verlangte er Gütergemeinschaft - und was er nachher mit i Gelde anfing, da durfte niemand hineinreden! Bei jedem Vi'i f"1 Spruch hielt er den Türgriff schon in der Hand, und jt.jcs Cr" sprach Guste leise und angstvoll zu ihrer Mutter: >>ScjH j, morgen die ganze Stadt sich den Mund verrenken, weil icK einen los bin, und der andere ist auch gleich wieder wp,;,( n Als alles stimmte, ward Diederich jovial. Er aß zu Abend mi den Damen und wollte schon, ohne lange zu fragen, dus Dienst mädchen nach dem Verlobungssekt schicken. Dies krankte ]Den Reichstng bringen wir auch noch so weit<, gelobte Diederich. h Wie aber Ortrud vor Elsa in das Münster, treten wollte, empörte sich Guste. »Das hat sie nun nicht nötig, darüber ärgere ich mich immer. Wo sie doch nichts mehr hat, und überhaupt.« - »Jüdische Frechheit«, murmelte Diederich. Übrigens konnte er nicht umhin, Lohengrin, gelinde gesagt, unvorsichtig zu fln_ den, als er es glatt in Elsas Hand legte, ob er seinen Namen verraten und dadurch das ganze Geschäft in Frage stellen sollte oder nicht. So viel durfte man Weibern nicht zumuten. Und wozu ? Den Mannen brauchte er nicht erst zu beweisen, daß er, trotz dem Nörgler Telramund, reine Hände und keinen Fleck auf der Weste habe: ihre nationale Gesinnung war durchaus unverdächtig. Guste verhieß ihm, im dritten Akt käme das Allerschönste, aber dafür müsse sie durchaus noch Pralines haben. Als man sie hatte, stieg der Hochzeitsmarsch, und Diederich sang ihn mit. Die Mannen im Festzuge verloren entschieden ohne Blech und Banner, auch Lohengrin hätte sich besser nicht im Wams gezeigt. Diederich ward bei seinem Anblick wieder einmal von dem Wert der Uniform durchdrungen. Die Damen waren glücklich fort, mit ihren Stimmen wie saure Milch. Aber der König! Er konnte nicht wegfinden von dem Brautpaar, biederte sich an und schien am liebsten als Zuschauer dableiben zu wollen. Diederich, dem der König schon immer zu konziliant gewesen war für diese harte Zeit, nannte ihn jetzt einfach eine Nulpe. Endlich fand er die Tür, Lohengrin und Elsa machten sich auf dem Sofa an die »Wonnen, die nur Gott verleiht«. Zuerst umschlangen sie sich nur oben, die unteren Körperteile saßen nach Möglichkeit voneinander entfernt. Je mehr sie aber sangen, um so näher rutschten sie heran, - wobei ihre Gesichter sich häufig auf Hähnisch richteten. Hähnisch und sein Orchester schienen ihnen einzuheizen: es war begreiflich, denn auch Diederich und Guste in ihrer stillen Loge schnauften leise und sahen einander an mit erhitzten Augen. Die Gefühle gingen den Weg 268 der Zauberklänge, die Hähnisch mit wogenden Gliedern hervorlockte, und die Hände folgten ihnen. Diederich ließ die seine zwischen Gustes Stuhl und ihrem Rücken hinabgleiten, umspannte sie unten und murmelte betört: »Wie ich das zum erstenmal gesehen habe, gleich hab ich gesagt, die oder keine!« Aber da wurden sie aus dem Zauberbann gerissen durch einen Zwischenfall, der bestimmt schien, die Kunstfreunde Netzigs noch lange zu beschäftigen. Lohengrin zeigte sein jägerhemd! Eben stimmte er an: »Atmest du nicht mit mir die süßen Düfte«, da kam es hinten aus dem Wams hervor, das aufging. Bis Elsa ihn, sichtlich erregt, zugeknöpft hatte, herrschte im Hause lebhafte Unruhe; dann erlag es wieder dem Zauberbann. Guste freilich, die sich mit einem Praline verschluckt hatte, stieß auf ein Bedenken. »Wie lange trägt er das Hemd schon? Und überhaupt, er hat doch nichts mit, der Schwan ist mit seinem Gepäck abgeschwommen!