VERTEILUNGSFRAGEN DIE ZUKUNFT DER WELTERNÄHRUNG 15.12.2009 | Sven Stüber & Nicole Walter | Auf der Welt werden heute genug Nahrungsmittel produziert, um alle Menschen ernähren zu können. Theoretisch. Denn sie werden so verteilt, dass viele – vor allem in Afrika südlich der Sahara und in Südasien – nicht genug zum Leben haben. Heute gibt es auf der Welt mehr übergewichtige Menschen als unterernährte. "Es wird genug für alle angebaut. Aber nur 47 Prozent dessen, was als Nahrung zur Verfügung steht, wird gegessen. Über die Hälfte wird als Futtermittel, als Biotreibstoff oder als nachwachsende Rohstoffe in der Industrie verwendet", sagt Rudolf Buntzel vom Evangelischen Entwicklungsdienst. Diese Konkurrenz um Nahrung, Land und Wasser werde weltweit mit steigender Bevölkerung zunehmen (auf neun Milliarden Menschen wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 ansteigen, prognostizieren die Vereinten Nationen) – während der Klimawandel zu mehr Dürre und Überschwemmungen führt und Ernten und Anbauflächen vernichten kann. Schon seit einiger Zeit kaufen wohlhabende arabische Staaten, China und Agrarkonzerne große landwirtschaftliche Flächen in Entwicklungsländern. Sie wollen dort Lebensmittel anbauen, um die Ernährung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern, oder Pflanzen für Agrotreibstoffe ernten. Entwicklungsexperten wie Albert Engel von der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) arbeiten deshalb mit an internationalen Richtlinien für Investoren. "Dieses so genannte 'land grabbing' hat gefährliche Folgen für die Kleinbauern in den Entwicklungsländern", sagt Engel. Und auf die Kleinbauern setzen Entwicklungsfachleute die größten Hoffnungen für die künftige Ernährung der Weltbevölkerung. "85 Prozent der Nahrungsmittel auf der Welt werden von Kleinbauern geerntet, die weniger als fünf Hektar Land bewirtschaften", sagt Rudolf Buntzel. Entwicklungsexperten/innen plädieren nicht nur deshalb für die Unterstützung der Kleinbauern, weil sie vor Ort die Versorgung mit Nahrungsmitteln sichern können, sondern auch weil sie Multiplikatoren sind. Sie können den Menschen vor Ort Arbeit und Einkommen geben, sagt Rafael Schneider von der Welthungerhilfe und ergänzt: "Rund ein Drittel der Nahrungsmittel geht durch Transport und Lagerung kaputt. Durch den Bau entsprechender Infrastrukturen könnten diese riesigen Verluste vermieden werden." Viele Entwicklungsfachleute und Ökonomen plädieren deshalb dafür, vor allem im ländlichen Raum zu investieren: in die Landwirtschaft, in Schulen und in die Gesundheitsversorgung, in die Erschließung durch Straßen und in den Ausbau der Stromnetze. Welche Rolle die Gentechnik bei der Verbesserung der Versorgung mit Nahrungsmitteln spielen soll, ist umstritten. Jagdish N. Bhagwati, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Columbia Universität in New York, hält sie für unabdingbar: "Die Grüne Revolution ist versiegt. Wir könnten eine neue haben. Das hängt derzeit ab von genetisch verändertem Saatgut. Da verhalten sich die Europäer extrem risikoscheu und nennen gentechnisch veränderte Produkte 'Frankensteins Nahrungsmittel'!" Sie müssten aber eine wichtige Frage beantworten: "Sind sie so besorgt über einen möglichen Frankenstein, dass sie bereit sind den grauenvollen Sensenmann zu akzeptieren?" Denn der komme mit Sicherheit, wenn die Nahrungsmittelknappheit ihren Tribut fordere – vor allem unter den Ärmsten. Rudolf Buntzel widerspricht: "Gentechnik ist nicht die Lösung. Die Kleinbauern haben das Wissen." In den Entwicklungsländern komme es vor allem auf dürre- und salzresistente Pflanzen an. Die könne aber nicht die Gentechnik liefern. Er erzählt von Westafrika: "Wir haben in Benin, in Burkina Faso und anderen Ländern sieben verschiedene Linien von Hirse untersucht, die schon sehr lange dort angebaut werden. Aus ihnen haben wir die dürre- und salzresistenten herauskristallisiert und so den Ertrag von 0,8 auf 4 Tonnen pro Hektar verfünffacht. Das hat die Gentechnik nie geschafft." Gentechnisch veränderte Saaten stehen zudem in der Regel unter dem Patent von Konzernen wie Monsanto, Bayer/Aventis, Syngenta oder Dupont – und die Bauern müssen das Saatgut jedes Jahr teuer erwerben. Spekulationen und Profite Um den Anbau und die Verteilung von Nahrung künftig gerechter zu gestalten, sprechen sich viele Fachleute für eine Regulierung der Finanzmärkte aus. Spekulationen hatten in den Jahren 2007 und 2008 zu hohen Preissteigerungen für Lebensmittel geführt – der Preis für Reis verfünffachte sich, Weizen und Mais waren dreimal so teuer wie 2003. Dies löste in vielen Entwicklungsländern eine Hungerkrise und -revolte aus. "Es ist nicht verkehrt, dass Getreide und andere Agrarprodukte handelbar sind. Aber wir brauchen Systeme, die die Volatilität der Preise bremsen. Die Spekulationen auf Profite dürfen nicht die Ernährungssicherheit gefährden", fordert Rafael Schneider – so wie viele Ernährungsfachleute. "Steigende Preise würden es den afrikanischen Ländern ermöglichen, ihre Nahrungsproduktion zu erhöhen, so heißt es manchmal", sagt Ökonom Jagdish N. Bhagwati. Moralisch sei diese Position empörend. "Die meisten Länder Afrikas sind Importeure, nicht Exporteure von Nahrung und landwirtschaftlichen Produkten." Der Chef des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungspolitik in Washington, der Volkswirt Joachim von Braun, will für künftige Spekulationskrisen weltweite Getreidereserven bilden und einen Nothilfefonds einrichten. Ob damit das "Recht auf Nahrung" tatsächlich umgesetzt wird, das die Teilnehmer/innen des Welternährungsgipfels im vergangenen November in Rom erneut festgeschrieben haben, ist aber höchst unwahrscheinlich. Flash: Sven Stüber, Text: Nicole Walter Foto: ©Knase / photocase.com Quellen Flash: FAO, WHO und WTO