Auf der Spur Durch die Dämmerung Vladimíra Gerade heute wollte ich rechtzeitig zu Hause sein. Der Sohn ist bei der Nachbarin, die um fünf zur Theaterprobe gehen muss. Der Direktor bestand just heute darauf, dass wir den Antrag für die interaktive Tafel fertig schreiben sollen. Er bat mich, erst mit dem Vierer-Bus zu fahren. Als ich aus der Schule rannte, verschwand der Bus schon hinter der großen Scheune. Das Handy blieb auf dem Tisch in der Schule, verflucht nochmal. Also ging ich in die Kneipe Sokolovna. Von Alois, dem Kellner, kann ich wenigstens die Nachbarin anrufen und sie beruhigen, dass ich den Sohn erst um sieben in der Theaterprobe abhole. Alois brachte mir einen Früchtetee und verschwand in der Küche. Ich hörte ihn Zwiebeln für das Gulasch schneiden. In der Kneipe saßen schon drei Stammgäste. Die leeren Augen der Alkoholiker und ihre heiseren Stimmen erinnerten mich an meinen Stiefvater, der an der Zirrhose gestorben ist. Ich nahm ein Comicheft für meinen Sohn aus der Tasche und stellte mir vor, wie Petr froh sein wird, wenn wir im Bett die Geschichten lesen. Aber die aggresiven lauten Männerstimmen rissen mich aus meinen Gedanken. Es war wie eine Erlösung, als mich Alois zu einer Billiard-Partie einlud. Die gierigen Blicke der alten Männer spürte ich auch am Billiard-Tisch auf mich gerichtet. Alois kam von der Küche zurück und sah mich mit seinen schönen blauen Augen an, als ob er mich trösten wollte. „Kümmere dich nicht um sie,“ sagte er. „Sie werden bald einen Fussballspiel verfolgen und lassen uns in Ruhe.“ Ich habe mich so auf das Billiardspiel konzentriert, dass ich auch den zweiten Bus versäumt habe. Es blieb mir nichts anderes übrig als durch den Wald zu rennen, um den Zug zu schaffen. Auch wenn dort in dürren Blättern der Wind säuselt. Tomáš: Zuerst war es kein außerordentlicher Nachmittag. Unsere Kneipe war halb leer, nur unsere Stammgäste saßen an dem alten massiven Tisch, kippten ein Bier nach dem andern hinunter, rauchten, spielten Karten und ab und zu strittten sie dabei. Dann passierte etwas Überraschendes. Diese Lehrerin von der Grundschule kam in unsere Kneipe und machte unsere lieben Stammgäste nervös, weil es sonst alle Frauen normalerweise aus irgendwelchem Grund vermeiden, in unsere Gaststäte zu kommen. Für einen kurzen Augenblick trat plötzlich tiefe Stille ein. Doch bald schienen sich die Gäste an die Anwesenheit der weiblichen Person gewöhnt zu haben und alles ging seinen Gang. Plötzlich merkte ich, dass etwas aber doch anders war. Die drei alten Männer, die am Tisch in der Ecke saßen, wurden wieder nervös, ließen die Lehrerin nicht aus den Augen, flüsterten etwas ständig miteinander und grinsten abscheulich dabei. Auch für die Lehrerin war es bei uns kein Vergnügen. Vor allem diese drei alten Sonderlinge ließen ihr keine Ruhe. So bot ich ihr an eine Partie Billard mit mir zu spielen, damit sie die gierigen Blicke dieser drei alten Saukerle vergisst. Als die Lehrerin unsere Gaststätte endlich verließ, war es schon dunkel. Es fiel mir nur auf, dass einer von diesen drei Gaffern ungewöhnlich schnell nach Hause aufbrach. Ihre Handschuhe blieben auf dem Stuhl liegen. Dialog, Lukáš, Honza, Tomáš Tomáš: „Na da schau´ her!