „Ich will nicht, daß du Erinnerungen habest! Wollten doch endlich auch deines Geistes Augen erlöschen! Du warst ein Intrigant, der mir den Weg verstellte. Warst du überhaupt ein Künstler? Ich zweifle, ob ich mich nicht narren ließ." „Du bist grauenhaft! Der Teufel erfindet nichts Schwärzeres ! Wer rettet m i ch vor dir!" :. 372 Die Branzilla sah, knochig aufgereckt, aus Geieraugen ihrem blinden Gatten nach. Er stieß an die Möbel; seine Hände schwankten klagend über seinem Kopfe; da flog die Tür auf. „Was schreit ihr schon wieder? Keiner der Tage, die ich-hier hin, ist ohne Geschrei vergangen. Die Nachharn treten auf die Treppen hinaus, so laut schreit ihr. Mama, hast du ihn wieder gequält?" Die Branzilla sagte mit flötender Stimme: „Beunruhige dich nicht, Töchterchen! Wir unterhielten uns von der Celimena. Dein Vater hat an dem Abend nicht gehandelt, wie er es mir schuldete." „Ich hatte das göttliche Lächeln, sagte der Dichter Rasi!" „Er hat mir die Rolle verdorben; ich sagte ihm nichts als die Wahrheit." „Sie übertrifft den Teufel! Daß du es weißt, Kind, wenn ich nicht mehr leben werde; der Teufel kommt ihr nicht gleich." „Werdet ihr mir erklären, um was ihr euch streitet?" „Um Celimena, Töchterchen, die berühmte Oper des Maestro Tiberini." „Ich hörte nie von ihr." „Ich war der erste Pandolfo ganz Italiens!" „Wann war die Aufführung, von der ihr sprecht?" „Laß mich denken,... neunundfünfzig." „Das sind vierzig Jahre! Ihr streitet euch in eurem Alter; du bringst Papa von Sinnen; ihr schreit, daß draußen ein , Auflauf entsteht: und alles um Dinge, die vor vierzig Jahren waren! Von denen keiner außer euch mehr weiß! Die Hände, die euch damals Beifall klatschten, sind bald alle vermodert; wollt ihr nun nicht Ruhe geben? Wahrhaftig: etwas Liebenswertes ist's um die Kunst!" Die Tochter nahm den Alten beim Arm. „Draußen stehen deine alten Freunde, Papa. Sie getrauen sich nicht.herein, aus Furcht vor Mama. Geh mit ihnen ins 373 ! Wirtshaus; da ist Geld — und hleibe nur dort, bis ich dich zurückhole. Wenn ich dich zurückhole, armer Alter, wird der Wein dich lustig gemacht haben." „Ich fürchte, Tochter, daß kein Wein mehr mich lustig macht." Die Tochter kehrte zurück, die Hände auf den Hüften. Die Branzilla erwartete sie 'scheu. „Schön hast du ihn zugerichtet! Hexe! Von deiner Bosheit wird man länger reden als von deiner Kunst. Jetzt duckst du dich, denn ich bin breit und rot. Den schwachen Alten aber wirst du noch zu Tode quälen. Oh! Menschlichkeit hast du nie gekannt. Was tatest du mit mir, als ich jung war; wie verdarbst du elend mein Leben! Ich liebte, und ich ward geliebt. Heute könnte ich 'glücklich sein. Ich könnte Kinder haben. Nun aber lebe ich allein, in Gasthauszimmern, unter Fremden. Das ist dein Werk. Ich sollte nicht heiraten, du wolltest mich nicht wie die anderen Mädchen. Als ein Monstrum wolltest du mich, als ein singendes Monstrum. Ich hasse die Kunst, die du mich lehrtest!" „Undankbares Töchterchen! Und sie ist die berühmteste Konzertsängerin Europas!" „Mit vierzig Jahren bin ich's endlich geworden; und ich finde nicht, daß mir mit fünftausend Francs für den Abend meine Entbehrungen bezahlt sind." „Mein Kind, ich sterbe zufrieden, da ich dich groß hinterlasse. Mein Name wird, mit deinem verschmolzen, länger dauern." „Das ist's nicht. Eifersüchtig warst du, das ist's." „Ich habe große Laster", sagte die Branzilla und senkte schief den Kopf. „Ich werde wohl auch dieses haben. Aber glaubst du, Tochter, daß ich böse bin, weil es mir gut geht? Es geht mir nicht gut; es ist mir niemals gut gegangen; und auch mir sind meine Entbehrungen nicht bezahlt worden. Ich denke jetzt manchmal des Fürsten Dario Rupa, eines jungen 374 Mannes, der, als ich selbst ganz jung war, für mich starb. Richtiger wär's vielleicht, zu sagen, daß ich ihn tötete. Soll ich dir etwas Schreckliches gestehen? Ich wünsche mir jetzt oft, ich hätte ihm damals nicht dem Hauptmann verraten, ich wäre mit ihm in den Kerker gegangen. . . Glaubst du, daß