Schillers Drama Die Räuber aus Kapitel Antiklassizismus: Sturm und Drang (Hans-G. Winter). (Zmegac-GddL Bd. I/1, S. 247) (c) Beltz Athenäum Verlag) Die Helden in Schillers frühen Dramen sind »erhabene Verbrecher«, die mit einem selbstgesetzten Anspruch gegen die Ordnung von Natur und Gesellschaft verstoßen und an ihr und an sich selbst scheitern. In dem »Schauspiel« Die Räuber (1781) wird ein solcher Anspruch in zwei Konfliktbereichen erhoben: im gesellschaftlich-öffentlichen durch die Aktionen Karl Moors als antifeudaler Rebell, im familiär- privaten durch die Intrigen Franz' zwecks Usurpation der Herrschaft und durch die Auflehnung beider gegen die Vaterautorität. Die Konkurrenz beider Brüder um das Erbe hebt auch die Auseinandersetzungen in der Familie auf eine politische Ebene. Es stehen sich gegenüber Franz als der sich zum Despoten steigernde Feudalherr, Karl als der bürgerliche Ideale vertretende Adlige im Kampf gegen die Despotie. Karl kämpft an der Spitze einer Räuberbande für »eine Republik ..., gegen die Rom und Sparta Nonnenklöster sein werden«. In ihm »wütet«, wie Schiller in seiner Selbstrezension (1782) erklärt, »die Privaterbitterung gegen einen unzärtlichen Vater«, der ihn aufgrund einer Intrige des Bruders verstößt, »in einen Universalhaß gegen das ganze Menschengeschlecht aus«. Ist Karls Rebellion so privat motiviert, hat die Art seines Kampfes doch eine deutliche politische Komponente. Den Unterdrückung sanktionierenden Gesetzen und Konventionen stellt er die ›Freiheit‹ individueller Selbsthilfe entgegen. Karls revolutionäres Konzept scheitert, weil die Räuberbande – in Gesinnung und Aktion kein wirklicher Gegner des Feudalsystems – sich gerade auch an den Unterdrückten und Unschuldigen vergreift: »Kindermord«, »Weiber-Mord«, »Kranken-Mord«. Karls Aktion ist auch nicht von der Einsicht breiter Volksschichten in ihre Interessen getragen, sondern von der moralischen Empörung einzelner. Franz' Überlegungen und Intrigen sind für Schiller »das Resultat eines aufgeklärten Denkens und liberalen Studiums«. In der geistigen und sittlichen Libertinage dieser Figur versucht der Autor als konsequenter Rousseauist den philosophischen Materialismus und Atheismus als aristokratische Entartung zu widerlegen. Aus der Wut über die Willkür der Natur, manifestiert in Franz' häßlicher Erscheinung, und über seine soziale Benachteiligung als Zweitgeborener entspringt sein Gebrauch der ratio zum radikalen Zweifel an der Ordnung der Welt und zur Rechtfertigung eines schrankenlosen Egoismus: »Itzt bin ich Herr ... Weg mit dieser lästigen Larve von Sanftmut und Tugend.« Beide Brüder rebellieren gegen das in der Person des alten Moor trotz seiner Schwächlichkeit verkörperte Prinzip der Vaterautorität. Es scheitert ihr Versuch, sich gegen die soziale Ordnung, vor allem gegen die Familienordnung zu stellen, die für Schiller letztlich Teil der göttlichen Ordnung ist; sie scheitern aber auch darin, von sich aus eine neue Ordnung zu begründen. Franz wird, noch bevor die Räuber ihn gefangennehmen können, Opfer seines eigenen, wieder aufbrechenden bösen Gewissens, Karl stellt sich dem irdischen und damit auch dem jenseitigen Gericht. Ausdruck der Grenze von Schillers Opposition gegen das herrschende System wie auch seiner pietistisch beeinflußten Vorstellungen von ihm ist Karls Einsicht am Ende, »daß zwey Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zu Grund richten würden«. Gott »eigen allein« bleibt die Rache für das in der Welt vorhandene Unrecht. Gesetze können nicht durch Gesetzlosigkeit verändert werden. In der veränderten »Trauerspiel«-Fassung von 1782 deutet Schiller außerdem im »Testament« Karls für die Räuber die Perspektive einer aufgeklärten Fürstenherrschaft an. Trotz deutlicher Berührungspunkte mit dem Sturm und Drang in der Art der Zeitkritik, in der Darstellung von »Selbsthelfern«, in der betonten Aktualität des Stückes (Schiller: »modern zugeschnitten«), zeigt es auch eine Distanz zu jener Bewegung. Schiller sieht die zentrale Idee des seinen Leidenschaften hingegebenen Menschen bereits kritisch: »Falsche Begriffe von Thätigkeit und Einfluß, Fülle der Kraft, die alle Gesetze übersprudelt, mußten sich natürlicher Weise an bürgerlichen Verhältnissen zerschlagen, und zu diesen enthusiastischen Träumen von Größe und Wirksamkeit durfte sich nur eine Bitterkeit gegen die unidealistische Welt gesellen, so war der seltsame Donquixote fertig, den wir im Räuber Moor verabscheuen und lieben, bewundern und bedauern.« »Hier war Fülle ineinandergedrungener Realitäten vorhanden, die ich unmöglich in die allzu engen Palisaden des Aristoteles und Batteux[1] einkeilen konnte«, stellt Schiller in der zweiten Vorrede zu seiner »dramatischen Geschichte« fest, die er in der unterdrückten ersten Vorrede noch einen »dramatischen Roman« nennt. Die epischen Elemente verbinden das Stück mit dem Sturm und Drang. Sie betreffen die Karl-Handlung, welche einen passiven Helden zeigt, wie ihn Goethe später dem Roman zuordnet, die vielen Berichtszenen, die Ausdrucksmittel der inneren Handlung. Die Sprache bewegt sich im Bereich der »Kolosse und Extremitäten«: Kraftausdrücke, bewußt übersteigerte Bilder, leidenschaftliches Pathos; selbst in Augenblicken der Idylle ist sie meist energiegeladen. Trotz dieser Berührungspunkte mit dem Sturm und Drang zeigen sich auch Unterschiede. So ist hier – vor allem in der Franz-Handlung – das Nomen gegenüber dem Verb, dem wichtigsten Ausdrucksmittel des Sturm-und-Drang-Subjektivismus, gleichberechtigt. Rhetorische Ele-mente in der Organisation der Rede beschränken teilweise ihre Subjektivität. Erst große Kürzungen, Milderungen und vor allem die Verlegung der Handlung aus der Gegenwart ins ausgehende Mittelalter ermöglichen 1782 die Aufführung bei Dalberg in Mannheim. Sie stellt trotzdem einen triumphalen Erfolg für den Autor dar. Wie sehr trotz des ausgleichenden Schlusses der Aktualitätsbezug des Werkes von den Zeitgenossen als politische Provokation verstanden wird, zeigt die – nicht von Schiller stammende – Titelvignette der zweiten Auflage 1782, ein zum Sprung ansetzender Löwe mit der Inschrift »in Tirannos«. ________________________________ [1] Batteux, Charles, Einschränkung der schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz. Aus dem Französischen übersetzt und mit Abhandlungen begleitet von Johann Adolf Schlegel, 2.Teile in einem Band, 3.Aufl., Weidmanns Erben und Reich Leipzig 1770.