« Diederich verwies ihr ernstlich das Nachdenken. »Du bist gerade so eine Gans wie Elsa«, stellte er fest. Denn Elsa war im Begriff, sich alles zu verderben, weil sie es nicht lassen konnte, ihren Mann nach seinen politischen Geheimnissen zu fragen. Der Umsturz ward vollends zerschmettert, denn Telramunds feiges Attentat mißlang durch Gottes Fügung; aber die Weiber, dies mußte Diederich sich sagen, wirkten, wenn man ihnen nicht die Kandare fest anzog, eher noch subversiver. Nach der Verwandlung ward dies vollends klar. Eiche, Banner, alles nationale Zubehör war wieder da; und »für deutsches Land das deutsche Schwert, so sei des Reiches Kraft bewährt«: bravo I Aber Lohengrin schien nun wirklich entschlossen, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. »Überall wurde an mir gezweifelt«, durfte auch er sagen. Nacheinander klagte er den toten Telramund und die ohnmächtige Elsa an. Da keins von beiden ihm widersprach, hätte er ohne weiteres recht behalten: dazu kam aber noch, daß er tatsächlich in der Rangliste obenan stand. Denn jetzt gab er sich zu erkennen. Die Nennung seines Namens rief bei der ganzen Versammlung, die noch nie von ihm gehört hatte, eine ungeheure Bewegung hervor. Die Mannen konnten sich gar nicht beruhigen; alles andere schienen sie erwartet zu haben, nur nicht, daß er Lohengrin hieß. Um so dringlicher ersuchten sie den geliebten Herrscher, von dem folgenschweren Schritt der Abdankung diesmal noch abzusehen. Aber Lohengrin blieb heiser und unnahbar. Übrigens wartete schon der Schwan. Eine letzte Frechheit Ortruds brach ihr zur 269 allgemeinen Genugtuung den Hals. Leider deckte gleich darauf auch Elsa das Schlachtfeld, das Lohengrin, statt des entzauberte Schwans von einer kräftigen Taube gezogen, hinter sich Heß Dafür war der junge, soeben eingetroffene Gottfried in jr(!' Tagen der dritte Landesfürst, dem Edle und Mannen, treu und bieder wie immer, ihre Huldigung darbrachten. »Das kommt davon«, bemerkte Diederich, indes er Gusu- in den Mantel half. Alle diese Katastrophen, die Wesensäußerun-gen der Macht waren, hatten ihn erhoben und tief befriedigt »Wovon kommt es denn«, meinte Guste, zum Widersprechen aufgelegt. »Bloß weil sie wissen will, wer er ist? Das kann sie wohl verlangen, das ist nicht mehr wie anständig.« - »Es }jat einen höheren Sinn«, erklärte ihr Diederich streng. »Die Geschichte mit dem Gral, das soll heißen, der allerhöchste Herr ist nächst Gott nur seinem Gewissen verantwortlich. Na, und wir wieder ihm. Wenn das Interesse Seiner Majestät in Betracht5 kommt, kannst du machen was du willst, ich sage nichts, und eventuell -« Eine Handbewegung gab zu verstehen, daß auch er in einen derartigen Konflikt gestellt, Guste unbedenklich dahin-opfern würde. Dies erboste Guste. »Das ist ja Mord! Wie komm ich dazu, daß ich muß draufgehen, weil Lohengrin ein temperamentloser Hammel ist. Nicht einmal in der Hochzeitsnacht hat Elsa von ihm was gemerkt!« Und Guste rümpfte die Nase, wie damals beim Verlassen des Liebeskabinetts, wo auch nichts geschehen war. Auf dem Heimweg versöhnten sich die Verlobten. »D.is ist ;j die Kunst, die wir brauchen!« rief Diederich aus. »D.is ist deutsche Kunst!« Denn hier erschienen ihm, in Text und Musik, alle nationalen Forderungen erfüllt. Empörung war hier dasselbe wie Verbrechen, das Bestehende, Legitime ward glanzvoll gefeiert, auf Adel und Gottesgnadentum der höchste Wert gelegt, und das Volk, ein von den Ereignissen ewig überraschter Chor, schlug sich willig gegen die Feinde seiner Herren. Der kriegerische Unterbau und die mystischen Spitzen, beides war gewahrt. Auch wirkte es bekannt und sympathisch, daß in dieser Schöpfung der schönere und geliebtere Teil der Mann war. »Ich fühl das Herze mir vergehn, schau ich den wonniglichenM;inn«, sangen auch die Männer samt dem König. So war denn die Musik an ihrem Teil der männlichen Wonne voll, war heldisch, wenn sie üppig war, und kaisertreu noch in der Brunst. Wer widerstand da? Tausend Aufführungen einer solchen Oper, und es gab niemand mehr, der nicht national war! Diederich sprach es 270 uS: »Das Theater ist auch eine meiner Waffen.