“ Honza: „Herst, die schaut ja guad aus!“ Lukáš: „Die Frau Lehrerin in unsrem Beisl, des is a g´schicht! Die hot ma scho allerweil g´fallen, des Katzerl!“ Honza: „Hot die an Habera? I was noch, wie´s goschat war, früher.” Lukáš: “I würd der Trutscherl gleich zeigen, wo da Hammer henkt. Z´erst a Watschen, damit´s ruhig wird und dann a bissl rumbusseln.“ Tomáš: „Jo, des wär ned schlecht, aber so ein Katzerl würd mit so einem alten Ungustl wie dir ned einmal in den Beserlpark geh´n.“ Honza: „Mit dem jungen Wed´l tschecherts und spielt´s Billiard, schaust. Man sollte ihr aber a Lektion erteilen, des würd mir taugen.“ Tomáš: „Wie willst des machen?“ Lukáš: „Des was i noch ned ganz sicha. I werd sie wohl heut nachhause begleiten müssen. Fieses Gelächter Tomáš: „An deiner Stelle würd i nix machen, sonst landest noch im Häfn.“ Honza: „Geh bitte! Die wird zwar Faxen machen, aber den Kiebaran wird´s nix sagen.“ Lukáš: „Meine liebn´ Hawara, lasst des mein Problem sein. I werd mit der Schlapfen schon fertig werden. Noch a Kriagal?“ Beide, Tomáš und Honza: „Sicha!“ Vladimíra Ich lief in Richtung des Waldes. Als ich Kind war, kannte ich eine Abkürzung durch den Wald. Der Pfad könnte nach einem Regen gefährlich sein, weil der Bach dann aus den Ufern steigt, das Wasser den Pfad rutschig macht, ja manchmal kann er wegen dem tiefen Schlamm unpassierbar sein. Aber in diesem Frühlings regnete es kaum. Als ich die ersten Bäume erreichte, ging ich langsamer und schaute mir die bunten Blätter an, die in der Dämmerung raschelten. Der Horizont war noch zu erkennen, bald danach verschwand auch er und ich konnte fast nichts sehen. Ich dachte, ich kenne hier auch bei der Dunkelheit jeden Stein. Es war jedoch schwierig, dem Pfad überhaupt zu folgen. Ich wurde ängstlich und von jedem Geräusch gestresst. Aber dieser Pfad war um so viel kürzer als die Straße, dass mir keine andere Wahl übrig blieb. Ich muss gleich zu der Station kommen. Auf der Straße hätte ich eine Dreiviertelstunde länger gehen müssen. Blätter raschelten unter meinen Stiefeln und außer diesem Geräusch war alles ganz ruhig. Die Vögel gingen alle schon schlafen, zwitscherten nicht mehr. Als ich die friedliche Stille genoss, hörte ich Schritte hinter mir. Mich ergriff Panik und ich fing wieder an zu laufen. Warum würde jemand anderer im Wald am Abend nach dem Sonnenuntergang herumirren? Lukáš Der Verfolger wird zum Verfolgten Ich hätte in der Kneipe sitzen bleiben sollen. Doch diese Undine rief plötzlich auf: „Auf der Landstraße schaffe ich es nicht mehr, jetzt muß ich unbedingt durch den Wald zum Zug.“ Trotz meines knarrenden Kniegelenks zog es mich in die Dunkelheit, wo das Wesen in den knallengen Hosen verschwunden ist. Offensichtlich kannte sie sich in dem Wald viel besser aus als ich und bald hatte ich Mühe ihren verhallenden Schritten zu folgen. Mehrmals stolperte ich über herumliegende Äste, weil ich mich von dem Pfad verirrt hatte. Die mondlose pechschwarze Nacht ließ mir wenig Hoffnung, dass ich sie noch vor der Abfahrt des Zuges einhole. Der Maschinenführer pfiff schon vor der Tunneleinfahrt. Plötzlich knackten dürre Zweige hinter mir , jemand muss unheimlich schnell durch das Dickicht