ich ihm noch gefallen könnte ? Ich habe noch meine Stimme. Nächsten Monat werde ich im Palazzo Doria die Gioconda singen. Wird nicht der Russe dort sein, der dich am Dienstag besuchte? Er gefiel mir; und er behandelte mich, als ob ich ihm gefiele. Wir wollen ausgehen, Töchterchen; ich möchte seidene Strümpfe kaufen." Da die Tochter ihr den Rücken gewandt hatte: „Willst du nicht ,Meine süße Liebe' üben, für dein Konzert? Niemand versteht es zu singen wie du." „Gut! Gut! "rief sie dazwischen; und nach der letzten Note: „Wir mögen böse sein, darben und uns quälen, so haben wir doch die Kunst. Ich habe dafür gesorgt, daß du sie erwarbest, und ich tat wohl daran. Du wirst die letzte sein, die von der Kunst des bei canto weiß. Wir dienten um sie acht Jahre lang. Die Heutigen lernen zwei — und nach anderen zwei sind sie kaputt. Du wirst, wie ich, noch mit siebzig singen... Gut, gut!" rief sie wieder, mit falscher Stimme. Denn sie meinte die Tochter dabei zu überraschen, daß ihr die Töne in den Hals rutschten. Die Branzilla dachte: ,Sie ist nicht mehr wie früher. Auch mit ihr geht's also zu Ende. Ich aber habe noch meine Stimme, ich allein.' „. . . Nimm mich mit! Auch ich will ausgehn." Aber die Tochter stürzte wieder herein: bleich, nach vorn geworfen, mit schlotternden Fäusten. Sie erzwang sich Atem. „Er hängt dort. Papa hängt dort. Er hat sich erhängt." Sie schlich über die Schwelle und nebenan die Wand entlang. Die Branzilla schloß die Tür. Sie begann im Zickzack umherzuhasten: aufgescheucht, in die Enge getrieben, mit Blicken wie nach Verfolgern... Plötzlich hielt sie an, hob die Schultern und zog sie, ausatmend, heftig herunter. Sie 575 horchte; dann holte sie einen metallenen Kasten heraus und setzte sich davor .. . Die Tochter fuhr ins Zimmer. „Ich habe ihn abgeschnitten; er ist tot. Du hast ihn getötet! Ach, -wäre das deine letzte Tat, Ich werde nicht zufrieden sein, bevor ich dich im Irrenhaus weiß. Zu allem Segen, den deine große Kunst uns allen gebracht hat, möchte sie dich nun noch ins Irrenhaus führen!" Die Branzilla zählte das Geld in dem Kasten. „Ich habe nicht genug, ihn zu begraben. Warum hat er sich erhängt? Es war ihm nur ein neues Mittel, mir zur Last zu fallen." „Hexe! Mörderin! Ich werde dich in eine Anstalt sperren!" „Nächsten Monat singe ich im Palazzo Doria. Ich werde in keine Anstalt gehen. Ich werde nicht durch Aufregung meiner Stimme schaden. Nächsten Monat singe ich imPalazzo Doria." SCHAUSPIELERIN Leonies Familie behielt trotz den geschäftlichen Einbußen und dem Aussterben aller älteren männlichen Mitglieder noch viel Gesetztheit und Regelrechtheit — abgesehen von einem kleinen Kapellmeister, der aber auch nicht ohne bürgerliche Strebsamkeit war. Mit Leonie ging scheinbar alles gut, bis sie neunzehn war. Sie hatte jahrelang bleich, lang und mager auf dem Sofa gelegen, Butterbrote mit Wurst und ganze Leihbibliotheken verschlungen und dann, die Arme unterm Kopf, entgeistert zur Decke gestarrt. Nun aber brach aus ihr heraus die Theatersucht, und zwar mit den Zügen des Hof Schauspielers Hellfried. Leonie kannte ihn längst, und nie hatte sie etwas Besonderes empfunden bei seinem Auftreten. Plötzlich kam ihr eine Unruhe, die Ahnung, was seine Partnerin dort oben rede und handle, 'das könnte sie selbst ebensogut und vielleicht besser. Da schob sie sieh auch schon, von ihrem Parkettplatz aus, der andern unter, hielt nun selbst, mit zurückgeworfenem Oberkörper und die Arme nach vorn gespreizt, eine berauschende Tirade, fühlte Armands Feuer um sich her, seine auf sie eindringenden Gebärden und seinen klingenden Atem, der über sie hinflog wie der Heilige Geist! Sie saß da, als mächtige und glückliche Künstlerin — bis zum Fallen des Vorhangs, bis sie sich wiederfand in Kleinheit und Ohnmacht, gejagt von Scham und Zorn nach Hause gelangte und Tränen vergoß über ihrem einsamen Teller mit dem erkalteten Abendessen. Am Morgen war der ärgste Jammer vorbei, und sie konnte üben, was sie gestern gelernt hatte. 577