« Kaum ein Maje-• tjtsbeleidigungsprozeß konnte die Bürger so gründlich aus dem ■ cchlummer rütteln. »Ich habe den Lauer in die Vogtei gebracht, ; jjgf wer den Lohengrin geschrieben hat, vor dem nehm ich den f Hut ab.« Er schlug ein Zustimmungstelegramm an Wagner vor. Qoste mußte ihn aufklären, es sei nicht mehr zu machen. Einmal ■ufs0 hohem Gedankenflug begriffen, äußerte sich Diederich gber die Kunst im allgemeinen. Unter den Künsten gab es eine < ßangordnung. »Die höchste ist die Musik, daher ist sie die ! deutsche Kunst. Dann kommt das Drama.« »Warum?« fragte Guste. 1 »Weil man es manchmal in Musik setzen kann, und weil man ; es nicht zu lesen braucht, und überhaupt -« '1 »Und was kommt dann?« »Die Porträtmalerei natürlich, wegen der Kaiserbilder. Das ! übrige ist nicht so wichtig.« t »Und der Roman?« ; »Der ist keine Kunst. Wenigstens Gott sei Dank keine deut-: sehe: das sagt schon der Name.« ! Und dann war der Hochzeitstag da. Denn beide hatten Eile: j Guste wegen der Leute, Diederich aus Gründen der Politik. Um j mehr Eindruck zu machen, hatte man beschlossen, daß Magda und Kienast am gleichen Tage heiraten sollten, Kienast war eingetroffen, und Diederich betrachtete ihn manchmal mit Unruhe, weil Kienast sich den Bart hatte abnehmen lassen, den Schnurrbart an den Augenwinkeln trug und auch schon blitzte. In den Verhandlungen über Magdas Gewinnanteil zeigte er einen schreckenerregenden Geschäftsgeist. Diederich, nicht ohne Besorgnis wegen des Ausgangs der Sache, wenn auch entschlossen, seine Pflicht gegen sich selbst restlos zu erfüllen, vertiefte sich jetzt öfter in seine Geschäftsbücher . . . Sogar am Morgen vor seiner Trauung, und schon im Frack, saß er im Kontor; da ward eine Karte gebracht: Karnauke, Premierleutnant a. D. »Was kann der wollen, Sötbier?« Der alte Buchhalter wußte es auch nicht. »Na, egal. Einen Offizier kann ich nicht abweisen.« Und Diederich ging selbst zur Tür. In der Tür aber erschien ein ungewöhnlich strammer Herr in einem grünlichen Sommermantel, der troff und den er am Halse fest geschlossen trug. Unter seinen spitzen Lackschuhen entstand sofort eine Lache, von seinem grünen Agrarierhütchen, das er merkwürdigerweise aufbehielt, regnete es. »Zunächst wollen wir uns mal trockenlegen«, versetzte der Herr und Ereignis, das Denkmal Wilhelms des Großen und GauscnftlH Geschäft und Ruhm I ' Der Aufbruch drängte. Kienast, immerhin bewegt und ein geschüchtert, bekam' einige Worte allgemeinen Inhalts hinp-e worfen, von herrlichen Tagen, denen er entgegengeführt werden sollte, von großen Dingen, die man mit ihm und der ganzen Familie vorhabe - und fort war Diederich mit Guste. Sie bestiegen die Erste Klasse, er spendete drei Mark und Zop-die Vorhänge zu. Sein von Glück beschwingter Tatendrang litt keinen Aufschub, Guste hätte so viel Temperament nie erwartet »Du bist doch nicht wie Lohengrin«, bemerkte sie. Als sie aber schon hinglitt und die Augen schloß, richtete Diederich sich nochmals auf. Eisern stand er vor ihr, ordenbehangen, eisern und blitzend. »Bevor wir zur Sache selbst schreiten«, sagte er abgehackt, »gedenken wir Seiner Majestät unseres allergnädig-sten Kaisers. Denn die Sache hat den höheren Zweck, daß wir Seiner Majestät Ehre machen und tüchtige Soldaten liefern.« »Oh!« machte Guste, von dem Gefunkel auf seiner Brust entrückt in höheren Glanz. »Bist - du - das - Diederich?