vorankommen. Und war offensichtlich hinter mir her. Wer kann es gewesen sein? Honza Nachdem sich die Lehrerin und der alte Trunkenbold davon machten, rief mich Alois zu sich. Er sah mich ernst an und sagte: Du bist meine einzige Rettung. Wenn er so anfängt, kommt meistens nichts Gutes heraus. Ständig muss ich für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen. Als Alois noch verheiratet war und seine Frau über Maß getrunken hat und das arme Wurm unter der Theke vergessen hat, musste ich es hinter ihr hertragen. Schau bitte nach, ob sich im Wald nicht irgendwelche suspekten Typen herumtreiben. Suspekt ist sein Lieblingswort. Und bring ihr die vergessenen Handschuhe. Alois tat, als wäre ich dazu fähig, die Lehrerin eine halbe Stunde nach ihrem Weggehen noch einzuholen. Ihr Parfum vergisst man zwar nicht so leicht, aber ich bin kein Spürhund. Wenn du es schaffst, kriegst du ein köstliches Gulasch, versprach er mir. Mit diesen Worten im Kopf rannte ich los. Als ich zum Bach kam, verlief die Spur im Sand. Ich hörte hinkende Schritte eines Übergewichtigen in der Nähe und seine Bierfahne warnte mich − es ist kein hinkender Eber. Der Geruch kam auf mich zu. Ich sprang auf und lief an ihm vorbei. Er wollte sich auf mich stürzen, torkelte jedoch und fiel hin. An einem Baum richtete er sich langsam auf, blieb lange an ihn angelehnt stehen und fluchte, als er Lichter des vorbeifahrenden Zuges sah. Dann sackte er auf den Boden. Ich kehrte mit den Handschuhen zu Alois zurück. Er kraulte er mich hinter den Ohren und stelte mir die Gulaschschüssel unter den Tisch. Nicole: Einbrecher in der Waldesnacht Bei der Abenddämmerung raste die Lehrerin an mir vorbei. Mich hat sie bei der anbrechenden Dunkelheit nicht gesehen, aber ich sie schon. Ich erkannte sie an dem ausgeprägten Nussgeruch, weil sie uns regelmäßig Erdnüsse anbietet. Wenn ich in den Schulgarten komme, liegen dort immer ein paar Erdnüsse oder etwas zum Naschen in der Schüssel. Aber ohne das aufwedige Klauben reizen mich die Geschenke gar nicht. Ohne harte Nüsse zu klauben, bekommt man Schneidezähne wie der Protagonist des Films Keine Zeit für Nüsse. Seitdem es den verfluchten amerikanischen Zeichentrickfilm gibt, sagen uns alle Glupschaugen nach und bringen uns statt Haselnüssen Eicheln, die ich gar nicht mag. Was ich auch nicht ausstehen kann, sind die Pärchen, die sich hier herumtreiben. Ich legte mich schon schlafen, als eine Erschütterung mich erschreckte. Das war kein turtelndes Pärchen. Eher ein torkelnder Ochse. Der feine Nussgeruch der Lehrerin wurde von einer brutalen Bierfahne verdrängt und die Stille der Waldesnacht von seinem Schnarchen gestört. Vor Angst um meine Nussvorräte konnte ich gar nicht einschlafen. Vladimíra: Als ich nach der Jagd durch den Wald nach Hause kam, begrüßte mich mein Sohn: „Mama, wo bist du so lang geblieben? Du hast mir versprochen mir im Bett noch aus einem neuen Comic zu lesen. Hast du das Heft nicht in der Schule vergessen?“ Ich wollte mit ihm kuscheln, er wich jedoch zurück und sagte ganz ernst: „Mit diesen dreckigen Händen, du Schmutzfink?“ Er ging gekränkt ins Bett und ich in die Dusche. Ich war froh, dass er von diesen Schmutzfinken in der Kneipe nichts ahnt.