« Sechstes Kapitel Herr und Frau Doktor Heßling aus Netzig sahen einander stumm an im Lift des Züricher Hotels, denn man fuhr sie in den vierten Stock. Dies war das Ergebnis des Blickes, den der Geschäftsführer schnell und schonend über sie hingeführt hatte. Diederich füllte gehorsam den Meldezettel aus; erst als der Oberkellner fort war, äußerte er seine Entrüstung über den Betrieb hier und über Zürich. Sie ward immer lauter und verdichtete sich zu dem Vorsatz, an Baedeker zu schreiben. Da diese Vergeltung indes zu wenig greifbar schien, machte er kehrt gegen Guste: ihr Hut sei schuld. Guste wieder schob es auf Diederichs Hohenzollernmantel. So stürzten sie denn zum Lunch mit hochroten Köpfen. An der Tür machten sie halt und schnauften unter den Blicken der Gäste, Diederich im Smoking, Guste aber mit einem Hut, der Bänder, Federn und Schnalle, alles auf einmal hatte, und der unzweifelhaft in die Beletage gehörte. Ihr Bekannter, der Oberkellner, führte sie im Triumph zu ihren Plätzen. Mit Zürich und auch mit dem Hotel versöhnten sie sich am Abend. Denn erstens war das Zimmer im vierten Stock nicht ehrenvoll, aber billig; und dann hing gerade gegenüber den Betten des Ehepaares eine fast lebensgroße Odaliske, der bräunliche Leib hinschwellend auf üppigem Polster, mit den Händen unter dem Kopf, feuchtes Schmachten im schwarzen Spalt der Augen. In der Mitte war sie von dem Rahmen zerschnitten, was dem Ehepaar Anlaß zum Scherzen gab. Am nächsten Tage gingen sie umher mit Blei in den Lidern, verschlangen riesige Mahlzeiten und fragten sich nur, was erst geschehen wäre, wenn die Odaliske nicht in der Mitte zerschnitten, sondern ganz gewesen wäre. Aus Müdigkeit versäumten sie den Zug und kehrten am Abend, so früh wie möglich, in ihr billiges und aufreibendes Zimmer zurück. Ein Ende, dieser Art zu leben, war nicht abseh- 277 bar; da las Diederich mit seinen schweren Lidern in der '/ ■ tung, daß der Kaiser unterwegs nach Rom sei zum Besuch d-!" Königs von Italien. cs Ein Schlag, er war aufgewacht. Elastisch bewegte er sich v Portier, ins Büro, an den Lift, und mochte Guste jammern d iß ihr schwindlig werde, die Koffer waren schon fertig, Diederich schleifte Guste schon hinaus. »Muß es denn sein?« klagte si »wo doch das Bett so gut ist!« Aber Diederich hinterließ nu" noch einen höhnischen Blick für die Odaliske. »Amüsieren S' sich weiter gut, meine Gnädigste I« Vor Aufregung schlief er lange nicht. Guste schnarchte fri«! lieh an seiner Schulter, indes Diederich, durch die Nacht sausend, bedachte, wie nun auf einer anderen Linie, aber nicht weniger sausend, demselben Ziel der Kaiser selbst entgegenfulu Der Kaiser und Diederich machten ein Wettrennen 1 Und d'i Diederich schon mehrmals im Leben hatte Gedanken äußern dürfen, die auf mystische Art mit denen des Allerhöchsten Herrn zusammenzufallen schienen, vielleicht wußte Seine Majestät zu dieser Stunde um Diederich: wußte, daß sein treuer Untertan ihm zur Seite über die Alpen zog, um den feigen Welschen mal klarzumachen, was Kaisertreue heißt. Er blitzte die Schläfer auf der anderen Bank an, kleine schwarze Leute, deren Gesichter im Schlaf verfallen aussahen. Germanische Recken-haftigkeit sollten sie kennenlernen! Früh in Mailand und mittags in Florenz stiegen Reisende aus was Diederich nicht begriff. Er versuchte, ohne merklichen I Erfolg, den Übriggebliebenen beizubringen, welches Ereignis sie in Rom erwarte. Zwei Amerikaner zeigten sich empfänglicher worauf Diederich triumphierend: »Na, Sie beneiden uns wohl auch um unsern Kaiser I« Da sahen die Amerikaner einander an mit einer stummen Frage, die ergebnislos blieb. Vor Rom ging Diederichs Aufregung in wilden Tätigkeitsdrang über. Den Finger in einem Sprachführer, lief er dem Zugpersonal nach und suchte in Erfahrung zu bringen, wer früher ankommen werde, sein Kaiser oder er. Gustes Leidenschaft hatte sich an der des Gatten entzündet. »Diedel!« rief sie. »[ch bin imstande und werf ihm meinen Reiseschleier auf den Wey, damit daß er darüber geht, und die Rosen von meinem Hut schmeiß ich auch hin!« -»Wenn er dich aber sieht,und du machst ihm Eindruck?« fragte Diederich und lächelte fieberhaft. Gustes Busen begann zu wogen, sie senkte die Lider. Diederich, der keuchte, riß sich los aus der furchtbaren Spannung. »Meine 278 \tannesehre ist mir heilig, was ich hiermit feststelle. In diesem i?alle aDet _<< Und er schloß mit einer knappen Geste. Da kam man an - aber ganz anders, als die Gatten es erträumt hatten. In größter Verwirrung wurden die Reisenden von Beamten aus dem Bahnhof gedrängt, bis an den Rand eines weiten Platzes und in die Straßen dahinter, die sofort wieder abgesperrt wurden. Aber Diederich, in entfesselter Begeisterung, durchbrach die Schranken. Guste, die entsetzt die Arme reckte, ließ er mit allem Handgepäck dastehen und stürzte drauflos. Schon war cr inmitten des Platzes; zwei Soldaten mit Federhüten jagten ihm nach, daß ihre bunten Frackschöße flogen. Da schritten die Bahnhofsrampe mehrere Herren herab, und alsbald fuhr ein Wagen auf Diederich zu. Diederich schwenkte den Hut, er brüllte auf, daß die Herren im Wagen ihr Gespräch unterbrachen. Der rechts neigte sich vor - und sie sahen einander an, Diederich und sein Kaiser. Der Kaiser lächelte kalt prüfend mit den Augenfalten, und die Falten am Mund ließ er ein wenig herab. Diederich lief ein Stück mit, die Augen weit aufgerissen, immer schreiend und den Hut schwenkend, und einige Sekunden lang waren sie, indes ringsum dahinten eine fremde Menge ihnen Beifall klatschte, in der Mitte des leeren Platzes und unter einem knallblauen Himmel ganz miteinander allein, der Kaiser und sein Untertan. Schon verschwand der Wagen drüben in der beflaggten Straße, die Hochrufe schwollen schon ab in der Ferne, und Diederich, der aufseufzte und die Augen schloß, setzte den Hut wieder auf. Guste winkte ihn krampfhaft herbei, und die Leute, die noch umherstanden, klatschten ihm zu, mit Gesichtern voll heiteren Wohlwollens. Auch die Soldaten, die vorhin ihn verfolgt hatten, lachten nun. Einer von ihnen ging in seiner Teilnahme so weit, daß er einen Kutscher herbeirief. Wie er abfuhr, grüßte Diederich die Menge. »Sie sind wie die Kinder«, erklärte er seiner Gattin. »Na, aber auch entsprechend schlapp«, setzte er hinzu, und er gestand: »In Berlin wäre das denn doch nicht gegangen . . . Wenn ich an den Krawall Unter deň Linden denke, der Betrieb war 'n bißchen schärfer.« Und er setzte sich zurecht, um am 1 lotel vorzufahren. Dank seiner Haltung bekamen sie ein Zimmer im zweiten Stock. Die erste Morgensonne aber sah Diederich schon wieder in den Straßen. »Der Kaiser steht früh auf!« hatte er Guste bedeutet, die nur aus den Kissen grunzte. Übrigens konnte er sie nicht 279 brauchen bei seiner Aufgabe. Den Finger auf dem P];in ^ Stadt, gelangte er bis vor den Quirinal und stellte sich hin n" stille Platz war hellgolden von den schrägen Strahlen, grell un 1 wuchtig im leeren Himmel stand der Palast - und gegi-nüli ' Diederich, der Majestät gewärtig, auf vorgestreckter Brust den Kronenorden vierter Klasse. Die Treppen herauf aus der Stidt trippelte eine Ziegenherde und verschwand hinter dem Brunnen und den riesigen Rossebändigern. Diederich sah sich nicht um Zwei Stunden vergingen, die Passanten wurden häufiger, eine Schildwache war hinter ihrem Haus hervorgekommen, in einem der beiden Portale bewegte sich ein Portier, und mehrere Personen gingen ein oder aus. Diederich ward unruhig. Er machte sich näher an die Fassade heran, strich langsam vorbei, gespannt ins Innere spähend. Bei seinem dritten Erscheinen führte der Portier, ein wenig zögernd, die Hand an den Hut. Als Diederich stehenblieb und zurückgrüßte, ward er vertraulich. »Alles in Ordnung«, sagte er hinter der Hand; und Diederich nahm die Meldung mit einer Miene des Einverständnisses entgegen. Eis schien ihm nur natürlich, daß man ihn über das Wohlergehen seines Kaisers unterrichtete. Seine Fragen, wann der Kaiser ausfahren werde und wohin, wurden anstandslos beantwortet. Der Portier verfiel von selbst darauf, daß Diederich, um den Kaiser zu begleiten, einen Wagen brauchen werde, und er schickte danach. Inzwischen hatte ein Häuflein Neugieriger sich gebildet, und dann trat der Portier beiseite; hinter einem Vorreiter, im offenen Wagen erschien, unter dem Blitzen seines Adlerhelms, der blonde Herr des Nordens. Diederichs Hut flog schon, Diederich schrie, wie aus der Pistole geschossen, auf italienisch: »l;.s lebe der Kaiser!« Und gefällig schrie das Häuflein mit... Diederich aber, ein Sprung in den Einspänner, der bereitstand, und los, hinterdrein, den Kutscher angefeuert mit rauhem Schrei und geschwungenem Trinkgeld. Und sieh: schon hielt er, dahinten nahte erst der Allerhöchste Wagen. Als der Kaiser ausstieg, war wieder ein Häuflein da, und wiederum schrie Diederich auf italienisch . . . Wache gehalten vor dem Haus, worin sein Kaiser weilte! Die Brust heraus und angeblitzt, wer sich in die Nähe traute! Nach zehn Minuten war das Häuflein neu vervollständigt, der Wagen entrollte dem Tor, und Diederich: »Es lebe der Kaiser!« - und, im Echo des Häufleins, wildbrausend zurück zum Quirinal. Wache. Der Kaiser im Tschako. Das Häuflein. Ein neues Ziel, eine neue Rückkehr, eine neue Uniform, und wieder Diederich, und wieder jubelnder Empfang. So ging es veiter, und nie hatte Diederich ein schöneres Leben gekannt. Sein Freund, der Portier, unterrichtete ihn zuverlässig, wohin ßjfi fuhr. Auch kam es vor, daß ein salutierender Beamter ihm pjfle Meldung machte, die er herablassend entgegennahm, oder j-iß einer Direktiven zu erbitten schien - und dann erteilte Diederich sie in unbestimmter Form, aber gebieterisch. Die Sonne jtieg hoch und höher; vor den brennenden Marmorquadern der Fassaden, hinter denen sein Kaiser weltumspannende Unterredungen pflog, litt Diederich, ohne zu wanken, Hitze und purst. So stramm er sich hielt, war es ihm doch, als sinke sein Hauch unter der Last des Mittags bis auf das Pflaster herab, und als schmelze ihm auf der Brust sein Kronenorden vierter Klasse... per Kutscher, der immer häufiger die nächste Kneipe betrat, empfand endlich Bewunderung für das heldenhafte Pflichtgefühl des Deutschen und brachte ihm Wein mit. Neues Feuer jn den Adern, machten sich beide an das nächste Rennen. Denn die kaiserlichen Renner liefen scharf; um ihnen vorauszukommen, mußte man Gassen durchjagen, die aussahen wie Kanäle und deren spärliche Passanten sich schreckensvoll gegen die .Jfouer drückten; oder es hieß aussteigen und Hals über Kopf eine Treppe nehmen. Dann aber stand Diederich pünktlich an der Spitze seines Häufleins, sah die siebente Uniform aussteigen und schrie. Und dann wandte der Kaiser den Kopf und lächelte. Er erkannte ihn wieder, seinen Untertan! Den, der schrie, den, der immer schon da war, wie Swinegel. Diederich, federnd vor Hochgefühl über die Allerhöchste Aufmerksamkeit, blitzte das Volk an, in dessen Mienen heiteres Wohlwollen stand. Erst die Versicherung des Portiers, daß Seine Majestät nun frühstücke, erlaubte es Diederich, sich Gustes zu erinnern. »Wie siehst du aus!« rief sie bei seinem Anblick und zog sich gegen die Wand zurück. Denn er war rot wie eine Tomate, völlig aufgeweicht, und sein Blick war hell und wild wie der eines germanischen Kriegers der Vorzeit auf einem Eroberungszuge durch Welschland. »Dies ist ein großer Tag für die nationale Sache!« versetzte er mit Wucht. »Seine Majestät und ich, wir machen moralische Eroberungen!« Wie er dastand I Guste vergaß ihren Schrecken und den Ärger über das lange Warten; sie kam herbei mit liebevollen Armen, und demütig rankte sie sich an ihm hinauf. Aber kaum das Stündchen zum Essen gönnte Diederich sich. Er wußte wohl, nach dem Mittagsmahl ruhte der Kaiser; dann hieß es, unter seinen Fenstern Wache stehen und nicht weichen. 280 Er wich nicht; und der Erfolg zeigte, wie recht er tat. Denn noch hielt er seinen Posten, dem Portal gegenüber, nicht achtzig ten lang besetzt, als es geschah, daß ein verdächtig aussehend ■ ■ Individuum unter Benutzung einer kurzen Abwesenheit d 8 Portiers sich einschlich, sich hinter eine Säule drückte und i lauernden Schatten Pläne barg, die nicht anders sein konnten al unheilvoll. Da aber Diederich! Wie den Sturm und mit KricLv geschrei sah man ihn über den Platz tosen. Aufgescheuchte-Volk stürzte sofort hinterdrein, die Wache eilte herbei, im Port j lief Dienerschaft zusammen - und alle bewunderten Diederich* wie er einen, der sich versteckt hatte, wild ringend hervorzerrte' Die beiden schlugen dermaßen um sich, daß nicht einmal die bewaffnete Macht an sie herankam. Plötzlich sah man Diederich ■ Ge gner, dem es gelungen war, den rechten Arm zu befreien eine Büchse schwingen. Atemlose Sekunden - dann tobte die aufheulende Panik dem Ausgang zu. Eine Bombe! Er wirft! Er hatte schon geworfen. In der Erwartung des Knalles lagen die nächsten, im voraus wimmernd, am Boden. Diederich aber: weiß auf Gesicht, Schultern und Brust stand er da und nieste. Es roch stark nach Pfefferminz. Die Kühnsten kehrten um und untersuchten ihn mit der Nase; ein Soldat unter wallenden Federn betupfte ihn mit dem benetzten Finger und kostete. Diederich verstand wohl, was er hierauf der Menge mitteilte und weshalb sogleich in alle Gesichter das heitere Wohlwollen zurückkehrte, denn seit einem Augenblick blieb ihm selbst kein Zweifel mehr darüber, daß er mit Zahnpulver beworfen war, Dessenungeachtet behielt er die Gefahr im Auge, der der Kaiser dank seiner Wachsamkeit, vielleicht entronnen war. Der Attentäter suchte - ganz vergebens - an ihm vorbei das Weite zu gewinnen: Diederichs eiserne Faust überlieferte ihn den Polizeiwächtern: Diese stellten fest, daß es sich um einen Deutschen handelte, und baten Diederich, ihn zu inquirieren. Er unterzog sich der Aufgabe, trotz dem Zahnpulver, das ihn bedeckte, mit höchster Korrektheit. Die Antworten des Menschen, der bezeichnenderweise Künstler war, hatten keine ausgesprochen politische Färbung, verrieten aber durch ihre abgrundtiefe Respektlosigkeit und Unmoral nur zu wohl die Tendenzen des Umsturzes, weshalb Diederich seine Verhaftung dringend empfahl. Die Wächter führten ihn ab, nicht ohne vor Diederich zu salutieren, der nur noch Zeit hatte, sich von seinem Freunde, dem Portier, abbürsten zu lassen. Denn schon war der Kaiser gemeldet; Diederichs persönlicher Dienst begann wieder. I Sein Dienst führte ihn rastlos umher bis in die Nacht und end-' lieh vor das Gebäude der deutschen Botschaft, wo Seine Majestät Empfang hielt. Ein längerer Aufenthalt des Allerhöchsten ■ tjerrn gab Diederich Gelegenheit, beim nächsten Wirt seine Stimmung zu erhöhen. Er erklomm vor der Tür einen Stuhl und richtete an das Volk eine Ansprache, die von nationalem Geiste getragen war und der schlappen Bande die Vorzüge eines Grammen Regiments klarmachte und eines Kaisers, der kein Schattenkaiser war .. j. Sie sahen ihn, rot überstrahlt vom Licht der offenen Becken, die vor dem Palaste des Deutschen Reiches t loderten, auf seinem Stuhl den eckig behaarten Mund aufreißen, sahen ihn blitzen und wie von Eisen starren - was ihnen offenbar genügte, um ihn zu verstehen, denn sie jubelten, klatschten und ließen den Kaiser leben, sooft Diederich ihn leben ließ. Mit einem Ernst, der nicht ohne Drohung war, nahm Diederich , für seinen Herrn und die furchtbare Macht seines Herrn die Huldigungen des Auslandes entgegen, worauf er von dem Stuhl herabkletterte und wieder zum Wein ging. Mehrere Landsleute, : kaum weniger angeregt als er, tranken ihm zu und kamen nach in heimischer Weise. Einer entfaltete eine Abendzeitung mit i einem riesigen Bild des Kaisers und las den Bericht eines Zwischenfalles vor, den im Portal des Quirinais ein Deutscher her- , yörgerufen hatte. Nur durch die Geistesgegenwart eines Beamten im persönlichen Dienst des Kaisers war Schlimmeres ' verhindert worden; und auch das Bildnis dieses Beamten war j dabei. Diederich erkannte ihn wohl. Wenn die Ähnlichkeit auch nur allgemeiner Natur und der Name arg entstellt war, der Um- ■■ fang des Gesichts und der Schnurrbart stimmten. So sah denn Diederich den Kaiser und sich selbst auf dem gleichen Zeitungsblatt vereinigt, den Kaiser samt seinem Untertan der Welt zur Bewunderung dargeboten. Es war zu viel. Feuchten Auges richtete Diederich sich auf und stimmte die Wacht am Rhein an. Der Wein, der so billig war, und die Begeisterung, die immer neu genährt ward, bewirkten, daß die Kunde, der Kaiser verlasse die Botschaft, Diederich nicht mehr in korrekter Haltung fand. Er t.it gleichwohl alles, was er noch vermochte, um seiner Pflicht zu genügen. Er schoß im Zickzack das Kapitol hinab, stolperte und rollte über die Stufen weiter. Drunten in der Gasse holten seine Zechgenossen ihn ein, er stand mit dem Gesicht der Mauer zugekehrt... Fackelschein und Hufschlag: der ■ Kaiser! Die anderen schwankten hinterdrein, Diederich aber, kein Komment half ihm mehr, glitt hin, wo er stand. Zwei 282 283 städtische Wachtet fanden ihn, an die Mauer gelehnt, in ei Lache sitzen. Sie erkannten den Beamten im persönlichen Di des Deutschen Kaisers, und voll tiefer Besorgnisse beugten sich über ihn. Gleich darauf aber sahen sie einander an und chen in ungeheure Fröhlichkeit aus. Der persönliche Bciim't" war gottlob nicht tot, denn er schnarchte; und die Lache, in d ■ er saß, war kein Blut. Am nächsten Abend, bei der Galavorstellung im Theater, sah der Kaiser ungewöhnlich ernst aus. Diederich bemerkte es "er sagte zu Guste: »Jetzt weiß ich doch, wozu ich das viele Geld hab ausgegeben. Paß auf, wir erleben einen historischen Mo-ment!« Und seine Ahnung betrog ihn nicht. Die Abendblätter verbreiteten sich im Theater, und man erfuhr, der Kaiser werde noch nachts abreisen, und er habe seinen Reichstag aufgelöst! Diederich, ebenso ernst wie der Kaiser, erklärte allen, die in der Nähe saßen, die Schwere des Ereignisses. Der Umsturz hatte sich nicht entblödet, die Militärvorlage abzulehnen! Die Nationalgesinnten gingen für ihren Kaiser in einen Kampf auf Leben! und Tod! Er selbst werde mit dem nächsten Zuge nach HauseI fahren, versicherte er, worauf man ihm sofort den Zug nannte...* Wer nicht zufrieden war, war Guste. »Endlich ist man mal woanders, und, Gott sei Dank, hat man es und kann sich was leisten. Wie komm ich dazu, daß ich mich soll zwei Tage im Hotel mopsen und dann gleich wieder retour, bloß wegen -« Der Blick, den sie nach der kaiserlichen Loge schleuderte, war so voll von Auflehnung, daß Diederich mit äußerster Strenge einschritt. Guste ward ihrerseits laut; ringsum zischte man, und als Diederich den Widersachern blitzend die Stirne bot, sah er sich von ihnen veranlaßt, mit Guste aufzubrechen, noch bevor ihr Zug ging. »Komment hat das Pack nun mal nicht«, stellte er draußen fest und schnaufte stark. »Überhaupt, was ist hier los, möcht ich mal wissen. Schönes Wetter, na ja... Na, nu sieh dir wenigstens noch das alte Zeug an, das da rumsteht!« heischte er. Guste, wieder gebändigt, sagte klagend: »Ich genieß es ja.« Und dann fuhren sie in gemessenem Abstand hinter dem Zug des Kaisers her. Guste, die in der Eile ihre Schwämme und Bürsten vergessen hatte, wollte immer aussteigen. Damit sie sechsunddreißig Stunden Geduld hatte, mußte Diederich ihr unermüdlich die nationale Sache vorhalten. Trotzdem war, als sie endlich in Netzig Fuß faßte, ihre erste Sorge die Schwämme. Am Sonntag hatte man ankommen müssen! Zum Glück war wenigstens die Löwehapotheke offen. Indes Diederich vor dem Bahnhof 284 ' f die Koffer wartete, ging Guste schon hinüber. Da sie aber V-ht zurückkam, folgte er ihr. nie Tür der Apotheke stand halb offen, drei junge Burschen bähten hinein und wälzten sich. Diederich, der über sie wegsah, starrte vor Staunen - denn drinnen hinter dem Ladentisch jjj-itt, die Arme gekreuzt und mit düsterem Blick, hin und her